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Mein ist die Rache

von

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Julien Victor war kein sonderlich schöner Mann. Er hätte einer sein können – die hellen grünen Augen im dunklen Gesicht sprachen dafür. Der Allmächtige jedoch hatte es vorgezogen, seine Nase nach links anstatt geradeaus wachsen zu lassen. Vielleicht hatte aber auch eine Faust nachgeholfen, Aramis war sich noch nicht sicher. Er sah zumindest nicht aus, als wäre er einer gepflegten Schlägerei unter Studienkollegen abgeneigt. Er saß ihnen auf dem einzigen Stuhl in der auch sonst spärlich möblierten Kammer gegenüber und pulte gedankenverloren an einem Splitter in der Unterseite der Sitzfläche.

„Henriette Ouvrard? Sagt mir nichts! Nie gehört.“

„Ihr Bruder behauptet etwas anderes. Er hat uns erzählt, dass ihr Madmoiselle Ouvrard…“ D´Artagnan zögerte „…nun ja, dass ihr ihr nahe standet.“

„Ich sagte es doch schon. Ich kenne weder dieses Mädchen noch den Bengel.“

„Und woher kennt der Junge dann euren Namen?“

„Was weiß ich. Er hat ihn sich vermutlich ausgedacht.“ Er machte ein fahrige Handbewegung.

„Und hat sich auch gleich noch ausgedacht, wo wir euch finden? Wohl kaum! Der Junge hat uns erzählt, dass ihr euch regelmäßig mit Madmoiselle Ouvrard vor der Stadt getroffen habt. Das klingt nicht so, als würdet ihr sie nicht kennen.“

„Ich sagte doch bereits, ich kenne sie nicht!“

“Was sagt euch der Name Manon Menard?“ Diese Frage verwirrte nicht nur Julien Victor, auch D´Artagnan sah seine Kollegin verständnislos an.

„Wie bitte?“

„Manon Menard. Kennt ihr sie?“ Zufrieden beobachtete Aramis, wie die Stirn ihres Gegenübers zu glänzen begann.

„Warum fragt ihr so etwas?“ Seine Hand löste sich von dem kleinen abstehenden Stück Holz und traf sich mit der anderen im Schoß, um diese nervös zu kneten.

„Weil es mich interessiert, Monsieur. Ist euch warm?“

„Nein, es geht schon…ich war für einen Moment nur etwas verwirrt.“ Er fuhr sich mit dem Ärmel über das feuchte Gesicht.

„Ich verstehe. Kommen wir noch einmal auf Henriette Ouvrard zu sprechen. Wann habt ihr sie das letzte Mal getroffen?“

„Wie ich bereits sagte, ich kenne…“ Weiter kam er nicht. Ein lauter Knall lähmte seinen Körper.

„Monsieur Victor, ihr stellt meine Geduld auf eine harte Probe. Und wenn ihr nicht wollt, dass diese Hand beim nächsten Mal euer Gesicht trifft, beantwortet ihr jetzt endlich unsere Fragen!“ Aramis hoffte inständig, dass ihre Drohung Wirkung zeigen würde, denn noch einen Aufprall dieser Art würde ihre Hand ihr nicht verzeihen. „Wann habt ihr sie das letzte Mal getroffen?“

„Vor zehn Tagen.“ Julien Victor sackte merklich zusammen, seine Stimme verlor an Festigkeit.

„Wo?“

„Am Tor St. Honoré.“

„Und danach?“

„Wir haben passiert und sind spazieren gegangen.“ D´Artagnan hob fragend die Augenbrauen.

„Ihr Bruder hat uns etwas anderes erzählt!“

„Ach, was weiß denn ihr elendiger Bruder schon? Er ist ein kleiner Giftzwerg ohne jedes Talent für irgendetwas und dämlich obendrein. Er hat ständig nur das eine im Sinn, wie alle in seinem Alter.“

„Ihr kennt ihn also doch?“

„Ich habe ihn ein paar Mal gesehen, wenn er mit seinen Freunden durch die Stadt geschlichen ist. Das meiste weiß ich aber von seiner Schwester. Sie erzählt viel von ihm…“ Er seufzte. „Es ist nicht so wie er es euch vielleicht geschildert hat. Wie gesagt, er ist ein dummer Junge, der ständig nur fliegende Röcke und pralle Brüste im Kopf hat. Er glaubte ganz genau zu wissen, was wir ausserhalb der Stadtmauern tun. Aber so war es nicht. Wir haben nichts getan. Wir haben viel geredet. Meist über uns. Unsere Zukunft. Wisst ihr, ich wollte sie heiraten, sobald ich mein Studium beendet hatte. Wer würde seine Tochter schon einem Studenten zur Frau geben. Einem, der sich ja sowieso nur herumtreibt und all sein Geld für Weiber und Spiele hergibt. So denken doch die Leute!“ Nicht zu Unrecht, ging es D´Artagnan durch den Kopf. Es war nicht selten, dass die Musketiere auf ihren nächtlichen Gängen durch die Stadt auf betrunkene und singende Studenten trafen. „Ich liebe sie, wirklich. Nichts wünschte ich mir mehr, als das sie mich heiraten würde. Aber dann, bei unserem letzten Treffen…Sie hat gesagt, wir könnten uns nicht mehr treffen. Ihr Bruder wüsste über uns Bescheid und hätte gedroht, sie zu verraten…“ Seine Augen nahmen einen weinerlichen Ausdruck an.

