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Crystal of the Dark

von

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Haru

Kapitel 10: Haru
 

Drei Tage ist der Vorfall im Lagerhaus nun her, und seitdem scheint sich irgendetwas in Ian verändert zu haben. Er duldet meine Nähe, ist mir gegenüber offener und lacht auch viel häufiger als sonst.

Als ich ihn noch am selben Abend auf den Albtraum ansprach, ging er kurz in sich, sah mich danach ernst an. Er meinte, er habe schon lange nicht mehr diese Träume gehabt - Träume von der Schlacht von vor 500 Jahren. Es war nicht nur die Grausamkeit, die ihm des Nachts diese Bilder bescherte, sondern viel mehr ein ganz bestimmter Verlust, über den zu sprechen er aber noch nicht bereit sei.
 

Noch nicht. Das heißt für mich allerdings, dass er durchaus vorhat, es mir irgendwann zu erzählen - oder etwa nicht?
 

Ich habe ihm viele Fragen in jener Nacht gestellt - und ausnahmslos alle hat er mir beantwortet.
 

Von den fünf unheimlichen Kerlen, die mir aufgelauert hatten, waren zwei Engel und drei Dämonen. Abtrünnige. Sie haben ihre Welten verlassen, um sich ihren Pflichten dort zu entziehen, und leben nun in der Irdischen Welt. Das allerdings stört das empfindliche Gleichgewicht der drei Welten, weswegen nicht selten Engel und Dämonen des Feuer- und Windstammes entsandt werden, um sie wieder einzufangen.
 

Doch hin und wieder entwischen ihnen einige. Von finsteren Gedanken getrieben, sorgen sie nicht selten für Unheil und Chaos, lauern jungen Unsterblichen- wie mir - auf, um sie zu quälen und sie ihrer Macht zu berauben. Denn einmal den eigenen Wurzeln den Rücken gekehrt, wird das ewige Leben plötzlich wieder vergänglich. Und sie benötigen eine Energiequelle, um am Leben zu bleiben. Gruselige Vorstellung. Nicht zum ersten Mal bin ich heilfroh, dass Ian rechtzeitig zur Stelle war.
 

Diese unreinen Kreaturen würden früher oder später zu Schatten mutieren, und das hätte verheerende Folgen für die Irdische Welt und ihre Bevölkerung. Denn die Wesen der Finsternis laben sich an allem, was lebt - und sie sind immer hungrig. Da sie auch nach dem Tod vor diesem Schicksal nicht gefeit sind, hat Ian sie an den einzigen Ort gebracht, wo sie vorerst kein Unheil anrichten können: Zum Loch der schwarzen Seelen, der Kluft zwischen der Oberen und der Unteren Welt.
 

Da diese Unholde einst auf unserer Seite standen, ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie Ian kannten. Er hat sich in der Schlacht einen Namen gemacht. Leider geht so etwas auch immer mit Missgunst und Neid einher, weswegen üble Gerüchte bald folgten und allen Ruhm verdrängten. Eines dieser Gerüchte besagte - oder besser; besagt, denn es hält sich hartnäckig bis heute, wie mir Ian verraten hat -, dass er seine Kameraden kaltblütig ermordet und den Schatten als Opfer dargebracht hätte, nur um seine eigene Haut zu retten. Völliger Blödsinn! Aber was wirklich geschehen ist, mochte er dann nicht erzählen. Noch nicht.
 

Allerdings wird er fortan 'Kori' genannt, was so viel wie 'Eis' bedeutet und leider nicht auf seine Magie zurück zu führen ist.

Auf meine Frage hin, warum er die Gerüchte nicht ausgeräumt und alles richtig gestellt hat, meinte er nur traurig: "Niemanden interessierte die Wahrheit. Die Leute wollten einfach einen Sündenbock haben..."
 

Irgendwie tut er mir Leid. Er hat so eine große Bürde zu tragen. Aber nach Außen hin scheint ihn das überhaupt nicht zu berühren. Doch in seinem Inneren brodelt es, da bin ich mir sicher.
 

Ich habe gerade das Wohnzimmer wieder aufgeräumt - hier herrschte ein Chaos ohnegleichen - als Ian in der Tür steht, belustigt zu mir rüber schaut und sogar leise lacht. Wie ich es hasse, wenn jemand beim Arbeiten nur zuguckt, statt mit anzupacken.

