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Mein ist die Rache

von

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"Sind wir uns darin einig, dass der Vater dieser beiden Kinder niemand anderer ist als Monsieur Martel?" Aramis' Stimme klang noch immer ungläubig.

„Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn die Ähnlichkeit zum jungen Pirard Zufall ist. Monsieur Martel hat eine Tochter verloren. Umgebracht hat er sie sicherlich nicht.“ Resigniert rieb sich Athos die Augenbrauen. Diese Morde ließen ihn langsam aber sicher an sich selbst zweifeln.

„Wie auch immer.“, mischte Charles sich ein. „Ich bin mir sicher, ihr werdet dieses Problem in den nächsten Stunden auch ohne mich bewältigen. Ich habe noch einige Erledigungen zu machen und treffe mich anschließend mit Monsieur Porthos zum Essen.“ Er klopfte Athos ermutigend auf die Schulter und schickte sich an, zu gehen. „Wir sehen uns später, alter Freund! Warte heute Abend nicht auf mich! Mademoiselle Aramis, es war mir ein Vergnügen.“ Er lüftete den Hut in ihre Richtung und grinste gewohnt schelmisch. Pfeifend machte er auf dem Absatz kehrt und schlenderte betont gut gelaunt davon.

„Und jetzt? Wie gehen wir weiter vor?“ Die beiden Musketiere standen auf der Straße, nicht wissend, welcher Schritt zu tun sinnvoll wäre.

„Zunächst sollten wir hier verschwinden. Der Friedhof stinkt hundserbärmlich und der Wind steht ungünstig.“

Aramis brummte zustimmend: „Ausserdem scheint es aufzufrischen. Gehen wir zurück zum Hauptquartier? Vielleicht finden wir in unseren Aufzeichnungen noch etwas neues. Möglicherweise haben wir etwas übersehen.“

„Dein Wort in Gottes Ohr!“ Seine Stimme klang wenig zuversichtlich. Schweigend gingen sie nebeneinander her, beide in Gedanken die jüngsten Ereignisse rekapitulierend. Nach wie vor hatten sie keinerlei Hinweis, wie die Opfer zu einander standen, ob und wenn ja welche Verbindung zwischen ihnen existierte. Nach Monaten standen sie immer noch mit leeren Händen da. Ein verächtliches Schnauben entfuhr Athos.

„Wir stehen da wie die Kälber im Donner. Wie blutige Anfänger. Es muss doch möglich sein, dass wir wenigstens einen Anhaltspunkt finden. Irgendetwas.“ Lustlos gab er einem großen Kiesel einen Tritt, der daraufhin in eine schlammige Rinne hüpfte.

„Wir haben noch den dicken Tuchhändler.“

„Möglich, aber ich habe keine Hoffnung, dass wir bei ihm irgendetwas erreichen. Alles, was wir ihm bisher vorwerfen können ist, dass er die Caspar kannte. Das ist so gut wie nichts. Es gibt keinerlei Verbindung zu den anderen Toten. “

„Vielleicht ist er Kunde von Martel, vielleicht hat er Margot bei ihm gesehen. Es scheint eine Menge Männer zu geben, die ihre Frauen mit Geschmeide bei Laune zu halten versuchen.“ Aramis' Spott war unverhohlen. Aber innerlich teilte sie Athos' Skepsis.

„Vielleicht. Aber welche Verbindung sollte er zu den anderen Mädchen haben? Der einzige gesicherte Zusammenhang ist die Verbindung ins 'Paradies'. Ich werde morgen früh jemanden bei ihm vorbei schicken, der ihm auf den Zahn fühlt. D´Artagnan und Porthos womöglich, um sie für die Dummheiten zu bestrafen, die sie heute Abend mit Charles begehen werden. Hast du seinen Blick gesehen? Wie ein Achtjähriger, der einen im Vorfeld darüber informiert, dass er gleich einen Kuchen klauen wird.“

„Ist mir nicht entgangen!“Aramis grinste. „Was, glaubst du, hat er vor?“

„Ich möchte es mir nicht vorstellen. Aber wenn er sich heute Nacht im Rausch auf meinem Fußboden entleert, fliegt er raus. Meine werte Vermieterin hat schon Interesse an ihm bekundet.“
 

