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Mein ist die Rache

von

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Bereits beim Betreten seiner Wohnung ahnte Aramis Schlimmes. Sie hatte erwartet, dass sich das Chaos des Vortages noch verschlimmert hätte, aber statt dessen war es hier so sauber wie schon lange nicht mehr. Keine Bücher, die auf Tisch und Fußboden verteilt waren, keine schmutzigen Bretter, Teller und Messer. Ungläubig riss sie einzelne Schranktüren auf. Dort standen sie, sauber übereinander gestapelt oder aneinandergereiht.

Sie warf einen prüfenden Blick in den Kamin. Die Scheite sahen aus, als wären sie erst vor kurzem ins Feuer geworden worden. Mit leisem Zischen und Knistern wärmten sie Lese- und Schlafzimmer, dessen Tür einen handbreiten Spalt offen stand.

Im Schlafzimmer war es so dunkel, wie es die Vorhänge um diese Tageszeit zuließen. Das Licht kroch durch jede noch so kleine Öffnung. Auch hier war es verdächtig ordentlich. Die Stiefel standen geputzt neben dem alten Kleiderschrank in der hinteren Ecke des Zimmers, die Uniform hing gefaltet über einem Stuhl neben dem Bett. Der Gedanke, dass hier jemand aufgeräumt haben könnte, gefiel Aramis ganz und gar nicht.

Athos lag, halb bäuchlings, halb seitlich, auf der rechten Hälfte des kunstvoll gearbeiteten Doppelbettes und gab leise pfeifende Atemgeräusche von sich.

"Tu nicht so als würdest du tief und fest schlafen..." Sie setzte sich neben ihm aufs Bett und fühlte seine Stirn. "Du glühst immer noch...kein Wunder, wenn du eben erst schlafen gegangen bist. Habe ich nicht ausdrücklich gesagt...?" Mit der linken Hand strich sie ihm eine Strähne aus dem Gesicht. "Ausserdem hättest du dir wenigstens ein Hemd anziehen sollen!" Da war sie wieder, die Mutterhenne. Langsam wurden ihre diese Predigten zu einer unangenehmen Angewohnheit. Es kostete sie viel Überwindung, nicht auch noch die Vorhänge des Himmelbettes zu erwähnen. Aramis war sich sicher dass es besser gewesen wäre, hätte er sie zugezogen.

"Ich weiß doch..." kam die mürrische Antwort. Langsam öffneten sich die Augen einen Spalt breit und sahen sie vorwurfsvoll an. "Ich konnte nicht schlafen."

"Du wolltest nicht. Wie sonst lässt es sich erklären, dass deine Wohnung so aussieht." Sie grinste. "Ich habe dich durchschaut mein Lieber. Erst hast du deine Bücher in den Schrank einsortiert. Alphabetisch, wie immer, schließlich sind deine Bücher kleine Heiligtümer die es zu hegen gilt. Dann hast du alles andere aufgesammelt, was noch auf dem Boden verstreut lag und anschließend hast du abgewaschen. Dass erklärt auch die Pfütze unter deinem Fenster, in die ich vorhin fast getreten wäre. Des weiteren hast du dann noch ein Feuer im Kamin entzündet. Warum du das gemacht hast ist mir allerdings schleierhaft. Bei deinem Fieber müsste dir auch so ziemlich heiß sein. Und zu guter Letzt bist du dann noch einmal zu deinem Bücherschrank gegangen, um noch etwas im Bett zu lesen."

"Sehr gut kombiniert!" Athos lächelte müde.

"Vielen Dank. Was liest du schönes?" Aramis ließ sich nach hinten fallen um nach dem Buch zu greifen, dass immer noch neben ihm auf einem Kissen lag. Mit Müh und Not bekam sie den dicken Ledereinband zu fassen.

"Sei vorsichtig damit..." Aramis lachte. Den Hinweis hätte er sich wirklich sparen können. Interessiert drehte sie das Buch hin und her, konnte aber weder einen Titel noch einen Verfasser entdecken.

"Woher hast du es?" Sie sah auf ihren Kollegen herunter, der sich immer noch kein Stück bewegt hatte.