"Du darfst mir gern helfen. Schließlich ist das Meiste hier dein Mist!" schimpfe ich leicht beleidigt. Sofort stößt er sich von dem Türrahmen ab, an den er sich gelehnt hatte und kommt zu mir. Er hat wirklich vor, mir zu helfen. Ich bin begeistert! Kaum steht er neben mir, steigt mir ein wohl bekannter Geruch nach Apfel in die Nase. Verwirrt blicke ich den Magier an. "Hast du etwa mein Shampoo genommen?"

"Ist das so schlimm? Erdbeere ist jetzt nicht so meins." antwortet er trocken.

Ist das sein Ernst?! Ich habe ja auch gar nicht verlangt, dass er Rheas Shampoo nehmen soll, aber... "Wie wäre es das nächste Mal, wenn du fragen würdest?"

Verständnislos sieht er mich an. "Ich nehme es schon die ganze Zeit, seit ich hier bin."

WIE BITTE?!

In dem Moment unterbricht ein merkwürdiges Knacken meine Gedanken. Ist das... das Türschloss? Nicht schon wieder!

Ian scheint es auch gehört zu haben, denn er lehnt sich im gleichen Moment zur Wohnungstür wie ich. Ohne zu zögern, schiebe ich ihn aus dem Wohnzimmer in das meinige und knalle die Tür hinter ihm zu. "Bleib bloß da drin!" zische ich noch, als nur eine Sekunde später die Wohnungstür auffliegt und Rhea mich verdutzt ansieht.
 

"Du bist hier?"

"Wo sollte ich sonst sein?" frage ich sie etwas verständnislos.

"Na ja... sagtest du nicht, du musst die Stadt verlassen?"

"Muss ich auch."

Die Schwarzhaarige schließt die Tür und sieht mich dann ernst an. "Aki, ich kann es gar nicht leiden, wenn man mich anlügt! Also?" Doch noch bevor ich mir eine Antwort aus den Fingern saugen kann, schnüffelt sie kurz in der Luft, dann an mir und blickt mich fragend an. "Hast du etwa Besuch?"

"Was? Ich? Nein. Wie kommst du darauf?"

"Es riecht nach deinem Apfelshampoo aber es haftet weder an dir, noch siehst du aus, als würdest du gerade geduscht haben. Also noch einmal: Hast du Besuch?"

"Neeeeheeeiiin." antworte ich gedehnt, mache eine abwertende Handbewegung und meide bewusst den Blickkontakt.

"Aki?" setzt sie wieder mit strenger Stimme an. "Hast du etwa Herrenbesuch?"

"Nö, bin ganz allein. Ehrlich."

Sie wirft mir einen letzten prüfenden Blick zu, der mir verdeutlicht, dass sie mir nicht im Geringsten glaubt, und geht dann in ihr Zimmer. "Ich wollte nur noch ein paar Sachen holen. Wollte ich vor ein paar Tagen schon, aber dann bist du mir ja in die Arme gefallen und ich habe es total vergessen." plappert sie einfach drauf los, während sie einige Klamotten aus ihrem Schrank in eine Tasche stopft.

Ich schüttle nur den Kopf. "Lass mich das machen. So zerknautschst du deine Sachen doch nur wieder." Rhea ist und bleibt eine kleine Chaotin. Aber eine liebenswerte Chaotin. Meine liebenswerte Chaotin. Also helfe ich ihr beim Packen, während sie im Bad verschwindet und mit einer unüberschaubaren Anzahl an Kosmetiktöpfchen, Schminktöpfchen und Duschgel zurück kommt.

"Warum ist eigentlich die Couch ausgeklappt und für zwei bezogen?" fragt sie mich ganz plötzlich total beiläufig. Mir jagt es einen Eisschauer nach dem anderen über den Rücken, bei der Art, wie sie mich gefragt hat.

"Hab in letzter Zeit nachts nicht mehr in meinem Zimmer schlafen können. Und mir war kalt."

Skeptisch hebt sie eine Augenbraue. "Dir ist nie kalt." Daraufhin steht sie auf und schlendert aus ihrem Zimmer. Direkt zu meinem!

Ich schaffe es nicht mehr, sie daran zu hindern oder sie aufzuhalten und so bleibt mir fast das Herz stehen, als sie die Tür aufreißt, einen prüfenden Blick hinein wirft und dann zu meinem Kleiderschrank spaziert.