Behutsam drückte Charles den Türgriff herunter. Wider Erwarten war die Tür nicht abgeschlossen und öffnete sich auf sanften Druck. Er schlich, so leichtfüßig wie sein Zustand es eben zuließ, ins Innere der Wohnung. Kein Ton war zu hören, nur spärlich fiel Tageslicht in den Raum. Sollte er froh sein, dass er noch nicht erwartet wurde? Oder sollte er es doch persönlich nehmen, dass sein Ausbleiben bis in die späten Morgenstunden einfach hingenommen wurde. Charles sah sich um. Sein Lager auf dem Fußboden war geordnet worden, eine frische Decke lag ordentlich zusammengelegt darauf und sein mitgebrachtes Gepäck geordnet daneben. Soweit war nichts ungewöhnliches zu sehen. Doch dann erblickte er im schwachen Licht etwas, dass seine volle Aufmerksam forderte. Vor dem erkalteten Kamin funkelten zwei Gläser und eine leere Flasche Wein. Charles ergriff eins der grünen Gläser und drehte es hin und her. Ein letzter Tropfen Wein folgte jeder Bewegung. Dann schlug er plötzlich heftig die Hand vor den Mund. Sonst hätte er wohl laut gelacht. Dort stand ein paar Stiefel. Neben dem Hut seines Freundes hing ein zweiter, blauer. Und dort hingen auch zwei Regenumhänge, immer noch feucht vom Regen der letzten Nacht. Die Situation schien eindeutig. Dieser Mistkerl, schoss es ihm durch den Kopf. Und sie? Keinen Deut besser. Benahmen sich beide, als könnten sie kein Wässerchen trüben, während sie tatsächlich nur auf einen unbeobachteten Moment warteten. Charles beschloss, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Er würde das Gesehene nicht unkommentiert lassen und sich erst recht nicht benehmen, als hätte er nichts bemerkt. Ganz im Gegenteil. Er griff sich einen Stuhl und stellte ihn mittig in das Zimmer. Von dort aus hatte er den direkten Blick auf die Schlafzimmertür und positionierte sich breitbeinig, mit verschränkten Armen, bereit für eine gesalzene Standpauke. Zu seiner Überraschung musste er nicht lange warten.

„Hast du schließlich doch noch den Weg zurück zu deinem Gepäck gefunden?“ Athos zeigte sich unbeeindruckt von dem Aufbau, den sein Freund vorbereitet hatte. Gelassen krempelte er sich erst den rechten, dann den linken Ärmel hoch, während er auf eine Antwort wartete. Charles wollte etwas schlagfertiges erwidern, doch die Sekunden verstrichen, ohne dass ihm ein passender Kommentar einfiel. Statt dessen antwortete er schließlich sachlich: „Ich habe bei Porthos genächtigt. Es war schon spät und das Wetter furchtbar. Aber du kannst das sicher verstehen! Wie ich gesehen habe, hast du sogar einen Bettgast. Ich hoffe doch, ihr habt euch gegenseitig wärmen können.“ Und da war sie doch noch, die Spitze, völlig überraschend selbst für Charles.

„Es wird dich vielleicht enttäuschen, aber es ist nichts vorgefallen.“ Athos sah ihm direkt in die Augen, sein Blick fest und offen wie immer. Nichts, ausser seinem unbedingten Wunsch, ließ Charles an seinen Worten zweifeln.

„Aber ihr habt euch dein Bett geteilt?“

„Mir gefiel lediglich der Gedanke nicht, sie bei Sturm und Regen mitten in der Nacht durch die halbe Stadt laufen zu lassen. Und ich habe genug Anstand, eine Dame nicht auf dem Fußboden schlafen zu lassen.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als wollte er Charles noch einmal zu verstehen geben, dass dieser Platz für ihn reserviert war. „Nicht mehr und nicht weniger.“ Charles beobachtete, wie er Wasser aus einem Krug in eine Schüssel umfüllte.

