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In another life the sea is in the sky (Teil 1)

Searching for the smile of the moon
von

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3600 Jahre zuvor
 


 


 

Lan Wangji schaute einen Moment über die robuste Mauer der vor ihm liegenden Stadt, als sein Blick zurück auf das prächtige, hölzerne Eingangsportal zurückfiel. Die aufwendigen Schnitzereien, die dieses zierte und welche mit satter Goldfarbe hervorgehoben wurden, zeigten jedem Reisenden, dass ihn ein florierender Ort willkommen hieß.
 

Es war einige Zeit vergangen seit er eine Stadt besucht hatte, fühlte er sich immer noch ein wenig unbeholfen zwischen all den unruhig umhertreibenden Menschen und ihren manchmal wunderlichen Sitten und Gebräuchen.
 

Er hatte nicht gedacht, dass ihn seine Reise mit derart vielen ungewohnten und oft auch unverständlichen Eindrücken konfrontieren würde.
 

Es ließ ihn die Stille und Abgeschiedenheit der Wolkenschlucht missen.
 

Dass er die Welt der Menschen durchwanderte, war ein Ritual seiner Familienlinie, war er ein direkter Nachfahre ihrer Heiligkeit Lan An.
 

Man mochte zu mehr Vorsicht angehalten haben, nach dem unrühmlichen Ende seines Vaters.
 

Die Liebe seiner Eltern ein Exempel dafür, das auch die tiefsten und aufrichtigsten Gefühle ihren Wert verloren, wenn beide Herzen zu angeschlagen waren.
 

Das eine, kraftlos-müde.
 

Das andere, egoistisch-blind.
 

Er selbst hatte jedoch nicht vor, sich von seinem Pfad abbringen zu lassen.
 

Er wollte schlicht seinem Bruder eine verlässliche Stütze sein können, mit all dem gesammelten Wissen und gemachten Erfahrungen, sollte der Tag kommen, wo dieser einmal den höchsten Rang ihrer Bestimmung übernehmen würde.
 

Zwei Jahre in dieser Welt.
 

Mehr sollte es nicht bedürfen die Menschen soweit studiert zu haben, um ihr Streben nachvollziehen zu können.
 

Er zog sich seinen dǒulì (spitzkegeliger Strohhut) etwas weiter ins Gesicht, festigte den Griff seiner Hand um sein Schwert und durchquerte das Tor in grazilen Schritten.
 

Für seine Wanderschaft verkörperte er nicht mehr als einen schlichten yóuxiá (wandernder Held).
 

So hatte man ihn genannt, wann immer er denen in Not zu Hilfe gekommen war.
 

Er hatte seine äußere Erscheinung ebenso denen der Menschen angepasst. Seine Kleidung eher simpel und praktisch, aus robustem Stoff, für kalte Nächte und regenreiche Tage. Wie er auch sein Schwert mit etwas Magie belegt hatte, um es zwar zweckbereit aber sonst eher unauffällig bei sich tragen zu können.
 

Es machte ihm das Umherziehen einfacher, wenn man ihm keine zu große und ungewollte Aufmerksamkeit zukommen ließ.
 

Die Regeln seiner Gesinnung forderten dazu auf, Leben zu bewahren, sofern seine Hilfe nicht den natürlichen Lebenszyklus stören würde.
 

Unter den Menschen gab es stets Probleme und Nöte, die diese oft genug nicht mehr selbst zu bewältigen im Stande waren.
 

Sie waren so zerbrechlich in ihrer Existenz.
 

So widersprüchlich.
 

So naiv und schreckhaft.
 

Sie erschienen wie ein vergessener Zeitvertreib ihrer Schöpferin.
 

Die Menschen blickten wie Kinder zu den Göttern auf, um sich von ihnen führen zu lassen, und es war faszinierend in ihrer Simplizität.
 

Letztendlich stärkte deren inniger Glaube ihren Einfluss.
 

Versah die Unbeweglichkeit ihrer Ewigkeit mit Kurzweil und ab und an auch einer eigenen Art von Zuneigung, für die hilflosen, und für ihre Welten so schnell dahinwelkenden Existenzen.
 

Seine Schritte führten in vorbei an lauten und geschäftigen Straßenständen, die allerlei weltliche Dinge darboten.
 

Menschen liebten die Vielfältigkeit ihrer Speisen, den Zauber bunter Stoffe und die schmeichelnder Schmuckstücke.
 

