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Wilder Mohn

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Herzlich willkommen zu meiner neuen Inu Yasha FF. Wie ihr bemerken werdet, wechselt der Erzählstil hin- und wieder zwischen Ich-Stil und auktorialem Stil. Das ist ein Experiment, auf das ich mich ganz bewusst eingelassen habe, weil ich es einfach in diesem Fall als passend empfinde – gerade bei Bankotsus Emotionen in Bezug auf seinen Tod.
Wenn ich in den Ich Stil wechsele, dann schreibe ich ausschließlich aus Bankotsus Sicht, eine Ich-Pov von anderen Charakteren wird es nicht geben. Später wird jedenfalls der Schwerpunkt definitiv auf dem auktorialen Stil liegen. Komplett anzeigen

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Bankotsu

Ich starb. Zweimal. Das erste Mal kostete mich der Hochmut das Leben. Und das meiner Brüder. Ich habe sie sterben sehen. Jeden von ihnen. Als ihre leblosen Körper in den Schnee bluteten, da stand ich noch. Und ich weinte mit erhobenem Haupt. Ich habe nie geweint in meinem Leben.

Mit meinem letzten Atemzug hab ich sie verflucht, die Daimyo, die verantwortlich für diesen Hinterhalt und mich selbst, der ich so hochmütig gewesen war, diese Falle nicht als solche zu erkennen.

Ich hörte ihren Spott, ich spürte ihre Häme. Die Fürsten, die sich seit jeher gegenseitig bekriegten hatten dank der Shichinintai nun das Kriegsbeil begraben.

Was für eine Ironie. Was für eine Tragödie.

Man hätte uns Monster nennen können. Doch den Krieg, den hatten wir nicht erfunden, wir hatten ihn uns nur zunutze gemacht.

Als ich sterben sollte, da brach der Himmel auf. Er war strahlend blau. Bei allem, was mir heilig ist, ich habe nie in meinem Leben oder danach einen schöneren Himmel gesehen.

Die Sonne blendete, doch ich schloss meine Augen nicht, sie tränten. Ich atmete ein letztes Mal das Leben und spürte den Puls, der mich trieb.

Ich empfand Reue. Aber nicht wegen den Dingen die ich getan hatte. Sondern wegen denen, die ich nicht getan hatte.
 

Als der Hanyō Naraku mich aus dem Totenreich zurückholte, da war das erste, an das ich mich erinnerte, das Sirren des herabsausenden O-Katana.

Es ging mir gehörig gegen den Strich, mich dem Willen dieser widerwärtigen Halbkreatur zu beugen. Aber ich hatte keine Wahl.

Wobei, das ist nicht ganz richtig. Ich hätte eine Wahl gehabt. Die Wahl zwischen sterben und leben.

Die Samurai mögen große Reden schwingen von Stolz und Ehre und lieber aufrecht stehend sterben als auf Knien leben, während sie sich heißen Sake servieren lassen und das Gesicht zwischen den Brüsten einer drallen Frau vergraben. Ich habe schon so viele von ihnen getötet und ich sage, keiner von ihnen hielt diesen Schwur im Angesicht des nackten Todes aufrecht. Das Leben weiß man erst zu lieben, wenn man es verloren hat.

Es war zugegebenermaßen einfältig von mir, zu glauben, gegen etwas wie diese Kreatur, die uns zurück ins Leben geholt hatte, etwas ausrichten zu können.

Ich weiß noch, wie mein Weg den der untoten Miko kreuzte, wir uns den Schwur gaben, so lange wie möglich am Leben zu bleiben.
 

Dann starb ich ein zweites Mal. Und alles, was mir dabei blieb, war Jakotsus Jadehaarspange, die ich ihm irgendwann einmal zum Geschenk gemacht hatte.

War das wirklich mein Leben? Es fühlte sich fremd an und alles in mir so kalt. Diesmal gab es keine Sonne, niemanden, den ich verfluchen konnte. Diesmal gab es nur Einsamkeit und das große, endlose Nichts nach dem Sterben.
 

Und dann. Ist irgendetwas passiert. Ich weiß nicht, was es war. Da war Wärme die ich spürte. Und es war die Wärme meines eigenen lebenden Körpers. Ich blickte zum Himmel. Und sah Sterne. Spürte Wind meinen nackten Körper streicheln und taufeuchtes Gras unter den Füßen. Als ich wieder ins Leben zurückkehrte, wurde ich also von dieser lauen Nacht empfangen. War sie lau? Oder doch kalt? Und wusste nicht, wer ich war und wo ich war und was ich getan hatte, dass man mir diese unendliche Gnade gewährte.

Ich spürte ein Lächeln mein Gesicht verzerren und gleichsam die bittersten Tränen, die ich jemals geweint hatte. Ich lebte. Ich. Lebte.
 

Als ich die ersten Schritte wagte, war es Laufen lernen. Es war Freiheit und gleichsam fühlte ich mich so verloren. Nackt und nass, alleine mit meinen verschwommenen Erinnerungen irgendwo in der Wildnis.

Mit Fingerspitzen tastete ich nach der Narbe auf meiner Stirn, die mit Tattoofarbe einst zu einem Stern gemalt worden war. Sie war noch da.

Meine Beine fühlten sich schwach an. Doch ich ging. Irgendwohin. Irgendwo musste ich ja hin. Musste ich das? Ich hörte bald die Vögel des Morgens. Ich fror. War es Herbst? Oder Frühling? Oder war gerade der Winter zu Ende, in dem ich gestorben war? Wann hatte ich mich das letzte Mal so verloren gefühlt? Wann hatte ich das letzte Mal überhaupt etwas gefühlt?
 

Irgendwann bemerkte ich Feuerschein in der Ferne. Ging darauf zu. Kleine Ziele. Meine Füße waren taub. Mein ganzer Körper fror. Ich erkannte bald ein Heerlager. Mit verschwimmendem Blick. Verschwendete keinen Gedanken, was geschah, wenn man mich erkannte.
 

Man bemerkte mich irgendwann. Eine schroffe Stimme erreichte mich. Aber ich blieb nicht stehen. Sie erklang erneut. Ich sah auf. Zwei Soldaten waren an mich herangetreten. Sie sprachen irgendetwas miteinander. Gefährlich sah ich in diesem Moment offensichtlich nicht gerade aus.

