Zum Inhalt der Seite

Großstadtluft

von
Koautor:  _Aya_

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Unsympathisch

Ich glaube, der Grund warum viele Leute die Nacht bevorzugen, liegt darauf begründet, dass die Welt für einige Sekunden ausatmet. Man muss sich nicht mehr sonderlich konzentrieren oder anstrengen. Der Akku wird ausgeschaltet. Und das wiederum liegt daran, dass der Straßenlärm allmählich abdampft, die elektrisierende Mischung aus täglicher Anspannung und Hektik versiegt. Niemand beguckt einen mehr von allen Seiten, wie ein besonders teures Museumsstück, oder eine vom Aussterben bedrohte Tierart. Und niemand macht sich große Gedanken um Etwas. Unnötige Gedanken. Nervöse Gedanken. Ermüdende Gedanken. Gedanken über sich, seinen Beruf und die verdammten letzten Monate.

Ja, das ist schon eine gewisse Art von Zauber finde ich. Dieses Akku-Ausschalten. Bis der Traum von wutgöttlichen Sonnenstrahlen durchbrochen wird und man schockartig realisiert, dass das Leben niemals so einfach sein wird, wie man es sich einen Abend zuvor vorgestellt hat. Zusammengeschusterte Fantasien, die im Alltag Hoffnung oder Euphorie genannt werden, verlieren plötzlich ihren Halt.
 

Heftig und unerwartet werde ich von dieser Emotion mitgerissen, als ich die Augen erwartungsvoll wieder aufschlage und mein Spiegelbild betrachte. Mein Gesicht sieht genau so erschöpft aus, wie ich mich fühle, und ich kann nicht sagen ob das nun gut oder schlecht ist.

Heute trage ich ein rosa Nachthemd mit mädchenhaften Puffärmelchen, die sich bedeutend von meiner Leichenblässe abheben. Eine Satinschleife umzirkelt meinen Hals und vermittelt mit vollem Erfolg den niedlichen Ausdruck, den ich erzielen möchte. Der Stoff folgt jeder meiner seichten Bewegungen, wie ein umherschwirrender Geist, der sich unsicher ist, ob er bleiben oder gehen soll. Ich blieb, obwohl ich zunächst nach Luft schnappen muss, weil mich das Gefühl der Hilflosigkeit so dumpf ereilt hat.

Ich sehe ihn. Sehe, wie er auf mich zukommt. Sehe das aufgesetzte, scheinheilige Lächeln. Sehe die Müdigkeit dahinter. Ich spüre die kalten, feuchten Hände auf meinen Armen. Spüre die ruckartige, fast brutale, Umklammerung. Und ich fühle den Moment. Den schmerzhaften Moment der viel zu langen, viel zu zärtlichen, viel zu ernstgemeinten Umarmung. Ich zittere.

„Du solltest wieder ins Bett kommen.“, flüstert er ruhig in mein Ohr, darauf bedacht, unsere Symbiose bloß nicht zu lösen. „Mh, aber ein Drink wäre nicht schlecht oder? Zur Auflockerung.“
 

Als Tochter eines Dozenten hatte ich eine Menge guter anderer Dozenten kennengelernt; für die Besten unter ihnen war die Arbeit zur echten Berufung geworden. Bei William war dieser Vorgang genau umgekehrt verlaufen – und zwar mit beeindruckendem Ergebnis.

Für eine Uni wie die [x], war William der beste Lehrer, den man sich vorstellen konnte. Verhangen in einem langen, schwarzen Trenchcoat, wachte der fast einsachtzig große, hagere Mann über seine Schüler wie eine finstere Vogelscheuche über ein Kürbisfeld. Seine imposante Erscheinung ließ Dekane, Studenten und Konsorten durcheinanderschwirren, um sich nach Williams Gedenken zusammenzufinden.

Bei dieser Größe und einem Gesicht solcher Hässlichkeit, dass es auf groteske Weise schon wieder schön wirkte, war es nicht verwunderlich, dass er sich dem archäologischen Leben verschieben hatte. Tote waren in der Regel weniger wählerisch, was das Aussehen anbetraf.

Das Erste, was eine Person wie ich also von einer Person wie ihm denkt, ist: Das wird miserabel. Und danach klebt man dieser Person alle erdenklichen Adjektive auf, die zwar nicht wirklich passen, aber im eigenen Fantasiegebilde einfach schöner aussehen.
 

„Ich guck mal was ich noch hab‘. Nicht weglaufen, ja?“ Langsam lässt er mich los und bewegt sich in Rückwärtsschritten auf einen der kleinen Couchtische hinter uns zu, wie als habe er Angst, dass ich mich in Luft auflösen könnte, wenn er wegsah. Ich bleibe sitzen und warte. Und er kommt tatsächlich wieder. Mit Whisky und einer Decke. Er setzt sich erneut neben mich und streichelt mir immer wieder über den Rücken. Während er die noch freie Hand dazu benötigt, ein Glas einzuschenken, bedenkt er mich mit einem breiten Lächeln. Einem schlechteren Beobachter als mir wäre aufgefallen, dass sein Lächeln zusehends verkrampfter wirkt. Im Grunde steht er am Rand des Geschehens und merkt dabei nicht, dass ich jetzt schon realisiere, dass alles, was nach dieser mitleidigen Grimasse kommt, gelogener Drecksmist ist. Arschloch.