Ihn verlangte es nach nichts davon.
 

Einzig ihre Bücher und Schriften hielten sein Interesse und er suchte in jedem Ort, in jeder großen wie kleinen Stadt nach neuen Quellen.
 

Er trug einen kleinen, etwas zerschundenen Band mit Poesie mit sich, den er einst in einer verlassenen Hütte fand, in welcher er einige Tage des letzten Winters verbracht hatte, war der Schnee hoch genug gefallen, dass es ihm das Vorankommen schwer machte.
 

Man hatte den Großteil seiner Kraft versiegelt, bevor er sein zu Hause verließ.
 

Es förderte das Verständnis für einige Dinge in dieser Welt, wenn er sie nicht nur mit einem Fingerzeig zu seinen Gunsten befehligen konnte.
 

Er war noch immer von göttlicher Existenz, dass keine Waffe, keine Krankheit der Menschen ihn würde Schaden zufügen können, doch lag selbst in ihrer fragilen Art des Seins eine gewisse Faszination, die er zu studieren begonnen hatte.
 

Es wurde unruhiger, je näher er einer Ansammlung vor ihm kam und schließlich einen Jungen am Boden ausmachen konnte, der sich in einer Auseinandersetzung mit einem Mann in gehobenen Kleidern befand. Der Spott den dieser dem Jungen entgegenbrachte, nur ein Mittel, um diesen vor den Zuschauenden noch mehr zu demütigen.
 

Es war eine dieser Seiten der Menschen, die er verstörend in ihrer Sinnlosigkeit empfand.
 

Was konnte dieser bauchige und in seiner Statur überlegene Mann, nur darin finden, einem ihm derart  unterlegenem Kind, mit solch einem Maß an Verachtung zu begegnen?
 

Dann jedoch richtete sich der Junge auf und mit einem unerwarteten Feuer in den Augen, putzte er sich den Schmutz von seinen lumpigen Kleidern und hob folglich seinen Kopf in einer Geste des Darüberstehens.
 

„Kein Wunder, das die Madam sie für Máo Qīngzhí hat sitzen lassen. Weder gut im Bett, noch mit den Finanzen.“, meinte der Junge darauf selbstbewusst und mit einem mokanten Lächeln. Die Menge um ihn herum begann zu wispern und ihr Lachen hinter langen Ärmeln oder aufwendig verzierten Fächern zu verstecken.
 

Lan Wangji setzte sich in Bewegung, noch bevor der vor Wut schnaufende und rotangelaufene Mann seine Hand gänzlich hätte heben können, um sie in einem brutalen Hieb auf den Jungen niedergehen zu lassen, als ihm jemand zuvor kam.
 

Seine übermenschlichen Sinne mochten abgeschwächt sein, doch entging ihm dennoch nicht diese seltsame und sumpfig wirkende Aura, die den Fremden umfing.
 

Gesunde Menschen, wie auch Tiere, umgab ein solider silberner Schein ihrer Lebensenergie, wo hingegen bei Kranken und Schwachen dieses Licht zu dimmen begann.
 

Solch eine Aura jedoch, sprach von unreiner Energie. Dennoch war sie weder die eines Dämonen Biestes noch die einer untoten Kreatur.
 

Die Hand des grollenden Mannes blockte man mit dem Vorhalten einer schwarzen Bambusflöte, deren rote Quaste sich wie der Blütenkopf einer Spinnenlilie seicht im Wind wiegte und es den darüber eingeknüpften Ring aus Silberobsidian zum Funkeln brachte.
 

Der Mann der dieses Instrument führte, war in ebenso schwarze, simple, wenn auch etwas staubige Stoffe gekleidet. Mit robusten Lederstulpen an beiden Unterarmen.
 

Seine Haare waren offen, und fielen ihm in etwas ungezähmten Strähnen über die entspannt gehaltenen Schultern. Ein rotes Band war darin eingeflochten dessen Enden im leichten Wind spielten.
 

Doch war das ungewöhnlichste Merkmal, das dieser eine Maske über seinen Augen trug.
 

Es erinnerte ihn an die umherreisenden Schausteller, denen er auf seiner Wanderschaft ab und zu schon begegnet war und deren bunte und unterhaltsame Aufführungen er sich manches Mal angesehen hatte.
 

