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Mein ist die Rache

von

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Verschlafen ertastete Aramis den Weg zu ihrer Haustür. Sie war ihrem morgendlichen Besuch dankbar, dass er die Tür im ersten Stock gewählt hatte, wodurch ihr der Weg über die Stufen und durch die Küche erspart geblieben war. Sie war sich sicher, selbst wenn sie nicht auf der Treppe gestürzt wäre, wäre sie in der Küche über irgend etwas gestolpert, und wenn das Hindernis Tisch geheißen hätte. Andererseits, wenn sie nicht zu müde gewesen wäre, sie hätte ihm die Tür über den Schädel gezogen. Wehe er hatte keine gute Begründung für seinen verfrühten Besuch. Sie öffnete die Tür einen Spalt breit und machte dann auf dem Ballen kehrt, um doch noch den Weg in die Küche anzutreten. Ihr Gast kannte den Weg, sie musste ihn nicht mehr ausdrücklich hereinbitten. Statt dessen heizte sie den Ofen an, um Wasser zu kochen.

Gerade als sie nach einem der Töpfe griff, die über dem Ofen an der Wand hingen, hörte sie hinter sich ein leises Pfeifen. Plötzlich fiel es ihr wieder ein. Sie trug eines der neuen Nachthemden, und eben jenes hatte sich soeben in undamenhafte Höhen begeben und gewährte ihm einen oder auch mehrere Blicke auf ein Paar glatter Oberschenkel. Als ob der Morgen nicht schon schlimm genug gewesen wäre.

Athos hingegen konnte sich über seinen Start in den Tag nicht beklagen. Wie könnte ein Tag besser beginnen als mit dem Anblick einer attraktiven jungen Dame? Die Zeit, die Aramis noch in ihrer Erstarrung verharrte, nutzte er effektiv, um sich die ihm unwillentlich präsentierten Kurven einzuprägen. Zugegebenermassen war es unüberlegt von ihm gewesen, diesen Laut der Begeisterung von sich zu geben, aber was konnte er schon dafür? Er war ein Mann - dessen war er sich in letzter Zeit selten so sicher gewesen wie in diesem Moment - dass musste als Entschuldigung ausreichen!

Langsam löste sich ihre Anspannung, ihre Arme und somit auch das Hemd sanken Richtung Boden und einige Sekunden später berührten auch ihre Fersen wieder die Steine. Jetzt musste sie nur noch darauf warten, dass ihr Gesicht wieder seine natürliche Blässe annahm, dann könnte sie ihre Wut verbal an ihm auslassen. Wie konnte dieser Kerl es nur wagen, ihr ungefragt auf die Beine zu gucken? Als ob es nicht schon schlimm genug gewesen wäre, dass er am frühen Morgen vor ihrer Tür gestanden hatte.

Sie holte tief Luft und machte eine halbe Drehung um die eigene Achse, um ihrem Freund eine Vielzahl von Verwünschungen und Flüchen an den Kopf zu werfen, doch noch ehe sie es zu einer vollständigen Silbe bringen konnte, fiel ihr Athos in's Wort: "Guten Morgen, Sonnenschein! Warum so schlecht gelaunt?" Seine gute Laune war beinahe beängstigend, aber seine Worte, gehüllt in eine honigsüße Stimme, wirkten wie Balsam auf die aufgebrachte Seele. "Das fragt mich jemand, der es gewagt hat, meinen Schlaf zu unterbrechen und der mir absolut unverfroren unter's Hemd glotzt? Die Frage müsste wohl eher lauten, warum bist du so gut gelaunt? Du machst mir Sorgen!" Die richtige Antwort wäre gewesen, dass sie sich letzte Nacht eindeutig am Sauerkraut überfressen hatte und der Met ihres Lieblingsnachbarn ungewöhnlich schnell eine ungewöhnlich starke Wirkung erzeugt hatte. In ihrem Magen rumorte es seit Mitternacht, in ihrem Schädel schien ein Kaltblut eine Sarabande zu tanzen und all das hatte zur Folge gehabt, dass sie in den vergangenen Stunden kaum ein Auge zugemacht hatte. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte ihm das Ausmaß ihres Katers nicht beschreiben können. Aber dem Gefühl nach mussten ihre Ohren ungefähr soweit von einander entfernt sein wie Paris von London. Mindestens.

"Warum ich gut gelaunt bin? Was ist das denn für eine Frage?"

"Eine, die nach einer Antwort schreit. Es ist ja schließlich nicht allzu häufig, dass du fast im Kreis lachst..." Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

"Ich seh' schon, wir neigen heute leicht zu Übertreibungen. Kater?"

Aramis beschloss, die Frage unbeantwortet im Raum stehen zu lassen. Sie hätte ihm jetzt lang und breit - im Übrigen ein Wort, das ihren derzeitigen Zustand recht treffend beschrieb - erklären können, wie ihr gestriger Abend verlaufen war, doch sie hätte sich wahrscheinlich lächerlich gemacht, wenn sie erzählt hätte, dass ein Becher Met sie niederstrecken konnte. Also zuckte sie nichtssagend mit den Achseln.

"Haben wir schon was Neues über die Leiche?" Eleganter Themawechsel. Sie gratulierte sich selbst dafür.

"Nein, nichts. Wir werden sehen müssen, was der heutige Tag noch bringt. Auch wenn ich persönlich der Ansicht bin, dass er überhaupt nichts bringen wird ausser einer Menge Papier."

"Ich weiß, dein Pessimismus in diesem Fall ist ungeschlagen. Marmelade oder Honig in den Tee?"

"Honig. Aber es hat wirklich nichts mit Pessimismus zu tun. Ich bin einfach nur realistisch. Es ehrt dich ja wirklich sehr, dass du an die Unschuld dieses toten Dings glaubst, aber ich hätte dich wirklich nicht für so naiv gehalten."

"Sie ist kein Ding Athos." Aramis stand am Herd und beobachtete das Wasser, das langsam zu dampfen begann. Sie kratzte sich mit dem rechten Fuß die linke Wade. "Ich gehe jede Wette mit dir ein, dass irgend jemand sie vermisst..." Sie hatte sich die Leiche am Vortag genau angesehen. Die gepflegten blonden Haare waren zu einem Zopf geflochten, ihr Körper von mehreren Schichten Kleidung verhüllt. Einzig der dichte Unterrock war deutlich in Mitleidenschaft gezogen, wobei hier noch die Frage war, ob diese Tatsache auf Verschleiß oder Gewalteinwirkung zurückzuführen sei. Alles in Allem hatte sie auf Aramis wie eine anständige junge Dame gewirkt, wenn es sie auch nicht vor dem Tod bewahrt hatte.

"Was ich gestern ganz vergessen habe zu fragen: Wer hat sie eigentlich gefunden? Ich meine, sie wird dort kaum die ganze Nacht gelegen haben und zack, mit dem ersten Hahnenschrei hatte sie plötzlich ein überaus übelriechendes Publikum." Wenn sie ehrlich sein sollte, die Frage war ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Joaquin hatte sie gestern in seiner Neugier nach dem Finder gefragt und gespannt auf eine Atwort gewartet, während Aramis überlegt hatte, was sie ihm erzählen sollte. Am Ende hatte sie sich mit dem was man heute als Datenschutz bezeichnen würde herausgeredet. Sie dürfe die Identität des Finders nicht nennen, bis der Fall abgeschlossen sei.

Athos schnaubte verächtlich. "Vielleicht versammeln sie sich ja auch morgens und suchen dann gemeinsam die Stadt ab...tatsächlich wurde sie von jemandem gefunden, der sie genauso gut dort abgelegt haben könnte. Ziemlich zwielichtige Gestalt, du hättest deine Freude mit ihm, da verwette ich meinen Kopf drauf..."

"Wann?"

"Was wann?"

"Wann hat er sie gefunden?"

"Zur Prim...was ich nicht ganz verstehe. Es kann einfach nicht sein, dass niemand sie davor gesehen hat..." Athos kreiste mit dem Zeigefinger in der Luft.

"Warum nicht? Immerhin ist es momentan bis zum Mittag dunkel! Wie soll man eine Leiche sehen wenn man grade mal die Hand vor Augen erkennt? Und bitte halt die Hände still, du machst mich nervös!" Mit ausgestreckter Zunge balancierte sie die Tassen zum Tisch und ließ sich ihm gegenüber auf einen Stuhl fallen.

"Du übertreibst maßlos. Immerhin hat es schon gedämmert als ich aufgestanden bin, und das ist schon fast eine Stunde her. Ganz zu schweigen davon, dass es bis zum Mittag noch ziemlich lange hin ist..." Sein Blick wanderte zum Küchenschrank, von dem er erfahrungsgemäß wußte, dass er Brot und in den meisten Fällen auch Obst beherbergte, dann glitt er vorwurfsvoll zu Aramis. Sie hätte ihm ruhig auch etwas zu Essen anbieten können. Zu dumm nur, dass ihr Verstand heute früh noch eingerollt in eine warme Decke den Rausch der letzten Nacht ausschlief. Er musste wohl in seinen Forderungen etwas deutlicher werden, auch wenn es ihm nicht gefiel, sie derart offensichtlich anzubetteln. Es war einfach unter seiner Würde. Er hieß ja schließlich nicht Porthos. Und dennoch, wenn er hier nicht innerhalb der nächsten Stunde vom Stuhl kippen wollte, musste er sich erniedrigen.

"Du hättest nicht zufällig eine Kleinigkeit zu Essen für mich?" Athos versuchte, die Worte so unauffällig wie möglich zwischen seinen Zähnen hervorzupressen, während die Augen zur Decke wanderten. Jetzt nur keinen Blickkontakt.

"Kein Frühstück gehabt?"

"Nein, aber Hunger..."

"Du klingst wie Porthos!"

"Ich weiß. Beängstigend..." Immer noch starrte er unkonzentriert zur Decke. Warum gab sie ihm nicht einfach was er wollte?