„Was ist hier los?“, durchdrang eine Stimme ihre Worte. Eine vertraute Stimme. Eine Stimme, die ich irgendwann vor meinem ersten Tod gekannt hatte. Eine Stimme, die ich gekannt hatte, noch bevor ich Bankotsu wurde.

„Herr… dieser Junge tauchte hier plötzlich auf … mit nichts am Leib und blaugefroren, wir wissen nicht…“

„Geht zur Seite. He Junge!“, wurde ich forsch angesprochen, gefolgt von einem groben Griff um die Oberarme. Ich hob den Blick. Dunkle Augen musterten mich, ein markantes Gesicht, das mich an jemanden erinnerte. Der Mann starrte mich an. Starrte mir in die Augen. Erbleichte dann aus irgendeinem Grund.

„Takeshi?“, presste er heiser hervor, „Takeshi? Bist du das? Wie ist das…“

Takeshi? Wie konnte er meinen Namen kennen? Meinen bürgerlichen Namen, den ich zugunsten eines Lebens in gesetzlicher Grauzone abgelegt hatte.

Ich konnte nicht antworten. Als hätte ich vergessen, wie man spricht. Der Mann strich mir ungläubig über die Wange und zwang mich dann, den Kopf zu neigen, damit er mir in die Augen sehen konnte. Kalter Stahl von Rüstung streifte meine Haut.

„Segawa-sama?“, meldete sich einer der Soldaten unsicher zu Wort. Der Mann wandte ruckartig den Kopf, ohne mich los zu lassen und befahl: „Schickt sofort nach dem Lazarettarzt. Er ist vielleicht unterkühlt und soll auf Verletzungen untersucht werden.“

Er wandte sich wieder zu mir und öffnete den Mund. Doch ich konnte seine Worte nicht mehr verstehen, denn Schwärze rahmte Blick und Gehör ein.

 

~*~
 

Schon zum gefühlt hundertsten Mal rieb Segawa Hideo sich die Nasenwurzel. Eine Geste, deren Ursprung im Wechsel zwischen Stress und Unglauben lag. Als er durch seine Soldaten auf den jungen Mann aufmerksam wurde, hatte er zunächst damit gerechnet, es handele sich um eine neue Strategie des verfeindeten Daimyo, sie zu infiltrieren, auszuspionieren, was auch immer sich Hashimoto Hanzo nun schon wieder ausgedacht hatte.

Diesen Gedanken hatte er jedoch recht bald verworfen als er ihn gesehen hatte. Vollkommen nackt, blass, blaugefroren und eiskalt. Das lange Haar wirr den Körper umtanzend wie zerfetzte Loden.

In der Morgendämmerung war es schwer gewesen, etwas Genaueres zu erkennen, aber als der erste Sonnenstrahl den Himmel durchwirkt hatte, hatte er das Blau gesehen.

Er hatte in die strahlend blauen Augen seiner Mutter gesehen, aber seine Mutter war tot. Seine Mutter und der einzige aus seiner Familie, der ihre Augen gehabt hatte. Das wusste er so genau, weil er dabei gewesen war, als man seinen kleinen Bruder Takeshi, zu dem Zeitpunkt längst bekannt als Bankotsu, Anführer der Shichinintai, den gefürchtetsten Söldnern des Landes im Alter von 18 Jahren hingerichtet hatte. Damals noch als kleiner unbedeutender Soldat unter dem Daimyo Hattori. Mittlerweile aufgestiegen zum ersten General seiner Garnison.

Er war dabei gewesen. Er hatte gesehen, wie man erst den anderen sechs und zuletzt Takeshi den Kopf mit einem O-Katana abgeschlagen hatte. Er erinnerte sich so genau daran. An das feine nasse Geräusch. An das Geräusch als der Körper leblos in den Schnee fiel und ausblutete.

Takeshi hatte ihn nicht erkannt während dieser ganzen Zeit. Seit jenem Tag waren Schuldgefühle Hideos ständige Begleiter. Schuldgefühle, Reue. Auch wenn er wusste, dass er niemals etwas hätte tun können ohne sein eigenes Leben zu verwirken.
 

„Segawa-sama?“

Die Stimme des Lazarettarztes riss ihn aus seinen Gedanken.

„Verzeihung“, fügte der ältliche Mann hinzu als er sein Zusammenzucken bemerkte. Hideo winkte ab.

„Ich bin fertig mit meiner Untersuchung. Wie es aussieht hat er keine inneren Verletzungen – er ist lediglich etwas unterkühlt, weder unterernährt, noch fiebrig, offensichtlich nur sehr erschöpft.“

„Und der Hals?“

„Herr?“

„Habt Ihr irgendwelche Wunden oder Narben … irgendwelche Verletzungen an seinem Hals bemerkt?“

Der Arzt blinzelte verwirrt. „Nein, Herr. Nicht einmal ein blauer Fleck.“

„Ich verstehe das einfach nicht…“, murmelte Hideo kopfschüttelnd und trat näher an das Feldbett heran auf den man seinen kleinen Bruder – so er es denn war und kein unglaublich überzeugender Doppelgänger – gebettet hatte. Sein Blick glitt über dessen Züge, suchte einen Unterschied, etwas, das bewies, dass er es NICHT war. Aber er fand keinen.

„Herr?“

„Ihr könnt Euch zurückziehen.“

Der Arzt nickte und verneigte sich, ehe er still das Zelt verließ. Hideo ließ sich auf einem Stuhl neben dem Krankenlager nieder, während ein Diener Wein brachte.

Takeshi wirkte keinen Tag gealtert. Keinen einzigen. Er sah aus wie an dem Tag als der Himmel aufbrach und ihn und seine Brüder verschlang. 17, höchstens 18 Jahre alt.

„Das kann einfach nicht sein“, sagte er abermals zu sich selbst. Ob da Götter ihre Hände im Spiel hatten? Dämonen? Es musste einfach irgendeine Erklärung geben.
 

