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Mein ist die Rache

von

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Ungeduldig rieb Aramis die Hände aneinander. Obwohl ihre Handschuhe mit Lammfell gefüttert waren, bemächtigte sich langsam die Kälte ihrer Finger. "Ich hätte nie gedacht, dass es bis zu dieser verdammten Brücke so weit sein kann..." Sie kniff die Augen zusammen in der Hoffnung, am Ende der Straße ihr Ziel erkennen zu können. Sie hätte im Bett bleiben sollen! Dieses ganze Weiß begann ihr allmählich aus dem Hals heraus zu hängen. Gleichzeitig bahnte es sich seinen Weg in ihre Stiefel und machte sich dort in Form von kaltem Wasser breit.

Als sie nach ein paar Metern erneut um die Ecke bogen, lag sie in voller Größe vor ihnen. Und in einiger Entfernung erregte eine aufgebrachte Traube Menschen ihre Aufmerksamkeit.

"Ich glaube wir haben unseren Tatort gefunden!" Aramis hörte die unterdrückte Wut in seinen Worten. Er hasste Schaulustige und die Art, wie sie sich in das Geschehen einmischten und sich daran aufgeilten. Jeder von ihnen musste unbedingt seine geistigen Ergüsse zu den Ereignissen loswerden und in den seltensten Fällen waren diese auch nur annähernd hilfreich. Nur widerwillig setzte er sich wieder in Bewegung und steuerte die Menschenansammlung an. Das Gefühl von Leichtigkeit, dass er am Morgen noch verspürt hatte, war längst vergessen. Während er sich langsam der Menge näherte begann er leise zu fluchen; er verfluchte das Wetter, er verfluchte diese beschränkten Gaffer, er verfluchte den Mörder und er verfluchte die Leiche, dann verfiel er in Schweigen. Mit eiserner Miene schob er sich durch die Mauer aus Bauern, Mägden und allen anderen, die scheinbar nichts besseres zu tun hatten als ihn bei der Arbeit zu behindern. Aramis konnte sich nur mit Mühe hinter ihrem Kollegen halten, einige breite Hintern drohten immer wieder, ihr den Weg zu versperren.

"He! Vordrängeln is nich'!" Sie wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als sich ein stechender Geruch ihrer Sinne bemächtigte und ihr beinahe die Tränen in die Augen trieb. Aramis' Blick wanderte ungläubig an dem massigen Körper auf und ab, der ihr den Weg versperrte. Der breite Schädel wurde von wenigen Haaren umrahmt und aus der Mitte des Gesichts starrten zwei Schweineaugen auf sie herab. Der Kopf ging nahtlos in den schwammigen Rumpf über, der von einigen fleckigen und verschwitzten Bahnen Stoff verdeckt wurde. Die Unförmigkeit wurde von viel zu kurzen Armen und Beinen gekrönt. Aramis sah sich für einen Moment gezwungen, die Atmung einzustellen. Der Geruch von Tiermist und altem Schweiß brachte sie an den Rand einer Ohnmacht und erst nach einer gefühlten Ewigkeit gelang es ihr wieder, einen klaren Gedanken zu fassen.

"Hättet Ihr die Freundlichkeit, mir den Weg freizumachen?" Aramis Stimme klang nicht so fest, wie sie es sich in diesem Moment gewünscht hätte.

"Warum sollte ich?" Erneut schlug ihr eine Welle des fauligen Geruchs in's Gesicht.

"Weil ich hier durch muss!" Instinktiv begann sie sich mit der Hand Frischluft zuzufächeln. Lange würde sie diese Diskussion nicht mehr durchstehen, dessen war sie sich sicher. Schutzsuchend vergrub sie ihr Gesicht hinter dem Kragen. Vielleicht gelang es ihr so, wenigstens einen Teil der Dämpfe abzuwehren. Langsam stieg das Gefühl der Wut in ihr auf und sie hatte nicht übel Lust, dieser widerwertigen Kreatur vor ihr einfach in's Gesicht zu brüllen, auf das er ihr mit dem Respekt entgegentrat, den sie in ihrer Position verdiente. Doch wie aus der Ferne hörte sie Athos' rettende Stimme. Als er das Fehlen seines Schützlings bemerkt hatte, war er auf dem Absatz umgekehrt und bahnte sich erneut einen Weg durch die Masse. Inzwischen ruhte seine Hand auf der Schulter des fetten Bauern und schob ihn fordernd beiseite. Der Koloss wollte gerade zu einem lautstarken Protest ansetzen, als sein Blick auf die versteinerte Miene des Musketiers fiel. Aramis hingegen nahm einen tiefen Atemzug und zwängte sich durch den schmalen Spalt, der sich vor ihr auftat.
 

