Zum Inhalt der Seite

Tanz mit mir

…wenn du dich traust
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

„Könnt ihr bitte nicht so abartig laut sein?!“, rief Sasuke so laut aus, wie ihm seine Lunge erlaubte.
 

Seine Geduld war alle und der Oberschüler platzte vor Wut. An diesem ruhigen Sonntag Nachmittag nahm er sich endlich frei und ließ sich von den erdrückenden Pflichten eines Abituriebten etwas los. Der letzte Oberstufenjahr machte es ihm geistig zu schaffen und Sasuke konnte sich nicht von den Gedanken an die kommenden Prüfungen abschalten. Oft fühlte er sich wie ein Sklave des Lernens, der seine Bürde demütig tragen muss. Es stand zu viel auf den Spiel: seine Eltern setzten nicht zu viele Hoffnungen auf ihn und er wollte ihnen eines Besseren belehren. Er wollte endlich seinen perfekten älteren Bruder übertreffen. Deswegen war Versagen keine Option. Vielleicht nahm er auf seine siebzehnjährigen Schulter eine zu große Verantwortung? Manchmal hatte Sasuke Angst, dass er diesen hohen Anforderungen einfach nicht genügen kann. Und als er sich für einen Nachmittag auf dem Schuldach hinter dem mittleren Trafokasten mit dieser peinlich leichten Liebeslektüre und einer Termoskanne mit einem lauwarmen schlecht gekochten Kaffee verschanzte, bestrafte ihn das Universum. Seine kleine verdiente Ruhe wurde ziemlich unverschämt seit ungefähr einer Stunde gestört. Gott, warum muss jemand außer ihm überhaupt am Sonntag um 17:30 auf dem Schuldach auftauchen?!
 

„Leute, hier ist jemand außer uns.“ Sasuke hörte eine unbekannte energische Stimme. „Komm doch raus! Vielleicht hast du Bock mit uns abzuhängen?“
 

Sasuke spürte eine leichte innere Unruhe. Warum beschwerte er sich überhaupt? Normalerweise würde er keine Konfrontation suchen, aber heute war es besonders frustrierend, dass er seine lang ersehnte Ruhe nicht bekam, also wagte er sich diesen, für Sasukes Verhältnisse, mutigen Schritt. So ziemlich hitzköpfig von ihm. Was, wenn die Person mit der energischen Stimme ein blutdurstiger Serienmörder ist, der gleichzeitig professionell Gewichtheben betreibt? Sasuke selbst war nicht in der körperlichen Kondition um sich mit jemandem zu prügeln. Er wollte sich trotzdem dem Eindringling stellen. Schließlich legte er sich bereits mit dem Unbekannten an, also muss die Konfrontation zu Ende geführt werden. Sasuke hasste es, auf dem halben Weg Sachen fallen zu lassen. Hoffentlich schmeißt der Mörder ihn nicht vom Dach runter.
 

„Hallo? Ist jemand hier oder bin ich verrückt geworden?“ Die Stimme ertönte erneut. Sasuke hob sich hoch, bereuend die impulsive Entscheidung seinen Unmut überhaupt laut äußern zu müssen.
 

Der mittlere Trafokasten war günstig platziert, sodass die Nachmittagssonne nicht in die Privatsphäre des schwarzhaarigen Oberschülers eindringen konnte. Der einzige Nachteil war, dass man von dieser Position aus die Eingangstür nicht einsehen konnte. So hatte der Uchiha keinen blassen Schimmer, mit wem er es zu tun hat. Bei Verlassen seines gemütlichen sicheren Raumes bemerkte er, dass sein Herz kräftiger schlägt als sonst.
 

Es stellte sich raus, dass der Serienmörder gar kein Serienmörder ist. Es war ein blonder Junge, der ungefähr gleich alt war wie Sasuke selbst. Seine widerspenstigen Haare und seine etwas schlampig lässige Kleidung verliehen ihm eine verpeilte vergessliche Gestalt eines chaotischen und vielleicht sogar etwas ungezogenen Teenagers, der sich mit allen auf Anhieb verstand. So ein extrovertierter hyperaktiver Typ, der bei jeder Party am lautesten ist. Solche Typen konnte Sasuke gar nicht leiden. Solche Typen waren viel zu oberflächlich.
 

„Hey, wir wussten gar nicht, dass noch jemand hier ist. Ist das nicht witzig? Wir spielen Brettspiele. Willst du dich vielleicht uns anschließen anstatt allein hinter dem Trafokasten zu hocken?“
 

Sasuke kochte das Blut. So einen mächtigen Wutanfall bekam er schon lange nicht. Am liebsten würde er diesen Blonden mit bloßen Händen erwürgen. Er regte sich tierisch darüber auf, dass dieser Typ seine heilige hart verdiente Ruhe so unverschämt zerstört hatte, und jetzt quatscht er so unbesorgt, als ob nichts passierte.
 

„Was glotzt du mich an, sag mal?“ Er lächelte freundlich. „Du magst keine Smalltalks, was? Dann überspringen wir diesen Teil. Ich bin Naruto. Freut mich, dich kennenzulernen.“
 

Naruto streckte entschlossen seine Hand aus und lächelte. Sasuke schlug auf seine Hand nicht weniger entschlossen ein.
 

„Hn“, warf Sasuke Naruto zu. „Dein Name ist das letzte, was ich wissen will. Ich will, dass du und dein Gefolge von hier verschwindet, weißt du?“

„Du bist ja übelst freundlich. Pass auf, nicht, dass du vor Freundlichkeitsgefühlen platzt.“

„Keine Angst, es passiert nicht. Verschwindet einfach.“

„Okay, wie du befehligst.“
 

Naruto verdrehte die Augen und seufzte genervt. Sasuke fiel erst jetzt auf, dass er einen leichten Akzent hat. Ein Ausländer? Naruto drehte sich um und lief zu seinen Freunden:
 

„Leute, auf eurem Schuldach wohnt ein böser schwarzhaariger Geist und will, dass wir hier verschwinden! Lass uns ihm doch entgegenkommen. Warum? Weil wir halt keine Arschlöcher sind und er schon.“
 

Die Gruppe diskutierte ein wenig, aber schlussendlich gewann der Blonde die allgemeine Zustimmung. Die Jugendlichen machten sich auf dem Weg zur Tür. Sasuke stand mitten auf dem Dach, beobachtete diese Szene und fühlte sich innerlich als der Sieger des heutigen Abends. Seine hart erkämpfte Ruhe wird somit wiederhergestellt. Gerechtigkeit hat gesiegt. Naruto ging als allerletzte. Er hielt kurz im Türrahmen an, drehte sich um und guckte Sasuke direkt in die Augen. Er schmunzelte belustigt. Sasuke war nicht gewohnt mit Unbekannten so einen heftigen Blickkontakt herzustellen und es fiel ihm nicht einfach diesen aufrechtzuerhalten, aber Sasuke gab sich Mühe. Schließlich wollte er dem Blonden nicht zeigen, dass er ihn mit so etwas Trivialem, wie ein Blickkontakt, aus der Fassung bringen kann. Er bemerkte, dass dieser seltsame Junge den lebendigsten Blick und die leuchtendsten blauen Augen hat, den er je gesehen hatte.
 

„Bist du immer so eine kleine Tsundere oder hat es einen bestimmten Grund?“
 

Diese Äußerung ließ Sasuke sprachlos, sodass er sich beinahe verschluckte. Der Schwarzhaarige fühlte, wie er ungewollt im Gesicht errötet. Diese Tatsache regte ihn auf. Nicht, dass Naruto am Ende doch gewinnt.
 

„Ich mag dich, du böser Dachgeist.“ Naruto bescherte Sasuke ein warmes, aber gleichzeitig herausforderndes Lächeln. „Hoffentlich sehen wir uns bald wieder. Vielleicht wirst du mir dann deinen Namen verraten.“
 

Mit diesen Worten ließ Naruto die Tür hinter sich zufallen und Sasuke blieb verwirrt zurück. Was ist das für ein Junge? Geht er in Sasukes Schule? Nein, es kann doch nicht sein, oder? Erstens sagte er "an eurer Schule" und zweitens würde es sich bestimmt sehr schnell rumsprechen, dass sich ein blonder Ausländer an dieser Schule rumtreibt. Sasuke war sich irgendwie sicher, dass Naruto ein Ausländer ist. Dieser Akzent, dieses Gesicht, dieser direkte Umgang und dieser äußert seltsame Name. Ja, er muss ein Ausländer sein. Naruto… warum auch immer, aber Sasuke war sich sicher, diesen Namen irgendwo gehört zu haben. Und dieser Naruto muss mit jemandem aus der Schule befreundet sein oder so, sonst wären sie gar nicht hier hochgekommen.
 

Als Sasuke folgerte, dass der seltsame Junge nicht auf seine Schule geht, beruhigte er sich selbst damit. Eigentlich war er sonst nie auf Konfrontation aus und jetzt war ihm sein Auftritt ein wenig peinlich. Sasuke konnte sich doch so gut beherrschen und dieser Blonde und sein Gefolge brachten ihn dazu impulsiv zu werden. Er ärgerte sich darüber, sitzend auf seinem Lieblingsplatz hinter dem mittleren Trafokasten. Eigentlich sollte er das Buch lesen, aber er konnte sich nicht darauf konzentrieren. Und dann gab es noch etwas. Diese leuchtenden blauen Augen hatten schon was in sich. Und dieser lässig geworfene Satz… bist du immer so eine kleine Tsundere, oder hat es einen bestimmten Grund?
 

Am Ende ging Naruto doch als Gewinner aus, weil sich Sasukes Gedanken während des restlichen Abends nur um den seltsamen blonden Jungen drehten. „Hoffentlich sehen wir uns bald wieder“ - sagte er. Irgendwie erhoffte sich der verwirrte Oberschüler erneute Begegnung mit dem mysteriösen Blonden mit den leuchtenden Augen auch. Selbst wenn der stolze Uchiha es sich niemals eingestehen würde.

Montagmorgen. Sasukes Wecker klingelte wie gewöhnlich um 5:45. Er musste duschen, frühstücken, seine Sachen schnappen und um 6:30 im Zug sitzen, damit er gegen 7:45 in die Schule ankommen könnte. Jeden Tag dasselbe. Sasuke kannte seine Routine innen und außen auswendig. Morgens lief er auf einem Autopilotprogramm und bekam Sachen nicht wirklich mit. Sein Körper war so gut wie nie am frühen Morgen fit. Eigentlich war er von Natur aus eher eine Eule, aber die Umstände zwangen ihn dazu eine Lerche zu werden. Oder zumindest sich in ähnlicher Weise verhalten zu können, was er nun seit zwei und halb Jahren gewissenhaft geübt hatte. Und all dies führte dazu, dass sich seine Gedanken beim automatisierten Duschvorgang ungewollt um den seltsamen blonden Jungen drehten. Naruto. Wo hat er nur diesen äußerst komischen Namen gehört? Naruto… es gab schon etwas besonderes in diesem Jungen. Was es allerdings genau war, konnte Sasuke nicht korrekt identifizieren.
 

Mittlerweile saß der Uchiha im Zug. Er wohnte in einem ruhigen Stadtrandbezirk an der Endhaltestelle einer Zuglinie. Dies zwang ihn die restlichen 45 Minuten seines kostbaren Schlafs im öffentlichen Verkehrsmittel genießen zu dürfen. Der Oberschüler kollabierte auf seinen Lieblingsplatz im vierten Waggon, steckte sich Kopfhörer in die Ohren und drückte einmal auf den kleinen Steuerknopf. Sein Handy spielte ihm ein zufälliges Lied vor. Sasuke lehnte den Kopf auf die Fensterscheibe an, machte die Augen zu und versank ins leichte Schlummern.
 

Nach 45 Minuten erreichte seine Bahn das Ziel. Sasuke stieg mit dem Menschenstrom aus und begab sich zur Bushaltestelle. Der Bahnsteig war überfüllt fast exklusiv nur mit seinen Mitschülern, die sich sofort von der breiten Masse durch die langweilige Schuluniform abhoben. Jetzt mussten alle diese Jugendlichen auch zum Sasukes Bus, was ihm natürlich gewaltig auf die Nerven ging. Er mochte einfach nicht, dass das simple Einsteigen zum Überlebenskampf wird, besonders wenn der Tag noch nicht richtig angefangen hatte. Aber wen interessierten schon seine Vorlieben? Jeder andere, der zufälligerweise den blöden Bus in dieselbe Richtung nehmen musste, war genauso davon betroffen. Zum Beispiel der Typ, der vor Sasuke läuft und nicht aufpasst wohin, oder das kleine Mädchen mit den witzigen Haaren, oder der blonde Kerl drüben… Moment mal… welcher blonde Kerl?!
 

Plötzlich wurde Sasuke hundertprozentig wach. Er musste eine dringende Aufgabe schnel und präzise lösen: die Identität des unbekannten Blonden festzustellen. Sasuke fiel auf, dass seine Haare sehr ähnlich wie die von Naruto aussahen. Die weizenfarbenen Locken des Vordermanns guckten genauso widerspenstig jede denkbare Himmelsrichtung an wie die von Naruto. Aber es kann doch nicht sein, dass sein Vordermann zufälligerweise Naruto ist. Oder? Selbst wenn die Frisur des Unbekannten sehr der von Naruto ähnelt, reicht es bei weitem nicht aus, um Sasukes Befürchtung zu bestätigen. Allerdings reicht es genauso wenig aus, um sie zu widerlegen. Sasuke erinnerte sich an die Sache von gestern und spannte sich leicht an. Bist du immer so eine kleine Tsundere oder hat es einen bestimmten Grund? Bäääh, dieser Satz!
 

Mittlerweile erreichte die Horde der verschlafenen Oberschüler die Bushaltestelle. Die Jugendlichen drängelten unruhig auf einer nicht gerade großzügigen Fläche und der mysteriöse blonde Typ war keine Ausnahme. Es gelang ihm relativ gut sich aus dem Weg zu räumen. Er packte als nächstes sein Handy aus und fing an irgendwas zu tippen. Sasuke nahm seinen Blick nicht weg von ihm. Er nahm ihn sehr gewissenhaft unter die Lupe und ihm fiel auf, dass dieser Junge eine sehr schöne Haltung hat. Er gehört bestimmt nicht zu denen, die von morgens bis abends nur am Lernen sind. Wahrscheinlich treibt er sogar regelmäßig Sport. Der Blonde packte das Handy weg und schaute sich zerstreut um. Sasuke konnte nicht entgehen, dass er sehr neugierig die Umgebung betrachtete, als ob er noch nie im Leben an diesem Ort war. Ein Ausländer? Naruto hat auch einen leichten Akzent… nein-nein-nein! Es kann nicht sein! Plötzlich führte der Unbekannte den Kopf in Sasukes Richtung. Der Uchiha konnte sich gerade noch rechtzeitig retten, indem er ganz unverschämt den überdimensionalen Rucksack seines unmittelbaren Vordermanns als Deckung nutzte. Im nächsten Moment zeigte sich Bus auf dem Horizont und die Oberschüler bereiteten sich auf den Kamp Namens "Einstieg" vor. Sasuke nahm ebenfalls eine kriegerische Haltung an.
 

Nachdem der kurze Kampf gewonnen war, verschwand der mysteriöse Blonde aus Sasukes Sichtfeld komplett. Die Fahrt konnte wie immer nur bedingt genossen werden, denn die Nachbarschaft zum überdimensionalen Rucksack wurde plötzlich zu Sasukes Verhängnis: heute wurde er kräftig gegen das Fenster gepresst. Sieben Haltestellen und dann ist dieser Horror vorbei. Bloß nicht aufgeregt werden. Sasuke überlegte sich, ob die Situation noch schlimmer hätte sein können als jetzt. Hmmm, was, wenn sein Vordermann der mysteriöse Blonde wäre, der eigentlich die ganze Zeit Naruto war? Bist du immer so eine kleine Tsundere oder hat es einen bestimmten Grund? Oh ja, die Situation hätte definitiv viel schlimmer sein können.
 

Nach 7 Haltestellen war es endlich vorbei. Die immer noch verschlafene Oberschülerhorde befreite sich aus dem stickigen Bus und lief jetzt in die Richtung der Schule. Der blonde Junge tauchte auch hier nicht auf. Der etwas verwirrte Uchiha fragte sich, ob der mysteriöse Blonde eine Art Halluzination war. Gestern Abend konnte sich sein Kopf nicht von den Gedanken an Naruto und von diesem blöden Satz loslassen. Bist du immer so eine kleine Tsundere oder hat es einen bestimmten Grund? Oooooh, warum denkt er schon wieder daran?! Sasuke versuchte sich abzulenken und fing an ganz bewusst dem momentanen Lied in den Kopfhörern zu lauschen. Er hörte sofort den Takt raus und konzentrierte sich darauf, das Schlagzeug vom Rest der Band zu trennen. Mit so etwas konnte sich Sasuke sehr lange beschäftigen ohne die restliche Umgebung um ihn herum zu beachten. Die Musikklänge entführten ihn aus der Realität in eine riesige unerforschte Welt, wo die Alltagssorgen schnell vergessen wurden, und letzter Zeit passierte es ihm sehr häufig. Wahrscheinlich wollte er doch seine momentanen Probleme einfach vergessen. Ihm war natürlich bewusst, dass das Ignorieren eine sehr schlechte Problemlösungsstrategie ist. Man muss leider der Herausforderung direkt ins Gesicht schauen.
 

Mittlerweile saß Sasuke an seinem Platz im Klassenraum und schlürfte am schlechten lauwarmen Kaffee aus dem Automaten im Erdgeschoss. Die erste Stunde war Englisch und heute fand der lang befürchtete Test statt. Sasuke fühlte sich bereit: er lernte genug, verschlief nicht aus Versehen, ist gerade nicht nervös und die Öffentlichen spielten heute wunderbar mit. Das Universum muss ihm nur insoweit helfen, dass alles genauso weiter läuft. Ja, nichts kann schieflaufen. Fünf Minuten vor Beginn tauchte der Lehrer auf und beauftragte jemanden, die Tests auszuteilen. Sasuke bekam seinen Papiersatz, der umgedreht auf seiner Tischplatte ruhte. Ein brennendes Verlangen das stechend weiße Papier auf die Vorderseite umzudrehen fraß Sasuke für die letzten zwei Minuten vor dem Unterrichtsbeginn. Als die Glocke ertönte und die immer noch leicht verschlafene Klasse die übliche Lehrerbegrüßung hinter sich brachte, durfte der Test gewendet werden und die Bearbeitungszeit lief ab da los. Sasuke sah sich die Aufgaben an und wusste sofort, dass sich seine Vorbereitungen nicht umsonst waren.
 

Der Test war auf 45 Minuten angesetzt. Die Klasse brachte fast die Hälfte hinter sich. Inzwischen musste Sasuke feststellen, dass er bei der Vorbereitung doch etwas geschlampt hatte. Er dachte nun wirklich nicht, dass das Material von vor vier Wochen ernsthaft rankommt, und deswegen überflog er ganz schnell dieses Paragraph im Lehrbuch ohne sich groß darüber Gedanken zu machen. Während sich Sasuke an den Inhalt dieser Seiten zu erinnern versuchte, ging plötzlich die Tür mit Wucht auf und jeder in der Klasse, außer Sasuke, starrte neugierig den Eingang an, während Uchiha seinen schwarzhaarigen Kopf ängstlich auf die Tischplatte absenkte um sich so unauffällig wie möglich zu machen. Denn auf der Schwelle stand Naruto, der sich gleichzeitig als die Identität des mysteriösen Blonden von heute morgen offenbarte. Naruto hechelte schwer und sah etwas aufgebracht aus. Was macht er hier? Warum trägt er diese Schuluniform?! Was ist hier los?!
 

„Entschuldigen Sie bitte meine Verspätung. Ich hab mich ziemlich peinlich verlaufen. Darf ich bitte reinkommen?“, sprach er sehr laut aus.

„Aaa, Uzumaki-kun, endlich sind auch Sie hier. Kommen Sie rein und nehmen Sie Platz in der Mitte der zweiten Reihe“, erwiderte der Lehrer halbflüsternd. Moment, Hinsetzen? Ist er etwa dieser Austauschschüler, von dem die letzten Wochen nur die Rede war?!

„Hier?“ Naruto zeigte auf den freien Tisch ohne dabei die eigene Lautstärke etwas runterzuschrauben.

„Uzumaki-kun, hier findet ein Test statt…“ Der Lehrer äußerte sich nur semidirekt aus und versuchte den logischen Rest irgendwie telepatisch an Naruto zu übertragen.

„Oh“, Naruto schaute alle entschuldigend an und lächelte. „Sorry“, wisperte er.

„Nach der Stunde kommen Sie zu mir, ja?“

„Okay.“ Ja, er ist eindeutig dieser Austauschschüler. Wie schlimm ist das denn?!
 

Naruto begab sich zu seinem Platz und guckte sich dabei neugierig herum. Sasuke saß immer noch geduckt und betete regelrecht, dass Naruto ihn bitte nicht bemerkt. Nun schwof der Blick den Blonden nicht mehr durch die Gegend und er setzte sich endlich hin. Puuuh… Anscheinend verlief die Operation "Unbemerkt bleiben" erfolgreich. Sasuke richtete sich auf und machte sich an den Test erneut ran. Moment mal, warum duckt er sich überhaupt?! Ist diese Tatsache nicht peinlicher als gestrige Begenung?! Ist sie definitiv! Sasuke darf sich nicht schämen! Na dann ist halt er hier! Na dann sitzt er nur zwei Reihen entfernt von ihm! Na dann ist er halt in seiner Klasse!
 

Bist du immer so eine kleine Tsundere oder hat es einen bestimmten Grund?
 

Oh Gott, warum musste das Universum ihm so einen kräftigen Schlag ins Gesicht verpassen?!

Nun war es wirklich nicht gelogen. Naruto war für das kommende Schuljahr tatsächlich Sasukes Mitschüler und vier Wochen sind seitdem vergangen. Die Neuigkeit darüber, dass sich ein Ausländer irgendwo an dieser Schule rumtreibt, verbreitete sich überall wie die Pest. In nur einer Woche hat Naruto geschafft diesen trüben lernorientierten Ort für sich zu gewinnen. Nach vier Wochen war jeder mit Uzumaki-Fieber angesteckt und mochte diesen blonden Neuankömmling bedingungslos. Mädchen wollten ihn daten und Jungs wollten mit ihm befreundet sein. Manche übertrieben es so doll, dass die Schule seit drei Wochen über einen sehr aktiven Naruto-Fanclub verfügt. Am Samstag machen sie zum Beispiel einen Ausflug ins Kino. Moment… warum weiß Sasuke eigentlich darüber Bescheid?! Sowas interessiert ihn doch gar nicht! Natürlich nicht!
 

Dennoch gab es eine Person, die die allgemeine Begeisterung nicht wirklich teilte. Die ganze Sache könnte eigentlich schön unauffällig an Sasuke vorbeiziehen, aber der Blonde ging ihm bereits seit dem ersten Tag auf die Nerven. Aus irgendeinem mysteriösen Grund suchte Naruto ausgerechnet Sasuke als Zielscheibe für seine komischen Psychospielchen aus und gerade das hatte dem ausgelasteten Oberschüler natürlich gefehlt. Dabei hätte Naruto nun wirklich jeden außer Sasuke nehmen können. Wie dem auch sei, änderte sich dadurch Sasukes schulischer Alltag drastisch. Einerseits weil Naruto ziemlich oft ziemlich zweideutige Sprüche abließ, in derer Bedeutung sich Sasuke immer noch nicht ganz sicher war. Andererseits machte der Uzumaki alles zum Wettbewerb. Zum Beispiel letzten Mittwoch ging es darum, wer schneller das Mittagessen aufisst. Und letzten Freitag — wer das letzte Wort in der dummen verbalen Auseinandersetzung fällt. Wer sich schneller die Schnürsenkel zubindet kam bereits auch dran. Montags hieß es meistens „Wer eine bessere Note auf den nächsten Test bekommt“ und es würde eine ganze Woche lang gehen. Sasuke verstand dabei zwei Sachen nicht: erstens warum er, ein sonst so vernünftiger Mensch, sich da überhaupt reinziehen ließ. Vermutlich weil den Blonden richtig fertig zu machen sich tierisch gut anfühlte. Sasuke hielt Naruto für einen überheblichen Narzissen, der viel zu sehr von sich überzeugt war. Jemand musste ihm die Realität näher bringen und Sasuke opferte sich dafür viel zu gern. Es kostete so oder so überhaupt nicht viel Kraft. Das war die zweite Sache, die Sasuke nicht verstand: warum prallten die zahlreichen Niederlagen an Naruto wie kleine Kieselsteine an der Wand ab?! Der Uzumaki war überhaupt nicht davon betroffen, dass Sasuke alle vergangenen Schlachten gewann. Am nächsten Tag legte er sich wieder mit ihm an. Sasuke ist jemandem so sturen noch nie begegnet. Der Uchiha wollte unbedingt, dass sein neuer nerviger Mitschüler einsieht, dass sein fast selbstverliebtes Aufführen nicht gerechtfertigt ist, wenn er überhaupt nichts drauf hat. Schließlich muss auch Uzumaki irgendwann ein bisschen nachdenken. Wenn es passiert, wird Sasuke gefälligst da sein um Narutos schmerzhafte Offenbarung live mitzubekommen.
 

Leider war dieser Tag nicht der heutige. Sasukes morgendliche Routine endete wie gewohnt mit einem erfolgreichen Ankunft auf seinen nicht mehr so beliebten Fensterplatz. Der Wert des Platzes wurde durch die neue Nachbarschaft zum Uzumaki erheblich gemindert. Bis zum Unterricht waren es noch ungefähr 15 Minuten. Während der verbleibenden Viertelstunde textete der neue Nachbar den Schwarzhaarigen ununterbrochen zu. Sasukes Kopf tat bereits schon jetzt weh, um 7:52.
 

„Na, und wie gehts dir, Morgenmuffin?“

„Es heißt immer noch Morgenmuffel. Wann lernst du es endlich?“

„Vermutlich nie.“ Uzumaki grinste zufrieden und fuhr fort: „Ist ja auch super, weil ich dich damit wunderbar ärgern kann.“
 

Sasuke erwiderte nichts. Stattdessen senkte er den schwarzhaarigen Kopf auf die Tischplatte ab in der Hoffnung noch etwas kostbaren Schlaf zu bekommen. Währenddessen erzählte Naruto etwas über jemandem aus seinem Wohnheim, der angeblich gestern irgendwas schlechtes gegessen hätte. Sasuke fand seltsam, dass manche Leute zu solchen frühen Stunden so hyperaktiv sein können. Heute, wo Naruto gesprächiger als gewöhnlich war, ging es ihm selbst ausgerechnet nicht so gut. Der nächliche Schlaf war überhaupt nicht erholsam und die Bahnfahrt war anstrengender als sonst. Sasuke war so lustlos, dass er sogar auf den Kaffee aus dem Automaten verzichtete. Am liebsten hätte er, dass um ihn herum absolute Ruhe herrscht. Nun war das jetzt unmöglich, Naruto sei dank.
 

„Du hast immer noch meine Frage nicht beantwortet: wie geht es dir?“

„Gut“, meldete sich der verschlafene Schwarzhaarige so trocken wie es nur ging in der Hoffnung die Unterhaltung hier und jetzt sterben zu lassen.
 

Leider war Naruto damit überhaupt nicht einverstanden. Er schüttelte Sasuke kräftig an den Schultern durch, gestikulierte aktiv mit den Händen und deutete damit an, dass Sasuke jetzt gleich an der Reihe wäre. Sowas konnte der müde Oberschüler unmöglich nicht mitbekommen, aber er reagierte trotzdem nicht.
 

„Und dir?“ Naruto streckte eine Hand heraus und tat so, als würde Sasuke reden. „Ja, mir geht es gut, danke für die Nachfrage. Ich habe heute zwar schlecht wegen dem Nachbar geschlafen, aber ich bin trotzdem gut drauf. Heute gibt es im Naruto-Club das gemeinsame Kochen. Danach gehe ich tanzen. Endlich! Ich muss dringend mal wieder was machen. Zuhause tanzte ich jeden Tag, ich bin schließlich ein Profitänzer!“ Sasuke seufzte dabei, denn Naruto verpasste keine Gelegenheit daran zu erinnern. „Kann ich bitte mit dir mitkommen?!“ Narutos Hand bewegte sich nochmal. Er imitierte den immer noch auf dem Tisch liegenden stummen Uchiha. „Na klar! Ach, danke! Du hast meine Morgenmuffinheit damit sofort aufgelöst! Es geht mir bestens…“

„Hör auf“, Sasuke zischte.

„Tretten wir wieder den Unfreundlichkeitswettbewerb an?“, fragte Naruto sarkastisch.

„Nein, wir machen einen Schweigewettbewerb. Wer als erstes was sagt, hat verloren.“

„Darf ich was…“

„Verloren!“, sprach Sasuke mit Vergnügen aus.

„Ey, das ist unfair! Ich war unvorbereitet! Lass uns nochmal ab jetzt machen!“ Naruto fiel voll auf seinen Trick rein.
 

Mittlerweile kam der Lehrer an und die Mathestunde begann. Naruto hielt tapfer durch und sagte gar nichts, selbst als sein Ergebnis der vergangenen Klausur mal wieder schlechter ausfiel und er die gewöhnliche Montagswette mal wieder verlor. Danach kamen Geschichtsstunde, Essenspause, Englisch und Sport. Naruto sagte immer noch kein Wort und Sasuke feierte sich innerlich. Er konnte sich durch diese wunderbare Wette einen sehr ruhigen Tag organisieren. Gut gemacht, Uchiha! Jetzt nur noch die restlichen Tage bis zum Ende des Schuljahres durchhalten und dann ist diese blonde Bestie schon weg! Ja, ein Superplan!
 

Am Ende des Tages lief Naruto Sasuke über den Weg im Eingangsbereich bei den Schränken mit den Schuhen. Sasuke konnte sich schon dabei denken, dass es kein Zufall war. Der Blonde wartete nur darauf, Sasuke zum Sprechen zu bringen. Dem Uzumaki gefiel offenbar nicht so lange still sein zu müssen. Vermutlich deswegen starrte er Sasuke beim Schuheanziehen so erbarmungslos an. Uchiha spürte den fordernden unzufriedenen Blick auf seinem Rücken. Der Junge ließ sich trotzdem nicht aus der Fassung bringen. Er machte sich in aller Ruhe fertig und wollte sich schon zum Ausgang begeben, doch Uzumaki blockierte ihm den Weg. Der Blonde entstand so plötzlich vor ihm, dass sich Sasuke ein wenig erschrock. Naruto wollte bestimmt dadurch die Wette gewinnen. Tja, nicht heute. Der Uchiha grinste bei diesem Gedanken und danach traf sich sein Blick mit Narutos. Die leuchtenden Augen des Blonden krallten sich in ihn fest und ließen nicht los. Sasuke gewöhnte sich Stück für Stück an dieses penetrante Starren, aber eigentlich konnte er es immer noch nicht ab. Warum muss der Uzumaki ihn immer so intensiv anglotzen?! Plötzlich spürte Sasuke, dass Naruto ihn an den Handgelenken festhält. Der Blonde stellte sich ihm den Weg und schirmte Sasuke von der restlichen Welt ab. Naruto hatte diese komische Angewohnheit den Menschen viel zu nahe zu kommen. Während dieser vier Wochen bekam Sasuke es deutlich zu spüren. Aber so unausstehlich nah war er noch nie. Dem Schwarzhaarigen war die beinahe fehlende Distanz zwischen sich und einer anderen Person sehr unangenehm. Er schaute trotzdem nicht weg. Erstens weil es ein Zeichen von Schwäche wäre. Und zweitens… Narutos blaue Augen sogen ihn in die mysteriösen Tiefen hinein. Er konnte nicht aufhören in sie hineinzuschauen.
 

Die nächste Szene nahm Sasuke wie durch eine Zeitlupe wahr. Narutos Gesichtsausdruck wurde auf einmal sehr zart und unentschlossen. Als hätte der sonst von sich überzeugte Uzumaki vor etwas eine echte Angst. Der Junge neigte leicht seinen Kopf und sein weizenfarbener Pony fiel auseinander. Narutos Lippen öffneten sich leicht und er beugte sich ungeschickt nach vorn. Für eine kurze Sekunde schien, dass Naruto es ernst meint, was auch immer es war. Auf den ersten Blick sah es wie ein Kussversuch aus. Und dabei drehte Sasuke innerlich komplett durch.
 

„WAS MACHST DU EIGENTLICH?!“, schrie der verängstigte Uchiha aus der Tiefe seiner Lunge.

„Verloren“, sprach der Blonde mit einem fuchsähnlichen Grinsen im Gesicht und löste den Halt. Allerdings blieb er weiterhin sehr nah an Sasuke stehen.
 

Endlich konnte sich Sasuke aus dem lähmenden Schock befreien. Er stieß den Uzumaki kräftig weg. Endlich war eine annehmbare Distanz zwischen ihnen wiederhergestellt. Sasuke konnte Narutos bizarre Tat immer noch nicht begreifen.
 

„Scheiß drauf! Was war das gerade?!“ Obwohl die Wette jetzt zweitrangig war, musste der Uchiha schon zugeben, dass sich Naruto einen ziemlich raffinierten Trick ausgedacht hat. Sasuke war trotzdem außer sich vor Wut.

„Ich wollte dich küssen“, gab Naruto selbstverständlich zu, als wäre es normalste auf der Welt. Sasuke verlor für eine Sekunde die Sprachgabe.

„UND WIESO ZUR HÖLLE WOLLTEST DU ES MACHEN?!“

„Du weißt doch wieso, Morgenmuffin.“ Narutos Sprechweise änderte sich ein bisschen. Der Junge klang etwas deprimiert. Sasuke wusste nicht, ob es eine Einbildung war oder nicht.

„Es heißt immer noch…“

„Ich weiß mittlerweile wie es richtig heißt.“
 

Während Sasuke das Geschehene immer noch verarbeitete, schnappte Naruto sein Zeug und begab sich eilend zum Ausgang.
 

„Ich mag dich, Uchiha!“, warf er laut.
 

Bevor er den Schwarzhaarigen alleine bei den Schuhschränken stehen ließ, drehte er sich kurz um und lächelte sehr aufrichtig.
 

„Und darum wollte ich dich küssen.“ Das war das Letzte, was der Uzumaki von sich heute gab.
 

Kurz danach brach Sasuke ebenfalls auf nach Hause. Er wusste nicht, was Naruto mit dem Kussversuch und der Aussage bezweckte. Der Kuss war bestimmt dafür da, dass die Wette gewonnen wird. Andererseits wirkte Narutos Blick in dieser einen Sekunde doch irgendwie besonders. Als ob ihm diese Spielereien wirklich etwas bedeuteten. Als ob er sich den Kuss tatsächlich gewünscht hätte. Nein-nein-nein! Das kann nicht sein! Sasuke schüttelte kräftig den Kopf in der Hoffnung die komischen Gedanken zu vertreiben. Nein, Naruto kann doch nicht ernsthaft Sasuke mögen! Es ist total lächerlich und außerdem passt Uzumakis Verhalten gar nicht zu jemandem, der Sasuke wirklich gefallen möchte. Also muss es eine neue besondere Art Psychoterror sein. Genau, Naruto möchte ihm so auf die Nerven gehen! Dennoch gingen Narutos Worte einfach nicht aus dem schwarzhaarigen Kopf.
 

Ich mag dich, Uchiha! Und darum wollte ich dich küssen.
 

Ooooh! Warum musste dieser Schwachkopf überhaupt sowas sagen! Eins müsste ihm Sasuke lassen: wenn Narutos Ziel von vornherein Sasukes Kopf zu besetzen war, hat er genau das bekommen. Sasuke hat zwar jede einzige Schlacht gewonnen, trotzdem war Naruto der wahre Sieger dieses Krieges. Und dabei konnte der stolze Uchiha die Situation niemals belassen.

Seit dem Schweigewettbewerb verging eine Woche. Das war die längste Woche in Sasukes Leben und es war allein Narutos Schuld. Die berühmt-berüchtigte Aussage zwang den Uchiha alles in einem neuen Licht zu sehen. Jetzt machten die zweideutigen Sprüche des Blonden plötzlich viel mehr Sinn. Naruto versuchte nämlich zu flirten und Sasuke fand es abstoßend. Deswegen versuchte er die ganze Woche dem Uzumaki aus dem Weg zu gehen. Er tauschte ebenfalls Plätze mit Hinata, verschanzte sich oft aufs Dach hinters mittlere Trafokasten um unauffällig die Pausen zu überbrücken und nutzte stets den Hintereingang, wenn es sich ums Ankommen oder Nachhause gehen handelte. Die Aktion klappte hervorragend, nun leider brachten Sasukes Anstrengungen beinahe nichts. In Narurtos Abwesenheit musste der Schwarzhaarige sofort an die berühmte-berüchtigte Aussage denken.
 

Ich mag dich, Uchiha! Deswegen wollte ich…
 

Ja-ja, genau die.
 

Was den Uzumaki anging, wollte er überhaupt nicht gemieden werden. Dass Sasuke dabei die Oberhand gewann, stellte den Schwarzhaarigen zufrieden. Der Uchiha erlaubte sich bei all dem unnötigen Stress ein wenig Schadenfreude. Ja, Naruto fertig zu machen ist immer noch sehr kostbar… diese Schlacht ging ebenfalls an den Uchiha, aber der Krieg war lange noch nicht vorbei. Der Oberschüler wusste, dass er nicht das gesamte Jahr lang Naruto aus dem Weg gehen kann. Schließlich waren sie ja in einer Klasse. Aber so konnte er ein wenig Zeit verschaffen um in Ruhe über den nächsten Schritt nachzudenken.
 

Heute fand die große Versammlung aller Abiturienten statt. Es ging nämlich um den Abschlussball. Traditionell würden sich die Schüler am Anfang des Jahres versammeln, um hauptsächlich zu besprechen, wie man das Geld für die Veranstaltung auftreiben kann und jedes Jahr legte sich das Komitee auf schulische Festivals fest. Danach würden die Festivals terminlich festgelegt und zum Schluss würde die Geldaufpasserkommission auserwählt. Und damit waren sie ja eigentlich schon lange durch. Die nächste Versammlung wäre erst in einem Monat fällig. Deswegen war Sasuke extra genervt. In einer Woche schreibt seine Klasse schon wieder eine Matheklausur und er müsste eigentlich lernen. Stattdessen befand er sich in der stickigen Aula umgeben von den anderen ahnungslosen Mitschülern. Als wäre all das noch nicht schlimm genug! Die Veranstaltung verzögerte sich bereits um eine halbe Stunde. Vermutlich fehlte jemand aus dem Schülerpräsidium oder so. Eine gute Sache gab es bei all dem trotzdem. Bis jetzt war keine Spur von Naruto und seinen schrägen Anmachen vorhanden.
 

„Guten Abend!“, fing der Schülersprecher an. „Entschuldigt bitte die Verspätung. Ich besprach nämlich den bevorstehenden Abschlussball mit einem der schulischen Freizeit-Clubs…“
 

Sasuke hatte bereits eine Vorahnung welcher genau es war. Und schon wusste der Uchiha, warum sich Naruto bis jetzt nicht blicken ließ. Es kann eigentlich nichts gutes heißen…
 

„Wir sind ein besonderer Jahrgang“, fuhr der Schülersprecher fort. „Wir empfangen einen ausländischen Gast, der euch allen sehr wohl bekannt ist. Naruto-Fanclub und Naruto persönlich kamen vor ein paar Tagen auf das Schülerpräsidium zu und schlugen etwas sehr interessantes vor: den Abschlussball so zu veranstalten, wie es in Narutos Heimat üblich ist. Wir bitten mal Naruto selbst zu erzählen, was auf uns zukommen könnte.“
 

Ach ja, jetzt erklärte sich die Verspätung wunderbar einfach. Es lag nämlich an Uzumaki. Sasuke war sich dessen hundertprozentig sicher. Keiner aus dem Schülerpräsidium würde sich sowas erlauben. Und dieser unanständige blonde Chaot schon.
 

„Hallo!“
 

Die aufgeregte Stimme des Jungen hallte kräftig durch die Aula und der Raum wurde vom lauten Klatschen überwältigt. Naruto wurde nach einer dreißigminütigen Verspätung für Sasukes Geschmack viel zu herzlich begrüßt. Der Schwarzhaarige seufzte. Hoffentlich teilt er etwas kurz mit und dann dürfen alle zu den wichtigeren Sachen zurück.
 

„Ähm… ich kann eigentlich gar keine öffentlichen Reden halten…“ Ein kurzes Gelächter ging durch die Menschenmasse. Sasuke seufzte erneut. Solche Schleimer! „Deswegen kommen wir direkt zur Sache. Wahrscheinlich ist der Abschlussball in meinem Land gar nicht so anders als hier. Es gibt zwei Dinge, die mir auf Anhieb einfallen, die bei uns anders sind. Am Ende des Jahres spielen die Abiturienten einen Streich. Das würde ich gern machen. Und dann noch zur Zeremonie an sich… prinzipiell kommt zuerst der offizielle Teil mit den Zeugnissen und danach wird gefeiert. Bevor die Party losgeht, laden die Jungs die Mädchen auf einen Walzer ein. Das wollte ich mit euch auch machen, weil ich rein zufällig ein Profitänzer bin und finde, jeder sollte mal einen klassischen Tanz wie Walzer gelernt haben. Wie findet ihr das?“
 

Das Publikum jubelte dem Blonden zu. Also ein klares „Ja“. Na schön… Sasuke seufzte mal wieder. Er seufzte heute echt oft.
 

„Es scheint, als würdet ihr die Idee auch toll finden. Es ist natürlich freiwillig ob ihr mitmacht, aber ich würde mich freuen, wenn viele von euch Interesse hätten. Um euch vielleicht ein bisschen zu motivieren ließ ich mir was ganz besonderes einfallen. Ich selbst möchte mit einem Mann tanzen…“
 

Sasuke hörte ein enttäuschtes Seufzen aus dem weiblichen Lager. Jetzt war jemand anders an der Reihe zu seufzen. Währenddessen hat sich Sasuke so verhalten, als würde die Äußerung ihn überhaupt nicht betreffen. Aber innerlich wurde er ab jetzt doch etwas unruhig.
 

„Wer es ist, könnt ihr dann nächste Woche auf Naruto-Club Homepage. Hoffentlich war es Motivation genug für euch.“
 

Gott sei dank hatte Naruto genug Anstand die Sache nicht öffentlich zu klären. Sasuke wusste, dass die nächste Schlacht schon sehr bald auf ihn zukommt. Und tatsächlich. Er wurde beim Verlassen der Aula von Uzumaki aufgehalten. Aber darauf war Sasuke voll vorbereitet.
 

„Du weißt bestimmt, dass ich vorhin dich gemeint habe“, fing Naruto an.

„Nein, ich weiß überhaupt nicht wovon du sprichst.““ Sasuke versuchte einen Ahnungslosen zu spielen und sich zugleich unauffällig zur Tür zu begeben.

„Na dann kläre ich dich auf: ich hab vorhin dich gemeint. Also sagst du ja oder ja?“

„Ich sag oder“

„Ist es ein ja?“

„Es ist ein oder.“

„Und was soll oder heißen?“

„Oder heißt oder.“

„Nein, jetzt ernsthaft.“ Naruto packte Sasuke an der Schulter und unterbrach somit die unauffälligen fliehenden Bewegungen zum Ausgang. „Tanzt du mit mir oder nicht?“

„Nein, natürlich nicht!“ Sasuke befreite sich und lief weiter.

„Ach, komm schon! Es wird witzig! Bitte!“
 

Der Uchiha versuchte sich zu beschleunigen, aber Naruto schien es nicht zu stören. Der Uzumaki verfolgte den Schwarzhaarigen regelrecht. Jetzt wurde Sasuke richtig genervt. Die Spielerei hört hier somit auf.
 

