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Mein ist die Rache

von

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Clovis stand schwer seufzend vor dem, was einmal seine spärliche Einrichtung gewesen war. Die Strohfüllung seiner Matratze lag über den ganzen Boden verstreut, teilweise begraben unter Brettern, die einmal ein Bettgestell vorgetäuscht hatten und Beinen, die einmal zu einem Tisch gehört hatten.

Die Pariser Polizei hatte den ,Roten Hund' vor wenigen Minuten verlassen und nur einem Glücksfall war es zu verdanken, dass sie nicht auch Clovis abgeführt hatten. Er war eben erst von den Hallen zurückgekehrt und hatte schon von weitem das Chaos vor der Kneipe sehen können. Die Tür war aus den Angeln gehoben worden und lag nun mitten auf der Straße, zusammen mit ein paar Spielkarten und Tonscherben.

Sein Freund Cornelis hatte alle Mieter mit seiner Gier in´s Verderben gestürzt. Sie würden in den Hallen zur Schau gestellt und mit faulen Eiern und schlimmerem beworfen werden. Clovis bekreuzigte sich hektisch und machte dann auf dem Absatz kehrt. Vielleicht fand er in einer der Straßenrinnen noch etwas faules Gemüse.
 

Aramis indessen las interessiert den Brief, der zusammen mit dem Buch aus Italien gekommen sein musste, immer mit einem Ohr an der Schlafzimmertür, um nicht überrascht zu werden:

"Mein lieber Armand,

Mit Bestürzen habe ich deinen letzten Brief gelesen. Mehrmals sogar, weil ich seinen Inhalt nicht glauben konnte.

Kurze Zeit vor seiner Ankunft hier in Venedig war ich verreist in dem festen Glauben, nie wieder einen Brief von dir zu erhalten. Ich hielt dich tatsächlich schon für tot, so lange hatte ich nichts von dir gehört. Wie lange war es her? Ein halbes Jahr? Um so glücklicher war ich, nach meiner Rückkehr einen Brief mit deinem Siegel auf meinem Schreibtisch zu finden. Wenngleich ich sagen muss, dass mir einiges darin doch sehr unwahrscheinlich erscheint. Wie dem auch sei: Ich denke ich muss dir glauben. Wo du doch nie ein Freud spektakulärer Märchen warst. Mir bleibt also nur, mich über die Zustände in meinem Vaterland zu wundern. Allerdings hätte ich auch niemals gedacht, dass du dich einmal so für ein Weibsbild einsetzt. Noch dazu völlig frei von Hintergedanken. Ich hoffe, dass sich der Fall zum Zeitpunkt, da du diesen Brief liest, bereits zu euren Gunsten aufgeklärt hat. Darf ich euren sagen? Ich meine, es so verstanden zu haben.

Nun, wie dem auch sei, auch hier in Italien tut sich derzeit einiges. Die heilige Kirche zieht, wie du vielleicht schon aus anderen Quellen vernommen hast, in den Krieg gegen die neue Wissenschaft. So etwas spricht sich ja doch relativ schnell herum. Besonders, da du ja in einer Stadt mit Universität lebst. Hast du dich eigentlich jemals wieder in eine Vorlesung geschlichen? Aber zurück zum Thema: Man hält es für sinnvoll, großen Geistern wie Galilei Verbote aufzuerlegen, um ihre revolutionären Erkenntnisse zu unterdrücken und die gefährdete Christenheit vor solch ketzerischen Botschaften zu bewahren. Als ob die Christenheit nicht auf sich selbst aufpassen könnte. Der Heilige Vater scheint uns tatsächlich für völlig hilflos zu halten. In Anbetracht dieser momentanen Situation möchte ich dich daher auch bitten, mit dem beigelegten Buch vorsichtig umzugehen. Sollte es den falschen Leuten in deinem Besitz auffallen, dürftest du schnell erneuten Kontakt mit der Inquisition haben, sofern das andere Verfahren überhaupt schon abgeschlossen ist. Deswegen dürftest du vergeblich nach einem Titel suchen. Ich erhielt das Buch von einem Mönch hier in Venedig. Wie du ja weißt, verfassen viele der neuen Wissenschaftler ihre Werke in ihrer Landessprache. Um eine verständliche Sammlung dieser Schriften zu verlegen, hat man sie in´s Lateinische übersetzt. Ich denke nicht, dass dir eine deutsche Ausgabe der kopernikanischen Theorien geholfen hätte. Wo ich schon davon spreche, dieses Buch enthält Auszüge aus Kopernikus´ "De revlutionibus", dass sich bis zu seiner so genannten Korrektur auf dem vatikanischen Index befindet. Ich möchte dich noch einmal dazu ermahnen, es unter keinen Umständen den falschen Leuten in die Hände fallen zu lassen. Du bist mir ein zu teurer Freund, als dass ich dich wegen etwas derartigem in den Fängern der Gerichtsbarkeit sehen möchte. Vielleicht sage ich dir das alles aber auch völlig zu Unrecht.