"Manchmal glaube ich, die Menschheit ist pervers..." Aramis nahm einen tiefen Atemzug und ließ ihren Blick über die Gesichter der Umstehenden wandern. "Ich würde mir diesen Anblick im Leben nicht freiwillig zumuten!" Ihre Hand ruhte auf der Schulter eines Kollegen, der nicht wesentlich älter war als sie selbst, allerdings erst seit Kurzem die Musketiersuniform trug. Er hatte sich nach dem Anblick des toten Körpers mehrmals übergeben müssen und stand nun verschüchtert und mit rotem Kopf abseits von seinen Kollegen. Er konnte auf die Aufmerksamkeit seiner Kollegin getrost verzichten, dessen war er sich sicher. Es verletzte ihn in seinem Stolz als erwachsener Mann, dass er im Gegensatz zu ihr nicht in der Lage war, seinen Magen unter Kontrolle zu halten.

"Du solltest dir nicht so viele Gedanken über die ganze Sache machen. So was kommt vor..." Aramis sah sich erneut Hilfe suchend nach Athos um. Es musste auf diesen jungen Mann einfach erniedrigend wirken, wenn eine Frau, noch jünger als er selbst, ihm einzureden versuchte, dass Schwäche in einem solchen Moment absolut kein Makel sei. Aus dem Mund eines älteren und vor allem durch und durch männlichen Kollegen würden ihre Worte sicherlich überzeugender auf ihn wirken. Athos jedoch war zu sehr damit beschäftigt mit grimmiger Miene die Leiche zu begutachten.
 

Die kornblumenblauen Augen waren schreckgeweitet, aus den Höhlen hervorgetreten und starr gen Himmel gerichtet. In ihrem leeren Blick spiegelten sich die grauen Wolken. Ihr Mund war geschlossen, und dennoch schien es Athos, als würde sie aus vollster Kehle um Hilfe schreien. Das Unverständnis über die an ihr begangene Tat stand ihr in's bläulich schimmernde Gesicht geschrieben.

Hinter sich vernahm Athos das zarte Knirschen von Schnee.

"Und?" Er beobachtete Aramis aus dem Augenwinkel. "Was fällt dir auf?"

"Nun ja, sie ist tot. Ich würde sagen stranguliert." Sie wartete auf ein zustimmendes Brummen, bevor sie weitersprach. "Ich denke wir können davon ausgehen, dass sie nicht einfach nur umgebracht wurde, dass würde einfach keinen Sinn machen."

"Wieso nicht?"

"Welcher Kerl würde eine Frau einfach nur umbringen?" Aramis ließ die Frage unbeantwortet im Raum stehen. "Wissen wir schon, wer sie ist?"

"Nein. D'Artagnan hört sich gerade ein wenig um. Ich glaube allerdings kaum, dass er Erfolg haben wird. Wir werden abwarten müssen, bis jemand sie vermisst...wenn sie denn jemand vermisst." Athos zog die Augenbrauen zusammen. Er war immer noch nicht vollständig von seiner Vermutung bezüglich des Gewerbes der jungen Frau abgerückt, konnte aber auch keine eindeutigen Beweise dafür finden.

"Ich glaube nicht, dass sie käuflich war..."

"Wieso?" Manchmal glaubte er, sie könne tatsächlich seine Gedanken lesen.

"Nur so'n Gefühl...sie ist zu gepflegt..." Erneut musterte sie die Leiche von Kopf bis Fuß. "Haben wir irgendwelche Spuren?"

"Nur hunderte von Fußabdrücken, die diese Trottel dort hinten", er deutete auf die nicht kleiner werden wollende Menschentraube, "hinterlassen haben. Niemand in der Nachbarschaft will vergangene Nacht irgendetwas Verdächtiges gehört haben. Ist doch eigenartig, wo diese Stadt doch sonst so gute Ohren hat und..."