„Sag mal, warum machst du das, ha?“ Sasuke drehte sich zackig um und bleib stehen. Naruto stoppte automatisch mit. „Ich weiß, wir können einander nicht besonders gut leiden, aber musst du mir auf diese Weise auf die Nerven gehen? Wenn du mich schon nicht in Ruhe lässt, such dir bitte eine andere Quälmethode aus, die kein Berühren, kein Flirten und nichts bezogenes aufs Daten enthält, okay?“

„Es ist aber keine Quälmethode.“
 

Plötzlich wurde der Uzumaki ziemlich ernst. Sasuke wusste nicht, was diese blonde Bestie diesmal beabsichtigt, aber er fühlte sich auf alles vorbereitet.
 

„Was ist es dann, sag mir?“ Sasuke ging auf Offensive.

„Ein Versuch dir näher zu kommen“, sprach Uzumaki mir derselben ernsten Miene aus.

„Oooh! Hör auf damit!“

„Du glaubst mir nicht, oder?“
 

Beim Aussprechen dieser Worte hat Naruto mal wieder Sasukes persönlichen Grenzen verletzt. Sein Gesicht war so nah, dass der Uchiha seinen Atem auf der Haut spüren konnte. Das erstaunliche dabei war, dass dies Sasuke überhaupt nicht verunsicherte.
 

„Natürlich nicht! Es ist doch «unser» Ding!“ Sasuke wiederhstellte die notwendige Entfernung und machte Gänsefüßchen in der Luft. „Du gehst mir auf die Nerven und ich kann dich aus diesem Grund nicht leiden. So machen wir das doch, oder habe ich was in den letzten Monaten verpasst?

„Du glaubst mir also wirklich nicht. Was muss ich tun, um dir die Ernsthaftigkeit meiner Absichten zu beweisen?“
 

Jetzt versuchte Naruto sich vernünftig zu stellen. Sein Blick wurde etwas weniger fordernd und sogar irgendwie traurig. Also ob Uzumaki dieses Missverständnis richtig leid tut. Es kam fast überzeugend rüber. Tja, im Krieg ist jedes Mittel erlaubt. Und oh ja, Sasuke war darauf sowas von vorbereitet.
 

„Es gibt nichts, womit du mich überzeugen kannst“, schnitt der Schwarzhaarige entschlossen ab.

„Wirklich nicht?“

„Nein.“

„Herausforderung angenommen.“
 

Sasuke seufzte genervt und begab sich zielstrebig zur Tür.
 

„Du wirst mich am Ende des Jahres nicht gehen lassen wollen!“, rief Naruto hinterher.

„Träum lieber von was anderem, Schwachkopf!“

„Uchiha, ich hab dich wirklich-wirklich gern! Schon bald kannst auch du dich davon überzeugen!“
 

Sasuke verdrehte die Augen. Der Oberschüler war bereit, in diesem neuen Krieg bis zum Schluss zu kämpfen und daraus siegreich herauszugehen. Aber Uzumaki war es auch. Darin war sich Sasuke jedenfalls sehr sicher.

Der neue Krieg zwischen Sasuke und Naruto ging schon seit einigen Wochen. Bis jetzt war noch total unklar wie das Ganze ausgeht. Auf Sasukes Siegeskonto ging einiges: er konnte die günstige Platzkonstellation im Klassenraum behalten. Fast jeden Anmachspruch konnte er in eine sinnvolle Unterhaltung verwandeln. Er gewann weiterhin jeden akademischen Wettbewerb, auch manche sportliche Wettbewerbe. Obwohl Naruto für seine siebzehn überdurchschnittlich trainiert war, konnte er weder treffsicher werfen und noch fangen. Zu seinem Riesenunglück war das Thema des jetzigen Semesters Basketball und Sasuke spielte früher sehr erfolgreich für die schulische Basketballmannschaft. Sasuke fand witzig, dass so eine tollpatschige Person wie Naruto überhaupt ein Tänzer sein konnte. Und außerdem — endlich! — konnte der Uchiha besser Narutos penetrantes Starrten ertragen. Die Anglotzspielchen machten ihn nicht mehr so doll fertig wie vor drei Monaten. Es fing sogar an, Spaß zu machen, denn endlich gewann auch Sasuke ab und zu. Letzte Woche gewann er sogar ganze vier Mal. Sasuke versuchte trotzdem mit dieser neuen Macht vorsichtig umzugehen. Narutos Augen hatten eine komische Wirkung auf den schwarzhaarigen Oberschüler. Manchmal wollte man diese himmelblauen Tiefen nicht verlassen. Bei einem von diesen vier Male gewann der Uchiha nur, weil er beim Starren einfach die Zeit vergaß.
 

Der Uzumaki bekam nicht so viele Punkte zusammen wie der Uchiha. Dafür waren sie schwerwiegender. Naruto verkündete auf der Webseite des Naruto-Clubs, dass er auf Sasuke steht, und dass er dabei ein wenig Unterstützung von der Community braucht. Manche nahmen es viel zu ernst. Sasuke bekam nämlich mit, dass nur wenige Stunden nach der Ankündigung ein Zirkel innerhalb des Naruto-Clubs entstand, welcher dem Blonden zu eifrig in dieser Angelegenheit verhelfen wollte. Sie bezeichneten sich als „NaruSasu-Shipper“. Sie führten einen Blog mit Zeichnungen und Geschichten darüber, wie Naruto und Sasuke zusammenkommen. Diese schreckliche Entwicklung ließ den Uchiha etwas paranoid werden. Er handelte ab jetzt viel bewusster und vorsichtiger. Schließlich wollte er Narutos verrückten Minions nicht noch mehr Stoff zum Austoben geben. Sasuke fragte sich, ob Naruto nicht gleich über eine ganze Armee von solchen Minions verfügt, die nur auf seine Befehle wartet. Wenn ja, dann blieb sie Gott sei dank bis jetzt inaktiv, aber ihre mögliche Existenz war an sich sehr beängstigend. Der Blonde verwandelte diese stinknormale langweilige Schule in ein Irrenhaus. Deswegen schloss Sasuke sogar so etwas verrücktes nicht aus. Man kann ja nie wissen.
 

Narutos anderer großer Sieg bestand darin, dass Sasuke schlussendlich doch im Tanzkurs landete. Obwohl Uzumaki die Veranstaltung als freiwillig bezeichnete, war sie am Ende doch eher verpflichtend. Die Klassenlehrer baten alle Abiturienten darum. Sowas übersetzte sich in ein „Muss“ und jeder wusste es. Außer Naruto, der immer noch davon überzeugt war, dass der Kurs nur aus Interesse und Freiwilligkeit so gut belegt war. Dieser Ausländer kannte eben keine ungeschrieben Regel. Sasuke bezweifelte, dass sich das überhaupt noch ändert. Selbst nach drei Monaten Aufenthalt in diesem Land gab es keine Fortschritte: Naruto war immer noch in allen Hinsichten viel zu direkt. Das konnte man immer wieder während des Tanzkurses gut beobachten. Mit Bemühungen des Naruto-Clubs konnten insgesamt sechs Tanzlehrer gefunden werden, um dem Ansturm gerecht zu werden. Man konnte also Naruto mit erfahrenen Lehrkräften direkt vergleichen. Trotzdem musste Sasuke zugeben, dass Naruto als Lehrer nicht so ganz übel war. Der Oberschüler stellte sich Uzumakis Unterricht schlimmer vor als ein Weltuntergang. Etwas lief allerdings nicht ganz nach Narutos Plan. Sasukes Tanzpartnerin wurde schlussendlich Sakura Haruno. Der Schwarzhaarige war zwar unheimlich froh, dass er doch nicht mit Naruto tanzen muss, aber Sakura-Alternative war eigentlich nicht so viel besser. Wenn man den Uzumaki ausgeschlossen hätte, wäre genau dieses Mädchen Sasukes am wenigsten erwünschte Tanzpartnerin. Sakura war genau das, was Naruto zu sein vorgab: sie war in den Schwarzhaarigen verknallt. Harunos Art war zum Glück nicht so unausstehlich wie die von Naruto. Ihre Annäherungsversuche waren weniger offensiv, weniger häufig und viel angebrachter. Und dazu war sie wirklich verknallt und hat nicht nur so getan. Deswegen konnte man Sakuras nerviges Verhalten wenigstens nachvollziehen.
 

Heute war die nächste Tanzstunde angesetzt. Das hieß, der Uchiha trifft sich gleich mit seiner Tanzpartnerin. Als der Schwarzhaarige bei der Aula auftauchte, war Sakura bereits da. Sie begrüßten sich und gingen hinein.
 

Die heutige Tanzstunde verlief total unspannend. Naruto war heute alleine und musste immer zwischen denen ohne Rhythmusgefühl und denen, die das Rhythmusgefühl und das Karree drauf hatten, hin und her wechseln. Er verbrachte die meiste Zeit bei der ersten Gruppe. Also mussten Sakura, Sasuke und der Rest von der Gruppe zwei nach einer fünfminütigen Demonstration das Karree in eine Rechtsdrehung verwandeln. Der Uchiha war mit dieser Aufgabe schon lange fertig. Sakura brauchte ein bisschen, aber mittlerweile klappte es ganz gut. Sogar im Paar lief es nicht schlecht. Sasuke wollte am liebsten unauffällig abhauen um mit dem Aufsatz für die nächste Literaturstunde fertig zu werden. Sie haben ja schon alles drauf. Aber leider war heute einer der Klassenlehrer anwesend. Deswegen war das Abhauen keine Option. Und nun steckte der Uchiha bei einer richtig unproduktiven freiwillig-verpflichtenden Unterrichtsstunde in der stickigen Aula mit dem nervigsten Mädchen dieser Schule, das gleichzeitig in ihn verknallt war. Super Nachmittag, was! Aber es war ja nur halb so wild. Die Stunde ist gleich vorbei. Danach holt sich Sasuke seinen ekligen Lieblingskaffee aus dem Automaten und geht aufs Dach um ungestört am Aufsatz zu schreiben. Ja, das wäre der perfekte Abschluss dieses bis jetzt nicht so gelungenen Tages.
 

„Sasuke-kuuuun…“
 

Das rosahaarige Mädchen sprach ihn an. Sasuke seufzte. Sie will bestimmt ein Date und der Uchiha muss sich gleich ein elegantes Abwehrmanöver basteln. Wie uncool.
 

„Hast du nach der Stunde was vor?“, fing Sakura aus der Ferne an. Ja, es endet eindeutig mit einer Dateanfrage.

„Ja“, Gott sei dank musste der Uchiha nicht lügen.

„Ich hab mich gefragt, ob du vielleicht mit mir Eis essen gehen würdest… aber wenn du schon sagst, du bist verplant, vielleicht könnten wir es irgendwann sonst einrichten“, Gott sei dank hackte sie nicht weiter nach!

„Tja, sorry… vielleicht könnten wir es ein anderes Mal einrichten…“

„Sakura, es wird nichts“, der Blonde tauchte wie aus dem Nichts auf. „Er füttert dich mit ausweichenden Antworten, die schwammig und ungenau sind, weil er einfach nicht nein sagen kann“, oh Gott, dieser Ausländer ist hoffnungslos! Er wird nie dazu lernen! „Sakura, verschwende bitte deine Zeit nicht mit diesem Kerl. Sorry, dass ich es so direkt sage, aber du tust mir leid. Du hast was besseres verdient. Zum Beispiel jemanden ehrlichen.“

„Uzumaki, man mischt sich nicht in fremde Angelegenheiten ein. Halt dich daraus, okay?“ Eine unangenehme Spannung tränkte sofort die gesamte Luft durch. Sasuke wusste, dass diese Auseinandersetzung in was schlimmes ausartet.

„Ach wirklich? Wer hat denn das gesagt?!“

„Das weiß halt jeder!“

„Pfff, scheiß auf deine Höflichkeitsegeln! Hör auf zu heucheln! Hör auf ihr Hoffnungen zu machen! Das kotzt mich einfach an!“ Oh ja, es wird definitiv explosiv werden.

„Nach deiner Meinung hat hier keiner gefragt!“

„Pfff!“

„Misch dich nicht in fremde Angelegenheiten ein!“

„Das hast du schonmal gesagt! Hast du noch ein anderes Argument, warum du sie weiter anlügen musst, ha?!“
 

Sasuke wurde langsam richtig sauer. In Gegenwart von diesem dummen Schwachkopf konnte er sich nicht leider überhaupt nicht beherrschen. Diese Tatsache fachte seine Wut noch mehr an.
 

„Ich lüge sie ja auch nicht an! Ich hab wirklich was vor!“ Das hat ja auch gestimmt.

„Das glaub ich dir sogar, aber der Kramm über „vielleicht nächstes Mal blablabla“ kann ich überhaupt nicht ab! Ist dir bewusst, dass du ihr das schon zum vierten Mal sagst?!“

„Woher weißt du es überhaupt?! Stalkst du mich etwa?!“

„Ja, verdammt! Ich bin halt in dich verknallt! Und da tue ich manchmal dumme Sachen! Tut mir halt leid, okay?“
 

Der Uchiha fand den Uzumaki so unverschämt, dass ihm die Luft im Rachen vor Wut stecken blieb. Er könnte schwören, er würde den Kerl mit bloßen Händen erwürgen, wenn alle diese Menschen nicht zugucken würden.
 

„Aber zurück zum Thema: du wimmelst sie ab, weil es einfacher ist als ein nein zu sagen! Hab ich recht oder liege ich richtig?!“

„Weder noch! Weil ich heute wirklich was vorhabe und weil ich am Wochenende mit Sakura ausgehen werde!“, schrie Sasuke den Uzumaki laut an.

„Ach wirklich?!“, schrie Naruto nicht weniger laut zurück.

„WIRKLICH!“, Sasuke explodierte buchstäblich vor Wut.

„Wirklich?“, spuckten Naruto und Sakura verblüfft zusammen aus.

„Ja, wirklich! Hört auf damit!“, warf Sasuke aufgeregt. Danach guckte er das Mädchen an und sagte etwas beruhigter zu ihr: „Sakura, ich geh mit dir aus, okay? Lass uns bitte nachher darüber unterhalten. Das hier ist viel zu verrückt. Außerdem ist die Stunde vorbei. Ich geh jetzt, weil ich ja noch zu tun hab“, das adressierte der genervte Uchiha an den Uzumaki, der ihn misstrauisch anstarrte. „Entschuldigt bitte allesamt. Ich hätte nicht so ausrasten dürfen. Diese Situation ist mir ausgesprochen peinlich.“
 

Mit diesen Worten entfernte sich der bloßgestellte Junge aus der Aula und verschanzte sich auf dem Dach in der Hoffnung noch ein bisschen schreiben zu können. Aber es war beinahe sinnlos, denn sein gesamtes Wesen brodelte vor Wut. Es ist nicht wirklich passiert, dass Naruto ihn als Lügner öffentlich beschimpf hat! Er ist ja gar kein Lügner! Was erlaubt sich dieser dumme Ausländer überhaupt?! Er kommt hierhin, macht die ganze Schule zu einem Irrenhaus, mischt sich in fremde Angelegenheiten ein und will sich kein Stück an die Kultur anpassen! Was soll das?! Außerdem bringt dieser Idiot Sasuke nach seinen Belieben zur Weißglut! Sasuke Uchiha, der sonst immer das Vorzeigebeispiel für Selbstbeherrschung war! Der Schwarzhaarige saß schon richtig lange nicht in so einer verrückten Gefühlsachterbahn. Was war das Letzte, das in ihm so ein mächtiges Gefühlsausbruch ausgelöst hat? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Er kann schon seit langem nicht sich über etwas aufrichtig freuen, oder so richtig traurig werden, oder sich mächtig über etwas aufregen. Wann hat er denn all das bloß verlernt? Plötzlich wurde der Junge viel zu nachdenklich um am Aufsatz zu arbeiten. Er packte seine Sachen und brach nach Hause auf.
 

Als er liegend im Bett den Mond anschaute, wirbelten alle möglichen Gedanken durch seinen Kopf. Im Eifer des Gefechts ließ er sich von seinen Gefühlen konsumieren und machte er einen großen Fehler. Jetzt ist sein Wochenende versaut. Aber es ist ja nur ein Date, nichts weiter. Er wird versuchen, trotzdem Spaß zu haben. Und dann wird er Sakura sagen, dass es nichts wird. Denn in diesem Punkt hatte Naruto eigentlich furchtbar recht. Also hat Sasuke Sakura doch angelogen? Er wusste es nicht.
 

Dass Naruto recht hatte, regte Sasuke immer noch auf. Das hier ging eindeutig auf Narutos Siegeskonto. Und das andere mit den unangenehmen Gedanken, die Sasuke auf dem Dach besuchten, vermutlich auch. Doch von diesem Sieg wird der Blonde nie erfahren. Sasuke wollte ihn für immer für sich behalten.

Am Freitagabend war Sasuke doch aufgeregter als er sein durfte. Morgen war sein Date mit Sakura angesetzt und er machte sich deswegen irgendwie verrückt. Er konnte nicht aufhören daran zu denken, dass er Sakura vielleicht belogen hat. Obwohl das Mädchen unglaublich nervig war, waren ihre Gefühle trotzdem legitim, selbst wenn der Uchiha nicht damit einverstanden ist. Sasuke wollte Sakura überhaupt nicht daten. Naruto hat schon recht, er hat sie absichtlich aus Höflichkeit mit schwammigen Antworten gefüttert. Aber eigentlich macht man es doch so. Eine direkte Absage wird meistens als viel zu unhöflich empfunden. Sasuke wusste nicht, warum Sakura nicht schon längst selbst drauf kam, aber naja, wenn sie es nicht checkt, dann sollte sie darüber aufgeklärt werden. Sie direkt abzulehnen ist wahrscheinlich das Beste für alle Parteien. Hmmm, und was ist eigentlich mit Naruto? Er hat Sasuke auch ein Geständnis abgegeben oder sowas ähnliches… ähm, nein, es ist total anders! Dieser Schwachkopf täuscht Gefühle nur vor! Deswegen muss Sasuke in diesem Falle überhaupt nichts.
 

Am Samstag überlegte sich der Uchiha die Zusammenstellung seines Outfits gründlicher als sonst. Er kämmte sich die Haare fünf ganze Mal durch. Er machte sogar ein bisschen Haarwachs hinein. Er konnte nicht verstehen, warum ihn dieses Date so besorgt. Er mag ja Sakura nichtmal! Eigentlich will er ihr sagen, dass es nie was wird! Es machte ja so gar keinen Sinn, aber trotzdem… trotzdem war er aufgeregt.
 

Das Date sollte in einer Eisdiele stattfinden. Sasuke suchte sich eine neben der Schule aus, weil es ein ziemlich neutrales Territorium war. Für nachher hat er einen Spaziergang entlang des städtischen Flusses geplant. Deren Schule lag nicht weit vom Ufer. Deswegen hat sich das gut angeboten. Und dort wollte sich Sasuke mit Sakura unterhalten. Er wusste nicht, wie sie darauf reagiert. Deswegeb packte er vorsichtshalber Taschentücher ein. Man kann ja nie wissen!
 

Sasuke war 15 Minuten früher da als abgesprochen. Er kaufte sogar einen kleinen Blumenstrauß. Als ob Sasuke Sakura beeindrucken wollte! Naja, jetzt ist es zu spät. Ein Strauß Blumen gehört eh zu einem Date dazu. Außerdem wenn man schon eins hat, schmeißt man ihn ja nicht weg! In seinen Kopfhörern lief Musik und er hörte aufmerksam zu. Auf dem Horizont sah er plötzlich eine Person, die auf ihn zulief. Moment, waren es zwei? Was?!
 

Sakura tauchte tatsächlich nicht allein auf. Sie brachte Naruto mit. Was zum Henker geht hier ab?! Sasuke wurde angespannt. Denn wenn Naruto bei seinem Date mitmacht, weiß keiner wie es ausgeht.
 

„Hi!” Sakura begrüßte den verwirrten Uchiha. „Ich habe nachgedacht darüber, was Naruto während der Tanzstunde gesagt hat. Du magst mich offensichtlich nicht so wie ich dich und es tut mir leid, dass ich es trotzdem immer wieder versucht habe. Deswegen wollte ich nicht, dass unser heutiges Treffen romantisch angehaucht ist. Deswegen ist Naruto hier… er hat mir so gut geholfen mit der ganzen Sache… ich war ziemlich fertig, weißt du… von meiner ganzen Bekanntschaft hat er mit dem hier am meisten zu tun. Und er hatte am Samstag Zeit also… ich dachte halt, wir könnten zu dritt abhängen.“
 

Sasuke konnte nur tief seufzen. Auf sowas war er zugegeben nicht vorbereitet. Narutos Präsenz hat ihn natürlich gestört. Aber das darf er sich nicht anmerken lassen.
 

„Hier“, er drückte Sakura die Blumen in die Hand, „hoffentlich magst du sie.“

„Oh ja, danke!“

„Na dann, lass uns Eis essen gehen!“ Sasuke versuchte übertrieben positiv zu wirken.

„Du bist ja so erstaunlich unkreativ!“, warf Naruto hinein. „Lasst uns doch was anderes machen. Man kann im Park auch rollerbladen! Was haltet ihr davon, ha? Ich will halt nicht die ganze Zeit rumsitzen…“

„Ach Uzumaki, dich hat eigentlich niemand gefragt…“, warf Sasuke genervt. Er konnte doch nicht völlig gelassen sein. „Sakura, was sagst du? Worauf hast du Lust?“

„Also… ich finde die Idee mit dem Rollerbladen auch toll“, meldete sich die Rosshaarige. „Ich versuche nämlich auf mein Gewicht zu achten. Deswegen esse ich keine Süßigkeiten.“

„Na dann machen wir Demokratie!“, sagte Naruto laut an. „Wer möchte in den Park?“ Sakura und Naruto meldeten sich. „Na also!“
 

Sasuke wurde kurzerhand besiegt. Der Schwarzhaarige befürchtete, dass die Zeit mit den beidrn komplette Verschwendung wird, aber erstaunlicherweise fiel dieser Samstagnachmittag gar nicht so schrecklich aus. Verdammt, es machte sogar richtig Spaß! Sie waren fast drei Stunden im Park. Naruto meinte, man könnte vielleicht sowas wie Eiskunstlauf machen, aber auf Rollerblades und mit Walzer. Sakura und er versuchten es und es war schrecklich. Naruto stempelte die Idee somit als „viel zu doof“ ab. Ursprünglich wollte der Blonde mit Sasuke tanzen, aber daraus wurde nichts. Danach gingen sie in ein kleines Restaurant neben dem Park Sushi essen. Und dann entschieden sie sich für einen langen Spaziergang, um die Dame nach Hause zu begleiten. Sakura wohnte nämlich im Stadtzentrum. Vom Park aus müsste man etwas mehr als eine Stunde laufen. Da ging ein Teil des Sasukes ursprünglichen Plans doch in Erfüllung. Er unterhielt sich mit Sakura um deutlich zu machen, dass es nichts wird. Die Oberschülerin zeigte sich erstaunlich kooperativ, lächelte und verabschiedete sich von den beiden bis nächster Woche im Tanzkurs, als sie ihr Haus erreichten. Und nun blieben die zwei Jungs alleine.
 

„Wo musst du denn hin?“, fragte der Uzumaki.

„Zum Hauptbahnhof.“

„Dann komm ich mit.“

„Wollen wir uns vielleicht auch von einander jetzt verabschieden?“

„Ich nicht.“ Naruto lächelte ihn an.

„Und ich schon.“

„Dann lass uns eine Münze werfen. Wenn Kopf, dann laufen wir noch bis zum Bahnhof zusammen, wenn Zahl, dann nicht. Wie ist das?“

„Gibt es eine hundertprozentig sichere Methode dich loszuwerden?“

„Ha!“ Naruto ließ ein kurzes Gelächter ab. „Und ich will ja sicher mit dir zum Bahnhof. Du bist ja witzig, Muffin.“

„Pfff, dann wirf halt deine Münze“, ließ der Uchiha ab.
 

Es machte kurz und metallisch „bling“, die Münze flog in die Luft und Naruto fing sie auf.
 

„Ha! Kopf! Du hast verloren!“, rief Naruto siegreich.

„Zeig!“, forderte der Uchiha ihn auf.

„Nein.“ Der Uzumaki lächelte und versteckte die Münze vor Sasuke.

„Aha! Also hast du verloren! Okay, dann kann ich legitim Tschüss sagen. Tschüss, Naruto! Wir sehen uns am Montag.“ Mit diesen Worten brachte Sasuke entschlossen auf.

„Na guuut, ich hab verloren!“ Der Uzumaki eilte dem Schwarzhaarigen hinterher

„Wusste ich’s doch!“ Sasuke feierte sich innerlich.

„Aber wir müssen eh in dieselbe Richtung. Komm schon, es kostet dich doch nicht viel Kraft! Bitte lass mich mitkommen!“ Narutos blaue Augen blickten leicht verzweifelt auf den Uchiha hinauf.

„Nein!“ Sasuke war erfüllt von seinem Sieg und grinste.
 

Nun lief der Uchiha seit 15 Minuten stumm vor und Naruto folgte ihm genauso stumm hinterher. Der Blonde versuchte schon wieder die Distanz zwischen ihnen zu verkürzen.
 

„Nicht näher kommen!“, warf Sasuke zackig.

„Wollte ich auch nicht! Ich wollte dich überholen!“, warf der Uzumaki ebenso zackig.

„Na dann lauf vor!“ Sasuke blieb stehen.

„Nein…?“, ließ Naruto zögerlich ab und grinste.
 

Die Jungs standen fünf Minuten ohne sich zu bewegen. Sasuke wurde langsam ungeduldig.
 

„Ach, weißt du, ist mir egal, was du machst.“ Sasuke lief nun weiter.

„Kann ich also neben dir laufen?!“, fragte der Uzumaki aufgeregt.

„Pfff, von mir aus…“

„Juhuuu! Danke!“
 

Die beiden liefen nebeneinander ohne ein Wort zu sagen für weitere 15 Minuten.
 

„Ich fand gut, dass du dich mit Sakura ehrlich ausgesprochen hast…“, fing Naruto vorsichtig an.

„Hmmm, höre ich da etwa ein Lob kommen, oder was?“ ließ Sasuke ironisch ab.

„Ja.“

„Achso, wenn ich mit dir auch so eine ehrliche Nummer abziehe, haust du dann ab?“ Sasuke grinste.

„Nein.“ Naruto schaute kurz weg. „Außerdem ist es was ganz anderes.“

„Wieso denn? Du gibst auch vor, auf mich stehen, ohne mich zu kennen. Inwiefern unterscheidet sich das von Sakura?“

„Na, es ist einfach komplett anders!“

„Dann erklär‘s mir!“

„Kann ich nicht.“ Naruto schmunzelte.

„Aha, dann ist es doch nicht anders!“ Sasuke bewarf ihn mit einem bloßstellenden Blick.

„Doch! Du musst es spüren! Aber dafür bist du emotional viel zu unterentwickelt!“ Naruto lächelte breit. Irgendwie gefiel dem Uchiha dieses Lächeln.

„Haha, wie du sagst, Schwachkopf!“

„Ja, genauso sag ich es!“
 

Mittlerweile erreichten die Jungs den Bahnhof und warteten auf den Zug. Noch mehr stumme Minuten folgten.
 

„Du musst aber zugeben, dass du Sakura angelogen hast…“, sprach Naruto leise aus.

„Hä nein!“ Sasuke wurde von so einer direkten Aufforderung schon wieder genervt.

„Hä doch!“, plapperte der Uzumaki nach.

„Ich hab sie ja nicht angelogen! Ich hatte an dem Tag tatsächlich was vor und wir hatten ein Date! Wo ist hier bitte schön die Lüge?“

„Technisch gesehen gibt es keine. Aber du hast ihr andauernd falsche Hoffnungen gemacht. Somit hast du mit ihren Gefühlen gespielt!“

„Mach mich aber auch nicht für alles verantwortlich, okay? Sakura hat mich selbst andauernd auf irgendwelche Dates schleppen wollen!“

„Ja, aber du weißt was sich dahinter steckte! Du wusstest doch, dass sie auf dich steht!“

„Es ist nicht mein Problem. Ich hab nichts falsch gemacht!“

„Gib es zu!“

„Nein!“

„Gib es zu!“

„Nein! Außerdem selbst wenn, sie hat es jetzt kapiert. Heute haben wir alles geklärt und sind freundlich auseinandergegangen!“

„Gib es einfach zu!“

„Hör mal, die ganze Sache zwischen mir und Sakura betrifft dich null. Es ist nicht dein Problem! Warum mischst du dich da überhaupt ein?“

„Hä, wie nicht mein Problem?! Du machst doch genau dasselbe mit mir! Es verletzt mich ein bisschen…“ Plötzlich wurde Naruto leise, „oder so.“
 

Die peinliche Stille ergriff die Luft im gesamten Raum. Die lebhafte Unterhaltung hörte abrupt auf. Die beiden Jungs verstummten. Und plötzlich bekam Sasuke das Gefühl, Naruto könnte alles ernst meinen.
 

„Sorry, das war gerade echt schräg…“ Naruto entschuldigte sich schleunigst. Der Uzumaki schien sich ertappt zu fühlen.

„Ja, das war es irgendwie…“ Sasuke war die ganze Situation nicht weniger peinlich als dem Uzumaki selbst.

„Tun wir so, als hätte ich es nicht gesagt?“

„Gute Idee.“

„Okay…“
 

Die restlichen 10 Minuten saßen die beiden in völliger Stille. Als Sasukes Bahn anfuhr, wurde die Luft spürbar leichter.
 

„Meine Bahn kommt.“

„Na dann…“ Naruto stand auf, „heute war echt cool.“

„Tja, leider war heute wirklich cool.“

„Haha!“ Naruto lachte herzlich. „Kannst doch nicht alles hassen, was mit mir zu tun hat, was?“

„Nein, anscheinend nicht.“ Sasuke stieg in die Bahn ein.

„Na gut, dann einen schönen Abend noch, Muffin.“

„Haha, nicht gleichfalls!“

„Hey! Unfreundlich!“
 

Die Tür ging zu. Die Bahn brachte Sasuke weg vom winkenden lächelnden Naruto. Plötzlich fing sich Sasuke dabei, dem Uzumaki hinterher zu gucken. Der Junge lächelte außerdem vom ganzen Herzen.
 

Die Fahrt nach Hause in der halbleeren Bahn verlief sehr nachdenklich. Naruto wurde zum Schluss sehr unvorsichtig und hat wahrscheinlich eins seiner dunkelsten Geheimnisse offengelegt. Sasuke müsste eigentlich glauben, dass Uzumaki ein hervorragender Schauspieler ist, dass es alles gestellt ist, aber der Uchiha konnte es einfach nicht. Als ob er zum ersten Mal Narutos wahre Gesicht sah. War also dieser Junge wirklich in Sasuke verknallt? Komisch, aber diese Tatsache schien dem Uchiha immer noch überaus unglaubwürdig zu sein. Dennoch war dieser kleine Ausrutscher überaus wichtig. Er passte gar nicht zur Narutos üblichen Verhaltensweise. Als würde er etwas sehr grundlegendes über den Uzumaki verraten. Bloß was war das? Sasuke wusste es nicht. Er fühlte sich innerlich hin und her gerissen.
 

Du machst doch genau dasselbe mit mir! Es verletzt mich ein bisschen… oder so.
 

Dieser Naruto, ey! Er kann die Sprüche ablassen, die viel zu lange in Sasukes Kopf verweilen. Na und? Er lässt diesem Blonden nicht zu, nochmal seinen kostbaren Schlaf zu rauben. Er drehte sich um und machte die Augen zu.

Das Dreifachdate von Naruto, Sakura und Sasuke lag einige Wochen zurück. Seitdem änderte sich das Verhältnis von den beiden Jungs. Sasuke fand Naruto nicht mehr absolut nerventötend, sondern nur etwas nerventötend. Und in Sasukes Welt gleichte sich diese subtile Abstufung einer Revolution. Sein erster Eindruck konnte bis dato noch niemand ändern. Darüber hinaus musste sich der Schwarzhaarige gestehen, dass diese blonde Bestie auch sehr admirable Eigenschaften hat, selbst wenn nur wenige. Genau gesagt, waren es nur zwei in Sasukes Augen. Erstens, der Uzumaki war tatsächlich in einer Sache überkompetent. Sasuke war erstaunt darüber, wie viel Erfahrungen Naruto auf seinem Spezialgebiet gemacht hat. Er machte sogar bei der vergangenen Juniorweltmeisterschaft mit und nahm den vierten Platz. Sasuke hielt zuerst diese Geschichte für Narutos übliche Angeberei, bis er eines Tages beim Prokrastinieren über die Aufnahmen der Meisterschaft im Internet stolperte. Der Uzumaki war in seiner besten Form während eines solchen Wettkampfs. Er hatte eine unglaublich magnetisierende Ausstrahlung. Man konnte sogar durch das Video spüren, dass dieser Kerl einen grenzenlosen Spaß am Tanzen hat. Außerdem war er richtig gut. Das kam während des Unterrichts gar nicht so gut durch. Auf der Aufnahme konnte man einen Hauch davon kosten. Wie würde es denn Live aussehen? Wahrscheinlich viel zu überwältigend. So ein Turniertänzer Naruto faszinierte Sasuke auf eine seltsame Art. Wenn er den Blonden nicht persönlich kennen würde, würde Sasuke ihn vielleicht sogar respektieren. Nicht jeder Siebzehnjährige schafft das, was Naruto geschafft hat. Sasuke war in vielen Dingen gut, aber auf keinem einzigen Gebiet er der Viertbeste in der Welt in seiner Altersklasse. Sowas verdient doch normalerweise Respekt! Leider verdirbt die persönliche Bekanntschaft alles. Viel zu schade.
 

Narutos andere gute Eigenschaft war sein übermenschliches Mitgefühl und der daraus resultierende übermenschliche Drang zu helfen. Er wollte nichtmal was dafür und hatte keinerlei verstecke Motive. Genau aus diesem Grund hatte der Blonde so viele Leute um sich herum. Sasuke bemerkte dies erst vor kurzem. Der Uchiha selbst war nicht so. Er sah Beziehungen aller Art sehr zweckmäßig und hatte keine besonderen Bedürfnisse nach menschlichem Kontakt. Sasuke wurde sozial nur dann, wenn es was bringen könnte. Er tat es nie „einfach so“. Diese kleine Erkenntnis wurde ihm erst durch Uzumaki richtig bewusst. Nach dem Dreifachdate kamen sich Sakura und Naruto näher. Sasuke durfte die Entwicklung dieser Beziehung miterleben. Naruto half Sakura ziemlich oft einfach so. Die beiden hingen miteinander einfach so ab. Sie genossen die Gesellschaft des jeweils anderen einfach so ohne einen erkennbaren Grund. Die beiden waren nichtmal ein Paar, obwohl viele fest daran glaubten. Sasuke wusste wahrscheinlich am besten, dass es nicht stimmt, weil Naruto immer noch sehr aufdringlich auf ihn stand. Auf diesem Front tat sich auch was.
 

Mittlerweile kaufte der Oberschüler dem Uzumaki seine „ich hab dich wirklich gern“-Aussage ab, was in Sasukes Augen sowas wie „ich möchte dich besser kennenlernen“ bedeutete. Natürlich hatte Sasuke keine Lust darauf, aber dieses Problem wurde zweitrangig. Der Blonde behauptete jetzt nämlich, seine Gefühle seien wohl sehr tiefgründig. Sasuke hielt die neue Aussage für mehr als nur übertrieben. Also verschwand der anfängliche Konflikt zwischen den beiden nicht, er nahm bloß eine andere Form. Die Interaktion der Jungs wurden dadurch ebenfalls anders. Naruto wurde viel anhänglicher als früher. Ja, sowas ist tatsächlich möglich. Er erlaubte sich den Uchiha nach seinen Belieben anzufassen, von Sasukes Getränken und Essen unerlaubt etwas zu nehmen, ihn grundlos richtig lange anzustarren — ja, diese aktualisierten Anstarrspielchen offenbarten Sasuke, dass er in Wirklichkeit immer noch unglaublich schlecht darin ist — ständig um ein Date zu betteln und sogar von wahrer Liebe zu sprechen. Diese neue „ich liebe dich“-Sache war schon ziemlich lästig. Aber erstaunlicherweise machte Sasuke all dies nicht so viel aus. Manchmal war es sogar ziemlich unterhaltsam, denn bei all dem offenbarte sich eine brandneue Methode Naruto fertig zu machen: Quälerei mit Dateversprechungen. Sasuke setzte diese mächtige Waffe bis jetzt nur ein Mal und die Wirkung war fantastisch. Vielleicht konnte Naruto deswegen auf Sasuke-Nervigempfindenleiste ein wenig aufsteigen. Dennoch war Uzumaki immer noch unerwünscht in Sasukes Umfeld.
 

Sasuke hatte außerdem recht bezüglich der Minionarmee. Seit dem Dreifachdate erlebte der Uchiha zwei Angriffe. Eins davon war passiv. Eine sehr erfolgreiche Geschichte über Naruto und Sasuke ging zu Ende. Der Erfolg war so groß, dass sie sogar außerhalb des Zirkels bekannt wurde. Eine ganze Woche lang redete die gesamte Schule nur darüber. Sasuke wusste nichtmal richtig, worum es in der Geschichte ging. Es hatte irgendwas mit Shinobi und Kämpfen zu tun oder so. Er hatte auch nicht die geringste Absicht es zu rausfinden. Und der zweite Angriff war aktiv: nach dem Sportunterricht wurden Naruto und Sasuke in der Umkleide angeblich unabsichtlich eingesperrt. Da unternahm der Blonde den zweiten Kussversuch. Zum Glück überstand der Uchiha den Vorfall ungeküsst und auch sonst unbeschadet. Aber ab da an war der Schwarzhaarige fest von der Existenz der Minionarmee überzeugt. Ihr Angriff konnte also jederzeit wieder kommen.
 

Heute war ein stinknormaler Tag: Sasuke hat seinen Lieblingskaffee getrunken, vier Blöcke abgesessen, Naruto beim Tischtennis fertig gemacht und jetzt standen die Hausaufgaben an. Der Junge wollte nach dem Unterrichtsschluss wieder aufs Dach gehen und hinter dem mittleren Trafokasten die Hausaufgaben eins nach der anderen wegzukloppen. Danach würde er nach Hause fahren. Also nichts spannendes. Der Plan wäre beinahe perfekt, aber ein nerviger blonder Mitschüler mischte sich ein. Wenn er nicht geht, wird das vielleicht zu einem Problem.
 

„Neeee, Sasuke-chaaaaan! Geh mit mir aus!“ Der Blonde kam mit seiner alt bewährten Ansprache an.

„Nein“, schnitt der Uchiha ab und fing an seine Sachen zu packen. Er wollte schließlich den Plan umsetzen.

„Ich bin aber ein gutes Date!“

„Trotzdem nein.“

„Ach, komm schon! Es ist nur ein Date!“

„Richtig, es ist nur ein Date. Also lass es.“

„Ja, es ist nur ein Date, also komm bitte mit!“

„Nein.“

„Bitte-bitte!“

„Nein!“
 

So ging das hin und her. Währenddessen liefen sie durch das Schulgebäude um zum hinteren Treppenhaus zu gelangen. Von dort aus war das Dach zugänglich.
 

„Bitte Sasuke!“ Die Jungs waren schon im Treppenhaus. Narutos Stimme hallte laut nach.

„Nein!“

„Aber-aber! Mit Sakura bist du doch auch ausgegangen!“

„Ja, Sakura ist ja Gott sei dank nicht du!“ Sie kamen in der Zwischenzeit zum Aufgang. Der Schwarzhaarige suchte den Schlüssel in der Tasche. „So, bitte geh jetzt.“

„Was machst du da? Was ist das?! Ein Schlüssel?! Willst du etwa aufs Dach?! Warum hast du überhaupt den Schlüssel zum Dach?!“ Naruto brach in einer kleinen Fragenflut aus.

„Warten darauf, dass du abhaust, ein Schlüssel, ja, es ist tatsächlich ein Schlüssel, ja, ich will aufs Dach und diese Geschichte ist viel zu lang.“ Sasuke ging auf jede einzelne Frage aus der Flut in der Hoffnung, dass Naruto danach überrascht den Abgang macht. „Geh bitte.“

„Ich gehe nur, wenn du mir ein Date versprichst und es diesmal wirklich einhältst.“

„Wie kannst du dir sicher sein, dass ich mein Versprechen halte?“

„Kann ich nicht, aber ich kann an das Beste in dir glauben.“

„Hmmm, versuchst du mir schlechtes Gewissen für das letzte Mal zu machen?“

„Ja, so in etwa.“

„Na gut, es hat gewirkt! Bist du jetzt zufrieden?“, warf der Uchiha genervt.

„Ja! Gehst du mit mir aus als Wiedergutmachung?“

„Nein, so doll leid tut es mir dann doch nicht! Und bitte geh endlich“, lass Sasuke erschöpft ab. „Ich musste dich schon den ganzen Tag ertragen. Zwing mich nicht noch den Abend mit dir zu verbringen, okay? Das kannst du mir doch nicht antun…“

„Ein Date?“

„OH GOTT, NEIN!“

„Dann geh ich nicht, solange du hier bist.“

„Na gut, wie du willst.“
 

Sasuke schloss die Tür auf und ging an seinen Platz hinter dem mittleren Trafokasten. Naruto folgte ihm. Es schien, als wird es ein Ausdauerkampf. Nach dem Motto wer zuerst einbricht. Auf den ersten Blick waren Uzumakis Chancen deutlich besser. Aber nur auf den ersten Blick. Der Blonde war ziemlich ungeduldig und mittlerweile konnte der Uchiha den Uzumaki ganz gut aus seiner Umgebung ausblenden. Perfekt waren die Naruto-Filter nicht, aber sie halfen schonmal. Ignorieren vs. Wunsch bei der neuen Flamme zu sein? Na, das wird ja echt spannend.
 

Die nächsten zwei Stunden quatschte der Uzumaki ununterbrochen über alles mögliche. Er gab sich wirklich Mühe, Sasukes Aufmerksamkeit zu gewinnen, aber der Uchiha hörte nicht wirklich zu. Er machte stattdessen die Hausaufgaben. Keiner der beiden Jungs dachte ans Aufgeben. Der Ausdauerkampf lief weiter.
 

„Weißt du, Sasuke, ich versteh dich nicht. So viele wollen mit dir befreundet sein, aber das interessiert dich kaum. Du bist immer so lernen, lernen, lernen, lernen… macht es dir wirklich so viel Spaß? Ich glaube nämlich nicht.“
 

Sasuke antwortete nichts darauf. Stattdessen schrieb er in seinen Hefter hinein.
 

„Du bist fast unmöglich kennenzulernen. Deswegen tat mir Sakura auch so doll leid. Sie hatte von vorn herein keine Chance. Mir scheint so oder so, als wäre dir auf die Nerven zu gehen die einzige Möglichkeit wenigstens etwas Aufmerksamkeit von dir zu bekommen. Ich bin teilweise deswegen so anhänglich. Außerdem macht es Spaß, dich zu ärgern“, Sasuke ignorierte auch diese Aussage. „Ach, was soll’s…“
 

Mit diesen Worten legte der Uzumaki seinen blonden Kopf auf Sasukes Schulter.
 

„Wirst du mich auch jetzt ignorieren?“
 

Ein cleverer Schachzug, was! Punkt für Naruto. Sasuke beobachtete unauffällig seinen Gegner. Naruto schien wirklich nur ein bisschen Schmusen zu wollen und keine weiteren Angriffe zu starten. Zumindest nicht jetzt und nicht heute. Der Uzumaki war schon ziemlich ausgelaugt. Das konnte Sasuke ihm ganz gut ansehen und auch anhören. Der Junge wurde nämlich zunehmend stiller. Hoffentlich wird er ganz bald von sich überhaupt keine Geräusche mehr geben.
 