„Natürlich. Wie sollte es auch anders sein.“ Er konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Die verschränkten Arme lösten sich, sein Körper sackte ein Stück weit in sich zusammen. Dabei war ihm nicht einmal klar, was ihn mehr enttäuschte. Der Starrsinn seines Freundes oder seine eigene Naivität.

„Ich werde sie jetzt wecken. Anschließend werden wir frühstücken. Behalte bitte alle deine Scherze für dich. Ich nehme an, du hast bei Porthos bereits gegessen?“

„Nur eine Kleinigkeit, es war noch so früh. Ich esse gerne noch etwas mehr.“ Athos nickte verstehend.
 

Als er in sein Schlafzimmer zurückkehrte, schlief sie noch. Er stellte die Schüssel auf den Waschtisch, zog die Vorhänge zur Seite und das schwache Licht des wolkenverhangenen Himmels tauchte den Raum in bläulichen Schimmer. Den Betthimmel band er ebenfalls zur Seite und der Anblick, der sich ihm bot, lies ihn lächeln. Dieses Mal ohne Spott, ohne Hintergedanken. Er trat einen Schritt zurück und lehnte sich gegen den Fensterrahmen. Stundenlang hätte er so verharren können, um sich jede Feinheit dieses Bildes einzuprägen. Die blonden Strähnen, die über die Kissen und ihre nackten weißen Schultern fielen. Das fein geschnittene Gesicht, dessen Lippen sich in diesem Moment zu einem leichten Lächeln formten. Und nicht zuletzt die Decke, die gerade weit genug verrutscht war, um eine halbe Brust freizulegen.

In dem Moment erregte etwas seine Aufmerksamkeit, dass ihn mit Erschrecken daran erinnerte, wie oft sie in den vergangenen Jahren dem Tod von der Schippe gesprungen war. Im Halbdunkel der vergangenen Nacht waren ihm die großen, silbrig schimmernden Narben am Oberarm nicht aufgefallen, jetzt waren sie nicht zu übersehen. Verletzungen wie diese hatten schon so manchen einen Arm und nicht zuletzt das Leben gekostet, und doch lag sie hier vor ihm, lebendig und verlockend. Er musste tief durchatmen, um wieder klar denken zu können.

„Guten Morgen.“, flüsterte er schließlich und beobachtete erleichtert, wie ihr Lächeln lebendiger wurde. Bis zu diesem Moment war er sich nicht sicher gewesen, wie sie nach der vergangenen Nacht auf ihn reagieren würde. Ihre Hände strichen suchend über das Kissen. Nur widerwillig hatte er sich kurz zuvor aus ihrer Umarmung gewunden und wäre jetzt zu gerne wieder dorthin zurückgekehrt. Als sie ihn nicht fand, öffnete sie langsam die Augen.

„Guten Morgen.“ Aramis streckte sich, wohl wissend, dass die Decke dadurch noch etwas weiter verrutschte.

„Hast du gut geschlafen?“ Athos versuchte vergeblich, sich ganz auf ihr Gesicht zu konzentrieren.

„So gut wie schon lange nicht mehr. Warum flüstern wir?“ Sie klopfte neben sich auf das Bett, um ihm zu bedeuten, dass er sich zu ihr legen sollte. Eine Einladung, der er umgehend Folge leistete. Er schenkte ihr einen zarten Kuss, bevor er antwortete.

„Charles ist zurück.“

„Dann schick ihn wieder weg!“ Ihre Finger fuhren ihm zärtlich durchs Haar und ließen ihn angenehm erschauern. Erneut brauchte es einige tiefe Atemzüge, um die Kontrolle über seinen Körper zurück zu gewinnen.

„Nichts täte ich lieber. Aber ich fürchte, dass wäre zu auffällig. Er sitzt dort draussen und starrt demonstrativ auf die Tür. Je mehr Zeit wir uns lassen, desto verdächtiger wird es.“ Aramis schnaufte. So hatte sie sich den Morgen nicht vorgestellt. Sie zog ihn näher zu sich und küsste ihn, langsam und verheißungsvoll. „Wir holen das nach!“

„Das hoffe ich!“ Er grinste breit, bevor er einen Kuss in ihren Nacken legte und sich aus dem Bett schwang.
 