„Na, na. Warum so aufgebracht guter Mann? Jeder hat so seine Schwächen. Es muss ihnen wirklich nicht peinlich sein.“, meinte der Fremde in Schwarz in einem lockeren Ton. „Sehen sie, ich bin ebenfalls nicht gut mit den Finanzen, aber warum sollte man es einem verübeln? Das Leben ist zu kurz um knausrig zu sein, nicht wahr?“ Dann gab er dem Jungen mit einem Kopfzeig an sich aus dem Staub zu machen, der dem auch sofort folgte.
 

„Dreckiger Bastard, was geht es dich an, wenn ich einer Straßenratte Manieren beibringen will!?“, spuckte der plumpe Herr aufgebracht.
 

Das unbedarfte Lächeln das der Fremde in Schwarz zuvor noch auf den Lippen gehalten hatte, zog sich in ein scharfkantiges, einseitiges Grinsen.
 

„Die Madam hat wirklich gut daran getan, sich mit jemand anderen auf und davon zu machen. Ich wette all diese überheblichen Gebärden, sind nur dazu da, um von einem zu kurzen Schwanz abzulenken, oder?“
 

Es war als hätte man einen Bullen mit einem zu kräftigen Peitschenhieb getroffen, als der Beschuldigte ein wutentbranntes Brüllen von sich gab und versuchte den anderen am Kragen zu packen.
 

Aber sein Gegenüber war mehr als gewandt, als man diesem Angriff ohne weiteres auswich.
 

Die schnaubende Gestalt strauchelte tölpelhaft, auf das man sie mit einem leichten Tritt in den breiten Hintern lächerlich einfach zu Boden schicken konnte.
 

Die Schaulustigen lachten nun lautstark und unverblümt, zeigten sie genau so wenig Anteilnahme zu dessen Situation, als sie es zuvor bei dem Jungen getan hatten.
 

Solange sie nicht diejenigen waren denen der Spot zuteilwurde, schien man sich damit zu begnügen einfach nur Drumherum zu stehen und sich unterhalten zu sehen.
 

Lan Wangji schüttelte verständnislos seinen Kopf, über solch eine selbstbezogene Lebensweise.
 

Je wohlhabender eine Gegend war, umso egoistischer ihre Bewohner.
 

Der gewichtige Mann am Boden, wandte sich einen Moment in seinem Unvermögen sich wieder aufrichten zu können, als der Fremde sich zu ihm beugte und etwas zu murmeln schien, was diesen schlagartig in seinem Gezappel innehalten ließ und sein Gesicht sichtlich blasser wurde.
 

Dann half der in Schwarz Gekleidete diesem auf, klopfte ihm etwas Staub von den leicht zittrigen Schultern und lächelte zufrieden.
 

Der Nobelmann verbeugte sich sogar noch vor diesem und drängelte sich darauf in hektischen, kurzen Schritten durch die Menge und verschwand.
 

Dann trafen sich ihre Blicke unerwartet, auf das der Fremde ihm ein spitzbübisches Lächeln zeigte, während sich die Menge zu lichten begann und jeder wieder seines Weges ging. Als wäre es nicht äußerst seltsam gewesen, wie dieses Schauspiel gerade zu seinem abrupten Ende gekommen war.
 

Der Fremde war mit einem Male im Getümmel verschwunden, keine Spur mehr von der befremdlichen Aura, die er zuvor noch hatte wahrnehmen können.
 

Sollte er es darauf beruhen lassen?
 

Es war nicht seine Aufgabe, sich solcher Dinge anzunehmen, wenn es kein offensichtliches Unheil mit sich brachte.
 

Ob Biest, Geist oder Dämon, auch sie waren Teil eines Gleichgewichtes im Kampf des Überlebens.
 

Solange kein unwiderrufliches Chaos durch diese entstand, war es nicht an ihm über ihr Dasein zu richten.
 

Somit beließ er es vorerst bei dieser Begegnung und erkundete weiter die Straßen der Stadt.
 


 

Es war das stets entsetzte Gemurmel der Leute in den Gassen, das er über die folgenden Tage einfangen konnte, die von einem Monster sprachen, das in den angrenzenden Wäldern sein Unwesen treiben solle und dem der ein oder andere schon zum Opfer gefallen sein musste, fand man meist nur noch einzelne Knochenreste und Fetzen von Kleidung, zurückgelassen auf totem Boden, das Lan Wangji´s Interesse geweckt hatte.
 