„Na gut, wenn du es mir gönnst, dann danke.“
 

Uzumaki wurde endlich komplett still. Mit Narutos Kopf auf seiner Schulter erledigte Sasuke die restlichen Aufgaben. Die blonden Locken schmiegten sich sanft an Sasukes Haut an. Narutos Haare waren wirklich weich. Selbst bei kleinsten Bewegung kitzelten die widerspenstigen blonden Stränchen spielerisch Sasukes Hals. Und sonst war Naruto angenehm warm. Es herrschte eine sehr friedliche ruhige Atmosphäre, die Sasuke überraschenderweise ganz gut gefiel. Irgendwie hatte er nichts dagegen, dass der Blonde hier war. Er wollte seinen Nachbar nicht loswerden. Dies zuzugeben war ihm viel zu peinlich. Was würde denn das bitte schön implizieren?! Sasuke wollte keine Missverständnisse schaffen. Und außerdem würde das Narutos Sieg bedeuten. Den würde der Blonde einige Tage dem Uchiha unter die Nase reiben. Und das ist ausgesprochen nervig.
 

Während sich der Schwarzhaarige in den Gedanken verlor, spielte Naruto unbesorgt irgendein Strategiespiel auf dem Handy. Sasukes Blick fiel ein paar Mal ungewollt auf das große bunte Bildschirm, weil er eigentlich mit den Hausaufgaben bereits durch war. Warte, warum bleibt er dann sitzen?! Es gibt überhaupt keinen Grund mehr! Abbrechen! Abbrechen!!!
 

„Willst du nicht gehen?“, leitete Sasuke ein. Obwohl er das Rumsitzen abbrechen musste, wollte er noch versuchen, den Sieg im Ausdauerkampf zu holen.

„Ich bleib hier solange wie du, hab ich doch gesagt.“

„Musst du aber nicht.“

„Ich weiß. Aber ich möchte gerne.“

„Und was wenn ich hier die ganze Nacht sitzen bleibe?“

„Dann bleib ich ebenfalls die ganze Nacht sitzen.“

„Wollen wir testen?“

„Okay.“

„Na gut.“
 

Sasuke packte seine Sachen ein und lehnte sich zurück.
 

„Uzumaki, weil du so stur bist, sind wir hier für die ganze Nacht versiegelt.“

„Aha, und von wem hör ich das, Mister Lass-uns-testen? Und komm, tu jetzt nicht so, als würdest du unser kleines Miteinander nicht genießen“, sprach Naruto etwas verträumt aus.

„Als ob! Ich will nur dich in diesem dummen Wettbewerb fertig machen.“

„Von wegen! Denkst du wirklich ich hätte nicht mitbekommen, dass du schon seit einer halben Stunde keine Hausaufgaben mehr machst?“
 

Naruto hat ihn also doch ertappt! Verdammt! Das fand Sasuke überhaupt nicht gut.
 

„Ist gut, Muffin. Ich freu mich ganz still darüber. Außerdem gönn ich dir den Sieg. Ich geh jetzt nämlich doch. Möchtest du vielleicht mitkommen? Es ist so kalt geworden und schließlich hast du ja schon gewonnen.“
 

Sasuke stand still auf und schnappte seine Tasche.
 

„Okay, na dann, los!“
 

Die beiden Jungs verließen das Dach und liefen nun stumm zur Bushaltestelle. Der Weg zur Haltestelle war nicht weit. Nach ungefähr zehn Minuten erreichten die beiden das Ziel. Danach folgen das stunme Warten und eine stumme Busfahrt. Am Bahnsteig schwiegen die Jungs sich ebenfalls an. Die Stimmung war echt bedrückend. Keiner traute sich was, sogar der sonst lebensfrohe Naruto. Er versuchte nichtmal Sasuke zu ärgern. Seit der kleinen Freiwilligkeitsentdeckung wurde die Atmosphäre richtig peinlich. Gott sei dank kam Narutos Bahn an! Gleich wird es vorbei sei.
 

„War echt schön mit dir, hat mir echt-echt gefallen“, fing Naruto an. „Hoffentlich ging es dir auch so und ich hab es mir nicht eingebildet. Gute Nacht, Muffin. Träum was schönes.“
 

Mit diesen Worten stieg Uzumaki in seine Bahn ein und fuhr weg. Sasuke blieb alleine auf der kalten Bank sitzen. Der Uchiha hinterfragte die verbleibenden zwanzig Minuten ganz bewusst, was er nun von Naruto hält. Offiziell kann er diesen eingebildeten nervensägenden Kerl nicht leiden. Aber ihre Beziehung wurde seit dem Dreifachdate irgendwie anders. Irgendwie freundlicher… sie plauderten sogar während der Pausen einfach so, ohne einander dauernd fertig machen zu wollen. Letzter Zeit fuhren sie öfter zusammen Bus. Mein Gott, einmal hingen sie sogar privat rum! Naruto brauchte Hilfe beim Bürokratischen und seine Sprache war dann doch darauf nicht vorbereitet. Und Sasuke half ihm damit. Wieso, verdammt?! Kann der Uchiha diesen blonden Schwachkopf wirklich nicht leiden? Stimmt das überhaupt noch? Ja, eigentlich schon… doch warum behandelt er ihn generell freundlicher? Und heute… heute war echt schräg. Warum zur Hölle blieb er eine halbe Stunde länger als nötig auf dem kalten Betonboden sitzen? Warum hat er sich gemerkt, dass Naruto nach Zitronen riecht? Warum würde er am liebsten die widerspenstigen blonden Locken als „sonnig“ oder „geschmeidig“ bezeichnen? Warum zur Hölle hat er überhaupt eine Beschreibung für Narutos Haar?! Und warum hat er den Blonden nicht sofort weggestoßen? Naja, eigentlich wegen der Wette und so. Aber wen kümmert denn die blöde Wette, wenn man einen fremden Kopf nicht auf der eigenen Schulter liegen haben möchte? Er hätte ihn wegstoßen sollen… warum hat er es nicht gemacht?
 

Ach, keine Ahnung.
 

Für solche Gedanken ist es schon viel zu spät. Der Junge war viel zu müde um noch länger darüber den Kopf zu zerbrechen. Morgen gibt es auch einen Tag. Und übermorgen auch. Und überübermorgen auch.

Die dritte Woche der Sommerferien brach an. Eigentlich hasste Sasuke diese Zeit aus vielen Gründen. Erstens hasste er die Hochsommerhitze und war besonders fürs klimatisierte Zimmer auf der Westseite des Hauses dankbar. In diesen furchtbar schwülen Wochen würde er am liebsten seine kleine Höhle nicht verlassen, aber leider war es nicht möglich. Er musste unbedingt den jährlichen Urlaub mit seiner Familie machen, weswegen er zwangsweise raus musste. Dieser konnte nicht verschoben oder nicht nicht besucht werden. Sein Vater wollte unbedingt ein Mal pro Jahr einen Familienurlaub haben, deswegen gleichte es einem Gesetz. In diesen zwei Wochen durften die Uchihas eine perfekte makellose Familie spielen; diese Heuchelei hasst der Junge wie die Pest. Das war schon zweitens. Drittens veranstaltete sein Vater direkt nach dem Urlaub das alljährliche Treffen mit seinen Brüdern und deren Familien. Diese peinliche Veranstaltung hasste Sasuke ebenfalls, weil es nur ums Angeben seitens seines Vaters und seiner Onkels ging. Wem geht es finanziell besser. Was besonders teueres konnte man sich letztens gönnen. Wessen Kind hat den besten Abschluss gemacht, ist der Jahrgangsbeste, hat die Klassenstufe übersprungen, war mit irgendwas ausgezeichnet, ist an die beste Uni mit den allerbesten Noten in der Aufnahmeprüfung gekommen blablablablabla… Sasuke war gegen diese höflichen Angebereien beinahe allergisch. Und die letzte Sache war bei all dem am allerbittersten: aus allen Kindern hat Sasuke nach der allgemeinen Meinung am wenigsten erreicht und seine Onkels sahen es als deren Pflicht allen ständig daran zu erinnern. Leider vertrat auch sein Vater dieselbe Meinung, deshalb nahm er seinen jüngeren Sohn nie in Schutz. Alle bissigen Bemerkungen schlug er runter und versuchte daraus einen Witz zu machen. In diesem Jahr gab es noch ein kleines Extra: Sasuke konnte seine hart verdiente Narutofreie Zeit nichtmal richtig genießen. Seit dem Schulschluss bewohnt Naruto sehr fest den schwarzhaarigen Kopf und nichts kann diese lästigen Gedanken vertreiben. Es war so schlimm, dass Sasukes Kopf manchmal zu platzen drohte. Eine positive Sache gab es an all dem trotzdem: Sasuke freute sich auf alle seine Cousins und Cousinen und ganz besonders auf seinen Bruder. Itachi arbeitete seit vier Jahren im Ausland und war das letzte Mal vor zwei Jahren zuhause. Für Sasuke war Itachi schon immer eine sehr besondere Person. Dank ihm konnte der Junge jedes Jahr doch ein paar positive Erinnerungen von Sommerferien mitnehmen.
 

Das heutige verpflichtende Abendessen war vorbei. Sasuke war bereits in seinem Zimmer und lag auf dem Bett. Heutiges Abendessen verlief wahrscheinlich am schlimmsten von allen bisherigen, denn es ging ausschließlich um Sasukes Misserfolge, beginnend mit der frühsten Kindheit. Wie er erst mit einem Jahr und zehn Monaten anfing zu sprechen, und danach erst mit fünf zu lesen. Wie er die letzte Klassenstufe der Grundschule doch nicht überspringen konnte und zurückgestuft werden musste. Wie er den intensiven Klavierunterricht aus mangelnder Gesundheit abbrechen musste. Seine Basketballmannschaftszeit — sein Vater hielt nicht besonders viel vom Sport. Dass er mit 17 immer noch nicht richtig weiß, was er werden möchte, denn „jeder Uchiha sollte es bis zum 14 Lebensjahr herausgefunden haben“ und die Liste ging noch weiter. Deswegen war er gerade nicht besonders gut gelaunt. Sein eigener Vater hält ihn für einen Versager, obwohl er momentan der Jahrgangsbeste ist, sich bereits auf ein Mathematikstudium festgelegt hat und sich Tag für Tag beim Lernen viel Mühe gibt. Nicht, weil er Verständnisschwierigkeiten hat, sondern wegen der Weiterbildung. Er arbeitete sich über die vergangene Monate in die Analysis und die lineare Algebra ein. Viele im ersten Semester relevanten Inhalte verstand er bereits jetzt und konnte sie sogar erfolgreich anwenden, aber das interessierte seinen Vater nicht. Denn Sasuke war ja weder Itachi noch Shisui noch Izumi, die goldene Elite der Uchiha-Kinder. Sasuke hasste es, ständig mit seinem Bruder verglichen zu werden. Itachi war ein echter Genie und es war einfach unfair. Sein Bruder fing eben an mit einem Jahr und zwei Monaten zu sprechen; mit drei brachte er sich selbst das Lesen bei; er übersprang zwei Klassenstufen und schloss die Schule bereits mit 16 ab; er legte sich sehr früh darauf fest, dass er ein Jurist werden möchte. Das wusste Itachi bereits mit 12. Sein Studium schloss es im Alter von 20 als der Jahrgangsbeste ab. Seine Staatsexamen waren im nationalen Schnitt unter den Top 10. Nebenbei spielte er sehr professionell Violine. Während der Schule gewann er zahlreiche Wettbewerbe: intellektuelle, musikalische und sogar sportliche. Und jetzt geht es ihm finanziell natürlich prima. Er kaufte sich während der letzten paar Jahre eine Luxuswohnung mit Dachterasse und teuerer Einrichtung und einen schicken Sportwagen. Die einzige kleine Macke, die der Vater an Itachi sah, ist das Fehlen einer festen Freundin. Und bei all dem blieb Itachi bescheiden, hilfsbereit, menschlich und überhaupt nicht arrogant. Kurz gesagt, er war in jeder Hinsicht perfekt. Mit so jemandem kann man sich überhaupt nicht messen. Deswegen war Sasuke nie das Lieblingskind und bekam nie die Aufmerksamkeit bei Familientreffen. Über seine weltlichen Erfolge wusste keiner. Darum musste sich der jüngere Uchiha meistens alleine über seine kleinen unbedeutenden Siege freuen. Aufgrund von all dem war Sasukes Beziehung zu seinem Bruder sehr zweischneidig: er liebte ihn, weil sich Itachi als einziger aus der Familie wirklich um Sasuke und seine Belangen gekümmert hat, und er hasste Itachi, weil er aus seinem Schatten nie entfliehen konnte. Egal, was Sasuke schafft, schafft Itachi so oder so was besseres.
 

Liegend im Bett dachte der jüngere Uchiha an all das. Seitdem Itachi im Ausland ist, rückten die Vergleichsspielchen eher in den Hintergrund. Er dachte schon lange nicht mehr daran, dass er nach der allgemeinem Meinung der Familie ein Versager ist, und es war auch gut so. Jetzt fühlte sich Sasuke deprimiert und innerlich ausgeleert. An sich war er eigentlich gar nicht so schlecht. Wahrscheinlich war er sogar ziemlich gut. Wahrscheinlich sogar sehr gut. Aber das zählte nicht, weil er andauernd mit einer Messlatte für Genies gemessen wird. Das war das Bittere an der ganzen Sache. Er versprach sich bei seinem elften Geburtstag, dass er sich davon nicht beeinflussen lassen und still seinen Weg für Normalsterbliche gehen wird. Aber das war gar nicht so einfach, denn Sasuke war von Natur aus ein Kämpfer. Er liebte das Gewinnen. Deswegen ließ er sich in dieses dumme Vergleichsspiel reinziehen. Sein Vater konnte ihn ziemlich gut provozieren. Damals wollte er die letzte Grundschulestufe überspringen, damit er später mindestens eine übersprungen hat. Er wollte Klavier spielen, weil es als schwer gilt. Er spielte Basketball, weil Sasuke eine bessere Sportskanone als Itachi war. Er legte sich auf Mathematikstudium fest, weil Mathe Itachis schwächere und Sasukes stärkere Seite erwischte. Sasuke seufzte laut. So wie es aussieht, richtet sich sein Leben doch komplett nach dem dämlichem Spiel! Er konnte also das Versprechen seinem elfjährigen Ich gegenüber doch nicht halten. Sasuke seufzte erneut.
 

„Klopf-klopf, darf ich reinkommen?“
 

Itachis Stimme unterbrach Sasukes Gedanken. Sein Brunder stand im Flur und wartete geduldig auf die Eintrittserlaubnis.
 

„Na klar, komm rein.“
 

Durch das geräumige Zimmer gelangte Itachi in die Ecke, wo Sasukes Bett stand, und setzte sich auf die Bettkante.
 

„Geht’s dir gut?“, fragte sein Bruder sanft.

„Ja…“, ließ Sasuke leblos ab.

„Mich musst du nicht anlügen.“

„Ja, ich weiß.“

„Also, willst du reden?“

„Es gibt doch nichts zu bereden — du bist der Goldjunge und ich bin die Schande der Familie. So einfach.“

„Sie haben das bestimmt nicht so gemeint, wie es rüberkam. Du weißt doch, unser Vater und Onkel Madara sind ziemlich großmäulig.“

„Ja… es nervt mich trotzdem. Ich will ja nur, dass er auch mal zur Abwechslung stolz auf mich ist. Aber ihn interessieren nur meine Misserfolge, damit er daraus ein Witz machen kann.“

„Tja… so ist unser Vater. Es tut mir wirklich leid, Sasuke.“
 

Plötzlich stubste Itachi seinen jüngeren Bruder leicht an die Stirn.
 

„Hey! Wofür das denn? Ich bin keine fünf mehr!“, warf Sasuke unzufrieden.

„Ich weiß“, Itachi lächelte dabei leicht. „Aber du bist immer noch mein kleiner Bruder. Weil du so traurig bist, kriegst du ein Stubs.“

„Wie unfair“, beschwerte sich der Jüngere.

„Was ist sonst Neues bei dir? Wie läuft die Schule? Die Abiturvorbereitung? Hast du neue Freunde gemacht? Irgendwas interessantes erlebt? Vielleicht datest du jemanden? Erzähl!“
 

Itachis Augen leuchteten warm auf. Anscheinend vermisste er seinen kleinen Bruder während der vergangenen zwei Jahre ziemlich doll. Sasuke konnte auf Itachis ehrliche Aufregung nur mit einem breiten Grinsen antworten. Er vermisste seinen großen Bruder ebenfalls sehr doll.
 

„Wow, das waren viel zu viele Fragen! Dreh mal ne Stufe runter!“, erwiderte Sasuke lächelnd.

„Na erzähl was! Komm!“

„Alsoooo…“, Sasuke setzte sich im Bett hin und überlegte kurz. „Ich mache seit dem Anfang des Jahres zwei Unikurse.“

„Ach echt? Cool! Und? Verstehst du alles?“

„Nein, natürlich nicht alles“, Sasuke atmete aus. „Aber so grob die Ideen nehm ich mir aus jeder Vorlesung mit.“

„Vorlesung?“

„Ja, online halt…“

„Achso, ich dachte du gehst dahin.“

„Ach ne, das kann ich dann im nächsten Jahr machen.“

„Stimmt“, Itachi neigte den Kopf leicht nach links. „Und sonst? Prüfungen?“

„Ach, das mach ich easy. Die Unimathe interessiert mich zurzeit viel mehr.“

„Alles klar. Na, hast du eine Freundin bekommen?“ Itachi grinste verschwörerisch und die Unterhaltung wurde erstmal angehalten.
 

Da traf der ältere Uchiha auf einen Nerv. Die momentane Situation mit Naruto war eben ein wenig heikel. Der dumme Blonde war in ihn verknallt und Sasuke fand heraus, dass er ihn doch nicht überhaupt nicht ab kann. Und seit dem Anfang der Ferien denkt der Schwarzhaarige nur noch an Uzumaki. Verdammt, der nervige Junge fehlt ihm sogar irgendwie! Oder so… jedenfalls macht sich seine Abwesenheit bei Sasuke richtig bemerkbar. Und das beunruhigt den Jungen zutiefst.
 

„Warum fragst du denn?“, fing Sasuke vorsichtig an.

„Na, du wirkst abwesend, verträumt, schaust ständig auf dein Handy und hockst abends immer alleine. Du warst ja immer sonst abends mit uns unterwegs. Und so verträumt sah ich dich noch nie. Deswegen dachte ich, dass du vielleicht tagsüber deine Freundin vermisst und abends dann mit ihr schreibst oder so.“

„Nein, ich hab keine Freundin…“

„Bist du etwa verliebt?“, fuhr Itachi lebhaft fort.

„Nein…“ Sasuke jammerte dabei leicht. „Oder doch… ich weiß es nicht…“

„Also gibt es da jemanden, an dem du Interesse hast?“

„Nein, auf keinen Fall“, stritt Sasuke kategorisch ab.

„Hä? Du weiß doch gar nicht, ob du verliebt bist oder nicht. Warum dann so harsch nein?“

„Weil vernünftig betrachtet kann ich mir jetzt keine Beziehung leisten. Ich will auch gar keine. Und selbst wenn, es wäre so oder so total unpassend. Er ist ein Austauschschüler und geht am Ende des Jahres so oder so zurück nach Hause.“

„Er?“
 

Die Unterhaltung hörte diesmal richtig abrupt auf. Sasuke realisierte, dass er einen mächtigen Fehler begangen hat. Ein kalter Schweiß trat auf seiner Stirn. Er wurde blass. Sein Herz klopfte wild. Sein Kopf wertete wie ein Hochleistungsrechner tausende Gesprächsmöglichkeiten aus und keine einzige konnte die Situation retten. Er stellte sich selbst Schach und Matt. Jetzt war er bestimmt erledigt.
 

„Gott, Sasuke, entspann dich!“ Itachi klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Ich dachte nur nicht, dass du dich für Jungs interessierst. Ich war deswegen ein wenig überrascht. Es war nicht böse gemeint! Sorry.“ Itachi biss sich auf die Lippe.

„Bitte erzähl davon keinem, okay?“ Sasuke flehte seinen Bruder an.

„Natürlich nicht.“

„Danke. Oh Gott, ich hab kein Bock, dass unser Vater davon erfährt.“ Sasuke seufzte schwer.

„Aha, also denkst du schon darüber, wie du ihn der Familie vorstellen wirst?“ Itachi grinste erneut.

„Nein!“ Sasuke haute seinen Bruder auf die Schulter.

„Und was genau ist dein Problem mit ihm?“

„Ach, keine Ahnung. Ich kann ihn eigentlich überhaupt nicht leiden. Und doch geht er mir seit dem Schulschluss nicht aus dem Kopf.“

„Na dann bist du doch verliebt!“, verkündete Itachi fröhlich.

„Nein!“ Sasuke schüttelte den Kopf und knurrte unzufrieden dabei. „Bin ich nicht.“

„Warum eigentlich kannst du ihn nicht leiden?“

„Weil er eine nerventötende Nervensäge ist!“ Itachi ließ ein kurzes Lachen ab. „Na was denn?! Wärest denn du nicht genervt, wenn jemand dir andauernd hinterherlaufen würde, behaupten würde, er steht auf dich, verkündet dies sogar auf der offiziellen Homepage seines Fanclubs…“

„Ein Fanclub?“, wiederholte Itachi verwirrt.

„Ja, er hat einen Fanclub an der Schule. Irgendwelche irren Mädchen haben einen Naruto-Fanclub organisiert! Wie lächerlich ist das denn?!“

„Naruto?“, wiederholte Itachi noch verwirrter.

„Ja, er heisst Naruto.“ Sasuke beobachtete den stummen Lachanfall seines Beuders. „Ach, Itachi, keine Ahnung! Frag mich nicht, warum seine Eltern ihn nach einer ausländischen Speise benannt haben! Ich weiß es auch nicht!“

„Was für ein interessanter Junge…“, Itachi beruhigte sich und ließ nachdenklich ab.
 

Für ein paar Minuten wurde es leise. Plötzlich fragte sich Sasuke auch, warum der Uzumaki wie der Ramentopping heißt.
 

„Also nervt er dich?“, fasste Itachi elegant zusammen.

„Ja!“

„Aber du denkst trotzdem unterbrochen an ihn?“

„Ja…“

„Vermisst du ihn?“

„Keine Ahnung.“

„Wie keine Ahnung?“

„Na, seine Abwesenheit macht sich schon bemerkbar, aber vermissen? Ich denke eher nicht.“

„Achso, hmmm…“, Itachi atmete hörbar aus. „Aber er behauptet verknallt in dich zu sein?“

„Ja.“

„Freust du dich darüber?“

„Oh Gott, nein! Ich wünsche, mir wäre dieser Leid erspart. Er versucht mir das nämlich seit sechs Monaten richtig unverschämt zu beweisen.“

„Ooooh! Was für ernste Absichten!“

„Nein, die sind nicht ernst! Er versucht mich nur zur Weißglut zu bringen, weil er ja eine nerventötende Nervensäge ist!“

„Haha! Sag mal, hast du ein Bild von ihm? Mich interessiert schon wie ein menschliches Naruto aussieht.“

„Warte…“
 

Sasuke hatte richtig viele Bilder von Naruto, weil der blöde Blonde ständig sein Handy unerlaubt genommen und mit seinen Bildnissen gemüllt hat.
 

„Zum Beispiel hier…“

„Oh, ein Blonder?“

„Ja…“ Sasuke scrollte weiter. „Oder hier, oder hier, oder hier… oh, das hier auch, und das, und das, und das…“

„Für jemanden, der ihn hasst, hast du eindeutig zu viele Bilder von ihm auf deinem Handy.“

„Oh Mann! Es ist nicht das, wonach es aussieht! Er macht doch selbst diese Bilder! Die meisten davon sind Selfies! Guck, hier! Oder hier! Oder hier! Alles sich selbst geknipst!“

„Warum löschst du dann die nicht einfach?“

„Weil es keinen Sinn macht! Er macht dann wieder tausende am nächsten Tag!“

„Warum gibst du ihm dann dein Handy?“

„Er bedient sich unverschämt daran!“

„Tja, dann musst du es wohl besser verstauen.“

„Pfff! Ich werde jetzt nicht seinetwegen meine Angewohnheiten ändern!“

„Na also, da hast du deine Antwort: du bist verlieeeebt!“ Das letzte Wort zog Itachi übertrieben in die Länge.

„Nein! Ich hab das Gefühl, du willst, dass ich verliebt bin!“

„Ein bisschen schon“, gab er ehrlich zu. „Denn die erste Liebe des kleinen Bruders ist schon irgendwie süß!“ Sasuke haute ihn nochmal auf die Schulter. „Aber abgesehen davon, Sasuke, ich hab dich die ganze Woche beobachtet. Und du scheinst ihn wirklich zu vermissen. Außerdem als du mir jetzt von ihm erzählst, funkt es in deinen Augen. Wenn du dich mit ihm wohl fühlst, dann ist es doch sehr schön…“

„Ich fühl mich nicht wohl mit ihm! Er nervt mich ja!!“

„Aber du magst es, oder?“

„AAAAARGH!!!“

„Was?“

„Er sagt immer wieder genau dasselbe!! Ich hasse es!“

„Wie du sagst“, Itachi kicherte kurz. „Aber Sasuke, wenn du verliebt bist, dann musst du es schätzen. Das Leben ist viel zu anstrengend. Und wenn du dir selbst fröhliche Momente versaust, dann schadet es dir nur langfristig. Glaub mir, ich hatte schonmal sowas erlebt.“

„Warst du etwa auch in der Schule verliebt?“

„Ja.“

„Mochte sie dich auch?“

„Ja.“

„Und warum ist daraus nichts geworden?“

„Erstens sie war zwei Jahre älter als ich und das wollten wir nicht. Wir dachten damals, wir hätten viel zu tun. Wir wollten beide nach der Schule woanders studieren. Und dann haben wir und gegen die Beziehung aus «logischen Gründen» entschieden. Und jetzt ist sie verheiratet. Ich frag mich, wie alles heute wäre, wenn wir es doch versucht hätten.“

„Bereust du es?“

„Ein bisschen.“

„Hmmm“

„Was denn?“

„Na auch du machst Fehler und bereust was. Wusste ich gar nicht.“

„Ach! Ich mach ständig Fehler!“ Itachi lächelte seinen Bruder liebevoll an.
 

Sasuke fing Itachis warme Lächeln. Er war dem Schicksal für so einen guten großen Bruder dankbar. Nur mit ihm konnte er solche peinlichen Gespräche führen.
 

„Und was soll ich jetzt machen?“ Sasuke wechselte das Thema.

„Oh, kleiner Bruder, das musst du selbst rausfinden!“

„Aber du klangst so bestätigend!“, ließ Sasuke enttäuscht ab.

„Ja, weil ich dafür bin, dass du deine Jugend genießt. Aber schlussendlich hab ich eigentlich keine Ahnung, was du wirklich fühlst. Und unabhängig davon ist es immer noch deine Entscheidung, wie du mit der Situation umgehst.“ Der ältere Uchiha wurde ab jetzt ernst.

„Aber ich brauch deine Hilfe…“, jammerte Sasuke. „Bitte berate mich ein bisschen. Ich komm selbst nicht drauf.“

„Sasuke, es gibt hier kein richtig und falsch. Das musst du aus dem Bauchgefühl wissen.“

„Kann ich aber nicht!“

„Na, magst du ihn?“
 

Itachi hielt das Gespräch an und guckte seinem Bruder direkt in die Augen. Sasuke seufzte und schaute weg. Diese Frage stellte er sich bereits seit zwei Wochen und keine Antwort kam.
 

„Ich weiß es nicht.“

„Na dann, finde es raus.“

„Wie denn?“

„Verbringe Zeit mit ihm. Achte darauf, ob du es genießt, ob du es wieder machen willst, ob du ihm physisch näher kommen möchtest.“ Sasuke verzog das Gesicht. „Ja, das Physische gehört auch dazu. Wenn «diese» Art von Chemie zwischen euch nicht stimmt“, Itachi machte Gänsefüßchen und fuhr fort: „dann ist es eben nicht romantisch.“

„Oh Gott, mich widert der Gedanke irgendwie an.“

„Hmmm, wenn es so ist, bist du vielleicht doch nicht verliebt. Hast du dich mit ihm in den Ferien geschrieben?“

„Nein.“

„Schreib ihm. Geht irgendwo außerschulisch hin. Ich nehme an, du siehst ihn nur in der Schule, richtig?“

„Jaaa… ach…“, atmete Sasuke schwer aus. „Ich will ihn nicht anschreiben. Nicht, dass er auf falsche Gedanken kommt.“

„Aha, du bist also schon wieder stur, oder? Du willst, dass er ein bestimmtest Bild von dir hat, richtig?“

„Jaaaa, ich kann ihn eben nicht leiden! Und am liebsten sollte er aus meinem Kopf verschwinden, damit es genau dabei bleibt!“

„Willst du deine Gefühle sortieren oder nicht?“

„Ja!“

„Dann brauchst du mehr Input, du kommst ja nicht drauf, hast du doch selbst gesagt.“
 

Sasuke antwortete nichts darauf. Irgendwie hatte Itachi schon recht.
 

„Ich würde dir raten ihn ein paar Mal zu treffen mit dem Ziel die Gefühle zu sortieren.“ Das hörte sich nach dem Schlusssatz an.

„Okay…“

„Hoffentlich konnte ich helfen.“

„Ich hoffe es auch.“

„Haha!“ Itachi lachte. „Na dann, gute Nacht, keiner Bruder! Hast ja jetzt viel, worüber du erstmal eine Nacht schlafen kannst.“
 

Itachi verließ das Zimmer und nun war Sasuke wieder allein. Er dachte daran, wozu ihm sein Bruder geraten hat: mehr Input. Mehr Input. Mehr Input… Hmmm…
 

Sasuke nahm sein Handy und öffnete die Homepage von Naruto-Fanclub. Da waren diverse soziale Accounts des Blonden verlinkt. Diese durchforstete Sasuke bereits vollständig und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er Naruto im Internet stalkt. Na super! Er fluchte kurz und fuhr einfach damit fort. Egal. Er gelangte zu einem ganz bestimmten Bild. Es war ein kurzer Schnappschuss, wo Naruto unbesorgt die Kamera anlächelt. Uchiha mochte dieses Bild. Der Blonde sah hier sehr gewohnt aus: sitzend am Hinatas ehemaligen Platz, mit Schuluniform und Büchern und trotz frühen morgens unglaublich fit. Sasuke starrte dieses Bild stumm an.
 

„Schwachkopf“, wisperte Sasuke und betrachtete das Bild erneut. Er verlor sich schon wieder in diesen blauen Tiefen. Narutos Augen fesselten ihn seit dem ersten Tag auf eine mysteriösen Weise und daran änderte sich bis zum heutigen Tage gar nichts. „Schwachkopf, Schwachkopf, SCHWACHKOPF!“, schrie er wütend ins Kissen und machte das Handy aus.
 

Liegend im Dunklen dachte er über all das, was ihm Itachi gesagt hat. Die Meinung seines Bruders war ihm immer sehr wichtig. Wahrscheinlich war Itachis Meinung am wichtigsten von allen. Sich mit Uzumaki treffen? Gefühle sortieren? Mehr Input bekommen? Das klingt an sich sinnvoll, aber Sasuke war sich trotzdem unsicher. Irgendwie drehte sich seine Beziehung zum Blonden nur um deren Krieg. Was anderes haben sie auch nicht gemacht, als sich ständig fertig zu machen. Sasuke gestand sich während der vergangenen zwei Wochen, dass ihm genau dieser Aspekt deren kurioser Beziehung eigentlich ganz gut gefällt und er wollte dieses komische Miteinander nicht mit mehr oder freundlicherer Beteiligung ändern. Er mochte es mit Naruto auf Kriegsfuß zu stehen. Er mochte, dass der Blonde genauso stur und gewinnversessen wie er selbst ist; genau das machte dieses Spiel spannend. Genau das machte Lust auf noch mehr Schlachten mit ihm. Ja, er kann diesen lästigen Kerl nicht leiden. Und ja, genau das gefällt ihm. Und was ist das jetzt also? Ist das wirklich dieses Verliebtsein?
 

Pfff! Niemals! Was für ein Unfug!
 

Der Uchiha drehte sich um und schlief ein.

Die letzten zweieinhalb Wochen verbrachte Sasuke mit Itachi und den Cousins. Sie spielten tagsüber Brettspiele, gingen abends raus und redeten viel darüber, was seit dem letzten Jahr passiert ist. Itachi hatte am meisten zu erzählen, weil er die letzte Versammlung verpasst hat. Diese Wochen waren sehr schön. Sasuke fühlte sich wieder wie ein Kind, denn früher versammelten sich die Uchiha-Kinder öfter vollzählig. Während der letzten Woche kehrte alles langsam zum gewöhnlichen zurück. Nach und nach reisten alle ab, die Uchiha-Residenz wurde leerer und Sasuke verbleib irgendwann alleine mit seinen Eltern. Die Schule begann wieder. Der Alltag nahm also wieder seine Gänge und plötzlich lag der Schulbeginn bereits drei Wochen zurück. Währenddessen missachtete Sasuke konsequent Itachis Ratschlag und bekam nicht mehr Input. Ehrlich gesagt strebte er es auch nicht an. Irgendwie hatte der Junge Angst rauszufinden, wohin dieses „mehr Input“ führt. Also tat er instinktiv das Gegenteilige: er versuchte Naruto auf Abstand zu halten. Und der Blonde versuchte wiederum diesen Abstand zu verringern. Also änderte sich auf den ersten Blick überhaupt nichts zwischen den beiden. Aber nur auf den ersten Blick. Sasuke nahm seit dem Schulanfang Naruto wie eine tickende Bombe wahr, die er trotz der Sterbegefahr entschärfen muss. Deswegen ging er äußerst vorsichtig vor. Seit dem Schulbeginn nahm Sasuke den Uzumaki übergründlich unter die Lupe. Er suchte versteckte Bedeutungen in Narutos jeder Aussage und jedem Glanz. Er hinterfragte ständig Uzumakis Absichten bei den sonst so üblichen Dateanfragen und kitschigen Komplimenten. Er versteckte sich vor ihm nach dem Schulschluss, damit die Busfahrt mal wieder ausfällt und so weiter. Manchmal grenzte es an Paranoia und so langsam wurde dieses Überanalysieren richtig anstrengend. Leider konnte Sasuke nicht damit aufhören. Er wusste nichtmal genau, worauf er bei seinen Analysen stoßen wollte. Es dauerte so oder so viel zu lange es rauszufinden, denn die Sache mit Naruto wurde bereits jetzt unnötig kompliziert. Hinzu kam, dass in Sasukes Kopf nach der Schule auch nicht mehr Narutofrei war. Er stalkte Naruto weiterhin im Internet. Am meisten freute er sich, wenn er über einer Aufnahme von irgendeiner Tanzmeisterschaft stolperte, wo Naruto zu sehen war. So dachte er beinahe rund um die Uhr an den Blonden. Der Uzumaki machte den schwarzhaarigen Jungen buchstäblich verrückt. Somit überwogen die Nachteile dieses Miteinanders deren Vorteile. Daher beschloss Sasuke ein ernstes Gespräch mit Naruto zu führen. Er wollte den Blonden um genug Abstand für eine ganz unauffällige Existenz als normale Mitschüler bitten. Sasuke hoffte einfach, dass Naruto darauf bereitwillig eingeht, denn ehrlich gesagt wollte Sasuke sein fragwürdigen Gründe nicht benennen. Wenn Naruto die hört, kommt er bestimmt zum Schluss, dass sich der Uchiha hoffnungslos in ihn verliebt hat. Obwohl es vielleicht so wirken mag, stimmt das ja überhaupt nicht. Oder fast überhaupt nicht. Egal. Sasuke schob dieses Gespräch bereits seit einer Woche auf. Heute nach der Tanzstunde wollte er es durchziehen. Der Junge war schon jetzt während des zweiten Blocks nervös. Eine sehr schlechte Vorahnung schwebte über ihn wie eine dunkle Regenwolke. Es wird donnern, die Frage ist eher wie. Das „wann“ eliminierte Sasuke ja von vornherein. Er hoffte nur, dass das Universum es ihm nicht schwerer macht, als es sein wird.
 

Sasuke fand generell Uzumakis Tanzskurs unglaublich langweilig und unterfordernd. Er verstand nicht, warum Leute nach 6 Monaten immer noch keine Ahnung von der Kreiseldrehung haben. Die heutige Tanzstunde verlief auch ziemlich langweilig, weil es mal wieder um die besagte Drehung ging. Am liebsten würde der Uchiha die Stunde nicht besuchen. Heutiger Grund war allerdings das aufklärende Gespräch. Wenn alles gut läuft, wird sich die Stunde auf jeden Fall gelohnt haben.
 

„Hey, können wir bitte reden?“ Als die Stunde vorbei war, sammelte Sasuke den Mut zusammen und sprach Uzumaki an. Er versuchte dabei nicht nervös zu wirken. Nach seiner Einschätzung klappte es auch hervorragend.

„Na, bist du endlich zu den Sinnen gekommen und gehst mit mir aus?“ Naruto grinste.

„Nein, ich wollte dich bitten, mich nicht länger darauf anzusprechen. Am liebsten wünsche ich mir, dass wir zwei wie normale Mitschüler funktionieren. Kriegst du es hin?“ Sasuke hoffte, dass Naruto einfach sofort ja sagt.

„Nein, ich hab dir gesagt, was ich will. Und dazu stehe ich auch. Ich werde jetzt nicht damit aufhören.“

„Machst du vielleicht bitte doch eine Ausnahme? Ich kann dieses lächerliche Verstelltheater nicht mehr ab.“

„Wieso denn?“

„Weil wir beide wissen, dass es nichts wird, und du versuchst immer noch so zu tun als ob.“

„Wieso denn?“

„Keine Ahnung warum du so tust! Aber es macht mich müde. Bitte hör auf, okay?“ Sasuke wurde langsam genervt von Narutos Art, aber er versuchte sich zu beherrschen.

„Wieso denn?“

„Weil ich dich darum bitte!“
 

Uzumaki drehte sich zackig um und sein Gesicht entstand sehr nah an Sasukes.
 

„Wieso denn?“ Der Blonde grinste Sasuke wie ein Fuchs an.

„HÖR MAL DAMIT AUF, ES IST LÄCHERLICH!“
 

Der Uchiha stieß den Uzumaki weg. Na toll! Naruto brachte Sasuke bereits nach fünf Minuten Gespräch außer Fassung. Von vornherein glaubte der Junge ernsthaft an ein zivilisiertes Gespräch zwischen zwei Erwachsenen, die gute Gründe für das jeweilige Verhalten haben. Aber er vergaß beinahe, dass sein Gesprächsgegenüber Naruto Uzumaki war, der sturste und unreifste Mensch auf dieser Erde. Ach, Sasuke, was für ein Dilettantenfehler!
 

„Dreck!“, murmelte der Schwarzhaarige unzufrieden.

„Was?“, plapperte der Uzumaki aus Neugier.

„Nichts, das Gespräch ist beendet!“, spuckte Sasuke wütend aus und ging Richtung Ausgang.

„Heeeey!“ Naruto eilte seiner Flamme hinterher. Er packte ihn am Arm und die beiden blieben stehen. „Ich hab nur rumgealbert! Tut mir leid, okay? Lass uns nochmal anfangen. Was willst du mir sagen?“

„Ach nichts! Ich brauch deine Antwort nicht, die kann ich mir selbst zusammenpuzzeln. Dein winziges Gehirn kennt so oder so nur das Nein-Wort, wenn ich dich um irgendwas bitte.“

„Achso?!“ Naruto erwiderte ziemlich giftig.

„Ja, so, du Schwachkopf!“
 

Und da war es wieder: sie steckten in der nächsten verbalen Schlacht. Nein, mit Uzumaki gelingt niemals eine zivilisierte Diskussion übers Aufhören seiner Annäherungsversuche. Wie hätte Sasuke nur so naiv sein können?!
 

„Deine Beleidigungen kannst du dir ersparen, du edgy Drama Queen!“
 

Ja, der zivilisierte Zug fuhr lange ab. Sasuke und Naruto verblieben auf dem verbalen Schlachtfeld und keiner dachte ans Aufgeben. Ach, was soll’s… na dann gibt es den gewöhnlichen Austausch, den Sasuke schleunigst beenden muss.
 

„Was ist schon wieder euer Problem, Hochheit?!“, spuckte der Blonde mit Eifer.

„Du bist es verdammt! Hast du etwa schon vergessen?!“

„Nein, hab ich nicht!“

„Dann beheb es! Verschwinde aus meinem Leben!“

„Niemals!“

„Doch!“

„Als ob!“

„Na mach schon!“

„Nein!“

„Doch!“

„Nein!“

„Doch!“
 

So ging das hin und her, bis sich etwas im Uzumaki grundlegend änderte.
 

„Mal im Ernst, Sasuke… willst du wissen, was dein Problem ist?“

„Willst mich ernsthaft über meine eigenen Probleme aufklären, oder was?!“

„Ja! Du kommst ja nicht drauf, du Superhirn!“

„Na dann mach doch! Mal sehen, wie daneben du mit deinen dummen Vermutungen liegst, Detektiv Naruto!“

„Na dann hör mal zu: dein Problem ist, dass du mich eigentlich doch magst…“

„Als ob!“

„Unterbrich mich nicht.“

„Wie du befehligst, General Schwachkopf!“

„DANN HÖR HALT ZU, VERDAMMT!“ Naruto wurde richtig sauer. „Dein Problem ist, dass du Angst hast zuzugeben, dass du mich eigentlich magst! Du warst bestimmt noch nie verliebt, deswegen weißt du nicht, wie normale Menschen damit umgehen! Anstatt den Gefühlen nachzugehen drückst du dich davor!“

„Ha, was für ein Quatsch labberst du da?!“

„Willst du wissen, wie ich drauf komme?!“ Naruto wartete kurz auf Reaktion aber nichts kam. „Ach egal, ich sag’s dir trotzdem: seit dem Schulbeginn bist du so anders geworden! Meinst du, ich hab so total nicht mitbekommen, dass du mich meidest?! Meinst du, ich hab nicht gemerkt, wie du jeglichen Augenkontakt zu mir nicht erwiderst! Meinst du, ich hab keine Ahnung davon, dass du in meiner Gegenwart unnatürlich angespannt wirst! Du warst jetzt nie der Chilligste, aber so verkrampft hab ich dich noch nie erlebt! Ich bin dir aus irgendeinem Grund unangenehm geworden. Wahrscheinlich weil du mich nicht aus dem Kopf kriegst, stimmt’s, Muffin?“
 

Naruto starrte Sasuke tief in die Seele mit seinen großen blauen Augen an. Sasuke kriegte Schreck, weil Naruto mit seiner dummen Vermutung komplett richtig lag. Woher zum teufel wusste er all das?! Wie kommt er auf all das?! Verdammt!
 

„Du sagst nichts, also hab ich recht. Du hast Angst vor deinen Gefühlen zu mir, oder?“

„Nein!“

„Ooooh, verneinen kannst du gut! Bringt nichts! Ich hab dich geschnallt, kapiert?!“

„Du hast überhaupt nichts!“

„Tja?! Und warum willst du dann nichtmal mit mit tanzen, ha? Weil du so doll jeden Körperkontalt zu mir fürchtest, darum!“

„Nein, stimmt überhaupt nicht!“

„Oh doch!“

„Nein!“

„Beweis!“

„Okay, dann pass auf!“
 

Mit diesen Worten packte Sasuke Naruto am Kragen und zog zu sich heran. Deren Gesichter wurden unausstehlich nah zueinander.
 