Plötzlich war es ihm gleichgültig, was Takeshi getan hatte. Er war sein kleiner Bruder. Und vielleicht hatte nicht Takeshi ein zweites Leben bekommen. Vielleicht hatten die Götter Hideos Gebete um die Gnade auf Wiedergutmachung erhört…

 

~*~
 

Man gab mir Kleidung und einen Diener an die Seite, der nicht sehr viel älter war als ich selbst. Offensichtlich hatte man die Hoffnung, dass er mich zum Sprechen bringen konnte.

Während er mir stundenlang das Haar kämmte, bis es wieder in sanften Wellen schwer über meinen Rücken fiel, redete er. Er redete. Und redete. Und redete. Aber zum Reden brachte er mich dabei nicht. Ich konnte nicht. Ich hatte meine Sprache vergessen. Hatte Furcht, ein einzelnes Wort vermochte es, alles wieder zu zerstören. Oder was auch immer es war. Aber ich konnte nicht.

Aber ich erfuhr einiges. Zum Beispiel, dass man nun das Jahr 1494 schrieb. Etwas mehr als zehn Jahre nach meiner Hinrichtung. Ich weiß nicht wie lange nach meinem zweiten Tod. Zehn Jahre, die in meinem Leben nicht existierten. Ich erfuhr, dass das Bündnis der zehn Heere, geschlossen um die Shichinintai zu vernichten im ganzen Land als legendär galt. Erfuhr, dass drei der zehn Daimyo tot waren. Blieben noch sieben. Wie treffend. Ich wusste, ich sollte sie suchen, meinen und den Tod meiner Brüder rächen. Aber ich war müde. So unendlich müde.

Mein Bruder, offensichtlich nun oberster General unter einem der Daimyo, die die Verantwortung trugen, hatte Familie. Eine Frau, zwei Söhne, eine Tochter. So hatte er schlussendlich doch bekommen, was er wollte.
 

Ich weiß nicht, wie viele Tage ich in dem Heerlager war, doch irgendwann kam Hideo zu mir.

„Wir brechen auf. Ich habe mir Gedanken gemacht, was mit dir geschehen soll und beschlossen, dass du vorerst bei meiner Familie leben wirst. Alles Weitere wird sich zeigen.“

Er suchte meinen Blick, erwartete irgendeine Reaktion. Ich nickte, zum Zeichen, dass ich ihn verstanden hatte. Im Grunde war es mir egal. Irgendwo musste ich ja hin. Irgendwo musste ich bleiben, bis … ja, bis was?

Wir brachen am nächsten Morgen auf, man gab mir ein Pferd. Ich erinnerte mich daran, wie sehr ich den Geruch von Stall und Pferden als Knabe immer gemocht hatte. Und wie mir unser Rittmeister den Umgang mit den Tieren beigebracht hatte. Wie fern das nun alles war. Wie kalt.

Der weiche Gang des Tieres wirkte einschläfernd.

„Ich glaub, das Sonnenlicht tut Euch gut, Herr!“

Mein Diener war an meine Seite geeilt. Und machte sich wie auch sonst nichts daraus, dass ich ihm nicht antwortete. Ich hatte mir nichtmal seinen Namen gemerkt. Tatsuha? Takao? So etwas in der Richtung mochte es wohl gewesen sein. Es war Frühling. Als ich starb, da war es Winter. Das zweite Mal … ich weiß es nicht. Kalt war es noch. Wie hatte ich vor wenigen Tagen nur stundenlang nackt durch die Gegend irren können ohne mir eine Lungenentzündung zuzuziehen?
 

Wir waren eine Woche unterwegs. Hideo brachte mich zu seinem Haus.

„Meine Gattin, Chiyo.“

Die kleine Frau mit den warmen Augen verneigte sich zur Begrüßung. „Es ist mir eine Freude“, sagte sie.

„Ich hoffe, Ihr werdet Euch hier zuhause fühlen können.“

„Mein Sohn Heiji, er ist zehn und… Kenji, sechs Sommer alt…“

War es ein Zufall, dass die Knaben dieselbe Zahl an Jahren trennten wie Hideo und mich? Der Jüngere sah mich sehr neugierig an, der Ältere eine Spur misstrauisch. Sein Blick war scharf. Erinnerte mich unangenehm an meinen Vater.

„Meine Tochter Minako, 14 Sommer…“

Das Mädchen hielt den Blick gesenkt, verneigte sich, ebenso wie die Mutter es getan hatte. Sie sah auf und öffnete die Lippen um etwas zu sagen, doch ein strenger Blick ihres Vaters hinderte sie daran.
 

Hideo verabschiedete sich bald und man gab mir ein äußerst komfortables Zimmer.

„Wenn Ihr etwas braucht, bitte zögert nicht, Euch an mich zu wenden… Hideo ist so glücklich, dass Ihr am Leben seid, also bin ich es auch…“

Ich nickte und sie schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. „Ihr seht ausgezehrt aus. Vielleicht legt Ihr Euch ein Weilchen hin und ich werde dem Gesinde auftragen, Euch ein Bad zurecht zu machen…“

Heißes Wasser, das klang wie die Erinnerung aus einem Traum. Und vielleicht vertrieb es ein wenig die Kälte in mir. Müdigkeit zerrte mich herab. Es war still. So herrlich still in diesem Haus und als die Schiebetüre sich hinter mir schloss, da war ich allein. Sah die Sonne draußen vor dem Fenster untergehen und fragte mich, was wohl aus meinen Brüdern geworden war. Jakotsu, Renkotsu, Suikotsu, Mukotsu, Kyokotsu, Ginkotsu. War es ihnen wie mir ergangen? Waren sie auch am Leben? Oder hatte die Gnade nur mir gegolten? Renkotsu war ein Verräter. Verschlagenheit war schon immer sein ständiger Begleiter gewesen. Oder aber war es am Ende gar nicht seine Schuld? Waren es nicht die Juwelensplitter und der Hanyō, die Zwietracht gesät hatten? Ich sehnte mich nach Worten. Renkotsus Verstand war messerscharf gewesen.