Kommen wir nun aber zu etwas erfreulicherem. Es macht nun doch langsam den Anschein, als würde mein lieber alter Schwiegervater endlich - Gott verhüte dass meine wundervolle Frau dies liest - das Zeitliche segnen. Natürlich wäre dies ein tragischer Tag für meine Familie, aber ich muss dir gestehen, dass dieser alte Mann mir ein ums andere mal den Verstand zu rauben droht. Er hält mich für komplett unfähig, dieser greise Narr. Mein Vater hat mich gelehrt, eine gesamte Grafschaft zu verwalten und mein Herr Schwiegervater unterstellt mir, ich könnte nicht einmal ein kleines Geschäft regieren. Ich sage dir, es wird Zeit.

Mein Bruder hat mich vor einiger Zeit mit seiner Anwesenheit beehrt. Du hattest Recht, sein Weib ist wirklich ein garstiges Stück. Während ihres gesamten Aufenthaltes gab es kaum einen Moment, in dem sie sich von ihrem Taschentuch getrennt hätte, aus Angst vor der Pest. Das ist ein halbes Jahrhundert her! Seit mehreren Jahrzehnten ist diese Stadt frei von jeder Seuche geblieben, was bildet dieses Weibsstück sich ein? Und dann hättest du sehen sollen, wie sie meine Frau die ganze Zeit beobachtet hat. Als hätte ich sie auf der Straße aufgelesen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie eine Cousine von dir sein soll.

..."

Hektisch faltete Aramis den Brief zusammen, als sie im Nebenzimmer ein leises Husten vernahm. Wo hatte er gelegen? Und vor allem wie? Sie konnte sich nicht erinnern und beschloss daher, ihn einfach fallen zu lassen. Mit einem letzten Schups mit der Fußspitze landete das gefaltete Stück Papier unter dem Tisch. Im selben Moment öffnete sich hinter ihr die Schlafzimmertür.

"Du bist ja immer noch hier?" Athos wischte sich verschlafen über die Augen und ließ dann einen prüfenden Blick auf den Tisch fallen.

"Was? Jaja, ich...ich habe...ich war in Gedanken versunken." Sie kratzte sich am Hinterkopf.

"Wo ist der Brief?"

"Welcher Brief?" Aramis sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Wie unglaubwürdig mochte das jetzt geklungen haben?

"Du weißt schon...der aus Italien, der vorhin noch dort auf dem Tisch gelegen hat. Der über das Buch, die Kirche, den Tod und meine Cousine." Er hob die Augenbrauen.

"Achso, der Brief. Ich weiß auch nicht." Nur für einen kurzen Augenblick wanderten ihre Augen unter den Tisch, aber es genügte, um Athos den entscheidenden Hinweis zu geben.

"Du bist zu neugierig, weißt du das?" Aramis nickte betreten.

"Als ob du besser wärst. Nur dass du deine Neugier mit verbotenen Büchern stillst..." Für einen Moment hielt sie inne. "Ist das nicht unglaublich riskant?"

"Nicht mehr als sich als Mann zu verkleiden...ich denke sogar dass ich mit einer Abmahnung davonkommen würde, sollte man mich jemals dabei erwischen. Und das Risiko bin ich bereit einzugehen. Es gibt einfach zu viele Dinge die wir noch nicht wissen und von der die Kirche aus welchen Gründen auch immer will, dass wir sie niemals erfahren. Du hast es ja selbst gelesen. Man verbietet uns Kopernikus, weil seine Lehre nicht mit der Bibel übereinstimmt. Gleichzeitig entwickelt ein Mann in Italien ein Teleskop, mit dem er genau das nachweist, was uns die Kirche als Irrlehre verkaufen will. Er entkräftet die Bibel und nimmt der Kirche damit ihre Macht. Rom hat

Angst und geht jetzt wie ein verschrecktes Tier zum letzten verzweifelten Angriff über. Damit mögen sie ja bei anderen Erfolg haben, aber ich bin wirklich zu alt für Märchen." Aramis musste mit Erstaunen feststellen, dass die Mittelchen von Schwester Clementine schneller wirkten als ihr lieb war.
 