„Hm, na und, Muffin?! Und was willst du jetzt machen?“

„Guck zu, Schwachkopf!“
 

Mit diesen Worten schmiegten sich Sasukes Lippen fest gegen die von Narutos. Die blauen Augen starrten schockiert Sasuke an. Sasuke starrte ebenfalls in diese himmlischen Tiefen zurück. Die beiden Jungs stellten eine intensive Verbindung her und bewegten sich kaum. Es war eigentlich kein richtiger Kuss. Die beiden versteiften zusammen, bis sich Narutos Lippen passiv öffneten und Sasukes Zunge hineinließen. Plötzlich küsste der Uchiha den Uzumaki doch ziemlich echt. Der Blonde verlor die Kontrolle über seinen Körper und konnte den Kuss nicht erwidern. Naruto kam dem Ganzen mental nicht hinterher. Zum ersten Mal wurde er richtig fertig gemacht. Sasuke merkte total, dass sein Gegenüber komplett überlastet im Kopf war. Der Uchiha fühlte sich dabei fantastisch, weil er in diesem Moment Naruto absolut beherrschte. Es schien, als konnte Sasuke alles mögliche mit diesen gelähmten Körper machen. Es dauerte gute zwanzig Sekunden, bis Uzumaki sein Gesicht abwendete. Die hergestellte intensive Verbindung sich somit auch aufgelöst.
 

„Verloren!“, verkündete Sasuke siegreich, nachdem er den Verängstigten losließ. „Ich hab weder vor dir, noch vor vermeintlichen Gefühlen, noch vorm Körperkontakt Angst.“
 

Dieser Satz donnerte mächtig in der leeren Aula. Diese Schlacht ging eindeutig an den Uchiha. Sasuke war mit diesem glorreichen Sieg überfüllt. Naruto wirkte dagegen etwas verloren. Bingo! Der Schwarzhaarige feierte sich innerlich.
 

„Glaub ich dir“, ließ Uzumaki etwas versteift ab.

„Dann vergiss es nie wieder, Sonnenschein“, sprach der Uchiha überheblich aus und verließ stolz die Aula. Nach einigen Metern drehte er sich um und fing Narutos verwirrten Blick. Der Uzumaki schien immer noch dem Ganzen nicht hinterhergekommen zu sein. Sasuke grinste. Gut so.
 

Auf dem Weg zur Bushaltestelle ließ Sasuke die Streitszene mehrmals im Kopf passieren und jedesmal gefiel sie ihm besser. Insbesondere der allerletzte Part. Sasuke verpasste Naruto genauso selbstgefällig einen dummen Kosenamen und es kostete ihm überhaupt nichts! Endlich konnte er Uzumakis selbstverliebtes Wesen brechen! Es hat zwar etwas länger als sechs Monate gedauert, aber hallo! Es hat sich total geloht! In diese leicht verängstigten blauen Tiefen schauen zu dürfen war viel zu kostbar! Plötzlich vibrierte sein Handy. Sasuke las auf dem Display:
 

„Bin ich wirklich ein Sonnenschein?“
 

Sonnenschein… Sonnenschein. Sonnenschein, verdammt! Was ist das bitte schön für eine Beleidigung, ha?! Woran dachte er überhaupt?! Na gut, das mit beleidigenden Kosenamen muss Sasuke unbedingt noch üben, aber diese eine Kleinigkeit verdirbt ihm seinen kostbaren Sieg trotzdem nicht.
 

„Wenn ja, dann würde ich mich richtig doll darüber freuen“
 

Nach dieser Kurznachricht fühlte sich Sasuke nicht mehr so gut. Narutos Nachricht zerstörte etwas in ihm. Er wollte seinen Sieg doch etwas länger genießen und jetzt konnte er nicht mehr! Dummer Naruto! Dummer Naruto. Dummer Naruto… oh Gott, Sasuke küsste diesen Schwachkopf tatsächlich. Moment, ist es jetzt eine gute oder eine schlechte Sache? Er wusste es nicht. Der Junge seufzte schwer.
 

Diese Nacht verbrachte der Uchiha schlaflos. Die Euphorie vom vermeintlichen Sieg verging vollständig. Der Oberschüler dachte nur noch an den Kuss. Zum Beispiel daran, dass sein allererster Kuss auf Naruto verschwendet wurde. Sasuke stellte sich dieses Moment schon anders vor. An eine wütende Wette dachte der Junge dabei noch nie. Na ja, jetzt ist es getan und es lohnt sich nicht länger darüber den Kopf zu zerbrechen. Wenigstens war es nicht komplett eklig. Narutos Lippen waren weich und er schmeckte leicht säuerlich nach Zitronenbonbons aus dem Essensautomaten im ersten Stock, was irgendwie angenehm war. Sasuke aß diese Bonbons selber gern. Und außerdem sprengte er Uzumakis Gehirn damit komplett. Es hat sich also schon gelohnt, oder?
 

Sasukes Handy vibrierte laut und warf den Jungen aus Gedanken zurück in die Wirklichkeit.
 

„Bist du gut nach Hause durchgekommen?“ las der Junge auf dem Display. Als Absender war Naruto Uzumaki eingetragen.

„Ja“, schrieb der Schwarzhaarige zurück. Er überlegte kurz und schickte ab: „Und du?“

„Auch“

„Sehr schön“
 

Sasuke wollte sich noch irgendein fiesen Spruch einfallen lassen, fing sich aber dabei breit zu grinsen und ließ es. Warum grinst er überhaupt?! Und warum lässt er dann fiese Sprüche an Naruto wegen grinsen?! Was zum Teufel?!
 

„Gute Nacht :*“
 

Oh nein, jetzt verschickt Naruto schon die Kusssmileys! Vielleicht war es doch überhaupt keine gute Idee. Jetzt bleibt es bestimmt für immer an ihm kleben.
 

„Danke und nicht gleichfalls“, schrieb Sasuke zurück seine Standardformulierung.

„Hey! Unhöflich!“ Naruto antwortete ebenfalls mit einer seiner Floskel.
 

Sasuke schrieb nichts zurück. Stattdessen starrte er grinsend das bunte Display des Telefons. Er hoffte, dass Naruto noch irgendwas schreibt.
 

„Bis morgen, Muffin!“, kam nach.

„Bis morgen, Sonnenschein“ tippte Sasuke ein und hielt kurz an. Plötzlich bemerkte er, dass sein Herz schon seit dem Anfang der Konversation wie wild pocht und sein Bauch verrückt spielt, als würde er mit einer Achterbahn fahren. Hmmm, sollte er das letzte Wort doch rausnehmen?
 

Sasuke wollte den Text berichtigen, kam aber leider aus Versehen gegen die Absenden-Taste und schickte die Nachricht so ab. Verdammt ist er tollpatschig! Sasuke spannte sich sofort an. Sein Herz rutschte dabei in die Fersen. Seine Augen krallten sich ins Display und hofften noch eine letzte Nachricht von Naruto zu sehen.
 

„:*“
 

Sasuke bekam seine Antwort binnen einer Sekunde. Der Junge legte das Handy weg. Er verspürte dabei eine Erlösung und eine unglaubliche Leichtigkeit im ganzen Körper. Das Gefühl im Bauch verstärkte sich. Er machte die Augen zu und sein Kopf füllte sich mit Gedanken an Naruto. Er erinnerte sich nochmal an den Kuss. Dass Naruto in dieser Situation nichts machen konnte, fand Sasuke im Nachhinein irgendwie voll süß. Er fand seine leicht verängstigten blauen Augen voll süß. Er fand das kleine „glaub ich dir“ am Ende auch voll süß. Seine Lippen waren so weich! Und seine Zunge so feucht… Plötzlich wurde Sasuke bewusst, dass er den Kuss eigentlich gar nicht so schlimm fand. Eigentlich fand er ihn ganz angenehm. Und eigentlich wollte er es nochmal tun. Weil er sich in diesen blonden Jungen doch irgendwie voll…
 

verliebt hat.
 

Verdammt. Was für ein blöder Mist! Na gut, dann ist es halt so. Hauptsache Naruto bekommt davon nichts mit. Er darf nicht wissen, dass er den Krieg gewonnen hat. Ansonsten verwandelt sich Sasukes Leben in Hölle auf Erden. Und das wollte der Uchiha unter keinen Umständen zulassen.

Seit der komischen Erkenntnis wurde Sasukes Leben ungemein schwer. Er steckte in einem unangenehmen Zwiespalt. Einerseits war er in Naruto verliebt, andererseits wollte er den Uzumaki es nicht wissen lassen. Deswegen versuchte er alles beim Alten zu lassen um nicht aufzufliegen, aber das ging nur bedingt gut. Der Grund dafür war ein neues Spiel, in dem die beiden seit etwa zehn Tagen steckten — dem Berührspiel. Das neue Spiel war genauso wie das alte konzipiert: wer die Berührung zuerst unterbricht, hat verloren. Deswegen laufen sie seit einer Woche mit verschränkten Fingern während der Pausen durch die Gegend. Sasuke wusste nicht mehr, wie es dazu kam und warum ausgerechnet Händchen halten, es ist auch an sich unwichtig. Wichtiger war, dass Sasuke dabei nicht aufflog und dass das Anstarren um einiges einfacher auszuhalten war. Sasuke vermisste dieses wunderschöne «Gucken, aber nicht anfassen» Prinzip — es verkomplizierte das Leben eben nicht. Durch die häufigen Berührungen gewann die Beziehung von den beiden eine neue Dimension, die Sasukes Verliebtheit nur noch stärkte. Ein Teil von ihm freute sich darüber ungemein. Er mochte, wie sich Naruto anfühlt. Uzumakis Hände waren stets angenehm warm im Gegensatz zu seinen eigenen. Der Uchiha mochte es, diese sanfte Wärme direkt anzufassen. Das Problem dabei war, dass dem Oberschüler dadurch schwieriger fiel seine Verliebtheit geheim zu halten. Er sollte nach Plan eigentlich Naruto nicht gerne anfassen. Nach Plan sollte es erzwungen wirken. Sasuke wusste manchmal nicht, ob er dieses Trotzige immer noch glaubhaft rüberbringt oder nicht. Aber wahrscheinlich schon, sonst hätte sich Naruto bereits gemeldet. Diese großmäulige blonde Bestie hätte sich bei so etwas nicht zurückhalten können. Wahrscheinlich würde er es sogar auf der Homepage des Clubs verkünden, so wie Sasuke ihn kennt.
 

Das neue Spiel brachte auch andere Unannehmlichkeiten mit sich mit. Zum Beispiel das Essen während der Pausen. Sasuke musste mal wieder die Plätze mit Hinata tauschen, damit sie gleichzeitig essen konnten. Gott sei dank war Sasuke ein Linkshänder, diese Tatsache gestaltete die gemeinsamen Mahlzeiten nur mit einem Arm um vieles einfacher. Oder die Schuhe umzuziehen. Oder die Tatsache, dass man überall zu zweit hin musste. Außerdem nutzte Naruto diese Zeit auch anderweitig aus. Die Busfahrten wurden ab jetzt viel kuscheliger. Naruto legte seinen Kopf stets auf Sasukes Schulter. Die letzten drei Tage brachte er Sasuke sogar konsequent bis zur Haustür. Darüber war der Uchiha nicht begeistert. Er hoffte jedesmal, dass bitte keiner sie so mit verschränkten Fingern mitbekommt. Sie sahen wirklich wie ein Pärchen aus, aber sie waren ja keins. Sasuke wusste nicht, ob es sich ändern sollte. Obwohl abends in der leeren Bahn an dösenden Naruto angekuschelt zu sein sich voll schön anfühlte, sah er trotzdem nicht ein, dass sie zusammen sein sollten. Der Junge geht am Ende des Schuljahres zurück nach Hause. Nicht mal der Gott selbst weiß, ob sich ihre Wege noch kreuzen werden. Es ist sehr unwahrscheinlich. Sasuke wollte nicht, dass Naruto ihm während der verbleibenden Zeit noch mehr ans Herz wächst. Er wollte nicht, dass Naruto zu seinem Sonnenschein wird. Er wollte keine schmerzhafte Trennung am Ende.
 

Heute wiederholte sich alles wieder: sie aßen einhändig, besuchten den Naruto-Club und dann noch das Schulsekritariat. Die Sekretärin guckte sie schräg an, sagte aber nichts. Naruto wurde davon richtig genervt. Auf dem Rückweg durfte Sasuke ein Vortrag darüber hören, dass es unnormal sei, worauf der Uchiha antwortete, dass eine Beziehung im schulischen Alter als inakzeptabel gilt, besonders an dieser Streberschule. Naruto verdrehte die Augen und sie liefen weiter.
 

„O-o…“, fing Naruto vorsichtig an.

„Was?“

„Ich muss aufs Klo.“

„Na dann geh. Ich warte draußen.“

„Dann hast du aber verloren, ne?“ Naruto lächelte.

„WAS?!“

„Ja-ja…“

„Ach komm schon!“, fing Sasuke an. „Soweit müssen wir es echt nicht treiben!“

„Ich würde aber mit dir mitkommen“, Naruto grinste erneut.

„Oh Gott, bist du eklig!“ Sasuke verzog das Gesicht. „Du bist ja verrückt!“

„Tja, ich mach alles für einen Sieg!“

„Weißt du was?“

„Was?“
 

Sasuke überlegte kurz und ließ wütend ab:
 

„Verdammt! Na dann komm ich halt mit!“

„Haha!“ Naruto fing an zu lachen. „Kannst nicht verlieren, was?“

„Nein… so ne Scheiße“, murmelte Sasuke.

„Wortwörtlich“, fügte Naruto hinzu.

„Verdammt, musst du etwa…“

„Nein!“ Naruto lachte mal wieder. „Wollt dich nur verarschen.“

„Hat aber viel zu gut funktioniert“, murmelte der Uchiha unzufrieden.

„Kommst du also wirklich mit?“, hackte Naruto nochmal nach.

„Ja.“

„Du kannst noch aufgeben.“

„Würd ich ja gerne! Aber ich bin leider viel zu gewinnversessen, also geh ich stattdessen mit. Selbst wenn es super eklig ist.“

„Wow, wie reflektierend!“ Naruto kicherte.

„Hör auf, Schwachkopf! Du bist auch so!“

„Tja, ich würd ja an deiner Stelle aufgeben…“, merkte der Uzumaki an.

„Was?! Du meintest doch vor fünf Minuten, dass du mitkommen würdest!“

„Ich sagte doch «an deiner Stelle». In der umgekehrten Situation wäre ich auf jeden Fall mitgekommen!“

„Na siehst du! Du bist genauso!“

„Deswegen passen wir ja so gut zusammen…“
 

Der letzte Satz klang viel zu ernst für Sasukes Geschmack. Naruto schaute ihn in dieser Sekunde auch anders an. Seine Augen grinsten nicht mehr hinterhältig wie sonst. Sie schauten liebevoll und sanft. Sasuke wusste gar nicht, dass Naruto auch so zart zu ihm sein kann. Dem Uchiha wurde an der Stelle unangenehm.
 

„Hey! Wir sind kein Paar“, sprach der Junge strikt aus.

„Wie du sagst…“ Und schon grinsten Narutos Augen hinterhältig.

„Nein, jetzt ernsthaft.“ Sasuke wollte unbedingt deren Beziehungsstatus klarstellen.

„Ja-ja, ich widerspreche nicht. Wir sind kein Paar.“
 

Obwohl es genau das war, was Sasuke hören wollte, klang es nicht so, wie es klingen sollte.
 

„Ich meine es so wie ich es sage“, ließ Sasuke nicht los.

„Ja-ja, ist okay. Guck, wir sind angekommen.“ Naruto wechselte das Thema. „Du kannst noch aufgeben, Muffin.“ Sasuke spürte, wie Naruto die Zeit herauszögerte. Ihm war es eindeutig unangenehm und der Uchiha fand es unterhaltsam.

„Du ja eigentlich auch.“

„Ne, das ist keine Option. Wenn, dann musst du es machen.“

„Nö“, zog der Uchiha in die Länge. „Geh schon.“

„Na gut…“ Naruto atmete kräftig durch und wagte einen Schritt hinein.
 

Zum Glück war keiner drin. Die Jungs gingen zögerlich zur letzten Kabine durch und Naruto ging rein. Die Tür ließ einen kleinen Spalt, durch den Sasuke Narutos Hand halten konnte. Der Junge stützte sich mit dem Rücken ab und wendete sein Gesicht ab.
 

„Letzte Möglichkeit aufzugeben“, hörte Sasuke von Innen.

„Dito. Letzte Möglichkeit“, hallte er nach.

„Überleg‘s dir“, befahl der Blonde.

„Überleg‘s du dir“, Sasuke konterte.

„Na gut…“

„Mach’s einfach. Je eher du anfängst, desto eher ist es vorbei.“

„Willkommen zur Minute der Weisheit mit Sasuke Uchiha!“, sprach der Blonde aufgeregt aus. „Möchten Sie vielleicht noch etwas sagen?“

„BEEIL DICH, VERDAMMT!“, ließ Sasuke wütend ab.

„Okay…“
 

Für eine ganze Weile passierte nichts. Eine absolute Stille herrschte. Sasuke spürte, dass sich Naruto überhaupt nicht bewegt.
 

„Bist du da drin etwa gestorben?“, rief er rein.

„Natürlich nicht! Es ist verdammt peinlich!“

„Na dann gib einfach auf! Dann lass ich dich in Ruhe!“
 

Naruto kam stumm raus und guckte Sasuke bettelnd an.
 

„Bitte, Muffin, mach du es! Gönn‘s mir!“, stöhnte der Uzumaki erschöpft. „Ich platze gleich!“

„Ich hab für dich nur ein Wort — Selbstschuld.“ Sasuke genoss mal wieder, dass er volle Kontrolle über Naruto hatte. Jetzt war er an der Reihe mit dem hinterhältigen Grinsen. Tja, am besten lacht derjenige, der es zuletzt tut.

„OH MANN!“, rief der Uzumaki aus. „Kannst du nicht ein Mal nett zu mir sein?!“
 

Mit diesen Worten trafen sich ihre Blicke. Sasuke las in den himmlischen Tiefen eine leichte Verzweiflung. Na gut, für heute hat er sich genug an Narutos Leid ergötzt. Wahrscheinlich sollte er wirklich ein Mal nett zu ihm sein.
 

„Ich warte draußen.“ Der Uchiha ließ die warme Hand los und ging weg.
 

Nach fünf Minuten kam der Uzumaki raus und verkündete stolz mit übergroßem Grinsen im Gesicht:
 

„Puuuh, ich bin offiziell neu geboren!“

„Das war aber eine schwere Geburt.“ Sasuke kicherte.

„Hä? Wen höre ich da labbern?“ Naruto senkte sein Ohr spielerisch zu Sasuke und machte ein überraschtes Gesicht. „Ach! Das ist doch Mister Verlierer!“ Uzumaki führte seinen Siegestanz vor: „Du hast verloren! Du hast verloren!“

„Pfff! Ich hab nicht verloren, ich hab dich verschont, du Schwachkopf!“, warf der Uchiha unzufrieden und begab sich in Richtung des Ausgangs.

„Schwachkopf?“, fragte Naruto nach. „Und was ist aus «Sonnenschein» geworden?“

„Ha! Als ob du es dir heute verdient hast!“

„Verdiene ich es vielleicht, wenn ich dich nach Hause bringe?“
 

Naruto lächelte Sasuke warm an. Der Uchiha wusste sofort, warum Naruto es annahm. Die letzten drei Abende nannte Sasuke ihn so beim Verabschieden. Vermutlich hoffte Naruto, dass diese Glückssträhne noch nicht vorbei ist. Der Schwarzhaarige bekam dabei dieses komische Gefühl im Bauch. Obwohl er heute das Spiel nicht rechtmäßig verlor, genoss er den Tag trotzdem. Und ja, es lag an diesem blonden Jungen, der ihn die letzten 15 Sekunden bettelnd anguckte. Sasuke wollte die letzten möglichen 45 Minuten mit diesem Schwachkopf verbringen. Na und? Wen kümmert‘s schon! Außerdem wollte Naruto selbst seine Begleitung spielen. Dann sind doch alle zufrieden, oder?
 

„Vielleicht“, ließ Sasuke geheimnisvoll ab.

„Na gut, dann komm ich mit!“ Narutos Augen leuchtete märchenhaft auf. Sasuke sah darin eine unverfälschte kindische Freude. Der Uchiha grinste.
 

Heute liefen die Beiden ohne einander bei der Hand zu halten. Auch in den öffentlichen wurde es weniger kuschelig. Naruto achtete plötzlich auf Sasukes persönlichen Grenzen. In der Bahn saßen sie sogar auf gegenüberliegenden Bänken. Sasuke fragte warum der Uzumaki auf einmal so anders tickt. Dem Uchiha fehlte der blonde Kopf auf seiner Schulter. Während der vergangenen zehn Tage gewöhnte sich der Junge daran. Nach einem zehnminütigen Fußweg erreichten sie die Uchiha Residenz. Sie blieben stumm vor dem Tor stehen. Keiner sagte was. Die letzten drei Abschiede verliefen genauso komisch. Sasuke hasste diesen Moment.
 

„Na gut, Muffin…“ Naruto wagte sich als erstes etwas zu sagen. So wie die vergangenen drei Abende auch. „Dann bis morgen?“

„Bis morgen!“

„Hey, und wo bleibt «Sonnenschein»?“

„Heute mal ohne.“

„Ernsthaft?“

„Ja, ernsthaft.“

„Und wenn ich so mache…?“
 

Naruto lehnte sich nach vorn und neigte den Kopf etwas nach links. Seine Lippen öffneten sich leicht und er legte seine Arme um Sasuke unauffällig herum.
 

„Fass mich nicht an, die Wette ist schon vorbei.“ Sasukes Befehl klang etwas ängstlich.

„Das bin ich dir trotzdem schuldig…“
 

Mit diesen Worten verkürzte der Uzumaki die Distanz zwischen ihnen noch ein bisschen. Und dann noch ein bisschen. Und noch ein bisschen… er machte es so lange, bis sich ihre Lippen aufeinandertrafen. Sie verschmolzen zu einer Einheit. Diesmal war Naruto nicht untätig und dadurch fühlte sich das Küssen sofort viel romantischer an. Sasuke war darauf eigentlich nicht vorbereitet und es haute ihn komplett um. Seine Sinneswahrnehmung wurde komplett durcheinandergebracht. Sein gesamtes Wesen war in diesem einen Augenblick nur auf Naruto eingestellt. Sasuke schloss die Augen. Im Moment war die Umgebung eher störend. Er wollte im vollen Umfang genießen, wie diese weichen Lippen ihn immer und immer wieder küssten; er wollte jede Bewegung dieser feuchten Zunge spüren und nachmachen; er wollte sicher stellen, dass jedes kleine genüssliche Hauchen seines Gegenübers nicht unbemerkt bleibt; er wollte sich in Narutos starken Armen vor der restlichen Welt verstecken um diesen blonden Schwachkopf noch etwas länger küssen zu können; und dann noch etwas länger; und noch ein bisschen; und noch ein wenig…
 

Kaum fing es an, war es bereits vorbei. Naruto stand plötzlich akzeptabel weit weg. Auf einmal wurden die persönlichen Grenzen wieder wichtig. Oh Gott, warum haute er denn ab?! Was soll das?! Sasuke wollte noch gar nicht aufhören. Narutos Eile verwirrte ihn und machte ein wenig sauer.
 

„…den ersten hab ich ja nicht erwidert“, Naruto beendete wispernd den Satz, von dessen Existenz Sasuke mittlerweile vergaß.

„Sind wir jetzt quitt?“ Die Aussage klang ein bisschen aggressiver als sie gemeint war.

„Ähm… ich denk schon“, sprach der Blonde zögerlich aus.

„Prima.“

„Dann bis morgen, ja?“

„Ja, bis morgen.“
 

Naruto drehte sich um und lief zurück zum Bahnhof. Sasuke blieb stehen. Er wollte dem Blonden noch ein bisschen hinterhergucken. Er war erfüllt mit Freude und ein wenig traurig, dass der Kuss schon vorbei ist. Sein Herz klopfte wie verrückt gegen seine Rippen. Die Schmetterlinge in seinem Bauch waren ekstatisch. Jetzt erst konnte er dieses komische Gefühl richtig identifizieren. Ja, er hat sich sowas von in diesen Idioten verliebt! Er hat sowas von den Krieg verloren! Na und? Selbst wenn, interessierte es Sasuke nicht mehr.
 

„Naruto!“, rief er dem Blonden hinterher. Uzumaki drehte sich um und blieb stehen. „Du bist ein Sonnenschein!“, fügte Sasuke hinzu.

„Haha!“, Naruto fing an zu lachen. „Und du bist ein Muffin!“ Uzumaki überlegte kurz und sagte: „Nein, du bist mein Muffin!“
 

Die Jungs starrten sich eine Weile an. Sasukes Herz flimmerte. Plötzlich lief Naruto auf ihn entschlossen zu. Der Schwarzhaarige wurde deswegen etwas unruhig. Was will er denn? Schon war der Blonde in seiner unmittelbaren Nähe.
 

„Komm her“, Uzumaki legte die Arme um Sasuke herum.

„Was hast du eigentlich vor?“, ließ Sasuke leise ab.

„Das hier…“
 

Und dann küssten sie sich erneut.

Naruto und Sasuke hingen in einem undefinierbaren Etwas mit einem Krieg, ständigen Streitereien und seltenen sinnlichen Zungenküssen schon seit zwei Wochen. Sie waren immer noch kein Paar. Heute hatten die Jungs trotzdem ein „Keindate“. Es sah wie ein Date aus, war aber keins, weil es sich dabei um einen verpflichtenden Besuch eines Schulfestivals handelte. Sasuke fand letzte Woche raus, dass seine Klasse seit dem Anfang des Jahres eine überaus wichtige Mission austrug. Die Schüler mussten dem Neuankömmling hiesige Kultur nur von den schönen Seiten präsentieren. Anscheinend gelten die Schulfestivals als etwas schönes, warum auch immer. Sasuke mochte diese Veranstaltungen noch nie. Und jetzt muss er mit Uzumaki dahin. So sagt irgendein mysteriöser Plan, den der Uchiha noch nie zu Gesicht bekam. Beim Versuch die Sache aufzuklären, fühlte es sich so an, als hätten sich alle gegen ihn verschworen, weil alle die Legende von der Neuankömmlingbetreuung ziemlich brav befolgten. Wahrscheinlich machten alle mit, damit dieses Keindate zustande kommt. Ob es eine Verschwörung gab, oder nicht, ob der Plan existierte, oder nicht, war egal. Der Uchiha musste diesen unglaublich kostbaren Sonntag auf Naruto opfern. Sein Bruder wurde spontan auf eine Dienstreise nach Hause geschickt und Sasuke würde lieber den Tag zuhause mit Itachi verbringen. Besonders weil der Uzumaki auch nicht besonders begeistert von dem Festival war. Sie hingen hier bereits seit zwei Stunden rum, besuchten schon alle Essensstände und viele Klassenräume mit diversen Unterhaltungen. Der Blonde beschwerte sich ununterbrochen, gehen wollte er aber trotzdem nicht. Also musste sich Sasuke etwas einfallen lassen.
 

„Sasuke-chaaaaan! Lass uns lieber in den Innenhof gehen und knutschen! Das macht viel mehr Spaß!“

„Nein.“

„Wieso?“, jammerte der Uzumaki rum. „Wir küssen uns doch ziemlich gerne!“

„Überhaupt nicht!“, stritt Sasuke etwas verlegen ab und fing dabei Narutos hinterhältige Grinsen. „Und außerdem wenn es so öffentlich ist, ist mir so oder so nie danach.“

„Das heißt also, wenn ich eine geheime Ecke finde, darf ich dich dann dahin locken und küssen?“

„Wenn ich dich in diesem Moment küssen möchte und mir die Ecke gefällt, vielleicht könntest du mich umstimmen…“ Sasuke sah, wie Naruto bei diesen Worten buchstäblich aufleuchtet.

„Herausforderung angenommen!“, verkündete der Blonde stolz. Sein Gesicht wurde sofort nachdenklicher. Er generierte bereits Ideen.
 

Sasuke lächelte. Er fand den Uzumaki in diesem Moment unglaublich süß.
 

„Dann lass uns aufs Dach gehen, da ist es immer schön.“ Naruto kam schon mit dem ersten Vorschlag an.

„Nein, ausgeschlossen“, wendete der Uchiha ein.

„Wieso denn?“

„Hast du nicht gehört? Der Literaturclub macht da eine Lesung…“

„Oh nein! Wie lahm! Na gut, dann auf zum Innenhof!“

„Das hast du schonmal vorgeschlagen und das hab ich schonmal abgelehnt. Also nein.“

„Na gut, dann Klo im dritten Stock.“

„Mir gefällt die Ecke nicht.“

„Wieso denn?!“

„Die stinkt! Deswegen!“

„Oh Mann, warum muss ich deine komischen Ansprüche berücksichtigen?!“ Naruto jammerte.

„Weil du mit mir knutschen willst und nicht andersrum“, merkte Sasuke belehrend an.

„Es ist gefühlt nie andersrum…“
 

Der letzte Satz klang auf einmal sehr melancholisch. Kaum konnte Sasuke etwas dazu einwenden, fuhr Naruto fort:
 

„Sorry, hab ein bisschen zu laut gedacht. Also, wo können wir sonst hin? Was hältst du von den Schränken mit den Schuhen? Man kann sich dort sehr schön verstecken.“ Naruto wechselte schleunigst das Thema. Anscheinend stieß Sasuke ungewollt auf etwas, was dem Blonden unangenehm war. Der Uchiha hackte nicht nach.

„Die Ecke gefällt mir auch nicht.“

„Ach komm schon!“

„Nein! Nicht privat genug!“

„Versteh nicht was du willst…“ Naruto seufzte. „Man kann sich doch bei diesem Festival in jedem denkbaren Loch verstecken! Jedes Klassenzimmer hat ja irgendeine schräge Installation oder so…“
 

Plötzlich sah Sasuke in Echtzeit, wie Naruto auf eine, seiner Meinung nach, brillante Idee kommt. Der Blonde grinste übermäßig und seine blauen Augen strahlten ein magisches Licht aus.
 

„Ich weiß was wir machen! Wir spielen verstecken! Der eine sucht eine privat genuge und nicht stinkende Ecke aus und der andere muss ihn dann finden.“

„Das ist die dümmste Idee, die du je generiert hast, Uzumaki“, Sasuke hob eine Augenbraue hoch.

„Ja, ich weiß! Und genau darum ist sie toll!“, fügte der Blonde lebhaft hinzu.
 

Sasuke fing an herzlich zu lachen.
 

„Ach, Naru, du bist so witzig!“, presste Sasuke durch den Lachanfall aus. „Na gut, wir spielen verstecken.“

„Dann lass uns vielleicht ein paar Regeln klären.“

„Okay?“

„Ich dachte, dass man sich fünf Hinweise per Handy holen darf und dass man das Schulgebäude nicht verlässt. Klingt es fair?“

„Ja, klingt sinnvoll.“

„Na gut, dann fängst du an. Ich geb dir 10 Minuten Zeit.“
 

Sasuke rannte los. Der Junge wusste nicht, wo er hin soll. Er lief planlos durch die Korridore und fand nichts passendes. Er dachte zunächst an einen Putzmittelschrank, aber es wäre superpeinlich irgendwo wortlos in einen Putzmittelschrank zu steigen. Wie würde es denn aussehen? Vermutlich sehr schräg. Eine andere vergleichbar private Alternative kam Sasuke nicht auf die Schnelle. Er rannte blind durch das Schulgebäude in der Hoffnung auf die perfekte Ecke zu stoßen.
 

Mittlerweile verblieben es nur noch 60 Sekunden und Sasuke wurde leicht verzweifelt. Er musste jetzt handeln. Der Junge rannte kurzerhand in den ersten Raum und hoffte auf ein Wunder. Und natürlich hatte er überhaupt kein Glück. Drin bat jemand ein Malkurs an, welches überhaupt nicht gut besucht war. Eigentlich war überhaupt keiner drin außer den Künstlern und dem aufgewühlten Sasuke Uchiha. Der Junge verspürte einen mächtigen Adrenalinrausch, als er, die Menschen ignorierend, auf den Putzmittelschrank entschlossen zulief und sich da hastig einschloss. Oh Gott, wie peinlich! Wahrscheinlich dachten die drei Schüler, dass Sasuke total durchgeknallt ist. Und wahrscheinlich stimmte es auch. Aber nichtsdestotrotz war diese ganze Sache ziemlich aufregend. Sasukes Handy vibrierte und er bekam eine Nachricht von Naruto:
 

„Ich geh dich suchen. Gib mir bitte die ersten drei Hinweise“
 

Der Schwarzhaarige überlegte kurz. Er wollte nicht zu viel und nicht zu wenig verraten.
 

„Ich bin in einem Raum, der sich in einem anderen drin befindet. Hier ist es eng und dunkel. Ich bin aber nicht ganz allein hier“

„Oo“, kam als Antwort zurück. „Das wird lange dauern“
 

Die ersten fünfzehn Minuten waren immer noch richtig aufregend. Sasukes Herz pochte jedesmal, als jemand zum Schrank kam. Er dachte, vielleicht hat der Blonde ihn endlich gefunden. Aber jedesmal war es eins der drei verwirrten Schüler. Naruto verbrauchte seine fünf Hinweise und ist schlussendlich drauf gekommen, dass der Uchiha in einem Putzmittelschrank sitzt. Wahrscheinlich jetzt ist es nur noch Frage der Zeit, bis der blonde genau diesen entdeckt.
 

„Gefunden!“
 

Die Metalltür ging so plötzlich auf, dass Sasuke vor Überraschung zusammenzuckte. Vor ihm saß der fröhliche Blonde und grinste ihn an.
 

„Du hast aber echt lange gebraucht“, warf Sasuke wertend.

„Ich weiß, aber jetzt hab ich dich!“
 

Naruto packte Sasuke an den Handgelenken fest und kam etwas näher.
 

„Ich möchte meinen Preis abholen“, wisperte der Blonde geheimnisvoll.

„Ich glaub, sie gucken“, erwiderte Sasuke verklemmt. Die Präsenz der drei Schüler verunsicherte den Schwarzhaarigen total.

„Den ist egal, was wir hier machen. Komm her.“ Naruto versuchte Sasuke zu küssen, aber er konnte ausweichen.

„Es ist mir trotzdem unangenehm.“

„Na gut, dann halt nicht.“ Naruto ließ seine Handgelenke los und warf überheblich: „Eine Scheißecke hast du dir ausgesucht, Uchiha!“

„Haha, hast wohl recht!“ Da konnte Sasuke nur zustimmen.

„Na dann bin ich wohl dran, was?“

„Okay, deine zehn Minuten fangen jetzt an. Los!“
 

Naruto rannte energisch weg. Sasuke lächelte ihm verträumt hinterher. Ach, dieser Blonde ist schon süß, was? Bevor Sasuke den menschenlosen Malkurs verließ, entschuldigte er sich bei den drei Gastgebern und kaufte sich sogar einen Farbenkasten. Ihm war die Aktion immer noch peinlich. Aber das Spiel machte trotzdem Spaß. Er setzte sich wartend im Flur hin. Nach zehn Minuten schrieb er den Uzumaki an mit der Bitte nach einem Hinweis. Als Antwort kam nur ein einziges Wort: „gewinnversessen“.
 

Sasuke war zunächst verwirrt. Gewinnversessen? Wieso gewinnversessen? Hmmm… warte mal!
 

…ich bin leider viel zu gewinnversessen, also geh ich stattdessen mit. Selbst wenn es super eklig ist.
 

Sasuke erinnerte sich an das Berührspiel von vor zwei Wochen. Ach ja, Naruto meint das Klo im dritten Stock. Wie unkreativ! Der Uchiha lief entschlossen dahin und bingo! Naruto saß in der letzten Kabine.
 

„Ich hab dich! Komm raus!“, rief Sasuke laut.

„Nein! Ich bin nicht Naruto!“, kam von innen. Naruto sprach in einer höheren Stimme als sonst.

„Hör auf!“

„Na gut.“ Naruto kam raus.

„Du hattest die ganze Schule, warum musstest du dich ausgerechnet im dreckigsten Klo verstecken?“

„Weil hier keiner hingeht. Drei Leute im einem riesigen Raum hinter einer undurchsichtigen Schranktür haben dich ja gestört.“

„Pfff! Es war viel zu hell, okay?“
 

Der Junge legte seine Arme um Sasuke herum und zog ihn zu sich hin.
 

„Du willst doch jetzt nicht ernsthaft hier knutschen, oder?“, fragte Sasuke mit Verdacht.

„Doch, genau das habe ich vor.“

„Na dann müsstest du mich aber richtig schnell finden!“ Sasuke entriss aus Narutos Halt und rannte los.

„Hey, Muffin! Unfair!“, warf Naruto hinter.

„Ich such für uns diesmal ein gutes Versteck, okay?“

„Gib dir aber Mühe!“
 

Sasuke rannte mal wieder durch die Schule und plötzlich bemerkte er einen Klassenraum mit der Aufschrift „Zauberwald“. Der Zauberwald bestand aus einer Strecke aus Hindernissen und einem kleinen Café. Er schien ursprünglich für Kinder im Grundschulalter gedacht zu sein. Die Strecke war leer. Im Gegensatz dazu war das Café sehr gut besucht, aber nicht von den Grundschulkindern, sondern von den betrunkenen Oberschülern. Im Raum roch es stark nach Alkohol. Die Waldbewohner bemerkten den schwarzhaarigen Eindringling gar nicht. Sie waren in eine sehr lebhafte Diskussion über Politik involviert. Sasuke sah ein großes Stoffrohr, durch das man krabbeln sollte. Allgemeine Stimmung spielte direkt in Sasukes Hände — und so wurde das perfekte Versteck entdeckt. Keiner bemerkte, wie ein fremder Junge in das Stoffrohr hineinkrabbelte und sich dort halbliegend ausbreitete. Perfekt!
 

Naruto meldete sich, nachdem die Zeit abgelaufen ist:
 

„Hinweis?“

„Wie viele?“

„2“

„In einem Wald gibt es ein Rohr, da bin ich drin.“

„Ähm… gib mir noch einen Hinweis.“

„Bin umgeben von betrunkenen Waldtrollen.“

„Oh, hört sich spannend an. Ich geh mal suchen“
 

Sasuke lag gefühlt eine ganze Ewigkeit im Stoffrohr. Die Diskussion wurde in der Zwischenzeit nicht weniger lebhaft. Es schien, als werden sie noch eine ganze Weile beschäftigt sein. Sehr schön! Aber Sasuke musste schon zugeben, dass sich die Veranstalter Mühe gegeben haben. Der Wald machte einen märchenhaften Eindruck durch eine warme sanfte Beleuchtung und eine wunderschöne Deko. Sasuke betrachtete die Umgebung, hörte der Diskussion zu und wurde dabei schläfrig. Vom Blonden war noch keine Spur. Der Uchiha döste ein.
 

„Hier bist du ja!“
 

Die laute Stimme von Naruto unterbrach Sasukes friedliches Schlummern. Uzumakis Gesicht entstand auf einmal direkt vor seinem.
 

„Endlich hab ich dich! Ich hab fast vierzig Minuten nach dir gesucht“, beschwerte sich der Blonde. „Aber das hier ist wirklich ein sehr gutes Versteck. Hast du gut gemacht, Muffin.“
 

Naruto biss sich auf die Lippe und kam noch näher. Jetzt verging Sasukes Schläfrigkeit vollständig und er verstand plötzlich, dass Naruto mindestens zu 50 Prozent auf ihm liegt. Im Stoffrohr gab es nicht viel Platz und der Blonde musste quasi direkt auf seinem Schoß sitzen. Nur wenige Zentimeter und Narutos Ellbogen trennten deren Oberkörper voneinander. Sasuke spürte Narutos sanfte Wärme trotzdem am ganzen Körper und an den Oberschenkel besonders gut. Der Uzumaki war ganz schön durcheinander wegen der anstrengenden Suchaktion. Er lächelte dennoch herzlich und ein wenig dümmlich. Sein Gesicht drückte eindeutig aus, dass er richtig peinlich verknallt ist und jetzt das Objekt seiner Verliebtheit betrachtet. Das warme rosa-grüne Licht umrahmte dieses fröhliche Gesicht so, dass seine Haut märchenhaft leuchtete. In seinen blauen Augen brannte ein wildes leidenschaftliches Liebesfeuer, das Sasuke wie einen verirrten Falter anlockte. Sasuke konnte seinen Blick von diesem mysteriösen Fabelwesen nicht nehmen. Er war verhext. Er wollte in dieser Sekunde nur ihn. Alles andere hörte für ihn auf zu sein.
 

„Ich will dich küssen“, wisperte der Uzumaki leise.
 

Sasuke antwortete nichts. Stattdessen führte er seine Hand in die weizenfarbenen Locken hinein und drückte Narutos Kopf zu sich hin. Und oh Glück! Narutos Lippen landeten direkt auf seinen eigenen.
 

„Wetten, dass du keine weitere Sekunde so aushältst?“, sagte Sasuke mit Naruto Lippen auf seinen eigenen und grinste.

„Richtig, Muffin. Darauf wette ich nicht“, erwiderte Naruto und fuhr mit einem Kuss fort.

„Wie schön! Ich hätt’s auch nicht ausgehalten.“
 

Die Jungs küssten sich für eine ganze Weile. Mittlerweile sah es mehr nach Rummachen aus. Sasuke dachte nicht, dass er je wieder etwas schlimmeres als die letzte Begleitung nach Hause mit fünfzehnminütigen öffentlichen Rumknutschen erlebt. Und tja… hat nicht besonders lange gedauert, bis es so ins Verderben abrutschte. Am Boden liegend, umgeben von unbekannten betrunkenen Jugendlichen, machte Sasuke tatsächlich mit einem seiner Mitschüler rum. Ist es nicht krass?! Unter keinen sonstigen Umständen würde sich der stolze Uchiha so eine niedere Aktion erlauben, als unter diesen. Denn Sasukes Verlangen war in dieser Sekunde stärker als alles andere. Und darin bestand die einzigartige Uzumaki-Magie.
 

„Hey, ihr zwei! Wir haben Kinder hier, die darin wollen! Verschwindet gefälligst!“, verkündete eine betrunkene Stimme.

„Okay, kein Problem!“, meldete sich Naruto sofort. Sasuke war so betäubt von Glückshormomen, dass er erstmal untätig blieb. „Muffin, komm! Wir müssen raus hier.“
 

Naruto zog den Schwarzhaarigen raus und schon saßen beiden Jungs draußen. Es war bereits dunkel. Das Festival neigte sich dem Ende zu.
 

„Wo wollen wir jetzt hin?“, fragte der Uzumaki involviert.

„Nach Hause?“ Sasukes Vorschlag klang wie eine Frage.

„Wieso denn nach Hause?“

„Na ja, es ist spät und die Veranstaltung ist eh gelaufen… von daher…“
 

Naruto schloss Sasuke in eine Umarmung ein.
 

„Heeey…“, sprach Sasuke etwas faul ein. Er versuchte den Blonden wegzuschieben.

„Was denn? Willst du nicht mehr?“

„Nein, nicht wirklich…“

„Na gut, dann nicht.“ Naruto verstummte und ließ den Schwarzhaarigen los. Die beiden Jungs schwiegen sich einige Minuten an. „Schade eigentlich, ich würde dich so gerne ans Ende der Welt entführen“, sprach der Uzumaki melancholisch und etwas verträumt aus und fügte scherzend hinzu: „Oder halt zu mir nach Hause, das würde ja schon reichen.“

„Ist es etwa eine Einladung?“ Sasuke Stimme klang gewollt verdächtig. Aber eigentlich wusste der Junge nicht, ob er möchte, dass diese kleine Anmerkung als eine Einladung gemeint war.