Vielleicht hätte er eine Erklärung gehabt für das alles. Und Jakotsu… seine Integrität war beispiellos. Immer gewesen. Ich sehnte mich plötzlich nach der sich überschlagenden fröhlichen Stimme, dem zauberhaften Lächeln, den Armen, die mich aus jeder Schwermut gezerrt hatten, seinem schwingenden Gang und sogar seiner Naivität, die mir zu Lebenszeiten regelmäßig den Blutdruck in die Höhe getrieben hatte und der Art mir fünf Dinge gleichzeitig zu erzählen.

Ich weiß, dass ich seine Liebe immer hatte. Er war Freund, Vertrauter und auch von Zeit zu Zeit Geliebter.

Keiner von uns hatte sich einsam gefühlt. Nie, wenn wir zusammen gewesen waren. Aber jetzt fühlte ich mich einsam. Ich fürchtete die Nacht. Ich fürchtete die Wahrheit.

 

~*~
 

„Minako O-Nee-chan schleicht immer um Takeshi-sans Zimmertüre herum!“

„Sei still, das ist doch gar nicht wahr!“, fuhr die große Schwester dem Jüngsten über den Mund und machte Anstalten den einzufangen, weil der ihr eine lange Nase zeigte, ein Blick von Chiyo jedoch genügte.

„Neugier ist keine Zier, Minako“, schalt Chiyo milde, die Augen auf den Stoff geheftet, den sie gerade bestickte. Minako streckte ihrem kleinen Bruder die Zunge raus und räusperte sich dann.

„Wir wissen doch gar nichts von ihm, Haha-ue. Ich finde ihn gruselig. Seine Augen sind wie tot, es ist beinahe als … ja als starre er durch einen hindurch.“

Es schüttelte sie ein wenig.

„Wir wissen nicht, was er erlebt hat“, erwiderte Chiyo sanft ohne von ihrer Stickarbeit aufzusehen, „Es ist gut möglich, dass der Dämon des Krieges seine Zunge gelähmt hat. Wir sollten ihm Zeit geben.“

Minako biss sich einen Moment auf die Unterlippe, nachdenklich, und tat es ihrer Mutter dann gleich, indem sie das eigene Stickzeug wieder aufnahm. Der blasse schmale Mund verzog sich unzufrieden. An die Fertigkeiten ihrer Mutter war sie nie herangekommen.

„Darf ich ihm später ein paar von Ami-sans süßen Bohnenmocchi bringen? Vielleicht krieg ich ihn ja zum Sprechen.“

Chiyos linke Augenbraue wanderte in die Höhe. Irgendwie beschlich sie das ungute Gefühl, dass ihre Tochter etwas mehr Interesse für ihren Onkel hegte, als sie sollte.

Sie wollte schon eine Zustimmung erteilen, doch dann fiel ihr etwas Besseres ein.

„Deine Idee ist wirklich wundervoll, Minako. Doch ich werde das selbst übernehmen. Masao!“, rief sie nach ihrer Dienerin, die dezent neben der Türe die Befehle ihrer Herrin erwartete und ignorierte dabei das enttäuschte Gesicht ihrer Tochter.
 

Etwa eine Stunde später begab Chiyo sich, gefolgt von den trippelnden Schritten ihrer Dienerin zu den Räumlichkeiten ihres Schwagers.

Sie ließ anklopfen und sie dann die Türe aufschieben und hinter sich wieder schließen. Da Takeshi ja nicht sprach, war eine Antwort zu erwarten sinnlos.

Er saß an der gepolsterten Fensterbank. Seine Hände ruhten schlaff in seinem Schoß, der Blick trübe aus dem Fenster gerichtet. Er sah nicht einmal auf als sie näher kam.

„Ich habe süße Bohnenmocchi für Euch. Die sind eine Spezialität unserer Köchin, Ihr solltet sie versuchen“, begrüßte sie ihn sanft und stellte das Tablett mit den Köstlichkeiten dann auf einem flachen Beistelltisch ab. Kam dann näher und ließ sich in gebührendem Abstand zu ihm nieder. Das Blau der Augen wanderte träge in ihre Richtung. Einen Moment trafen sich ihre Blicke und hätten gegensätzlicher nicht sein können. Wärme und Kälte.

„Er sagt, Ihr habt die Augen Eurer Mutter“, begann sie nach einer Weile der Stille und folgte seinem Blick hinaus. „Das hat er mir all die Jahre gesagt… Takeshi-san, er hat um Euch getrauert.“

Das Letzte war sehr leise. Und sie rechnete auch gar nicht mit einer Antwort.

„Euch geschieht hier nichts. Ihr steht unter seinem Schutz. Der Daimyo hält große Stücke auf sein Wort.“

Und dann … erklang seine Stimme. Erstaunlich klar und ruhig in Anbetracht der Worte, die sie sprach.

„Er hat getrauert.“ Bankotsu sah Chiyo in die Augen. Sah Erstaunen darin, Erleichterung, aber auch ein bisschen Furcht.

„So sehr getrauert, dass er zum General aufstieg im Heer eines der Daimyo, die seinen Bruder in eine Todesfalle gelockt haben. So sehr hat er getrauert.“

„Das ist eine Sache zwischen ihm und Euch. Aber ich bin sicher, wenn Ihr in Euch geht, dann werdet Ihr ihn verstehen können… gebt ihm die Möglichkeit auf Wiedergutmachung. Und um Eurer selbst Willen… sucht nach der Wahrheit. Ihr seid nicht ohne Grund wieder am Leben.“

Sein Kopf ruckte herum. Die Blicke trafen sich erneut, doch war seiner längst nicht mehr so kalt. Seine Lippen waren leicht geöffnet und er schüttelte sacht den Kopf. Wie vor Unglauben.

„Ich weiß nicht wie“, brachte er hervor, „ich weiß einfach nicht … wie…“

Sie war näher an ihn herangerutscht. Schenkte ihm ein wärmendes Lächeln. Und gab ihm plötzlich den Hauch eines Gefühls von Zuhause sein.

 

~*~
 

„Es ist erfreulich, dass du wieder sprichst“, brach Hideo nach einer Weile das Schweigen. Nachdem er zurückgekehrt war, hatte er Takeshi um einen Ausritt gebeten. Es gab vieles über das sie wohl sprechen mussten, zu viel, über das zu lange geschwiegen worden war.

Und das Wetter war herrlich.

