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Trink das Leben in vollen Zügen

von

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Die Hitze des Sommers

Er wusste weder Martis Telefonnummer noch seinen Nachnamen.

Trotzdem hielt er sich an ihre Absprache und buchte neben seinem eigenen Ticket auch Martis, bis zum Bahnhof Braunschweig und reservierte zwei Sitzplätze, diesmal direkt einander gegenüber und am Fenster.

Der andere war die letzten beiden Male rückwärts gefahren, also schien ihm das nichts auszumachen. Jako mochte das auf langen Strecken nicht, ihm wurde übel davon.

Egal, er hatte es bisher immer hinbekommen, seinen Platz in Fahrtrichtung zu reservieren, und es klappte auch diesmal wieder.
 

Es war doch zu dumm, dass er keine Möglichkeit hatte, den anderen anzurufen.

Was, wenn der gar nicht kommen würde? Er kannte ihn ja kaum. Es konnte ja durchaus sein, dass er es sich anders überlegt hatte. Oder ihn einfach an der Nase herum führte ... obwohl, nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Den Eindruck hatte Marti ganz und gar nicht auf ihn gemacht.

Es war schon merkwürdig. Obwohl Jako sich mit dem anderen nur eine relativ kurze Zeit unterhalten hatte, hatte er so etwas wie Vertrauen zu ihm aufgebaut.

Naiv, Joiko, ganz schön naiv, sagte er zu sich selber.

Aber so empfand er nun mal, und er musste sich auch eingestehen, dass er sich sehr auf das Wiedersehen freute.
 

Zwei hektische Wochen vergingen. Er hatte viel zu tun. Es waren zwei Wochen voller lernen und arbeiten. Zwei Wochen voller Musik. Er und sein Bandfreund Felix hatten begonnen, Videos auf YouTube zu veröffentlichen, was riesigen Spaß machte, aber natürlich auch Zeit kostete.

Ein Referat für sein Studium musste verfasst werden, na und die Freunde sollten auch nicht zu kurz kommen.

Jedenfalls verflogen die zwei Wochen wie im Fluge und ehe er sichs versah, stand er schon wieder auf dem Bahnsteig und sah sich nach Marti um.

Ob er wohl kommen würde? Oder ... An das oder mochte Jako gar nicht denken.

Wieder hatte er einen Kaffee bei sich. Das heiße Getränk tat ihm gut, obwohl er ohnehin schon schwitzte, denn inzwischen war es Mitte Juli und die Temperaturen waren seit einigen Tagen hochsommerlich heiß. Hoffentlich würde die Klimaanlage im Zug nicht wieder ausfallen...

Oh Mann.

Und noch während er so über dies und das nachdachte und einen weiteren Schluck Kaffee nahm, legte sich eine Hand auf seine Schulter. Erschrocken fuhr er auf und blickte in die blauen Augen von Marti.
 

„Hey“, sagte er erfreut und auch der andere lächelte ihn sichtlich gut gelaunt an.

„Schön, das du schon da bist!“

Marti kratzte sich etwas verlegen am Kopf.

„Ja“, sagte er, „bin heute etwas eher zum Bahnhof gekommen. Sonst komm ich immer auf die letzte Minute, meine Freunde lachen schon immer darüber. Irgendwann verpasst du noch mal nen Zug, Marti, sagen sie. Aber heute war ich eher hier. Na ja. Und ... jedenfalls schön, dich zu sehen.“

„Ähm ...“ Jako hätte auf das Geplapper des anderen gerne etwas geantwortet. Aber er fand keine Worte, weil ...

Tja ...

Er hatte so ein seltsames Kribbeln im Bauch und seine Kehle war wie ausgetrocknet. Er konnte das gerade nicht zuordnen. Jedenfalls brachte er kein Wort heraus.
 

„Ähm ... hast du mein Ticket?“, fragte Marti.

Jako krächzte, und dann ging es wieder mit dem Sprechen.

„Ja. Ja, klar.“

Er kramte in seiner Tasche und förderte Ticket und Platzreservierung zu Tage.

„Na dann kann ja nichts mehr schiefgehen“, sagte Marti strahlte ihn an.
 

Der Zug fuhr pünktlich in den Bahnsteig ein und sie nahmen ihre Plätze ein.

Jako half Marti, der ein ganzes Stück kleiner war als er selber, wieder mit seinem Gepäck.

Sie machten es sich bequem und dann, als der Zug aus dem Bahnhof fuhr, da ging es mit dem Unterhalten wieder besser vonstatten. Sie hatten viele Gemeinsamkeiten. Sie beide liebten die Musik, und sie beide liebten Berlin.

Sie redeten und redeten und mochten sich immer mehr.
 

Die Landschaft sauste dahin und die Zeit verrann viel zu schnell.

Häuser, Bäume, Autos, Menschen; ein paar Rehe, die über ein Feld sprangen; der Zug sauste an allem vorbei und schenkte der Welt, die an ihm vorüber glitt keine Beachtung.

Und auch die beiden Fahrgäste in Waggon drei auf Platz 76 und 78 hatten kein Auge für die Welt, die sich im gleißenden Sommersonnenlicht von ihrer schönsten Seite zeigte.

Die beiden waren in ihrem Gespräch gefangen, in den Augen und dem Lächeln des jeweils anderen.

Sie genossen die Zeit miteinander und versuchten doch, vor dem jeweils anderen zu verbergen, wie sehr sie sie genossen.

Vielleicht auch deswegen, weil keiner von ihnen beiden sich selbst darüber im klaren war, wie tief die Freude über die Anwesenheit des anderen ging.
 

Jako jedenfalls wurde sich der Tatsache erst bewusst, als Marti in Braunschweig den Zug wieder verlassen hatte und er sich fühlte, als hätte er etwas ganz wichtiges verloren.

Er seufzte.

Großer Gott, Joiko, dachte er, bist du etwa dabei, dich zu verlieben? Na super. Das ist ne ganz blöde Idee.

Er begann zu grübeln. Aber so sehr er auch nachdachte ... es gab, außer jener einen Situation von vor zwei Wochen, wo Jako das Gefühl gehabt hatte, der andere würde flirten, keine Anzeichen mehr dafür. Und das konnte er sich auch eingebildet haben. Aber bei Lichte betrachtet wusste er nicht, ob Marti ihn ... nun, etwas mehr mochte. Er wusste ja nicht einmal, ob Marti überhaupt auf Männer stand. Mal ehrlich, wie wahrscheinlich war das denn? Rein statistisch lagen die Aussichten darauf bei deutlich unter zehn Prozent.
 

Andererseits, wenn man sich gerade verliebt, helfen einem Statistiken nun auch nicht weiter.

Was also tun?

Und Jako beschloss, das zu tun, was ihm im Moment am vernünftigsten erschien, nämlich gar nichts.

Sie hatten verabredet, dass er sich wieder um die Tickets für sie beide kümmern würde für die Fahrt in zwei Wochen. Also würde er das tun und ansonsten einfach die Zeit mit Marti genießen. Und abwarten.
 

Er stöpselte sich die Kopfhörer seines Handy in die Ohren und begann, sich durch seine Musikdateien zu scrollen.

Schließlich entschied er sich für „Filter.“

Ja, nach so was war ihm jetzt zu Mute.

Er versank in der Welt der Musik, doch Martis blaue Augen sah er selbst dann vor sich, als er später in eine Art Dämmerschlaf versank.



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