Sollte sich hier tatsächlich solch eine mordlustige Kreatur umhertreiben, wäre nicht auszuschließen, dass sie sich mit jedem Opfer auch näher an die Stadt heranwagen würde.
 

Er hatte sich den Weg weißen lassen, von angstgezeichneten Stimmen und zittrigen Fingern die ihm die Richtung deuteten, auf das er sich als bald auf einem kargen Stück Waldboden wiederfand. Bäume standen geneigt das ihre Wurzeln hervorragten, oder waren gespalten, als habe eine übernatürliche Kraft sie in zwei gerissen.
 

Das Gras und Buschwerk war braun und leblos, zerfiel zu Staub bei jedem Schritt den er darauf tat.
 

Ein Knochen fiel ihm ins Auge und er blickte sich um. Hörte dem Wind zu, ob er hier auch wirklich allein wäre.
 

Er begab sich auf eine kleinere Anhöhe, setzte sich auf einen der verwitterten Steine und mit einer eleganten Bewegung seiner Hand, ließ er eine Zither vor sich erscheinen. Ihr Holz dunkel und edel, verziert mit kunstvollen Filigranen.
 

Vielleicht könnte ihm eine Seele die hier noch umherwanderte etwas erzählen.
 

Er stimmte die erste Saite an, brachte sie mit einem tiefen Ton zum Vibrieren.
 

Es war eine Kunst die über Generationen schon durch die Adern seines Clans floss. Jede Note das Ausstrecken einer Hand in das Reich der Verstorbenen, um ihre Hilfe zu erbitten.
 

Doch egal wie lange er auch spielte, es war kein Funken einer verbliebenen Seele einzufangen. Nicht einmal die eines Tieres, was Anzeichen genug war, dass hier etwas Unheiliges sein Unwesen getrieben haben musste.
 


 

Es störte ihn nicht des Nachts durch den Wald zu streifen, waren solche Wesen meist an die Dunkelheit gebunden und die Stille machte es einfacher ungewöhnliche Begebenheiten zu bestimmen.
 

Erster Nebel schlich zu seinen Füßen dahin. Der halbe Mond ein schläfriges Auge am nächtlichen Himmel.
 

Ein klammer Wind brachte die trägen Kronen der Bäume zum Flüstern und Lan Wangji schloss seine Augen. Konzentrierte sich auf die Essenz der ihm umgebenden Natur und was diese zu stören vermochte.
 

Dann spürte er etwas.
 

Wage aber beständig.
 

Mit raschen Schritten, die kaum den Boden zu berühren brauchten, näherte er sich dieser unnatürlichen Präsens, als er plötzlich das dunkle aber melodische Spiel einer Flöte vernahm und es ihn kurz innehalten ließ.
 

Jeder Note hing eine seltsame, bindende Energie an.
 

Als würde sich der Klang an allem festhalten, dass er auf seinem Wege streifte, er es markierte und weiterzog.
 

Als würde er auf der Suche nach etwas sein.
 

Der überwältigende Geruch von Schwefel und verrottendem Fleisch, traf ihn unerwartet und mit solch einer Wucht, dass es ihm seine Sinne trübte und er etwas ins Straucheln geriet.
 

Ihm war bis jetzt noch nichts auf seiner Reise begegnet, das er als derart überwältigend empfunden hatte, und er fühlte sich in diesem Moment unsäglich menschlich in seiner Irritation.
 

Fest presste er einen Ärmel über seine Nase und suchte nach der Quelle dieses unheiligen Gestanks, der nach und nach in seinen Körper zu kriechen schien, schmeckte er die Bitterkeit der Fäulnis auf seiner Zunge und spürte das brennen des Schwefels in seinem Inneren.
 

Was war dies nur für eine Kreatur?
 

Abermals drang das Flötenspiel an seine Ohren, doch diesmal waren die Töne schrill und aggressiv. Es brachte ihm die Klarheit in seinen Geist zurück und er folgte der ungewohnten Melodie erneut.
 

Es war nicht ganz einfach, schien diese mit einem Male von allen Seiten zu erklingen, doch fixierte er sich schließlich wieder auf diese Aura, die er unter all den anderen Einflüssen die ihn umgaben noch ausfindig machen konnte.
 

Die Gestalt die er auf dem höchsten tragenden Ast eines halbtoten Ginkgo-Baumes ausmachen konnte wirkte übersinnlich in ihrer dunklen Anmut. Schattenartige Schwaden, gleich einem Rudel wilder Hunde, wirbelten zu ihrem Flötenspiel um sie herum, als warteten sie ungeduldig auf Beute.
 