Es war ein schöner Spätsommermorgen und die Pferde trotteten munter vor sich hin.

„Mh“, kam es von Takeshi, der sonst nichts zu antworten wusste.

„Gefällt dir das Pferd?“

„Was soll diese Frage?“

„Gefällt es dir?“, wiederholte der Ältere geduldig.

„Es hat einen guten Gang. Zumindest tut einem der Arsch nicht weh, wenn man länger nicht auf einem Gaul gesessen hat.“

Hideo lachte, „Kaum zu glauben, dass du mal ein Sohn aus gutem Hause warst.“

Takeshi lächelte schwach, aber auch Hideo sah, dass es mehr angestrengt wirkte als echt. Und das tat ihm leid.

„Nein, es … es ist ein wundervolles Tier. Hast du es aus der kaiserlichen Zucht?“

Hideos Blick ruhte einen Moment auf ihm, dann nickte er.

„Ja. Und ich wollte es dir schenken.“

Sie waren an einem Hügel angelangt, von dem aus man wundervoll das grüne Tal überblicken konnte. Takeshi zügelte das Pferd und sah eine Weile in die Ferne.

„Was soll das alles, Hideo?“, wollte er dann wissen ohne ihn anzusehen.

„Du nimmst mich bei dir auf, du schenkst mir ein Pferd von dessen Wert eine bürgerliche Familie ein ganzes Jahr leben könnte. Aber mein Leben, das wolltest du mir nicht retten.“

Es klang nicht einmal vorwurfsvoll. Es klang müde und matt.

„Ist das dein Versuch, dein eigenes Gewissen zu beruhigen, oder liegt dir wirklich etwas an mir?“

Hideo folgte seinem Blick in die Ferne.

„Beides“, gestand er dann.

„Als wir Knaben waren und als Tanaka sich für dich entschied als seinen Schüler… du weißt, wie sehr mir mein lächerlicher Stolz da im Wege stand.“

„Hideo, wir haben uns nie gemocht, das lag nicht nur an Tanaka“, erwiderte Takeshi daraufhin spöttisch und warf einen schiefen Blick in Richtung seines Bruders.

Der jedoch schüttelte den Kopf. „Ich war der Ältere, ich hätte es besser wissen müssen. Komm, lass uns weiter, es gibt da einen Ort, den ich dir zeigen möchte.“

Den nächsten Teil der Strecke verbrachten sie schweigend. Er führte einen steinigen, steilen Pfad hinauf und sie brauchten alle Konzentration. Als der Weg sich wieder in die Gerade und Breite zog, schloss Takeshi zu Hideo auf und der sagte dann:

„Was ich vorhin noch sagen wollte… Er hat mich fortgeschickt… Vater meine ich … erinnerst du dich an den Tag an dem ich dir den Verdacht äußerte, er habe mit Dämonen paktiert?“

Takeshi nickte. Wie hätte er das je vergessen können? Es war das letzte Mal, dass er mit seinem Bruder gesprochen hatte.

„Vater schickte mich zu Hattoris Heer. Sagte, ich sei nun alt genug, aber in Wirklichkeit… glaube ich, es war der letzte Moment klaren Gedankens, den er fassen konnte. Er wollte mich retten. Er ließ keinen Widerspruch zu und ich … ich bin gegangen. Und habe die Sünde des Verrats mit mir genommen. Als ich zurückkehrte, war es zu spät. Ich habe nichtmal mehr ihre Leichen gesehen, nur die Männer, die dafür zuständig waren, sie fortzuräumen. Man sagte mir, sie hätten dich fliehen sehen… sie hielten dich für den Mörder.“

„Das weiß ich, Hideo.“

„Ich schwieg.“

„Auch das weiß ich.“

„Kannst du mir verzeihen?“

Takeshi schwieg. Vergebung.

 

~*~
 

Er bat mich um Vergebung? Konnte ich ihm die geben? Konnte ich mir selbst vergeben?

 

~*~
 

„Du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe, Hideo. Das, was nach ihrem Tod kam. Die leeren vor Insektenlarven wimmelnden Augenhöhlen unserer Mutter. Sie starrte mich an, Nacht um Nacht und sie sagte kein Wort, doch sie war voller Anklage. Als ich das Haus betrat, rutschte ich beinahe im Blut unserer Schwestern aus und ich spüre es noch immer an meinem Körper. Ich habe meinen Vater getötet, weil du nicht da warst, um es zu tun. Würdest du es vergeben? Könntest du?“

Es hatte nicht vorwurfsvoll geklungen. Und einen Moment als er sich seinen kleinen Bruder so betrachtete, fragte er sich, wer von ihnen beiden der Ältere war und wer der Jüngere.

„Ich weiß es nicht“, gestand er dann schlicht. Und wusste, er hätte da sein müssen. Er hätte Takeshi beschützen müssen. Dann wäre vielleicht kein Mörder, kein Söldner, kein herzloses, von Alpträumen getriebenes Monster aus ihm geworden. Dann wäre er nicht vielleicht viel zu früh gestorben und sein Leben hinge nicht an einer Macht, die sich keiner erklären konnte.
 

Sie ritten eine Weile schweigend nebeneinander her. Aber es war kein beklemmtes Schweigen, kein anklagendes. Es war einfach Schweigen.

„Dort“, meinte Hideo irgendwann und ließ das Pferd die letzten paar Schritte gehen, bis sie nah einer Schlucht zum Stillstand kamen. Takeshi zügelte sein eigenes Tier kurz darauf. Es war windig hier oben. Einzelne feine Strähnen, die sich aus seinem Zopf gelöst hatten peitschten ihm wirr ins Gesicht. Mit einer Hand wischte er sich den Pony aus der Stirn und folgte Hideos Blick. Und schwieg. Sie waren weit in den Bergen mittlerweile und hatten auf einer Anhöhe Rast gemacht, von der aus man das ganze Tal überblicken konnte. Die Sonne lag golden auf den Wipfeln der Bäume, deren Spitzen noch hauchfeine Frostkristalle trugen. Ein fast magisches Glitzern ging von ihnen aus. Es wirkte friedlich. Nur der gelegentliche Schrei eines Falken durchdrang wiederhallend die Weite oder das leise Schnauben von einem der Pferde.