„Und da habt ihr sie umgebracht!“ So triumphierend, wie es im einen Moment aus D´Artagnan heraus gebrochen war, so erschrocken fuhr er sich im nächsten Moment über den Mund. Er wusste, was Aramis ihm in diesem Moment für einen Blick zuwerfen würde und vermied es daher tunlichst, ihr in die Augen zu sehen.

„Was sagt ihr?“ Julien Victor sprang von seinem Stuhl auf, die Hände zu Fäusten geballt, das Gesicht verzerrt, ließ sich jedoch gleich wieder zurückfallen, als ihm seine Knie den Dienst versagten. Seine Augen wanderten ziellos durch den Raum und blieben schließlich an Aramis hängen. „Was meint er damit? Ist ihr etwas passiert?“

„Sie ist tot. Man hat ihre Leiche in der Seine gefunden.“ Aramis machte eine Pause, um den jungen Mann zu mustern. Seine Augen hatten jeglichen Ausdruck verloren, der dünne Körper zitterte und seine Hände hatten sich in den Stuhl gekrallt, als könnte er so das aufkommende Gefühl von Schwindel unterdrücken.

„Und ihr glaubt, ich hätte sie…?“ Seine Stimme war nur mehr eine Aneinanderreihung von wimmernden Lauten. „Aber ich habe sie geliebt. Niemals hätte ich ihr etwas getan!“

„Sie wollte euch verlassen, dass habt ihr selbst gesagt.“

„Aber deswegen hätte ich sie doch nicht umgebracht. In einem Jahr habe ich mein Studium abgeschlossen. Dann hätte ich ihren Vater in aller Form um ihre Hand gebeten. Versteht ihr? Sie hat sich nicht meinetwegen von mir getrennt, sondern um uns zu schützen…was ist schon ein Jahr der Trennung gegen eine viele Jahre währende Ehe?“

„Was ist mit Manon Menard? Ihr habt meine Frage nach ihr nicht beantwortet.“ D´Artagnan sah Aramis verwundert an. Hörte er in ihrer Stimme etwa so etwas mit Mitgefühl?

„Sie war die Verlobte eines Freundes von mir, Henri Evrard. Er wohnt nur ein paar Straßen von hier entfernt im Haus seiner Eltern. Ich habe Manon nur ein paar Mal gesehen, als sie ihren sturzbetrunkenen Vater aus der Kneipe der Evrards abgeholt hat. Seit ihrem Tod ist er nicht mehr derselbe…“

„Wie lange kennt ihr Monsieur Evrard schon?“ Julien überlegte so angestrengt, wie sein verstörter Geist es in diesem Moment zuließ.

„Seit 2 Jahren etwa. Das Wirtshaus ist bei Studenten recht beliebt müsst ihr wissen…“

„Das ist uns bereits zu Ohren gekommen, ja. Ihr wart dort also des Öfteren Gast?“ Julien nickte. „Wird dort auch gespielt?“

„Natürlich. Aber die Einsätze sind gering, wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt.“

„Habt ihr oder Monsieur Evrard an solchen Spielen teilgenommen?“

„Nein, ich kann mich nicht erinnern, Henri einmal spielen gesehen zu haben. Und ich selbst besitze nichts, womit ich spielen könnte. Es reicht gerade, um die Miete zu zahlen.“

„Ich verstehe…“ Aramis fuhr sich über den Nasenrücken. „Wann und wie habt ihr Henriette Ouvrard kennen gelernt? War das auch bei den Evrards?“

„Nein. Das war…lasst mich überlegen…vor etwas über einem Jahr. Wir sind in den Hallen in einander gelaufen. Sie hatte es eilig und ich war mit dem Kopf woanders. Sie hat sich nur kurz entschuldigt und ist dann weitergelaufen, aber ich konnte sie nicht mehr vergessen. Sie hatte so ein Leuchten in den Augen…Ich wusste, dass ich sie wieder sehen muss. Also habe ich jeden Tag in den Hallen nach ihr gesucht…“

„Und sie letzten Endes auch gefunden, wie mir scheint.“ Er nickte.

„Zuerst war sie etwas verunsichert, als ich ihr anbot, ihre Einkäufe für sie zu tragen. Aber nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten…“

„Von da an habt ihr euch heimlich getroffen?“ Wieder nickte er. „Wisst ihr, ob sie noch andere Verehrer ausser euch hatte? Jemand, der vielleicht von euren Treffen erfahren haben könnte?“

„Nein, Madmoiselle, so etwas hat sie nie erwähnt…“ Das Strahlen, was sich für einige Momente in seine Augen geschlichen hatte, als er an ihre erste Begegnung zurückdachte, verschwand wieder, als er bemerkte, dass seine Erinnerung alles war, was ihm von ihr geblieben war.

