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Erlebnisse

von

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(I) Wiederkehr

Die Sonnenstrahlen durchdrangen das Blattwerk der Bäume und fanden sich auf dem ausgedörrten Boden wieder.

Seit Tagen hatte es schon nicht mehr geregnet und die brennende Hitze schlug auf die Gemüter der Menschen.

Einer jedoch erfreute sich an der herrlichen Sonne und blinzelte ihr entgegen, als ihr Licht seine Augen traf.

Er hatte einen langen Weg zurückgelegt, um sein Ziel zu erreichen. Und nun bewunderte er die Aussicht auf die Hauptstadt Frankreichs.

"Paris, du hast mich wieder...", murmelte er vor sich her und lächelte.

Knapp neun Jahre waren nun vergangen, seit er diese Stadt zum letzten Mal gesehen hatte.

Er hatte schon fast geglaubt, er würde nie wieder hierher zurückfinden, aber Gott sei Dank, dachte er bei sich, war dies nicht wahr geworden, denn soeben hatte er das Eingangstor St. Denise durchschritten. Und erneut wurde er sich bewusst, dass zugleich ein Stück Erinnerung wieder den Weg in sein Gedächtnis gefunden hatte. Diese unscheinbaren Augenblicke hatte er gelernt in seinem Herzen zu bewahren und sich in schlechten Zeiten daran zu erinnern.

Erleichtert strich er sich über die Stirn und beseitigte damit Schweiß und Schmutz. Dabei wurde ihm plötzlich klar, dass er sich bereits seit Tagen nicht mehr gewaschen hatte, was ihn dazu trieb, den nächst nahe gelegenen Brunnen aufzusuchen.

Wochen war er zu Fuß unterwegs gewesen. Meistens musste er in freier Natur nächtigen, was ihn lediglich störte, sobald es regnete.

Manchmal hatte er Glück und ein Bauer fuhr mit seinem Karren an ihm vorüber und winkte ihn zu sich hoch, ohne das er ihn überhaupt fragen musste, ob er denn mitfahren dürfe.

In den letzten Jahren hatte er viele Orte von Frankreich kennen gelernt und eine Vielfalt an Erfahrungen gesammelt.

Dennoch spürte er, wenn er ehrlich zu sich selbst war, dass er ganz bestimmtes Leben vermisste, welches er glaubte in Paris wiederzufinden.
 

Das kalte Wasser des Muchoix Brunnens hinterließ nur eine geringe Wirkung an Abkühlung auf der Haut der Menschen.

Die Frauen aus dem Bürgertum mussten auch an solch einem heißen Tag zum nahen gelegenen Brunnen, um dort die Wäsche der Familie zu waschen oder die ihrer Herren, für welche manche als Zimmermädchen arbeiteten.

Der fremde Besucher hatte sich seines weißen Hemdes entledigt und war nun dabei notdürftig seinen Oberkörper zu säubern.

Die Frauen in seiner Umgebung blickten ihn überrascht und begierig zugleich an und zum zweiten Male musste sich der junge Mann daran erinnern, dass er sich in einer Großstadt befand und nicht an einem Bach in einem dichten Wald.

Etwas errötet, beendete er seine Körperwäsche und blickte sich hastig nach seinem Hemd um.

Als ihm plötzlich jemand von hinten auf die Schulter tippt "Ich glaube, du suchst dieses hier...", sprach eine weiche Stimme.

Der Fremde blickte in zwei grasgrüne Augen, die von blonden langen Haaren eingerahmt wurden. Die Kleidung der unbekannten Schönen wies daraufhin, dass sie aus ärmlichen Verhältnissen kam, doch diese Tatsache verging unter dem Ausdruck, der ihre Augen füllte.

Der Angesprochene nahm zaghaft das Hemd aus ihren Händen, die rot und geschwollen waren, wahrscheinlich vom vielen Wäsche waschen.

"Dein Hemd war auf den Boden gefallen...", sprach sie weiter, doch erntete erneutes Schweigen. Sie hob ihre Augenbrauen an, da sie langsam annahm, ihr Gegenüber sei stumm oder taub, je nach dem.

Doch endlich fand der Fremde seine Worte wieder "D... Danke... Es steht mir eigentlich nicht zu, mich hier so lange aufzuhalten, wenn ich sehe, wie viele Frauen der Stadt hier schwer arbeiten müssen... Deswegen werde ich jetzt lieber gehen", er zog sich sein Hemd über und nahm den Stoffsack, den er an den Brunnen gelehnt hatte. In diesem Beutel trug er alle kostbaren Sachen mit sich, auch wenn das nicht gerade viele waren. Darin waren noch ein paar Hemden und eine Hose und etwas Geld, was er durch gelegentliches Arbeiten verdient hatte.

Das junge Fräulein sah ihn nun noch überraschter an, als sie es sowieso schon tat, da sie offensichtlich noch keinen Mann erlebt hatte, der sich derart nervös verhielt bei einer Frau. Sie beobachtete ihn dabei, wie er den Beutel auf seinen Rücken schwang und den belebten Platz im schnellen Schritte verließ.

"Au revoir", rief die junge Frau ihm noch nach und wollte doch dabei eigentlich seinen Namen erfahren.

Etwas betrübt erkannte sie, wie der Unbekannte hinter der nächsten Hausecke verschwunden war. Sie seufzte und machte sich mit gemischten Gedanken wieder an die Arbeit.
 

Auf einer Nebenstraße wunderten sich einige Leute, warum ein junger Mann kopfschüttelnd und immer wieder leise fluchend an ihnen vorüberging.

Er konnte gar nicht glauben, wie er sich gerade verhalten hatte. Als ob er noch zwölf Jahre alt gewesen wäre. Dabei hatte er noch nie eine solche Schönheit vor sich gehabt, die auch noch bereitwillig mit ihm sprechen wollte.

Er schob diesen Gedanken beiseite, da er doch eigentlich wegen einem anderem Grund nach Paris zurückgekehrt war und nicht um von schönen Frauen angehimmelt zu werden.

Dennoch könnte er ja später noch einmal zu diesem Ort zurückkehren. Vielleicht würde das Fräulein ja wieder ihre Arbeit dort erledigen.

Erfreut über diese Entscheidung hob er seinen Kopf und schlug den Weg zu Kapitän de Trévilles Behausung ein; dem Musketieranwesen.