Und Takeshi verstand auch ohne Erklärung, warum Hideo ihm diesen Ort hatte zeigen wollen. Frieden. Ruhe. Dinge, die man in einer Welt aus Krieg und Tod gerne mal vergaß. Wann hatte er zum letzten Mal so empfunden? Plötzlich dachte er an Minakos rosige zu einem Spalt geöffnete Lippen, ihren wachen, immer leicht spöttischen Blick und eine verloren geglaubte Sehnsucht durchpulste ihn für einen kurzen Moment.
 

„Ich habe mit Daimyo Hattori gesprochen“, durchbrach Hideos Stimme irgendwann die Stille. Und als Takeshi nichts darauf erwiderte: „Ich habe sehr lange mit ihm gesprochen. Er bietet dir Anonymität und eine hochrangige Stellung in seinem Heer, wenn du ihm dafür die Treue schwörst.“

Ein trockenes Lachen erhielt er daraufhin zur Antwort. „Ist das dein Ernst, Hideo?!“

„Schon gut, es war nur ein Vorschlag. Ich dachte mir schon, dass du nicht begeistert sein wirst. Aber du solltest längerfristig denken. Was willst du jetzt tun? Willst du weitermachen, wie vor deiner Hinrichtung? Weiterhin als Gesetzloser leben?“

„Das habe ich nie gesagt“, erwiderte Takeshi gereizt, „Ich halte es nur für mehr als geschmacklos, mir anzubieten, einem derjenigen zu Diensten zu sein, der diese hinterhältige, feige Falle mit zu verantworten hat!“

„Es ist eine Möglichkeit“, erwiderte Hideo, nicht minder gereizt, „außerdem bist du gerade recht unreflektiert, meinst du nicht? Die Falle mag feige gewesen sein, aber war das Handeln der Daimyo wirklich so wenig nachvollziehbar?“

Takeshi zog sein Pferd an den Zügeln herum und trieb es an.

„Fang grad DU mir nicht mit Moral an, Hideo!“, fauchte er – Hideo trieb sein Pferd soweit an, dass er ihn erreichte und versperrte ihm den Weg. Er wirkte wütend und einen Moment fragte Takeshi sich, ob er nicht überreagiert hatte.

Dann jedoch überraschenderweise glätteten sich Hideos Züge. „Wir müssen nicht weiter darüber sprechen. Denk einfach darüber nach. Hattori fürchtet dich nach wie vor, ich muss dir nicht sagen, wie du das für deine Ziele verwenden kannst.“

Dafür erntete er einen überraschten Blick, Worte fielen jedoch keine mehr darüber. Und Bankotsu dachte nach.
 

„Was denkst du?“, wollte Hideo nach einer Weile des Schweigens versöhnlich wissen. Sie waren inzwischen nicht mehr allzu weit von Zuhause entfernt. Takeshi antwortete nicht sofort. Dann wandte er sich zu seinem Bruder um mit einem herausfordernden Lächeln.

„Ich denke, dass mein Pferd zuhause sein wird, ehe deins erst losgelaufen ist!“

Damit gab er seinem Ross die Zügel, welches schnaubte und schließlich los galoppierte, während der Ältere ihm verblüfft hinterher sah. Früher, ja, da hatten sie sich in allem einen Wettstreit geliefert. Einen Moment lang sah er ihm hinterher und rief dann belustigt: „Das glaubst aber auch nur du!“

 

~*~
 

Als wir die Pferde den Stallburschen übergaben, bemerkte ich, wie sich gewichtig wirkender Besuch ankündigte.

„Entschuldige mich“, meinte Hideo etwas abwesend und Schritt näher zu den beiden Männern hin um einige Worte mit ihnen zu wechseln.

Ich sah hin und fing den Blick des Einen auf. Ein Würdenträger, ohne Zweifel, und er schien zu den Menschen zu gehören, die, um ihre Ziele zu erreichen gut und gerne auch mal einen Söldner beauftragten. Irgendetwas kam mir bekannt vor an ihm. Seine Züge? Das Wappen?

Ich zwang meinen Blick fort und begab mich zurück zum Wohnhaus – wo ich, als ich um die Ecke bog beinahe die kleine Minako über den Haufen gerannt hätte.

Sie sah mich an, wie ein verschrecktes Huhn, doch der Schrecken wandelte sich schnell in Empörung. Allerdings schien ich doch recht bald uninteressant zu werden, denn ihr Blick glitt flüchtig, jedoch länger als es noch zufällig gewesen wäre zu den Besuchern.

„He, wer ist das?“, wollte ich wissen.

„Schh“, meinte sie nur und versuchte, angestrengt zu lauschen, was dort gesprochen wurde, gab es dann jedoch auf.

Sie sah mich an, der leise Spott in ihren Augen irritierte mich einen Augenblick.

„Offensichtlich, mein lieber Oji-san, will man um meine Hand anhalten.“ Ein gewisser Stolz schwang mit, aber auch ein Hauch von Missbilligung.

„Wer ist denn der Ärmste?“, erwiderte ich scheinheilig, was mir einen unwiderstehlich bösen Blick einbrachte.

„Du hast gut spotten“, grummelte sie und gab mir einen recht undamenhaften Klaps gegen den Oberarm.

„Er ist der Sohn des Cousins des Damyo Hattori. Offensichtlich hat er beim letzten Frühlingsfest ein Auge auf mich geworfen. Komm, wir gehen mal nachschauen, ob Ami ihre leckeren Bohnenküchlein gemacht hat“, gab sie es dann auf und ich meinte, mir ein wenig Verzagtheit aus ihren Worten heraus einzubilden.

„Du scheinst nicht sonderlich fröhlich über diesen Umstand zu sein.“

„Ich weiß jedenfalls, dass ich es sollte“, erwiderte sie schnalzend. „Ich meine, er ist reich, er sieht gut aus und ist einigermaßen gebildet… hätte sicherlich schlimmer kommen können.“

Ich schwieg, weil ich irgendwie ahnte, was in ihr vorgehen mochte. Als Mädchen hatte sie ohnehin nicht wirklich die Wahl. Ich schätzte meinen Bruder zwar nicht so ein, dass er sie einem Mann gäbe, mit dem sie absolut nicht einverstanden war, aber wie ich meine Nichte kennengelernt hatte musste der, mit dem sie einverstanden wäre, erst noch von den Göttern gebaut werden.