Die Verkettung der Umstände, die beide in ein Bett geführt hatte, war so lang wie unwirklich. Sie hatten das Hauptquartier der Musketiere am Abend gemeinsam verlassen, nur um sich anschließend unschlüssig im Innenhof stehend wiederzufinden. Der Wind hatte noch einmal merklich aufgefrischt und beide versuchten, sich so gut wie möglich in ihre Umhänge zu hüllen. „Wollen wir noch etwas essen gehen? Ich scheine heute abend wider Erwarten viel Zeit zu haben.“ Der Gedanke daran, dass Charles in diesem Moment bereits mit Porthos und D´Artagnan zusammensaß, bereitete Athos immer größeres Unbehagen. Es war ihm offensichtlich ernst mit seinem Vorhaben, die beiden ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten zu verkuppeln.

„Gerne. Was schlägst du vor?“ Vergeblich versuchte sie einige Strähnen zu bändigen, die ihr wieder und wieder ins Gesicht wehten.

„Wie klingt eine hervorragend zubereitete Zungenpastete für dich? Womöglich die Beste in ganz Paris! Und dazu ein ausgesprochen guter Wein?“

„Wie könnte ich da Nein sagen?“ Aramis grinste unweigerlich. Er kannte sie einfach zu gut.

Nachdem sie sich satt gegessen hatten, fanden sie sich erneut dem immer schlechter werdenden Wetter ausgesetzt. Durch die enge Gasse vor dem Wirtshaus pfiff schneidend der Wind, einzelne Regentropfen klopften auf ihre Hüte und kündeten den nahenden Regenguss an. Der Himmel über ihnen war tiefschwarz, die Gasse nur durch das Licht erhellt, dass durch wenige milchige Fensterscheiben nach aussen drang. Warum Athos sie in diesem Moment in seine Wohnung einlud, statt sie wie üblich noch ein Stück auf ihrem Heimweg zu begleiten - er wußte es selbst nicht mehr. Gemeinsam liefen sie die kurze Strecke in die Rue St. Denis, während der Regen immer stärker wurde. Je länger sie liefen, desto kleiner machten sie sich, um dem Niederschlag möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. In den Nebenstraßen schmatzte der schlammige Untergrund unter ihren Füßen. Zum Lärmen des Windes gesellte sich das Rauschen der herabstürzenden Wassermassen. Keine Menschenseele begegnete ihnen. Als sie schließlich im Hausflur vor Athos' Wohnung angelangt waren, bildeten die Tropfen, die von ihren Mänteln perlten, binnen kürzester Zeit kleine Pfützen. Das Leder ihrer Stiefel war durchweicht, die Federn ihrer Hüte hingen ihnen tropfnass auf die Schultern.

„Wir bieten einen wirklich erbärmlichen Anblick.“, lachte Athos. Er öffnete die Tür und lies sie zuerst eintreten. „Ich mache uns ein Feuer an. Du weißt ja, wo du den Wein findest? Wenn du einen Topf mitbringst, können wir ihn aufwärmen.“

Sie hatten zwei Sessel an den wärmenden Kamin gerückt und es sich auf ihnen bequem gemacht. Stiefel und Strümpfe standen zum Trocknen davor. Ihre nackten Unterschenkel reckten sich dem Feuer entgegen und Athos beobachtete amüsiert, wie sie gedankenverloren mit den Zehen wackelte. Die Unterhaltung der beiden war unverfänglich und half besonders Athos, für einige Zeit den Kopf von schweren Gedanken zu befreien. Wie beiläufig studierte er ihr Gesicht, während sie sprach. Ihre Augen strahlten bei jedem neuen Gedanken, den sie formulierte, ihre Mundwinkel umspielte ein ständiges Lächeln. Ihre Gesten waren weich und fließend. So vollkommen unverfälscht erlebte er sie nur, wenn sie unter sich waren, und er betrachtete es als Kompliment. Für einen Moment versank er in der Bewunderung des Amorbogens ihrer Lippen, der ihm im warmen Widerschein des Kamins noch klarer erschien. „Verdammter St. Martin!“, ging es ihm durch den Kopf. Vor zwei Tagen noch war es ihm einigermaßen möglich gewesen, seine Gefühle für sie im Zaum zu halten. Doch dann kam Charles und setzte ihm einen Floh ins Ohr. Erzählte vom Heiraten, von Kindern, von großer Liebe. Und immer wieder brachte er sie ins Spiel. Dabei war es hoffnungslos. Sie hatte Jahre damit zugebracht, auf den Moment zu warten, an dem sie diesen einen Mann, dem offensichtlich immer noch ihr Herz gehörte, rächen konnte. Wie konnte er da hoffen, dass es in ihrem Herzen einen Platz gleicher Größe für ihn gäbe. Nein, er war sich sicher, dass sie ihn nicht mehr liebte als D´Artagnan, zu dem sie zwar ein liebevolles, aber geschwisterliches Verhältnis pflegte. Geschwisterlich waren seine Gefühle jedoch schon lange nicht mehr. Athos zwang sich zur Konzentration.