Endlich stand sie auf und bewegte sich Richtung Schrank. Und mit einem Schlag war aller Hunger der Welt vergessen und ein Bedürfnis ganz anderer Natur in ihm geweckt. Das waren sie also, diese ominösen Nachthemden. ,Sie gehen nicht bis zu den Knöcheln' hatte sie gesagt. Sie gingen nicht einmal bis über die Knie. Er wusste nur nicht so recht, wie sie in diesem kurzen Stück Stoff die frostigen Nächte überstehen wollte, aber das sollte nun wahrlich nicht seine Sorge sein. Er dankte einfach dem lieben Herrngott, mit dem er schon so lange nicht mehr geredet hatte, für die kleine freundschaftliche Geste unter Männern. Und der alte Mann war ihm heute früh unsagbar freundschaftlich gesonnen. Wenn der Tag so weiter ging würde er ihn am Ende noch als seinen besten Freund bezeichnen.

Athos lehnte sich zurück und lauschte dem Ächzen der Türen, als sie den Schrank öffnete und wieder schloß.

"Die Scharniere könnten ein bischen Fett vertragen...meinst du nicht."

"Ja sicher, aber du könntest auch einen Tritt vertragen, dafür dass du mich aus dem Schlaf reisst und ausraubst! Ich bin für beides momentan nicht in der Stimmung...zu deinem Glück."

Er hörte sie schon gar nicht mehr. Er war viel zu fasziniert von Speck, Käse und Brot, die sich ihm nun in voller Pracht darboten. Seit gestern früh - sein Frühstück hatte aus einem harten Kanten Brot und Butter bestanden - hatte er nichts mehr gegessen, was einerseits auf einen Mangel an Zeit, andererseits auf einen Mangel an Nahrungsmitteln in der eigenen Küche zurückzuführen war. Sofern es in seiner Wohnung Mäuse gegeben hatte, waren sie bereits wegen schlechter Verpflegung ausgezogen. Oder verhungert, je nach dem wie intelligent sie waren. Und wer war Schuld an dieser Misere? Die Tochter seiner Vermieterin. Seit Neuestem war sie dermaßen erzürnt über sein Desinteresse ihr gegenüber, dass sie beschlossen hatte, nicht mehr für ihn einzukaufen. Selbstverständlich bei gleichbleibenden Mietkosten. Im Moment aber, da ihn die gelb schimmernde Fettschicht des Specks verführerisch anlächelte und der Käse seinen Duft entfaltete, konnte sie ruhig bleiben wo der Pfeffer wächst.

Während er sich eine Scheibe Brot nach der anderen abschnitt und sie dick belegte, sah Aramis ihn nur ungläubig an.

"Willst du nichts?"

"Nein, ich denke nicht!" Sie aß immer noch am Sauerkraut von letzter Nacht; schon der Geruch des Specks löste in ihrem Magen Proteste aus. Jetzt wußte sie wieder, warum Völlerei eine Sünde war. "Du solltest nicht so schlingen, glaube mir." Aramis überlegte. "Vielleicht sollten wir unserem Finder mal einen Besuch abstatten. Es kann ja kaum schaden, ihm mal auf den Zahn zu fühlen, oder?"

"Durchaus nicht, aber es dürfte sich wohl schwierig gestalten, ihn zu finden. Immerhin haben wir es hier mit einem kleinen Gauner zu tun. Und in Paris einen verlausten Dieb zu finden ist nun wirklich ein Kunststück für sich." So gesehen hatte er Recht. Es würde beinahe unmöglich sein ihn zu finden. Die meisten Pariser Kleinkriminellen waren unglaublich geschickt. Sie tauchten in der Masse unter und versteckten sich in Winkeln, von denen die meisten noch nicht einmal wussten dass es sie gab. Hinzu kam, dass sie alle gleich aussahen. Nun ja, zumindest die meisten. Unterernährt, dreckig, verlaust, dass war die Beschreibung, die auf so ziemlich jeden passte. Sie konnten also nur hoffen, dass es sich bei ihrem Finder um ein besonders häßliches oder auf andere Art aussergewöhnliches Exemplar von Tagedieb handelte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2004-07-13T16:56:32+00:00 13.07.2004 18:56
Super geiles Kapitel, im wahrsten Sinne des Wortes, wa? Den Schlagabtausch zwischen den beiden finde ich super, bin die ganze Zeit *am blöden durch die Gegend grinsen* gewesen ;o)
Also ich will mehr und wer mir da nicht zustimmt, hat hier nix zu verlieren :o)
LG
Von:  fastcaranbethrem
2004-07-04T17:43:42+00:00 04.07.2004 19:43
schön *grins*, aber keks "tee mit marmelade" *schüttel* also wirklich. zum glück gab es damals noch kein nutella, wer weiß, was sie ihm sonst angeboten hätte :-)
herrlich. dein bisher bestes kapitel. )ich weiß, dass hatte ich schon davor gesagt) meine schwester fragte eben, ob ich es bin, die so laut lacht. ziemlich unwisch habe ich sie weggeschickt und weitergelacht. das war wirklich herrlich. weiter so :-)


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