(II) Überraschungen

Schon als er an der Außenmauer des Anwesens vorüberschritt, nahm er Stimmen einzelner Musketiere wahr, die sich scheinbar in Trainingseinheiten befanden. Denn die Geräusche ihrer Degen waren synchron zu den Schritten, die die Anwärter tätigten.

Der Sand unter seinen Stiefeln knirschte leise, als er durch den Rundbogen des Tores ging und den zwanzig Meter langen Kiesweg am Hause Kapitän de Trévilles betrat, um den Trainingsplatz zu erreichen.

Er ließ die zweite Mauer hinter sich, die den Weg vom offenen Platz abgrenzte und fand sich wie erwartet unter nahezu zwei Dutzend fechtenden Musketieren wieder.

Alle Übenden trugen bereits die höchst angesehene Lilienuniform, was bedeuten musste, dass sie kurz vor der zeremoniellen Einführung stehen mussten.

Einige Schritte vor dem Besucher stand ein einzelner Musketier von scheinbar höherem Rang, der die gesamten Phasen, in welchen sich die Anwärter befanden, überblickte und beurteilte.

Der Unbekannte glaubte einen alten Freund in ihn erkannt zu haben, sodass er sich leise von hinten an den wertenden Musketier heranschlich und ihm plötzlich auf die Schulter klopfte.

Völlig überrascht nahm der Musketier einen Angriff von hinten an und fing panisch an zu schreien.

Da bemerkte der Besucher augenblicklich, dass es sich nicht um denjenigen handelte, den er eigentlich erhofft hatte, wiederzusehen "Ihr seid ja gar nicht, D'Artagnan!".

Der panisch schreiende Musketier griff zu seinem Degen, als er endlich feststellte, dass sein Gegenüber unbewaffnet war und er sich somit im Vorteil befand.

"Hattet Ihr etwa vor mich zu überfallen?!", schrie er völlig aufgebracht und zog seinen Degen, dessen Spitze er sofort gegen die Brust des Anderen richtete.

"Glaubt mir, mein Herr", begann der nun scheinbar Schuldige sich zu verteidigen "ich wollte Euch weder überfallen, noch sonst in irgendeiner Weise Schaden zufügen. Ich hielt Euch lediglich für jemanden, der Ihr nicht seid!".

"Und das soll ich Euch glauben?!", die Klinge des Degens drang näher zur Brust des werdenden Opfers vor "Heutzutage hat doch jeder ein Attentat auf einen Musketier im Hinterkopf!".

Bevor sich der Besucher über solch wunderlichen Worte Gedanken machen konnte, erschallte hinter ihm eine andere Stimme "Was geht hier vor sich? Bericht, Soldat!".

Als sich beide Männer zu der fordernden Stimme umdrehten, trat Schweigen ein.

"Aramis", stotterte der Besucher endlich und konnte nicht wahrhaben, wieder einen alten Freund vor sch zu haben.

Aramis musste genauer hinschauen, um zu erkennen, wer sich vor ihr befand.

"Jean?", flüsterte sie noch immer zweifelnd, aber er nickte.

Und dann war sie sich ganz sicher "Meine Güte! Du bist zurückgekommen!".

Ohne weitere Fragen zu stellen, zog sie ihn in ihre Arme.
 

Etwas angespannt stand Jean nun inmitten des Büros von Kapitän de Tréville, zumindest hatte er das angenommen.

"Ich freue mich sehr, dich wiederzusehen, Jean", erneut wurde er umarmt, doch dieses Mal von Athos.

Jean fühlte sich etwas komisch, dies lag jedoch nicht an der Umarmung, denn auch diese war wie bei Aramis von viel Wärme erfüllt.

Dennoch schlich sich Unbehagen in ihn ein.

Es sollte sich wenig später herausstellen, dass dieses Gefühl eher einer Vorahnung glich.

"Erzähl, Jean", Athos lockerte seinen Griff um Jean wieder und sah ihn an "wie ist es dir nun ergangen die letzten Jahre? Wir waren sehr betrübt, als wir nach deiner Abreise nie wieder was von dir hörten, kein Brief, kein Gruß, gar nichts...".

Jean überlegte kurz und musterte dabei noch einmal Athos, der vor ihm stand und Aramis, die sich im Hintergrund hielt neben dem Schreibtisch.

"Ich habe die letzten Jahre ganz Frankreich bereist, von den Pyrenäen bis hoch zur Bretagne. Zuerst wollte ich nach einigen Wochen so schnell wie möglich wieder nach Paris zurückkommen, weil ich dachte, ich würde keinen Monat überleben. Diese Zeit war sehr anstrengend. In Paris war es leicht, mal für eine Woche keine Arbeit zu haben, denn es ergaben sich immer wieder kleinere Sachen mit denen man Geld verdienen konnte. Aber in den kleinen Dörfern Frankreichs sah das alles anders aus. Ich war glücklich, wenn ich einige Tage bei einem Bauern auf der Weide arbeiten durfte, als Gegenleistung konnte ich im Stall übernachten und mit der Familie zu Abend essen.

Sobald es jedoch keine Arbeit mehr für mich gab, musste ich weiterziehen. Dann hatte ich tagelang nichts zu essen und musste im Freien übernachten.

Dennoch vergaß ich nie mein eigentliches gesetztes Ziel, nämlich meine Mutter wiederzufinden.", Jean setzte kurz in seiner Erzählung ab und dachte wieder nach. In Aramis' und Athos' Augen entfachte kurz ein Hoffnungsschimmer, dass er wirklich seine Mutter wiedergefunden hatte.

Gerade als sie ihn ermutigen wollten, weiter zu sprechen, holte er wieder Luft "Durch Zufall begegnete ich eines Tages einem Edelmann in einem Gasthof, in welchem ich gerade arbeitete. Er wurde von einigen dunklen Gestalten bedrängt, sodass ich ihm zu Hilfe eilte und wir sie gemeinsam in die Flucht schlagen konnten. Wir kamen ins Gespräch und als ich ihn über meine derzeitige Situation aufklärte, bot er mir längerfristige Arbeit in seinem Hause an. So konnte ich zumindest erst einmal ein wenig Geld sammeln und hatte ein Dach über dem Kopf, was sich sehr anbot, da der Winter eingebrochen war und ich nicht wusste, wie lange ich denn noch in dem Gasthaus arbeiten konnte. Also ging ich mit ihm nach Aurillac im Süden Frankreichs. Es stellte sich bald heraus, dass Monsieur Gaston ein sehr gutmütiger Mensch war. Er lehrte mich richtig zu fechten und mich ordentlich zu verhalten. Ich beobachtete ihn dabei, wie er den Bettlern in der Stadt jedes Mal zwei Goldstücke gab, damit sie sich etwas zu essen kaufen konnten. Ich verehrte seine Güte, da es auf der Welt nicht mehr so viele Menschen von seiner Art gibt. In seinem Hause arbeitete ich hart, doch ich kam mir nie wie nur ein einfacher Angestellter vor. Gaston behandelte mich vielmehr wie einen Sohn. Eines Abends fragte er mich, ob ich denn sein Erbe sein wolle. Er meinte, mir könnte er sein Vermögen und seine Villa anvertrauen, da er davon überzeugt war, dass ich es richtig verwalten würde. Ich sagte zu ihm, dass es eine große Verantwortung wäre und ich nicht wüsste, ob ich dieser gewachsen wäre. Somit bat ich ihn um etwas Bedenkzeit."