„Ich denke, ich habe endlich begriffen, weshalb ich dich nicht liebe.“, fängt William an.

Ich weiß, dass er es nicht weiß, aber niemals zuvor hat er davon so offen gesprochen. Deswegen versuche ich mir einzureden, neugierig zu sein, doch meine Kehle schnürt sich ungewollt zu.

Unterdessen blickt er mit seinen klugen, tiefliegenden Augen von einer zur andren Ecke und überlegt, wo der Anfang vom Ende seiner zukünftigen Ex-Freundin beginnen soll. Lieber nochmal einen neuen Schluck Whisky nehmen. Dann gehen die nichtssagenden Entschuldigungen wohl besser von der Zunge.

„Du erinnerst mich an meine Mutter.“, war genau einer dieser Sätze, die im Zusammenhang mit dem Schlussmachen eher Empörung, statt Trauer, auslösten.

Gefangen in meiner Demütigung, explodieren zeitgleich mehrere Wutausbrüche in mir, aber keiner davon erreicht die Außenwelt. Anstelle dessen antwortet mein Körper in kompletter Verkrampfung.

„Kalt und distanziert, und so… abgehoben.“ Die tiefe, glockenartige Stimme legt einen derben Kontrast zur halben Umarmung hin. „….ich kann niemanden lieben, der mich nicht liebt, verstehst du?“. Wie ein leichtes Zucken um seine dünnen Lippen verrät, geht er davon aus, dass ich mehr Erklärungen einfordern würde. Eine Schein-Pause folgt.

 

William ist ein guter Menschenkenner, oder etwas Ähnliches, was ihm mal irgendwer bedeutsam eingetrichtert haben musste, bis er es selber glaubte. Wahrscheinlich seine Mutter.

Dass sein manipulatives Verhalten sich stattdessen schlecht mit Selbstlosigkeit vereinbaren ließ, interessierte William gering wenig. Kein Fehler in der Analyse. >Du< bist der Fehler in der Analyse. Ein Fremdkörper.

Schwein.

Bevor ich es selber verstanden habe, schwemme ich jegliche Logik hinweg, indem ich meine Wut Besitz ergreifen lasse. Ich hasse es, wenn das passiert, aber dieser Mann hat mich zu dem gemacht was ich bin. Zumindest rettet diese Vorstellung mich vor einer direkten Selbstkonfrontation.

„Wie lächerlich! Ich habe niemals gesagt, dass ich dich nicht liebe! Du warst derjenige, der sich in der Öffentlichkeit immer von mir abgewandt hat. Ich habe nichts anderes außer kälte gefühlt, also gib mir bloß nicht die Schuld!“ Ich habe angefangen mich aus seinem Klammergriff zu befreien und reibe aufgebracht mein Handgelenk. William betrachtet meine Marotte mit mäßigen Amüsement und ich höre auf.

„Ssh, es klingt komisch, ich weiß. Es war nun einmal die erste Sache, die mir in den Kopf gekommen ist. Du musst wissen, sie war eine sehr intelligente und begabte Person. Sie hat mir viel für das Leben beigebracht, aber-„ Die Röte, die sich mittlerweile um meine gesamte Kopfpartie gelegt hat, veranlasst William zum nächsten Whiskyschluck. „-aber, ich… wir hatten dennoch keine enge Beziehung, …wollte ich sagen. Du bist auch eine sehr intelligente Person Kaylee, aber ich kann nicht mit jemanden zusammen sein, der nie zur Ruhe findet.“

„Aber der Sex ist genau richtig oder wie?“

Das Seufzen eines Mannes verheißt oftmals Enttäuschung. Ob es bei William so ist, kann ich zu jenem Moment nicht wirklich sagen. Hinter meinem Tränenschleier tanzen seine Konturen wie ein kleines Puppentheater. Meine Gedanken wälzen müde Beleidigungen hin und her. Es hat keinen Sinn, irgendwas davon auszusprechen.

 Irgendwann lockert er seine Haltung schließlich auf und sagt:“Du willst, dass ich lüge, oder?“

Meine pfingstrosenefarbenen Lippen werden bleich wie eine erfrorene Blume.

„Du bist ein dummes Arschloch.“
 

Manchmal denke ich darüber nach, wer ich eigentlich bin, aber ich schätze, mein Umfeld hat ein besseres Händchen dafür. Eine niedliche Anreihung von Fehlern, aber auch nur vielleicht. Man könnte damit anfangen, dass ich einfach nicht mit Menschen umgehen kann.

 

In meinem recht kurzen und dennoch ereignisreichen Leben hatte ich bisher nicht wirklich gute Erfahrung gemacht. Vor allem mit Männern nicht.

