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Mein ist die Rache

von

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Henry Evrard, Verlobter der toten Manon Menard und somit, wenn man es genau betrachtete, Witwer, genoss die Aufmerksamkeit des üppigen Mädchens mit Namen Henriette in vollen Zügen und frei von Hintergedanken. Er hatte nicht gesehen, wie sie geradewegs die Tür zu einem Zimmer im ersten Stock geöffnet hatte, um dieses unter verführerischem Kichern im Arm des Musketiers Porthos zu betreten. Wie Porthos noch einen letzten Blick in den Salon geworfen und sich die prankenartige Hand vor den Mund geschlagen hatte, um nicht vor Schreck laut aufzuschreien. Und er hatte ebenfalls nicht gesehen, wie das Mädchen mit dem schelmischen Lächeln Instruktionen ins Ohr geflüstert bekam, die nur den einen Zweck hatten, ihn hinzuhalten. Und so nippte er hin und wieder an der heißen Schokolade, die ihm als Aufmerksamkeit des Hauses angeboten worden war und somit nicht nur hervorragend schmeckte, sondern auch noch umsonst war, und zwickte Henriette abwechseln in die linke und die rechte Gesäßhälfte. All das war zwar nicht der Grund, weswegen er hergekommen war, aber er würde sich nicht beklagen. Zumal sein Geist schon vor dem Betreten des Paradieses von einer gehörigen Portion Alkohol vernebelt worden war. Zu seiner eigenen Überraschung lichtete sich der Schleier binnen zweier Sekunden, als er die vier Musketiere vor sich wahrnahm. Vor Schreck vergaß er sogar, das Stück Hintern zwischen seinen Fingern zu entlassen.

"Henry, richtig?" Porhos ließ sich neben ihm auf die gepolsterte Bank fallen. "Also euch hätte ich ja nicht hier erwartet!" Bestimmt griff er nach der schlanken Hand, die immer noch seinen Lieblingskörper umschloss, um sie kräftig zu schütteln. "Ihr gestattet doch sicherlich, dass ich euch dieses bezaubernde Wesen abnehme? Sie dürfte ohnehin nicht euren Geschmack treffen, nicht wahr?"

"Wie bitte?" Der Angesprochen war immer noch bewegungsunfähig und machte keine Anstalten, den weichen Leib für sich zu beanspruchen.

"Ich meine, eure Verlobte war ja ein völlig anderer Schlag Frau. Da könnt ihr an diesem Engelchen hier ja gar keinen Gefallen finden, nicht wahr?" Porthos drückte ihr mit lautem Schmatzen einen feuchten Kuss auf die Wange. "Ihr solltet euch an Mädchen wie Renée Caspar halten!" Seine drei Freunde beobachteten das Schauspiel voller Staunen. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit war Porthos ganz offensichtlich dabei, den jungen Mann neben sich in ein Gespräch zu verwickeln, in dessen Verlauf sich dieser womöglich als Täter zu erkennen gab. Und das erstaunlichste daran war, dass besagter Porthos sich seiner Sache völlig bewusst zu sein schien.

Langsam gewann Henry Evrard an Haltung: "Was meint ihr?"

"Na, ihr wißt doch sicher, worauf ich hinaus will. Kennt ihr Mademoiselle Caspar?"

"Ja, natürlich kenne ich sie. Wir...sind und schon häufiger begegnet."

Athos hielt den Atem an. Mit nur einem Satz konnte sein für gewöhnlich unter mangelndem Gespür leidender Kollege alles zunichte machen.

"Was ihr nicht sagt." Porthos strich sich über das unrasierte Kinn. "Wußte ich doch, dass ihr mehr für die Blonden übrig habt!" Kameradschaftlich klopfte er ihm auf die Schulter, während Athos hörbar ausatmete. "Wisst ihr was? Ich mache euch einen Vorschlag. Ich lade euch ein. Ein Krug Wein für jeden von uns. Für euch einen, für mich einen. Und Madame bringt uns noch etwas feines, mit dem wir unsere knurrenden Mägen füllen können. Was sagt ihr dazu?"

Henry Evrard war sichtlich skeptisch. Er kannte den dicken Kerl kaum, warum also wollte dieser ihm etwas spendieren? "Ich dachte mir, jetzt, da ihr euch in dieser schwierigen Situation befindet, könntet ihr ein bischen Aufmunterung gut gebrauchen. Also, was sagt ihr? Wollt ihr etwa den besten Wein des Hauses ausschlagen?" Das allerdings war ein Argument, dass den ohnehin schon nicht mehr nüchternen jungen Mann überzeugte: "Und ihr bezahlt?"