Athos und Aramis fassten nicht, was sie da hörten. Nach der langen Zeit, die Jean in Armut in Paris verbracht hatte, wurde ihm nun endlich Glück zuteil, ein besseres Leben zu führen. Sie waren sehr von seiner Ehrlichkeit beeindruckt. Jean hätte sofort das Geld von Monsieur Gaston annehmen können, dennoch hatte er sich zurückgehalten. Athos und Aramis waren sich sicher, dass Jean ebenso viel Güte besaß, wie Gaston.

"Was war weiter geschehen?", unterbrach Aramis nun wieder die übermächtige Stille, sodass Jean seine Erlebnisse weiter schilderte "Als ich am nächsten Abend nach einem Ausritt zur Villa von Monsieur Gaston zurückkehrte, konnte ich bereits von weitem erkennen, dass das Haus in Brand gesteckt wurde. Vor den Flammen fand ich Gaston am Boden liegend und kaum noch bei Bewusstsein. Ich wusste, dass er sterben würde, als ich ihn in meine Arme nahm und letzte schwache Worte mit ihm wechselte. Die alten Feinde waren zurückgekommen und hatten alles zerstört. Gaston gestand mir in seinen letzten Atemzügen, dass er meine Mutter gekannt hatte und mich daher bei sich aufgenommen hat, da er mich auch so lange gesucht hatte. Er verriet mir, dass er in dem kleinen Stall, etwas abseits vom Haus, Geld in einem Beutel versteckt hatte. Er hatte geahnt, dass so etwas passieren würde. Außerdem befand sich noch ein Zettel in dem Beutel, auf dem ein Kloster in Vesoul (im Osten Frankreichs) geschrieben stand. Mein nächstes Ziel also war das Kloster. Dort erfuhr ich von den Nonnen, dass meine Mutter dort ihre letzten Tage verbracht hatte, bevor die Tuberkulose sie einholte und sie daran starb. Sie erzählten mir, dass sie durch die lange Verfolgung so schwer erkrankt war und sie leider überhaupt nichts mehr für sie tun konnten. Als ich an dem Grab meiner Mutter hinter dem Kloster stand, wusste ich, dass ich alles nur Gaston zu verdanken hatte. Denn ich hatte endlich meinen Frieden gefunden. Ich blieb noch einige Zeit im Kloster und half den Nonnen dabei, schwere Arbeiten an der Kirche zu vollbringen. Dafür lehrten sie mich einige spanische und englische Worte. Doch die Gemäuer waren schon sehr alt und begannen bereits zu verfallen, sodass ich bald einen Entschluss traf. Da ich sowieso nicht lange im Kloster bleiben konnte, verließ ich es in der Nacht und legte das Geld von Monsieur Gaston in die Kirche. Es war viel, was Gaston hinterlegt hatte, sodass die Kirche wieder in einen sehr guten Zustand hergestellt werden kann. Für mich war es nur ein kleiner Dank dafür, dass sich diese Frauen die letzten Tage im Leben meiner Mutter um sie gekümmert haben.", Jean sah Athos und Aramis wieder in die Augen und erkannte dabei, dass beide von dieser Tragödie sehr berührt waren. Sein Schmerz war inzwischen vorüber, aber auf ewig eingeschlossen in seinem Herzen, sodass er ihn nie vergessen würde. Dass er seine Geschichte nun erzählen konnte, überzeugte ihn davon, dass er mit seiner Vergangenheit nun leben kann. Eine depressive Stimmung lag in der Luft, die Jean keinesfalls hervorrufen wollte, schließlich sahen sich die drei nach neun Jahren wieder und das war doch eigentlich ein grund zum Feiern "Meine lieben Freunde, jeder Mensch hat eine Vergangenheit, die Schmerz in sich birgt. Doch dieser Schmerz macht jeden Einzelnen von uns stärker. Deshalb bin ich nach Paris zurückgekehrt. Ich möchte ein neues Leben beginnen...", er lächelte und die beiden Musketiere erkannten, wie sehr viel älter und reifer Jean geworden war.

Als dieser junge Mann vor ihnen stand, erinnerten sie sich irgendwie an ein Abbild D'Artagnans, als dieser mit siebzehn Jahren nach Paris gekommen war. Doch in den Augen von Jean konnte man sehen, dass er bereits viel erlebt hat. Dies war der große Unterschied zu D'Artagnan.

Jean war groß, schlank und kräftig geworden. Seine Haltung war gerade und fordernd und sein Gesichtsausdruck ließ nicht zu viel von seinen Gefühlen preisgeben. Athos und Aramis bewunderten seine Entwicklung zum Mann, in solch einem jungen Alter.

Auch Jean war gerade dabei, die beiden alten Freunde intensiver zu begutachten.

Während seiner Erzählung hatte sich Athos wieder in den Stuhl des Kapitanes gesetzt und die Hände unter seinem Kinn verschränkt, um sich darauf abzustützen. Diese Haltung ließ Jean an Monsieur de Tréville selbst zurückerinnern. Die schmalen Falten unter seinen Augen waren etwas tiefer geworden und die Schultern etwas breiter. Auch hatte er nicht nur wie früher einen Oberlippenbart, sondern nun auch einen kleinen Bartansatz am Kinn. Dies ließ ihn allgemein etwas reifer wirken und wahrscheinlich noch attraktiver auf Frauen. Seine Kleidung hatte sich auch etwas verändert. Sie war nun viel dunkler mit einem grünen Schimmer. Dies ließ Athos sehr edel wirken.