"Hast du eigentlich noch dieses niedliche Oberteil, das ich dir einmal ausgeliehen habe? Darf ich es zurück haben? Ich steh total auf diesen Blauton und die vielen Rüschen und Schleifchen."

"Ähm, ja, glaub ich zumindest. Warte, ich suche es dir eben raus." Wir wühlen kurz durch den Stapel mit den Sommersachen und werden schnell fündig. In einem vernünftigen Haushalt geht eben nichts verloren. Unauffällig suche nun auch ich den Raum ab. Wo ist Ian?

Ich strecke meinen Geist aus. Aber hier im Zimmer scheint er nicht mehr zu sein.

"Ich bin auf dem Dach. Langsam nervt deine kleine Freundin. Ich dachte, du hättest ihr die Freundschaft gekündigt - warum ist sie immer noch hier?"

"Ich habe ihr nicht die Freundschaft gekündigt! Nur gesagt, dass ich sie nicht mehr sehen kann und dass ich die Stadt verlassen muss."

"Dafür klebt sie dir aber sehr hartnäckig am Hintern."

"Du magst sie nicht oder?"

"Nein. Nicht im Mindesten."

Dann löst sich sein Geist von meinem und es ist wieder still. Tja, also doch kein Eisbecher zu dritt. Schade irgendwie.

Mit einem Mal steht Rhea direkt hinter mir und flüstert: "Spürst du das auch?"

Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen! "Bist du des Wahnsinns? Ich hab mich zu Tode erschrocken!"

"Hier ist eine merkwürdige Aura in deinem Zimmer. Spürst du das auch?" fragt sie mich nur erneut.

"Nein, ich spüre überhaupt nichts. Was meinst du?" gebe ich vor. Dabei kann ich Ians Macht ganz deutlich spüren. Es ist wie ein unnatürliches Kribbeln auf der Haut. Davon abgesehen, dass ich die Reste seiner Aura hier im Zimmer sogar noch sehen kann, dank meiner Gabe.

Rhea tippt sich überlegend an ihr Kinn. "Komisch. Ich könnte schwören, dass sich hier irgendetwas verdammt unnatürlich anfühlt." Sie wirft mir einen Seitenblick zu, den ich nicht zu deuten vermag. Glaubt sie etwa immer noch, ich würde jemanden vor ihr verstecken - okay, ich tue es, aber... Ach egal! Oder weiß sie irgendetwas?

Ich schüttle den Kopf. Völlig ausgeschlossen! Menschen wissen nichts von der Existenz von Dämonen und Engeln. Sie glauben zwar daran - zumindest einige - aber sie haben keine Beweise dafür.
 

Rhea streckt sich ausgiebig und lächelt mich dann wieder auf ihre gewohnte Art an. "Ich muss leider wieder los. Ich habe nicht damit gerechnet, dass du noch hier bist, sonst hätte ich meinen Tag nicht bereits verplant. Aber wenn du magst, lass ich dir meine Lunchbox da." Freudestrahlend holt sie eine rote Box aus ihrer Umhängetasche und sofort schlägt mir der Gestank von Knoblauch entgegen. Und zwar noch bevor sie die Box geöffnet hat!

Würgend schlage ich mir die Hände vor den Mund. "Lass gut sein, Rhea, trotzdem danke."

Überrascht sieht sie mich an. "Ich dachte, du liebst meine Aufläufe. Dieses Mal war ich sogar sparsam mit dem Knoblauch."

Sparsam? Das Teil stinkt zehn Meilen gegen den Wind! Angewidert wende ich mich ab, flüchte geradezu ins Bad. Ich habe das Gefühl, mich überkommt gleich ein Brechreiz.
 

"Entschuldige, ich wusste nicht, dass der Geruch dich noch immer derart aus der Bahn wirft. Geht es wieder?" Die Stimme meiner besten Freundin ist ehrlich besorgt und zum Glück hat sie die Box auch wieder verstaut, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Beinahe zeitgleich verebbt auch die Übelkeit.

"Geht schon wieder. Ich glaube, ich kann einfach nur den Geruch von Knoblauch nicht mehr ab." Ich schenke ihr ein Lächeln, welches sie erwidert.