Befehligte diese Gestalt womöglich die Kreatur die hier ihr Unwesen trieb?
 

Er hatte diesen abscheulichen Dunst auch erst wahrgenommen als er die Flöte gehört hatte.
 

Eine Finte ihre Opfer auszuschalten, bevor man sich an ihnen zu schaffen machte?
 

Doch was auch immer diese Gestalt war oder befehligte, es war keine menschliche Präsenz die von dieser ausging.
 

Er würde somit kein unschuldiges Leben riskieren, und er diesen Vorkommnissen womöglich schon einen Ansatz nehmen können, indem er ihr zuerst Einhalt gebot.
 

Mit einer raschen Handbewegung ließ er Bichen, sein treues Schwert, aus seiner Hülle gleiten, dessen hellblaues Licht durch die Dunkelheit schnitt, geradewegs auf die Gestalt zu.
 

Wie aufgeschreckte Krähen stoben die schwarzen Nebel auf, und ließ das Flötenspiel abrupt verstummen, als Augen rot wie sonnengeküsster Granat seinen Blick fanden und diese dem Weg des Schwertes in einer ebenso nebulösen Bewegung auswich.
 

Wangji sich das gefällige Lächeln auf dem diffusen Gesicht wohl nicht nur einbildete.
 

„Na, nur nicht so hitzköpfig.“, hörte er es raunen. „Der Spaß wird für uns beide reichen.“
 

Das anhaltende Knacken und Ächzen von aufreißendem Holz teilten seinen Fokus, auf das ein spürbares Beben durch den Boden wallte, ebenso das wenige Leben aufschreckte, das sich hier versteckt hielt und nun ängstlich flüchtete.
 

„Was hab ich gesagt?“ Die Stimme war zu nahe an seinem Ohr, das es ihn sofort herumwirbeln ließ, Bichen kampfbereit in seiner Hand.
 

Die Gestalt stand nur wenige Schritte vor ihm, doch zeigte sie keine Einschüchterung.
 

Eher grinste diese unbeirrt.
 

Nun wo sie sich so direkt vor ihm befand, war es auch möglich sie besser zu sehen.
 

Ihr Gesicht war von eleganten Zügen. Wirkte auf den ersten Blick, ebenso etwas geisterhaft. Das Granatrot war onyxfabenen Iriden gewichen, ließen sie auf eine andere Art unirdisch erscheinen. Sie trug ihr langes Haar hauptsächlich offen und simpel, mit einem Hauch von silbernem Mondlicht, das sich darin verfangen hatte. Ein schlichtes rotes Haarband, züngelte im aufkommenden Wind, welches ein Paar der vollen Strähnen zusammengebunden hielt.
 

Es erschien ihm bekannt.
 

Sein Hànfú (Überbegriff für chin. Gewandung) war in einem kalten Aschgrau gehalten der einzige Kontrast die roten flammenartigen Stickereien an den weiten Ärmeln des Dàchǎng (äußere, offene Robe mit weiten Ärmeln) und der rote Kragensaum seiner unteren Robe.
 

Sein Blick fiel auf dessen Hand in welcher sie noch immer die Flöte hielt.
 

Dieser Anhänger.
 

Der Mann mit der Maske von vor zwei Tagen?
 

Leichtes Flügelschlagen reichte an seine Ohren auf das eine dreibeinige Krähe auf der Schulter des Fremden landete, ihm in einem heißeren Krächzen etwas mitzuteilen schien, nickte der Mann kurz und strich ihr über das Köpfchen. Mit einem leichten Schnitt des Daumennagels in den Zeigefinger derselben Hand, ließ er etwas Blut hervorquellen, tropfte der Krähe, wie zur Belohnung, etwas davon in den geöffneten Schnabel.
 

Es war zweifelsohne ein unreines Ritual, doch hatte er nicht viel Zeit, weiter darüber nachzudenken.
 

Das Toben näherte sich unaufhaltsam, das er nicht weiter auf seine Beobachtungen eingehen konnte, als abermals dieser faulige Geruch die Luft um sie herum bestimmte und es ihn abermals mit prickelndem Unbehagen ausfüllte.
 