Aramis hingegen stand neben dem Schreibtisch in gewohnter Haltung. Aber Jean war sofort aufgefallen, dass ihre Gesichtszüge noch weiblicher geworden waren. Wurde denn ein Frau im zunehmenden Alter immer schöner? Er war sich nicht ganz sicher, aber bei Aramis schien es der Fall zu sein. Es wäre doch sehr verwunderlich, wenn die Männer in ihrer Umgebung nicht erkennen würden, dass Aramis eine Frau ist, aber scheinbar hat in all den Jahren immer noch keiner Verdacht geschöpft, denn sonst wäre Aramis sicher nicht mehr bei den Musketieren.

(III) Enttäuschungen

Und wieder trat dieses unbehagliche Schweigen ein.

Langsam schlich sich in Jean das Gefühl ein, dass er hier unerwünscht war oder dass die beiden ihm etwas verheimlichten. Schließlich war es nicht normal, dass es ständig an Gesprächsstoff mangelte.

Man hatte sich neun Jahre lang nicht gesehen, da müsste man sich doch einiges zu erzählen haben. Oder war genau das Gegenteil eingetreten und man hatte sich entfremdet?

Jean beschloss diese Tatsache zu ergründen "Nun ist es aber genug zu mir... Sagt mir doch lieber, wo sich D'Artagnan und Porthos herumtreiben? Außerdem muss ich noch zu Kapitän de Tréville, ihn um etwas wichtiges bitten. Und Constanze möchte ich natürlich auch wiedersehen...", er sprühte vor Enthusiasmus, doch er sollte bitter enttäuscht werden.

Athos und Aramis tauschten einen schnellen, geheimnisvollen Blick aus, doch er blieb dem Neuankömmling nicht verborgen. Zu wichtig schien er für den Fortgang der Unterhaltung zu sein.

Athos' Augen wurden schmaler "Du musst wissen, Jean, dass einige Veränderungen seit deiner Abreise vor sich gegangen sind...".

"Mmh, das kann ich mir gut vorstellen, schließlich sind neun Jahre nicht von heute auf morgen vergangen", spaßte Jean herum, doch der Ausdruck auf den Gesichtern, die er vor sich hatte, ließen ihn schnell wieder verstummen.

"Gravierende Veränderungen", meinte Athos trocken und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Scheinbar tat er sich schwer damit in seiner Erzählung zu beginnen.

Aramis berührte kurz seine Schulter, um ihm wortlos mitzuteilen, dass sie damit anfangen würde, die letzten Jahre wieder zum Vorschein zu bringen "Wie du sicher bereits bemerkt haben wirst, ist de Tréville nicht mehr Hauptmann der Musketiere. Vor ungefähr drei Jahren ist er schwer erkrankt. Die Ärzte meinen, er würde an Knochenschwund leiden. Daraufhin wurde er vom König aus dem Dienst entlassen und Athos wurde zum neuen Befehlshaber ernannt...", Aramis brach vorerst ab, um die Reaktion von Jean zu deuten. Doch er wollte weiterhin ihren Worten lauschen.

"Einige Monate später erhielt D'Artagnan ein Angebot vom König persönlich, als seine Wache zu dienen, sozusagen als des Königs Leibwache in seine Dienste zu treten. Die Situation in der sich D'Artagnan zu dieser Zeit befand, ließ ihn schnell eine Entscheidung treffen...".

Jean unterbrach sie nun, da er glaubte zu wissen, was nun folgen würde "D'Artagnan ist nun also die Leibwache des Königs?!", ein zustimmendes Nicken auf der anderen Seite des Raumes bestätigte seine Vermutung "Aber warum? Er hatte lange dafür gekämpft, als Musketier aufgenommen zu werden. Es muss sich um eine aussichtslose Situation gehandelt haben, in der sich befunden haben musste", schlussfolgerte Jean, worauf jedoch ein schneller Einwand folgte "Am besten fragst du ihn das selbst...".

Aha, also würden Aramis und Athos ihn den wahren Grund nicht nennen, warum auch immer...

"Aber wo ist Porthos? Hat er etwa auch den Musketierchor verlassen?"

"Er hat eine eigene Fechtschule gegründet", seufzte Athos und rückte auf seinem Stuhl nervös von einer Seite auf die andere "Ihm schienen die Musketiere nicht mehr zu genügen. Er glaubte, alles wissenswerte über das Fechten von de Tréville gelernt zu haben, sodass er diese Kenntnis nun wiederum anderen lehren wollte. Als Fechtlehrer ist er nun sehr angesehen in der Stadt. Er wird von den höchsten Edelleuten aufgesucht, die seine Fähigkeiten in Anspruch nehmen wollen."

Jean benötigte einige Augenblicke, um diese Fülle an Informationen zu verarbeiten.

Irgendwas stimmte da nicht. Athos als neuer Befehlshaber der Musketiere war nicht schwer vorstellbar, eigentlich hatten alle dies bereits in naher Zukunft kommen sehen. Aber Porthos und D'Artagnan hatten freiwillig den Chor verlassen? Dies konnte Jean nicht hinnehmen.

Athos und Aramis berichteten in einer sonderbaren Art über die beiden. Fast so, als ob sie sich seit dem Ausstieg von Porthos und D'Artagnan vor drei Jahren nicht mehr allzu oft gesehen hätten. Konnte das wirklich sein?

Die Frage die sich Jean zudem stellen musste, war, wollte er denn nun seinen eigentlichen Gedanken hier weiterverfolgen? Er war nach Paris zurückgekehrt, um Musketier zu werden. Nur aus diesem Grund stand er gerade in diesem Zimmer und noch dazu vor dem Hauptmann. Nur weil zwei seiner Freunde seit einiger Zeit nicht mehr bei den Musketieren dienen, sollte es ihn nicht davon abhalten, sein gesetztes Ziel weiter zu verfolgen.

Ohne weiter auf die letzten gesprochenen Worte Athos' einzugehen, schob Jean seine Schultern zurück und stand nun aufrecht und mit durchgedrücktem Rücken vor den beiden Hauptleuten "Es gibt einen wesentlichen Grund, warum ich de Tréville aufsuchen wollte, Athos... Doch da nun du, der Hauptmann der Musketiere bist, muss ich mein Anliegen bei dir vorbringen...", Jean verstummte und wartete auf eine Zustimmung, dass ihm erlaubte, weiterzusprechen.

Athos war überrascht, dass Jean plötzlich wieder so förmlich geworden war. Außerdem hatte er eine stramme Haltung eingenommen, die die einer Soldatenstellung glich. Es musste sich also um etwas wichtiges handeln. Eigentlich konnte er bereits erahnen, um was der junge Jean ihn bitten wollte.