Die Stimmung in den Hallen war großartig. War man hier fremd hätte man meinen können, es wäre ein Festtag. Aus allen Gassen strömten gut gelaunte Menschen in die Hallen, schwatzend, lachend und singend, viele von ihnen mit Körben oder kleinen Beuteln unter den Armen. Schloss man sich einer dieser Gruppen an, gelangte man auf einen freien Platz im Zentrum des Marktes. Dort ragte über die Köpfe der Menschen hinaus ein Pranger, der den Parisern mit schöner Regelmäßigkeit ein wenig Erheiterung bescherte. Clovis erkannte sie alle. Den einbeinigen Mattheo, der vor Wut Gift und Galle auf die umstehenden Massen spie und ihm noch eine warme Mahlzeit schuldete, den alten Jean, der sich selbst als Koch im ,Roten Hund' bezeichnete obwohl er die meiste Zeit besoffen in der Ecke lag, und auch Cornelis war unter ihnen. Wenigstens hatte ihn die gerechte Strafe ereilt, schoß es Clovis durch den Kopf.

Über seinem linken Auge klebten noch einige Eierschalen und von allen Seiten verfluchten ihn seine Mitgefangenen. Die größte Strafe würde ihm jedoch noch bevorstehen. Dann nämlich, wenn ihre Zeit am Pranger zu Ende war. Cornelis würde sich wohl eine neue Stadt suchen müssen.

Über dem Geschehen in den Hallen trohnte Polizeikommisar Cormier, dem die erfolgreiche Ausräumung der Spelunke über seine Pleiten am Vortag hinweghalf. Die Musketiere, dieser elendige Haufen verwöhnter Adelssprößlinge, raubten ihm den Ruhm, den er so gerne für die Polizei und vor allem für sich selbst wollte. Überall in Frankreich sprach man von Monsieur de Treville und seinen großartigen Musketieren; niemand kannte jedoch einen Cormier. Kein junger Man kam nach Paris um Polizist zu werden. Nein, Musketier wollte man sein. Warum das so war lag für Cormier klar auf der Hand. Die Frauen waren es. Das elendige, klatschsüchtige Weibsvolk. Das die Garde des Königs einen Schlag bei den Frauen hatte war bekannt. Nur so konnte ihr Ruhm begründet sein. Das Weibsvolk gab sich romantischen Träumereien hin von schönen, heldenhaften jungen Adligen und die gab es ja bekanntlich zu Hauf bei den Musketieren. Und andererseits wollten - so zumindest die Meinung des Polizeikommissars - die meisten jungen Männer nicht des aufopferungsvollen Einsatzes für den König wegen, sondern für die Zuneigung der Frauen Mitglied in Treville´s Haufen werden. Wein, Weib und Sünde waren bei den Musketieren Tageswerk. Das hatte man ja gerade erst in jüngster Zeit gesehen. Das die Inquisition am Ende von dieser Hexe in Männerkleidung abgelassen hat konnte für Cormier nur mit dem Teufel zugegangen sein. Er hasste sie. Er hatte sie schon gehasst, als er sie noch für einen Mann gehalten hatte. Damals, weil er so beliebt war bei den Frauen - selbst bei seiner eigenen -, und jetzt, weil er eine war. Wie gerne hätte er sie brennen sehen. Sie hätte allen Musketieren geschadet und ihn selbst, und natürlich auch die Polizei, in einem strahlenden Licht dastehen lassen.

Cormier zählte wahrlich nicht zu den hellsten Köpfen seiner Zeit. Ganz im Gegenteil, in seinem Kopf herrschte sogar ziemliche Finsternis. Und dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, war er ein folgsames Schäfchen seiner Kirche.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2005-08-08T10:06:37+00:00 08.08.2005 12:06
hallo tach, schön dass du weiterschreibst... der brief ist wirklich konstruktiv gegen *weibsbilder* geschrieben, was? musste oft die nase rümpfen, weil es mich so amüsiert hat :o) die hintergrundinfos sind auch nicht ohne, kann man gut dabei sein geschichtskenntnisse aufpeppen, find ich klasse...
LG Krisi
Von:  fastcaranbethrem
2005-08-07T21:05:50+00:00 07.08.2005 23:05
Liebe Tach, endlich geht es weiter und dein Schreibstil ist so schwungvoll und keksstilgerecht wie immer. Mir gefällt es, wie du aktuelle geschichtliche ereignis mit hineinbringst. du versetzt einem, als Leser in das späte Mittelalter
Von: abgemeldet
2005-08-06T14:09:35+00:00 06.08.2005 16:09
Hui,endlich gibt es wieder ein tolles neues Kapitel von dir...Schreib schnell weiter,denn diese Ungewissheit bringt mich langsam echt noch um :)


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