Die Stunden verstrichen. Immer wieder mussten sie ihr Gespräch unterbrechen, wenn der Wind die Fensterläden zum Poltern brachte, der Regen gegen die Hauswand drückte und man sein eigenes Wort nicht mehr recht verstand. Vor dem Haus hörte man in kurzem Abstand zwei Dachziegel auf dem Pflaster zerschellen. Ein Nachtwächter war zu hören, wie er erst die nahende Mitternacht verkündete und anschließend einen lauten Fluch ausstieß.

„Es ist spät, wir sollten schlafen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten hatte Aramis sich erhoben, ihr Glas geleert und sich in sein Schlafzimmer begeben. Athos hingegen war unschlüssig zurückgeblieben. War da ein leichtes Tänzeln in ihrer Bewegung? Womöglich hatte der warme Wein seine Wahrnehmung verfälscht. Plötzlich überfiel ihn die Angst, mit jedem weiteren Schritt einen Fehler zu machen, und Übelkeit stieg in ihm auf. Wie gelähmt starrte er in das Feuer und Minuten vergingen, ohne dass er sich rührte. Leises Knirschen ließ ihn schließlich aus seinen Gedanken hochfahren.

„Wo bleibst du denn?“ Ihre Stimme drang kaum zu ihm durch, so sehr rauschte das Blut in seinen Ohren. Aramis hatte sich ihres Wamses entledigt, das geöffnete Leinenhemd gab den Blick auf Schlüsselbeine und Drosselgrube frei. Eine Handbreite darunter blitzte der Verband auf, der seit Jahren einen männlichen Körper vorgaukelte, wo keiner war. Das alles war für ihn nicht neu, tatsächlich hatte er bei anderen Gelegenheiten schon mehr von ihr gesehen. Heute jedoch reichte schon dieses Detail, um seinen Körper in Aufregung zu versetzen. Wie beiläufig strich sie sich das lange blonde Haar aus dem Nacken.

„Ich denke, ich werde hier schlafen. Geh du ruhig.“ Athos war selbst überrascht, wie gefasst seine Stimme klang.

„Hier? Auf diesem Stuhl sitzend? Sei nicht albern!“ Sie streckte ihm die Hände entgegen, um ihm aufzuhelfen. Nach kurzem Zögern ergriff er sie, ohne jedoch Anstalten zu machen, sich zu erheben.

„Renée, bitte ...“ Ihr Blick lies erkennen, dass sie ein Nein nicht akzeptieren würde, und sein Herz begann zu rasen. Sie musste es hören können, so heftig schlug es von innen gegen seine Brust. „Du weißt nicht, was du damit von mir verlangst!“ Er zog ihre Hände näher zu sich und deutete einen leichten Handkuss an. Ein Zeichen der Verehrung, wie eine charmante Ablehnung einer Aufforderung zum Tanz. An ihrem Griff änderte sich jedoch nichts.