„Was ist so lustig?“, brach ihre ärgerliche Stimme in meine Gedanken. Ich sah sie an und erblickte den unwiderstehlichsten Schmollmund aller Zeiten.

„Ich glaube, meine liebe Nichte, du fürchtest nur die Möglichkeit, dass es jemanden gibt, der dein freches Mundwerk zähmt.“

Sie schnappte empört nach Luft, musste dann jedoch lachen. Und dieses Lachen. Es war angenehm.
 

Als ich später auf meinem Futon lag und der Schlaf nicht kommen wollte, dachte ich diesmal nicht nur an meine Brüder und an das, was wir verloren hatten, sondern daran, was für eine Schande es wäre, ein Mädchen wie Minako einem Mann zu geben, der sie nicht zu schätzen wusste. Sie mochte ein freches Mundwerk haben, aber sie hatte etwas, das vielen Frauen unserer Zeit verwehrt war. Einen wachen Geist, ein Lachen, das sich nicht sittsam hinter weiten Kimonoärmeln versteckte. Plötzlich erwachten Begehrlichkeiten in mir und ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann in meinem Leben ich das letzte Mal bei einer Frau gelegen hatte.
 

Und dann, vier Tage später kam sie zu mir. Einfach so. Ich hörte wie die Schiebetür sich bewegte und meine Hand zuckte instinktiv zu dem Dolch, den ich unter dem Kissen aufbewahrte. Doch als ich die leichten Schritte hörte, die nur von einer Frau stammen konnten, entspannte ich mich wieder.

„Ich bin es“, hörte ich Minakos Stimme und als ich mich drehte und auf den Ellenbogen stützte, sah ich ihre zarte Silhouette im Mondlicht. Ich glaube, ich muss die Verwunderung, die ich über diesen nächtlichen Besuch empfand nicht in Worte fassen.

Sie ließ sich bei mir nieder und hob dann die Decke an, um zu mir zu kommen. Die Spitzen ihres offenen Haares streiften dabei meine Haut.

„Ich will ihn nicht“, sagte sie nur. „Und ich will nicht, dass er mich will. Bitte…“, flüsterte sie und ihre zittrigen Fingerspitzen glitten über die Linie meines Schlüsselbeines.

„Sorg dafür, dass er mich nicht will…“

Es dauerte ein wenig, bis die Bedeutung ihrer Worte in meinen Geist sickerte. Ich fing ihre Hand ein.

„Weißt du eigentlich, was du da verlangst, du dummes Mädchen?“

„Was ist, hast du vergessen, wie es geht?!“

„Fürchterlich bist du. Wenn dein Vater wüsste, was du hier veranstaltest.“

„Tja, der ist aber nicht hier, oder? Nur ich bin hier und es ist mein freier Wille! Bitte-“

Plötzlich fiel das aufmüpfige Gehabe von ihr ab und sie begann bitterlich zu weinen.

„Du weißt doch nicht, wie das ist! Du bist ein Mann, du kannst tun und lassen, was man von dir erwartet, du kannst gehen wohin du willst, du kannst liegen bei wem du willst! Aber was hab ich für ein Schicksal?“

„Minako…“, erwiderte ich leicht gequält, ihre festen, kleinen Brüste viel zu deutlich durch den unerhört dünnen Stoff des Schlafkimono spürbar.

„Bitte“ hauchte sie und im einfallenden Licht konnte ich ihre tränennassen Augen glänzen sehen. Ich stand unter Zugzwang. Aber ich fühlte mich unfähig, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Eine träge Stimme appellierte pro Forma an mein Ehrgefühl. Minakos Fingerspitzen geisterten über meine Brust. Ich hielt sie nicht auf. Wie lange war sie her gewesen, eine solche Berührung? Eine solche Wärme? Ich erinnerte mich nur an die Kälte. Immer an die Kälte. Sie roch so gut. Unschuldig.

Ich sollte das nicht tun. Ich war Söldner gewesen, irgendwann einmal. Mit Menschenleben hatte ich gespielt, wie mit Go Steinen. Aber niemals hatte ich eine Frau wie Minako in Schwierigkeiten gebracht. Und noch weniger war diese Frau dabei meine Nichte gewesen. Ich keuchte auf, als ich ihre Hand plötzlich ein Stück zu weit unten spürte und umfasste beinahe verzweifelt ihr Handgelenk.

„Komm zur Vernunft“, bat ich, doch ich merkte selbst, wie lächerlich das klang in Anbetracht der Umstände. Ich war längst erregt, sinnlos es weiter zu verleugnen.
 

Ihre Augen schimmerten im Mondlicht, ihre Lippen einen Spalt geöffnet und sie senkten sich auf meine herab, während ich noch immer Minakos Handgelenk umfasst hielt.

Sie schmeckte wie Honig, ich schnaufte resigniert, bildete mir ein triumphierendes Lächeln ihrerseits an. Zum Teufel damit. Hatte ich mir auch nur einen Moment eingebildet, als rechtschaffener Bürger leben zu können?

Ich knurrte leise, drehte mich mit ihr, sodass sie nun auf dem Rücken vor mir lag und riss ihren Kimono auf. Sie keuchte erschrocken, erregt, ich weiß es nicht, vermutlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass ich meine Meinung so schnell ändern würde.

Ein helles Stöhnen quittierte mein Tun als ich spielerisch in eine ihrer Knospen biss, zufrieden die Verhärtung derer bemerkte. Ich presste mich an sie, ließ sie die Erregung spüren, die sie verursachte, ließ sie spüren, dass es kein Zurück gab, jetzt wo sie mich so weit getrieben hatte.

Ihr Brustkorb hob- und senkte sich in aufgeregtem Atem als ich mit der Zunge eine Spur ihren milchigen Körper herab zog. Ich vergrub die Zähne vielleicht einen Hauch zu fest um ihren Bauchnabel herum, doch bis auf ein Zucken, ein Aufkeuchen ließ sie es geschehen.