Schaffst du es, einigermaßen jeden Tag gut auszusehen, dann setzt du einen Standard. „Oh, keine Augenringe? Sie hat ihr Leben unter Kontrolle!“, oder „Oh, ihre Haut sieht gut aus. Gesunder Lifestyle?“.  Du kannst dabei natürlich nicht gut aussehen und ein spontanes, lustiges Mädchen zugleich sein. Denn das bedeutet eine Abweichung der Regeln. Kein Make-up? Du bist krank – geht ja nicht anders. Selbstbestimmt? Emanze. Mitgefühl? Psychologin. Und sei bloß nicht jemand einer höheren Institution der Computerspiele mag, schließlich ist das unverantwortlich und kindisch.

Sei stattdessen die beste Version von dir selbst! Der Geheimcode zum Lügen. Alle wissen dabei, dass das absoluter Bullshit ist. Aber perfekt hat ein geringeres Verfallsdatum als anders. Lüge, um Leute dahin zu manipulieren, bis sie dich mögen. Schlechte Witze gibt’s nicht. Ehrliche Meinungen werden hinter kleinen, passiven Andeutungen versteckt. Klasse! Wenn man beginnt, die Menschen richtig – also wirklich richtig – zu verstehen, dann erschlägt einen die Surrealität in der Realität plötzlich.

Irgendwie gibt es verschiedene Knotenpunkte im Leben, bei denen man zu verstehen beginnt, warum dich der Kassierer trotz Scheißjob voller Herzlichkeit angelächelt hat, oder warum deine Freunde jedes Wochenende rotzbesoffen durch die Clubs der Stadt tingeln, obwohl sie Alkohol hassen.

Sobald man die Ironie im Leben erkannt hat und sie zum Kontrast der Oberflächlichkeit aller Anderen legt, wirkt alles so absurd, dass deine zusammengeschusterten Fantasien vom Abend davor fast noch verständlicher wirken. Entweder man schwimmt in seinen makabren Traumschlössern so vor sich hin, oder du wirst geisteskrank.

Deshalb versuche ich auch, Menschenmassen zu meiden, mich so unauffällig wie möglich zu verhalten und bloß keinen Fehler zu machen. Das war nichts wirklich Ungewöhnliches. In einer Großstadt wie dieser, gab es keine Eingeständnisse. Und wenn, dann passierte bloß alles in Abfolge von stressbedingten Nothandlungen.
 

Die Uni ist ein vergleichbares hartes Pflaster für diejenigen, die neben den Hobbies aus der Stadt daraus ihren ganzen Lebensinhalt schöpfen. Das hatte ich schnell begriffen.

Die ersten Hetzreden kamen noch überraschend. Jede weitere Beleidigung gegen mich wegen William war irgendwann nur noch Alltag. Man konnte nie sicher sein. Nirgends. Manchmal traf es mich mitten in einer Vorlesung, weil jemand anders dort sitzen wollte, wo ich mich eingerichtet hatte. Manchmal auch einfach in einer der spärlicher frequentierten Seitengasse, weil ich etwas hatte, was ein anderer haben wollte, oder weil ich lediglich im Weg war. Verhalten, welches sich über jeglicher Akzeptanz befand.

Die Standardaussage aller Kommilitonen lautete, dass William viel zu alt war, durchaus geschieden sei, aber trotzdem ein Kind besaß. Wenn sich Andere die Mühe machten, ihre eigene Version der Sache zu erfinden, nahmen sie in der Regel keine Rücksicht auf Details. Ich selber machte da natürlich keine Ausnahme. Wieso ist er mit einer 20 Jahre jüngeren Schülerin zusammen? Wo ist er an den anderen Tagen, wenn nicht bei mir?

Oft dachte ich daran, wie unser Treffen nach den großen Semesterferien ausgesehen hatte. Daran, wie ich ihm vor Scham halb bewusstlos meine Oberweite im neuen BH zugestreckt hatte – und William hatte nicht mal hingeguckt.
 

Die bedrückende Erkenntnis ließ nach ettlichen Konfrontationen nicht lange auf sich warten: Offensichtlich mochte ich diese Unruhe, sonst hätte ich mich nicht auf diesen Scheiß eingelassen. Sicherlich war mir mal aufgefallen, wie irrsinnig das alles war, aber diese Rolle hatte ich mir freiwillig in dieser Gesellschaft ausgesucht. Nun befand ich mich zwischen gescheiterten Gestalten und meine Selbstbeherrschung war diesem Beispiel gefolgt. So lächerlich es auch wirken musste – anders funktionierte es nicht.

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem William entschieden hatte , taktisch Schluss zu machen, war ich in eine Art Beziehung mit ihm reingerutscht. Neben meiner neuerrungenen Rangordnung unter meinen Mitstudenten, war das alles komplett normal. Normal unter Menschen, die den kurzen, schnellen Weg suchten.

William sieht mich auf meinen Satz hin nahezu ermahnend an, und stolpert von jener Emotion in eine andere, für die ich zu gerädert bin, sie in einem passenden Begriff einzuordnen.

Sein scheinheiliges Lächeln geht unter wie die Titanic. Mein Verhalten muss ihm unsympathisch sein.

Und ich fühle mich für einen kurzen, berauschenden Augenblick erstaunlich gut und echt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück