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Blue Wolve

von

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Tears and Goodby


 

1
 

Drei Tage sind seit diesem Unglück ins Land gezogen und inzwischen weiß Kurt auch ziemlich gut, was er alles getan hat. So recht glauben kann er es selbstverständlich nicht, doch die Beweise sind erdrückend und er muss sie einfach hinnehmen. Doch niemand würde ihm jemals die Schuld an dem Ganzen geben, dass wäre mehr als nur unfair. Allerdings ist Nightcrawler sehr gut darin, sich selbst die Schuld zu geben, auch wenn das schlichtweg sinnfrei ist, was ihm die anderen X-Men auch immer wieder sagen. Aber der Teleporter weiß nur zu gut, dass sie ihm noch so viele nette Worte entgegenbringen können, letztendlich wird Gott allein über sein Schicksal entscheiden und niemand sonst...
 

Ein Vorbote dessen könnte sein, dass Kurt seither unter schrecklichen Albträumen leidet und überhaupt nur ein Auge zumachen kann, wenn er bei Logan schläft, was der Kanadier sehr gut verstehen kann und es ihm daher auch nicht verweigert, auch wenn es sich komisch für ihn anfühlt, haben sie doch so nie das Bett zusammen geteilt. Das macht den Älteren sehr nachdenklich, das alles macht ihn seither sehr nachdenklich. Seine Gefühle haben schon während des Ganzen verrücktgespielt und dadurch wird es nicht besser.
 

Der Schwarzhaarige erwacht an diesem frühen Morgen mit einem unguten Gefühl, das er jedoch noch nicht so recht deuten kann. Als er den Kopf leicht zur Seite dreht, sieht er seinen kleinen Elfen neben sich liegen, wie er sich in Logans Arm kuschelt, sich praktisch wie ein Ertrinkender daran festklammert. Sein Gesicht wirkt nicht so entspannt, wie man es von einem Schlafenden erwarten würde. Es ist eher leicht verkrampft. Fahrig kaut er sich auf der Unterlippe herum, die schon ziemlich mitgenommen aussieht. Alles in allem sieht Kurt so aus, als würde er sich schwerlich zu verkneifen versuchen, in Tränen auszubrechen, um dadurch womöglich alles in seinem Traum nur noch schlimmer zu machen. Tief seufzt der Ältere und zieht ihn noch etwas dichter an sich heran, um ihm halbwegs ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, auch wenn er ihn leider nicht vor seinem bösen Traum beschützen kann.
 

Dadurch verstärkt sich das ungute Gefühl in ihm aber nur noch mehr. Er spielt mit dem Gedanken, es einfach zu ignorieren und noch etwas die Ruhe zu genießen. Letztendlich ist es Charles nämlich doch noch gelungen, nicht nur die Erinnerung der Leute an diese Grausamkeit auszulöschen, sondern auch die Kameraaufnahmen zu vernichten. Von daher dürfte Kurts Fehltritt keine weiteren Konsequenzen haben, mal abgesehen vom zerstörten Seelenheil des Jungen, und dass ist schließlich schon schlimm genug, wenn man sich den armen Kerl nur einmal ansieht, wie fertig er wirkt, wie sehr ihn das alles belastet. Seine Erfahrung lehrt Wolverine allerdings, dass Ruhe meistens mit einem sehr lauten Knall endet. Und dieser Knall soll schon keine zwei Stunden später eintreten und die X-Men weit mehr schockieren, als es Nightcrawlers ungewollter Amoklauf schon getan hat. Doch den junge Teleporter wird es abermals am härtesten treffen...
 


 

2
 

Auch Xavier beschleicht ein ungutes Gefühl. Deshalb begibt er sich nach langem Nachdenken nach draußen zum großen Tor und blickt die Straße entlang, die in die Stadt führt. Stumm starrt er auf den Asphalt hinaus und konzentriert sich. Jemand nähert sich zielstrebig dem Zuhause der X-Men, oder besser gesagt: Viele Jemande. Allerdings ist der Professor nicht in der Lage in ihre Gedanken vorzudringen, und dass macht ihm große Sorgen. Es macht ihm auch klar, dass diese Leute wissen, was sie hier womöglich erwarten könnte und sich daher irgendwie darauf vorbereitet haben. Viele Personen kommen für diesen ungewollten Besuch daher nicht infrage. Charles ist sich jedoch sicher, dass es sich um keinen Mutanten handelt, aber das ist auch schon das Einzige, was er mit Sicherheit sagen kann. Dann bleibt nur noch die Spezial-Mutanten-Einheit der Polizei. Eine überaus zweckmäßig trainierte Truppe junger Männer, die darauf ausgelegt ist, Mutanten jeglicher Art in Gewahrsam zu nehmen, damit sie vor einem Gericht für ihre Missetaten bestraft werden können. Ihr wirkungsvollstes Werkzeug ist dabei ein hochentwickeltes Halsband, das das X-Gen unterdrücken kann und den Mutanten somit im besten Fall kampfunfähig zu machen, ohne ihm körperlich zu schaden. Nicht selten tragen die Beamten diese Halsbänder auch selbst, aus dem einfachen Grund, dass diese auch dazu in der Lage sind, die Wirkung mancher Kräfte abzublocken, wenn sie damit konfrontiert werden. Dies gilt insbesondere für Psi-Kräfte. Somit wird es Xavier nicht möglich sein, die Polizisten mental zu beeinflussen, sollten sie diese Halsbänder angelegt haben.
 

Keine fünf Minuten später biegt ein schwer gepanzerter Einsatzwagen um die Ecke und hält auf das Tor zu. Auf seinem schwarzen Lack prangern große, weiße Buchstaben, die das Wort X-SWAT bilden und bestätigt damit, was der Professor schon befürchtet hat. All seine Bemühungen waren anscheinend doch vergebens und dieses Team ist nun hier, um Kurt seiner rechtmäßigen Strafe zu zuführen! Nichts wird diese Männer davon abhalten können, ihrem Befehl nachzukommen, erhalten sie ihre Anweisungen doch vom Obersten Gerichtshof und dem Präsidenten höchstpersönlich. Auf Nightcrawler wartet das Gefängnis, wo er vermutlich den Rest seines noch so jungen Lebens verbringen muss. Ein spezielles Gefängnis nur für Mutanten, mit dem passenden Namen Die Box, weil es wir ein Würfel ohne Fenster und jegliche Zugänge aussieht. Es wurde aus ganz speziellen Materialien hergestellt, die allesamt das X-Gen unterdrücken, und somit ist nicht einmal ansatzweise an Flucht zu denken. Hinzu kommt, dass Mutanten keine Bewährung genehmigt wird oder gar so etwas wie Haftaufschub oder frühzeitige Entlassung wegen guter Führung. Solche Gesetze gibt es für Mutanten nicht. Sie sind eine Bedrohung, die ausradiert werden muss und weiter nichts. Solche Wesen haben keine Rechte verdient!
 

Charles kämpft praktisch schon sein Leben lang dafür, dass Mutanten die gleichen Rechte bekommen, so wie es schon die Farbigen getan haben. Doch diese sind trotz ihrer dunklen Hautfarbe reine Menschen, was die Mutanten in den Augen aller nicht sind, egal was man ihnen auch immer versucht zu erklären. Xavier hatte immer gehofft, niemals den Tag erleben zu müssen, an dem einer seiner X-Men – seiner Kinder, wie er sie gern nennen möchte – auf so grausame Weise von ihm weggerissen wird und dort versauern muss, wo niemals die Sonne scheint. Oder gar Schlimmeres, denn die Strafen für Mutanten sind oftmals wesentlich härter als für normale Kriminelle...
 

Schließlich stoppt der große Wagen direkt vor dem Tor und zehn Männer in schwerer Schutzkleidung treten heraus. Gleich einer Militärtruppe reihen sie sich vor den schmiedeeisernen Streben auf und ihr Captain tritt vor, um mit dem Mann im Rollstuhl auf der anderen Seite des Zauns reden zu können. Unweigerlich fällt der Blick des Professors dabei auf das klobige Halsband, das er trägt und das auch all seine Männer angelegt haben.
 

„Charles Xavier, ich bin Captain Former und Ihrer Anwesenheit hier entnehme ich, dass Sie wissen, weswegen wir hier sind. Von daher wäre es wünschenswert, wenn Sie unsere Arbeit nicht behindern würden und den Angeklagten unverzüglich ausliefern. Sollten Sie zur Kooperation bereit sein, verspreche ich, dass keinem von den Ihren Schaden zugefügt wird. Sollten Sie sich jedoch weigern, sehen wir uns gezwungen Gewalt anzuwenden.“ Die stechend blauen Augen des Captains mustern Charles durch das hochgeklappte Visier seines Helms hindurch streng. Praktisch im selben Moment heben die neun Männer seiner Sondereinheit ihre Waffen und zielen damit auf den Professor. Beim kleinsten Zucken werden sie unzweifelhaft abdrücken und ihn hier auf dem nackten Stein vor dem Zaun hinrichten. Wie einen räudigen Köter abknallen, würde es Logan wohl ausdrücken.
 

„Und versuchen Sie gar nicht erst eines Ihrer Gedankenspielchen mit uns abziehen zu wollen. Das würde nichts bringen, wie Sie sicher schon bemerkt haben.“ Der Mann im Rollstuhl gibt ein tonloses Seufzen von sich. „Das habe ich durchaus bemerkt, die Herren. Und ich werde mich Ihrer Arbeit auch nicht in den Weg stellen, auch wenn ich gehofft hatte, dass es nicht so kommen würde...“ Former gibt ein fast schon verächtliches Geräusch von sich. „Reden Sie sich so etwas nur selbst ein, doch Niemand entkommt dem Gesetz, schon gar kein dreckiger Mutant, der vor laufenden Kameras unschuldige Bürger abschlachtet!“, profiliert sich der Captain herablassend.
 

Schwerlich unterdrückt Charles ein Zähneknirschen und schluckt die beleidigenden Worte des anderen Mannes einfach herunter. „Sie wissen also von den Aufnahmen?“, fragt er stattdessen nach. „Oh ja! Ihre kleine Gehirnwäsche mag bei den unbescholtenen Bürgern New Yorks funktioniert haben, wofür wir durchaus sehr dankbar sind, da dadurch wohl eine Massenpanik verhindert werden konnte, was aber nicht bedeutet, dass niemand sonst davon Wind bekommen hat. Die Live-Übertragung der Wahlkampfrede des Bürgermeisterkandidaten wurde aus Sicherheitsgründen auch an unsere Zentrale weitergeleitet, was Sie wohl nicht wussten, sonst hätten Sie womöglich versucht, auch diese Aufnahmen unbrauchbar zu machen und uns zu beeinflussen. Danach hatten wir den Bengel praktisch im Fadenkreuz und haben alles Weitere genau verfolgt.“
 

„Wenn dem so ist, warum haben Sie dann nicht eingegriffen und versucht zu verhindern, dass diese unschuldigen Leute getötet werden?“ „Aus dem einfachen Grund, dass der Präsident uns zum Abwarten gezwungen hat. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste er nichts von der geheimen Militärdroge, die an dem Bengel ausprobiert wurde, doch er sah durchaus Potential dafür, nachdem er aufgeklärt wurde. Erst als Hauptmann Wesley den Befehl gab, auch den Präsidenten selbst ermorden zu lassen, wurden wir alarmiert einzuschreiten. Als wir am Stützpunkt ankamen, waren Ihre Mutanten aber schon dabei, das Ganze zu unterbinden, weshalb wir uns zurückgehalten haben.“ „Dann weiß Nixon also, dass Kurt nichts für sein Tun kann? Das er gegen seinen Willen dazu missbraucht wurde? Und dennoch lässt er ihn nun verurteilen?“
 

„So sieht es aus. Nixon wusste davon, was aber noch lange nicht bedeutet, dass der Bengel ungeschoren davonkommt. Er hat Menschenleben gefordert, Blut geleckt, wenn man so will. Wer kann also dafür garantieren, dass er das in Zukunft nicht von sich aus wiederholt?“ „Das ist eine unerhörte Anschuldigung! Kurt ist die reinste und friedfertigste Seele, die ich kenne! Er würde niemals jemandem absichtlich Schaden zufügen, schon gar keinem Menschen!“, empört sich Charles. „Das sagen Sie, doch der Präsident sieht das anders und ist sowieso kein Fan von euch Freaks. Also würden Sie den Bengel jetzt herholen oder sollen wir handgreiflich werden?“ Abermals knirscht Xavier verstimmt mit den Zähnen, verkneift sich jedoch jedes weitere Wort.
 

Minuten vergehen, in denen nichts passiert, in denen sich die Männer auf beiden Seiten des Zauns nur stumm mustern. „Was ist nun?“, fragt Former schließlich streng. „Welche Strafe wird ihn denn erwarten?“, will Charles ohne viel Hoffnung wissen. „Es steht mir nicht zu, diese Auskunft in Abwesenheit des Angeklagten auszusprechen.“, kommt die knappe Antwort. „Das habe ich mir schon gedacht. – Also schön, ich werde ihn rufen...“, seufzt der Professor schwer und konzentriert sich dann, um Kurts Gedanken aufzufangen.
 


 

3
 

Klirrend schlagen die Klingen aufeinander. Nightcrawler und Wolverine befinden sich gerade im Gefahrenraum beim täglichen Training. Trotz der Tatsache, dass Kurt ungewollt mit seinem Schwert Amok gelaufen ist, hat Logan ihn dennoch dazu angehalten, sein Training nicht darunter leiden zu lassen. Dafür ist er einfach zu begabt. Verständlicherweise fiel dem Teleporter der Gedanke nicht sonderlich leicht, wieder zu der Waffe zu greifen, die so sinnlos getötet hat, doch auch der Schwarzhaarige hatte genug Bedenken, ihn überhaupt wieder dazu bewegen zu wollen. Aber letztendlich konnte Kurt schließlich nichts für all das, und es wird auch nicht besser, wenn er sich in Zukunft womöglich wieder gänzlich gegen Gewalt beziehungsweise Selbstverteidigung entscheidet. Somit trainieren die beiden genauso intensiv und begeistert wie zuvor miteinander und schenken sich nichts.
 

Plötzlich stoppt der Elf jedoch mitten in der Bewegung und scheint mit leicht schief gelegtem Kopf zu lauschen. Logan bekommt das allerdings zu spät mit und hält mit seinen tödlichen Krallen direkt auf ihn zu. Kurts Reflexe sind jedoch verdammt gut, sodass er den Angriff noch kommen sieht. Geschwind springt er hoch und lässt den Älteren einfach unter sich durchrennen. Bedrohlich knurrend kommt Wolverine kurz vor der hinteren Wand zum Stehen und wendet sich gerade noch rechtzeitig herum, um den Bengel verschwinden zu sehen. „Der Professor ruft!“, meint er noch knapp und schon ist nur noch eine stinkende Schwefelwolke übrig. „Scheiße, nein!“, entkommt es dem Krieger daher vergebens und das schlechte Gefühl in ihm explodiert regelrecht. Hastig verlässt er ebenfalls den Gefahrenraum und sucht nach dem blauen Fellknäul.
 


 

4
 

Eine Sekunde später taucht Kurt neben Charles auf und versetzt die Polizisten damit in helle Aufregung, denn er hat noch immer sein Schwert in der Hand! Augenblicklich richten sich sämtliche Waffen auf ihn. „Sofort fallenlassen!“, gibt Former streng von sich, weicht aber dennoch nervös anmutend einen Schritt zurück. Nightcrawler ist noch gar nicht klar, was überhaupt los ist, geschweige denn was diese Leute eigentlich wollen, da fasst Xavier ihn nachdrücklich am Arm. „Leg das Schwert weg, Kurt!“, zischt er den Jungen an, doch es liegt nichts Böses in seiner Stimme. Mit großen Augen blickt der Teleporter auf seine Hand hinab. Dabei kann er die vielen, roten Laserpunkte der Schnellfeuerwaffen sehen, die die Polizisten direkt auf seine Brust gerichtet haben. In diesem Moment wird ihm klar, dass er hier nichts weiter als eine lebende Zielscheibe ist. Des Weiteren wird ihm klar, dass er sein Schwert in der Eile tatsächlich mitgenommen hat. Die mentale Stimme des Professors klang so sorgenvoll, dass er darüber gar nicht nachgedacht hat.
 

Eingeschüchtert wirft er die Klinge einige Meter weiter ins Gras und hebt dann ergeben die Hände, wie er es schon hunderte Male im Fernsehen gesehen hat. „Ganz ruhig, Jungs. Das ist nur ein Missverständnis...“, versucht er ihnen mit einem beschwichtigenden Lächeln klarzumachen. Die Polizisten entspannen sich kaum merklich, dennoch bleiben die Waffen drohend auf ihn und Charles gerichtet.
 

Mit festem Schritt tritt der Captain dann wieder an den Zaun heran. Seine kalten, blauen Augen suchen streng die leeren, gelben Seelen des jungen Mutanten und mustern ihn durchdringend. Versuchen herauszufinden, ob er irgendetwas plant oder ob Charles ihn mental zu einem weiteren Amoklauf anzustiften versuchen könnte. Dem scheint augenscheinlich nicht so zu sein, daher erhebt er nun die Stimme. „Kurt Wagner, du bist hiermit festgenommen. Die Anklage lautet auf mehrfachen Mord. Daher wirst du in das Mutanten-Gefängnis Die Box überführt und wirst dort bis zur Urteilsvollstreckung bleiben. Das Urteil wird morgen Nachmittag um 14:00 Uhr mittels Giftspritze vollstreckt. Das Urteil ist unanfechtbar und dir steht keine Berufung oder dergleichen zu. Du hast auch kein Anrecht auf einen Anwalt oder eine Verschiebung der Urteilsvollstreckung. Und ich rate dir dringend, dich freiwillig in Gewahrsam zu begeben, andernfalls sind wir angewiesen, dich hier auf der Stelle zu erschießen.“
 

Mit wachsendem Entsetzen lauschen die beiden Mutanten den Worten des anderen Mannes. Glauben können sie dennoch nicht, was sie dort hören. Fieberhaft denkt Charles darüber nach, wie er dieses Unglück noch irgendwie abwenden kann. Auf die Schnelle will ihm aber gar nichts Sinnvolles einfallen, erst recht nicht, da er dank der Halsbänder praktisch machtlos ist.
 

Neben ihm steht Nightcrawler wie zur Salzsäule erstarrt und schluckt so hart, dass der Professor tief in seiner Kehle ein hohles Klicken hören kann. Als er dem Jüngeren den Blick zuwendet, sieht er, dass eine einzelne Träne die pelzige Wange seines Schützlings hinab läuft. Kraftlos lässt er die Schultern hängen, wirkt hilflos und gebrochen. Dann jedoch ballt er die Fäuste und atmet tief durch. Langsam hebt er den Kopf an und blickt direkt in Formers Augen. „Ich habe verstanden und werde mich nicht wehren. Tun Sie also, was Sie tun müssen...“ Seine Stimme klingt erstaunlich fest, dafür dass er gerade sein eigenes Todesurteil bestätigt hat. Erschrocken zuckt Xavier in seinem Rollstuhl zusammen. „Kurt, nicht!“, doch es klingt reichlich hoffnungslos.
 

„Es ist nicht deine Schuld, Professor. Durch dich hat mein Leben überhaupt erst einen Sinn bekommen und wir hatten viele schöne Zeiten zusammen. Doch ich habe einen unverzeihlichen Fehler begangen...“, setzt er an. „Nein! Es war nicht deine Schuld!“, versucht der Ältere ihm klarzumachen. „Das mag sein. Doch ich habe gegen das Wichtigste der Zehn Gebote verstoßen. – Du sollst nicht töten. – Somit muss ich mich der Strafe stelle, die mir Gott auferlegt, auch wenn das bedeutet, dass ich die Ewigkeit in der Verdammnis verbringen muss. Ich muss für meine Sünden büßen.“ Die Entschlossenheit in Nightcrawlers Stimme jagt einen eisigen Schauer über den Rücken des kahlköpfigen Mannes, dennoch kann er dem nichts entgegenbringen, Kurt hat sich unwiederbringlich entschieden. „Wenn du das für richtig hältst, kann ich dich nicht davon abhalten. Ich wünschte nur, uns wäre mehr Zeit vergönnt geblieben, mein Junge.“ „Das hätte ich mir auch gewünscht, Professor. – Leb wohl...“ Der winzige Hauch eines Lächelns umspielt seine Lippen, bevor er wieder zu Former blickt.
 

Dieser hat inzwischen eines dieser klobigen Halsbänder hervorgeholt und wartet nun darauf, es Kurt anlegen zu können. Soweit kommt er allerdings nicht, da Wolverine inzwischen herausgefunden hat, wohin sein Elf verschwunden ist, und nun außer sich vor Wut ist. „WAGT ES JA NICHT, IHN ANZUFASSEN!“, brüllt er aufgebracht über den ganzen Vorplatz. Wie ein plötzliches Gewitter stürmt er mit glänzenden Krallen heran. Erschrocken weichen die Polizisten vom Zaun zurück und richten die Waffen auf ihn, obwohl sie tief hinten in ihrem Köpfen wissen, dass das nichts bringen wird, egal wie oft sie ihn auch treffen würden.
 

„Logan...“, entkommt es Kurt und Charles im Chor. „Lass dir von diesen Spinnern nichts einreden, Elf! Du hast nichts verbrochen! Sie können dich nicht bestrafen!“, beharrt der Schwarzhaarige zornig und zieht den Jungen zu sich heran, um ihn aus der Schussbahn zu wissen. „Aber Logan, ich habe mich doch bereits entschieden, Buße zu tun...“, versucht ihm der blau Fellball klarzumachen. „Hör endlich mit diesem Schwachsinn auf! Du musst für gar nichts büßen! Das ist nicht Gottes Wille, sondern nur das vertrackte Rechtssystem unseres Staates, das jeden Mutanten auf dem Scheiterhaufen sehen will!“, gebärt sich der Ältere hektisch. Nightcrawler bedenkt ihn allerdings nur mit einem nachsichtigen Lächeln. „Ich kann verstehen, dass du das nicht wahrhaben willst, aber es ist besser so, glaube mir.“ „NEIN! Das lasse ich nicht zu, und wenn ich dich höchstpersönlich...“
 

Weiter kommt Logan nicht mehr, da rammt Charles seine mentalen Finger in sein überfordertes Denken hinein und zwingt ihn damit brutal zu Boden. Mit sichtlichen Schmerzen sinkt der Krieger unter heftigem Protest auf die Knie, während ihm ein Schwall Blut aus Mund und Nase schießt, weil er sich so heftig dagegen zur Wehr setzt. Angestrengt sucht Charles Formers Blick. „Legen Sie – Logan das Halsband an, sonst – wird er versuchen, Kurt – zu befreien. Machen Sie – schnell, das Tor ist offen...“, keucht er schwerlich und verstärkt seinen mentalen Griff noch etwas.
 

Sichtlich unsicher tritt der Captain durch das Tor. Seine Beine drohen jeden Moment zu versagen, was wohl auch kein Wunder ist, wenn er sich so diese wild gewordene Beste betrachtet, der er sich nun ungeschützt nähern soll. Es ist, als würde man einen Löwenkäfig zur Fütterungszeit betreten. Verständlicherweise stimmt es ihn auch nicht sonderlich sicher zu sehen, wie sehr sich Xavier doch anstrengen muss, um Logan am Boden zu halten. Ganz langsam beugt sich Former dann zu ihm hinunter und legt ihm schwerlich das Halsband an. „Nein...“, presst Wolverine kaum hörbar hervor, bevor die Verriegelung einrastet und er endlich die Besinnung verliert. „Er wird nicht lange ohnmächtig bleiben, also wenn du wirklich diesen Weg gehen willst, Kurt, dann sollte es jetzt ohne Umschweife sein.“ Verstehend nicken sowohl Nightcrawler als auch Former.
 

Ohne Zögern begeben sich beide wieder ans Tor. Dort wartet schon einer der Polizisten mit einem weiteren Halsband. Stumm nimmt es der Captain entgegen und legt es dem pelzigen Mutanten an. Kurz darauf folgen auch noch Hand- und Fußfesseln, ehe die Beamten Kurt in ihren Transporter führen und dort anketten. Ein letztes Mal treffen sich die Blicke der beiden X-Men, dann schlagen die Türen zu und Charles wird seinen Schützling erst wiedersehen, bevor ihm der tödliche Cocktail verabreicht wird...
 


 

5
 

Es ist Anfang Mai, Frühling, die Zeit, da die Fantasie eines jungen Mannes sich unbeschwert Gedanken an die Liebe zuwenden sollte. Eine wunderbare Jahreszeit und zweifellos ein großartiges Gefühl, aber James Howlett gehen andere Dinge durch den Kopf, denn seine Liebe wird morgen vor seinen Augen sterben. Morgen werden sie Kurt hinrichten...
 

Du bist ein Teil meiner Seele

Du bist ein Stück meiner Haut

Du bist die Kraft, die mich bewegt
 

Es ist dunkel. Ungewohnt schwerfällig setzt sich Logan auf das Dach der Mansion, einen Kasten Bier neben sich. Mit leerem Blick schaut er den Weg zum Tor hinunter. Es ist verschlossen. Jean und Charles haben eine Art mentalen Bannkreis um das Grundstück errichtet, damit Wolverine nicht doch auf den Gedanken kommt, Kurt helfen zu wollen. Sicher eine sehr gute Entscheidung, selbst wenn man bedenkt, dass der Jäger noch immer das verdammte Halsband trägt. Außer den Polizisten wird es ihm nämlich auch niemand abnehmen können, somit wäre es reichlich sinnlos, versuchen zu wollen, Kurt zu retten.
 

Und die Zärtlichkeit, die mich trägt

Du bist der Glanz meiner Tage

Du bist das Licht meiner Nacht
 

Wie oft hat er hier oben schon mit Nightcrawler gesessen? Er kann sich nicht erinnern, doch es waren so viele Nächte wie sonst kaum bei etwas Anderem. Zusammen haben sie sich die Sterne angeschaut, den Mond, gelacht und Unfug gemacht, manch hitzige Diskussion geführt, und nicht selten endeten diese Treffen mit einem sturzbetrunkenen Elfen oder animalischer Zweisamkeit im Bett. Vergessen wird das offene Bier in seiner Hand langsam schal. Stur richtet sich sein Blick weiterhin auf das verriegelte Tor, das sie von der Welt der Menschen trennt, in die sein bester Freund und Liebhaber so endgültig entführt wurde.
 

Die Liebe, die den Schmerz vertreibt

Und der Trost, der mir immer bleibt

Wie soll ich leben ohne dich?
 

Kurt wird nie wieder lachend vor ihm stehen und ihm einen Streich spielen oder schnurrend neben ihm einschlafen; ihm nie wieder von Gott und all dem Unsinn erzählen, oder wild mit ihm durch den Gefahrenraum turnen. Logan kann es einfach nicht begreifen. Warum nur hat Kurt dem Ganzen zugestimmt und ist einfach mit ihnen gegangen? Glaubt er wirklich, dass er so für seine ungewollten Taten Buße tun kann? Wolverine kann es sich nicht vorstellen. Vielleicht glaubt Nightcrawler es wirklich, aber wer kann schon dafür garantieren, dass sein Gott ihm wirklich vergibt und ihn ins Paradies einkehren lässt, statt ihn auf ewig in der Hölle schmoren zu lassen?
 

Wie soll ich atmen ohne dich?

Denn ich bin du und du bist ich

Uns beide kann man nicht trennen!
 

„Glaubst du an Gott?“, hatte der Elf ihn ziemlich am Anfang ihrer Partnerschaft einmal gefragt. Nachdenklich hatte Logan den Jungen angesehen. Als Kind hatte er tatsächlich mal an Gott geglaubt, weil seine Eltern ihn so erzogen hatten. Doch je älter er wurde, desto schneller begriff er, dass es einfach keinen Gott geben kann. Nicht, wenn er so versessen darauf ist, einem einzigen Wesen so sehr das Leben zur Hölle zu machen. Oder aber es gefällt dem alten Dreckskerl, ihn leiden zu sehen? Aber wenn dem so ist, womit hat er diesen anhaltenden Zorn dann verdient? Klar, an seinen Händen klebt mehr Blut, als irgendein Wesen auf Erden überhaupt haben kann, aber es fand den Weg dorthin viel öfter aus Selbstverteidigung als durch irgendetwas Anderes. Und hat er nicht auch schon genug Menschen das Leben gerettet, ohne einen Dank dafür zu erhalten? Ist er mit seinem Mutantendasein denn nicht also schon genug bestraft worden?
 

Wie soll ich leben ohne dich?

Wie soll ich träumen ohne dich?

Weiß mich von dir so sehr geliebt
 

Mit einem verstimmten Brummen hatte Logan ihm schließlich geantwortet. „Ich glaube an keinen Gott, der all unsere Sünden in seinem großen, goldenen Buch festhält und über uns zu Gericht sitzt, wenn wir gestorben sind. Sollte es doch einen geben, habe ich wahrscheinlich mein ganz eigenes Sündenbuch, bei dem ganzen Scheiß, denn ich schon gemacht habe, und er straft mich schlichtweg damit, dass er mich bis in alle Ewigkeit auf diesem Scheißplaneten wandeln lässt. – Ich mag auch nicht an einen Gott glauben, der es fertigbringt, vorsätzlich böse Menschen zu erschaffen, um sie dann bewusst in einer von ihm erfundenen Hölle braten zu lassen. Aber ich glaube, dass es Irgendetwas da draußen gibt, das wir nicht verstehen, und dass wir alle einem Plan folgen, den sich kein Gott, sondern ein vollkommen Schwachsinniger ausgedacht hat, um sich die Langeweile zu vertreiben. So als wären wir nur Bewohner einer riesigen Ameisenfarm. Verstehst du?“
 

Bin glücklich nur mit dir

Und wenn ich dich verlier,

Dann fehlt der Mittelpunkt der Welt für mich
 

Über Kurts Gesicht zog eine seltsame Mischung aus Mitleid, Entsetzen, Erkenntnis und Sorge hinweg. „Sieh mich ja nicht so an! Ich habe deinem heißgeliebten Gott so oft die Chance gegeben, mich eines Besseren zu belehren, doch nichts als weiteren Schmerz dafür erhalten. Mir wurde immer wieder alles genommen, das mir etwas bedeutet hat, egal wie sehr ich mir auch den Arsch aufgerissen hab, mich zu ändern. Wie also soll ich da an ihn glauben?“ „Das musst du nicht und ich werde dich auch nicht dazu zwingen. Aber ich werde für deine unsterbliche Seele beten, da ich glaube, dass du ein sehr guter Mann bist und das Paradies verdient hast.“, lächelte der Elf sanft. Wolverine gab nur ein Schnauben von sich.
 

Wie könnte ich jemals leben ohne dich?

Du bist die Sonne im Dunkeln

Du bist die Ruhe im Sturm
 

„Unsterbliche Seele? Paradies? Ha! Tu, was du nicht lassen kannst, Junge. Solange du mich nicht versuchst zu bekehren, dann muss ich dir nämlich den Hals umdrehen.“, meinte er ernst, dennoch lag ein Fünkchen Humor in seinen Augen. „Keine Sorge, das werde ich ganz sicher nicht.“
 

Du bist der Weg, auf dem ich gehe

Du bist das, was ich in dir sehe

Wie soll ich leben ohne dich?
 

Damals hatte Logan das alles durchaus ernst gemeint und Kurt damit womöglich sogar ziemlich gekränkt. In jedem Fall hatte sich der Elf auf eine andere Antwort eingestellt, dass hatte allein schon sein Gesichtsausdruck verraten. Jetzt allerdings wünscht sich der Jäger, er würde an Gott glauben, völlig egal welchen. Hauptsache dieses angeblich allmächtige Wesen könnte verhindern, dass Nightcrawler hingerichtet wird. Oh, wie sehr er dafür doch beten würde. Aber er kann es nicht, sein gebrochenes Herz lässt es nicht zu, dafür würde er von allen nur erdenklichen Mächten dieser Erde viel zu oft eines Besseren belehrt – oder eher eines Schlechteren.
 

Wie soll ich atmen ohne dich?

Uns beide trennt kann man nicht!

Wie soll ich leben ohne dich?
 

Logan hat schon so viele Kommen und Gehen sehen, er weiß nicht, ob er es ein weiteres Mal ertragen kann, und dann auch noch auf so eine grausame Art und Weise. Bis zum heutigen Tag war er der Ansicht, dass der Elf und er wirklich nur Freunde sind, selbst wenn sie das Bett miteinander teilen. Logan wurde in seinem langen Leben zu oft verletzt, um sich andere Gefühle zu erlauben. Doch jetzt, wo er hier so einsam sitzt und der Platz neben ihm für immer leer bleiben wird, wird ihm klar, dass er sich selbst einfach nur die ganze Zeit über belogen hat, weil er Angst davor hatte, erneut verletzt zu werden.
 

Wie soll ich träumen ohne dich?

Weiß mich von dir so sehr geliebt

Bin glücklich nur mit dir
 

Aber er kann es nicht mehr leugnen: Er liebt ihn! Wolverine liebt Nightcrawler über alles auf dieser Welt! Und wenn sein flauschiger Elf morgen sterben muss, dann wird auch er sterben. Nicht körperlich selbstverständlich, obwohl er es sich oft genug ernsthaft wünscht, aber seine Gefühle werden mit ihm sterben. Ein weiteres Mal, und Logan weiß wirklich nicht, ob er dann noch in der Lage sein wird, darüber hinwegzukommen und sich einem anderen zu öffnen. Es ist Ewigkeiten her, dass er das letzte Mal geweint hat. So lange, dass er sich nicht einmal daran erinnern kann. Doch beim Gedanken, seinen geliebten Freund und Partner zu verlieren, rinnen ihm nun heiße Tränen über die Wangen. Irritiert berührt er die feuchten Spuren und betrachtet die funkelnden Tröpfchen auf seinen merklich zitternden Fingerspitzen. Ihr Anblick weckt eine unbändige Wut in dem Jäger. Wut auf die Gesellschaft, die Menschen, ein Leben, in das sie nie gepasst haben und auch nie passen werden, weil sie schlichtweg Mutanten sind!
 

Und wenn ich dich verlier,

Dann fehlt der Mittelpunkt der Welt für mich

Wie könnte ich jemals leben ohne dich?
 

Ein knurrendes Wimmern, fast wie das leidliche Heulen eines einsamen Wolfes, verlässt seine Kehle, ehe er mit voller Wucht die Bierflasche auf den Vorplatz der Mansion hinunterwirft. Sie zerschellt in tausend feucht-funkelnden Scherben und verspritzt die goldig schäumende Flüssigkeit in alle Richtungen. Kurz darauf folgt ihr eine zweite Flasche und eine dritte. Sie explodieren wie gläserne Wasserbomben auf dem harten Beton. Das geht weiter, bis der ganze Kasten leer ist und der Vorplatz aussieht, als hätte ein Angriff stattgefunden.
 

Ich brauch dich!
 

Der Lärm hat die anderen Mutanten in Alarmbereitschaft versetzt. Vorsichtig wagen sie sich nach draußen, um herauszufinden, was eigentlich los ist. Doch da ist das Flaschenbombardement schon vorbei. Schnaubend starrt Logan auf die Scherben. Dann greift er nach dem Plastikkasten und schleudert ihn ebenfalls nach unten. Auch er zerschellt auf dem Vorplatz und hätte Scott dabei fast am Kopf getroffen, als er die Lage auskundschaften wollte. „Verdammt noch mal!“, gibt er empört von sich und starrt nach oben zum Dach. Dort entdeckt er Wolverine. „Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?“, ruft er zu ihm hinauf. Ein überaus bedrohliches Knurren und eiskalt funkelnde Augen sind die einzige Antwort, die er erhält, dann taucht Charles neben ihm auf. „Scott, lass ihn…“ „Aber, Professor…“ „Nein, Scott!“, kommt es bestimmend von dem Mann im Rollstuhl. Resignierend lässt Cyclops die Schultern hängen. Als er dann wieder nach oben zum Dach blickt, ist Logan verschwunden und keiner von ihnen wird ihn bis zur Hinrichtung wiedersehen…
 

Ich brauch dich!
 


 

6
 

Die Box ist ein unglaublich trostloser Ort, dem man selbst seinem schlimmsten Feind nicht wünschen würde. Viele der Mutanten hier sind wirklich böswillige Gestalten, die es nicht anders verdient haben. Doch es gibt auch solche wie Kurt, die es nur bescheidenen Umständen zu verdanken haben, hier gelandet zu sein. Die Zelle, in der Nightcrawler hocken muss, ist winzig. Es gibt kein Fenster, nicht einmal eine Pritsche. Stattdessen liegt eine alte, muffige Decke in einer Ecke. In Anbetracht der Tatsache, dass der Teleporter nicht lange hier sein wird, kein großer Mengel, obwohl es in der Zelle erschreckend kalt und feucht ist. Hier drinnen fühlt es sich fast wie Winter an und nicht wir Anfang Mai. Eine dreckige Stahltoilette rundet den Anblick ab. Ihre silbern glänzende Oberfläche scheint die Luft noch kälter zu machen, vom widerwärtigen Geruch ganz zu schweigen.
 

Einsam und traurig hockt sich Kurt in die Ecke neben der Tür, schlingt die Arme um die langen Beine und ringelt seinen Schweif darum. Die Stunden ziehen sich träge wie Kaugummi dahin. Sein Denken schwankt immer wieder zwischen billigen Gefängnisfilmen und einer seltsamen Unwirklichkeit hin und her. Die Stimmen der anderen Insassen hallen wütend oder verzweifelt durch die langen Gänge, doch der Elf hört sie kaum. Den undefinierbaren Brei, der ihm als Abendbrot serviert wird, rührt er nicht einmal an. Stattdessen versucht er seinen Geist zu reinigen und sich auf das vorzubereiten, was ihn erwarten wird. Irgendwann erlischt das Licht und lässt ihn in vollkommener Dunkelheit zurück. Nun hört er die anderen Mutanten um sich herum tatsächlich, doch die anfängliche Wut ist aus ihren Stimmen verschwunden. Nun klingen sie nur noch einsam, hilflos, verzweifelt, und nicht wenige von ihnen scheinen sogar bitterlich zu weinen.
 

Kurt kann es ihnen gut nachempfinden. Seit seinem Leben im Zirkus hat er sich nicht mehr so allein, missverstanden und hoffnungslos gefühlt. Irgendwann fordert die Erschöpfung aber dennoch ihren Tribut und er versinkt in einen unruhigen und ganz und gar nicht erholsamen Schlaf...
 


 

7
 

Die Zeit vergeht, zumindest glaubt Nightcrawler, dass sie es tut. Da es hier ja kein Fenster und somit auch kein Tageslicht gibt, kann er überhaupt nicht einschätzen, wie spät es ist, als sie schließlich geweckt werden. Das Frühstück und auch das Mittagessen sehen nicht viel appetitlicher aus als das, was man ihm gestern schon serviert hatte, von daher rührt er es ebenfalls nicht an. So oder so hat der Teleporter auch überhaupt keinen Hunger. Und da er bald das Zeitliche segnen wird, ist es nicht schlimm, mal ein paar Mahlzeiten auszulassen. Immerhin wird ihn eine Giftspritze dahinraffen und nicht die Tatsache, dass er langsam und womöglich qualvoll verhungern könnte.
 

In einem richtigen Gefängnis könnten sich die Insassen zumindest darauf freuen, einmal am Tag in den Hof zu dürfen oder zu arbeiten, doch so etwas gibt es für Mutanten nicht. Sie müssen tagein, tagaus nur in ihren Zellen hocken, bis sie entweder hingerichtet werden oder dem Wahnsinn verfallen und dann deswegen beseitigt werden müssen.
 

Irgendwann dann tritt ein Wärter an Kurts Tür. „In einer Stunde ist es soweit, du Abschaum!“, teilt er ihm kalt mit und will schon wieder gehen, als der Elf die Stimme erhebt. „Bekomme ich denn keinen Priester?“, fragt er verwundert, ist es in Filmen doch immer der Fall, selbst wenn der Häftling keinen Glauben mehr hat. Mit flehenden Augen sieht er zu dem Mann empor, der ihn nur voller Verachtung betrachtet. „Sag mal, spinnst du? So was wie du hat gar keinen Priester verdient und schon gar keinen Gott, der dich erhören könnte! Also träum weiter!“ Dann verschwindet der Wärter endgültig und Nightcrawler lässt mutlos die Schultern hängen.
 

Doch Kurt wäre ganz sicher nicht Kurt, wenn er sich davon lange deprimieren lassen würde. Wenn kein Priester zu ihm kommt, dann muss der blaue Fellball eben selbst für seine unsterbliche Seele beten und hoffen, dass Gott ihm nur noch ein allerletztes Mal zuhört. Gewissenhaft geht er daher auf die Knie und faltet die Hände vorm Gesicht. Langsam schließt er die Augen und seine sanfte Stimme gleitet wie Seide durch den kleinen Raum.
 

„Lass Dein Angesicht über mir leuchten und sei mir gnädig. Lass mich Dich nicht aus den Augen verlieren und Deine Spuren in meinem Leben nicht verwischen. Lass mich frei werden von dem, was mich hindert zu Dir hin, und spüren, was mich öffnet. Lass mich vorbereitet sein auf mein Sterben und nicht überrascht werden von der Wahrheit meines Lebens. Lass mich hineinfallen in Deine Liebe und Geborgenheit. Amen.“
 

Wieder und wieder wiederholt er das Sterbegebet, bis schließlich ein weiterer Wachmann an seine Zelle tritt. Laut pocht er mit seinem Schlagstock gegen den dicken Stahl. „Hoch mit dir, Mutant! Zeit für deinen letzten Gang!“ Der große Schlüssel dreht sich bedrohlich im Schloss und dann öffnet sich die Tür. Doch der Wachmann ist diesmal nicht allein, wie Kurt schnell feststellt. Zwei seiner Kollegen sind ebenfalls anwesend. Einer von ihnen hält schwere Ketten in Händen, mit denen sie Nightcrawler auf seinen letzten Weg fesseln werden...
 


 

8
 

Die drei Männer führen ihn schier endlose Gänge entlang, bis sie schließlich an einer Tür ankommen. Als sich diese öffnet, erblickt Kurt zwei weitere Männer. Einen identifiziert er als den Direktor dieser beschaulichen Einrichtung. Der andere trägt einen weißen Kittel und ein Stethoskop um den Hals und dürfte somit wohl ein Arzt sein. Der Raum, in dem sie stehen, ist nicht sonderlich groß. Dominiert wird er von einer Liege in der Mitte, die in den Augen des gläubigen Elfen fast wie das Kreuz aussieht, an das man Jesus damals genagelt hat. Der Anblick lässt einen eisigen Schauer über das Herz des Mutanten hinweggleiten, und zum ersten Mal, seit er hier angekommen ist, empfindet er echte, nahezu allumfassende Furcht. Mit großen, leeren Augen und leicht zitternd verharrt er daher mitten in der Tür und starrt das Gebilde einfach nur an. Die Wärter fackeln jedoch nicht lange und versetzen ihm einen kräftigen Stoß, sodass er beinahe zu Boden stürzt, und drängen ihn damit hinein.
 

Fast schon hektisch sieht sich Nightcrawler nun weiter in dem kleinen Raum um. Hinter dem Kopfende der Liege befindet sich eine Art Kontrollpult mit einigen Monitoren, Schaltern und Knöpfen. Mehrere medizinische Schläuche sind auch sichtbar, die ordentlich an der Seite aufgewickelt sind. Der Tür gegenüber, auf der rechten Seite der Liege, befindet sich ein weißer Vorhang, der scheinbar ein Fenster oder dergleichen verdeckt. Daneben ist eine weitere Tür, die aus schwerem Stahl zu bestehen scheint und mit großen Bolzen verriegelt ist. An der Wand, die sich unweit dem Fußende der Liege erstreckt, steht ein Krankenbett auf Rollen vor einer dritten Tür. Kurt ist sich sicher, dass die Wachen ihn am Ende von alledem auf dieses Bett legen und ihn dann durch diese Tür hinausbringen werden. Und dann wird sein Leichnam entsorgt – vermutlich verbrannt.
 

Ein letztes Mal muss der Elf auch wieder an einen schlechten Gefängnisfilm denken, denn neben der dritten Tür hängt ein Telefon an der Wand. In einem Film würde dieses wohl im allerletzten Moment zu läuten beginnen und der Gefangene doch noch vom Tode freigesprochen werden. Doch diese Hoffnung hat der blaue Teleporter nicht, zeugt die gefühlt zentimeterdicke Staubschicht auf dem Apparat doch davon, dass er vermutlich noch nie geklingelt hat, nicht für einen verabscheuungswürdigen Mutanten.
 

Mehr Zeit zum Umsehen erhält er jedoch nicht, dann schieben ihn die Wachen vor die Liege und drücken ihn dann unsanft mit dem Rücken darauf. Die schweren Ketten werden von ihnen geschickt durch feste Lederriemen ersetzt, die sich nun um seine Handgelenke, Schultern, seine Brust, seinen Bauch, um die Knie und die Knöcheln straffen und ihn damit so fest auf die Liege pressen, dass er nur noch schwer Luft holen kann. Das scheint allerdings niemanden zu kümmern.
 

Langsam tritt nun der Arzt an ihn heran und blickt dabei in eine Akte. Dann betrachtet er Kurt einmal von oben bis unten, nickt anschließend zufrieden und wendet sich wieder dem Kontrollpult zu. Er gibt dem Direktor ein kurzes Zeichen, woraufhin dieser den Vorhang an einer Schnur zur Seite gleiten lässt. Dahinter befindet sich tatsächlich ein Fenster. Dort durch kann man in einem weiteren Raum blicken, in dem etwa ein Dutzend Stühle ordentlich in zwei Reihen aufgestellt wurden. Auf den meisten davon sitzen die X-Men versammelt. Alle tragen aus Sicherheitsgründen diese klobigen Halsbänden, wie es auch Kurt noch immer tun muss. Schlagartig wird dem Elfen klar, dass seine Freunde zusehen werden, wie er das Zeitliche segnet, und abermals krampft sich eine eisige Hand um sein Herz zusammen...
 


 

9
 

Als der Vorhang zur Seite gleitet und die X-Men Kurt dort auf die Liege geschnallt sehen können, springt Logan auch schon entsetzt auf und ballt mahnend die Fäuste. Hoffnungslose Verzweiflung dominiert sein sonst so hartgesottenes Gesicht und lässt ihn auf groteske Weise fast wie ein verschrecktes Kind aussehen. Sein Anblick bricht Nightcrawler das Herz, gleichwohl ist es andersherum genauso. Nachsichtig ergreift Charles den Arm des Kriegers und bringt ihn schwerlich wieder dazu, sich hinzusetzen. Immerhin werden sie ganz genau vom Direktor beobachtet. Und sollten sie sich in irgendeiner Form danebenbenehmen, werden sie von alledem ausgeschlossen und der flauschige Elf muss letztendlich ganz allein sterben. Das begreift auch Logan, auch wenn er nicht mit ansehen will, wie sein Geliebter hingerichtet wird.
 

Mit jedem Tag kehrt die Erinnerung

An das, was geschah zurück

An jenem kalten Frühlingstag
 

Einen Moment wartet der Direktor noch ab, dann drückt er auf den Knopf einer kleinen Sprechanlage, die neben dem Fenster montiert ist. Nun können auch die X-Men hören, was drinnen gesprochen wird, gleichermaßen kann man ihre Stimme in dem Hinrichtungszimmer vernehmen. Förmlich wendet sich der Mann etwas herum. Über die Sprechanlage wirkt seine Stimme leicht verzerrt, ist aber dennoch überdeutlich zu verstehen. „Kurt Wagner, Sie wurden von einem Geschworenengericht zum Tode durch die Giftspritze verurteilt. Ein Urteil, das durch das höchste Gericht dieses Bundesstaates und durch den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika bestätigt wurde. Haben Sie noch etwas zu sagen, bevor das Urteil vollstreckt wird?“, streng mustert er den jungen Mutanten vor sich, als wolle er andeuten, dass Nightcrawler eigentlich nichts zu sagen hat, er diesen Text aber dennoch aufsagen muss.
 

In jenem Augenblick

Du wurdest mir entrissen

Die Natur kennt kein Gewissen
 

Einen Augenblick herrscht ersticktes Schweigen auf beiden Seiten der Glasscheibe. Dann wendet Kurt das Gesicht der Zimmerdecke zu, als würde er hoffen, dort Jemanden zu sehen. seine Stimme klingt fast heiser, erschöpft und dennoch erstaunlich fest. Er wählt seine Worte genau, erst recht, da er in English spricht, damit es auch jeder verstehen kann. „Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte und tilge meine Sünden nach deiner Barmherzigkeit, amen.“
 

Und so muss ich nun weitergehen,

Wenn alle Uhren stehen

Diese Welt wirft tausend Schatten
 

Sichtlich rümpfen die Angehörigen des Gefängnisses die Nase über diesen Ausspruch, sind sie doch einschlägig der Meinung, dass Mutanten nicht an denselben Gott wie alle anderen Menschen glauben können. Die X-Men hingegen werden nur noch mehr von ihrem Schmerz ergriffen.
 

Alles Sein bricht nur das Licht

Und in jedem dieser Schatten

Sehe ich dein Gesicht
 

Ohne großen Aufhebens fährt der Direktor dann auch schon fort. „Das Urteil erfolgt nun durch die Giftspritze.“, verkündet er und gibt dann seinerseits dem Arzt ein Zeichen. Dieser tritt wieder an die Liege heran. Gewissenhaft entrollt er dabei die medizinischen Schläuche. Es sind zwei, an deren Enden sich jeweils eine Venenkanüle befindet. Eine der Nadel sticht er nun in Kurts linken Arm, die andere in seinen rechten. Für die Hinrichtung wird allerdings nur eine der beiden benötigt. Die zweite dient schlichtweg als Sicherheit, sollte die erste aus irgendeinem Grund nicht funktionieren. Mittels einer Elektrode, die der Arzt ihm nun auf die entblößte Brust klebt, wird Kurts Herzschlag auf einem der Monitore sichtbar. Man merkt, dass Nightcrawler aufgeregt ist, dennoch ist er weit ruhiger als es die Todeskandidaten in dieser Situation normalerweise sind.
 


 

10
 

Charles spricht mit Wolverine, versucht ihn zu beruhigen. Er redet schon eine ganze Weile, aber Logan hört ihn nur aus weiter Ferne, und seine Stimme wird von einem Echo in seinem Kopf verzerrt. Es ist, als sitze er in einem tiefen Brunnen und jemand ruft ständig zu ihm hinunter. In ihm wird es auf einen Schlag dunkel, und diese Dunkelheit dient als Hintergrund für eine Serie von Fotographien und Bildern, die nun an seinem inneren Auge vorbeiziehen.
 

Sag mir wie oft,

Sag mir wie oft,

Sag mir wie oft,
 

Alte Kodakaufnahmen von Kurt, wie er ihn zum ersten Mal in seiner Zirkusshow gesehen hat. Ein anderes Bild zeigt den jungen Mutanten zusammengerollt im Kleiderschrank, tief schlafend in der ersten Nacht in der Mansion. Dann, wie sie gemeinsam durch den Dschungel getobt sind. Ein weiteres Bild präsentiert den Gentleman in ihm, als er an einem Lagerfeuer saß und Storm halb schlafend in seine Arme gekuschelt war. Kurts erstes Bier und der unvergessliche Anblick den er am nächsten Morgen mit Kopfschmerzen bot. Ihr erstes Mal in tiefer Erregung vereint. Dann, wie Kurt mit Händen und Füßen zu essen scheint, ehe er begriffen hat, wie man mit dem Besteck umgeht. All die Streiche, die er Logan gespielt hat, wobei er dem Elfen nie wirklich böse sein konnte. Sein herzliches Lachen, so voll naiver Unschuld. Es scheint kein Ende nehmen zu wollen. Alles wirbelt wild und ohne richtige Zeitabfolge an ihm vorbei. Zum Schluss ein Bild von der Live-Übertragung, wo Kurt so kaltherzig anmutend und nicht bei Sinnen den miesen Bürgermeisterkandidaten getötet hat. Der Anfang vom Ende.
 

Wann kann ich gehen?

Sag mir wie oft muss ich noch sterben,

Bis wir zwei uns wiedersehen?
 

Schließlich schüttelt Logan schwach den Kopf, um das alles loszuwerden. Er kann es nicht mehr ertragen. All die schönen Erinnerungen und der schreckliche Mist, der sie hierhergebracht hat. Dann sieht er wieder den Raum vor sich, Kurt auf diese Liege geschnallt wie ein Tier, den Tod vor Augen, und Wolverine weiß, dass es nun bald vorbei sein wird.
 

Nasser, schwerer Sand

Fällt auf dich hinab

Es ist das letzte Bild von dir, was ich im Auge hab
 

Vielleicht hat sich sein kleiner Elf ja wirklich damit abgefunden, so für seine Sünden büßen zu können? Wolverine wünscht es ihm von ganzem Herzen, doch er selbst kann und will sich nicht damit abfinden! Warum muss er nur alles im Leben verlieren, dass ihm etwas bedeutet? Ist das seine Art der Bestrafung für all das Schlechte, das er getan hat? Doch warum müssen dann immer die Unschuldigen darunter leiden?
 

Und über deiner letzten Ruhe

Da weht ein kalter Wind

Herüber zu uns allen
 

Wütend schlägt er mit den Fäusten auf die Armlehnen seines Stuhls. Sanft legt sich Charles´ Hand erneut auf seine. Aber Logan wendet verkrampft den Blick von ihm ab und kämpft mit den Tränen. Einen Kampf, den er kläglich verliert. Er blickt abermals zu Kurt, der ihm ein hilfloses, letztes Lächeln schenkt. Auch in seinen Augen glänzen Tränen.
 

Die wir hier gefangen sind

Und ich warte auf das Ende
 

Unweigerlich fallen Logan die Worte eines seiner alten Kampfmeister ein, die er bisher immer verflucht hatte, da er einfach nicht von dieser Welt gehen darf, egal wie sehr er es sich auch gewünscht hat. Doch nun hofft er, dass sie für Kurt mehr Sinn ergeben, auch wenn der Elf sie niemals hören wird: Feiglinge sterben oft, bevor sie den Tod finden. Doch die Heldenhaften sterben nur einmal. Außerdem fällt ihm schlagartig auch ein altes Sprichwort ein, von dem er nicht mehr weiß, woher er es hat: Mögest du im Himmel sein, eine halbe Stunde bevor der Teufel weiß, dass du tot bist. Und auch davon hofft er inständig, dass es Kurt helfen wird.
 

Es ist Zeit von hier zu gehen

Und wir werden uns in einem

Anderen Leben wiedersehen
 

Einen Moment später tritt der Arzt zurück an das Kontrollpult und bittet zwei der Wachen zu sich. Diese heben einen Finger und legen ihn auf zwei nebeneinander liegende Knöpfe. Auf ein Nicken des Direktors hin, drücken die Wachen sie nieder und besiegeln damit Kurts Schicksal, auch wenn keiner von beiden weiß, wer ihm im Endeffekt die Lichter auspustet, da es reiner Zufall ist, welcher der beiden Knöpfe die tödlichen Chemikalien in Bewegung setzt.
 

Sag mir wie oft,

Sag mir wie oft,

Sag mir wie oft,
 

Auf einem zweiten Monitor können die Gefängnismitarbeiter jedoch beobachten, wie sich eine Kanüle in dem Venenzugang entleert. Sie enthält ein Narkosemittel, das an sich schon so hoch dosiert ist, dass es Nightcrawler in ewigen Schlaf versetzen könnte. Doch darauf verlässt man sich natürlich nicht. Es hilft aber, dass der Verurteilte sich nicht mehr zu Wehr setzen kann. Somit fallen dem jungen Teleporter ziemlich schnell die Augen zu. Wütend stellt Logan dabei fest, dass Kurts Gesicht im Schlaf seit seinem Amoklauf nicht mehr so friedlich ausgesehen hat wie jetzt. Eine echte Schande, dass sein geliebter Elf tatsächlich nur im Tod seinen Frieden damit machen kann.
 

Wann kann ich gehen?

Sag mir wie oft muss ich noch sterben,

Bis wir uns wiedersehen?
 

Eine schier endlose Minute verstreicht, bis sich die zweite Kanüle in den Zulauf entleert. Sie enthält ein Relaxan, das alle Muskeln des Mutanten lähmt, ausgenommen seinem Herzen. Dadurch fängt Kurt langsam an im Schlaf zu ersticken. Davon merkt man glücklicherweise aber nichts, da sich der Elf nicht mehr rührt. Nur sein Herzschlag auf dem Monitor zeigt an, dass er überhaupt noch lebt. Doch er ist schon bedenklich schwächer geworden.
 

Und die Zeit heilt keine Wunden

Sie ist mit dem Tod vereint
 

Aber auch damit geben sich diese Sadisten nicht zufrieden. Oh, nein, wenn die Amerikaner etwas gut können, dann ist es Verurteilte hinzurichten. Mancher Orts fast schon ein Volkssport, der rege besucht wird.
 

Und sie wird mit jeder Stunde

Immer mehr zu meinem Feind
 

Also entleert sich nun auch noch die dritte und somit letzte Kanüle. Sie enthält ein Mittel, das letztendlich das Herz lähmt und dadurch endgültig den Tod herbeiführt. Die Gnade sei mit ihm, dass Kurt das nicht mehr mitbekommen muss.
 

Sag mir wie oft,

Sag mir wie oft,

Sag mir wie oft,
 

Fast schon gebannt starren die Mitarbeiter auf den Monitor mit der Herzkurve. Sie dehnt sich immer weiter, wird dabei stetig flacher und schließlich ertönt das warnende Piepsen, das den Herzstillstand signalisiert. Weitere drei Minuten verstreichen, in denen der Arzt aufmerksam den Monitor im Blick hat, dann erklärt er Nightcrawler offiziell für Tod und die Exekution damit für erfolgreich.
 

Wann kann ich gehen?

Sag mir wie oft muss ich noch sterben,

Bis wir zwei uns wiedersehen?
 

Sichtliche Zufriedenheit legt sich auf die Gesichter der fünf Männer. Dann tritt der Direktor wieder ans Fenster heran. „Es ist vorbei, von daher würde ich Sie nun bitten, ohne großes Aufsehen zu gehen.“, wendet er sich an Charles, der betroffen die Blicke seiner X-Men sucht, die sich daraufhin langsam erheben. Auf der anderen Seite der Scheibe ziehen die Wärter nun ein weißes Laken über den Leichnam und bereiten ihn für den Abtransport vor.
 


 

11
 

Mit hängenden Schultern erhebt sich auch Logan von seinem Platz. Doch er kann einfach nicht mehr an sich halten. Zu lange hat er das alles schweigend ertragen, und nun wollen sie seinen süßen Elfen einfach auf den Müll schmeißen! Das kann er nicht zulassen. Anstatt mit den anderen zum Ausgang zu gehen, wendet er sich zornig um und hämmert dann mit den Fäusten gegen die Stahltür. „Macht sofort auf, ihr dreckigen Schweine, und gebt mir meinen Elfen zurück!“, brüllt er wütend, während sich die anderen X-Men erschrocken umdrehen und ihn davon abzuhalten versuchen. Was dann jedoch passiert, begreift keiner von ihnen auch nur ansatzweise.
 

Sag mir wie oft,

Sag mir wie oft,

Sag mir wie oft,
 

Die Wachen hatten Kurt gerade von der Liege losgeschnallt und wollten ihn nun auf das Krankenbett legen, als Wolverine anfängt gegen die Tür zu hämmern. Das nehmen sie allerdings nicht sonderlich überrascht zur Kenntnis und machen einfach weiter. Sie kommen jedoch nicht dazu, ihre Arbeit fortzusetzen, da beginnen auf einmal alle Lampen im Raum zu flackern. Irritiert halten die Wachen inne und blicken den Direktor an, der aber nur nichtssagend mit den Schultern zuckt. Als die drei Männer erneut Hand an Nightcrawler legen wollen und Logan noch immer wie von Sinnen die Tür misshandelt, fällt das Licht plötzlich sogar ganz aus.
 

Wann kann ich gehen?

Bis wir uns irgendwann in einem

Anderen Leben wiedersehen…
 

Erschrocken verharren auf einmal alle, selbst der aufgebrachte Krieger. Wie aus dem Nichts geht dann flackernd eine Lampe wieder an, und zwar genau die, die sich direkt über dem leblosen Körper des Teleporters befindet. Es wirkt, als wäre ein Scheinwerfer auf ihn gerichtet worden.
 

Nun hat das Ganze nicht mehr den Charme eines schlechten Gefängnisfilms, sondern entwickelt sich immer mehr zu einem Gruselszenario. Als Nächstes beginnt das verstaubte Telefon an der Wand hektisch zu läuten. Überrascht fahren die Männer herum. Keiner von ihnen hat je diesen Laut gehört, außer wenn einmal im Jahr die Funktionsfähigkeit getestet wird.
 

Außerhalb der Box verdichten sich die Wolken am bis eben noch sonnigen Frühlingshimmel und kurz darauf bricht ein heftiges Gewitter los, als wäre es Gottes Zorn persönlich. Doch das ist längst nicht alles. Die schweren Bolzen der Stahltür rucken nun in ihren Aufhängungen und schieben sich wie von Geisterhand zurück. Kaum eine Sekunde später springt die Tür auch schon auf und Logan fällt regelrecht in den Raum hinein. Hinter ihm drängen sich die anderen X-Men unschlüssig zusammen.
 

Erschrocken weichen die Gefängnismitarbeiter zurück, wollen sie dem aufgebrachten Vielfraß doch keineswegs in die Hände fallen. Knurrend bleckt Logan die Zähne und drängt die Männer damit noch weiter von Nightcrawlers Leichnam hinweg.
 

Geistesgegenwärtig nimmt Kitty schließlich den Hörer des immer noch klingelnden Telefons in die Hand und drückt ihn sich ans Ohr. „Hallo...?“, fragt sie vorsichtig. Allerdings bekommt sie keine Antwort, keine richtige jedenfalls. Stattdessen hört sie einen lieblichen Chor aus hunderten Stimmen singen, kann jedoch kein Wort verstehen, da es Lateinisch zu sein scheint.
 

Langsam schiebt sich Storm an Logan vorbei, der noch immer wie ein überaus pflichtbewusster Wachhund die Männer in Schach hält. Zwei Schritte von der Liege bleibt sie allerdings stehen und zuckt heftig zusammen, als plötzlich Kurts leblose Hand herabrutscht und unter dem Tuch sichtbar wird. „Oh Göttin...“, flüstert sich ehrfürchtig. Ihre kaum hörbaren Worte scheinen zu Etwas durchzudringen, das sie weder sehen noch ergreifen kann, und dennoch spürt sie einen Hauch, der an ihr vorbeigleitet und unter das weiße Tuch zu schlüpfen scheint, unter dem Kurts Körper langsam erkaltet.
 

Hilflos tastet Storm nach Wolverines Schulter. Das anhaltende Knurren des Jägers verstummt daraufhin abrupt und er wendet den Blick zur Liege herum, als könnte er Ororos Gedanken lesen.
 

Ein heftiges Husten wird plötzlich unter dem Tuch laut und der eigentlich tote Körper ihres Kollegen beginnt sich schwerfällig zu regen. Überrascht drängen sich die X-Men enger zusammen. Schützend legt Logan den Arm um Storm und zieht sich fest an sich. Doch nur einen Moment, dann befreit sich die junge Frau nachdrücklich von ihm und tritt an die Liege heran. Mit allem Mut, den sie aufbringen kann, zieht sie das Tuch in einer fließenden Bewegung zur Seite.
 

Nun treffen ihre schreckgeweiteten, blauen Augen auf die leeren, gelben Seelen des Elfen, der sie völlig verwundert anstarrt. „Oh Göttin, Kurt! Du lebst!“, bringt sie den Tränen nahe hervor. Nightcrawler schenkt ihr ein sehr erschöpftes Lächeln und setzt sich dann mühevoll hin. „Gott hat mich erlöst, dass ich nicht hinfahre zu den Toten, sondern mein Leben das Licht sieht.“, rezitiert er. Mehr kann er jedoch nicht sagen, weil sich Logan dann überraschend grob an Storm vorbeischiebt und ihn so heftig in seine Arme zieht, dass Kurt regelrecht das bisschen Luft wegbleibt, das er schon wieder schöpfen konnte.
 

„Logan, du – erdrückst mich...“, bringt er erstickt hervor. Wolverine trennt sich kurz von ihm und mustert ihn genau, als könne er nicht glauben, dass der Bengel wieder auf Erden wandert. „Ich – war in Gottes Paradies im Himmel, doch Er meinte, dass meine Zeit noch nicht gekommen ist...“, setzt der Teleporter erneut an. Eine dicke Träne rinnt Wolverines Wange hinab. „Das ist mir scheißegal! Hauptsache du bist wieder da!“, schnieft er unmelodisch. Noch ehe Kurt dem etwas erwidern kann, zieht der Ältere ihn wieder zu sich heran und vereinigt harsch ihre Lippen miteinander.
 

Ein überraschtes Raunen gleitet durch den Raum und dann endet der ganze Spuk genauso plötzlich wie er angefangen hat.
 

Nur ganz langsam trennen sich die beiden voneinander. Mit aufgerissenen Augen starrt Kurt sein Gegenüber an und weiß nicht, was er zu diesem ungewohnten Gefühlsausbruch sagen soll. Der Schwarzhaarige weiß es dafür umso besser. „Ich liebe dich, Elf!“, platzt es nun aus ihm heraus, was ein erneutes Raunen durch den Raum schickt. Die beiden X-Men bekommen es jedoch gar nicht mit. Für sie existieren die anderen im Moment gar nicht.
 

Nun kullert Nightcrawler eine Träne die Wange hinunter. „Ich liebe dich auch...!“, schluchzt er aufgelöst. Logan zieht ihn wieder an sich und küsst ihn innig.
 


 

12
 

Eine Stunde später wird die Anklage gegen Kurt aus unerfindlichen Gründen fallengelassen und er vollends freigesprochen. Und somit endet dieses Kapitel in Leben der beiden X-Men und ein neues wartet schon auf sie als frisch gebackenes Paar!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Gott hat mich erlöst, dass ich nicht hinfahre zu den Toten, sondern mein Leben das Licht sieht.
(Hiob 33,28)

Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte und tilge meine Sünden nach deiner Barmherzigkeit, amen.
(Psalm 51)

Lied: Mireille Mathieu – Ohne dich

Lied: Joachim Witt – Wie oft muss ich noch sterben?

Lass Dein Angesicht über mir leuchten und sei mir gnädig. Lass mich Dich nicht aus den Augen verlieren und Deine Spuren in meinem Leben nicht verwischen. Lass mich frei werden von dem, was mich hindert zu Dir hin, und spüren, was mich öffnet. Lass mich vorbereitet sein auf mein Sterben und nicht überrascht werden von der Wahrheit meines Lebens. Lass mich hineinfallen in Deine Liebe und Geborgenheit. Amen.
(Sterbegeleit) Komplett anzeigen

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