"Von einem alten Schulfreund. Er hat es mir vor kurzem aus Italien geschickt weil er meinte, dass ich mich dafür begeistern könnte." Hastig überflog Aramis die erste Seite, um enttäuscht feststellen zu müssen, dass sie kein Wort von dem verstand, was dort stand.

"Latein...herrlich. Worum geht es?"

"Um verschiedene Theorien, was die Erde und die Sterne betrifft. Kopernikus, Galilei und Männer, von denen ich vorher noch nie gehört habe, die aber teilweise sehr interessante Thesen aufstellen." Aramis' neugieriges Gesicht lies ihn schmunzeln. Es war eines der Dinge, die er so an ihr schätzte. Sie konnte sich für Dinge begeistern, die andere ohne nachzudenken ablehnten.

"Und wieso zum Teufel hast du einen Schulfreund in Italien?" Während sie diese Frage stellte beschloß Athos, sich auf den Rücken zu drehen und stellte wie zu erwarten fest, dass es ihm die Atmung um einiges erleichterte.

"Weil besagter Freund, den ich noch aus meiner Zeit in der Klosterschule kenne, mit zwanzig eine Reise nach Venedig gemacht hat. Und wie das nun mal so ist mit den schönen, freizügigen venezianischen Frauen hat er sich Hals über Kopf in eine verliebt, sie geheiratet und lebt seitdem als Kaufmann ein unglaublich ruhiges Leben...im Gegensatz zu mir, was ihn jedes Mal aufs Neue zu erheitern scheint. Er hat nicht viel zu tun, weil das Geschäft immer noch von seinem inzwischen unnatürlich alten Schwiegervater geführt wird, und deshalb reist er hin und wieder mit seiner Frau und den drei oder vier Kindern durch das Land - natürlich unter dem Vorwand, neue Geschäftsmöglichkeiten ausfindig zu machen - und manchmal findet er auch ein paar Bücher für mich."

"Und was gibst du ihm dafür?"

"Die Genugtuung dass ich immer noch Musketier und unverheiratet bin!" Sein Lachen ging nahtlos in Husten über. "Entschuldige..." Athos räusperte sich, dann sprach er weiter: "Er hat mich eingeladen, ihn einmal zu besuchen wenn ich die Zeit dazu finde."

"Und warum tust du es nicht?" Aramis genoss ihre Unterhaltung. Seit einer gefühlten Ewigkeit hatte es kein so ungezwungenes Gespräch mehr zwischen ihnen gegeben. Fast hätte sie darüber das prall gefüllte Ledersäckchen mit den Arzneien vergessen, dass an ihrem Gürtel hing.

"Er hat mir eine Bedingung gestellt...ich soll meine Frau mitbringen. Und da es an einer solchen bisher noch mangelt wie du ja weißt, werde ich auch nicht nach Italien reisen. Er ist grausam genug mich vor seiner Haustür stehen zu lassen wenn ich alleine komm."

"Merkwürdiger Freund..." Aramis löste den Knoten um ihren Gürtel. "Ich war vorhin bei Schwester Clementine. Sie hat mir einige Sachen für dich mitgegeben von denen sie meint, dass sie dich recht schnell wieder auf die Beine bringen würden." Athos verdrehte die Augen. Die Arzneien der Nonne erzielten zwar durchaus den gewünschten Erfolg, hatten aber einen unangenehmen Nachteil: Nach ihrer Anwendung stank der Patient wie ein Kräutergarten im Hochsommer. Aramis schwörte seit ihrer Ankunft in Paris auf die alte Frau, die nicht nur Mittelchen gegen Erkältung und Magenbeschwerden herstellte, sondern sich auch in der Behandlung von Wunden sehr gut auskannte. Für seine Kollegin aber hatte sie über Jahre hinweg noch ganz andere, entscheidende Vorteile gegenüber den Badern und Medizinern der Stadt gehabt: Verschwiegenheit und Toleranz. Bei ihrem ersten Besuch im Kloster St. Genevieve hatte die Nonne Aramis schwören müssen, Stillschweigen über ihre Identität zu bewahren. Seitdem hatte sie sich sowohl um das körperliche als auch seelische Leid der jungen Frau gekümmert. Wenn sie etwas zu beichten hatte, ging sie dorthin wo sie nicht in die Verlegenheit kam, ihre Situation erklären zu müssen. "Und das wäre?"