"Athos, ich bitte dich darum, mich in den Musketierchor aufzunehmen... Ich möchte meinem König und meinem Land in jeder Weise dienen und ihm eine Hilfe sein...", gut, lobte sich Jean, er hatte diesen so lang geübten Satz aufgesagt, ohne dabei ins Stottern zu geraten.

Trotzdem kam wenig Begeisterung in Athos auf, das konnte Jean bereits an seiner in Falten gelegte Stirn erkennen.

Selbst Aramis war nun auf die Entscheidung von Athos gespannt.

Die nachdenklichen Augen des Kapitanes gingen wieder auf seinen Gegenüber "Es tut mir leid, aber das kann ich nicht tun...".

"Mit welcher Begründung?", etwas anderes ist Jean gerade nicht eingefallen. Zu groß war die Enttäuschung.

"Die Musketieranzahl ist begrenzt, wir sind mit Anwärtern derzeit völlig ausgelastet...".

Das war doch nicht sein Ernst? Bestimmt wollte Athos nur scherzen.

Aber Jean musste erkennen, dass sein Gesichtsausdruck unverändert blieb.

Irgendwie kam sich Jean nun sehr albern vor, aufgrund der Tatsache, dass ihn dieses Szenario sehr bekannt vorkam. Genauso wurde D'Artagnan damals bei Monsieur de Tréville behandelt. War es einfach nur Ironie, dass es ihm nun ebenfalls so erging oder einfach nur Schicksal?

Er wusste nicht, was er hier nun noch sollte. Er war wütend und traurig zugleich und wollte die beiden gerade nicht mehr im Blickfeld haben "Ich danke euch, dass ihr eure Zeit für mich geopfert habt und mir zugehört habt. Au revoir.", ohne auf einen Einwand zu warten, machte er auf dem Absatz kehrt und verließ das Büro von Athos.
 

"Warum hast du das getan?", Aramis schien sichtlich wütend über ihren Kollegen und Vorgesetzten zu sein "Hast du nicht gemerkt, wie viel ihm es bedeutet, bei uns anzufangen?"

Athos stand von seinem Stuhl auf und kehrte ihr den Rücken zu, indem er sich vor das Fenster stellte "Glaubst du denn, ich sei blind? Ich habe meine Gründe, dass ich ihn nicht bei uns aufnehme...".

"Was für Gründe sollen das sein?", Aramis' Ton nahm stetig an Lautstärke zu "Den Grund den du Jean gerade genannt hast, war auf jeden Fall gelogen!".

"Hör auf, Aramis!", die lauten Worte von Athos kamen plötzlich und unerwartet für sie. Es musste schon einiges sein, dass ihn dazu veranlasste anderen gegenüber laut zu werden. Aramis hatte soeben diese Grenze überschritten und schwieg.

Schon im nächsten Augenblick tat es Athos aber schon wieder leid, dass er so mit seinem Kollegen umgegangen ist "Entschuldige, ich wollte die Nerven nicht verlieren...".

"Dann verrate mir, was dich so bedrückt."

Athos wandte sich ihr zu "Du kennst unsere derzeitige Lage, Aramis. Die Musketiere sind verängstigt, weil irgend so ein Wahnsinniger seit Monaten durch Paris läuft und willentlich nur Musketiere tötet. Man stellt uns bereits vor dem König bloß, weil wir es nicht schaffen, diesen Mörder zu finden und er es bis jetzt geschafft hat, jeden Musketier den er angegriffen hat, auch zu töten."

So langsam konnte Aramis seine Gedankengänge nachvollziehen "Und du möchtest Jean keiner Gefahr aussetzen, ich verstehe...", sie nickte ihm zu und lobte im Innern seinen Schutzinstinkt "Es tut mir leid, dass ich deine Gründe in Frage gestellt habe".

Athos begutachtete seinen Gegenüber. Er konnte wirklich froh darüber sein, Aramis an seiner Seite zu wissen. Doch plötzlich musste er feststellen, wie der Musketier vor ihm, blass um die Nase wurde und nach vorn kippte. Athos konnte seinen Freund an der Schulter halten, während sie sich an der Schreibtischkante abstützte.

"Dir ist schon wieder übel, nicht wahr?", es war eigentlich schon eine Beantwortung seiner Frage, dennoch konnte er auf ein zustimmendes Nicken nicht verzichten, was auch geschah.

"Ich werde dich nach Hause bringen..."

Ein Widerspruch konnte nicht erhoben werden.

(IV) Gedanken

Inzwischen war die Temperatur sehr angenehm geworden. Die Häuser und Straßen kühlten langsam aus, ebenso wie ihre Bewohner. Bürger und Bürgerinnen öffneten ihre Türen um frische Luft einzulassen und bei dieser Gelegenheit den neuesten Gerüchten aus den Adelshäusern zu lauschen. So erblickte man nun mehr emsige Frauen, als zur Mittagszeit auf den gepflasterten Wegen, die stehen blieben um sich mit Bekannten oder Nachbarn zu unterhalten. Und eben solche Augen waren sehr wachsam. So stellten einige Mägde ihre mit voller Elan führenden Gespräche ein um aufmerksam zwei gut bekannte Musketiere zu beobachten, die behutsam durch die Menge schritten. Jeder kannte die beiden, aber nur wenige hatten festgestellt, dass diese beiden Männer nun mehr Zeit miteinander verbrachten, als früher. Vielleicht mochte es daran liegen, dass der eine neuer Kapitän der Musketiere war und sein guter Freund zum Stellvertreter ernannt worden war. Oder aber, so behaupteten viele Neider, die beiden führten ein intensiveres Verhältnis zueinander, als alle glaubten. Athos und Aramis kannten diese Gerüchte, doch so lange der König sie für Lügen abstellte, würden auch die beiden diese Behauptungen nicht weiter beachten. Sie standen in der Gunst des Königs und außerdem kannte Louis die beiden Musketiere nun lange genug, um sich auf seinen Instinkt verlassen zu können. Schließlich hatte er Athos nicht umsonst zum Kapitän der Musketiere ernannt. Mit diesen Worten beruhigte sich Aramis stets im Stillen, dennoch sagte ihre Intuition, dass sie wachsam sein sollte. Es gab genug Intriganten am Königshofe, die sich mit Lügen und erfundenen Märchen den Alltag und die Langeweile vertrieben. Etwas genervt verzog Aramis das Gesicht. Die Menschen lebten einzig und allein von Klatsch und Tratsch. Wenn sie vor einem stehen, mochten sie nett und verständnisvoll sein, aber kehrte man ihnen den Rücken, so wurde auch dementsprechend fleißig weitergeflüstert. Als stiller Beobachter hatte sie gelernt, dass man bei niemanden eine Ausnahme machen konnte, vielleicht nicht einmal bei einem selbst. Athos schien das alles wenig zu beeindrucken. Sie beneidete ihn darum, dass es ihm egal war, was fremde Leute von ihm dachten oder gar sprachen. Dabei müsste gerade er um sein Ansehen im Volke kämpfen und darum, dass seine Ehre nicht in den Schmutz gezogen wurde, schließlich war er die neue leitende Position im Hauptquartier und stand damit im Mittelpunkt der Öffentlichkeit, gleich hinter dem König und dem Kardinal. Die Menschen hatten Respekt vor Athos, dennoch verstärkten sich in letzter Zeit die Stimmen gegen ihn und das mochte nicht zuletzt an der Beziehung liegen, die ihn mit Aramis verband. Eigentlich gab Aramis sich selbst die Schuld dafür, dass man über sie beide redete und nun die Führung Athos' über die Musketiere in Frage stellte. Sie verbrachten einfach zu viel Zeit miteinander und auf Dauer war es für fremde Außenstehende doch ungewöhnlich mit anzusehen.