„Wollt ihr, dass ich euch den Weg zu Monsieur Evrard zeige?“ Schwankend erhob er sich.

„Nein, nicht nötig, wir hatten bereits das Vergnügen.“ Aramis bedeutete ihrem jüngeren Kollegen mit einer Handbewegung, dass es Zeit wäre zu gehen, und rückte ihren Hut zurecht. „Wir danken euch für eure Hilfe, Monsieur.“ Als sie bereits in der Tür stand, drehte sie sich noch einmal zu dem zusammengesunkenen Häuflein Mensch um: „Es tut mir Leid, dass ihr es so erfahren musstet.“
 

Lange Zeit herrschte Schweigen auf ihrem Weg zurück ins Hauptquartier. Erst als sie ihr Ziel fast erreicht hatten, fand D´Artagnan die Sprache wieder, die ihm nach seinem plötzlichen Ausbruch abhanden gekommen war:

“Glaubst du, er ist unschuldig?“

„Ich bin mir sogar sicher. Dieser Mann hat weder Henriette Ouvrard noch Manon Menard auf dem Gewissen.“

„Und was ist mit dem Schweißausbruch, nachdem du die Menard erwähnt hast? Damit, dass Henriette Ouvrard ihn verlassen wollte?“

„Er kannte Manon Menard, er wusste, was mit ihr passiert war. Und vermutlich hat ihm sein Freund auch erzählt, dass wir deswegen bei ihm waren. Er dürfte wohl angenommen haben, dass irgendjemand in dem Zusammenhang seinen Namen genannt und ihn womöglich als Täter ins Spiel gebracht hat. Das ist für mich noch kein Beweis, dass er es getan hat. Und was Henriette Ouvrard angeht…er wusste nichts von ihrem Tod. Er hat bereits am Anfang unseres Gesprächs deutlich gemacht, dass er ein mehr als schlechter Schauspieler ist. Aber seine Reaktion auf ihren Tod war für mich Beweis genug, dass er unschuldig ist. Hätte er uns nur etwas vormachen wollen, wäre er wahrscheinlich laut jammernd in Tränen ausgebrochen, wie es jeder drittklassige Komödiendarsteller tut. Keiner von denen ist in der Lage, das tiefe Loch darzustellen, in das du fällst. Und deshalb jammern und wimmern und schreien sie wie am Spieß. Aber so läuft es nicht…“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Nessi-chan
2007-08-17T18:36:33+00:00 17.08.2007 20:36
Tach (dummer Wortwitz, sorry!)!
Ich habe deine Story heute in einem Rutsch durchgelesen und ich bin begeistert!!! (Und das bin ich selten. *g*) Dein Schreibstil gefällt mir sehr gut, die Geschichte ist packend, nicht zu schnell abgewickelt, aber sie hängt auch nirgendwo.
Wie gesagt, ich bin mehr als begeistert! Aber ich hätte eine Bitte: Könntest du mir vielleicht eine ENS schreiben, wenn du ein neues Kapitel online hast? Es ist so schwer zu verfolgen (weil es hier keine automatischen Benachrichtigungen gibt) und ich würde ungern verpassen, wie es weitergeht.
Ciao,
dein neuer Fan Nessi-chan
Von:  fastcaranbethrem
2006-12-18T21:48:11+00:00 18.12.2006 22:48
Liebe Tach,

tut mir leid, dass ich es jetzt erst schaffte, deine Story weiterzulesen ... wie sträflich von mir. Vor all dem Lob eine Frage ... hab ich einen Teil der Story nicht mitbekommen? WAs passierte wann mit Athos und Aramis in welchem Kerker?
Eine wundervolle Geschichte, mit vielseitiger Handlung vor einem farbigen Hintergrund. Tolle Dialoge, schwungvoll und für die Zeit passend. Am besten gefallen mir deine Beschreibung zu der Epoche, du lässt das Frankreich des späten Mittelalters für den Leser wieder auferstehen. Deine Story hat viel Witz und Charme ... weiter so. Ich warte :-)

Gruß
Dein Schreibstil hat sich sehr verbes
Von: abgemeldet
2006-11-26T18:04:08+00:00 26.11.2006 19:04
Man man man, die Liste der Verdächtigen sinkt ja nun bedrohlich. Bin sehr gespannt, wie unsere Musketiere den wahren Täter noch finden wollen. Ich finde, dass du den Charakter von Aramis sehr gut beschreibst. Mir gefällt es, wenn sie vorwiegend die Ermittlungen führt und sehr autoritär auftritt, da sinkt D'Artagnan schon manchmal zu einem Häufchen Elend zusammen^^ Die Beschreibung des Verhörs fand ich auch klasse, du hast ein Talent dafür sowas fließend zu beschreiben. Ich möchte mehr! Und ich hoffe, dass der nächste Upload von dir sehr bald ist :)
Liebe Grüße,
Krisi


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