„Nein, nur laut gedacht. Sorry, meine Zunge ist heute viel schneller als mein Gehirn, ich schaff sie nicht aufzuhalten.“

„Ist es nicht immer so?“, Sasuke kicherte.

„Nein, überhaupt nicht.“ Narutos blaue Augen wurden plötzlich sehr ernst. „In meinem Kopf herrscht Chaos, weil ich an alles gleichzeitig denke. Wenn ich das alles an dir auslassen würde, wäre es wahrscheinlich sehr brutal.“

„Woran denkst du so zum Beispiel?“

„Ach, an alles mögliche… ich möchte dich wirklich nicht damit belasten. Belassen wir es bitte dabei, okay?“

„Na gut…“
 

Die Jungs liefen jetzt zur Bushaltestelle ohne sich dabei zu unterhalten. Sasuke guckte Naruto heimlich an. Der Blonde machte einen ganz gewöhnlichen Eindruck. Vielleicht wirkte er ein wenig abwesender als sonst. Sasuke bekam trotzdem ein brennendes Verlangen herauszufinden, woraus das Chaos in diesem blonden Kopf besteht. Was beschäftigt Naruto? Welche Sorgen verstecken sich hinter den sonnigen Locken? Was hält der Uzumaki von ihm, wenn er ganz-ganz ehrlich ist? Der letzte Part interessiere Sasuke besonders. Mittlerweile war sich der Uchiha sicher, dass Naruto in ihn total verliebt ist. Aber möchte er eine Beziehung? Sasuke selbst wusste überhaupt nicht, wo diese Spielchen eigentlich hinführen.
 

Mittlerweile erreichten die Jungs die Haltestelle. Sie hatten Glück, weil der Bus ziemlich zügig kam. Während der Fahrt zum Bahnhof wurde der Uzumaki wieder belebter. Er teilte seine Eindrücke vom Festival mit, aber Sasuke hörte mit einem halben Ohr zu. Er sah diesen quatschenden Ausländer und fragte sich, was hinter der fröhlich unbesorgten Fassade nun wirklich steckt. Dem Uchiha wurde bewusst, dass er diesen mysteriösen Jungen überhaupt nicht kennt. Was ist seine Geschichte? Warum kann er Sasukes Sprache so gut? Warum interessierte er sich für sein Land überhaupt? Wie sah sein Werdegang zum Profitänzer aus? Wie funktioniert bei ihm zuhause das Schulsystem? Und seine Familie? Sind die Uzumakis auch so verrückt wie die Uchihas? Hat er vielleicht Geschwister? Haustiere? Was machen seine Eltern beruflich? Wohnt er in einem Haus oder in einer städtischen Wohnung? Welches Land gefällt ihm eigentlich besser? Auf all diese Fragen wusste der Uchiha keine Antworten. Alles, was Sasuke wusste, war, dass Naruto in manchen Hinsichten genauso ist wie er selbst: er ist gewinnversessen, stur und mag eine gute Auseinandersetzung im Namen der Wahrheit. Und dass sie in einander total verliebt sind.
 

Am Bahnhof hatte Sasuke ebenfalls Glück, seine Bahn kam beinahe sofort. Er verabschiedete sich von Naruto, diesmal ohne ihn geküsst zu haben. Und dann fuhr er weg. Die Bahnfahrt verging unglaublich nachdenklich. Sasuke erinnerte sich plötzlich an einige komische Aussagen, die Naruto über ihn ab und zu abließ:
 

Bist du eine kleine Tsundere oder hat es einen bestimmten Grund?
 

Ja, verdammt! Ich bin halt in dich verknallt! Und da tue ich manchmal dumme Sachen! Tut mir halt leid, okay?
 

Hä? Wie nicht mein Problem! Du machst doch dasselbe mit mir! Es verletzt mich ein bisschen; oder so… sorry, das war gerade echt schräg. Tun wir so, als hätte ich es nicht gesagt, okay?
 

Nein, du bist mein Muffin!
 

Bin ich wirklich ein Sonnenschein? Wenn ja, dann würde ich mich sehr darüber freuen.
 

Es ist gefühlt nie andersrum.
 

Am liebsten würde ich dich ans Ende der Welt entführen; oder halt nach Hause, es würde ja schon reichen.
 

Sorry, hab ein bisschen zu laut gedacht…
 

Ach, an alles mögliche… ich möchte dich wirklich nicht damit belasten. Belassen wir es bitte dabei, okay?
 

Heute Abend überlegte Sasuke noch lange, als was Naruto ihn nun ansieht. Er vermutete alles mögliche von der Liebe des Lebens bis zu einem seltsamen Spielzeug. Aber als er sich an all die komischen Aussagen erinnerte, wurde die erste Variante plötzlich wahrscheinlicher. Uzumakis kleine Ausrutscher erklungen fast jedesmal mit einer hauchdünnen sanften Traurigkeit. Aber mit Sicherheit wusste Sasuke es nicht. Naruto direkt zu fragen war ihm peinlich, weil es eine gewisse Ernsthaftigkeit implizieren würde. Der Junge war sich nicht sicher, ob er darauf vorbereitet war. Außerdem verliehe die Ungewissheit diesem komischen Miteinander eine angenehme Schärfe. Der Uzumaki war an sich im einem sehr positiven Sinne unberechenbar. Und dadurch, dass nichts fest stand, blieb die Atmosphäre zwischen den beiden sehr spannend. Sasuke wollte herausfinden, womit Naruto ihn beim nächsten Mal überrascht. Ob Naruto das hier für eine kurzlebige, aber feste Beziehung aufgeben möchte?
 

Wenn nein, dann ist alles klar.
 

Und wenn ja?
 

Was sollte der Uchiha dann machen? Denn mittlerweile war er in diesen blonden Jungen mit leuchtend blauen Augen so ziemlich unsterblich verliebt.

Sasuke musste während der gesamten nächsten Woche ans vergangene Wochenende zurückdenken. Besonders ans Schulfestival. Besonders ans Verstecken. Besonders an den Zauberwald. Besonders an das dünne Stoffrohr. Und ganz besonders daran, was sich da drin abspielte. Mmm, Naruto… Sasuke beleckte sich unbewusst die Lippen. Jetzt konnte sich der Junge nicht mehr belügen: Er ist in Echt hoffnungslos in den blonden blauäugigen Austauschschüler verliebt. Jetzt, wo er sich selbst diese zuvor zutiefst abstoßende Tatsache gestand, musste Sasuke feststellen, dass dieses Verliebtsein eigentlich überhaupt nicht abstoßend ist. Ganz im Gegenteil. Es ist ziemlich schön verliebt zu sein. Sasukes schwarzhaariger Kopf war voll von fluffigen Tagträumen, die die Schmetterlinge in seinem Bauch verrückt werden ließen. Am vergangenen Sonntag wurde ihm bewusst, dass er Naruto kaum kennt. Aber Sasuke war darüber überhaupt nicht traurig; er fand unglaubliches Vergnügen daran, über Uzumakis Leben stundenlang zu fantasieren. Der Uchiha erfand verrückteste Antworten auf die unzähligen Fragen zu Narutos Person. Zum Beispiel spricht Naruto so gut seine Sprache, weil er ein Kind von Exspionen ist, die ihm die Sprache aus Langeweile beigebracht haben. Die Uzumakis haben keinen festen Wohnort. Sie werden vom Staat verfolgt, weil sie wichtige Geheimnisse der Regierung herausgefunden hatten. Naruto ist hierhin aus Sicherheitsgründen geschickt worden. Er soll untertauchen, indem er sich als Austauschschüler ausgibt. Und dann darf er für immer hier bleiben, weil es in seinem Heimatland nicht sicher genug ist. Ja, er darf dann hier bleiben. Hier, bei Sasuke…
 

„Ich würde ihn so gern beschützen“, dachte sich der Uchiha kurz und atmete verträumt aus.
 

Ob die Theorie stimmt? Das konnte Sasuke diese Woche leider nicht rausfinden, denn Naruto tauchte während der Woche kein einziges Mal in der Schule auf. Sasuke schrieb ihn ein paar Mal an, aber keine Antwort kam. Wurde er vielleicht doch dem Interpol ausgeliefert? Ach, Quatsch! Wahrscheinlich ist er einfach krank geworden. Aber andererseits ist heute schon Freitag. Uzumaki fehlt bereits seit Montag. Hat er sich etwa was ernstes eingefangen? Nee, oder? Wie ernst kann es denn schon sein? Ist es etwa so ernst, dass er keine Nachricht schreiben kann? Entweder ist es eine sehr schlimme Krankheit oder vielleicht doch Interpol?! Nein-nein-nein!
 

Sasuke machte sich schon seit Mittwoch darüber Gedanken und jetzt brach der Zeitpunkt an, wo er sofort wissen muss, ob es dem Schwachkopf gut geht. Seine Finger tippten schon eine Kurznachricht zu Ende und schickten sie ab. Jetzt bleibt dem Uchiha nur noch Warten. Der Junge guckte nochmal aufs Handy — Funkstille. Sasuke seufzte.
 

Naruto, bitte melde dich doch einfach…
 

Die Stunde verging endlich. Die große Pause fing an. Sasuke schluckte sein Essen automatisch ohne es zu schmecken. Uzumakis Abwesenheit ging dem Jungen nicht aus dem Kopf. Der Oberschüler schaute zum aberhundertsten Mal aufs Handy.
 

Nichts.
 

Ach na ja.
 

Die Pause war fast zu Ende, als Sasuke den Klassenlehrer bemerkte. Er unterhielt sich mit der Präsidentin des Naruto-Fanclubs. Es geht bestimmt um Herrn Uzumaki, oder? Ja, natürlich ging es um Naruto und sein konsequentes Nichterscheinen. Anscheinend meldete er sich nicht offiziell krank. Was?! Der Klassenlehrer hatte anscheinend keine Ahnung, weil er die Infos ja vom Club holte. Aber der Club hatte auch keine Ahnung. Plötzlich wurde Sasuke richtig doll besorgt.
 

„Sieht so aus, als müsste jemand nachher bei Uzumaki-kun vorbeischauen. Könnte vielleicht einer der Clubmitglieder es netterweise machen?“, fragte der Lehrer das Mädchen. Sasuke wusste, dass es eigentlich seine Aufgabe war. Und es hörte sich so an, als hätte er heute überhaupt keine Lust sich um diesen Ausländer zu kümmern. Hmmm, witzig. Ist es etwa eine Chance sofort zu Naruto abzuhauen?

„Ich selbst kann nicht, aber es findet sich bestimmt jemand…“, erwiderte sie ausweichend.

„Ich könnte es machen.“ Sasuke mischte sich ins Gespräch ein. Ja, das war eine Chance. Er muss es nur noch so drehen, dass er jetzt gleich gehen darf. Herausforderung angenommen.

„Ach, das wäre sehr schön!“
 

Das Gesicht des Lehrers nahm diesen „Gott sei dank ist es geklärt und ich muss selbst nichts tun“-Ausdruck für einen kleinen Sekundenbruchteil an. Das Mädchen schwärmte vor Niedlichkeit und im Gegensatz zum Lehrer verheimlichte es überhaupt nicht. Sie war eine der stärksten Vertretern des verdammten NaruSasu-Zirkels und jetzt wurden ihre Wünsche quasi wahr. Sasuke hat sich ja schlussendlich in den dummen Uzumaki verliebt! Er macht sich sogar freiwillig und ziemlich öffentlich Sorgen um seinen Wohlbefinden! Er spielt doch dem Zirkel direkt in die Hände! Ach, ist es nicht egal? Hauptsache er findet raus, was mit Naruto los ist.
 

„Nohara-sensei, könnte ich vielleicht schon jetzt gehen?“, schlug Sasuke vor.

„Hmmm, aber dann verpasst du doch zwei Blöcke…“, ließ der Lehrer nachdenklich ab.

„Ja, es ist richtig. Aber Uzumaki-kun fehlt unentschuldigt seit Montag und keiner weiß was mit ihm ist. Ist es kein triftiger Grund?“, wendete Sasuke diplomatisch ein.

„Hmmm…“, summte der Lehrer nachdenklich.

„Außerdem ist seine Lage dadurch besonders, dass er ein Austauschschüler ist. Meines Wissens hat Uzumaki-kun keine erziehungsberechtigte Person hier zulande. Das heißt, während des Austausches ist die Schule für ihn verantwortlich. Also, wenn ihm etwas ernstes zustößt, sollte gerade die Schule davon schnellstmöglich erfahren, nicht wahr?“, fügte Sasuke selbstbewusst hinzu.

„Ja, du hast recht, Uchiha-kun. Was würdest du denn verpassen, wenn du jetzt gehst?“

„Mathematik und Englisch.“

„Na gut, Mathe ist in deinem Falle egal. Aber Englisch…“
 

Sasuke sah, wie sich der Lehrer buchstäblich entzweite. Einerseits hätte er früher was unternehmen müssen. Und wenn doch etwas Schlimmes mit dem Ausländer passierte, dann klebt es bestimmt für immer an ihm. Sasuke hatte also recht. Aber andererseits war Schüler vom Unterricht persönlich zu befreien überhaupt nicht Noharas Stärke. Was wenn auch dem blöden Jugendlichen unterwegs was zustößt? Ach, verdammte Kacke! Der innere Kampf von Nohara-sensei belustigte Sasuke schon ein bisschen.
 

„Ich melde mich sobald ich etwas über Uzumaki-kun rausfinde und arbeite die Englischstunde nach.“ Das war Sasukes letztes Angebot. Wenn Nohara-sensei nicht einwilligt, dann kann man ihn wohl mit nichts bestechen.

„Das Nachgearbeitete gibst du bitte Mitarashi-sensei ab.“

„Selbstverständlich.“ Ach ja, Erfolg! Sasuke war innerlich sehr froh über den Sieg, ließ es sich aber nicht anmerken.

„Und melde dich bitte schnellstmöglich, okay?“

„Natürlich.“ Sasuke fing somit an, seine Sachen zusammenzupacken.

„Uchiha-kun, danke.“

„Gern geschehen.“

„Pass auf dich auf, okay?“ Nohara-sensei seufzte.

„Ja.“

„Dann viel Erfolg!“

„Danke!“

„AAAAA! Sasu macht sich ernste Sorgen um Naru! Er will doch sofort zu ihm!“, schreien ein paar Mädchen nehmen ihm. Mittlerweile beobachten mehr Leute aus dem Zirkel das Geschehen. Sasuke kann es eigentlich alles egal sein. Er packte stumm weiter.
 

Die Tasche war mittlerweile vollständig gepackt. Der Uchiha schnappte sie und ging zum Ausgang. Ach ja, perfekter kann es nicht laufen! Er wird schnellstmöglich über Naruto Lage wissen und sogar mit der Lehrererlaubnis! Er muss nichts schwänzen! Super! Der Junge schaute nochmal auf sein Handy — nichts. Dieser Uzumaki, ey! Als ob er nicht mal eine kurze Nachricht schreiben kann! Hält er sich etwa für besonders wichtig oder ist doch etwas schlimmes vorgefallen? Sasuke wäre die erste Variante um einiges lieber. So würde sich keiner verletzt haben und er hätte nämlich einen legitimen Grund Naruto fertig zu machen.
 

Nach eine halbstündigen Fahrt war es so weit: Sasuke erreichte die Adresse, die sein Lehrer ihm gegeben hatte. Der Schwarzhaarige starrte stumm das Klingelschildbrett an. Er zögerte Uzumakis Klingel zu tätigen. Plötzlich besuchten Sasuke Bedenken anderer Art. Er vermisst diesen blöden Schwachkopf ziemlich doll. Er will wissen, wie es Naruto geht. Er macht sich Sorgen um seinen Wohlbefinden. Und genau deswegen taucht er hier unangekündigt auf.
 

Was wenn Naruto ihn überhaupt nicht sehen will?
 

Sasuke seufzte. Wenn das der Grund für Uzumakis Abwesenheit sein sollte, dann wäre der Uchiha ziemlich traurig. Allein der Gedanke daran fühlte sich irgendwie bitter an. Plötzlich wurde Sasuke bewusst, dass ihm zutiefst nicht egal ist, was jemand gewisses über ihn denkt. Wenn Naruto ihn jetzt wegschickt, verletzt ihn das sehr stark. Sowas hatte Sasuke noch nie erlebt. Hmmm, dieses Verliebtsein kann auch ziemlich belasten, oder?
 

Nun betätigte der Junge Narutos Klingel. Erstmal keine Antwort. Okay… nur fünf Sekunden sind vergangen. Es heißt noch nichts. Trotzdem raste Sasukes Herz mit unglaublichen Geschwindigkeit hin und her. Dieses Warten fühlte sich schon jetzt nach sieben Sekunden wie eine ganze Ewigkeit. Oh, Naruto, bitte beeil dich! Plötzlich knisterte es auch der Gegensprechanlage.
 

„Naruto, hier ist…“, fing der Junge an, aber es war unnötig. Die Tür summte bereits. Anscheinend wollte sein Gegenüber keine Konversation anfangen. Na gut… das heißt immer noch nichts, oder? So machen das doch einige, dass sie jedem die Tür aufmachen. Es könnte doch zu Naruto passen, oder? Oder?
 

Die Treppen in den dritten Stock fühlten sich ewig lang an. Währenddessen wurde Sasuke noch nervöser. Es wollte gar kein Nein. Er wollte, dass sich Naruto über sein Auftauchen freut. Er wollte, dass Naruto sich über ihn freut. Sasuke stellte sich eine sehr schnulzige Wiedersehensszene vor. Sowas gibt es vielleicht in einem billigen Romcom zu sehen. So eine mit einer sehr festen Umarmung und nervigem Labbern darüber, wie doll die zwei einander vermisst haben. Und dann würde die Frau auf den Mann vielleicht noch aufspringen und dann küssen sie sich ziemlich lange. Es muss natürlich nicht so dramatisch ablaufen, aber Sasuke wollte schon eine Bestätigung dessen, dass er Naruto auch gefehlt hatte. Obwohl er den letzten Part der gezeichneten Szene irgendwie witzig fand. Er würde schon gerne auf Naruto aufspringen. Und das mit dem Küssen wollte er auch.
 

Mittlerweile stand der Junge vor Uzumakis Apartment. Die Tür war zu. Das bedeutet auch nichts, weil Naruto einfach blind aufmachte. Aber trotzdem fühlte sich der Schwarzhaarige total unwillkommen. Diese verdammte verschlossene Tür machte ihn schon jetzt traurig. Sasuke wurde ein wenig wütend auf sich.
 

„Oh Mann! Uchiha, was soll das denn, ha?! Es nur eine fucking zugezogene Tür! Er hat mich ja blind reingelassen! Natürlich ist sie noch zu! Es heißt absolut nichts! Noch sonntags knutschte er mit mir fast öffentlich rum! Und übrigens er schien überglücklich darüber gewesen zu sein, ja! Na gut, okay, er meldete sich halt eine ganze Woche lang nicht zurück. Aber er ging ja auch nicht in die Schule und keiner sonst weiß, warum dieser blöder Ausländer zuhause rumhängt! Also hat er überhaupt keinen kontaktiert und nicht nur dich, Uchiha. Und was hätte ihm schon passieren können, ha?! Ja gar nichts! Er ist vermutlich krank geworden und weil sein Kopf aus Stroh besteht, hat er vergessen sich formal krank zu melden! Oder vielleicht hat er irgendwelche persönlichen Probleme. Ach, keine Ahnung! Und wenn ich jetzt wie gesunder Mensch auf seine Tür klopfe, dann geht sie ganz normal auf. Dann wird da drin ein kranker Uzumaki sein. Und was wenn er mich küssen will? Ew, er ist aber krank! Aber irgendwie… ist es egal. Ich will ihn richtig doll küssen… aber davor halte ich ihm eine Predigt darüber, dass man sich stets melden sollte, besonders bei der Schule! Hallo? Natürlich! Er ist ja dumm wie Brot! Und muss über alles aufgeklärt werden! Danach aber können wir uns einen gemütlichen Nachmittag zu zweit machen! Klingt doch nach einem Plan, oder? Ja, es klingt nach einem perfekten Plan! Schritt Eins des perfekten Plans: auf seine verdammte Tür gefälligst zu klopfen! Also Sasuke, mach das jetzt!“
 

Das mentale Selbstauspeitschen hörte sich erstmal total sinnvoll an. Ja, vermutlich hat Naruto vergessen sich formal krank zu melden. Ja, er wird sich wahrscheinlich über Sasukes Besuch freuen. Also hat der Junge nichts zu befürchten. Und trotzdem ließen ihn hinterhältige Zweifel nicht in Ruhe. Schließlich wollte er kein Nein erfahren.
 

Sasuke klopfte endlich auf die Tür. So, jetzt entscheidet sich alles. „Naruto, bitte mach einfach auf!“, dachte sich der Uchiha, während sein Herz beinahe aus dem Brustkorb heraussprang. Er war mächtig aufgeregt. Ja, vielleicht ohne Grund. Dieses endlose Warten machte ihn einfach fertig. Wie viel Zeit sollte man einer Person zum Türaufmachen eigentlich gehen? Und wie viel ist schon vergangen? Sasuke kannte in diesem Moment nur eine Zeiteinheit: viel zu lang. Er klopfte noch mal. Immer noch keine Antwort. Wie viel Zeit ist jetzt vergangen? Und jetzt? Sollte er nochmal klopfen?
 

„Naruto, ich bin’s, Sasuke!“, rief der Junge in die Tür hinein. „Nohara-sensei hat mich gebeten bei dir vorbeischauen, weil du schon seit Montag fehlst! Könntest du bitte mich kurz reinlassen? Es wird nicht lange dauern.“
 

Immer noch keine Reaktion. Angelehnt an der Tür horchte Sasuke aufmerksam. Jemand lief eindeutig durch den Flur. Dieser Jemand muss nicht weit weg von der Tür stehen. Aha! Jetzt wird Sasuke definitiv gehört! Der Uchiha klopfte nochmal entschlossen. Keine Reaktion.
 

„Naruto, bist du da drin? Bitte mach auf!“, rief Sasuke zum allerletzten Mal.
 

Nichts.
 

Er wird also doch absichtlich ignoriert. Okay. Sasuke lehnte sich passiv gegen die Tür. Wer soll denn sonst da drin sein außer Uzumaki? Hat Naruto etwa Besuch? Ein Bekannter? Ein Schulfreund? Oder vielleicht doch ein Date? Es scheint, als wäre die Person auf der anderen Seite der Tür allein. Hmmm, es sieht irgendwie schlecht aus, oder? Wenn es sich um Naruto handelt, dann will er anscheinend Sasuke nicht sehen. Also schlecht. Und wenn die Person nicht Naruto ist und zum Beispiel kurz allein in der Wohnung gelassen wurde, dann gibt es ebenfalls keinen plausiblen Grund nicht aufzumachen, außer es ist ein Date und Naruto will nicht, dass Sasuke es rausfindet. Also auch schlecht. Hmmm, Naruto hat ihn heute besiegt. Er fühlte sich jedenfalls besiegt. Und außerdem ziemlich traurig. Er ahnte schon, dass Narutos Nein ihm die Laune und allgemein den Tag vermiesen wird. Na gut, dann ist es halt so. Sasuke setzte sich auf den Boden und verdeckte sich das Gesicht mit den Handflächen. Er bemerkte ein unangenehmes stumpfes Gefühl in der Nähe von der Zeche. Sasuke empfand sowas noch nie. Er konnte nicht wirklich mit Worten beschreiben, was das für ein Gefühl ist. Er wusste nur, dass es ziemlich unangenehm ist. Sasuke hörte ein kurzes Rascheln auf der anderen Seite der Tür. Vielleicht geht sie jetzt auf?
 

Nein.
 

Die Person bewegte sich aus anscheinend dem Flur weg. Es macht mittlerweile keinen Sinn noch länger hier auf dem Boden zu sitzen. Sasuke ist zwar verliebt, aber doch nicht bescheuert. Er sollte jetzt nach Hause und sich bei Nohara-sensei melden. Und dann noch die Englischstunde nacharbeiten. Der Junge stand auf und auf einmal fühlte es sich so an, als würde sein Herz in echt verkrampfen… oh Gott! Oh…
 

Wie krass nur das weh tut!
 

Das ist also dieser Liebeskummer, oder? Was für ein mieses Gefühl!
 

Plötzlich ging die Tür hinter ihm auf.
 

„Muffin…“, hörte er hinter sich. Es war Narutos Stimme. Sie klang zitterig und unentschlossen. So ganz nicht wie Narutos Stimme klingen sollte.
 

Sasuke drehte sich um und sah denjenigen an, den er während der Woche so doll vermisst hatte. Ihm entging nicht, dass Naruto total fertig aussieht, obwohl ihm eigentlich so augenscheinlich nichts fehlte. Jetzt geriet Sasuke in einen ganz-ganz komischen Zustand. Es war eine Mischung aus Glück, Wut, Unentschlossenheit, Verwirrung, Mitleid und und und… als ob er alles gleichzeitig fühlen müsste. So viel Kapazität zum Fühlen hatte der Uchiha ja gar nicht! Deswegen war er ganz schön überfordert. Er fing trotzdem an zu sprechen:
 

„Ähm, Nohara-sensei hat mich geschickt, weil du seit Montag unentschuldigt fehlst. Daher eine Frage…“
 

Sasuke verstummte abrupt. Die Floskel anzusagen war ziemlich einfach. Aber das Echte steckte in seinem Hals fest. Beim Blinzeln ließ er die Augen für einen Sekundenbruchteil länger zu, atmete tief ein und traute sich den Satz zu beenden:
 

„Geht‘s dir gut?“
 

Naruto guckte ihn leicht verblüfft an. Diese kurze Frage drückte alles aus, was Sasuke am Herzen lag: er freute sich Naruto zu sehen und darüber, dass der Uzumaki körperlich unversehrt ist und keinen absolut kranken Eindruck macht; er vermisste ihn stark und war über ihn aufrichtig besorgt; er war wütend darüber; dass Uzumaki seine lange Abwesenheit nicht richtig der Schule meldete; und er war verletzt dadurch, dass Naruto ihn irgendwie die ganze Woche ignoriert hatte. Uzumaki lächelte seinen Gegenüber schwach an, bevor er kurz erwiderte:
 

„Nein, eigentlich nicht.“
 

In dieser Antwort war auch alles verpackt, was Sasuke wissen sollte: Naruto wusste selbst, dass er sich doof angestellt hatte, weil er der Schule nichts sagte; er freute sich auf seinen Muffin; er wollte ihn ja eigentlich gar nicht ignorieren; aber dann irgendwie doch; jedenfalls tut ihm das Schweigen schon ziemlich doll leid; zurzeit geht es ihm einfach nicht gut und er braucht dringend einen Freund; und er würde sich freuen, wenn Sasuke für heute diese Rolle übernehmen könnte.
 

„Magst du reinkommen?“, sagte der Uzumaki als nächstes. Aber eigentlich haben sie sich schon vollständig ausgesprochen. Natürlich möchte Sasuke reinkommen. Naruto weiß es mittlerweile auch.

„Klar.“

„Na dann…“
 

Naruto bewegte sich aus der Tür und bat den ungebetenen Gast hinein. Und Sasuke wagte den ersten Schritt in diese mysteriöse unbekannte Welt hinein.

„Magst du reinkommen?“, sagte der Uzumaki.

„Klar.“

„Na dann…“
 

Naruto ließ Sasuke rein. Nachdem der Uchiha die Schuhe auszog, gingen die Jungs in die Küche. Sasuke setzte sich hin und Naruto fing an wortlos Tee zu kochen. Der Schwarzhaarige fühlte sich sehr ungemütlich. Narutos Wohnung machte einen sehr depressiven Eindruck. Sasuke erwartete schon eine gewisse Schlampigkeit im Bezug auf den Haushalt aber sowas… vielleicht deswegen wollte Naruto ihn nicht reinlassen? Das Chaos an sich hat den Uchiha eher weniger gestört. Ihn störte eher, dass er hier etwas gefunden hat, was lieber versteckt sein sollte. Und dass es Naruto sehr unangenehm war. Dies generierte eine unangenehme Spannung in der Luft.
 

„Sollte ich mich rechtfertigen?“ Obwohl Narutos Einstieg so total unsanft war, passte er perfekt zur Situation.

„Willst du mit deiner Rechtfertigung was wichtiges sagen, oder nur deine Schuldgefühle beruhigen?“ Sasukes Antwort war auch nicht weniger unsanft und deswegen auch genau passend.

„Ein bisschen von beidem.“

„Dann nur zu.“
 

Naruto seufzte.
 

„Erstens… sorry, dass es hier so megaunaufgeräumt ist. Normalerweise ist es weniger chaotisch…“ Naruto sprach erstmal das einfachste an.

„Kein Problem, ich hab mich ja gar nicht angekündigt.“

„Gut… also ich hab für all das einen guten Grund. Und zwar…“ Naruto atmete tief ein und fuhr fort. „Am Dienstag war mein Geburtstag…“

„Oh, nein!“
 

Sasuke wurde die Situation ausgesprochen peinlich. Er ist diesen Jungen verliebt und weiß nicht mal, dass am Dienstag sein Geburtstag war. Wie dumm ist das denn?!
 

„Tut mir leid, ich wusste es gar nicht. Alles gu…“

„Nein-nein! Schhhhhh! Sag nichts!“ Naruto mischte sich rasch ein. „Ich will nichts geburtstagbezogenes hören. Ich hasse meinen Geburtstag.“

„Oh, okay?“, ließ Sasuke überrascht ab. „Na dann, ist es eine gute Sache, dass ich dir nicht gratuliert hab?“

„Ja, es ist eine sehr gute Sache. Es hätte mich noch mehr fertig gemacht, als es schon jetzt ist.“

„Okaaaaay?“, hallte Sasuke misstrauisch nach.

„Also, das ist nämlich der Grund für mein komisches Verhalten letztens. Also, dass ich nicht in der Schule war, mich nicht gemeldet hab, dass es hier wie im Schweinestal aussieht und so weiter.“

„Weil du… dein Geburtstag hasst?“

„Genau.“
 

Die Jungs schwiegen sich einige Minuten an. Sasuke verstand jetzt überhaupt nichts.
 

„Dir ist schon bewusst, dass noch eine Erklärung hin muss, oder?“, leitete Sasuke nachdrückend ein.

„Ja-ja, ich weiß“, konterte Naruto zur Sasukes Überraschung sehr genervt und seufzte laut.
 

Der Blonde tat sich ungewöhnlicherweise schwer damit irgendwelche Worte rauszupressen, was Sasuke zutiefst überraschte. Normalerweise hatte Naruto immer irgendwas zum rapiden Raushauen parat. Uzumaki konnte wunderbar labbern und diese Schusseligkeit ähnelte ihm überhaupt nicht. Trotzdem bekam der Uchiha das Gefühl, dass er Naruto jetzt nicht drängeln sollte. Es schien sich nämlich um ein sehr wichtiges Geständnis zu handeln. Sasuke hatte eine ganz seltsame Vorahnung, dass auf ihn etwas ganz großes zukommt.
 

„Ähm… alsooo…“ Naruto seufzte nochmal. „An meinem Geburtstag sind meine Eltern verstorben“, hauchte der Junge in einem Atemzug aus.

„Achso“, erwiderte Sasuke neutral.
 

Bis es Klick in seinem Kopf machte.
 

„WAS?! DU HAST KEINE ELTERN?! UND SIE SIND GENAU AN DEM TAG VERSTORBEN, AN DEM DU GEBOREN WURDEST?!“, schrie Sasuke schockiert auf.
 

Naruto geriet daraufhin in einen mächtigen Lachanfall und konnte nicht aufhören. Sein helles ansteckendes Lachen füllte den gesamten Raum und drängte die schwere Spannung zurück. Sasuke verspürte dabei eine seltsame Erlösung. Vielleicht geht es Naruto doch gar nicht so schlecht, wie die Endzeitstimmung dieser Wohnung vermuten lässt.
 

„Was denn?“, ließ Sasuke etwas sauer ab. Mittlerweile lachte der Blonde schon über fünf Minuten.

„Nichts, du bist nur so niedlich, Muffin.“ Naruto konnte endlich tief durchatmen und beruhigte sich. „Nein, ich hab keine Eltern und ja, sind sind genau am gleichen Tag verstorben, an dem ich zur Welt kam.“

„Also ist es wirklich so? Du lügst nicht?“ Sasuke war immer noch zutiefst erstaunt.

„Natürlich nicht! Weißt du, ich könnte mich an dieser Stelle beleidigen, aber mach ich nicht, weil du total überfordert aussieht.“ Naruto schmunzelte. „Oh, du bist voll süß, wenn du so doll verwirrt bist.“

„Und… ähm… wo wohnst du?“ Sasuke ignorierte Narutos komische Komplimente, weil er tatsächlich zutiefst verwirrt war. Stattdessen fragte er einfach das erste was in seinen Kopf kam.

„Na hier! Du sitzt doch in meiner Wohnung, oder?“ Naruto grinste.

„Ach Mensch, du hast doch verstanden, wie ich es meine!“ Jetzt langsam kam Sasuke zu sich und konnte auch wieder kontern. „Hör auf rumzublödern und antworte einfach! Das hier ist verdammt wichtig!“

„Wirklich?“, fragte der Blonde etwas zögerlich.

„Na klar!“, erwiderte der Uchiha eifrig.
 

Narutos Gesicht änderte sich komplett. Sasuke konnte nicht konkret sagen, was genau es war. Vielleicht verschoben sich Uzumakis Augenbrauen ein kleines Stück nach unten; vielleicht hoben sich seine Mundwinkel hoch; vielleicht kehrte eine gewisse Klarheit in seine Augen; vielleicht auch nicht. Sasuke konnte es nicht genau eingrenzen. Aber der Uchiha wusste eindeutig eins: Naruto zeigte sich in diesem Moment so, wie er ist. Er war ein achtzehnjähriger junger Mensch, der sein Leben lang ohne Eltern zurechtkommen musste. Anscheinend litt er darunter extrem und diesen Leiden schleppt er mit sich bis zum heutigen Tage mit. Er hatte eine traurige einsame Kindheit. Er fühlte sich oft verlassen, vernachlässigt und unfair behandelt. Das meiste davon stimmte auch. Manches hat der blonde Junge aber etwas überspitzt dargestellt oder gar erfunden. Er machte auf seinem Lebensweg viele Fehler. Wie hätte es sonst sein können? Nur wenige halfen ihm mit einem Rat. Sasuke sah einen Menschen mit einem äußerst traurigen Schicksal vor sich. Und gerade jetzt in dieser Sekunde bezeugte Sasuke die wahre Uzumaki-Magie, denn bei all dem besaß dieser blonde Schüler die leuchtendsten blauen Augen, die mit einer sanften Hoffnung diese Welt anschauten. Die Umstände seines Lebens haben ihn nicht zerbrochen. Er war trotz allem beinahe überhaupt nicht verbissen, vertraute weiterhin auf seine Instinkte, unterdrückte seine Gefühle nicht und richtete sich sogar danach. Er war kreativ, begeisterungsfähig, ernsthaft in seinen schwarzhaarigen Gegenüber verliebt und meinte es auch so. Und ihn rührte sehr, dass Sasuke seine Geschichte für etwas sehr wichtiges hielt. Damit traf der Uchiha voll ins Ziel.
 

„Und wo wohnst du jetzt also?“ Sasuke setzte die unterbrochene Konversation fort.

„In einem staatlichen Waisenheim.“ Diesmal erwiderte Naruto ziemlich trocken und ernst. Genauso, wie Sasuke es wollte.

„Wo kriegst du das Geld her?“

„Das meiste bekomme ich vom Staat. Und ein alter Bekannte meines Vaters gibt mir auch ein bisschen was.“

„Und? Reicht das?“

„Ja schon… ich kann mir davon jetzt nicht so super viel leisten, aber fürs Essen, ein paar Klamotten und für die Beiträge im Tanzverein reicht es. Ich bin damit eigentlich zufrieden.“

„Aha, und wie kannst du dann deinen hiesigen Aufenthalt finanzieren?“

„Ich hab ein Stipendium vom besagten Tanzverein bekommen. Sie zahlen netterweise für alles. Keine Ahnung, warum sie so nett zu mir sind.“

„Vielleicht weil du die Weltmeisterschaft für sie fast gewonnen hast?“ Sasuke lächelte. Ein bisschen unseriös dürfen sie schon sein.

„Haha!“
 

Naruto lachte kurz. Sasuke konnte nochmal bei diesem Anblick beobachten, wie lebensfroh Uzumaki eigentlich ist. Irgendwie war dieser Blonde schon bewundernswert.
 

„Ja, vielleicht auch deswegen“, fügte Naruto hinzu.

„Und was machst du nachdem du zurück nach Hause kommst?“

„Die Schule beenden.“

„Und danach?“

„Wahrscheinlich werde ich im Verein erstmal als Tanzlehrer nebenjobben. Ich muss mir nämlich eine Wohnung suchen, da ich nach der Schule aus dem Heim rausgeschmissen werde. Und deswegen brauch ich dringend Geld.“

„Hast du denn schon Ahnung, was du im Leben machen willst?“

„Nein, überhaupt nicht. Vielleich geh ich in die Polizei. Oder in die Feuerwehr. Oder in die Armee…“

„Oh, Armee?“

„Ja, warum nicht? Ich könnte dann Flugzeuge fliegen. Oder Panzer fahren. Oder Scharfschießen…“

„Cool, hört sich total spannend an. Und ich geh Mathe studieren.“

„Nerd!“, ließ Naruto grinsend ab. Sasuke lächelte. „Hast du noch Fragen? Du kannst mich alles fragen, was du möchtest.“

„Ist es okay, wenn ich dich Sachen zu deiner Kindheit frage?“

„Klar. Was möchtest du wissen?“

„Wie ist es denn so? Also… ähm… ohne Eltern aufzuwachsen…“ Sasuke war sich immer noch nicht sicher, ob er sowas überhaupt hätte ansprechen sollen. Aber jetzt ist es eh zu spät.

„Na scheiße halt. Es hat mich schon irgendwie… fertig gemacht? verstört? Keine Ahnung, kenn kein Wort dafür. Ich hab mir halt immer eine echte Familie gewünscht. Ich glaubte daran, dass dadurch das Leben unbedingt besser sein müsste und dass ich wirklich etwas sehr wichtiges verpasse. Ach, wen belüge ich… ich will auch heute noch Mama und Papa haben. Und ich glaube immer noch fest daran, dass mit Eltern alles viel besser ist.“ Naruto lächelte Sasuke traurig an. „Weißt du, bis ich zehn geworden bin, hab ich mir jedes Jahr zum Weihnachten Mama und Papa gewünscht. Ich schrieb diese dämlichen Briefe an den Weihnachtsmann und glaubte wirklich, dass am 25. unter dem Tannenbaum meine Eltern auftauchen. Und jedes Mal ist natürlich nichts passiert. Dann dachte ich mir, dass es nächstes Jahr bestimmt was wird. Und dann haben die Leute in meiner Klasse es rausgefunden. Sie klärten mich darüber auf, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt und dann haben sie mich deswegen drei Jahre lang gemobbt. Ich war ja so dämlich, dass ich mit zehn an den Weihnachtsmann glaubte. Ich bekam den Spitznamen «Nikolaus» und dann änderte er sich in «Klaus», weil einer der cooleren Typen der Meinung war, dass der Name schieße klingt. Und dann mit 13 hab ich die Schule gewechselt, weil ich das Mobbing nicht mehr aushielt, aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls seitdem hasse ich Weihnachten. Diese Mitschüler haben mir meine Hoffnung auf ein Wunder zerstört. Ja, und sie hasse ich auch.“

„Deine Hassliste ist ganz schön lang…“, merkte Sasuke schleichend an.

„Natürlich, bei einem Mobbing-Opfer ist sie immer lang.“

„Wurdest du denn so heftig gemobbt?“

„Oh ja!“
 

Naruto knirschte kurz mit den Zähnen. Sasuke sah, wie das Höllenfeuer in seinen Augen aufgeht. Dadurch wirkte der Blonde total angsteinflößend. Man sollte ihn auch nicht unnötig verärgern. Denn wenn es sein muss, wird er bis zum bitteren Ende kämpfen. Und er wird siegreich darausgehen.
 

„Oh, okay, dieses Thema sollte ich anscheinend nicht ansprechen, oder?“

„Ja, lieber nicht. Ich werde sofort aggressiv, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Weißt du, wie unfair das ist, wenn man sich fünf zu eins prügeln muss?!“

„Nein…“

„Oh ne, frag mich bitte was anderes, okay? Ich spüre, wie mein Blut hochkocht!“

„Und wie ist es an deiner neuen Schule?“

„Gut. Ich wurde nach dem Schulwechsel nie wieder gemobbt. Meine erste Schule war eine Ghettoschule, da hat man Probleme gleich mit Fäusten geklärt. Und ich war damals schwach und hatte keine Eltern. Deswegen hatte jemand aus der sechsten Klasse beschlossen, ich wäre gut zum üben. Und dann kam die Sache mit Weihnachtsmann raus und dann hatten die einen legitimen Grund mich jeden Tag fertig zu machen. Aber ich lernte dadurch mich selbst zu verteidigen, sowohl verbal als auch körperlich. Nach dem Schulwechsel sah es ganz anders aus. Ich war nicht mehr schwach und konnte labbern, also war ich kein gutes Mobbing-Opfer mehr. Ich war aber an der neuen Schule auch ziemlich lange unbeliebt.“

„Das glaubt man gar nicht. Ich dachte, du bist auch eine Berühmtheit, so wie hier.“

„Oh, ich weiß auch nicht, warum ich hier so überfreundlich behandelt werde. Eigentlich bin ich eher ein Außenseiter, oder so. So beliebt wie hier bin ich zuhause nicht. Ach, ja, eine passende Geschichte dazu. Ich konnte von der Schulberühmtheit schon ein wenig was kosten, bevor ich hierher kam. Ich wurde im letzten Jahr nach der Weltmeisterschaft irgendwie bemerkt von… keine Ahnung wem. Jedenfalls wollte die lokale Zeitung ein Interview mit mir, so nach dem Motto «er ist ein dummes Waisenkind mit schlechten Zensuren und hat es im Leben auch irgendwie geschafft». Und dann hat das jemand in der Schule rausgefunden. Das und dass ich auch ein gutes Preisgeld gewonnen hab. Es hat sich dann Schnell rumgesprochen und auf einmal wurde ich hochinteressant. Da hab ich zum ersten Mal bemerkt, dass manche Leute einfach voller Shit sind: Mitschüler, Lehrer, Journalisten… die Zeitungsleute haben nur nach der nächsten Schlagzeile gesucht und ich bin leider in deren Tratsch geraten. Einige Lehrer glaubten plötzlich mein ganzes Leben daran, dass aus mir etwas großes wird. Manche Mädchen waren plötzlich seit langem unsterblich in mich verliebt. Und dabei hab ich nur das gemacht, was ich auch sonst immer mache. Das wurde dann auch schnell wieder vergessen. Ich war der Leiterin des Heims, meinen Freunden und ganz besonders meiner Tanzpartnerin dankbar, dass sie mich unterstützt haben.“ Beim Wort «Tanzpartnerin» zuckte Sasukes Herz zusammen.

„Du sagtest, du warst deiner Tanzpartnerin dankbar?“

„Ja, wieso?“

„Nur so…“, sprach Sasuke verlegen aus und führte den Blick in den Boden.
 

Mann, was soll das schon wieder?! Sasuke kannte das Mädchen überhaupt nicht. Vor fünf Minuten war er sich nicht mal über ihre Existenz bewusst und schon konnte er sie irgendwie nicht leiden. Denn der Uchiha musste sofort daran denken, wie nah sich die beiden wohl stehen. Sowohl indirekt als auch direkt gemeint. Der letztere Part regte den Uchiha besonders auf. Oh nein! Das ist doch peinlich!
 