"Du hast nichts mehr gesagt, seit wir von dem Musketieranwesen gegangen sind...", sprach Athos plötzlich leise zu ihr und Aramis konnte deutlich den Hauch von Sorge, der in seiner Stimme mitschwang vernehmen. Er glaubte, dass ihr immer noch nicht ganz wohl zumute war. Sie schüttelte lächelnd den Kopf. Sie wollte nicht darüber sprechen.

"Siehst du die Leute um uns herum?", fragte sie, um auf ihren eigentlichen Gedanken aufmerksam zu machen "Sie sprechen über uns. Ich brauche sie nicht einmal zu hören und ich weiß, dass sie über uns reden... Sie fragen sich, warum der Kapitän der Musketiere so viel Zeit mit seinem Untergebenen verbringt..."

"Lass sie reden...", war daraufhin die kurze Entgegnung. Das war wieder einmal typisch Athos. Hauptsache war, dass er richtigen und ordentlichen Fechtunterricht erteilte und in der Lage war, seine Männer zu führen. Das war sein Kapital und das konnte ihm nicht genommen werden. Athos barg eine Menge guter Eigenschaften in sich. Er wurde von seinem eigenen Willen angetrieben und war vertrauensvoll. Gleichzeitig verabscheute er Verrat und Tücke. Manchmal erkannte Aramis ein stück ihrer eigenen Person in Athos wieder. Doch möglicherweise wurde sie von Gefühlen getrieben, so über ihren Kapitän zu denken. Sie konnte es nicht genau sagen. Wortlos schritten sie gemeinsam die Außentreppe von ihrem Haus hinauf, immer darauf bedacht, das gesamte Umfeld im Auge zu behalten. Die Zeiten waren einfach zu unruhig, als das ein Musketier sich unvorsichtig in den schmalen Gassen von Paris umhertrieb. Dieser Gedanke brachte Aramis wieder in die kalte Realität zurück. Ihr wurde wieder bewusst, dass es zur Zeit wichtigere Dinge gab, um die es sich zu kümmern galt, als sich an längst vergangene Momente zurückzuerinnern. Sie schloss die Haustür auf und als sie ein leichtes Klicken vernahm, trat sie mit ihren Lederstiefeln gekonnt gegen das bereits leicht verwitterte Holz der Tür um diese gänzlich vom Schloss zu befreien.

"Wenn jemand auch nur etwas stärker gegen dieses morsche Holz treten würde, als du Aramis, wäre es jedem Dieb ein leichtes, dein Haus zu begutachten", war Athos Reaktion auf die Szene, die sich ihm bot, worauf Aramis lediglich mit den Schultern zuckte "Der Dieb würde außer ein paar veralteten Töpfen und gebrauchten Sachen nichts wertvolles besitzen... Er würde sich dabei langweilen, mein Haus zu durchsuchen." Aramis setzte sich an ihren Esstisch und atmete durch. Der Schwächeanfall im Musketieranwesen hatte ihr doch schwerer zugesetzt, als sie angenommen hatte. Athos bedachte sie mit einem mahnenden Blick "Du weißt, worauf ich hinaus möchte, Aramis... Ich kann es mir nicht leisten, meinen Stellvertreter im Lazarett oder wohl schlimmer noch an seinem Grab zu besuchen...".

"Ich weiß ja, aber bitte übersieh dabei nicht, dass ich ein wenig mehr Lebenserfahrung bei den Musketieren aufweisen kann, als unsere Anfänger. Ich benötige niemanden, der auf mich acht gibt, Athos!", Aramis hoffte, dass Athos nun endlich verstanden hatte, dass er sich nicht 24 Stunden am Tag um sie zu sorgen hatte "Es ist momentan wichtiger diesen mordenden Musketierhasser zu fassen. Wie sieht also dein Plan aus, wie wir als nächstes vorgehen?"

Langsam setzte sich Athos mit zu ihr an den Tisch und verschränkte dabei seine Finger. Es war wieder einmal die gewohnte nachdenkliche Körperhaltung, die er einnahm, was Aramis verdeutlichte, dass ernsthafte Probleme aufgetreten sind, die es zu lösen galt.

"Dieser Mann, wer immer er auch sein möge, ist unbarmherzig und heimtückisch. Er hat bis dato beinahe ein Dutzend unserer Musketiere getötet. In einem nicht überschaubaren Moment überfällt er die Männer hinterrücks, indem er ihnen die Kehle durchschneidet...", wie oft hatte Athos diese Charakterisierung des Mörders nun schon von sich gegeben? Aramis nickte nur bedrückt, bei jedem Wort was er aussprach. Sie hatte diese Situation nun schon oft aus seinem Munde vernommen. Nun war es an der Zeit etwas dagegen zu unternehmen.

"Wir müssen ihm eine Falle stellen", sprach sie kämpferisch und hoffte dadurch den lang versiegten Ehrgeiz in Athos neu zu erwecken.