"Den vollen Preis!"

Während nun also Porthos den schwankenden Henry am Arm packte, um ihn freundschaftlich schnatternd die Treppe hinaufzuführen, blickte Athos verwirrt in die Runde. "Ich muss mir das gerade eingeblidet haben." Er sah Aramis fragend an. "Hattet ihr etwas dergleichen besprochen?"

Aramis hob entschuldigend die Schultern: "Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Ganz offensichtlich ist unser werter Porthos gerade über sich hinaus gewachsen." Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht.

"Wenn die Herrschaften die Anmerkung gestatten, ihr unterschätzt Monsieur Porthos sehr oft, wie mir scheint." Henriette stämmte die Hände in die üppigen Hüften und atmete betont tief ein, als wolle sie sich aufblähen wie ein zum Kampf bereiter Hahn. Nur Bruchteile später ließ sie die Luft mit einem lauten Schnaufen wieder entweichen und machte, mit hoch erhobenem Kopf, auf dem Absatz kehrt, um den Wein für ihren gerissenen Lieblingsgast und sein ahnungsloses Opfer zu holen.
 

Nach dem Schauspiel im Salon hatte Madame Paradis den verbliebenen Musketieren schweigend zu verstehen gegeben, dass sie sie noch einmal in ihrem Arbeitszimmer sprechen wolle.

"Kennt ihr diesen jungen Mann?" Statt sich erneut hinter ihrem Schreibtisch in Sicherheit zu wiegen, blieb sie jetzt davor stehen, nur eine Hand auf das dunkle Holz gestützt.

"Wir hatten vor einigen Wochen das erste Mal mit ihm zu tun.", beantwortete Aramis die besorgte Frage. "Er war mit dem ersten Opfer dieser Mordserie verlobt. Ihr Name war Manon Menard. Ihr kennt sie nicht zufällig?"

"Oh, nein nein. Wenn diese Manon nicht bei mir gearbeitet hat, dann kenne ich sie nicht. Wißt ihr, die anständigen Mädchen machen einen weiten Bogen um mich. Wenn man sie mit mir zusammen sehen würde, wäre ihr Ruf verständlicherweise ruiniert."

Athos brummte verstehend. "Ist Monsieur Evrard schon lange Gast bei euch?"

"Nun, was heißt lang? Er war im Februar das erste Mal hier. Sturzbetrunken."

"Wann im Februar?"

"Ihr stellt wirklich die unmöglichsten Fragen, Monsieur! Wisst Ihr noch den genauen Tag, an dem ihr das letzte Mal Gast in meinem Hause wart? Aber nun gut, lasst mich überlegen." Madame Paradis strich sich nachdenklich über den Nacken. "Es muss um den zwanzigsten herum gewesen sein. Ja, ich glaube, so war es. Wie gesagt, er war sturzbetrunken und gab teils unverständliche Laute von sich. Gejault wie ein Hund hat er. Eigentlich wollte ich ihn hinauswerfen lassen, weil ich mir Sorgen um das Wohlbefinden meiner anderen Gäste gemacht habe, aber einige meiner Mädchen meinten, er sähe so traurig aus und bräuchte ein wenig Zuwendung. Und nachdem er mir versichern konnte, dass er zahlungsfähig sei, habe ich ihn den Mädchen überlassen. Seitdem kommt er recht häufig. Nüchtern habe ich ihn allerdings nie erlebt."

Wieder brummte Athos etwas zur Bestätigung. Manon Menard wurde am fünfzehnten des Monats gefunden. Es wäre also nicht unwahrscheinlich, dass er, entsetzt ob seiner eigenen Grausamkeit, dem Rausch verfallen ist und nach einem Ersatz sucht. Aber warum hätte er seine Verlobte umbringen sollen? Und im Anschluss weitere Mädchen, die der Menard ähnlich sehen. Es wollte sich einfach nicht sinnvoll zusammenfügen.

"Das also meinte dieser Julien, als er sagte, dass sein Freund sich nach dem Tod seiner geliebten Manon verändert hätte." aus D´Artagnan sprach Mitleid.

"Es scheint so..." Aramis nickte. "Monsieur Evrard gehörte nicht zufällig zu den Männern, die bevorzugt nach Renée Caspar verlangt haben?"

"Ihr sagt es! Nachdem er Renée das erste Mal gesehen hatte, wollte er von meinen anderen Mädchen nichts mehr wissen. So sehr sie ihn auch umgarnten, er hat immer gewartet, bis sie Zeit für ihn hatte. Aber wie ich bereits erwähnt hatte, bildet er in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Verzeiht mir, wenn ich erneut Monsieur Porthos als Beispiel heranziehe: Er würde es gar nicht wagen, einem anderen Mädchen als Henriette seine Aufmerksam zu schenken. Sie würde rasen vor Eifersucht. Nun, und dieser junge Mann, wie war noch gleich sein Name, war bei Leibe nicht der einzige Stammkunden von Renée."

"Tatsächlich?" Athos zögerte einen Moment. "Kennt ihr die Namen dieser Herren?"

"Oh, die wenigsten meiner Gäste verraten mir ihren Namen. Einige wenige kennt man, weil sie stadtbekannt sind, so wie Ihr, und noch weniger verraten mir aus freien Stücken ihre Namen. Manchen hört man auch aus Gesprächen heraus. Aber das sind wirklich Ausnahmen. Ich kann euch vielleicht zwei oder drei Namen geben, mehr nicht." Sie hob bedauernd die Schultern.

"Ich denke, dass reicht für´s erste."

Flink wie ein Spatz war Madame Paradis hinter den Schreibtisch getreten. Sie nahm ein abgerissenes Stück Pergament aus einer Schublade, tauchte die Feder in das kleine Tintenfaß und kratze drei Namen darauf. "Mehr kann ich diesbezüglich leider nicht für euch tun, Monsieur. Aber," sprach sie jetzt auch an D´Artagnan und Aramis gewandt, "wenn ihr gestattet, seid doch meine Gäste, bis Monsieur Porthos sein Gespräch beendet hat." Ihre Hand wies freundlich auf die Tür zum Flur. "Vielleicht möchtet ihr ja tatsächlich einmal eine Schokolade probieren. Sie schmeckt wirklich ausgezeichnet, dafür verbürge ich mich."

Auf dem Weg zur Treppe blieb Aramis urplötzlich stehen und legte ein Ohr an die Tür zu ihrer Rechten. Dröhnendes Lachen und durch Lallen nahezu vollständig entstellte Wörter drangen durch das Holz.

"Kannst du etwas hören?" Athos trat nun seinerseits näher heran.

"Nicht viel. Entweder macht er seine Sache verdammt gut und verstellt sich, oder er trinkt gerade Bruderschaft mit Monsieur Evrard und hat morgen früh alles wieder vergessen." Das beste hoffend begaben sich die drei zur Untätigkeit Verdammten in den Salon, um dort zumindest einen kleinen Schluck dieses viel gerühmten Getränks zu nehmen.

"Schmeckt irgendwie seltsam.", bemerkte D´Artagnan schnell, atmete den Geruch tief ein und nippte zur Sicherheit noch einmal prüfend an der gewürzten braunen Flüssigkeit. "Da bleibe ich lieber beim Wein."

"Ich denke, die wenigsten trinken es wegen des Geschmacks.", erwiderte Athos lachend.

"Wie meinst du das?"

"Wie Aramis bereits bemerkt hatte, sagt man der Schokolade eine anregende Wirkung nach, wenn du verstehst, worauf ich hinaus will. Deswegen trinkt man sie hier. Deswegen trinkt man sie am Spanischen Hof und deswegen trinkt man sie wohl auch im Louvre. Korrigiere mich, wenn ich falsch liegen, Aramis." Seine Stimme war gedämpft.

"Ihre Majestät trinkt regelmäßig eine Tasse, ob allerdings aus Gewohnheit oder mit Hintergedanken kann ich dir nicht sagen."

"Die Königin?" Vor Schreck hatte D´Artagnan seine Stimme unötig erhoben, was sogleich mit forschem Zischen seiner zwei Kollegen quittiert wurde. "Entschuldigt. Aber warum die Königin?"

"Warum nicht?" Aramis wirkte belustigt. "Sie hat das Getränk aus ihrer Heimat an den Hof gebracht, ich kann mir also durchaus vorstellen, dass sie es aus reiner Heimatverbundenheit trinkt."

"Ja aber...die Wirkung!" Er war immer noch aufgewühlt.

"Merkst du denn was?", schaltete sich Athos ein.

Für einen Moment saß D´Artagnan reglos da und erforschte sein Innerstes nach etwas, das wie plötzlich aufkommendes körperliches Verlangen wirkte. Dann fand er seine Sprache wieder: "Nein, bis jetzt nicht. Mir ist ein bischen warm, aber sonst nichts."

Seine Freunde grinsten. "Na bitte."

"Dann ist das alles nur ein Gerücht?"

"Ich denke, man muss daran glauben, um es zu spüren, wie bei so vielen Sachen."

"Hm." D´Artagnan war in sich zusammengesunken und starrte Athos an. Was wohl die anderen Sachen waren?

In diesem Moment polterte es über ihnen. Eine Tür flog auf, ein Krug zersplitterte und zwei tiefe Männerstimmen gröhlten ein von Schnaufen und Kichern unterbrochenes Lied, dass sich nur noch an der Melodie erkennen lies. Langsam wankte das Duo die Treppe hinunter. Hin und wieder trat einer von beiden statt auf eine Stufe ins Leere und musste dann vom anderen mühsam vor einem Sturz bewahrt werden. Aramis konnte sich nicht erinnern, wann sie ihren beleibten Freund das letzte mal derart besoffen gesehen hatte. Sie ahnte das Schlimmste. Ein Blick in die Gesichter ihrer Freunde ließ erahnen, dass es ihnen ähnlich ging. Statt auf sie hielten die beiden Weinseligen auf die Haustür zu. Beherzt griff Henry Evrard nach dem Türknauf und verfehlte um mindestens eine Handbreit. Es brauchte mehrere Anläufe, bis er endlich die Tür geöffnet hatte. Sofort ließ er sich aus der stützenden Umarmung des Musketiers gleiten und kippte auf die Straße. Nur der Türgriff, der noch immer fest in seiner Hand lag, verhinderte, dass er mit dem Gesicht voran im Schlamm der aufgeweichten Straße landete. Kichernd richtete er sich wieder auf und lallte etwas, was Athos als einen Abschiedsgruß an Porthos deutete. Dieser antwortete nicht weniger undeutlich, aber wesentlich lauter, winkte ausgelassen, verlor dabei das Gleichgewicht und stolperte seinem neu gefundenen Saufbruder ein paar Schritte hinterher. Am liebsten hätte Athos sein Gesicht in den Händen vergraben. Dieser versoffene Trottel hatte es tatsächlich mal wieder geschafft, einen anfänglich vielversprechenden Plan zunichte zu machen. Da jedoch brach Porthos unvermittelt das Winken ab, drehte sich geschickt um seine eigene Achse und verschloss kichernd die Tür.

"Der ist voll wie eine Jauchegrube!", posaunte er, plötzlich wieder klar verständlich. "Jetzt habe ich aber wirklich Durst."



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Nessi-chan
2008-07-13T14:48:01+00:00 13.07.2008 16:48
Wow, Porthos läuft zur Hochform auf! Das hätte ich kaum für möglich gehalten. ^^
Und das Gespräch über die Schokolade war auch sehr ... interessant. ^^
Alles in allem so spitze wie ich es von dir gewöhnt bin. d(^,^)b

Nessi-chan
Von: abgemeldet
2008-05-16T07:29:32+00:00 16.05.2008 09:29
Toll geschrieben, was anderes ist man ja nicht von dir gewohnt! Ich gebe zu, dass ich noch nie ein Porthos-Fan war, weil er stets so dargestellt wurde, wie du ihn den Zuschauern zunächst erscheinen lässt. Um so überraschter und ansprechender fand ich die Auflösung, dass Porthos nicht unterschätzt werden sollte. Wie schon im letzten Kapitel gesagt, fange ich wirklich an Porthos zu mögen :D
Die Dialoge in deiner FF sind und bleiben einzigartig und verlangen schnell nach einer Fortsetzung :)
Von:  fastcaranbethrem
2008-05-16T05:33:45+00:00 16.05.2008 07:33
schönes Kapitel. richtig gut geschrieben. ließt sich einfach gut mit sehr viel schmunzeln und grinsen
Von:  amacie
2008-05-15T13:01:56+00:00 15.05.2008 15:01
Na jetzt weiß ich auch warum mir immer so schön schwumrig warm ist, wenn ich heiße Schokolade getrunken habe *G*.
Ich fand das Kapitel sehr schön, ich bin zwar der Lösung deswegen immer noch nicht näher gekommen, aber einen so ausgefuchsten Porthos habe ich dafür auch noch nie erlebt.^^ Er macht sich. Nun bin ich mal gespannt was er so herausgefunden hat.


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