„Aha, ist da jemand eifersüchtig?“
 

Naruto grinste den Schwarzhaarigen wie ein Fuchs an. Oh ja, beim Uzumaki wird bestimmt alles wieder in Ordnung, wenn er so grinst.
 

„Nein!“, ließ der Uchiha genervt ab.

„Dooooch!“, zog Naruto in die Länge. „Es ist dir nicht egal, oder?“

„Doch, es ist mir egal!“ Sasuke betonte absichtlich das Wort «ist».

„Nein, ist es nicht!“

„Doch, ist es!“

„Aha! Meine Damen und Herren, ihr durftet live Sasuke Uchihas Eifersuchtsmoment miterleben! Wie fühlen sie sich dabei?!“

„Verarscht fühl ich mich dabei, weil du Lügen verbreitest!“

„Oh nein-nein! Ich bin der ehrlichste!“

„Nein!“

„Doch!“

„Ne-in!“

„Do-och!“
 

Jetzt befanden sich die beiden Jungs in einer ganz gewöhnlichen Auseinandersetzung. Ja, Naruto kommt schon zurecht mit was auch immer er zurzeit zu tun hat. Jetzt war sich der Uchiha darin mehr als sicher. Gut so.
 

„Aber, nein, ganz im Ernst, sie ist wirklich nur meine beste Freundin. Wir hatten nie was miteinander. Und wir werden auch nicht, weil sie exklusiv auf Frauen steht.“

„Oh!“, ließ Sasuke überrascht ab. Das erwartete er überhaupt nicht. Irgendwie beruhigte ihn dieser Einwand sofort.

„Ja, es ist schon witzig, dass ausgerechnet wir beide zu einem Paar wurden.“

„Stehst du etwa exklusiv auf Männer?“, flog spontan von Sasukes Zunge. Der Uchiha bereute es sofort. Obwohl Naruto diesen Verhör selbst vorschlug, wollte Sasuke diese Box nicht aufmachen. Und Naruto anscheinend auch nicht. Der Blonde wirkte ein bisschen unsicher.

„Haha…“ Der Blonde kicherte nervös. „Nein, nicht exklusiv, aber hauptsächlich“, ließ Naruto verlegen ab. „Willst du noch weiter darüber reden?“

„Ähm… nein, glaub ich nicht.“

„Gut, ich auch nicht. Ich will nicht, dass du mich als viel zu eklig empfindest.“

„O-ha! Na wenn du es jetzt so anteaserst, vielleicht will ich doch darüber reden!“, jetzt grinste Sasuke hinterhältig.

„Verdammt! Bitte verschon mich!“ Naruto biss sich auf die Lippe und versuchte sich noch daraus zu reden.

„Nein, vergiss es!“ Sasuke spürte, dass dies die perfekte Gelegenheit ist Naruto zu ärgern, also hatte er überhaupt keine Absichten damit aufzuhören. „Also mit wie vielen hast du schon geschlafen?“

„Oh nein! Ernsthaft?“ Naruto guckte ihn flehend an. Ein letzter Rettungsversuch, der nichts brachte.

„Ja! Antworte!“

„Oh, Muffin, keine Ahnung… ich kann dir keine genaue Zahl benennen.“

„Ach du dreckiges Flittchen!“

„Ja gut, okay, ich bin eine Schlampe! Aber wenn man in jeder Hinsicht so der absolute Hammer ist, dann kann man halt nur so enden, weil man einfach sehr gefragt ist, okay!“, verkündete der Uzumaki selbstgefällig und bewarf Sasuke mit einem überheblichen Blick. „Und wenn man es nicht ist, dann endet man so wie du!“ Der Uzumaki grinste Sasuke an.

„Hallo-hallo! Ich bin wählerisch und bin lieber für Qualität anstatt Quantität! Im Gegensatz zu jemandem gewissen, der nichtmal eine genaue Zahl benennen kann!“

„Also, schreib mal mit, du Jungfrau! Lektion eins: es ist erbärmlich die Sexualpartner zu zählen!“, sprach Naruto belehrend. „Und Lektion zwei: ich bin nicht das Problem, sondern du! Du kriegst nicht genug Anfragen! Genauer gesagt, kriegst du gar keine!“

„Hey, das stimmt doch gar nicht! Du willst mich zum Beispiel!“

„Hallo, hab ich dich jemals explizit darauf angesprochen? Woher weißt du es denn?“

„Natürlich weiß ich es!“

„Na woher?“

„Ach, komm schon!“
 

Plötzlich trafen sich ihre Blicke aufeinander. Narutos Augen strahlten dieses Liebesfeuer aus, das Sasuke schon am vergangenen Wochenende komplett fesselte. Diesmal war es genauso: er fühlte sich wieder wie ein verirrter Falter und sah nur dieses helle Licht. Er konnte nicht aufhören, Naruto anzuschauen. Uzumaki rutschte näher mit dem Stuhl und wisperte verspielt:
 

„Ja gut, okay, ich bin total verrückt nach dir. Du hast mich voll erwischt.“
 

Sasuke antwortete nichts darauf. Stattdessen lächelte er verliebt. Wahrscheinlich sah er dabei richtig bescheuert aus.
 

„Und generell, danke dass du gekommen bist, Muffin“, ließ der Uzumaki leise ab. Dabei klang Naruto etwas ernster.

„Kein Problem“, erwiderte der Uchiha.
 

Naruto rückte noch näher. Er versteckte sein Gesicht in Sasukes Schulter für einen kurzen Moment und richtete sich sofort wieder auf.
 

„Diese blöde Woche hat mich so richtig fertig gemacht. Ich bin froh, dass sie fast zu Ende ist.“

„Du hast eigentlich immer noch nicht genau gesagt, warum du jetzt gefehlt hast.“

„Achso. Na ja, ich besuche jedes Jahr an meinem Geburtstag das Grab von meinen Eltern. Und dieses Jahr musste es ja ausfallen. Und das hat mich unerwartet doll belastet. So doll, dass ich ab Montag kaum mein Bett verlassen kann.“

„Achso“, sprach Sasuke nachdenklich aus. „Was machst du dort, wenn ich fragen darf?“

„Ich erzähle, was sich über das Jahr ereignete.“ Naruto setzte sich um und fuhr fort: „Ich versuche immer noch sie stolz zu machen, obwohl sie ja schon seit achtzehn Jahren tot sind. Deswegen ist mir dieses einseitige Gespräch wirklich-wirklich ungemein wichtig. Ich stelle mir immer noch vor, sie wachen über mich irgendwo weit-weit weg von hier. Und dass sie sich über meine Berichte sehr herzlich freuen. Ey, das alles klingt irgendwie dumm…“

„Nein, überhaupt nicht“, stritt Sasuke kategorisch ab.

„Echt jetzt?“, fragte der Junge überrascht.

„Echt jetzt.“

„Okay… cool, dass du es so siehst.“
 

Naruto seufzte. Er war erschöpft und ausgelaugt. Sasuke fing vorsichtig an:
 

„Weißt du, nachdem du mir von deinem Leben erzählt hast, muss ich sagen, dass es irgendwie voll cool ist, dass du trotz deines Schicksals aufs Positive gerichtet bist. Das verdient einen gewissen Respekt. Ich bin wirklich sehr beeindruckt.“
 

Das waren genau die Worte, die Naruto hören wollte. Nachdem sie erklungen, bemerkte Sasuke erst, dass Naruto die ganze Zeit sehr angespannt war. Jetzt, wo er Uchihas eindeutige Bestätigung hatte, konnte er endgültig von seinen Zweifel loslassen. Was wäre, wenn Sasuke seine Geschichte im Endeffekt doof gefunden hätte? Naruto tat ihm plötzlich ganz doll leid. Schließlich war er in seinem innersten Kern immer noch ein einsames Waisenkind, das nach Liebe und Akzeptanz sehnt. Sasuke hatte ein festes Gefühl, dass Naruto sehr oft durch solche Geständnisse richtig stark verletzt wurde. Und trotzdem tat er es wieder: er legte sich breit offen vor einer Person, nach der er total verrückt war. Ach, dieser hitzköpfige naive Chaot! Er handelt so unüberlegt, aber so ehrlich! Er verheimlicht nichts. Der Uchiha schob die Stühle zusammen und knuddelte den blonden Jungen fest. Naruto sagte nichts. Er löste sich passiv in Sasukes Umarmung auf und machte die Augen zu. Und nach fünf Minuten schlief er fest ein. Sasuke wollte ihn nicht wecken. Er packte sein Handy heraus und schrieb Nohara-sensei eine E-Mail. Danach vertrieb er Zeit im Internet. Und die ganze Zeit hörte er entspanntes Atem, das ungefähr von seiner Schulter kam. Sasuke genoss diese friedliche Atmosphäre. Er war gerne in dieser dreckigen Wohnung. Er war richtig froh, dass er sich bereiterklärte Naruto aufzusuchen, und dass sein heutiger Nachmittag ausnahmsweise nicht aus Lernen besteht. Er hatte sogar nichts gegen diesen äußerst unbequemen Stuhl, nichts gegen diese komische Sitzposition und nichts dagegen, dass sich seine Hand etwas verkrampft anfühlte. Solange er bei Naruto war, war all das überhaupt kein Problem. Sasuke hatte das Gefühl, dass überhaupt nichts ein Problem wäre, solange dieser Schawchkopf neben ihm so friedlich schläft. Der Oberschüler konnte nicht widerstehen und küsste seinen schlafenden Nachbar leicht auf die Stirn. Sasuke war in dieser Sekunde unendlich froh, dass er sich ausgerechnet in Naruto verliebt hat. Er dachte intensiv darüber nach, was für ein glücklicher Zufall es sein muss, dass sie sich überhaupt trafen.
 

Ja, es war eine wirklich sehr gute Sache.

An diesem einen Nachmittag durfte Sasuke noch mehr Details aus der Vergangenheit des mysteriösen Jungen aus dem Ausland erfahren. Narutos Vater war ein Polizist und seine Mutter — eine Lehrerin. Der alte Bekannte seines Vaters, der ihm monatlich ein wenig Geld gab, hieß Jiraya. Er selbst war ebenfalls ein Polizist und sein Vater lernte ihn als seinen Ausbilder in der Polizeischule kenne. Jetzt ist Jiraya im Ruhestand, bereist die Welt und schreibt aus Langeweile semi-erfolgreiche perverse Bücher. Seine Tanzpartnerin und beste Freundin Karin kannte Naruto schon seit dem vierten Lebensjahr. Sie wuchsen zusammen in einem Waisenheim auf und auch sonst waren sie sich sehr ähnlich — Karin und Naruto waren beide Waisenkinder, Mobbing-Opfer, Profitänzer und fühlten sich zum eigenen Geschlecht hingezogen. Sonst erfuhr Sasuke endlich, warum Naruto nach einem Ramentopping benannt wurde. Seine Mutter liebte dieses Land und sprach fließend Sasukes Sprache. Als sie noch studierte, stolperte sie über eine Geschichte, in der es um einen tapferen Shinobi names Naruto ging. Sie war richtig beeindruckt vom Protagonisten und wollte unbedingt, dass ihr Sohn genau wie der Naruto aus dem Buch nie ans Aufgeben denkt. Übrigens genau deswegen interessierte sich auch Naruto für dieses Land und lernte die Sprache. Er wollte die namensgebende Geschichte eines Tages unbedingt im Original lesen. Die Frau, die Naruto während der kurzen Berühmtheitsphase mit den Zeitungsleuten umzugehen half, heißt Tsunade. Sie ist die Leiterin von Narutos Waisenheim und kümmert sich um den Blonden stets wie um eigenen Sohn. Sie stehen sich also sehr nahe. Übrigens wechselte Naruto damals mit 13 nicht nur die Schule, sondern auch das Heim. Karin bekam damals eine Kriese. Zwei Jahre später konnte sie ebenfalls ins gleiche Heim einziehen. Also teilen die beste Freunde mal wieder die Unterkunft. Die Jungs redeten auch über allgemeine Sachen und wie sie in Narutos Heimat funktionieren. Zum Beispiel über das Schulsystem, über die Supermarktöffnungszeiten, über das Wetter, über die öffentlichen Verkehrsmittel, über das Essen, über die Lebenskosten…
 

Sasuke blieb an den Tag auch nicht schweigsam. Naruto stellte ihm diverse Fragen über sein Leben. Sasuke redete zu seiner eigenen Überraschung offen über sehr persönliche Sachen. Zum Beispiel erzählte er, dass sein Vater von ihm überhaupt nichts hält, und dass er ein sehr zweischneidiges Verhältnis zu seinem älteren Bruder hat. Er redete hemmungslos darüber, dass seine gesamte Familie ihn für einen Versager hält, und dass keiner außer Itachi und Shisui es als irgendwas falsches empfinden. Naruto erfuhr, dass ein Mathematikstudium von der Uchiha-Familie als zu zukunftsunsicher bewertet wird und deswegen per se eine sehr schlechte Wahl ist; und auch über den Klavierunterricht und warum Sasuke ihn abbrechen musste; über die Basketballmannschaft, über seine Aushilfsjobs, über die Uchiha-Residenz, über Itachis Wohnung im Ausland und noch viel mehr. Sasuke gestand zum ersten Mal, dass er seine Familie überhaupt nicht als eine Stütze empfindet. Und er sprach sich dagegen aus, dass eine bloße Existenz einer Familie alle Probleme gleich sofort behebt. An dieser Stelle führten die Jungs eine lange lebhafte Diskussion.
 

Nach dem umfangreichen Austausch schlug Sasuke vor, irgendwo nach einem namenlosen Schrein zu suchen, damit Naruto sein jährliches Gespräch wenigstens irgendwie nachholen kann. Uzumaki fand die Idee eigentlich ganz gut und so schlossen sie den Tag an einem der städtischen Friedhöfe ab. Sasuke wollte eigentlich an diesem Punkt gehen, aber Uzumaki hielt seine Hand fest und hatte keine Absichten von ihr loszulassen. Also blieb Sasuke an Narutos Seite fast anderthalb Stunden. Zum ersten Mal hörte der Schwarzhaarige, wie Naruto seine Muttersprache spricht. Es fühlte sich ein bisschen seltsam an. So, als hätte sich eine weitere Stimme in Narutos Körper versteckt. Selbst Sasukes Name klang dadurch total fremd. Ihn hörte der Uchiha während der anderthalbstündigen Unterhaltung oft genug um zu diesem Schluss zu kommen. Anfangs fühlte sich der Uchiha schlichtweg fehl am Platz. Schlussendlich durfte er live mitbekommen, wie Naruto die einzige Verbindung zu seinen Eltern pflegt. Aber diese Gefühle beherrschten den Schwarzhaarigen nicht besonders lange. Dadurch dass er nichts außer seinen eigenen Namen verstand, den er übrigens ziemlich oft hörte, wurde Sasuke schnell neugierig. Was erzählt denn Naruto über ihn seinen Eltern? Er würde es schon gerne wissen.
 

Seit dem Tag vergingen noch weitere sechs Wochen. Irgendwie änderte sich nichts seitdem. Die Jungs machten einander Tag für Tag fertig, fuhren nach der Schule nach wie vor gemeinsam Bus, lernten auf dem Dach hinter dem mittleren Trafokasten und küssten sich sinnlich beim Verabschieden. Ab und zu hingen sie in Narutos stickigen kleinen Wohnung rum, aber das passierte eher selten. Genauer gesagt, waren sie dort in den vergangenen sechs Wochen nur zwei Mal. Der Uchiha konnte dieses komische Verhältnis nicht korrekt betiteln, aber es war auf jeden Fall keine „offizielle“ Beziehung. Und doch änderte sich in diesem Zeitraum alles, denn Naruto wuchs Sasuke in diesem Zeitraum unglaublich doll ans Herz. Am liebsten würde er diesen Blonden nicht ge… nein. Sasuke verbat sich stets diesen Gedanken zu Ende zu führen. Stattdessen versuchte er das Ganze so bedenkenlos zu genießen, wie er nur konnte. Naruto war wie Feuer: heiß, wild, und faszinierend, aber zugleich doch irgendwie gefährlich, wenn man nicht aufpasst. Sasuke hat eben nicht aufgepasst, denn er würde ja am liebsten… nein. Der Gedanke wird nicht zu Ende geführt. Obwohl der Uchiha ziemlich böses Ende des ganzen Spiels vorahnte, schob der Schwarzhaarige diese Bedenken erstaunlicherweise zu bereitwillig auf den Zukunfts-Sasuke. Eigentlich sollte er in solchen Sachen nicht besonders gut sein. Außer in dieser einen Situation. Der Blonde stellte sein geregeltes Dasein auf den Kopf. Naruto befreite unwissentlich seine seit Jahren unterdrückte Kapazität zum Fühlen. Der Uchiha gelang durch diese Hintertür in eine neue unbekannte Dimension, in der man sich den eigenen Gefühlen einfach hingeben durfte. Hier war es vollkommen okay verliebt zu sein. Es war sogar mehr als nur okay. Es war die schönste Sache, die einem passieren konnte. Hier hatte man nichts dagegen, wenn man jemanden vermisst oder mit jemandem Zeit verbringen möchte. Es war auch vollkommen okay auf den eigenen Körper zu hören. Endlich verstand Sasuke, was Itachi damals mit «diese Art von Chemie» meinte. Er fand Naruto extrem anziehend und wollte ihn ständig anfassen. Meistens konnte er sich in solchen Momenten kontrollieren. Aber manchmal konnte er einfach nicht die Finger vom Blonden lassen. Und manchmal könnte er, aber wollte nicht. Durch diese Änderungen erwachte Sasukes lebhafte Vorstellungskraft aus dem jahrelangen Schlummern. Eigentlich war er ein echter Tagträumer. Er konnte stundenlang ein sinnloses Kopfkino über zum Beispiel einen nicht existenten Spaziergang mit Naruto am Strand laufen lassen und es machte ihm Spaß. Sasuke hatte eigentlich sehr selten Spaß. Sein Leben war bis jetzt ein stiller Kampf, den er ganz alleine mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gewinnen musste. Die strenge Erziehung im Uchiha-Haushalt machte aus Sasuke einen zielorientierten Menschen. Nichts unnötiges tun wie zufällige Tagträume haben. Aber warum eigentlich nicht? Was, wenn es einen mit Vergnügen erfüllt? Ist es immer noch unnötig? Wann darf man überhaupt Spaß haben? Und wann wird es zu viel? Naruto brachte den Jungen unabsichtlich dazu, seine bisherige Lebensweise und die Uchiha-Erziehung aktiv zu hinterfragen. Vielleicht macht Sasuke etwas grundlegend falsch? Trotzdem erlaubte er sich nicht mehr als nötig an den Blonden zu binden. Sasuke wollte keine unnötigen seelischen Schmerzen. Er wird schon so einiges wegstecken müssen. Was sich aber vermeiden lässt, sollte man lieber wirklich vermeiden.
 

Heute stand mal wieder die Tanzstunde auf dem Plan. Heute kam endlich etwas Neues. Sasuke verstand nicht, warum so viele Teilnehmer ernsthafte Schwierigkeiten haben die vorgeführte Figur zu machen. Es ist doch keine Unimathematik! Andererseits vielleicht fallen Sasuke generell Sachen wirklich leichter. Naruto betonte andauernd, dass der Schwarzhaarige ein Schnelldenker ist. Der Uchiha selbst sah es natürlich nicht so. Itachi war ein Schnelldenker und er… na ja. Als die Stunde vorbei war und er sich von Sakura verabschiedete, bemerkte er, dass Naruto zielstrebig auf ihn zuläuft.
 

„Musst du noch was machen?“, fragte der Uzumaki interessiert.

„Ja, eigentlich schon.“

„Gehst du wieder aufs Dach?“

„Ummm“, murmelte der Uchiha bestätigend.

„Darf ich auch mitkommen?“ Naruto guckte seinen Gegenüber direkt an.

„Ja, warum nicht?“, ließ Sasuke unbesorgt ab.

„Cool! Ich muss hier noch aufräumen. Hilfst du mir vielleicht?“

„Achso! Du wolltest mich also nur exploitieren!“

„Nein!“, wendete Naruto kräftig ein. „Na gut, aber nur ein bisschen“, gab der Blonde etwas schämend zu.

„Ha! Wusste ich’s doch!“

„Hilfst du mir trotzdem?“

„Ist «nein» überhaupt eine Option?“

„Natürlich nicht!“

„Dann lass uns schnell fertig damit werden.“
 

Das Bodenfegen nach einer Tanzstunde war überhaupt nicht so toll. Sasuke verstand nicht, warum diese Aula so dreckig war. Leute bringen doch extra saubere Schuhe mit! Und trotzdem ist das Fegen notwendig. Was für eine schwarze Hexerei!
 

„Sag mal, gefällt dir der Kurs?“ Naruto fing ein kleines Gespräch an.

„Nein, eigentlich nicht“, gab der Uchiha ehrlich zu. Naruto machte eine beleidigte Grimasse und Sasuke fügte noch hinzu: „Ich finde ihn ziemlich lahm.“

„Hey, du bist selbst lahm!“

„Na, warum ist er so super einfach? Ich fühl mich übelst unterfordert.“

„Na, weil nicht jeder so schnell lernt wie du halt! Außerdem meinst du, ich hätte mir dabei überhaupt nichts gedacht oder was? Wir haben uns überlegt, was wir uns im Idealfall von einem schulischen Ball wünschen, wenn man solche Sachen wie Zeit, Anzahl von Teilnehmern und den Lehrkräften und wenigstens gewisse technische Sachen wie eine halbwegs ordentliche Haltung und so bedenkt. Dabei kam eben nicht viel raus. Wir versuchen auf das allgemeine Niveau zu achten und eigentlich sieht es ganz gut aus. Und es ist nur eine Schulveranstaltung. Es geht hier hauptsächlich darum, dass Leute Spaß haben und nicht überfordert werden, weißt du?“

„Pfff! Klingt übelst langweilig!“, beschwerte sich der Uchiha.

„Hallo?!“, empörte sich Naruto. „Tu jetzt nicht so, als wärest du der beste Teilnehmer von allen!“

„Natürlich bin ich der beste von allen!“, sprache Sasuke überheblich aus. „Wer ist denn bitte schön besser als ich?“

„Na, zum Beispiel Kiba…“

„Na toll!“, unterbrach der Uchiha. „Kiba ist dein Tanzpartner, natürlich ist er besser! Es zählt nicht!“, konterte Sasuke.

„Na gut, dann sage ich Hinata!“ Naruto gab ebenfalls nicht auf.

„Hinata muss ja nicht führen und ich schon!“

„Na gut, dann Gaara!“

„Als ob!“

„Ja! Du hast halt auch deine Macken! Du hebst komisch und deine Haltung ist inkonsistent! Gaaras Haltung ist zum Beispiel viel besser als deine!“

„Blablabla, sagte der Profitänzer! Ich kann mich so oder so in deinem lahmen Kurs nicht verbessern!“

„Hmmm, belastet es dich so sehr?“

„Ja! Ich muss deinetwegen jede Woche zwei Stunden des Lebens opfern, um hier zu sein. Dann will man wenigstens etwas mitnehmen, oder?“

„Hmmm, na dann komm her!“

„Wozu?“

„Wir tanzen ne Runde!“

„Neee!“

„Wieso denn nicht? Du wolltest doch Extrawurst! Dann bekommst du sie eben. Ich kann dir ein paar Tricks zeigen. Mit deinem Fassungsvermögen dauert es so oder so nicht länger als zwanzig Minuten. Na, was sagst du?“
 

Sasuke überlegte kurz. Er müsste eigentlich lernen. Hmmm, lernen oder mit Naruto eine Runde tanzen? Na ja, das zweite hörte sich viel ansprechender an. Na dann!
 

„Na gut“, ließ der Uchiha ab. „Bring it on, Schwachkopf!“

„Haha! Ne, du führst. Ich möchte sehen, was du in meinem lahmen Kurs gelernt hast!“
 

Die Jungs tanzten ein paar Mal um die Aula herum. Naruto gab ab und zu Ratschläge zu allem möglichen. Zum Beispiel erfuhr Sasuke einiges über die Drehachse. Und darüber, dass sich die Kreiseldrehung einfacher gestaltet, wenn die beiden Partner im Moment der Drehung den Brustkorb leicht nach vorne bringen.
 

„Etwa so…“ Naruto streckte sich. Dadurch wirkte er ein wenig größer. „Guck, wenn ich als Partnerin meine linke Seite nach vorne bringen, musst du es spiegelverkehrt machen.“

„War mir auch ohne deine Erklärung klar, man macht im Tanzen alles spiegelverkehrt.“ Sasuke wollte den Uzumaki ein wenig auf die Nerven gehen.

„Genau.“ Naruto überhörte diese Äußerung komplett. Wenn er in den Lehrermodus ging, wurde er plötzlich sehr ernst. „Unser Tanzlehrer meinte damals, dass es ungefähr so ist, als würde man die zwei Herzen näher aneinander bringen wollen.“

„Klingt echt schräg“, ließ Sasuke nachdenklich ab.

„Ja, tut es tatsächlich. Dafür ist es super bildlich. Wollen wir es ausprobieren?“

„Okay.“
 

Sasuke versuchte gleich den neuen Trick. Irgendwie war er noch nicht begeistert.
 

„Und? Spürst du bereits, dass sich unsere Herzen verbunden haben?“ Sasuke grinste.

„Haha! Überhaupt nicht.“ Naruto grinste ebenfalls. „Aber mach erstmal weiter, okay?“

„Jawohl!“
 

Sie tanzten noch eine Runde. Diesmal versuchte Sasuke, sich bei jeder Kreiseldrehung auf Narutos Brustkorbs abzustützen. Dadurch wurde die Drehung tatsächlich um einiges stabiler.
 

„Ist so gut?“, fragte der Uchiha nach einer Weile.

„Ist okay fürs erste.“ Naruto klang nicht so begeistert. Aber auch nicht enttäuscht. Die Bewertung klang nach gar nichts und Sasuke fand es sehr ungewöhnlich.

„Ach, Mann! Du lobst mich nicht mal. Was bist du für ein Lehrer eigentlich?“

„Nein-nein, du machst es gut. Du musst es jetzt nur noch üben, dann wird es koordinierter, weißt du? Kannst dann Sakura davon erzählen.“
 

Sasuke antwortete nichts. Die Jungs tanzten erstmal ohne zu reden. Man konnte nur das dumpfe Klingen derer Schritte hören. Die große Aula gehörte ihnen ganz allein. Es fühlte sich befreiend an, durch den Raum in riesigen Schritten zu schweben ohne gleich in jemanden hineinzulaufen. Draußen dämmerte es bereits und drin brannte noch kein Licht. Sasuke konnte schlechter sehen. Er musste sich zunehmend auf seinen Körper verlassen.
 

Sie tanzten noch ein paar Runden um die Aula. Sasuke glaubte mittlerweile den Dreh rauszuhaben. Die letzten sechs Takte machte er nur den Kreisel.
 

„Sag mal, willst du nicht langsam was anderes machen?“, beschwerte sich der Blonde.

„Nein, weil es jetzt irgendwie Spaß macht, wo es so stabil ist. Außerdem hast du nichts zu meckern, du führst ja nicht“, daran wollte Sasuke seinen Partner unbedingt erinnern.

„Achso, na dann…“
 

Naruto machte einen komischen Platzwechsel und plötzlich führte er.
 

„Hey! Unfair!“ Sasuke bewarf den Blonden mit seiner eigener Floskel. „Ich kann doch gar keine Damenschritte!“

„Keine Angst, das musst du nicht. Du kriegst es auch so hin.“
 

Mittlerweile wurde es dunkel. Sasuke konnte nur noch grobe Umrisse der Möbel im Raum sehen. Aber als Uzumaki ihn ansah, leuchteten seine Augen trotzdem kurz auf. Dieses wunderschöne Himmelblau! Sasuke verlor sich für einen Augenblick darin. Es dauerte nicht lange, weil sich Naruto plötzlich beschleunigte. In einem Takt waren plötzlich keine sechs Schritte, sondern zwölf. Sowas tanzten die Teilnehmer hier überhaupt nicht. Der Uchiha war auch erstmal überrascht. Stolpernd folgte er seinem Partner, der jeden Takt gefühlt anders tanzte. Manchmal wurden die Schritte weggelassen und manchmal kamen welche dazu. Sasuke kam langsam nicht hinterher.
 

„Entspann dich, es ist einfacher als du denkst“, warf der Uzumaki unbesorgt.

„Tja, du bist ein Profitänzer! Natürlich ist es einfach für dich!“

„Du versuchst mir im Moment nachzulaufen…“

„Was soll ich denn sonst deiner Meinung nach tun?“

„Du sollst mir erlauben dich zu führen. Die Haltung ist ja nicht umsonst so eng. Man weiß von dem, was der andere macht durch den Körperkontakt.“
 

Sasuke verdrehte die Augen. Er hasste es, von Naruto belehrt zu werden. Aber was der Blonde sagte, stimmte schon. Das bemerkte er während der Stunden selbst. Immer noch stolpernd, versuchte er doch dem Rat von Naruto zu folgen. Er machte die Augen zu und versuchte sich auf Narutos Bewegungen zu konzentrieren. Rechtsdrehung… Linksdrehung… etwas komisches… Kreisel… Chassee… etwas komisches… er will eine Drehung hier… okay… noch etwas komisches… zwei zusätzliche Schritte… okay… noch etwas komisches… er bleibt stehen… eine Pose… es soll vermutlich hübsch wirken… es tut aber ganz schön weh… na gut, okay…
 

Nach einigen Runden wurde es tatsächlich deutlich einfacher. Sasuke machte die Augen auf. Im Raum war es bereits unmöglich richtig zu sehen. Der Schwarzhaarige musste darauf vertrauen, dass Naruto nichts vermasselt. Und das tat er. Er gab die Kontrolle über seinen eigenen Körper überraschend gern an Uzumaki weiter. In diesem Moment wurde er beherrscht und es gefiel ihm. Ihm gefiel Narutos kompetente Führung — es war überhaupt nicht schwer ihm zu folgen; ihm gefiel, dass sie komplett alleine in diesem dunklen riesengroßen Raum waren; ihm gefiel, dass er außer Schritten, Narutos und seines Atems nichts hörte; ihm gefiel die sanfte Wärme, die der Blonde ausstrahlte; ihm gefiel, wie Narutos linke Hand seine Rechte hielt und sie als eine zusätzliche kleine Steuer benutzte; ihm gefiel generell wie Naruto seinen Körper behandelte; ihm gefiel diese Nähe; sogar, wie Uzumaki beim Schwitzen roch. Hmmm, was sonst außer Tanzen könnten sie in diesem riesigen menschenlosen Raum machen? So eine unmittelbare Nähe regte Sasukes Vorstellungskraft an.
 

Plötzlich lief Naruto gegen die Wand. Sasuke verstand es erst als seine Schulterblätter gegen etwas hartes kamen. Naruto lehnte sich mit seinem gesamten Gewicht auf ihn an. Sein Körper bildete eine physische Barriere zwischen Sasuke dem Rest des Welt. Er sah, hörte, roch und spürte nur noch Naruto. Der Uchiha fühlte sich dadurch regelrecht eingesperrt. Aber es war nicht beängstigend. Sasuke wollte aus diesem beengenden warmen Käfig nicht fliehen. Ganz im Gegenteil, er wollte noch mehr. Er schaute unanständig lange in Narutos Augen. Die himmelblauen Seelenspiegel leuchteten magisch durch die schwarze Nacht. Uzumakis heißer Atem berührte Sasukes dünne Haut am Hals und es kitzelte. Narutos Arme wanden sich um Sasukes Torso herum. Das blonde Pony war ein wenig verklebt. Die vereinzelten Stränchen fielen spielerisch in sein Gesicht. Er grinste wie ein Fuchs und sah dabei ein wenig verrückt aus. Sasuke nahm vorsichtig die Stränchen weg. Naruto hielt seine Hand auf und verschränkte sanft ihre Finger.
 

„Was machen wir eigentlich?“, fragte der Uchiha wispernd.

„Gefällt’s dir nicht? Sollen wir aufhören?“ Naruto antwortete genauso wispernd.

„Nein, nicht aufhören.“

„Gut.“
 

Ihre Blicke trafen sich erneut. Einige Minuten guckten sie sich an. Naruto küsste seinen Gegenüber zärtlich.
 

„Nochmal“, hauchte Sasuke aus.
 

Naruto küsste ihn erneut. Und dann noch ein Mal. Dann nochmal. Und nochmal. Und nochmal…
 

„Gehst du noch aufs Dach?“

„Ja, aber später. Lass uns lieber noch ein wenig hier bleiben.“

„Gerne.“
 

Und sie blieben ein wenig länger. Und dann noch ein wenig. Und dann noch ein wenig… und die ganze Zeit küssten sie sich. Es war eins von diesen Momenten, wo Sasuke weder aufhören konnte noch wollte. In dem beengenden warmen Käfig wurde es unausstehlich heiß. Sasukes Körper erhitzte sich gefühlt auf tausend Grad hoch. Der Junge schnappte nach Luft öfter. Seine keuchenden Atemzüge wurden kräftiger und lauter. Wie eine Schlinge wanden sich Sasukes Arme fest um den Blonden herum. Er drückte den Jungen kräftig an sich. Er wollte so nah zu seinem Gegenüber sein, wie es nur ging. Naruto konnte mit seinem Part auch nicht aufhören. Er trieb Sasuke unaufhaltsam in eine ganz bestimmte Richtung und der Uchiha ließ es zu. Sasuke machte jede Bewegung exakt nach. Nur spiegelverkehrt. Er erlaubte dem Uzumaki sich überallhin zu führen. Egal wohin. Sasuke würde ihm überallhin folgen. Er vertraute sich vollständig dem Uzumaki an. Und es fühlte sich tierisch gut an.
 

„So wird das aber nichts mit dem Lernen, weißt du?“, wisperte der Uzumaki nach einer Weile.

„Ich weiß, ich hab es schon aufgegeben“, erwiderte der Uchiha und küsste Naruto erneut. „Wer ist wohl schuld daran, ha?“

„Ich glaub, ich bin‘s“.

„Richtig, du bist es, Füchschen.“

„Oh, ein neuer Spitzname?“

„Halt deine Fresse und küss mich.“

„O-ha! Jemand scheint wohl richtig aufgedreht zu sein…“

„Ihr zwei! Die Aula muss jetzt geräumt werden!“
 

Der Hausmeister entstand aus dem Nichts. Er riss die Tür auf und das weiße Licht erhellte kräftig die stockdunkle Aula. Sasuke war auf sowas nicht vorbereitet. Der Uchiha wurde regelrecht geblendet. Er kniff die Augen passiv zusammen und wendete sich vom kräftigen Licht ab.
 

Währenddessen drehte sich der blonde Junge zum ungebetenen Gast hin. Er entfernte sich dadurch von Sasuke. Der Uchiha wurde somit aus dem warmen Käfig freigelassen. Sein Körper wurde gleich auf null Grad runtergekühlt. Sasuke wendete sich zurück zu Naruto. Der Blonde schien auf einmal so distant und unerreichbar zu sein. Der Oberschüler nahm diese faszinierende Gestalt wahr, die von dem blendend weißen Licht kräftig erhellt wurde. Naruto sah in diesem Moment fast heilig aus. Wie ein echter Bringer des Lichts. Am Ende des gemeinsamen Weges mit diesem einmaligen Wunder wird Sasuke bestimmt sehr viel Schmerz finden. Narutos Licht ist viel zu überwältigend für ihn.
 

„Was glotzt ihr mich so an, ha? Ich will auch irgendwann Feierabend machen, okay?“, warf der Hausmeister unzufrieden. Die Jungs beeilten sich und räumten die Aula.
 

Nach fünfzehn Minuten saßen sie bereits im Bus. Sasuke lehnte sich bereitwillig auf den Blonden an und umarmte ihn fest. Narutos Arme waren auch fest um Sasukes Torso gewickelt. Der schwarzhaarige Junge verspürte eine seltsame Melancholie. Er war bekümmert.
 

Weil er diesen blonden Schwachkopf am liebsten nicht gehen lassen würde.
 

Ach, verdammt! Jetzt führte der Uchiha den blöden Gedanken doch zu Ende! Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
 

Am Ende dieser wunderschönen Reise wird sich Sasuke an Narutos kräftigem Licht bestimmt sehr schlimm verbrennen. Daran hatte der Uchiha keine Zweifel mehr.

Mittlerweile neigte sich das Jahr dem Ende zu. Das bedeutete zahlreiche Leistungskontrollen in fast allen Fächern. Aber das bedeutete auch was anderes: Weihnachten stand bevor. Diese zwei Sachen kamen sich mächtig in die Quere. Sasuke musste viel für die Prüfungen machen, aber er konnte sich nicht vernünftig darauf konzentrieren. Überall nahm er nur noch fröhlich verliebte Pärchen wahr, die im vollen Umfang diese besondere Jahreszeit genossen: sie betrachteten fasziniert eine Lichtinstalation, liefen Hand in Hand durch den Weihnachtsmarkt, aßen aus einer Tüte gebratene Mandel, fuhren Riesenrad und küssten sich, sobald die Gondel den höchsten Punkt erreicht. All das erinnerte den Jungen lästig daran, dass Naruto nicht sein Freund ist und es vermutlich nie sein wird. Der Uzumaki agierte letzter Zeit besonders süß. Sasuke spürte, dass sich Naruto besonders viel Mühe gab ihn beim Lernen mit kleinen netten Gesten zu unterstützen. Er kümmerte sich um Getränke und Essen, schlug Sachen nach, wenn er darum gebeten wurde, lenkte den Schwarzhaarigen nicht unnötig ab und ging ihm nicht auf die Nerven. Wenn Sasuke eine kleine Pause anlegte, dann leistete Naruto ihm stets bereitwillig Gesellschaft. Uzumakis sanfte unaufdringliche Präsenz machte diese Lernphase zu einem besonderen Erlebnis im Leben des Schwarzhaarigen. Sasuke bekam fast jeden Tag kleine Gründe sich noch mehr in diesen Blonden zu verlieben. Damit streute Naruto unbeabsichtigt Salz in die Wunde. Und genau deswegen war die diesjährige Weihnachtszeit so unerträglich.
 

Die extrem hohe Dichte von verliebten Pärchen regte Sasukes Vorstellungskraft auch positiv an. Diese Zeit war schon besonders, denn man durfte auf einen Wunder hoffen ohne sich gleich dabei wie ein Vollidiot zu fühlen. Dank Naruto fühlte sich der Uchiha letzter Zeit zwar sehr wie ein Vollidiot, aber das hier war aufgrund von Weihnachten berechtigt. Sasukes Weihnachtswunder bestand darin, Narutos Hassgefühle gegenüber diesem Fest ein wenig zu besänftigen. Er meinte, er könnte es mit einem gemütlichen familiären Abend schaffen. Sie würden kochen, backen, Lieder singen, alte Filme anschauen, einander beschenken, spazieren gehen… wenn Naruto gläubig ist, könnten sie ja eine Kirche aufsuchen. In Sasukes Kopf spielte sich bereits ein wunderbarer Abend ab. Ob der Uzumaki Lust hätte, den Heiligabend auf diese Weise zu verbringen? Sasuke wusste es nicht. Er beabsichtigte es jetzt herauszufinden.
 

„Naruto, hast du am Heiligabend etwas vor?“, fing der Uchiha aus der Ferne an.

„Ach, stimmt! Ich wollte dich schon seit langem darauf ansprechen! Naruto-Club macht am 24. einen Karaoke-Ausflug und ich geh dahin. Möchtest du auch mitkommen?“
 

Anscheinend hatte Uzumaki überhaupt keine Absichten den Heiligabend nach Sasukes Plan zu verbringen. Schade.
 

„Ähm, ich denke nicht“, ließ der Uchiha monoton ab.

„Okay. Aber wenn du es dir doch anders überlegst, gib mir bitte bis Ende der Woche Bescheid. Ich müsste es dann Karui sagen. Sie kümmert sich um die Reservierung.“

„Achso.“
 

Die Unterhaltung hörte auf. Die Jungs versanken in eine peinliche Stille.
 

„Du wirkst irgendwie komisch. Wolltest du mich irgendwo einladen? Ich könnte noch alles absagen…“
 

Jetzt stellte Naruto die ganze Sache ziemlich direkt dar. Einerseits war es wirklich die perfekte Gelegenheit den perfekten Plan umzusetzen. Aber andererseits fühlte sich Sasuke in dieser Sekunde total dumm. Als ob jemand so beliebtes wie Naruto an diesem Ausgehabend nichts vorhätte! Natürlich wurde er bereits eingeladen! Sasuke wollte nicht, dass Naruto seinetwegen irgendwelche Pläne streicht. Außerdem müsste er so oder so lernen. Am 29. kommt die allerletzte Prüfung. Deswegen sagte er:
 

„Ne, passt schon.“

„Wirklich?“

„Wirklich.“

„Ich mach’s für dich, wenn du möchtest. Musst nur sagen.“
 

Diese Worte erstaunten den Uchiha ein wenig. Für dich, ha? Pfff! Als ob Sasuke es so sehr nötig hätte! Er findet es zwar schade, aber jetzt nicht so, dass etwas abgesagt werden muss.
 

„Ne, alles gut, wirklich.“

„Wie du meinst. Bleibst du heute wieder zum Lernen?“

„Ja.“

„Dann bleib ich auch.“

„Gut. Ich muss noch schnell ins Sekretariat. Treffen wir uns am gewöhnlichen Ort?“

„Okay. Ich besorg uns ein Paar Snacks.“

„Nice! Dann bis später!“
 

Nach zwanzig Minuten stand Sasuke im üblichen Raum. Naruto breitete die Verpflegung auf einem der Tische aus und starrte ins Handy. Dabei hörte er Musik. Er bemerkte im Türrahmen stehenden Sasuke gar nicht. Der Uchiha bekam dadurch die Gelegenheit seinen Gegenüber ein wenig zu beobachten. So einen nachdenklichen Blick sah Sasuke auf Uzumakis Gesicht nicht so oft. Der Uchiha betrachtete zum ersten Mal ganz genau Narutos Hände. Man würde sie wahrscheinlich nicht als schön bezeichnen. Narutos Finger waren ziemlich krumm, seine Nägel waren ungepflegt und abgeknabbert, seine Handflächen waren grob und mit komischen Schwielen bedeckt. Trotzdem waren es keine hässlichen Hände. Sie erzählten eine Geschichte. Wahrscheinlich war Naruto ab und zu handwerklich tätig und wusste, wie man eine Steckdose repariert, einen alten Stuhl leimt oder Wände bohrt. Vermutlich brach er sich ein-zwei Finger während einer Prügelei und das nicht nur einmalig. Vielleicht war er doch nicht so entspannt drauf, wie er zu sein schien. Oder vielleicht belastete ihn etwas unterbewusst. Aber Sasuke wusste, dass diese Hände auch hübsch wirken können. Narutos Finger verliehen den Tanzfiguren einen eleganten Finish. Und außerdem waren Uzumaki Hände trotz rauer Oberfläche sehr zärtlich und stets angenehm warm.
 

„Hat alles im Sekretariat gut geklappt?“ Sasukes Gedanken wurden unterbrochen.

„Ja“, warf der Junge passiv.

„Bis wann möchtest du heute bleiben?“

„Bis ich nicht mehr kann. Muss noch sehr viel Stoff durchgehen.“

„Alles klar. Dann ist es eine gute Sache, dass ich so viel Essen besorgt habe.“
 

Naruto lächelte Sasuke warm an. Der Oberschüler konnte dieses sonnige Grinsen nicht unerwidert lassen. Er lächelte ebenfalls.
 

Das heutige Lerndate verlief wie gewöhnlich: Sasuke stöberte durch die Bücher und rechnete Musteraufgaben; Naruto las ein Buch und hörte Musik. Als Austauschschüler war er von sämtlichen Leistungskontrollen befreit. Dafür hasste Sasuke ihn ein wenig.
 

