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Mein ist die Rache

von

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Das Fischfett durchweichte allmählich den dünnen Stoff und verlieh ihm eine gelbliche Färbung. Es wurde höchste Zeit, dass sie Athos´ Wohnung erreichten, sonst würde sie morgen ohne Handschuhe zum Dienst erscheinen müssen. Aramis sprach einige milde Flüche auf D´Artagnan, der ihre Schritte durch ständige Sticheleien gebremst hatte. Im Hausflur angekommen übersprang sie jede zweite Stufe, dicht gefolgt vom schnaufenden D´Artagnan.

„Zieh die Stiefel aus, bevor du reinkommst!“ Ihr Ton ließ keine Widerworte zu, also fügte sich der junge Mann in das Schicksal des Unterwürfigen und begann, an seinen Stiefeln herumzuzerren. Aramis hingegen trat sofort ein.

„Und warum lässt du deine an?“ D´Artagnan sah verwundert von seinen Füßen auf.

„Weil ich nicht bis zu den Knöcheln in Jauche gestanden habe, deshalb! Und jetzt Ruhe.“ Sie legte einen Finger an die Lippen und spähte in den Raum. Der große schwere Sessel war verwaist, der Kamin kalt und leer. Sollte er sich tatsächlich an ihre Anweisungen gehalten haben? Auf Zehenspitzen schlich sie zum Schlafzimmer – angesichts der alten, knarrenden Bohlen kein leichtes Unterfangen – und spähte ins Innere. Ein Schwall aus verschiedensten Kräuterdüften strömte ihr entgegen. Zufrieden stellte sie fest, dass, abgesehen von leisem, gleichmäßigem Schnarchen, alles ruhig und dunkel war. Dann winkte sie D´Artagnan zu sich.

„Such dir einen Topf und wärm die Fische noch mal ein wenig auf. Und dann schneid ein wenig Brot. Ich glaube nicht, dass ihm soviel Fett auf leeren Magen bekommt…“

„Und du?“ D´Artagnan griff widerwillig nach dem Fisch.

„Ich werde versuchen ihn aufzuwecken. Dann werden wir sehen, wie lange wir noch auf ihn verzichten müssen.“

D´Artagnan wartete, bis sie völlig in dem angrenzenden Raum verschwunden war und ging anschließend Richtung Küche. Wie gerne würde er jetzt Mäuschen spielen. Aber nein, stattdessen sollte er in einer fremden Küche nach Töpfen und Brot suchen. Er sah sich um. Die Räume waren nicht von einander abgetrennt. Vom Herd aus hatte man freie Sicht auf den Sessel, auf den er sich schon immer einmal hatte setzen wollen aber nicht den Mut dazu fand, dahinter die Regale mit sorgfältig aufgereihten Büchern, links davon die Tür, hinter der Aramis vor zwei Minuten verschwunden war. Von hier aus gesehen wirkte die Wohnung nahezu spärlich eingerichtet. Trat man jedoch durch die Wohnungstür hinein, strahlte sie eine unaussprechliche Würde aus, die einen automatisch in gedämpftem Ton reden ließ. Genaugenommen erschien sie ihm wie sein Besitzer. Still und über jeden Zweifel erhaben. D´Artagnan wandte sich wieder der Küche zu. Einen Topf sollte er finden. Nur wo?
 

Tief sog Aramis den Duft der Kräuter ein. Sie rochen tatsächlich nach Sommer. Ein Blick aufs Bett ließ sie lächeln. Als sie die Vorhänge zurückgezogen hatte hatte sie befürchtet, dass seine Stirn immer noch schweißnass glänzen würde, aber sie tat es nicht. Eine leichte Berührung bestätigte ihre Vermutung. Das Fieber war über Nacht zurückgegangen, seine Temperatur erschien ihr wieder normal.

Vorsichtig setzte sie sich neben ihm aufs Bett. Ihre Finger strichen über die ihr zugewandte Handfläche und verursachten ein leichtes Zucken. Wieder und wieder strich sie auf und ab, bis die Hand endlich mit einem letzten Zucken zurückgezogen wurde und Athos seinen Unmut mit einem tiefen Brummen kundtat.

„Bist du wach?“ Aramis deutete das nachfolgende Brummen als ja. „Wir haben dir etwas zu essen mitgebracht. Hast du Hunger?“

„Wer sind wir?“ Langsam wich die Müdigkeit und er sah aus zusammengekniffenen Augen in ihre Richtung.