"Zum einen getrocknete Kamille. Entweder du nimmst sie als richtiges Bad oder du gießt sie mit heißem Wasser auf und inhalierst die entstehenden Dämpfe. Sie meinte die zweite Methode wäre besser, aber dass müsstest du selbst entscheiden. Dann natürlich jede Menge Kräutertees und zu guter Letzt ein kleiner Topf mit einer Kräutersalbe für Rücken und Brust. Frage mich nicht was da alles drin ist, ich weiß es nicht. Schwester Clementine hat es mir gesagt und mir erklärt, wofür das alles gut ist, aber soviele Namen kann ich mir beim besten Willen nicht merken. Es soll wohl unter anderem beruhigend wirken. Damit du endlich einmal schläfst! Ich denke sie weiß was sie tut. Ach und noch etwas: Kein Bier, kein Wein! Strickte Anweisung von Clementine und mir."

"Ihr seid grausam..." Athos schloß die Augen. Er hatte Kopfschmerzen und jetzt doch ein wenig das Bedürfnis zu schlafen. "Hoffentlich geht das bald vorbei."

"Das kommt wohl ganz darauf an wie du dich verhältst. Wenn du einfach nur liegen bleibst und vor allem nicht liest dürftest du wohl ziemlich schnell wieder einsatzbereit sein. Ich schätze in drei Tagen. Wenn du ruhig bleibst, wie gesagt."

"Du bist schlimmer als meine Amme es je hätte sein können..."

"Du scheinst es aber nicht anders zu verstehen." Aramis zog ein kleines irdenes Töpfchen aus dem Beutel und entfernte den Korken. Sofort erfüllte ein würziger Geruch das Zimmer.

"Dieses Zeug stinkt. Und ich sage das obwohl meine Nase voll ist und ich sonst nichts rieche. Unter keinen Umständen schmier ich mir sowas auf die Haut!"

"Fein, das hätte ich sowieso für dich gemacht. Oder willst du mir erzählen dass du dir deinen Rücken selbst einschmieren kannst? Das hätte ich dann nämlich gerne mit eigenen Augen gesehen!" Athos glaubte nicht richtig zu verstehen. Sie wollte was? "Wenn du dich also für einen Moment aufrichten könntest?" Sollte er dafür diese stinkende Tinktur über sich ergehen lassen? Athos beschloss, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Auf einmal war er hellwach und sah Aramis dabei zu, wie sie ihre Stiefel neben seine stellte.

"Halten!" Sie drückte ihm den kleinen Topf in die Hand, setzte sich hinter ihm aufs Kissen und strich ihm die Haare aus dem Nacken.

"Ich hoffe du bist dir der Tatsache bewußt dass mein gesamtes Bettzeug nach Kräuterbeet riechen wird..." Bereits nach wenigen Sekunden war er sich sicher, dass er den beißenden Geruch angesichts der angenehmen Behandlung ertragen könnte. Ihre Hände strichen langsam erst über die Schulterblätter, dann die Wirbelsäule entlang und den Nacken hinauf. Sie erzeugten ein angenehmes Kribbeln auf seiner Haut.

"Selbstverständlich. Ich werde dafür sorgen dass sie jeden Tag gewechselt wird. Das wird sowieso nötig sein, schließlich schwitzt du wie ein Tier und das möchte ich weder dir noch mir zumuten."

"Du willst mich also noch häufiger beehren?"

"Natürlich, irgend jemand muss dir ja den Rücken einbalsamieren..."

"Nur Tote werden einbalsamiert...soweit bin ich noch nicht. Aber wo wir schon davon reden, wie war dein Gespräch mit dem Gesandten?" Athos zog die Schulterblätter zusammen. Selbst seine Muskeln versagten ihm heute den Dienst.

"Besser als erwartet. Allerdings scheinen diese Bayern einen etwas eigenartigen Geschmack zu haben. Aber das wirst du wahrscheinlich noch selbst sehen. Nun ja, ich musste feststellen dass besagter Graf sich sehr gut mit uns auskannte. Er kannte sowohl mich als auch dich und den Kapitän, was mich doch etwas verwundert hat. Ich habe ihm jedenfalls das erzählt, was wir vorher vereinbart hatten."