"Na gut, ich mach mich dann mal auf. Wir sehen uns sicher noch. Bis dann." Damit verschwindet sie winkend zur Wohnungstür hinaus.

Ich lehne mich an die kühlen Fliesen und lasse die aufkommenden Tränen zu. Ian hatte mir versprochen, dass wir heute in die Untere Welt aufbrechen würden. Eigentlich hatte ich mich ehrlich darauf gefreut. Doch Rheas Worte versetzen mir einen erneuten Stich in mein Herz. Vielleicht hätte ich sie die letzten Tage wirklich nicht noch einmal sehen dürfen. Denn jetzt macht sie sich falsche Hoffnungen, während der Schmerz über ihren Verlust mich nun vollends im Griff hat.
 


 

"Das ist echt nicht komisch, Ian!" herrsche ich meinen Mentor an, der mich nun schon seit geschlagenen zehn Minuten auslacht. "Ich meine es ernst! Hör endlich auf zu lachen!"

"Gib doch zu, dass die Situation für dich zeitweise genau so komisch war, wie für mich."

"NEIN! War sie nicht!" wütend baue ich mich vor ihm auf.

Doch Ian legt lediglich einen Arm um mich, zieht mich an sich und schmunzelt noch immer wie ein Honigkuchenpferd. Er beugt sich zu mir runter, bis seine Nasenspitze mein Ohr streift. "Ich musste dich einfach ein bisschen ärgern. Anders bekomme ich dich nämlich nicht wieder auf die Beine, mein kleiner Trauerkloß." Er wuschelt mir durch die Haare und lässt mich einfach stehen.

Ich brauche einen kleinen Moment, um diese Situation zu verarbeiten. Hat er gerade zugegeben, dass er sich absichtlich über mich lustig gemacht hat? Einfach nur, weil das Bild, welches Rhea und ich abgegeben haben, als sie versuchte herauszufinden, ob und welche Art von Besuch ich verstecke, für einen Außenstehenden merkwürdig schräg ausgesehen hat. Und hat er es absichtlich zugegeben, um mich noch weiter wütend zu machen?

Nun, das ist ihm gelungen - ich bin stinksauer! "IAN!!!" brülle ich ihm hinterher und schließe wieder zu ihm auf.

"Lass es gut sein, Aki. Verschwende doch deine Energie nicht damit, mich zu beschimpfen. Mich lässt das ohnehin völlig kalt. Sieh dich lieber um." entgegnet er immer noch schmunzelnd.
 

Natürlich komme ich dieser Aufforderung nicht direkt nach. Zumindest nicht offensichtlich, denn nach außen hin schmolle ich noch ein bisschen. Aber meine Umgebung nehme ich dennoch wahr.

Ian hat uns über ein Portal, welches er im Wohnzimmer geöffnet hat, in die Untere Welt gebracht. Nebenbei erwähnte er dann noch, dass nur Dämonen und Engel diese Portale sehen und benutzen können. Für Menschen ist dies unmöglich.
 

Bedächtig lasse ich meinen Blick schweifen. Das Portal hat uns direkt auf eine Hochebene befördert. Überall blühen Blumen, Kräuter und Gräser, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Links von unserem Pfad geht es teilweise ziemlich steil bergab, während es an anderen Stellen über seichtere Wege hinunter ins Tal geht, welches in einem riesigen Wald mündet, über den sich die ein oder andere Nebelbank legt. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen, als ich hinunter schaue. Sofort erwacht wieder der Drang in mir, zum Wald zu preschen und durch das Unterholz zu jagen. Aber ich muss ihn beiseite schieben, denn dafür hat Ian mich nicht hierher gebracht.

Er führt uns an einem kleinen Bach entlang, dessen Ufer von üppigem Grün bewachsen sind. Dieser schlängelt sich weiter in ein anderes Tal hinab, wo bereits die Ausläufer einer großen Stadt erkennbar sind - vermutlich unser Ziel. Zu unserer rechten Seite erhebt sich ein gewaltiges Gebirge, dessen Gipfel zum Teil in den Wolken verschwinden. Ehrfürchtig blicke ich nach oben und muss stehen bleiben. Denn was meine Augen dann erfassen, habe ich so noch nie gesehen und es verschlägt mir die Sprache: Über uns erstreckt sich ein Himmel, der in den unterschiedlichsten Violett-Tönen leuchtet, sogar leicht zu flimmern scheint. Er ist durchzogen von grünen und goldenen Schleiern und an seinem Firmament funkeln silberne Sterne. Nie zuvor habe ich etwas vergleichbar Schönes gesehen.
 