„D´Artagnan und ich. Er ist in der Küche. Soll ich die Vorhänge wieder etwas zuziehen oder geht es so?“

„Nein.“ Athos überlegte. „Nein, es geht schon. Aber du könntest mir eine Schüssel Wasser bringen, wenn es dir keine Umstände macht…“ Er strich sich mit der Hand über die Wangen. „Und ein Messer.“

„Du musst dich unseretwegen wirklich nicht rasieren. Nicht davon zu reden, dass ich beim besten Willen keinen Bartwuchs erkennen kann.“

„Um euch geht es mir dabei auch nicht…“

„Sondern? Du willst mir doch nicht erzählen, dass du deiner lieben Vermieterin zu Liebe zum Messer greifst?“ Aramis brach in schallendes Lachen aus. „Das ist nicht dein Ernst!“ In ihren Augenwinkeln standen kleine Tränen. „Bist du so einsam?“

„Ihre Tochter kauft nicht mehr für mich ein, weil sie rasend ist vor Eifersucht. Da kann es nicht schaden, ihr ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken…“ Eins nach dem anderen lösten sich seine Beine aus der liebevollen warmen Umklammerung der Bettdecke, um dann doch unentschlossen auf dem Bett liegen zu bleiben. „…und wo wir gerade von Aufmerksamkeit sprechen: Wolltest du mir nicht etwas Wasser bringen?“

„Nein. Du hast gesagt ich könnte, wenn es mir keine Umstände macht. Von mehr war nicht die Rede. Aber ich vermute ohnehin, dass D´Artagnan meine Hilfe benötigt. Bin gleich wieder da.“ Aramis stand ruckartig auf und tänzelte, immer noch belustigt, aus dem Zimmer.
 

D´Artagnan, zur Hälfte in einem der unteren Schränke verschwunden, sah sich verwundert über die Schulter: „Was ist so erheiternd, wenn die Frage gestattet ist?“

„Ach weißt du, ich glaube es geht ihm schon sehr viel besser.“

„Ich verstehe nicht recht?“ Nein, D´Artagnan verstand nicht. Er verstand nicht, was diese Aussage mit dem breiten Grinsen auf ihrem Gesicht und dem auf die Zehenspitzen verlegten trippelnden Gang zu tun hatte.

„Nun, Athos ist bereits wieder in der Lage, seine Wirkung auf die holde Weiblichkeit zu seinem Vorteil einsetzen zu wollen und Befehle zu erteilen. Und jetzt hätte er gerne eine Schüssel, Wasser und ein Messer, um sein umschwärmtes Antlitz dem Besuch einer jungen Dame mit Einfluss gerecht werden zu lassen.“ Wieder entfuhr ihr ein lautes Lachen und D´Artagnan meinte, einen gehässigen Unterton darin erkennen zu können. Verstanden hatte er trotzdem nicht viel.

Eine knappe halbe Stunde später saß ihm besagtes umschwärmtes Antlitz gegenüber und machte nicht den Eindruck, als hätte es gestern um diese Zeit noch gebrannt wie trockenes Holz. Verglichen mit dem, was er in den letzten Tagen von Athos gesehen hatte, sah er tatsächlich eher aus, als wäre er gerade erst aus dem Urlaub zurückgekommen.

„Wann kommst du zurück?“ Normalerweise war es nicht seine Art, derartig mit der Tür ins Haus zu fallen, aber D´Artagnan hatte in letzter Zeit das unangenehme Gefühl, nicht mehr ausreichend am Leben seiner Freunde teilzuhaben. Ein Gefühl, das ihn schon den ganzen Winter begleitet hatte und sich an diesem Tag noch verstärkt hatte. Und es beschränkte sich deutlich auf diese beiden Personen, mit denen er in diesem Moment an einem Tisch saß, aber zu denen er doch nicht dazuzugehören schien. Zum wiederholten Male versuchte er sich nun einzureden, dass es selbstverständlich war, nach allem, was die beiden im letzten Jahr gemeinsam durchgestanden hatten. Er und Porthos waren nur sprach- und hilflose Nebenfiguren gewesen in einem Spiel um Leben und Tod, während diese beiden die Hauptrollen bekleidet hatten. Wer ausser den beiden wusste schon, was in dem dunklen Kerker, in dem sie ihrem sicheren Tod entgegensah, für Worte gefallen waren. Sicher war nur, dass sie inzwischen weit mehr verband als der bloße Dienst bei den Musketieren. Sie redeten mit einander, ohne das ein Wort ihre Lippen verließ. Sie führten vermehrt Gespräche unter vier Augen. Sie wichen einander kaum mehr von der Seite. All das ließ sie für D´Artagnan in eine gewisse Ferne rücken. Ein Raum, zu dem nur sie einen Schlüssel besaßen. Und er wusste, dass nicht nur er beunruhigt war. Er konnte es in de Trevilles Gesicht lesen. Der Kapitän zuckte zusammen, wenn ihre Namen in einem Atemzug genannt wurden. Zugegeben beruhten Treville´s Ängste mehr auf väterlicher Sorge um Aramis als auf der Befürchtung, dass ihre enge Freundschaft zu zerbrechen drohte, aber D´Artagnan sah sich in dem Gefühl bestätigt, dass die beiden immer enger zusammenrückten.