"Wie würdest du ihn einschätzen?"

"Er ist ein Schönling. Sehr von sich überzeugt. Vielleicht zu Recht, dass kann ich nach so kurzer Zeit nicht sagen. Ich denke allerdings er ist zu jung um wichtige Beziehungen zu haben...nicht wirklich wichtig also."

"Zu jung? Inwiefern?"

"Er ist jünger als du, was ich eigentlich nicht erwartet hätte. Ich war mir bis jetzt eigentlich ziemlich sicher dass die Aufgaben eines Gesandten ein gewisses Maß an Reife und Erfahrung voraussetzen. Er lässt beides ein bisschen vermissen."

"Herrgott das klingt ja als wäre ich sonst wie alt!" Mindestens so alt wie er sich im Moment fühlte, schoß es ihm durch den Kopf. Seine Arme wurden von Minute zu Minute schwerer, genauso wie sein Kopf.

"Entschuldige, dass machen die Umstände...du weißt schon, bettlägerig, pflegebedürftig, viel Tee, jede Menge Kräuter...erinnere mich daran dass ich dir nachher noch ein paar kalte Umschläge hole!"

"Wenn mein müder alter Verstand dass denn noch zulässt werde ich das vielleicht tun, ja." Genüßlich schloß er die Augen. Langsam aber sicher wurde aus ihrer Kräuterbehandlung eine entspannende Massage.

"Ausserdem" Aramis machte eine dramatische Pause. "habe ich die Gräfin von Rosenbaum kennengelernt."

"Und?"

"Eine unheimlich schöne Frau. Sie könnte genauso gut die Kurfürstin persönlich sein."

"Höre ich da etwa Worte der Bewunderung? Seit wann hast du positive Worte für eine Frau übrig?"

"Du hättest sie sehen müssen, dann würdest du verstehen was ich meine. Ihre Nase ist besonders hübsch. Eigenwillig, aber hübsch..."

"Das verstehe ich nicht. Deine Nase ist doch auch sehr hübsch." Dieses Kraut musste ihm das Hirn vernebelt haben.

"Hübsch groß vielleicht...aber wie gesagt, eine hübsche Frau. Dürfte am Hof noch für reichlich Gesprächsstoff sorgen. Zumal zwischen ihr und ihrem Gatten ein etwas...kühles...Verhältnis zu bestehen scheint. Man spricht nicht mit einander. Aber Madame hat ebenfalls schon von mir gehört. Alles in allem hat man mir den Eindruck vermittelt dass der gesamte Hofstaat ständig nur über mich spricht. Ich dachte eigentlich dass das Thema längst passé wäre. So kann man sich irren." Abschließend strich sie noch einmal seine Wirbelsäule entlang. "Die Brust kriegst du allein hin, oder?" Umständlich kletterte Aramis aus dem Bett. "Wo finde ich bei dir ein paar Tücher?"

Athos wies auf den Schrank: "Linke Tür." Mit lautem Ächzen ließ er sich nach hinten fallen.

"Was jetzt?" Aramis fuhr herum.

"Ich könnte schlafen..."

"Dann tu's doch." Sie lachte. "Lass dich durch mich nicht aufhalten. Ich komm schon allein zurecht..." Als sie sich das nächste Mal umdrehte, gab Athos bereits ein leises, gleichmäßiges Schnarchen von sich. Also griff sie erneut zu dem kleinen Töpfchen und wandte sich der Vorderseite ihres Freundes zu.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2005-03-27T21:01:51+00:00 27.03.2005 23:01
Oh Mann, ein echt niedliches Kapitel... wenn man sowas in Bezug auf Richtigkeit in Grammatik oder sonstwas überhaupt sagen darf... ^-^
Schönes Kapitel, schreib schnell weiter!
Von:  fastcaranbethrem
2005-03-26T18:53:10+00:00 26.03.2005 19:53
ach so ach so ach so, so weit sind die beiden schon :-) fehlt nur noch, dass sie krank wird *G*
sehr schön und gleich 4 kapitel in so kurzer zeit. dich scheint die muse schier überrannt zu haben :-)
weiter so, du schaffst das womit ich meine größten probleme hab, die dialoge, mit viel witz und schwung, beneidenswert


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