Doch zeigte er vor dem Fremden keine Schwäche, sollte dieser darauf aus sein, ihn zu einem seiner Opfer machen zu wollen.
 

Dann sah er die ersten Schatten des Ursprungs, der seltsam unbeständig in seiner Form wirkte.
 

Wie quellender Schlamm.
 

„Es scheint aufgeregt zu sein.“, hörte er den Fremden murmeln, der ihm keine Beachtung mehr zu schenken schien.
 

Aber Wangji würde sich nicht unachtsam geben.
 

Die Krähe stieg wieder in die Nacht auf.
 

Bichen war noch immer auf den Fremden gerichtet, als dieser ihn wieder ansah. Durchdringend und prüfend.
 

Ein verzerrter, gurgelnder Laut drängte an sie heran, gefolgt von einem Arm aus pulsierender schwarzer Masse die geradewegs auf ihn zuhielt. Wangji konnte der Substanz ausweichen, doch zeigte sich ein gezielter Schwerthieb als vollkommen unnütz, kroch die stinkende Materie schlicht seine Klinge entlang, das er diese rasch wieder zurückzog und sich weiter davon entfernte.
 

Ein weiterer dieser Arme, jedoch massiger als der erste tauchte zu seiner Rechten auf.
 

Wie eine gerissene Bogenschnur peitschte dieser nach ihm, dass er nur auf einen der nächsten Bäume ausweichen konnte. Hoch genug, das er vorerst die Möglichkeit fand sich ein genaueres Bild von der Lage machen zu können.
 

Das wenige Mondlicht verschwand hinter einem Wolkenband, das er ohne seine ausgeprägteren Sinne kaum etwas hätte erkennen können.
 

Die Arme schlängelten sich am Stamm seiner Zuflucht hinauf, schienen aber nur eine gewisse Distanz überbrücken zu können, dass sie ihn nicht erreichten.
 

„Es weiß das sie etwas Besonderes sind.“, vernahm er die Stimme des Fremden erneut, und tat beinahe etwas, das er von den Menschen als Fluchen aufgegriffen hatte.
 

Rasch wandte er sich um, wo er den anderen ein paar Äste über sich vorfand.
 

Dieser wirkte nachdenklich.
 

„Ich bin mir nicht sicher, was es ist oder woher es kommt. Alles was ich über die letzten Wochen herausfand ist, das es nur an Nächten auftaucht an denen der Zyklus des Mondes seine Mitte erreicht hat.
 

Es scheint zudem nicht nur darauf aus zu sein seinen Hunger zu stillen, indem es Menschen verschlingt, sondern auch ihre Seelen in sich aufnimmt.“ Wangji war sich nicht sicher, warum der Fremde ihn dies wissen ließ.
 

Womöglich eine weitere Finte, um ihn in irgendeine Unpässlichkeit zu locken?
 

Jedoch würde es erklären, warum er zuvor nicht in der Lage gewesen war, wenigstens eine umherziehende Seele ausfindig machen zu können.
 

Etwas stieß kräftig gegen den Stamm des Baumes, das es diesen zum Zittern brachte und ein Blick nach unten zeigte, dass sich die Arme nun darum gewunden hatten. Es machte den Anschein, als wollten diese mit ihren schiebenden und reißenden Bewegungen, den gesamten Baum aus seiner Verwurzelung zwingen.
 

„Es wird nicht aufgeben, solange ihm etwas so schmackhaftes vor der Nase baumelt.“, meinte der Fremde mit so etwas wie Erheiterung in der dunklen Stimme.
 

Und er mochte nicht wirklich Unrecht haben, war für solche Kreaturen das Jagen nach reinstem líng qì,(spirituelles Qi) wie das Jagen eines Tigers nach Beute.
 

Das Splittern von Holz war zu vernehmen und sie beide suchten sich auf einem anderen Baum Zuflucht.
 

Wangji beobachtete das Unding eingehender.
 

Sein Angriff vorhin hatte ihm nichts getan und er war momentan nicht in der Form, um es irgendwie anderweitig bändigen zu können, geschweige denn es zu vernichten.
 

Nur würde es nur noch mehr Schaden anrichten, wenn man sich ihm nicht annahm.
 

„Ich könnte etwas Unterstützung gebrauchen. Wie wär’s?“ Wangji starrte auf den Fremden, als habe dieser ihn beleidigt, erntete dafür aber nur ein leichtes Grinsen und ein anzügliches Zwinkern.
 