„Wenn es nach mir ginge schon morgen. Aber ich fürchte, dass ich das nicht zu entscheiden habe.“

„Sehr richtig. Du solltest froh sein, dass du die Möglichkeit hast, diesem Schreibtisch für ein paar Tage zu entkommen. Von mir aus lies deinen Kopernikus weiter, aber bleib um Himmels Willen noch einen Tag zu Hause!“ Aramis hob drohend den Zeigefinger. „Du wirst noch schnell genug wieder ungenießbar.“

„Entschuldigt, aber: Was ist ein Kopernikus?“ Wie aus der Ferne hörten sie D´Artagnan´s Versuch, Teil ihrer Unterhaltung zu werden. Und wie aus einem Mund erhielt er eine Antwort:

“Niemand!“ Sie wechselten einen kurzen Blick: „Nichts!“ Ein energisches Klopfen hielt sie davon ab, nach weiteren Ausflüchten zu suchen. „Ich gehe!“ Schon war Aramis auf dem Weg zur Tür, öffnete sie schwungvoll und lächelte der Hausherrin entgegen: „Ihr seid zu früh, Madame!“

„Wir müssen alle sehen, wie wir unseren Tag einteilen, nicht wahr Madmoiselle?“ Die Antwort der älteren Dame fiel wie zu erwarten kühl aus, wurde jedoch noch durch den eisigen Blick ihrer Tochter übertroffen. Sie machte wahrlich keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen die vermeintliche Konkurrenz. „Wollt Ihr uns nun hereinlassen oder sollen wir ewig hier in der Tür stehen.“

„Selbstverständlich nicht.“ Mit einer eleganten Armbewegung winkte sie die beiden Frauen herein.

„Pfui Teufel, wie riecht es denn hier?“ Aramis musste zugeben, dass die Mischung aus diversen Kräutern, gebratenem Fisch und dem im Kamin vor sich hin rauchenden Holz gewöhnungsbedürftig war, aber nach einiger Zeit gewöhnte man sich daran. Es roch bei weitem noch nicht so schlimm wie in den unzähligen Kneipen der Stadt. Aber was wusste eine auf Ordnung und Sauberkeit erpichte Hauswirtin schon von Kneipen? Sie beobachtete, wie das ausladende Hinterteil von einem Fenster zum anderen wippte, diese voller Entrüstung aufriss und sich Athos´ Brauen bei jedem weiteren Fenster enger zusammenzogen.

„Madame, wenn es euch nichts ausmacht, ich habe Feuer im Kamin.“

„Ja, das riecht man. Ihr werdet doch sicher verstehen, dass ich diesen Geruch nicht auf ewig in den Wänden haben möchte! Wie soll ich die Wohnung denn sonst vermieten!“

„Ich hatte nicht vor, in nächster Zeit auszuziehen…“
 

D´Artagnan war heilfroh, als er wieder unter freiem Himmel stand. Noch einmal wanderte sein Blick zu den Fenstern im zweiten Stock, die, inzwischen wieder fest verschlossen, den leicht bewölkten Nachmittagshimmel reflektierten. „Diese Frauen sind ja wahre Furien…“

„Wem sagst du das?

„Wie kann er so einer nur schöne Augen machen?“

„Es ist dir aufgefallen?“ Aramis schmunzelte.

„Wie hätte ich es übersehen können? Bist du deswegen gar nicht beunruhigt?“

„Deswegen? Oh nein, beim besten Willen nicht. Bei genauerer Betrachtung tut sie mir sogar ein wenig leid.“

„Das verstehe ich nicht…“ Aramis umfasste seine Schultern und schob in vorwärts:

„Lass uns zu St. Séverin gehen. Ich erkläre es dir unterwegs.“

Kurze Zeit später durchdrang grelles Lachen den allgemeinen Lärm auf der Straße zur Kirche im Quartier Latin.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2006-11-20T17:30:28+00:00 20.11.2006 18:30
Hey Tach,
du scheints ja derzeit in Hochform zu sein und ich muss sagen, deine Hochform ist wirklich klasse. Ich habe echte Freude dabei deine Kapitel zu lesen und werde aber dann sofort traurig, wenn ich die letzten Zeilen erreicht habe... Du spannst einen sichtlich auf die Folter, was den ungelösten Mord betrifft und die Beziehung zwischen Athos und Aramis, aber gerade das Geheimnisvolle fesselt mich so an deine Story... Du gibst immer nur ein klein bisschen von allem preis, echt genial... Aber eins muss ich fragen: Hab ich was nicht mitbekommen oder hab ich es einfach nur mal überlesen oder warum saßen Athos und Aramis mal ne Zeitlang zusammen im Kerker? Wirst du das Geheimnis auch noch lüften? :)
Freue mich sehr auf weitere Kapitel von dir!
LG Krisi


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