Ian stellt sich neben mich und schaut ebenfalls zum Himmel. "Daran werde ich mich nie satt sehen können. Egal wie oft ich in diesen Himmel blicke, er sieht jedes Mal anders aus."

Lächelnd sehe ich meinen Mentor an, der meinen Blick nach kurzer Zeit erwidert.
 

Ein näher kommendes Knirschen zerstört allerdings diesen friedlichen Moment und gleichzeitig blicken wir auf den Pfad vor uns, wo sich nun eine große Gestalt abzeichnet. Noch bevor ich wirklich erkennen kann, wer da auf uns zu steuert, erkenne ich die Aura, die die Person umgibt. Sie ist meiner sehr ähnlich - die gleichen goldbraunen Funken tanzen um die Gestalt herum. Es ist also ein Erddämon?

"Nicht nur irgend ein Erddämon, Aki."

Ich schnaube verächtlich. Ian lernt es einfach nicht!

"Jetzt schimpf doch nicht gleich wieder - ich bin nicht mehr der Jüngste, vergiss das nicht. Ich brauche etwas länger, um etwas Neues zu lernen." erwidert er breit grinsend.

"Alter Knacker." antworte ich darauf nur belustigt.

"Küken." kommt es mit dem gleichen Grinsen zurück.

Ob wir es wohl jemals lernen, uns wie zwei Erwachsene zu unterhalten? Ich werfe einen zweifelnden, wenn auch belustigten Blick zur Seite. Ian grinst noch immer. Nein, wohl eher nicht.
 

Als der Dämon in Sichtweite ist, mustere ich den Mann interessiert. Er hat kurze braune Haare, sein Pony hängt ihm in einem schiefen Scheitel leicht in den Augen, die grün leuchten. Auf seinen Zügen zeichnet sich ein verschmitztes Grinsen ab, als er auch uns bemerkt. Er beschleunigt seine Schritte, was die Kapuze seines Shirts, welches natürlich offen ist, damit man die Muskeln besser sehen kann - müssen hier eigentlich alle oben offen herum rennen? - zum Hüpfen bringt. Fröhlich winkt er in unsere Richtung, bleibt direkt bei Ian stehen und begrüßt diesen mit einem kräftigen Schlag auf die Schulter. Der Magier zuckt dabei nicht einmal mit der Wimper - mich hätte der Schlag einige Meter nach vorne katapultiert.
 

"Yrrian, du alter Haudegen. Was machst du denn hier?" erklingt seine Stimme.

"Meinen Schützling nach Hause bringen."

"Oh." Der junge Mann mit dem braunen Haar mustert mich breit grinsend und wuschelt mir dann einmal durch die Haare. Genervt knurre ich ihn an und versuche zu retten, was von meiner Frisur noch zu retten ist. Sind denn hier alle gleich?!

"Die ist ja putzig - wenn ich ihre dämonische Aura nicht spüren würde, hätte ich glatt behauptet, sie wäre ein Engel, so klein wie sie ist."

Ich bekomme gleich Schnappatmung! Klein? ICH?!

Doch noch bevor ich meinen Gefühlsausbruch in Worte fassen kann, legt Ian mir seine Hand auf meine Schulter. "Haru, das ist Aki. Aki, das ist Haru. Er ist..." plötzlich verändert sich Ians Gesichtsausdruck. "Verflucht, warum sind DIE hier?"

Auch Haru dreht sich in die Richtung, in die Ian schaut. "Was machen die Viecher hier so nah an der Stadt?"

"Was? Was meint ihr?" frage ich und blicke verwirrt zum Horizont.

"Schatten." kommt es mit einem grollenden Unterton von dem Braunhaarigen.

Geschockt blicke ich zu meinem Mentor auf, dessen Mimik mittlerweile alles andere als gut gelaunt ist. Von der eben noch ausgelassen Stimmung ist nichts mehr übrig.

"Das scheint wohl das Empfangskomitee für euch zu sein." meint Haru noch, ehe ihn ein Wirbel aus Staubkörnern und kleinen Blättern umgibt und im nächsten Moment ein verdammt großer brauner Wolf vor mir steht.