„Kommst du am Heiligabend wirklich nicht mit?“

„Ne, kein Bock mit deinen verrückten Fangirls abzuhängen. Ich hab Angst vor ihnen.“

„Haha! Musst du nicht, ich beschütze dich, wenn nötig.“
 

Sasuke wurde kurzerhand sprachlos.
 

„Ähm? Was?“

„Was denn? Brauchst du keine Beschützer?“

„Nein danke.“

„Hmmm, okay. Dann lass ich dich eben von meinen verrücken Fangirls verzehren!“

„Ist auch nicht besser. Deswegen komm ich ja nicht mit.“

„Du wirst mir fehlen, Muffin. Ich hätte dich schon gerne an dem Abend bei mir.“
 

Sasuke wurde mal wieder sprachlos. Was ist denn heute los mit Naruto?
 

„Was ist nur los mit dir? Warum haust du all diese komischen Sprüche raus? Sei bitte wieder normal, okay?“

„Wenn ich wieder normal werde, dann komm ich nie zum Punkt. Und ich will zum Punkt kommen, weil wir nicht mehr so viel Zeit miteinander haben. Deswegen versuche ich Klartext zu reden.“
 

Sasuke seufzte. Er wusste ganz genau was der Blonde meint.
 

„Endlich sagst du was sinnvolles“, ließ Sasuke leise ab.

„Pfff!“ Naruto wollte sich schon über die Bemerkung aufregen, aber Sasuke war schneller:

„Ich rede dann auch Klartext. Ich wollte eigentlich den Heiligabend mit dir verbringen und zwar so, wie es bei dir zuhause üblich ist, also eher gemütlich. Ich dachte, wir könnten ein richtig fettes Weihnachtsessen kochen, ein bisschen singen, blöde alte Filme gucken, vielleicht in eine Kirche gehen… ich dachte, du hättest nichts vor, aber woran dachte ich überhaupt dabei! Natürlich hast du was vor. Es ist schließlich Weihnachten… aber es ist wie gesagt nicht so wichtig. Geh lieber mit deinen Verehrern aus. Du musst dich doch irgendwann um sie kümmern. Und ich muss eh lernen. Also passt alles. Kein Problem.“
 

Naruto nahm Sasuke dankend in die Arme. Dabei drückte er den Jungen kräftig zusammen.
 

„Hey, wofür ist das denn?“, fragte der Uchiha mit Verdacht.

„Dafür, dass du so unfassbar süß bist, Muffin. Ich sag das mit dem Karaoke ab. Mir gefällt dein Plan viel besser.“

„Nein, du musst wirklich ni…“

„Shhh!“, zischte Naruto. „Klartext reden, schon vergessen?“
 

Sasuke wurde stumm. Er sagte nichts mehr. Er beobachtete nur, wie Naruto Karui eine Nachricht mit der Absage schickte. Dabei zuckte sein Herz zusammen. Ach, wen will er denn belügen? Er freute sich innerlich über Narutos Entscheidung. Er hätte den Blonden sehr gern am Heiligabend nur für sich allein und jetzt ist er für diesen einen Abend definitiv seins.
 

„Willst du vielleicht mit mir die Lichter angucken?“, fragte er leise.

„Jetzt gleich?“

„Na, irgendwann. Wir können von mir aus gerne jetzt gleich gehen.“

„Aber ich muss noch lernen…“

„Danach?“
 

Narutos ehrliche Anfrage ließ Sasuke nicht gleichgültig. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass sich der Blonde an Sasuke eigentlich nicht binden wollte, weil es am Ende viel Schmerz bringt. Genauso sah Sasuke die Situation auch: Lieber nicht binden. Doch jetzt in dieser Sekunde überlegte Naruto es sich doch anders. Er war bereit den Schmerz in Kauf zu nehmen, wenn er dafür die Zeit mit seinem Muffin genießen kann.
 

„Ich würd schon gerne… ja“, ließ der Schwarzhaarige etwas unentschlossen ab.

„Dann warte ich bis du fertig bist, okay?“

„Okay.“
 

Die Umarmung wurde aufgelöst. Sasuke war gerade dabei zu seinen Aufgaben zurückzukehren, doch auf einmal konnte er einem plötzlichen Impuls nicht widerstehen und küsste Naruto.
 

„Wow, ich muss mir diesen Tag unbedingt merken“, ließ der Junge überwältigt aus. „Es ist so selten, dass du überhaupt etwas von mir willst und besonders so etwas.“

„Gewöhn dich dran.“

„Warum das auf einmal?“

„Du hast völlig recht, Sonnenschein. Wir haben wirklich nicht mehr viel Zeit miteinander. Es wäre sehr dumm, sie nicht sinnvoll zu nutzen.“

„Oooooh! Komm her.“
 

Und nun spürte Sasuke Narutos starke Arme um sich herum erneut. Er holte seine Unterlagen heran.
 

„Kann ich bitte so sitzen bleiben?“, fragte der Uzumaki.

„Gerne. Es ist so kalt hier drin und du bist wie ein kleiner Ofen. Ich sag nicht nein dazu.“

„Haha! Sehr schön, dann haben wir beide was davon.“

„Richtig.“
 

Am heutigen Abend beeilte sich Sasuke mit dem Lernen besonders und schon nach zwei Stunden durfte auch das Keinpärchen die glitzernde Winterpracht genießen. Sie liefen Hand in Hand durch eine märchenhaft beleuchtete Allee. Naruto sah anscheinend sowas noch nie. Er wirkte regelrecht fasziniert. Die warmen gelblichen Lichter fesselten Uzumakis Blick und spiegelten sich in seinen großen blauen Augen wider. Dadurch schienen sie wie eine unerforschte ferne Galaxie. Dieser Anblick fesselte wiederum Sasuke zutiefst. Während Naruto fasziniert die Lichter betrachtete, betrachtete Sasuke genauso fasziniert ihn.
 

Die Jungs liefen ziemlich lang komplett stumm durch die Allee. Sasuke bekam das Gefühl, dass Naruto so überwältigt ist, dass er ab und zu zu atmen vergisst.
 

„Gefällt‘s dir?“, fragte Sasuke nach einer Weile.

„Ja, sehr“, hauchte der Blonde verhext aus.

„Hast du sowas noch nie gesehen?“

„Nein, bei uns sind die Weihnachtslichter nicht so beeindruckend.“

„Komisch, dabei ist es doch «euer» Fest.“ Sasuke machte Gänsefüßchen in der Luft.

„Schon, aber in Sachen Licht seid ihr einfach unschlagbar. Es ist so schön hier.“

„Dabei ist diese Allee nicht das Beeindruckendste, was man um die Weihnachtszeit zu sehen bekommt.“

„Ich weiß. Wollen wir irgendwann mal zu diesem krassen Schloss?“

„Ja, können wir machen.“

„Oh, guck mal! Was ist das da?!“
 

Naruto lief zügig auf die nächste Installation zu. Es handelte sich dabei um eine riesige Fläche, die dicht mit Lichterketten besäht war. Sie schillerten kräftig. Von weitem sah es wie ein Regen aus. Das ganze wurde mit passenden Geräuschen ergänzt. So kam die Installation einem echten Regen ziemlich nahe.
 

„Muffin, komm schnell her! Es regnet!“, rief Naruto begeistert aus und tauchte in den Wald aus Lichterketten.
 

Sasuke eilte Naruto hinterher. Als er den Uzumaki aufholte, standen sie gefühlt sehr mittig in der Installation. Sie waren umgeben von tausenden Lichterketten. Das Regengeräusch unterdrückte die hektische städtische Umgebung. Es roch sogar nach Regenfrische. Naruto schloss ihn in eine Umarmung ein.
 

„Sag mir: Was machen Pärchen, wenn es plötzlich anfängt zu regnen?“, fragte er mit einem Fuchsgrinsen im Gesicht.

„Sie teilen sich einen Schirm?“, schlug Sasuke vor.

„Und was, wenn sie keinen Schirm haben?“

„Dann verstecken sie sich unter einem Dach und warten, bis der Regen vorbei ist.“

„Was, wenn der Regen sie voll erwischt hat und es ist kein Gebäude in der Nähe gibt?“

„Dann beeilen sie sich nach Hause?“

„Und bevor sie sich nach Hause beeilen?“

„Sie küssen sich sehr romantisch.“

„Richtig!“ Naruto lächelte Sasuke sanft an.

„Und was machen wir? Wir sind doch kein Pärchen!“

„Wir küssen uns trotzdem. Komm her!“
 

Die Jungs standen noch eine ganze Weile mittig in der Installation und machten das, was Pärchen machen, bevor sie sich nach Hause beeilen. Sasuke hat noch nie jemanden bei so einer Kälte geküsst. Jedesmal, als sich seine Lippen von Narutos trennten, verspürte er eine plötzliche stechende Kälte im Mund. Darum küsste der Junge seinen Gegenüber gieriger und eifriger als sonst. Narutos Wärme war bei diesen Temperaturen besonders kostbar.
 

„Gefällt dir das hier?“, hauchte Sasuke aus.

„Ja, das hier gefällt mir am meisten, weil du mir gefällst“, hallte Naruto nach und guckte den Uchiha warm an.
 

Sasuke verlor sich in den endlosen blauen Augen. Er konnte seinen Blick von Naruto nicht nehmen. Sein Herz klopfte wie verrückt. In diesem Moment ordnete sich das Universum so an, dass sich die zwei Jungs genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort befanden. Denn Naruto sagte plötzlich:
 

„Muffin, ich liebe dich.“

Heute war der 23. Dezember. Sasuke Uchiha war am heutigen Tage ganz besonders aufgeregt. Nicht wegen der wichtigen Prüfung. Nein, darauf war Sasuke mehr als sehr gut vorbereitet. Ihn besorgte etwas ganz anderes. Morgen war Heiligabend. Er war also morgen für den gesamten Tag mit Naruto verabredet. Diese Tatsache war an sich nicht beunruhigend. Auch darauf bereitete sich Sasuke mehr als übergründlich vor. Er informierte sich extensiv darüber, welche Bräuche in Narutos Heimatland herrschen. Vieles davon wusste er schon. Zum Beispiel, dass an dem Tag ein sehr deftiges Abendessen gegessen wird. Im Internet gab es viele Vorschläge was man machen könnte. Sasuke legte sich auf den Hasen mit Rotkohl und Klößen fest. Der erste Teil der Vorbereitungen war also die hier zulande ausgefallenen Zutaten aufzutreiben. Kartoffeln waren eigentlich nicht besonders ausgefallen. Deswegen waren sie am einfachsten zu kriegen: man bekam sie in jedem größeren Supermarkt. Das Hasenfleisch stellte ein etwas größeres Problem dar. Sasuke suchte dafür einen ganz bestimmten Fleischer auf und ließ dort eine Unmenge Geld. Diese Sorte Fleisch war einfach übertrieben teuer. Aber das ging dann auch im Vergleich zum Rotkohl. Den zu kriegen war am schwierigsten. An sich war das Zeug nicht teuer. Eigentlich konnte man dieses Produkt als verdammt billig bezeichnen. Der Hacken an der ganzen Sache war, dass Sasuke es nirgends fand und es deswegen im Internet bestellen musste. Ja, dieses Billigzeug wurde extra wegen Sasuke Uchiha aus dem Ausland per Spezialversand für Lebensmittel angeflogen. Das trieb natürlich die Anschaffungskosten ins Unermessliche hoch. Der verdammte ausländische Billigrotkohl war im Endeffekt das Teuerste, was Sasuke für diesen Abend besorgte. Eigentlich hatte Sasuke keine Ahnung, wie man ein solches Essen, insbesondere einen einen Hasen, korrekt zubereitet. Er bezweifelte auch sehr stark, dass Naruto selbst davon Ahnung hatte. Deswegen rüstete er sich mit ein paar Kochvideos zum Thema „Hasenfleisch“ aus. An Ende macht es vermutlich null Unterschied. Sie werden es sehr wahrscheinlich vermasseln. Na ja, so lange es etwas halbwegs essbares wird, ist es okay. So viel Kocherfahrung brachte Sasuke definitiv mit. Es geht so oder so nicht darum ein perfektes Musterteller hinzukriegen. Es muss Spaß machen, das ist die Hauptsache. Andere beliebte Weihnachtssache war das Backen. Daran wollte Sasuke nicht vorbeigehen. Er kannte keine genauen Rezepte, also bestand der zweite Vorbereitungsschritt darin diese Rezepte zu finden. Sasuke war sich sicher, dass die Hasenaktion eindeutig zu viel kochen für einen Abend wird, daher beschoss er, sich im Voraus um die Plätzchen zu kümmern. Das war ja nicht besonders schwer. Die Rezepte waren äußerst simpel. Das Gebäck war also erledigt. Es repräsentierte den einfachsten Teil der gesamten Weihnachtsunternehmung. Ansonsten wird viel gesungen. Sasuke kannte nur ein Weihnachtslied und als den dritten Vorbereitungsschritt nahm er sich vor mehr zu lernen. Er ging sogar so weit, dass er sich an die Originaltexte in Narutos Muttersprache wagte. Seine Aussprache war einfach schrecklich, aber das war egal. Er war fest davon überzeugt, dass Naruto diese Schrecklichkeit begeistert feiern wird. Außerdem stellte sich der Uchiha generell wunderschön vor zusammen mit Naruto die traditionellen Lieder in seiner Muttersprache zu singen. Ja, ein wenig kitschig muss das Ganze schon sein. An ein gutes Geschenk dachte er ebenfalls. Sasuke trieb das Buch mit Narutos namensgebenden Geschichte auf. Es war nicht so einfach, weil er sich dafür mit einem zwielichtigen Buchantiquariat rumschlagen musste, aber in dieser Besorgungsrunde schlug nichts den Rotkohl. Dafür, dass sich der Uzumaki darüber unheimlich freut, war der Aufwand schon wieder okay. Sonst suchte Sasuke ein paar Filme aus. Er wollte mit Naruto unbedingt eine bestimmte Komödie gucken, der Rest war dann als extra da. Als ein kleines Extra besorgte der Junge ein paar farbige Wunderkerzen. Um Mitternacht darf es ja ein bisschen feierlich werden. Sonst fragte sich der Uchiha, ob Naruto einen Tannenbaum und passenden Schmuck dafür besitzt. Wahrscheinlich nicht. Solche Besorgungen gingen dem Uchiha doch ein bisschen zu weit. Als Kompromiss malte er einen Tannenbaum auf A4-Blättern auf und klebte sie zusammen. Was besseres fiel ihm auf die Schnelle nicht ein. Hoffentlich wird Naruto es nicht all zu doof finden. Sasuke dachte eigentlich, dass Naruto diese Bastelei und alle anderen Vorbereitungen insgesamt sehr herzlich feiern wird. Daran lag seine Aufregung nicht. Am Tag bei der Lichtinstallation ließ der Uzumaki ganz unerwartet eine Bombe platzen. Er gab Sasuke aus dem heiteren Himmel eine ernst gemeinte Liebeserklärung ab. Auf sowas war der Uchiha überhaupt nicht vorbereitet. Deswegen reagierte er darauf null. Seitdem wurde das Verhältnis von den beiden Jungs äußerst komisch. Es hing seit dem Tag eine hauchdünne Peinlichkeit zwischen ihnen. Sie küssten sich nicht mehr so oft. Und wenn, dann schmeckte Sasuke dabei eine komische Unentschlossenheit im Abgang. Generell reduzierte Naruto jeglichen körperlichen Kontakt. Er ließ seit dem Tag so gut wie gar keine Anmachsprüche mehr ab. Komischerweise fehlten sie Sasuke in seinem Alltag. Das fand der Uchiha auch etwas überraschend. Die Busfahrten verliefen überwiegend stumm und auch sonst redete Naruto mit Sasuke ziemlich wenig. Man würde vielleicht meinen, dass Naruto Sasuke generell zu meiden versuchte, aber das stimmte nicht. Der Uzumaki tauchte weiterhin unaufgefordert zu jedem Lerndate auf und stellte die damit verbundenen kleinen Nettigkeiten nicht ab. Obwohl die Busfahrten jetzt stumm verliefen, machte Naruto sie trotzdem weiterhin mit. Den Heiligabend wollte er auch nicht absagen. Und sonst sprach er Sasuke stets mit „Muffin“ an. Dies verwirrte den Uchiha schon. So etwas war nicht Narutos gewöhnliche Art. Der Uzumaki war im seinem Umgang immer sehr direkt. Es war immer klar, worauf er hinaus möchte, und irgendwelche versteckten Absichten hatte der blonde Junge noch nie. Aber dieses Mal hatte Sasuke keinen Plan, warum sich Naruto so uneindeutig verhält. Eins, was Sasuke aus dem Bauch ganz genau wusste, war, dass er an Reihe ist, sie aus diesem Zustand rauszuholen. Naruto wird diesmal definitiv nicht auf ihn mit irgendetwas zukommen. Wenn Sasuke seine Sonne wieder haben will, musste er etwas unternehmen. Der morgige Tag gab ihm die perfekte Gelegenheit dafür. Neben kochen, einander beschenken, singen und alte Filme gucken wollte Sasuke sich endlich mit Naruto aussprechen. Obwohl er Uzumakis Liebeserklärung nicht direkt erwiderte, verzichtete er auf die Idee von Klartext reden noch nicht. Er wollte schon ehrlich sein und Naruto über seine Gefühle erzählen. Das Problem dabei war, dass er nicht wusste wie. Darauf konnte er sich eben nicht vorbereiten, obwohl er es ernsthaft versuchte. Sasuke wollte wirklich eine echte Rede zu schreiben, aber es nützte nichts. Der allererste Entwurf war unglaublich schlecht und jeder nächste wurde nur noch schlimmer. Die Rede klang erzwungen, steif und überhaupt nicht authentisch. Den vermutlich wichtigsten Teil des Abends ging der Uchiha also total planlos an. Also, nicht ganz planlos. Der momentane Plan bestand darin, Narutos Worte eins zu eins zu wiederholen. Damit war Sasuke nicht zufrieden, aber was besseres und vergleichbar effektives fiel ihm nicht ein. Deshalb blieb es erstmal dabei.
 

Heiligabendmorgen. Seitdem Sasuke um 7:30 die Augen aufmachte, fühlte er eine gewaltige Vorfreude auf den Tag mit Naruto. Es fühlte sich tierisch gut an. Na fast. Der Teil mit dem Aussprechen regte den Jungen ein bisschen zu stark auf. Sasuke war gerade deswegen ziemlich unangenehm aufgedreht und sogar etwas nervös. Er war schon lange nicht mehr so nervös. Das letzte Mal war damals als er seinen Vater mitteilen musste, dass er die Aufnahmeprüfung in Itachis Oberschule nicht geschafft hat. Dieses Ereignis liegt zwar drei Jahre zurück, aber Sasuke kann sich immer noch ganz gut an seine innere Unruhe erinnern. Und so ähnlich fühlte er sich gerade auch. Am heutigen Morgen achtete er besonders pingelig auf sein Äußeres. Die Haare kämmte er sich richtig gründlich durch, die ganzen drei Mal. Die Zähne putzte er sich mit einer für seine Verhältnisse untypischen Wucht. Den gestern zusammengestelltes Outfit lehnte er doch ab und zog doch was anderes an. „Sasuke, entspann dich, es ist ja kein Date“, dachte er sich, während er, sich im Spiegel anschauend, etwas Parfüm auf den Hals auftrug. „Kein Date? Wirklich? Wir haben diesen Abend schon lange geplant und ich möchte sogar auf eine Liebeserklärung antworten. Ich muss mir nichts vormachen, es ist ein Date. Und mir ist wirklich nicht egal, wie es verläuft. Ich will, dass der heutige Tag als etwas sehr schönes in Narutos Erinnerung bleibt, und zwar meinetwegen. Ich möchte ihm ein kleines Weihnachtswunder bescheren.“
 

Mit diesem Gedanken stieg der Junge um 9 Uhr morgens in einen überfüllten Zug in die Richtung Stadtmitte. Gefühlt quetschte sich die gesamte Wohngegend in diesen einen armen Abteil, der jede Sekunde zu platzten drohte. Die Fahrt verlief durch die unzähligen Mitreisenden und Sasukes überdimensionales Gepäck besonders anstrengend. Der Tag fing also nicht besonders wunderlich an. Als der Uchiha am Hauptbahnhof aus dem Zug mit vielen anderen gewaltsam ausgespuckt wurde, kam die nächste unangenehme Nachricht: Naruto ginge es wohl nicht so gut und er könne Sasuke vom Hauptbahnhof nicht abholen. Also überstand der Junge noch eine anstrengende Fahrt und legte einen anstrengenden Fußweg bis zu Narutos zuhause zurück ganz allein. Draußen herrschte eine gefährliche Glätte, die sich rasch über die vergangene Nacht bildete. Uzumakis Wohnheim lag zentral und das Stadtzentrum war vollgepackt mit den Bummlern, denen Sasuke ständig aus dem Weg gehen musste. Als er klingelnd vor Uzumakis Tür stand, war der Junge verschwitzt und ein wenig ausgelutscht. So fängt kaum ein Wunder an, oder?
 

„Sasuke, bist du das?“, ertönte in der Sprechanlage.

„Ja, mach auf.“

„Yo!“
 

Die Tür summte und Sasuke ging rein. Die Treppenhindernis überwand Sasuke ziemlich schnell. Am Ende des Korridors leuchtete bereits Narutos offene Tür und Uzumakis Kopf schaute begrüßend nach draußen.
 

„Hi Mu…“
 

Naruto konnte seine Begrüßung nicht beenden, denn er musste sich ganz plötzlich übergeben.
 

„Ähm, geht’s dir gut?“, ließ der Uchiha überrascht ab.

„Ja, fast. Ich hab gestern irgendwas schlechtes gegessen…“

„Okay.“
 

Ach, sowas dämliches! Bestimmt hat der dumme Uzumaki bei seiner nächtlichen Fressaktion ein Verfallsdatum nicht beachtet! So oder so ähnlich ist es bestimmt stattgefunden. Irgendwie war Sasuke ein bisschen genervt davon.
 

„Geht’s dir wirklich gut?“ Sasuke fragte sicherheitshalber nochmal nach, denn Uzumaki sah nicht wirklich gesund aus. Aber gleichzeitig spürte Sasuke, dass Naruto überhaupt keine Absichten hat sich auszuruhen.

„Ja, passt schon. Er ist okay.“

„Okay, wie du meinst.“
 

Sasuke betrat Narutos Wohnung und guckte sich fragend um. Der Uzumaki schien sich nichtmal ansatzweise dieselbe Mühe für den heutigen Tag zu machen wie Sasuke. Er schuf nichtmal oberflächlich aufzuräumen. Irgendwie ernüchterte diese Tatsache Sasuke auf einer sehr unangenehmen Weise.
 

„Ähm…“ Der Schwarzhaarige führte den Blick deutend in den Fußboden.

„Ja, ich räum das hier weg.“
 

Sasuke seufzte. Er zog seine Straßenklamotten aus, ging in die Küche durch und stellte seine riesige Tasche ab. Der Tag mit Naruto fing nicht mal richtig an und Sasuke hatte bereits jetzt bei all dem ein sehr komisches Gefühl. Kein Wunder fängt mit zwei anstrengenden Fahrten, einer Lebensmittelvergiftung und einer etwas chaotischen Wohnung an! Sasuke seufzte noch Mal. Er war gespannt darauf, ob er noch schafft, diesen schon jetzt äußerst komischen Tag in einen echten Weihnachtswunder zu verwandeln.
 

Davon hatte der Uchiha leider keine Ahnung. Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Jedoch plagten den Jungen ab jetzt leichte Zweifel.

Mittlerweile überging der Tag in den Abend und Sasuke war nur am Seufzen. Das tat der schwarzhaarige Junge beinahe ununterbrochen und sehr genervt. Die perfekte Unternehmung verlief überhaupt perfekt. Eigentlich ähnelte sie einem großen Desaster. Bis jetzt ging jeder Teil des Plans schief und dafür gab es viel zu viele Gründe. Erstens ging es Naruto wirklich nicht gut. Er bekam starke Bauchkrämpfe und ihm war durchgängig übel. Er nahm irgendwelche aus seinem Heimatland mitgebrachten Tabletten und bis jetzt schlugen sie nicht ein. Deswegen legte sich Naruto während des Kochens hin. Im Endeffekt kämpfte Sasuke auf der Kochfront ganz allein. Was den Uchiha daran am meisten irritierte war, dass Naruto ganz ohne bescheid zu geben ins Bett verschwand. Obwohl Sasuke sowas tierisch auf die Nerven ging, wollte er seinen kranken Gastgeber trotzdem nicht im Stich lassen. Also passte er neben dem Kochen auf Naruto auf. Der Uzumaki musste sich noch ganze zwei mal übergeben. Leider war Narutos chaotische Wohnung gegenüber den zufälligen Besuchern überhaupt nicht freundlich gesinnt. Jede Handlung fühlte sich unglaublich anstrengend an, weil man andauernd etwas suchte, über auf dem Boden liegenden Sachen stolperte oder irgendwelchem aus den Schränken herausfallenden Kramm auswich. Sasuke machte so eine Unordnung wahnsinnig. Zwischen all dem blieb das Fleisch ein bisschen zu lange im Backofen und schon war es ziemlich zäh und steckte nervig in jedem Zahnzwischenraum. Dafür sind dem Uchiha die Klöße ziemlich gut gelungen. Und der Rotkohl. Ja. Der Rotkohl schmeckte fantastisch. Aber selbst wenn alles exakt nach Plan laufen würde, konnte Naruto wegen seiner Magenschmerzen eh nichts deftiges essen. Deshalb knabberte er am trockenen fast geschmacklosen Weihnachtsgebäck, während Sasuke die Fleischstückchen mit der Zahnseide aus den hinteren Ecken seines Mundraumes herausfummelte. Es handelte sich also keinesfalls um das perfekte Weihnachtsdinner.
 

Die Magenschmerzen machten Narutos es ab irgendeinem Zeitpunkt richtig zu schaffen. Sasuke verstand nicht, warum er sich durch diesen Abend trotzdem durchquält. Sasuke machte auf seinem Laptop den Film an. Währenddessen schlugen Uzumakis komischen Tabletten aus dem Ausland endlich ein. Narutos Bauchschmerzen verschwanden komplett. Leider hatten die Wundertabletten auch eine lästige Nebenwirkung: der Blonde wurde so schläfrig, dass er ab der Hälfte des Films komplett weg war. Sasuke durfte eine ganze Stunde in völliger Einsamkeit über die ihm bereits bekannten Witze lachen. Oder auch nicht. Komödie machen nur dann Spaß, wenn man sie nicht allein guckt. So saß der Uchiha auf Uzumakis Couch mit seinem eigenen Laptop auf dem Schoß und guckte den Film, den er unbedingt mit Naruto gucken wollte, ganz allein. Dass Uzumaki auch anwesend war, bemerkte man durch das laute Schnarchen. Sasuke ließ den gefühlt tausenden Seufzer aus. Zu viele Seufzer für einen Abend, nicht wahr? Warum machte er all das nochmal? Ach ja, er wollte, dass dieser Idiot unbedingt ein kleines Weihnachtswunder erlebt. Und dafür war er tatsächlich bereit ihn den ganzen Tag zu bespaßen. Sasuke ärgerte sich darüber, dass dieser Tag ihm so viel bedeutete. Und dieser Schwachkopf schuf nichtmal seine kleine eklige Wohnung in Ordnung zu bringen. Oder wenigstens ein kleines beschissenes Verfallsdatum zu beachten! Natürlich musste er sich ausgerechnet gestern eine schlimme Lebensmittelvergiftung reinhauen! Ja klar!
 

Mittlerweile war der Film zu Ende. Sasuke war frustriert und ein wenig wütend wegen der Situation: Naruto schläft fest und er sitzt ganz allein im Chaos und kaut immer noch an den Fleischresten aus den Zahnzwischenräumen rum. Der Uchiha fühlte sich unglaublich fehl am Platz. Naruto ist krank und braucht Ruhe. Es nützt also überhaupt nichts hier zu sein. Besonders wenn der Gastgeber seit anderthalb Stunden fest schläft. Sasuke klappte seinen Laptop zu. Der Junge machte dies ein wenig wütender als er sollte. Dadurch wurde Naruto wach.
 

„Muffin, wo willst du hin?“
 

Diese verschlafene Frage erzielte bei Sasuke nur ein knappes Gelächter. Was denkt Naruto, wo er hingeht? Die Antwort ist doch selbstverständlich!
 

„Hey, ich rede mit dir.“ Obwohl Narutos Stimme total verschlafen klang, spürte Sasuke bei dieser Anfrage gleichzeitig eine gewisse Aufforderung. Dabei verdrehte Sasuke die Augen. Als ob dieser Schwachkopf überhaupt etwas von ihm fordern darf! Wenn, dann auf jeden Fall nicht heute.

„Was denkst du, wo ich hingehe, Herr Schlaumeyer?“, erwiderte Sasuke bissig.

„Keine Ahnung, deswegen frage ich ja.“ Uzumaki zeigte immer noch keinerlei Schuldbewusstsein. Dies regte den Uchiha noch mehr auf.

„Du fragst mich ernsthaft, wo ich gehen will?!“, schrie der Schwarzhaarige eifrig aus.

„Ja!“

„Haha! Wenn wir bei der Stunde der dümmsten Fragen angelangt sind, frag mich lieber wieso ich gehe!“, brüllte der Uchiha aufgebracht.

„Hab ich etwa was falsch gemacht?“

„Ja! Hast du!“

„Na gut. Sorry, dass ich jetzt eingepennt bin…“

„Haha! Meinst du, es liegt jetzt nur daran oder wie?! Du hast heute verdammt noch mal alles falsch gemacht! Erstens hast du dir eine verdammte Lebensmittelvergiftung geholt! Deswegen hättest du dich schon heute früh melden können! Ich wäre dann nicht gekommen! Ja, weil du krank bist, du Blödmann! So viel Verständnis kann auch ich aufbringen! Hör mal jetzt auf die Augen zu verdrehen! Zweitens hast du mich nicht wie abgesprochen abgeholt! Drittens ist deine Wohnung nichtmal oberflächlich aufgeräumt! Nichtmal so viel Mühe hast du dir bei all dem gemacht! Geholfen hast du mir heute null! Bei gar nichts! Und noch oben drauf musstest du natürlich während des Films so richtig fest einschlafen! Meinst du, es macht Spaß, wenn dein Schnarchen alles im Raum übertönt?! Ja, okay, du bist krank! Aber du hast dich auf diese Feier selbst eingelassen! Dann gehe ich halt davon aus, dass du trotz der Lebensmittelvergiftung für eine Feier vernünftig genug funktionieren kannst! Sowas kannst nur du selbst abschätzen! Und das kannst du offensichtlich nicht! Weißt du, ich brauch all das nicht! Dass gefühlt jede Bewegung in deiner ekligen monströsen Küche in einen Überlebenskampf ausartet, dass ich dir beim Kotzen die Haare halten, mir danach stundenlang dein nerviges Schnarchen anhören und zwischendurch deine megaeklige Wohnung in Ordnung bringen muss, weil hier sonst überhaupt nichts funktioniert, und generell, dass ich mir deinetwegen echt viel Mühe gemacht habe und dir der heutige Tag sowas von egal ist! Nein, sowas kann ich mir wirklich sparen! Dafür ist mir meine Zeit dann doch zu wertvoll! Ich geh lieber lernen! Frohe Weihnachten!“
 

Sasuke schnappte seine Tasche und begab sich zielstrebig zum Ausgang.
 

„Muffin, warte!“
 

Plötzlich spürte der Uchiha ein kräftiges Ziehen am Handgelenk. Naruto zerrte ihn zu sich hin und Sasuke drehte sich dabei ungewollt um. Im nächsten Moment spürte er Narutos Lippen auf seinen. Was?! Was sollte das überhaupt?! Damit war der Uchiha überhaupt nicht einverstanden. Er stieß Naruto weg und ohrfeigte ihn mit aller Wucht. Niemand küsst den Uchiha, wenn er es nicht will. Und gerade jetzt war Sasuke überhaupt nicht in Stimmung. Er war aufgebracht und der Uzumaki verärgerte ihn mit seinem Verhalten richtig doll. Daher fand er, dass Naruto die saftige Ohrfeige völlig zurecht bekam.
 

Das sah Naruto definitiv anders. Sasukes physischer Angriff schreckte ihn überhaupt nicht zurück. Stattdessen küsste er seinen Gegenüber noch mal. Diesmal machte Naruto es Sasuke absichtlich schwer, ihn wegzustoßen. Er drückte den Uchiha kräftig an sich und ließ ihn nicht los. Diese Aktion fühlte sich etwas gewaltsam an. Trotzdem behandelte Naruto Sasukes Körper nicht grob. Die Küsse waren stets äußerst zärtlich. Durch sie bekam Sasuke sehr deutlich mit, dass Naruto der schiefgelaufene Abend verdammt leid tut. Sasuke stellte nochmal fest, dass Naruto besser durch Handlungen kommuniziert. Dieses Schuldbewusstsein besänftigte den Uchiha ein bisschen, aber er war trotzdem ganz schön außer sich. Dass sich Naruto nach so einer Saurei mit so einer Selbstverständlichkeit einen Kuss erlaubt, fand Sasuke überhaupt nicht witzig. Dies wollte der Uchiha so nicht stehen lassen. Er stieß den Uzumaki nochmals weg und der blonde bekam die zweite kräftige Ohrfeige. Diesmal hinterließ Sasukes Handfläche einen roten Abdruck.
 

„Ich hab alles vermasselt. Tut mir echt leid.“ Die Entschuldigung war vom ganzen Herzen ausgesprochen. Dabei blickten Narutos Augen mit einer sanften Traurigkeit ins Nichts. „Ich wollte unbedingt mit dir Zeit verbringen. Wir haben ja nicht mehr so viel Gelegenheiten dazu und ich wollte eine wegen einer dummen Lebensmittelvergiftung nicht verpassen. Das war dann doch irgendwie daneben. Und dass du dir viel Mühe gibst, hab ich auch nicht gewusst. Ich dachte, wir hängen einfach unkompliziert zuhause rum. Ich bin ein Vollidiot. Sorry, Muffin.“ Sasuke seufzte laut und Naruto fuhr fort: „Ich möchte dir etwas geben. Warte mal kurz, ja?“
 

Anscheinend wollte Naruto jetzt Bescherung machen. Auch darauf war Sasuke übelst vorbereitet und diese Tatsache überwog die Tatsache, dass Sasuke immer noch komplett außer sich war. Er hat sich ja so viel Mühe gemacht. Das dann einfach so wegzuschmeißen fühlte sich ein wenig bitter an. Na gut, so viel Zeit kann er dieser dreckigen Wohnung noch verbringen. Außerdem war er schon darauf gespannt, was Naruto ihm schenkt. Der Uchiha wollte wenigstens einen Hauch Mühe seitens des Blonden bezeugen, denn bis jetzt sah es ziemlich mager aus und Sasuke fand es ein wenig unfair. Na wenn er noch so lange bleibt, dann zieht er das Geplante durch. Er brachte blitzschnell seine Tannenbaum-Bastelei an der Wand mithilfe eines doppelseitigen Klebebands und legte das Geschenk für Naruto darunter.
 

„Haha!“ Sasuke hörte Uzumakis helles Lachen. „Wo hast du den Tannenbaum her?“

„Ich hab mir wie gesagt ziemlich viel Mühe gegeben.“

„Ach, hast du ihn selber gemalt?“

„Ja, natürlich. So ein Schwachsinn verkauft keiner.“

„Haha! Da hast du vermutlich recht. Ich find‘s aber echt süß!“ Der flüchtige Lob kam richtig unerzwungen und gerade deswegen klang er völlig aufrichtig. Dabei zuckte Sasukes Herz leicht zusammen. „Na jetzt muss ich so tun, als wäre er echt. Deswegen pack ich das hier drunter. Oh, und für wen ist das denn?!“ Naruto machte eine niedliche überraschte Miene und Sasuke lächelte kurz.

„Steht drauf. Musst nur lesen.“

„Okay, das schaffe ich!“, ließ Naruto begeistert ab.

„Sicher?“ Sasuke grinste.

„Natürlich schaffe ich es! Guck, hier: NA-RU-TO. Das ist mein Name!“

„Jaaaa! Elementare Leseprüfung bestanden!“, ließ Sasuke kichernd ab.

„Ja-ja, mach den armen Ausländer fertig! Jetzt bist du dran!“
 

Sasuke nahm stumm das kleine Paket auf.
 

„Mach auf!“, forderte Naruto auf.
 

Sasuke öffnete vorsichtig das Geschenkpapier und fand ein kleines Büchlein darunter. Er guckte sich es genauer an: Es war ein kleines selbstgemachtes Fotoalbum. Naruto druckte bestimmt über hundert Fotos aus. Irgendwie fand Sasuke es total süß. Er vertiefte sich für eine Weile darin.
 

„Danke“, ließ der Uchiha leise ab.

„Gefällt’s dir? Irgendwie kann ich es an deiner Reaktion nicht ablesen.“

„Ja… ich dachte nicht, dass ich sowas ausgerechnet von dir bekomme.“

„Weißt du, ich auch nicht.“

„Ich hab den Eindruck, dass es alles selbstgemacht ist. Ist es so?“

„Ja.“

„Die Bindung auch?“

„Ja, deswegen ist das ganze Ding so schief.“

„Haha!“

„Nehm’s mir bitte nicht übel, ich bastle sonst nie. Und du kennst mich doch, ich hab es erst gestern angefangen. Deswegen ist hier so unaufgeräumt. Also nicht nur deswegen, ich hab schon seit zwei Wochen nichts gemacht, aber naja… und wegen des Geschenks hab ich auch die Lebensmittelvergiftung… der Burger vom Bahnhof war irgendwie unfrisch. Aber ich dachte, wenn ich dir ein paar gedruckte Erinnerungen schenke, ist es gut, oder?“
 

Sasuke wusste nicht wieso, aber auch bei dieser Anmerkung zog sein Herz mal wieder ganz leicht zusammen. Er verspürte, wie Schmetterlinge in seinem Bauch hochstiegen.
 

„Ja, es ist sehr schön! Danke! Na jetzt pack du deins aus!“

„Yo!“
 

Im Gegensatz zu Sasuke riss Naruto das Geschenkpapier innerhalb weniger Sekunden weg. Als er das Buch sah, schrie er begeistert auf:
 

„OH MEIN GOTT, IST DAS DIE GESCHICHTE DES MUTIGEN SHINOBI?!“

„Ja…“

„AAAAA! WIE KRASS IST DAS DENN?! DANKE! DANKE! DANKE!“
 

Nach diesem begeisterten Ruf fiel Naruto über Sasukes Hals und schüttete ihn mit Küssen über. Sasuke räumte den aufdringlichen Blonden zur Seite.
 

„Wo hast du das Buch überhaupt her?! Ich habe so lange danach gesucht!“

„Aus einem Buchantiquariat in einer anderen Stadt. Hat fast zwei Wochen gedauert, bis ich es besorgt hab.“

„KRAAAAAS!“

„Magst du es?“

„Natürlich mag ich es! Jetzt hab ich Bock zu lesen!“

„Dann ist doch schön…“
 

Die Unterhaltung hörte abrupt auf.
 

„Willst du immer noch gehen?“, fragte Naruto zögerlich.

„Ja,“ ließ Sasuke etwas unsicher ab.

„Dann würde ich dich bitten nicht zu gehen. Wir könnten ja nochmal den Film angucken, den du rausgesucht hast. Jetzt wirkt die Tablette und ich bin ausgeschlafen. Also? Was sagst du?“
 

Sasuke seufzte.
 

„Ich denke, ich gehe trotzdem. Du hast schließlich eine Lebensmittelvergiftung. Du solltest dich ausruhen.“

„Ich bin jetzt ausgeruht, versprochen.“

„Dann solltest du hier aufräumen.“

„Ich bitte dich! Wer macht denn schon am Heiligabend sauber?“

„Du solltest es tun. Ich find deine Wohnung eklig.“

„Ich weiß. Sorry. Was ich dir anbieten kann, ist, dass du dich ausschließlich an einem Fleck aufhälst und ich bringe Sachen her, wenn nötig. Ich kenne mich in diesem Chaos ziemlich gut aus.“

„Aber wenn ich bleibe, dann hast du de facto den Streit gewonnen. Und das möchte ich nicht.“

„Das ist einfach nur stur.“

„Ich weiß.“

„Muffin, bitte bleib! Hast du dich nicht auf diesen Tag gefreut?“

„Schon…“

„Na siehst du! Du willst hier sein, oder?“
 

Sasuke antwortete nichts. Naruto nahm schon wieder Sachen über seine Wünsche an. Diesmal verärgerte es den Uchiha nicht. Er fragte sich nur, wieso Naruto es immer mit so einer Selbstverständlichkeit macht.
 

„Na gut, eigentlich sollte ich jetzt nicht rumbetteln. Wenn du gehen willst, dann ist es dein gutes Recht. Ich versuch nur ein bisschen zu übereifrig meinen Willen durchzusetzen. Ich will dich halt hier. Und was das Ganze noch stärkt, ist das ich aus irgendeinem Grund fest überzeugt bin, dass du auch hier sein möchtest. Aber vielleicht irre ich mich. Also, wenn du gehen willst, dann geh.“

„Na gut, dann mach ich mich auf den Weg.“
 

Naruto ließ einen enttäuschten Seufzer ab. Sasuke stand auf und schnappte seine Tasche. Er wusste jetzt, warum er sich über Narutos voreilige Schlussfolgerung nicht aufregte. Weil Naruto recht hatte. Mal wieder. Sasuke wollte hier sein, aber sein Stolz kam in die Quere. Er verstand nicht, warum ausgerechnet jetzt den dummen Streit zu gewinnen von so einer Bedeutung war. Ja, er war tierisch angepisst. Aber wäre ein wunderschöner Abend mit seinem Sonnenschein doch wertvoller, als recht zu haben? Naja, anscheinend nicht. Sasuke verdrehte innerlich die Augen, atmete hörbar aus und band sich die Schuhe zu. Naruto verschwand kurz in die Küche und als Sasuke bereits die Straßenanziehsahen anhatte, drückte der Uzumaki eine Tuperdose in seine Hände. Dabei bemerkte Sasuke, dass Naruto ihn sehr direkt anschaut. Die blaue Augen blickten mit Zärtlichkeit auf Sasuke hinauf. Der Uchiha hielt es schlichtweg nicht aus. Narutos Blick war viel zu intensiv und lieferte eine klare Botschaft: Naruto liebt ihn. So einfach. Dabei wurden die Schmetterlinge in seinem Bauch total verrückt. Der Uchiha fühlte sich so, als würde er in der Luft schweben.
 

„Ach, Naru, lass das mit dem Essen.“ Sasuke schubste die Büchse zurück in Uzumakis Hände.

„Bitte nimm mit. Du hast so einen Aufwand mit dieser Kocherei betrieben. Ich würd mich schlecht fühlen, wenn du es nicht bekommst.“ Naruto drückte die Box noch Mal in Sasukes Hände.

„Nein, behalte du es.“ Sasuke stieß die Box nochmal weg. Dieses Spiel hat mittlerweile überhaupt keinen Spaß mehr gemacht.
 

Sasuke spürte, dass Uzumaki vorhatte ihn mit dem nächsten Einwand zu bewerfen. Darauf hatte der Junge keine Lust. Deswegen unterbrach er Naruto, bevor dieser überhaupt eine Chance zu sprechen bekam:
 

„Das alles hab ich extra für dich gemacht. Ich werd mich ernsthaft beleidigen, wenn du es nicht anerkennst.“

„Aber…“

„Nichts aber. Glaub mir, es ist wirklich okay, wenn du das verdammte Essen behälst. Dein Kühlschrank sieht eh ziemlich verlassen aus, das heißt dir nützt es auf jeden Fall.“

„Na gut, ich lass dich diesmal gewinnen, Muffin.“ Naruto lächelte und nahm die kleine Büchse endlich entgegen.