"Du klingst so, als hätten wir nicht schon alles versucht", kam seine beschwichtigende Erwiderung sogleich und Aramis erahnte nun langsam die Gründe, weshalb dieser Fall beinahe hoffnungslos für ihn schien. Aramis richtete ihre Augen auf ihren Gegenüber. Hängende Schultern, niedergeschlagener Gesichtsausdruck. Das war nicht der Athos, den sie kannte. Sie stand aus und ging um den Tisch herum "Ich weiß, was in dir vorgeht. Du glaubst, du hättest verloren, stellst deine Fähigkeiten als Kapitän in Frage, aber dem ist nicht so... Wir werden eine Lösung für dieses Problem finden. Gemeinsam..."
 

~*~
 

Es war alles mehr als eigenartig. Kopfschüttelnd verließ Jean das Hauptquartier. Irgendwie hatte er sich das Wiedersehen mit seinen alten Freunden anders vorgestellt. Er wusste, dass Athos schon immer etwas distanzierter war, aber das gerade er ihn solche immensen Steine in den Weg legte, war doch eine Überraschung für Jean gewesen. Nun, er hatte zwar noch nicht erfahren, weshalb D'Artagnan den Musketierchor verlassen hatte, aber sicherlich würde er doch seine jetzige Bleibe in Erfahrung bringen können. Also griff er sich den nächst besten Jungmusketier, der ihm begegnete und stellte ihm ein paar Fragen. Wie nicht anders zu erwarten, waren die gestandenen Abenteuer von D'Artagnan nette Lagerfeuergeschichten geworden und sind es noch bis heute. Daher war es nicht schwer die Straße und Hausnummer herauszufinden, wo D'Artagnan nun lebte.

Die Straße die Jean durchquerte war ihm neu. Der Jungmusketier hatte ihm mitgeteilt, dass die Familie D'Artagnan nun am Rande der Stadt zu finden sei. Diese Gegend war ansehnlicher, als die Viertel rund um den Stadtkern. Hier roch die Luft frisch und die Bäume waren grün. Der Weg war sauber und überall waren an jedem Haus Blumenkästen mit bunten Sträußen zu finden. Jean konnte sogar einen kleineren Park entdecken, der am Ende der Straße war. Es verwunderte ihn schon in solch einer noblen Gegend gelandet zu sein. Er glaubte bereits von dem Jungmusketier an der Nase herumgeführt worden zu sein, als er im nächsten Augenblick die Hausnummer 32 ausmachen konnte. Das Haus wohin ihn sein Weg führen sollte.

Über der Eingangstür konnte er ein schwingendes Brett ausmachen, auf dem eine Schere abgebildet war. Konnte es denn wirklich sein?

Jean konnte nicht leugnen, dass seine Hände feucht wurden. Er war sehr nervös, obwohl nicht wirklich ein Grund dazu bestand. Sacht klopfte er an die Tür. Er bekam nicht einmal die Gelegenheit noch mal durchzuatmen, da sofort geöffnet wurde. Einer der Bewohner muss direkt hinter der Tür gestanden haben. Ein junger kräftiger Mann stand im Türrahmen und Jean musste nicht zweimal hinsehen, um zu wissen, dass es D'Artagnan war.

"Meine Güte", kam es ungläubig von ihm. Doch Jean konnte nicht mehr als nur breit zu grinsen.

"Du bist es Jean!", rief D'Artagnan glücklich und mit einer weitaus tieferen Stimme als früher. Jean wurde herzlich umarmt und sofort in das Haus geschoben.
 

~*~
 

Inzwischen war einige Zeit vergangen. Jean saß inmitten der großen Wohnstube an einem Tisch und wartete darauf, dass D'Artagnan wieder aus der Küche trat.

"Es tut mir sehr leid um deinen Mentor", sprach D'Artagnan leise, als er sich wieder zu ihm gesellte, in der Hand eine Flasche Wein. Jean hatte auch hier bereits seine Lebensgeschichte erzählt "Danke, ich muss zugeben, zu Beginn bin ich sehr traurig über seinen Tod gewesen, aber mein Schmerz versiegt allmählich und ich werde ihn für immer in Erinnerung behalten".

D'Artagnan hörte plötzlich auf, das Glas von Jean aufzufüllen und starrte ihn an. Wie erwachsen er doch geworden war. Seit kurzem schon hatte er verspürt, dass bald die Zeit gekommen war, Jean wiederzusehen. D'Artagnan konnte nicht sagen, wie sich dieses Gefühl in ihm eingeschlichen hatte. Es war plötzlich da, genau wie er plötzlich vor seiner Tür gestanden hatte. Er war wenig überrascht darüber gewesen, hatte es sich doch wieder einmal bewiesen, dass er auf seinen Instinkt vertrauen konnte.

Jean war verwirrt und er hatte keine Lust weiter über seine Vergangenheit zu sprechen. Er wollte nach vorn blicken und endlich erfahren, was in den letzten Jahren hier in Paris geschehen war.

"Ich bin bei Athos und Aramis gewesen", platzte es unerwartet aus ihm heraus und konnte dabei die erschrockene Reaktion D'Artagnans verfolgen "ich bin dort gewesen, um Eintritt in den Musketierchor bittend..."

Noch mehr wandte sich D'Artagnan ab. Was sollte er auch sagen. Jean hatte wahrscheinlich die ganze Geschichte bereits erfahren. Manchmal konnte D'Artagnan selbst kaum glauben, dass er solch einen Lebensweg eingeschlagen hatte.

"Dann haben Aramis und Athos dir also alles erzählt?"

"Nein, sie haben mich abgelehnt und als ich erfahren wollte, wo du bist und vor allem warum du nicht mehr dem Kapitän dienst, haben sie gesagt, ich solle dich das persönlich fragen...", Jean war ungehalten. Er wollte endlich wissen, was hier vor sich ging.

D'Artagnan erhob sich und ging im Zimmer auf und ab. Er versuchte Zeit hinaus zu zögern, aber er bemerkte, dass er in der Klemme saß.

"Vor einigen Jahren hatte König Louis mir das Angebot unterbreitet, ihm als seine Leibwache zu dienen. Zu dieser Zeit war ich bereits mit Constanze verheiratet...", begann D'Artagnan zu erzählen und das Herz von Jean tat einen Freudensprung, als er hörte, dass sein bester Freund den Mut gefunden hatte, die Liebe seines Lebens zu fragen, ob sie ihn haben wolle "Aber das ist doch wunderbar!", freute sich Jean, doch sein Freund fuhr weiterhin fort "Es war damals eine sehr übereilte Hochzeit, da wir etwas unter Zeitdruck standen", druckste er weiter herum, sodass sich die Gedanken von Jean überschlugen, was denn der Auslöser für eine schnelle Hochzeit sein konnte. Hatte D'Artagnan wieder einen Geheimauftrag erhalten und musste daher für längere Zeit Paris verlassen? Oder war womöglich Monsieur Bonacieux gegen eine Heirat seiner Tochter? Nein. Das konnte nicht sein, er hatte D'Artagnan lieben gelernt und konnte sich wahrscheinlich einen anderen Schwiegersohn nicht mehr vorstellen.