Bevor er sich noch weiter in Rage reden konnte, fiel Aramis ihm in's Wort: "Es gibt zwei Möglichkeiten; die erste wäre, dass es sich hierbei zwar um den Tatort handelt, der Zeitpunkt des Mordes allerdings noch nicht lange zurückliegt. Allerdings ist dann die Frage, warum es keine Zeugen gibt. Die zweite Möglichkeit wäre, dass sie schon länger tot ist, der Tatort jedoch ein anderer ist!"

"Wie kommst du darauf?"

"Es hat bis heute früh geschneit. Die Leiche ist jedoch nicht mit Schnee bedeckt..." Für kurze Zeit umspielte ein triumphierendes Lächeln ihre Lippen. Früher oder später wäre er auch allein darauf gekommen, aber heute war sie einfach schneller als er. Sie würde sich dafür bei Gelegenheit selbst auf die Schulter klopfen.
 

Es war spät geworden. Aramis kämpfte sich auf dem Weg nach hause durch den knöchelhohen Matsch und stieß dabei einen Fluch nach dem anderen aus. Nach diesem Tag hatte sie endgültig die Nase voll von Schnee. Sie bestand auf Sonnenschein und sommerliche Temperaturen; statt dessen schneite es schon seit Mittag.

Gerade wollte sie die Tür zu ihrer Wohnung öffnen, als sich der kleine Joaquin in ihr Gedächtnis rief. Sie trat ein paar Schritte zurück und sah die Straße hinunter, ob im hause Bofiz noch Licht brannte. Sie schien Glück zu haben. Zumindest hätte sie es als Glück bezeichnet, wäre ihr nicht gerade überhaupt nicht nach einem Plausch mit Madame Bofiz gewesen. An anderen Tagen empfand sie es als durchaus entspannend, sich mit dem neuesten Tratsch berieseln zu lassen, aber heute wollte sie eigentlich nur noch schlafen. In Gedanken spielte sie die nächsten Tage durch und kam zu dem Schluß, dass sich in nächster Zeit keine weitere Möglichkeit für einen Besuch bei ihren Nachbarn ergeben würde. Also verabschiedete sie sich in Gedanken wieder von ihrem Bett und machte sich schweren Herzens auf den Weg.
 

Joaquin führte sie mit hochrotem Kopf in die Küche des Hauses. Insgeheim ärgerte er sich. Sie war zu spät! Das heißt, eigentlich war sie nie zu spät; wenn es nach ihm ginge könnte sie auch mitten in der Nacht vor der Tür stehen und er würde ihr bereitwillig öffnen. Wenn es jedoch nach seiner Mutter ging, und das tat es, dann war es zu spät. Zu spät für ihn, um noch aufzubleiben und den beiden Frauen in der Küche Gesellschaft zu leisten. So würde er nie hinter das Geheimnis des kleinen unauffälligen Päckchens kommen, das seine Mutter so sorgsam vor ihm versteckt hielt.

Die große Küche wurde vom Geruch gekochten Sauerkrauts ausgefüllt, das zusammen mit gesalzenem Hering auf dem Herd stand. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass sie nicht nur müde war, sondern auch Hunger hatte. Und auch wenn sie die Mischung aus Sauerkraut und Fisch hasste, an diesem Abend hätte sie auch das vertilgt. Man musste es ihr nur noch anbieten.

"Mama ist in der Speisekammer. Ich hol sie!" Aramis nickte nur und wartete, bis sie das patschende Geräusch nackter Füße auf dem kalten Steinboden nicht mehr hören konnte. Noch ein prüfender Blick, ob niemand in der Nähe war und sie schlich sich leise an den Topf heran. Gerade als ihr Magen mit lautem Knurren den Anblick des noch dampfenden Sauerkrauts begrüßte, vernahm sie Schritte hinter sich:

"Hungrig?" Aramis fuhr herum und blickte direkt in das Gesicht des Feindes. Madame Bofiz.

"Ein wenig..." Sie hätte ein ganzes Schwein verdrücken können.