„Wir werden nicht viel weiter ausweichen können, wenn der eigentliche Körper dieser Kreatur hier auftaucht. Das dort…“, er deutete auf die sich windenden Arme am Boden. „…sind nur seine Ausläufer.“
 

„Wie?“, erkundigte sich Wangji knapp, doch schien man ihn auch so ausreichend zu verstehen, wurde das Grinsen des anderen deutlich breiter.
 

„Ich werde es mit meinem Flötenspiel im Zaum halten, es träge genug machen, dass man seinen Angriffen einfacher ausweichen kann. Dann müssen die hier, an ihm angebracht werden.“ Man hielt ihm ein Bündel Papiertalismane vor. Die Symbole darauf waren fremdartig und mit einer martialischen Energie versehen, die ihm selbst ein unwohles Gefühl verschafften.
 

„Sie müssen präzise platziert werden, damit es funktioniert. Ich kann das Flötenspiel jedoch nicht unterbrechen, was es schwer macht sie anzubringen.“
 

Wenn dies alles eine Falle wäre, um ihn hinein zu locken, wäre diese Bitte der wohl offensichtlichste Versuch.
 

Wangji verengte seine Augen und griff sein Schwert etwas fester, während er den Fremden fixierte.
 

Dieser schaute für einen Moment ahnungslos.
 

Ein „Ah…“, folgte, wohl in der Erkenntnis, warum er ihn derart misstrauisch bedachte.
 

„Wir können gern die Rollen tauschen, wenn sie das Flötespielen und die Melodie beherrschen, nur zu.“
 

„Lass mich die Melodie hören.“, wies Wangji ihn störrisch an, war diese ganze Situation etwas das ihn mit immenser Anspannung versah, um auf der Hut zu bleiben.
 

Der Fremde zuckte kurz mit den Schultern und setzte sich seine Dízi an die blassen Lippen.
 

Es war dieselbe schrille Melodie die er zuvor schon vernommen hatte, mit ihren aggressiven Tonfolgen und dem chaotisch wirkendem Rhythmus.
 

Dennoch war die kraftvolle Magie darin greifbar, mit all ihren blutroten, spitzen Zähnen und messerscharfen Klauen.
 

Wangji wandte seinen Blick auf die Arme und ihr lethargisches Zucken.
 

Die Melodie begann sich zu wiederholen und er ließ seine Gǔqín vor sich erscheinen und begann die Essenz dieses ungezähmten Stückes zu imitieren. Was für die Flöte gieriges Maul und wilde Pranken, war für seine Magie eisige Kälte und blendender Frost.
 

Die Flöte verstummte, gefolgt von einem beeindruckt klingenden Raunen.
 

„Kein Wunder, das es hinter ihnen her ist.“, hörte er es noch murmeln.
 

Wangji schaute abermals auf die schwarze, wulstige Masse, die noch immer hilflos gebannt erschien.
 

Anscheinend hatte er es richtig übernommen.
 

„In Ordnung!.“ Der Fremde klang enthusiastisch, wenn nicht gar kindlich aufgeregt, was sich auch in dessen ungewöhnlichen Augen wiederspiegelte, durch die er ein flüchtiges rotes Leuchten huschen sah.
 

„Ich vertrau ihnen.“, hörte er ihn tatsächlich sagen, auf das er ihm abermals eines dieser koketten Zwinkern schenkte, bevor er sich mit weitläufigen Sprüngen auf den Weg machte und Wangji ihm mit etwas Abstand folgte.
 

Noch immer könnte es ein abgekartetes Spiel sein, das man hier aufzog.
 

Denn irgendetwas an dem Fremden war merkwürdig paradox.
 

Sie hielten gradewegs auf den riesigen, unförmigen Leib zu, von dessen Inneren ein ominöses rotes Leuchten einzufangen war und der nicht abwartete nach ihnen auszuholen und sie auseinander trieb.
 

„Jetzt wäre es angebracht.“, hörte er die immer noch amüsierte Stimme des Fremden, auf das Wangji keine weitere Zeit verschwendete.
 

Seine Melodie zog sich wie fallende Schneekristalle durch die unerträglich stinkende Luft, welche sich mit jeder weiteren angeschlagenen Note zu einem Blizzard wandelte, die die Kreatur in ihren Bewegungen träge und orientierungslos machte. Doch nicht gänzlich zum Innehalten brachte, war ihr Körper weitaus massiger, als ihre Arme.
 