Mir bleibt der Mund offen stehen. Sieht das bei mir auch so cool aus?

"Du solltest dich vielleicht auch verwandeln. In deiner menschlichen Gestalt bist du ein leichtes Opfer für die Schatten." reißt Ian mich aus meinen Gedanken.

Ich blinzle ein paar Mal, bevor die Information zur Gänze in meinem Hirn ankommt. Wir werden kämpfen müssen. Aber wie bekämpft man Schatten? Ich bin ja zuvor noch nie welchen begegnet.

"Folge einfach deinen Instinkten."

Ja, klar. Hat er vielleicht noch so einen oberschlauen Tipp für mich? Ich werfe Ian noch einen vorwurfsvollen Blick zu, bevor ich dann ebenfalls meine dämonische Gestalt annehme. Sehr zu meinem Leidwesen muss ich feststellen, dass ich gut zwei Köpfe kleiner bin als Haru.

"Na so eine Überraschung, du bist ja auch ein Wolf, kleines Mädchen." dringt Harus belustigte Stimme in meinen Geist. Danke auch! Ich knurre ihn nur kurz an und blicke dann auf den Hochpfad, der aus dem Gebirge direkt auf unseren Weg führt.
 

Wie eine Lawine der Finsternis poltern die Kreaturen den Pfad hinab. Mir läuft es kalt den Rücken herunter. Diese... Wesen wirken irgendwie hässlich verzerrt, ihre eigentlich seelenlos wirkenden Augen haben einen grausamen, düsteren Glanz. Ihre Hände und Füße sind zu scharfen Klauen mutiert und einige von ihnen besitzen sogar einen Schweif, der in einem skorpionartigen Stachel endet. Ihre Körper sind schlichtweg so dunkel, wie die Finsternis selbst, und scheinen alles Licht und Leben zu absorbieren.

"Und was genau tun wir jetzt?" wende ich mich an meine beiden Begleiter. Ich gebe zu, diese Situation überfordert mich gerade etwas.

"Wir müssen sie zerstören, bevor sie die Stadt erreichen." kommt es von Haru.

Zerstören? Aber wie? Das hier ist immerhin meine allererste Begegnung mit diesen Dingern.

"Hör auf zu denken, Aki. Du hast Klauen und Reißzähne. Was glaubst du wohl, wozu?" tadelt Ian mich. "Und lass dich nicht von ihnen erwischen. Wenn sie dich beißen oder kratzen, infizieren sie deinen Körper mit Finsternis und du wirst eine von ihnen."

Die Information hätte er gern auch für sich behalten können!

"Du musst wissen, womit du es zu tun hast. Ich will nicht, dass du leichtsinnig wirst."

"Machst du dir etwa Sorgen um mich?"

"Träum weiter, Prinzessin." Er wirft mir noch einen belustigten Blick zu.

Schon klar. Von wegen. Ich habe das kurze Aufblitzen von Sorge sehr wohl gesehen.
 

Die Flut der finsteren Kreaturen ist nur noch knapp 20 Meter von uns entfernt, als eine Eislanze eine von ihnen durchbohrt. Sofort ertönt ein gellender Schrei und das Wesen bricht in sich zusammen, während eine dunkle Wolke gen Himmel steigt.

"Es ist völlig egal, wo du sie verletzt, jede Wunde ist tödlich!"

"Ok." Damit stürme ich voran, direkt hinter Haru hinter her, der sich bereits mitten ins Getümmel wirft.

Geschickt weicht er den Klauen und Zähnen der Schatten aus, schlägt seine eigenen Fänge in die Kreaturen und hat bereits eine Handvoll von ihnen erledigt, bevor ich bei ihm bin.

"Haru, hinter dir!" warne ich ihn gerade noch rechtzeitig.

Er duckt sich, springt ein Stück zur Seite und weicht somit einem Stachel aus, der sich nun in den steinigen Untergrund bohrt. Direkt danach verbeiße ich mich in der Schulter der Kreatur, die ebenso gellend aufschreit, wie die anderen zuvor. Aus der Wunde strömt eine stinkende Masse aus, und sofort lasse ich von dem Vieh ab, welches direkt danach in sich zusammen fällt.

"Du solltest nicht zu viel davon einatmen. Es betäubt die Sinne und lähmt die Muskulatur." warnt mich Haru.