„Du unterschätzt mich.“ Aramis beugte sich zu ihm herunter und, ohne ein weiteres Wort, legte ihre Lippen auf seine. Der Schreck währte nur kurz, dann erwiderte er ihren Kuss. Erst zögerlich, dann mit all der Leidenschaft, die sich in den vergangenen Jahren in ihm aufgestaut hatte. Ihre Hände umschlangen seinen Nacken und zogen ihn in den Stand. Sofort spürte er den Druck ihres Beckens gegen seines. Vergessen war der Gedanke, die Nacht alleine auf einem Stuhl verbringen zu wollen. Seine Hände glitten entlang ihres Rückens, ihrer Taille bis unter ihr festes, rundes Gesäß. Mit einer kurzen Kraftanstrengung hatte er sie hochgehoben. Ihr Haar verströmte noch den Duft des Regens, vermengt mit einer schwachen Note von Veilchen. Ihre Schenkel umschlangen sofort seine Hüfte. Und obwohl sich ihre Lippen noch immer nicht getrennt hatten, konnte er spüren, dass sie lächelte. Ihr wunderbares, schelmisches Lächeln. Unweigerlich erwiderte er es, während der Druck ihrer Schenkel dafür sorgte, dass ihm das Blut in die Lenden schoß. Wie blind trug er sie in sein Schlafzimmer. Zwei mal stieß er sich auf dem kurzen Weg den Zeh an, aber er spürte es kaum. Einmal im Schlafzimmer angekommen, ließ er sich mit dem Rücken gegen die Tür fallen, um sie zu verschließen. In diesem Moment ließen sie zum ersten Mal von einander ab. Er spürte ihren warmen Atem an seiner Kehle, spürte, wie sich ihr Brustkorb in rascher Folge hob und senkte. Aramis' Füße kehrten auf den Boden zurück, ihre Hände strichen sanft an seiner Brust herab; eine Geste, die beinahe unschuldig wirkte. Ihr übriger Körper, der nach wie vor seine Nähe forderte, strafte sie Lügen. Der Raum war nur spärlich durch einige Kerzen erleuchtet, dennoch sahen sie einander für einen langen Moment in die Augen, wie um sich des jeweils anderen zu versichern. Ihr Blick durchdrang ihn regelrecht. Zweifelte sie an ihm? Zweifelte sie an sich? Er vermochte es nicht zu sagen. Gedankenverloren wanderten Aramis' Finger an seinen Kragen und nestelten dort an dem Knoten. Dabei ließ sie sein Gesicht keine Sekunde aus den Augen. Ein plötzlich aufflackernder spöttischer Funke lies erkennen, dass sie genau wusste, was sie tat, und es geradezu genoss, ihn damit zu verwirren. „Verrücktes Weib!“, flüsterte er zärtlich, bevor er sie küsste. Seine Hände machten Anstalten, ihr Hemd zu lüften, zogen sich jedoch sofort wieder zurück. Stattdessen zog er sich mit einem geschickten Handgriff sein eigenes Hemd vom Leib. Aramis trat einen Schritt zurück, um seinen entblößten Oberkörper mit unverhohlenem Interesse zu mustern – das Licht der Kerzen lies jede Regung seiner ausgeprägten Muskulatur deutlich erkennen, kurze schwarze Haare bedeckten Brust und Bauch und nur eine Handbreit unter dem Brustbein prangte eine kurze, aber dicke Narbe. Sie kannte all das. Aber noch nie hatte sie es gewagt, seinen Anblick derartig zu genießen. Unbewusst fuhr sie mit den Fingern ihre Schlüsselbeine nach. Diesmal war es an Athos, ihr die Hand zu reichen. Er küsste sie erneut, langsamer, zärtlicher als zuvor, während er Stück für Stück ihr Hemd aufwärts schob. Die fedrigen Berührungen seiner Finger bescherten Aramis eine Gänsehaut. Als das weiße Leinen schließlich zu Boden sank, wirkte sie für einen Moment unsicher. Das soldatische Leben der vergangenen Jahre hatte ihren Körper sichtbar geprägt. Er entsprach keineswegs dem Ideal ihrer Zeit. Nur wenig Weiches war an ihm, statt dessen vor allem gut sichtbare Muskelstränge an Bauch und Armen. Der fest umwickelte Brustkorb tat sein übriges. Die Art, wie er sie ansah, ließ sie ihre Selbstzweifel jedoch sofort vergessen.