Mit Wohlwollen beobachtete Aramis, wie ihre Nachbarin eine Schranktür öffnete, einen Teller hervorzog und die Tür wieder schloß; dann in eine Schublade griff und einen Löffel zu Tage förderte. Ihr Magen machte einen Freudensprung. Und er begann zu tanzen und zu singen, als Madame Bofiz eine Kelle Kraut nach der anderen auf den Teller fallen liess. Alles was ihr jetzt noch zu ihrem Glück fehlte war ein guter Schluck Met aus Monsieur Bofiz' kleinem, geheimem Alkoholitätenversteck. Es war bei weitem nicht so geheim wie er es glaubte. Die Herrin des Hauses wusste sehr wohl, wo ihr Mann seine Reserven versteckte und schröpfte diese regelmässig, wenn sie Gäste hatte. Sehr zum Leid des Hausherrn (seines Zeichens Schreiber und gut bezahlter Laufbursche eines bekannten Pariser Kaufmanns) der sich des Öfteren mit der Frage konfrontiert sah, wann zum Henker er den edlen Tropfen aus dem Loiretal geleert hatte.

Aufmerksam lauschte sie den Neuigkeiten, die Madame Bofiz ihr zu berichten wusste, während sie ungeachtet jeder Erziehung die gesamte Portion Kraut mit Fisch vernichtete.

Ihre dunklen Haare und die grünen Augen machten Madame Bofiz, mit Vornamen Aurélie, zu einer durchaus ansehnlichen Erscheinung. Sie war seit gut zehn Jahren mit Monsieur Bofiz verheiratet, Joaquin war das älteste von 4 Kindern. Als Aramis sie vor sechs Jahren kennen gelernt hatte, war sie ein schmächtiges Persönchen gewesen, dass die meiste Zeit damit beschäftigt war, den Tod ihres dritten Kindes zu verarbeiten. Vor knapp einem halben Jahr hatte sie ihre achte Geburt hinter sich gebracht und die Anzahl der Schwangerschaften hatte sie deutlich runder werden lassen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie eine, wie Aramis fand, verdammt gute Köchin war, die sogar einem Gerstenbrei noch etwas Geschmack entlocken konnte.

Gerade begann ihre Gastgeberin, über den Sohn des Uhrmachers Dufour zu berichten, als sie die letzten Krautfäden vom Teller kratzte.

"Monsieur Dufour hätte sein Geschäft ja gar nicht aufgegeben, aber er konnte ja schon gar nicht mehr...war ja nur noch am Zittern..."

"Und sein Sohn hat das Geschäft übernommen?" Aramis stutzte. "Ich dachte er wollte studieren und Scharlatan werden..."

"Wollte er auch. Aber nachdem sein Vater eine Ewigkeit auf ihn eingeredet hatte, hat er schließlich nachgegeben."

"Gut so, als Uhrmacher kann er weniger Schaden anrichten als als Mediziner..."
 

Zur selben Zeit, als Aramis ihrem Unmut über studierte Folterknechte Luft machte, fuhr Joaquin in seinem Bett hoch. Zu guter Letzt hatte er also doch noch eine Idee gehabt. Leise schwang er sich aus dem Bett und schlich zur Tür, um seine zwei Brüder nicht zu wecken, die mit ihm in einem Zimmer schliefen.

"Madmoiselle Aramis?" Mit zusammengekniffenen Augen tappste er in die Küche. "Wisst ihr schon etwas Neues über die Leiche?"



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2004-03-23T09:45:44+00:00 23.03.2004 10:45
Ich will mehr! Gib uns mehr! Mehr Leichen, mehr Dialoge, einfach alles!
Tach, ganz ehrlich, deine Fortführung find ich toll! Die genaueren beschriebenen Ausführungen von der Handlung find ich sehr gelungen.
Hoffe, du kommst mit Story gut voran, damit wir Raben uns auf einen neuen Teil stürzen können ;o)
LG Krisi
Von:  fastcaranbethrem
2004-03-15T08:29:05+00:00 15.03.2004 09:29
erste offizielle Amtshandlung auf einem Montag: Tach's neues Kapitel lesen. Ich muss sagen -kein schlechter Start in den Tag- :-) Deine Fortführung - klasse! Besonders deine Beschreibung des Pariser Alltags (nun gut, sofern dort Leichen herumliegen :-)) ich finde doch hast dich in Kapitel zwei gesteigert.
gruß Anne


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