Keuchend und hustend versuche ich, das Zeug irgendwie wieder aus meinen Lungen zu bekommen. Ein ekelerregender Geschmack legt sich auf meine Zunge und meine Augen beginnen, wie Feuer zu brennen, während ein leises Fiepen in meinen empfindlichen Ohren ertönt.

"Aki!"

Kühler Wind rauscht an mir vorbei und ein Zischen und Splittern erklingt in meiner unmittelbaren Nähe. Hat Ian mich gerade gerettet? Wäre nicht das erste Mal...

"Links von dir!"

Auf Harus Hinweis hin, beiße ich nach links und bekomme auch irgendetwas zu fassen, das sich nicht lebendig anfühlt - ich scheine den Schatten erwischt zu haben. Gleich nachdem ich ihn gebissen habe, ziehe ich mich wieder ein Stück zurück. Ich muss ja nicht noch mehr von dem Zeug einatmen. Mit zwei Sätzen bin ich vorerst aus der Gefahrenzone, schüttle mein Haupt kräftig, in der Hoffnung, die Benommenheit würde nachlassen. Doch leider ist dies von minderem Erfolg gekrönt.

Blinzelnd versuche ich mir ein Bild zu machen. Gar nicht so einfach. Und dann kommt mir eine Idee. Ich muss nicht mit den Augen sehen - ich kann ihre finsteren Auren auch mit meinem Geist sehen - und den können sie nicht vergiften!

Also schließe ich meine schmerzenden Augen und konzentriere mich. Ich nehme Ians mächtige Aura ein Stück weiter hinter mir wahr, sowie seine Magie, die er auf die Schatten schleudert - es sind blaue Funken, gepaart mit kleinen grünen. Ich kenne diese Konstellation bereits, auch wenn sie mich noch immer verwundert.

Etwas abseits auf meiner rechten Seite befindet sich ein Knäuel an goldbraunen Funken, welches wild um sich schlägt - Haru. Und um ihn herum und vor mir rabenschwarze Funken, die jeglichen Glanz verloren haben. Einige verteilen sich, wie ein explodierender Feuerwerkskörper und lösen sich in Nichts auf. Das müssen die Schatten sein, die die Jungs erledigen.

Dann teste ich doch einmal, ob meine Rechnung aufgeht. Ich weiche einer dunklen Wolke aus, wende direkt hinter ihr und beiße zu. Im nächsten Moment verteilt sich die Finsternis in alle Himmelsrichtungen und schnell weiche ich etwas zurück. Es klappt tatsächlich.
 

Es dauert nicht lange, da haben wir alle Schatten zerstört. Der Letzte war hinter Haru aufgetaucht und in einem waghalsigen Sprung war ich über den Wolf hinweg gefegt, erwischte die Kreatur im Flug und riss sie mit meinen Zähnen und Klauen von ihm weg. Allerdings war ich dabei so unsanft auf dem Rücken gelandet, dass ich erst einmal kurz liegen bleiben musste.
 

Es dauert einen Moment, da erscheinen über mir zwei Schatten - keine Monster, sondern Ian und Haru in ihrer menschlichen Gestalt - und halten mir je eine Hand hin, um mir aufzuhelfen. Ein beleidigtes Schnauben meinerseits -schließlich wäre ich auch allein wieder hoch gekommen -, dann nehme auch ich meine menschliche Gestalt wieder an, kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und ergreife beide mir dargebotenen Hände.

"Sie stellt sich gar nicht mal so dämlich an. Du hast sie besser ausgebildet als erwartet, Yrrian."

"Oh, glaub mir, Haru, sie auszubilden, ist ein Leichtes. Sie zu ertragen, eine ganz andere Sache..."

"Ach was, so schlimm kann sie gar nicht sein, oder?" Der junge Mann umarmt mich freundschaftlich und wuschelt mir erneut durch meine Haare.

Diese unerwartete Nähe treibt mir die Schamesröte ins Gesicht. Es ist bisher verdammt selten vorgekommen, dass ich von einem derart gut aussehenden Mann umarmt wurde. Ich bekomme noch weiche Knie, wenn er mich nicht gleich wieder los lässt.

Ian räuspert sich belustigt. Amüsiert er sich etwa über meine Gedanken? "Ich wurde vorhin leider unterbrochen. Aki, darf ich dir Haru vorstellen. Dein Bruder."

"Mein... WAS?!"



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