Just in diesem Moment ging die Hintertür mit einem Krachen auf und jemand kam hereingelaufen. D'Artagnan drehte sich und hob ein kleines niedliches Geschöpf auf seine Arme "Hey meine Kleine, nicht so übermütig! Wir haben einen Gast im Hause, der dich gerne kennen lernen möchte", sodass er sich mit dem Mädchen in seinem Arm zu Jean herumdrehte, der den Unterkiefer fallen ließ. Natürlich, Constanze und D'Artagnan hatten ein Kind!

"Cathérine meine Kleine, darf ich dir Jean vorstellen", D'Artagnan strahlte über beide Ohren "Das ist der Grund, warum wir uns damals etwas schneller das Ja-Wort gaben. Wir hatten lange Zeit nicht geahnt, dass Constanze schwanger war...", dabei wurde er etwas rot und Jean war der Meinung, dass er das nur zu Recht wurde. Jean schüttelte den Kopf. Er wusste ja schon immer, dass D'Artagnan ungeduldig war, aber das war wohl eindeutig etwas zu ungeduldig gewesen! Jetzt konnte er sich gut vorstellen, warum er gedrängt worden war, Constanze so schnell wie möglich zu heiraten. Eine schwangere Frau die nicht mit dem Vater ihres Kindes verheiratet ist, der noch zudem Musketier des Königs war, war ebenso unvorstellbar, wie eine nicht ewig schwanger werdende Königin.

"Meine Constanze hatte also diesen kleinen Engel geboren und ich musste ihr dafür versprechen, dass ich den Dienst bei den Musketieren aufgebe."

"Aber warum? Sie hatte dich doch immer in deinen Taten ermutigt...", so ganz konnte das Jean noch nicht glauben.

"Natürlich, aber nun lagen die Dinge etwas anders. Ich musste mich nun um meine Familie kümmern. Ich wäre als Ehemann sicher nicht von Nutzen gewesen, wenn ich irgendwann aufgebahrt zu meiner Familie gebracht worden wäre. Du weißt, dass es genug Menschen gibt, die gegen die Musketiere sind und auch genug Verbrecher unterwegs sind, die nichts unversucht lassen, eben solchen zu schaden... Ich musste mich entscheiden und ich konnte es nicht verantworten, dass Constanze unsere Tochter womöglich irgendwann allein aufziehen müsste, deshalb hatte ich das Angebot des Königs entgegengenommen".

"So recht mag ich dir das nicht glauben", zweifelte Jean "Du bist ein ausgezeichneter Degenführer und konntest so manche Gefahr abwenden. Es mag sein, dass du für deine Familie da sein möchtest, aber wer sagt dir, dass du nicht auch in der Nähe des Königs in Gefahr schwebst?"

Diese Frage bewegte D'Artagnan zum nachdenken, was auch Jean nicht entging. Dies gab ihm die Möglichkeit die kleine Cathérine genauer zu begutachten. Die Kleine hatte blaue Augen und lange blonde Haare. Sie sah natürlich aus wie ihre Mutter. Die Art wie sie in das Haus hereingerannt war, ähnelte sehr der Verhaltensweise ihres Vaters. Vermutlich konnte sie genauso gut auf Bäume klettern wie er.

"Jean, wenn du möchtest, kannst du gern hier vorübergehend wohnen... Wir haben noch immer ein Zimmer frei...", schlug D'Artagnan nun vor und Jean hatte ganz sicher nichts dagegen einige Zeit mit seinem alten Freund zu verbringen. Er würde vermutlich später mehr in Erfahrung bringen, doch jetzt gerade war seine Wissensbegierde um einiges gedeckt worden.



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Von:  Tach
2005-04-12T11:13:23+00:00 12.04.2005 13:13
Endlich, nach all den Jahren =]. Das gibt ja jetzt sehr viele Rätsel auf...Was is in den vergangenen Jahren passiert? Was wird noch passieren? Oh man ey o.O Hoffentlich müssen wir zum nächsten kapitel nich wieder so lange warten...
Ach ja, Jean is mir unglaublich sympathisch!
Von:  fastcaranbethrem
2005-04-10T12:47:46+00:00 10.04.2005 14:47
Erster :-)Du hast es also geschafft und es ist spannend, spannend und hervorragend geschrieben. es fängt die szenerie der damaligen zeit hervorragend ein und die figuren sind wie liebgewordene bekannte ... was ist denn nun mit athos und aramis ... meno
Von:  fastcaranbethrem
2004-04-02T19:41:14+00:00 02.04.2004 21:41
siehste, das Krisi-melancolie-dramatik-lied ist gut und findet seine anhänger, außerdem ist es unglaublich, unglaublich spannend ...
Von:  Tach
2004-04-02T18:11:01+00:00 02.04.2004 20:11
Eine seeeeeehr merkwürdige Geschichte...und die Kapitel sind so kurz o.O. Aber trotzdem packend. ich hoff doch das Uni dich nich zu sehr einnimmt, dassde fix weiterschreiben kannst ^^
Von:  Kajuschka
2004-04-02T07:36:54+00:00 02.04.2004 09:36
Du kannst echt gut schreiben. Ein spannendes Kapitel. Ich kann es kaum erwarten, das nächste zu lesen. Bitte schreib' schnell weiter...^_^
Von:  fastcaranbethrem
2004-04-01T16:54:59+00:00 01.04.2004 18:54
spannend, spannend ... der schreibstil wird immer besser.
es liest sich wie ein guter song. man beginnt mit leisen piano- oder geigentönen, die stimme setzt ein - rauchig, melancolisch und geht in den refrain
Von:  fastcaranbethrem
2004-04-01T11:55:12+00:00 01.04.2004 13:55
Liebe Krisi,
darf ich dich zu deiner neuen Schaffenskraft beglückwünschen. Der Spannungsbogen beginnt sich zu spannen :-) Gut zu wissen, dass dich die ganzen trockenen Rechtsparagraphen nicht in deiner Kreativität gestört haben. Deine neue Story hat einen wunderbaren Stil und verlangt nach mehr.


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