Näherte mich dem Zentrum von Weiblichkeit und Lust und vergrub nur einen Moment darauf sehnsüchtig die Zunge zwischen ihren Schenkeln. Hörte sie leise stöhnen, spürte wie eine der zierlichen Hände sich erstaunlich hart in meinem Haar verkrallte.

Ihre Hitze, ihr Geruch, ihr Geschmack, die Reaktionen, die ich ihr entlockte, vernebelten mir völlig den Verstand und reduzierten mein Denken, insofern davon noch etwas übrig war einzig und allein auf jenen niederen Trieb. Ich kostete sie eine Weile aus, spürte, wie sie irgendwann erbebte und das erste Mal mit einem lieblichen, fast hilflosen Stöhnen kam, ehe auch meine Geduld sich langsam dem Ende zuneigte. Ich kam wieder hoch, sodass wir auf Augenhöhe waren, drängte meine Männlichkeit gegen ihre Blüte, ließ sie spüren, an was sie Schuld trug.

Sie sah mich keuchend an, sogar im fahlen Mondlicht erkannte ich die erregte Röte auf ihren Wangen, erkannte, dass sie jedes Wort, das sie vorhin gesprochen hatte, ernst gemeint hatte und nicht nachdem ersten Höhepunkt ihre Meinung zu ändern gedachte.

Irgendwie entlockte mir das ein Lächeln.
 

„Was ist?“, hauchte sie und drängte mir ihr Becken entgegen, während eine Hand sich in eine meiner Haarsträhnen verirrte und die spielerisch um zwei Finger wickelte. Ich schnaufte amüsiert und schüttelte den Kopf. Schließlich drängte ich mich gegen sie. Ihr Atem ging schnell, wie um den leisen Schmerz wegzuatmen, aber den konnte ich ihr nicht ersparen.

Sie war überwältigend eng, ich biss mir auf die Unterlippe um Geräusche zu verhindern, spürte einen Widerstand und sie zog scharf die Luft ein, als dieser Widerstand brach. Ich begann mich in ihr zu bewegen, versuchte die Geilheit nicht überhand nehmen zu lassen und einfach hart in sie zu stoßen, auch wenn mir das zusehends schwer fiel.

Minako entspannte sich nach und nach und die Hitze, die von ihrem Inneren ausging und mich zu verschlingen drohte, war überwältigend. Ich verlor irgendwann meinen Rhythmus, wurde schneller, härter und plötzlich war es mir egal, ob sie ebenso genoss, wie ich es tat. Sie hatte es so gewollt.

Ein vergessenes Gefühl von Macht durchpulste mich als ich sie stöhnen hörte und keinen Gedanken daran verschwendete, was geschah, wenn das außer mir noch jemand hörte. Viel zu schnell begann mein Unterleib sich angenehm zusammen zu ziehen – und schließlich fand ich in ihrem tiefsten Inneren mit einem unterdrückten, erleichterten Keuchen meinen Höhepunkt.

 

~*~
 

Ich fasste einen Entschluss. Ich musste weiterziehen. Und ich fasste diesen Entschluss lange bevor sich herausstellte, dass das eine Mal ausgereicht hatte, um Minako ein Kind zu machen. Chiyo teilte es mir mit in einer beinahe gespenstischen Gelassenheit.

Vermutlich hatte sie so etwas schon geahnt. Ich begleitete Minako in einer Nacht- und Nebelaktion in ein Dorf namens Musashi, in dem eine alte Miko lebte, die Erfahrung hatte mit dem, was man einen Abgang herbeiführen nennt.

Weder Minako, noch Chiyo oder ich verloren je wieder ein Wort über diese Angelegenheit und mein Bruder erfuhr nichts davon. Dennoch tat ich mir schwer, ihm weiterhin in die Augen zu sehen nach allem, was er für mich getan hatte. Und so etwas … durfte nicht noch einmal passieren. Ich hätte um ihre Hand bitten können, ja. Ich hätte viele Dinge tun oder nicht tun können. Aber ich war kein guter Mensch. Und ich musste meine Brüder finden.
 

 

 

 

 

 

The woods are lovely, dark and deep,

But I have promisses to keep

And miles to go before I sleep.

And miles to go before i sleep.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Noch ein kleiner Hinweis: Diese FF ist minimal angelehnt an meine Shichinintai FF „Rot wie Blut“. Man muss diese FF jedoch NICHT gelesen haben, um diese hier zu verstehen. Gespräche wie das zwischen Hideo und Bankotsu in diesem Kapitel, die sich wirklich auf „Rot wie Blut“ beziehen bilden eher die Ausnahme.

Ich bin sehr gespannt auf eure Meinungen und komme auch gut mit höflich formulierter Kritik klar :)

Das Gedicht am Schluss ist übrigens von Robert Frost aus "Stopping by woods on a snowy evening" Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  KritzelFuchsKurai
2020-07-13T20:10:03+00:00 13.07.2020 22:10
Nackte realität... kein kitsch kein Fluff und kein zucker dass war die zeit eben nicht die zeit war kalt grausam und unbarmherzig dass alles hast du sehr gut geschrieben. du schafst es mit deinen Worten eben diese Stimmung rüber zu bringen und bringst mir so gerade einen charakter näher mit dem ich mich noch nie beschäftigt habe und bin gespannt wie weit du mich mit dem für mich komplett neuem paring in den bann ziehen kannzt. also ich werde jedenfalls gleich das zweite Kapitel verschlingen.

Lg kurai
Von:  CheyennesDream
2020-03-24T20:58:20+00:00 24.03.2020 21:58
Hallo

Wie ich sehe, hast du meinen Rat von 2017 befolgt und dich an anderen Paaren versucht. Hauptsache deine Schreibmotivation ist zurück.

Der Anfang war gut geschrieben, glaubhaft.
Allerdings hätte ich die Geschichte eher ein Jahrhundert später angesiedelt. Spielt doch nach der Serie oder? Natürlich kannst du auch deine Eigeninterpretation niederschreiben. Das ist jedem Autor selbst überlassen.

Mein Interesse ist definitiv geweckt und du hast mich als Leser gewonnen. Vor allem, weil mich das angekündigte Paar interessiert.

Chris




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