Dennoch schien es dem Fremden auszureichen, war er in fließenden Bewegungen um die Kreatur getanzt und hinterließ mit jedem Schritt einer dieser Talismane an ihrem Leib.
 

Wangji konnte verfolgen wie dieser schließlich ein blutrotes Siegel mit seinen Fingern in die Luft zeichnete.
 

Die Talismane leuchteten daraufhin ebenso auf und Ketten aus glühender roter Energie zogen sich wie Schlangen über die Kreatur und brachten sie dazu einen verstörten, kehligen Laut von sich zu geben, während sich die Fesseln um sie immer enger zogen. Die Materie zum Zischen und Brodeln brachten.
 

Der Fremde stand nicht unweit davon entfernt, konzentriert darauf, dass sein Siegel nicht brechen würde.
 

Wangji konnte erahnen wieviel Energie es kosten musste, dieses Wesen im Zaum zu halten.
 

Diese Energie war unrein, wie die Kreatur, die sie festhielt und doch war da etwas das er nicht recht zu deuten vermochte.
 

Etwas Klares.
 

Etwas Unbeflecktes.
 

Die Kreatur stöhnte und jammerte und wurde merklich schwächer.
 

Ein plötzliches Zittern ging durch den Fremden, gefolgt von einem angestrengten Husten und dem Spucken von Blut, das er sein Spiel beinahe unterbrochen hätte, als dieser ihm ein vehementes „Noch nicht!“, zurief.
 

Es war nicht mehr übrig als eine mickrige Anhäufung der einst so voluminösen Kreatur, als der Fremde mit einem schweren Keuchen in die Knie sackte und Wangji sein Spiel zu Ende brachte.
 

Selbst wenn dieser Rest noch Leben in sich tragen sollte, sollte nun auch er ohne weiteres damit fertig werden können.
 

Er begab sich zu dem Fremden, doch noch bevor er ein Wort an ihn hätte richten können, schnellte etwas auf Wangji zu, dem er nicht rasch genug ausweichen konnte.
 

Das Brennen, das sich von der getroffenen Stelle an seiner Hüfte, durch seinen Körper zog, war gierig in seiner quälenden Intensität, das er es nun war der zu Boden sank.
 

War er letztendlich doch in eine Falle gelaufen?
 

Er schaute auf den Fremden der mit bloßen Händen einen dieser Arme der Kreatur gepackt hielt und diesen mit seiner roten Energie zum Winden und Schrumpfen brachte.
 

Doch verlor Wangji nach und nach den Fokus, fühlte es sich an als würde ein Geschwür in seinem Inneren zu wachsen beginnen, das ihn in unbekannter Qual zurückließ.
 

Als würde man seine Existenz in ihre Bestandteile zersetzen, während etwas wie besessen an dem Siegel seines goldenen Kerns kratzte und zerrte. Doch konnte er nichts weiter tun als es zu erdulden, war er vollkommen überwältigt von dieser Marter.
 

Sollte er so tatsächlich sein Ende finden?
 

Wie unziemlich für einen seiner Bestimmung.
 

Es brachte ein bitteres Lächeln auf seine Lippen.
 

Ein Gefühl von stumpfer Kälte folgte.
 

Plötzlich zog sich der Schmerz wie Ebbe zurück, doch hatte es schon zu viel seines líng qì zerfressen, das dem eine allumfassende Müdigkeit folgte.
 

Etwas rollte sich in ihm zusammen, als wolle es Winterschlaf halten und mit einer panischen Erkenntnis riss er seine Augen auf.
 

Der Fremde schaute ihn an, deutlich die eigene Zerschlagenheit in seinem Gesicht, doch lächelte er für einen Moment unerwartet erleichtert.
 

Das Ziehen in seinem Körper wurde stärker und sein Geist träger, und er griff die Robe des anderen in einem letzten Akt der Verzweiflung. Doch konnte er es nicht mehr abwenden, als die Ohnmacht ihn übermannte.
 

Ihn in seiner verletzlichsten Form zurückließ.
 

Wie sollte er noch hoffen, dass sein Weg nun nicht doch hier sein unwiderrufliches Ende gefunden hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  RamDamm
2020-10-17T12:22:41+00:00 17.10.2020 14:22
Das klingt spannend... Wow... ähm... bin ich frech wenn ich sage, das ich weiter lesen will. *lacht*


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