„Darf ich?“ Er strich ihr eine blonde Strähne aus dem Gesicht und wandte sich dann dem Verband zu. Nur mit größter Mühe gelang es ihm, besonnen vorzugehen und das Zittern seiner Finger zu unterdrücken. Dabei waren ihre Hände an seinem Hosenbund alles andere als beruhigend. Zu gerne hätte er ihr die Stoffbahnen schnellstmöglich vom Leib gerissen. Dennoch lies er sich Zeit, löste den Knoten und legte genüsslich Runde für Runde ihren Busen frei. Rote Striemen durchfurchten ihre Haut, wo der Stoff in Falten gelegen hatte. Seine Hände folgten den Linien vom Rücken nach vorne, strichen zärtlich über die Brust und hinauf zum Hals. Erst jetzt wurde Aramis bewußt, wie sehr sie das Gefühl warmer Hände auf ihrer Haut in den vergangenen Jahren vermisst hatte. Ein wohliger Schauer durchlief ihren Körper. Sie drängte sich enger an ihn, küsste ihn und begann langsam, seine Hose zu öffnen. Athos' Erregung war deutlich zu spüren, ihrer beider Atem ging schwer. Mit leisem Rascheln rutschte Athos' Hose zu Boden. Plötzlich ergriff er sie und trug sie vor sein Bett. „Bist du dir sicher?“, flüsterte er. „Ganz sicher.“, war die gehauchte Antwort. Ihre Arme hielten ihn fest umschlungen, während er sie langsam auf sein Bett fallen lies. Während seine Lippen ihren Körper erkundeten, nahm er begierig ihren Duft in sich auf.

Es dauerte nur wenige geschickte Handgriffe, dann war seine Hand in Aramis' Hose verschwunden und entlockte ihr einen leisen Seufzer. Schlanke Finger fuhren ihm durchs Haar und signalisierten mit jedem fester werdenden Griff, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Langsam zog Athos ihr das letzte Stück Stoff vom Leib, küsste ihren Bauchnabel, die Hüfte, den Venushügel, die Oberschenkel. Ein Stoßgebet kam über ihre Lippen. Aramis krallte die Hände ins Kissen, bevor sie ihn zu sich auf Augenhöhe zog. Er kannte diesen Blick. Der Ausdruck völliger Entschlossenheit lag ihn ihm. Aber auch unbedingtes Vertrauen in ihn. Sie brauchten keine Worte um zu wissen, dass sie beide bereit waren, den letzten Schritt zu gehen. Ihre Körper taten es ihrem Verstand gleich und wurden eins.
 

Athos entzündete ein Feuer im Kamin. Nur halbherzig folgte er dabei dem Plappern seines Jugendfreundes, der gewohnt ausufernd von seiner vergangenen Nacht erzählte. Erstaunt nahm er zur Kenntnis, dass Charles den Abend mit Porthos und D'Artagnan im Paradies verbracht hatte. Ausgerechnet. Was genau die drei dort angestellt hatten, verschwieg Charles geflissentlich. Statt dessen sprach er vom hervorragenden Essen, von Schokolade und den Prostituierten, die er eine nach der anderen kommentierte. Unvermittelt legte Charles einen Finger an die Lippen. „Hörst du das auch?“ Beide verharrten in ihren Bewegungen und lauschten. Athos hörte durchaus, was er meinte, und die leisen Geräusche, die aus dem Nebenzimmer drangen, erfüllten sein Herz mit Leichtigkeit. Gleichzeitig beobachtete er mit Schrecken, wie Charles' Gesicht binnen kürzester Zeit diverse Ausdrücke von Zweifel über Erstaunen bis Erheiterung durchlief.„Ist das ... singt sie? Armand, in deinem Schlafzimmer singt eine Frau und du willst mir weiß machen, dass du nichts getan hast?“ Charles gab sich alle Mühe zu flüstern. Athos seinerseits zuckte nur mit den Schultern. „Sie wird gute Laune haben.“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „Und sie hat eine recht schöne Singstimme, denkst du nicht?“



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