„Endlich machst du was vernünftiges!“, atmete der Uchiha erlöst aus. Dabei küsste Naruto ihn in den Kopfwirbel Und schmunzelte leicht. „Sag mal, hat dir der Abend überhaupt gefallen?“

„Ja, sehr! Ich hab mich gefreut über die Plätzchen, über das Buch, über den Baum und ganz besonders über das Essen.“

„Waaas? Erstens wolltest du es nicht behalten und zweitens hast du gar nichts davon kosten können! Lüg mich nicht an!“

„Ich lüge nicht! Erstens hab ich schlechtes Gewissen, dass du dich mit meiner Küche und mit mir gleichzeitig rumschlagen musstest. Und zweitens bringt dein Essen eine sehr weihnachtliche Atmosphäre mit sich. Es duftet so schön nach Weihnachten!“

„Wenn du dich über alles gefreut hast, dann hat sich alles gelohnt. Ich muss leider zugeben, dass ich diesen Aufwand ein bisschen zu gern betrieben hab, weil…“
 

Plötzlich ging es Sasuke die Puste aus und Naruto wollte auch nichts mehr einwenden. Die Umgebung versank abrupt in eine Totenstille. Sasuke warf einen flüchtigen Blick auf seinen Gegenüber. Naruto schaute nicht mehr direkt auf ihn. Er wirkte abwesend und irgendwie verhext. Es baute sich eine elektrisierende Spannung in der Luft auf. Sasuke schnappte kurz nach Luft und wisperte beinahe lautlos:
 

„… weil ich dich auch liebe, weißt du?“
 

Sasuke besiegelte seine Worte mit einem sanften Kuss und verließ Narutos kleine dreckige Wohnung. Bevor die Tür hinter ihm zufiel, durfte er noch ein letztes Mal in Narutos endlosen blauen Augen hineinschauen. Diese himmelblauen Tiefen gaben ein warmes zufriedenes Strahlen ab. Ein dümmlich frohes Grinsen zeichnete sich auf Uzumakis Gesicht. Bis jetzt wusste Sasuke nicht, dass er diesen Idioten genauso am allerschönsten findet. Das Herz des schwarzhaarigen Jungen zog kräftig zusammen. Schließlich redete er so viel Klartext, dass die Situation nicht mehr missverständlich gedeutet werden kann. Und es war ganz schön aufregend.

Als Sasuke nach Hause zurückkehrte, wartete auf ihn niemand. Seine Eltern waren bei einer Weihnachtsveranstaltung, die das Unternehmen seines Vaters jährlich organisierte. Fugaku agierte dort als die Schlüsselperson. Er nahm Mikoto immer mit. Seine Mutter musste unbedingt jedes Jahr dabei sein, denn Fugaku musste sich als ein anständiger Familienmensch präsentieren. Ohne seine Frau wirkte der ganze Theater nicht besonders überzeugend. Sasuke verstand nicht, warum sich seine Mutter jährlich an dieser Heuchelei beteiligt. Erstens verlief diese Ehe seit gut zwei Jahrzehnten unglaublich schlecht und Mikoto war nicht so rufbesessen wie Fugaku. Und zweitens existierten sie sonst in komplett getrennten Welten. Wenn diese Welten aufwendender prallten, resultierte es normalerweise in einem heftigen Streit mit Ausmaßen einer Naturkatastrophe. Außer am Weihnachten und keine wusste, warum sie sich an diesem einen Abend tatsächlich vertrugen. Sasuke war der Meinung, dass sich die beiden lieber trennen sollten. Schließlich wird die Scheidung heutzutage nicht mehr so sehr verteufelt wie zu den Zeiten seines Großvaters. Außerdem sind Itachi und er schon erwachsen. Aber wenn Fugaku Uchiha plötzlich eine gescheiterte Ehe zugeben muss, sinkt sein Ansehen unter den Geschäftspartnern und das war wirklich keine Option.
 

Sasuke setzte sich ernsthaft nochmal hin und versuche noch etwas zu schaffen, aber nichts ging in seinen Kopf hinein. Seine Gedanken drehten sich um einen gewissen blonden Jungen wie ein klebriger Brei herum. Sie waren unglaublich wirr und Sasuke empfand sie nicht wirklich als einen zusammenhängenden klaren Gedankengang. Er konnte nicht mal richtig ausdrücken, worüber er nachdachte. Aber daraus ergab sich ein seltsames Gefühl. Etwas kratzte unangenehm in seinem Herzen und der Junge verspürte eine Schwere in Brust. Sasuke war ein wenig bekümmert, weil er mal wieder über Beziehungen nachdachte.
 

Wegen seiner Eltern war er grundsätzlich gegen eine romantische Beziehung. Sasuke fühlte sich in diesem Haushalt immer als ein Außenseiter und dafür machte er die kaputte Ehe von seinen Eltern verantwortlich. Itachi war sehr oft zu weit weg. Die einzige Person, die Sasuke willkommen hieß, verbrachte die meiste Zeit an ausländischen Eliteschulen. Hinzu kam, dass die übrige Uchiha-Verwandtschaft den Jungen ebenfalls abschrieb. Sasuke wurde Jahre lang von der eigenen Familie ziemlich offen verstoßen. Seine Eltern haben sich nicht für ihn eingesetzt. Sein Vater machte sogar bei all dem mit und seine Mutter hielt ihn null auf.
 

Auch außerhalb der Familie hatte Sasuke kein Glück mit Bündnissen. Belanglose fluffige Freundschaften gelangen ihm nie sonderlich gut. Sasuke war eigentlich der Typ der zwei Extrema, wenn es um Menschen ging: entweder bester Freund oder ein Fremder. Er konnte keine Mitte und es war eine große Macke. Es gab vier Personen, die Sasuke an unterschiedlichen Zeitpunkten in seinem Leben als „bester Freund“ bezeichnete. Er investierte ernsthaft sein Herzblut in diese Leute. Jedes Mal dachte er, dass es eine Freundschaft fürs Leben wird, aber alle diese Menschen haben ihn früher oder später verlassen. Jede solche Trennung resultierte in einem kleinen Untergang in Sasukes Welt. Sie hinterließ wunde Narben und fühlte sich jedes Mal wie ein Betrug an. Natürlich war es nie ein Betrug. Es gab immer einen plausiblen Grund dafür, dass Sasuke mal wieder ohne den besten Freund stand. Aber sowas machte derartige Entwicklungen nur noch unfairer in Sasukes Augen. Seine Erfahrungen lehrten ihn nur, dass sich die Mühe nie lohnt. Partner schaden einander. Familie bringt nichts. Freunde können einen nur enttäuschen. Beziehungen sind böse. Es ist besser allein zu sein.
 

Dann traf der schwarzhaarige Junge einen blonden Austauschschüler mit leuchtend blauen Augen. So jemanden wie Naruto ist Sasuke noch nie begegnet. Naruto war so direkt, dass sein Verhalten manchmal an Dreistigkeit angrenzte. Er war ungebildet und redete viel zu laut. Er hatte eine fragwürdige Vergangenheit mit Ladendiebstählen und unzähligen Sexualpartnern. Er gehörte eindeutig zur unteren Schicht. Eigentlich mied Sasuke solche Leute. Eigentlich verachtete er diese Jugendliche, die statt in der Schule zu sitzen auf einer Parkbank am helllichten Tag unverschämt soffen. Und Naruto war so einer. Und trotzdem hat sich Sasuke Uchiha ausgerechnet in so jemanden verliebt. Naruto war wirklich vom Grund auf anders als jeder, den Sasuke bis jetzt traf. Ja, der Uzumaki war manchmal ganz schön dreist. Dafür meinte er die Sachen, die er sagte, genauso wie er sie sagte, und sowas war in Sasukes Welt bis jetzt nicht vertreten. Seine mangelnde Schulbildung kompensierte er mit einer für sein Alter immensen Lebenserfahrung: Er sprach mindestens eine Fremdsprache so gut, dass er als Siebzehnjähriger im Ausland alleine super zurechtkam; durch die Tanzmeisterschaften bereiste er richtig viele Länder, obwohl er unendlich arm war; er musste durch ein elternloses Aufwachsen viel Leid erfahren, wodurch dieser Schwachkopf — oh Gott — eine gewisse einzigartige Lebensweisheit besaß. Sasuke musste schon zugeben, dass Naruto ein Überlebenskünstler war. Obwohl Naruto so viele negative Erfahrungen gemacht hat, wirkte er trotzdem etwas kindisch und ein wenig naiv. Er war äußerst unkompliziert, gesellig und sehr hilfsbereit. Jeglicher Kontakt mit Naruto war von allen diesen Dingen geprägt. Deswegen zog er Menschen an. Uzumaki kannte sehr viele Leute. Naruto hatte sogar im Gegensatz zu Sasuke einige echte Freunde fürs Leben, die mit ihm durch dick und dünn gegangen sind. Sie haben ihn nicht verlassen und er sie auch nicht. Insgeheim wollte Sasuke auch solche starken Verbindungen. Er verdrängte es, um nicht wieder verletzt zu werden. Doch mit Narutos Advent in sein Leben erinnerte sich Sasuke daran. Außerdem wurde ihm bewusst, dass er schrecklich allein ist. Die Einsamkeit zerfraß ein riesiges Loch in seinem Herzen, das er zuvor nicht bemerkte. Aktuell war er unsterblich verliebt und es tat ihm gut. Obwohl er grundsätzlich gegen jegliche Bündnisse war, wollte Sasuke diese seltsame Nicht-Beziehung mit Naruto unter keinen Umständen aufgeben.
 

Bei diesem Gedanken verließ ein schwerer Seufzer Sasukes Brust. Normalerweise würde sich der schwarzhaarige Junge sagen, dass solche weinerlichen Gedanken nervig sind. Aber heute war irgendwas anders. Er gab sich freiwillig dem brennenden Verlangen hin für immer in Narutos Nähe zu sein. Sasuke gestand sich seine totale Niederlage. Der Austauschschüler hat insgesamt das Spiel gewonnen. Mittlerweile war es auch nicht so wichtig.
 

„Hey…“
 

Eine zögerliche Stimme ertönte ganz plötzlich hinter Sasukes Rücken. Der Uchiha fiel beinahe vom Stuhl vom Schreck. Er erkannte diese Stimme. Es war derjenige, dem seine Gedanken schon seit 30 Minuten gewidmet waren.
 

„Oh mein Gott!“, rief Sasuke erschreckt aus. „Was machst denn du hier?! Wie bist du überhaupt reingekommen?! Musst du nicht krank sein oder so?!“

„Müssen tue ich vieles, aber bestimmt nicht krank sein…“, ließ Naruto leise ab.

„Nochmal: was machst du hier?“

„Ähm… hier… das hast du vergessen.“
 

Naruto packte ein kleines Gegenstand aus seiner Jackentasche aus. Es war Sasukes Geschenk. Anscheinend vergaß der Uchiha es einzustecken. Naruto drückte das kleine Buch ihm in die Hand.
 

„So ist gut…“, murmelte der Uzumaki dabei.

„Tut mir leid, ich hab es unabsichtlich liegen gelassen.“ Sasuke schämte sich ein wenig dafür. Wie konnte er das Wichtigste vergessen?!

„Nicht schlimm… es ist sogar gut… ähm, so fand sich ein semiplausibler Grund bei dir einzubrechen… na gut, eigentlich bin ich nicht eingebrochen. Die Tür stand ja offen. Hahaha…“
 

Naruto lachte nervös und fummelte hastig an seinen Händen.
 

„Ich bin nicht deswegen hier… also ein bisschen schon, aber nicht hauptsächlich…“
 

Naruto brach seine Rede ab. Sasuke spürte, dass jedes Wort mit Überwindung ausgesprochen wird. Also handelte es sich um etwas wichtiges. Naruto machte einen leicht aufgelösten Eindruck. Sasuke vermutete schon, worauf der Blonde hinaus will. Sein Herz flimmerte dabei wie verrückt.
 

„Wieso bist du dann hier?“, fragte Sasuke vorsichtig.

„Ähm…“, murmelte Naruto unsicher. „Ich… ähm… wollte dich was fragen.“

„Aha…“ Sasukes Herz setzte sich beinahe aus.

„Jaaaaa…“, zog Naruto in die Länge und verstummte.
 

Die beiden Jungs waren plötzlich in der stillen Peinlichkeit gefangen. Die Luft um sie herum wurde tausendmal schwerer als sie sein sollte. Sasuke war mindestens genauso doll aufgeregt wie Naruto. Seine Hände schwitzten und zitterteten unkontrolliert. Diese Ungewissheit war richtig aufregend. Er kam sich deswegen richtig dumm vor.
 

„Weißt du, ich hätte auch eine Frage an dich…“, sprang plötzlich von Sasukes Zunge ab.
 

Naruto guckte den Uchiha erlöst an und bevor Sasuke etwas einwenden konnte, spuckte er hastig aus:
 

„Dann frag doch du zuerst!“

„Hey! Unfair! Du brichst hier mitten in der Nacht ein, weil du eine Frage an mich hast! Anscheinend hast du es eiliger!“

„Erstens ist es noch keine Nacht! Es ist nur halb neun!“, merkte Naruto eifrig an. „Und zweitens ich bin hier nicht eingebrochen!“

„Darum geht es nicht! Lenk nicht vom Thema ab! Stell lieber deine verdammte Frage!“ Sasuke spürte, wie sie mal wieder in eine verbale Auseinandersetzung versinken.

„Ich trau mich aber nicht! Deswegen mach du es doch!“ Naruto schrie ihn genervt an.

„Denkst du, ich tau mich etwa?!“, erwiderte Sasuke genauso genervt.

„Ja!!“

„Dann liegst du halt falsch!“
 

Die beiden Jungs holten tief Luft. So wurde deren Auseinandersetzung vorläufig angehalten.
 

„Dann… lass uns halt gleichzeitig fragen…“, schlug Naruto nach einer Weile vor.

„Gute Idee.“

„Also…“ Naruto bereitete sich vor, holte tief Luft und zählte ein: „Eins… zwei… drei…“
 

Sasuke hatte eigentlich keine Absichten seinen Part auszusprechen. Er wollte nur wissen, was dem Uzumaki so sehr am Herzen lag, dass er so dringend hier auftaucht. Aber es passierte nichts. Schon seit zwanzig Sekunden herrschte eine absolute Stille.
 

„Betrüger! Warum hast du nichts gesagt?!“, regte sich Sasuke laut auf.

„Hä?! Als wärest du besser! Von dir kam ja auch nichts!“, erwiderte Naruto kräftig.

„Aber das war doch deine Idee! Dann solltest du es durchziehen, ne?“ Und schon wieder steckten sie in einer Auseinandersetzung.

„Hätte ich es durchgezogen, hättest du mich verarscht!“

„Gut! Ich hab eine andere Idee. Wollen wir unsere Fragen auf einem Zettel aufschreiben?“

„Und dann?“

„Dann tauschen wir halt, du Dummkopf!“

„Nenn mich nicht Dummkopf!“

„Ist Schwachkopf besser?“

„Nein, verdammt!“

„Hör auf!“

„Hör selbst auf!“

„Was hältst du von der Idee? Bist du damit einverstanden?!“

„Ja gut, okay! Lass uns das so machen!“
 

Sasuke drehte sich zum Regal hin und suchte nach Stiften und etwas Papier.
 

„Aber wehe du gibst ein leeres Blatt ab, Muffin!“

„Ditto! Wehe es kommt ein leeres Blatt bei mir an! Ich bring dich dann um!“

„Als ob! Ich bring dich als erstes um!“

„Ja-ja! Was auch immer! Hier, Paper und Schreibzeug. Mach’s bloß schnell!“

„Pfff!“

„Bäääh!“ Sasuke streckte seine Zunge aus und machte eine hässliche Grimasse.

„Mit ausgestreckter Zunge siehst du total dumm aus!“

„Und du siehst immer dumm aus, auch bei geschlossenem Mund!“, warf Sasuke zurück.

„Touché, Muffin, Touché!“
 

Keiner sagte was schon seit guten fünf Minuten. So kehrte die Peinlichkeit wieder zurück. Die Luft wurde mal wieder schwerer. Und Sasuke spürte seine Nervosität erneut.
 

„Also, schreiben?“, schlug Sasuke nochmal vor.

„Ummm“, murmelte Naruto bestätigend.

„Nach fünf Minuten tauschen wir. Ich stell einen Timer.“

„Gut“, atmete Naruto schwer aus und setzte sich auf den Boden hin.
 

Sasuke nahm auf dem Bett Platz. Die Gedanken von vorhin gingen nochmal mit unglaublichen Geschwindigkeit durch seinen Kopf durch. Der Junge wusste nicht so recht, wie er sie elegant zusammenfassen kann. Am Ende entstand so ein Satz:
 

„Ich hab schon lange das Gefühl, wir sind in einer Beziehung. Habe ich recht?“
 

Sasuke las sich seine Frage durch und seufzte. Sie las sich einfach nicht gut. Zumindest nahm Sasuke es so wahr. Vielleicht lag es auch an seiner allgemeinen Nervosität.
 

Der Uchiha war vor dem Ablauf der Zeit fertig. Er würde am liebsten schon jetzt den Tausch durchführen, aber Naruto sah noch sehr beschäftigt aus. Deswegen musste Sasuke sich die restlichen vier Minuten dreißig Sekunden mit irgendwas beschäftigen. Er guckte Naruto zu, der definitiv sehr aufgeregt war. Anscheinend konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Sasuke bemerkte, dass er sich bei jedem Zeichen eine übermenschliche Mühe gab. Er krallte sich in den Stift hinein und drückte mit unnötiger Kraft auf das Blatt auf. Seine Hände zitterten ganz schön. Vermutlich wusste dieser Schwachkopf nicht, wie er den Satz formulieren soll. Er strich das bereits Geschriebene durch und fing schon zum dritten Mal erneut an. Der sonst immer von sich überzeugte Naruto Uzumaki kann also auch wie ein einsamer Streber Sasuke Uchiha bei Liebesangelegenheiten durchdrehen! Aha! Es liegt also gar nicht an sozialer Kompetenz! Gut zu wissen, ne?
 

Nun ist der Timer abgelaufen. Sasuke stand wortlos auf und legte seinen Zettel in Narutos Hände. Der Blonde gab ihm im Gegenzug seins. Sasuke kehrte an seinen Platz zurück und machte diesen Meisterwerk auf. Für dessen Erstellung hat Naruto knapp fünf Minuten gebraucht. Aha, auch das ist gut zu wissen. Narutos Handschrift ähnelte die von einem Mittelschüler: seine Schriftzeichen waren groß und schief. Dadurch wirkten sie sehr ungeschickt. Die Druckstellen vom Stift hinterließen sogar keine Löcher auf dem Papier, sodass Sasuke bei angemessener Anstrengung durch das Blatt durchgucken konnte. Vor seinen Augen offenbarte sich ein kurzer Satz und die durchgestrichenen Versionen. Die Endfassung las sich wie folgt:
 

„Muffin, willst du vielleicht doch eine feste Beziehung?“
 

Sasuke lächelte das Blatt verträumt an. Er war erstaunt, dass sich die Fragen ziemlich ähneln. Aber einen gravierenden Unterschied gab es trotzdem. Naruto fragte ihn direkt nach seinen Wünschen. Und plötzlich wurde Sasuke bewusst, dass seine Frage komplett irrelevant ist. Er schrieb eine kurze Antwort auf das Blatt auf. Seine Schriftzeichen sahen neben Narutos richtig kalligraphisch aus. Der Uchiha legte das kleine Blatt ordentlich zusammen.
 

„Naruto…“, rief Sasuke ihn beim Namen.

„Ja?“

„Fang!“
 

Sasuke schmiss das kleine zusammengelegte Stück Papier in Narutos Richtung. Der Blonde flog buchstäblich dem kleinen Knollen hinterher: er sprang auf und schmiss seine Arme ruckartig in die Luft. Sasuke konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Naruto war so dermaßen schlecht im Fangen! Aber diesmal war es ein Treffer. Ein gutes Zeichen. Naruto breitete hastig das kleine Blatt aus und seine Augen scannten gierig das Blatt nach Sasukes winzigen sauber geschriebenen Schriftzeichen.
 

Und dann zeichnete sich ein sanftes Lächeln auf seiner Miene.
 

„Bist du mit meiner Antwort zufrieden?“, warf Sasuke hin.

„Ach, Muffin!“, rief Naruto begeistert aus.
 

Im nächsten Augenblick saß Naruto bereits bei Sasuke. Er legte seine Arme um Sasukes Torso und wisperte:
 

„Wenn du mir ein Ja gibst, wie kann ich denn unzufrieden sein?“

„Und was machen wir jetzt?“

„Zum Beispiel das hier…“ Naruto küsste Sasuke leicht auf die Lippen und lächelte.

„Und jetzt?“

„Das hier…“ Naruto nahm Sasuke auf seinen Schoß.

„Und jetzt?“

„Jetzt könntest du mich küssen. Du machst es sonst so selten.“
 

Sasuke kam Narutos Bitte nach. Seine Zunge verknotete sich fest mit der von Naruto. Die Jungs fielen auf das Bett, auf dem sie saßen. Sasuke hielt sich nicht mehr zurück. Er zwang den Blonden auf den Rücken und pinnte ihn fest. Naruto ließ es überraschenderweise sehr gern zu. Er genoss Sasukes Küsse, erwiderte jeden einzelnen davon und machte dabei kurze stöhnende Geräusche. Der Uzumaki machte jede Bewegung nach, nur spiegelverkehrt. So wie er es Sasuke in seinen lahmen Kurs beigebracht hat. Sasuke spürte nur zu gut, wie weich, feucht und beweglich Narutos Zuge war. Diesmal gab es keinen, der die zwei Liebesvögel unterbrechen konnte. Dadurch konnten sich die Jungs so nah werden, wie sie es für angemessen hielten. Und genau das machten sie, ganz ungestört.
 

An diesem Heiligabend ist doch ein Wunder passiert. Die Sicht von Sasuke Uchiha auf Beziehungen änderte sich und wurde etwas positiver. Und darüberhinaus bekam er einen echten Freund fürs Leben.

Seit nun ungefähr acht Wochen war Sasuke in einer offiziellen Beziehung. Seitdem änderte sich so einiges in seinem Leben. Zum Beispiel wurde sein Schlaf deutlich erholsamer. Deswegen war er neuerdings am frühen Morgen etwas besser gelaunt als sonst. Er nahm die Menschen um sich herum insgesamt nicht mehr so negativ wahr. Plötzlich konnte er Sakura ganz gut leiden und die Mädchen aus dem Naruto-Fanclub waren doch nicht mehr so schlimm. Sasuke nahm sogar gelegentlich an den Sitzungen des Clubs teil und — oh Gott — half bei der Organisation des Abschlussballs aus. Er dachte natürlich nicht, dass es so endet. Zunächst besuchte er die Sitzungen aus purer Neugier. Er wollte wissen, was die skurrile Clique so treibt. Die Antwort darauf war etwas überraschend. Mittlerweile war Naruto-Club die einzige Stelle, die sich mit der Planung des Abschlussballs befasste. Alle anderen mussten sich früher oder später entweder dem Club anschließen oder verschwinden. Der verdammte Club wurde zu einem schwarzen Loch, das alle Ressourcen an sich heranzog. Sasuke verstand nicht, wie es dazu überhaupt kommen konnte. Es war ja an sich auch egal. Die Mitglieder des jetzigen Clubs taten alles, damit der Abschlussball reibungslos verläuft. Etwas, was als eine äußerst skurrile Unternehmung anfing, transformierte sich in etwas, das der gesamten Schule einen echten Nutzen bescherte. Sasuke hat nicht erwartet, dass er diese verrückte Anime liebende Clique schlussendlich ernst nehmen kann.
 

Außer den neuen Aktivitäten im Club hat sich Sasukes sonstiges soziales Leben qualitativ verbessert. Besser formuliert: es entstand während der vergangenen acht Wochen. Jedes Wochenende unternahm Sasuke etwas zusammen mit Naruto und seinen Freunden. Anfangs war der Schwarzhaarige ihnen gegenüber unglaublich skeptisch. Jedoch waren Narutos Freunde im Endeffekt gar nicht so schräg, wie Sasukes anfängliche Vorstellungen von ihnen. Diese Leute wurden ihm über den vergangenen Zeitraum tatsächlich ein kleines Stückchen näher und er konnte sogar sagen, dass er gerne mit ihnen unterwegs ist. Dies war für den jüngeren Uchiha eine wichtige lebensändernde Entdeckung. Er ist also nicht antisozial. Mit den richtigen Leuten klappt es fast von allein.
 

Diese Beziehung war für den Jungen auch anderweitig aufschlussreich. Zum Beispiel, er fand raus, dass er Zärtlichkeiten genießt. Dazu müsste „unter passenden Umständen“ ergänzt werden. Der aufgeschlossene Uzumaki hatte immer noch nicht genug Feingefühl dafür. Aber auch hier verbargen sich wichtige Erkenntnisse. Erstens waren diese Situationen manchmal richtig aufregend. Sasuke erlebte ab und zu einen berauschenden Adrenalinkick, wenn jemand sie beim Knutschen erwischen könnte. Darauf ist er komischerweise ganz doll abgefahren. Aber nicht immer. Und zweitens wenn etwas doch nicht passt, dann darf man sich darüber beschweren. So erfuhr er am eigenen Leibe, dass Naruto am liebsten eine klare Ansage hätte. Sasuke versuchte sich direkter zu äußern, obwohl es ihm immer noch richtig schwerfiel. Zumal war Naruto deswegen nie böse mit ihm, sondern unglaublich dankbar. Sasuke bekam mit, dass die ungeschriebenen sozialen Regel dieses Landes Naruto manchmal ganz schön überfordern. Teilweise lag an Uzumakis sprachlicher Kenntnissen. Ja, er war gut, aber eben kein Muttersprachler. Gute Nachricht war, dass Naruto die Wissenslücken langsam aber sicher schloss. Das andere Bestandteil des Problems waren Narutos Grundüberzeugungen. Sasuke war richtig erstaunt, dass sie zwei eine und dieselbe Situation manchmal richtig unterschiedlich deuteten. Und das kann man nicht so schnell unter den Teppich kehren.
 

Kurz zusammengefasst hat Sasuke innerhalb dieser kurzen Zeit eine Menge neuer Erfahrungen gesammelt. Alles war dabei: neue Orte, neue Aufgaben, neue Menschen, neue Eindrücke und sogar ein wenig philosophische Streitereien. Naruto zeigte ihm eine ganz andere Art zu sein. So fühlte sich Sasuke zum allerersten Mal lebendig. Er gehört endlich irgendwo dazu. Seine Familie hat all diese Jahre verzweifelt versucht, ihn perfekt machen. Leider waren diese Versuche von vornherein zum bitteren Scheitern verurteilt. Der jüngste Uchiha war sowas von überhaupt nicht perfekt. Und was nun? Keine Ahnung. Seine Familie konnte ihn auf so etwas nicht vorbereiten.
 

***
 

„Yo! Hast du dieses Wochenende irgendwann mal Zeit?“
 

Sasuke ließ sich beim Lernen nicht umsonst unterbrechen. Als er Narutos Stimme durch das Handy hörte, zeichnete sich ein riesiges Grinsen auf seinem Gesicht.
 

„Wieso?“, fragte der Junge verspielt nach.

„Warum wieso?“, konterte Naruto genauso verspielt.

„Wieso «warum wieso»?“

„Warum «wieso, warum wieso»?!“ Narutos energische Stimme ließ Sasuke kurz schmunzeln.

„Du Blödmann!“

„Selber blöd!“
 

Beide Jungs kicherten noch für einen Moment. Ja, Narutos Auftauchen heiterte Sasukes Stimmung eindeutig auf.
 

„Und was willst jetzt von mir?“ Die Frage klang übertrieben genervt. Gut so!

„Gehst du mit mir aus, Sasuke-chan?“

„O-ha! Nicht schon wieder das!“

„Na komm, bitteee!! Ich bin ein gutes Date!!!“ Naruto zog die Worte jammernd in die Länge.

„Angenommen ich stimme zu. Wo schleppst du mich dann hin?“, fuhr Sasuke lebhaft fort.

„Ich hab ehrlich gesagt noch nichts Konkretes im Sinn.“

„Aha! Von wegen du bist ein gutes Date! Brichst schon wieder die Regeln!“ Sasuke grinste schadenfroh.

„Oh Mann! Welche denn?!“

„Hier zulande muss derjenige eine Aktivität vorschlagen, der zum Date einlädt!“

„Und schon wieder dieses «MUSS»! Ihr seid so langweilig!“

„Nicht langweilig sondern strukturiert!“

„Ja-ja!“, warf Naruto ironisch ein.

„Ja-ja!“ Sasuke bejahte den Part dagegen sehr bestätigend.
 

Beide Jungs lachten noch ein wenig. Einige Momente später kehrte wieder Ruhe ein.
 

„Mal im Ernst, wo gehen wir hin?“, fragte Sasuke etwas sachlicher.

„Mal im Ernst: ich hab keine Ahnung. Hast du einen Vorschlag?“

„Oh ja! Ich will mit dir richtig fein essen gehen! Ich möchte, dass du dich extra für mich rausputzt!“
 

Sasuke hoffte seine Begeisterung auf den schicken Naruto durch den Hörer schmackhaft gemacht zu haben. Mit diesem Gedanken spielte er seit heute morgen und nun durfte er diesen laut aussprechen. Wie passend!
 

„Mach ich liebend gern für dich, Muffin…“
 

Der Satz erklang warm und weich. Und Sasukes freche Grinsen transformierte sich in ein verträumtes Lächeln.
 

„Ich such dann eine Location aus, okay?“

„Ja klar.“ Sasuke war schon darauf gespannt. „Wie war der Behördengang heute? Erzähl bitte.“

„Ach, ganz gut. Ich bin dahin, musste fast zwei Stunden auf meinen Termin warten und war innerhalb von fünf Minuten schon wieder raus. Hab mich ein bisschen verarscht gefühlt.“

„Oh… und warum jetzt war das mit deinen Fristen so komisch?“

„Keine Ahnung, der Sachbearbeiter hat es auch nicht verstanden. Aber jetzt ist es egal. Ich freue mich einfach, dass es sich geklärt hat.“

„Yo! Das ist super!“
 

Beim Aussprechen dieser Worte erinnerte sich Sasuke daran, dass der Uzumaki bereits Ende des nächsten Monats geht. Und plötzlich wurde er innen drin melancholisch. Oh nein! Jetzt bemerkt Naruto, dass etwas nicht stimmt und wird ihn damit konfrontieren. Und dann wird auch seine gute Laune vermiest. Genau das wollte Sasuke nicht.
 

„Hast du noch etwas zu erzählen?“

„Nein, nicht wirklich. Du? Wie war dein Tag?“

„Ganz gut. Bin heute wirklich produktiv gewesen.“

„Sehr schön! Hört sich doch gut an!“
 

Die Jungs schwiegen sich einige Augenblicke an.
 

„Wenn wir nichts mehr zu bereden haben, würde ich jetzt auflegen“, schlug Sasuke vorsichtig vor.

„Okay!“

„Dann schlaf schön!“

„Du auch!“
 

Sasuke legte als erstes auf. Kurz darauf bekam er eine entsetzte Nachricht darüber, dass sie sich richtig schnulzig darüber hätten streiten sollen. Sasuke grinste, konterte mit einem fiesen Spruch und kehrte zum Lernen zurück. Die Aufgaben hackte er eins nach der anderen ab und schon bald war er fertig. Jetzt tauchte er gedanklich in die fernen Welten des Verliebtseins ein. Wie schön wäre es, Naruto jetzt aufzusuchen! Er vermisste diese blonde Bestie schrecklich! Wenn er bloß nur eine Stunde bei ihm sein könnte! Schließlich haben sie nicht mehr viel Zeit miteinander. Wenn er nur könnte…
 

Moment mal… eigentlich kann er. Er kann jetzt gehen. Vielleicht wird sein Vater ihn dabei erwischen und vielleicht bekommt er deswegen Probleme. Vielleicht auch nicht. Wer weiß es schon? Möchte er mögliche Konsequenzen in Kauf nehmen? Verdammt ja! Schließlich ist er überhaupt nicht perfekt, im Gegensatz zu seiner übrigen Verwandtschaft.
 

Der Junge hatte anscheinend kaum Bedenken. Als ihm bewusst wurde, dass er Naruto doch noch sehen kann, stieg er sofort aus dem Fenster und lief zielstrebig in die Richtung des Bahnhofs. Er wurde von einer wilden Vorfreude ins Unbekannte getrieben. Er folg dem Sonnenschein entgehen. Wie ein verirrter Falter, der einen kleinen Funken in der Nacht sah.

Sasuke stand vor Narutos Tür. Sein Herz raste wie verrückt. Es war gerade dabei bei Narutos Wohnung zu klingeln, doch plötzlich…
 

„Was machst du denn hier?!“
 

Der helle Klang von Narutos Stimme ließ den Jungen mit dem ganzen Körper zusammenzucken.
 

„Sorry, wollte dich nicht erschrecken. Hi erstmal!“ Naruto nahm Sasuke herzlich in den Arm. „So, jetzt…“ Naruto nahm ein wenig Abstand, neigte den Kopf etwas nach links und fragte: „Was machst du hier?“

„Wollte dich sehen.“

„Oooooh! Wie süß ist das denn?!“ Naruto drückte Sasuke sehr kräftig zusammen und verpasste ihm einen Kuss. „Hast mich wohl vermisst, oder?“

„Umm…“, murmelte der Uchiha undeutlich, räumte den Jungen zur Seite und fuhr schnell fort: „Und was machst du hier draußen?“
 

Sasuke fiel immer noch schwer, die eigenen Gefühle zu verbalisieren. Deswegen wich er die Frage aus, indem er eine neue stellte.
 

„Ich wollte endlich den Elektroscooter ausprobieren“, lautete die Antwort.

„Und das machst du jetzt um 23 Uhr?“ Sasukes Stimme hörte sich skeptisch an.

„Ja, es gibt tagsüber draußen zu viele Leute.“

„Wow, das ist ja rücksichtsvoll von dir! Du wirst ja langsam zum echten Mitbürger!“ Sasuke lobte seinen Freund aufrichtig. Er war sehr positiv überrascht.

„Haha! Lobst du mich etwa?“ Narutos Stimme hörte sich gespielt misstrauisch an.

„Yup“, bestätigte der Uchiha klipp und klar.

„Sehr schön!“ Naruto grinste. „Yo! Dann lass uns endlich den Scooter ausprobieren!“

„Warte mal, was meinst du mit «lass uns»?“

„Naja… du, ich und der Scooter.“

„Wie hast du es dir eigentlich vorgestellt?“

„So!“
 

Innerhalb kürzester Zeit trieb der Uzumaki den Scooter auf. Sasuke hat überhaupt nicht verstanden, wo er diesen her hatte.
 

„Stell dich hin.“ Naruto hielt den Scooter und animierte Sasuke auch nonverbal auf das Brett zu steigen.

„Okay…“ Der Uchiha war immer noch voller Skepsis. „Und dann?“

„Halt mal den Lenker“, kam die nächste Anweisung.

„Hä? Und wo bleibst du?“

„Ja, Moment! Und ich komm genau hinter dir…“
 

Naruto stieg ebenfalls auf die Plattform. Er schmiegte sich an Sasukes Rücken an. Der Uchiha verlor Gleichgewicht. Die beiden Jungs kippten ungeschickt zur Seite.
 

„Naru, so sind die Dinger überhaupt nicht gedacht! Jeder sollte eins haben!“, beschwerte sich der Schwarzhaarige. „Es ist ein bisschen gefährlich! Und außerdem dachte ich, dass du fahren wolltest! Im Endeffekt fahre ich dich, oder wie?“
 

Uzumaki antwortete darauf nur mit einem breiten Grinsen. Ach, dieser Chaot! Sasuke seufzte.
 

„Mann, Naru! Kaum hab ich dich gelobt, kommst du mit sowas! Hab mich geirrt, du wirst doch nicht zum Mitbürger!“

„Bitte, Muffin! Komm schon! Wenn uns jemand erwischt, zahle ich die Strafe!“

„Das ist wohl das Mindeste, was du in dem Falle dann machst!“ Sasuke verzog unzufrieden das Gesicht.

„Aha, du willst also mitmachen. Gute Entscheidung!“

„Das hab ich überhaupt nicht… heeey!“
 

Kaum konnte der Uchiha etwas einwenden, wurde die Miete gestartet. In der nächsten Sekunde standen er und sein Mitfahrer auf dem Scooter.
 

„Fahr los!“, rief Naruto energisch aus.
 

Sasuke seufzte tief und drückte auf den kleinen Knopf. Der Scooter bewegte sich.
 

„Wo wollen wir denn hin?“, fragte Sasuke etwas besorgt nach.

„Lass uns in den Park fahren.“

„Okay…“
 

Sasuke steuerte das Gerät über den Bürgersteig in die Richtung des Parks. Der Junge war übelst angespannt. Obwohl sich der Park nicht weit weg befand, hatte er trotzdem Angst erwischt zu werden. Zum Glück war dieser Donnerstagabend sehr ruhig. Beinahe niemand bummelte in dieser Gegend um diese Uhrzeit herum. Gut so! Sasuke wusste, dass eine kleine Gasse den gesamten Weg etwas privater macht, und da wollte er unbedingt hin. Er guckte ständig zur Seite. Irgendwie fühlte er sich paranoid.
 

Endlich erschien die Gasse auf dem Horizont. Der Uchiha bog schnellstmöglich in sie hinein. Erst hier konnte er sich etwas entspannen. Sasuke hörte das weiche Rauschen der Räder und sah den großen hellen Fleck, der die Lampe am Scooter erzeugte. Es war ruhig und vergleichsweise warm für einen Februarabend. Und keiner außer den beiden war hier zu dieser späten Stunde. Sasukes Nervosität verging Stück für Stück.
 

Nun war ungefähr mehr als die Hälfte der Strecke vorbei und bis jetzt fielen die Jungs keinem auf. Sobald Sasuke nicht mehr nervös war, musste er feststellen, dass die Situation halb so wild war. Eigentlich mochte er die abendlichen Spaziergänge und heute war er nicht allein. Ein gewisser Jemand hing auf seinem Rücken. Narutos Arme hielten ihn fest. Der blonde Kopf lag etwas ungünstig im Bereich von Sasukes Schulter. Naruto war etwas kleiner als er. Dennoch störte es den Fahrer nicht sonderlich.
 

Endlich mündete die kleine Gasse in den Park ein. Erstmal ging es bergab.
 

„Halt dich fest!“, rief Sasuke aus und verspürte sofort ein drückendes Gefühl im Bereich von Rippen.
 

Naruto schien sich vor Schreck zusammengezogen zu haben. Dieser selbstverliebte Junge tut immer so, als wäre er unbesiegbar. Und doch muss auch er zusammenzucken, wenn es relativ steil bergab geht. Sasuke schmunzelte leicht.
 

„Ich möchte jetzt auch lenken.“ Naruto löste die Umarmung langsam auf und legte seine Hände auf den Lenker über den Händen von Sasuke.

„Siehst du da hinten überhaupt was?“

„Ja-ja, keine Sorge.“

„Komm, wir tauschen.“

„Ne-ne! Passt!“

„Na gut…“
 

So fuhren die Jungs für eine Weile durch den menschenlosen nächtlichen Park. Sasuke bemerkte, dass Naruto auf den Zehenspitzen steht.
 

„Stell dich bitte richtig hin“, bat Sasuke besorgt. Ihm gefiel nicht, wie wackelig der Uzumaki steht.

„Dann sehe ich aber schlechter…“

„Nicht schlimm.“ Sasuke ging leicht in die Knie. „Besser?“

„Ja! Danke!“
 

Die Jungs fuhren weiter, diesmal ohne ein weiteres Wort zu sagen. Sasuke stand für den Rest der Fahrt hingehockt, um Narutos Sichtfeld nicht zu versperren. Hmm, kaum zu glauben, dass er für diesen Jungen, den er am Anfang des Schuljahres nicht leiden konnte, jetzt seine eigene Komfort opfert. Zumal ist Uzumaki eindeutig selbst daran schuld! Schließlich wollte er unbedingt in dieser ungünstigen Konstellation spazieren fahren! Und Sasuke wollte seine Fahrt trotzdem bequemer machen… warum wohl? Hmm… es ist aber auch nichts neues zwischen ihnen. Seitdem sie zusammen sind, wurden sie wirklich kooperativer. Die verbalen Auseinandersetzungen wurden spürbar weniger. Deren Miteinander wurde irgendwie…
 

Ruhiger?
 

Ja, dieses Wort traf ziemlich gut auf die jetzige Situation zu. Ob diese neue Art mit Naruto zu sein dem Oberschüler gefiel? Ja, natürlich. So durfte Sasuke zum ersten Mal im Leben das Konzept von Geben und Nehmen in einer Beziehung kennenlernen und sogar am eigenen Leibe austesten. Naruto war bekannt dafür, einfach so zu den Leuten nett zu sein. Sein eigener Partner bekam dabei automatisch die höchste Priorität. Dieses „Nett sein“ war irgendwie voll ansteckend. Bevor Sasuke es überhaupt realisierte, tat auch er freiwillig Kleinigkeiten, die den Tag des blonden Jungen ein wenig versüßten. Man muss nicht immer um jede Kleinigkeit streiten, selbst wenn die Streitigkeiten ab und zu Spaß machen. Genau an dieser Gegenseitigkeit konnte Sasuke endlich festmachen, dass sie zwei ein echtes Paar geworden sind. Sie können jetzt gegenseitig aufeinander verlassen.
 

Und ist es jetzt gut oder schlecht?
 

Definitiv gut. Es wäre noch besser, wenn sie auch nach dem Ende Schuljahres was davon hätten. Hätten sie auch nach diesem Schuljahr weiterhin ein Paar sein könnten!
 

Können sie aber nicht.
 

Plötzlich besuchte Sasuke die ihm bereits vertraute Melancholie. Oh ne, nicht schon wieder! Es ist äußerst belastend.
 

„Du bist so süß, Muffin“, wisperte der Uzumaki sanft. Sasuke verspürte bei diesen Worten einen leichten Krampf im Herzen. Er drehte sich trotzdem um und lächelte seinen Freund sehr herzlich an.
 

Kurz vor Mitternacht standen sie wieder vor Narutos Tür. Der frische Wind und Narutos Verhalten brachten den Uchiha erstmal auf andere Gedanken. Sein Freund war eindeutig aufgeregt, denn sein Handy spielte nicht mit. Die Miete des Geräts konnte nicht beendet werden und es regte den Jungen sichtbar auf. Er pickste mit Wucht in den Bildschirm, murmelte dabei genervt und hörte nicht auf, kurze analysierende Blicke in Sasukes Richtung zu werfen. Sasuke mochte es, seinen Freund in außergewöhnlichen Situationen zu beobachten. Diese Situation war eindeutig außergewöhnlich. Der sonst immer positive Sonnenschein Naruto kann auch wie ein alter Greis meckern, weil er die Technik überhaupt nicht versteht. Sasuke fand Naruto süß, wenn er aufgeregt war. Dieser Anblick ließ den Uchiha leicht schmunzeln.
 

Sobald der Kampf gegen die Technik gewonnen war, lief der ehemalige Greis auf Sasuke zu und schnappte fest seine Hand. Mit der anderen Hand suchte er ungeduldig sein Hausschlüssel — der nächster Kampf begann. Uzumakis Taschen waren bodenlos. Sie verbargen in sich etliche Gegenstände, die alle kein Schlüssel waren. Sasuke beobachtete Naruto weiterhin und hielt sich belustigt zurück.
 

Nach ungefähr fünf Minuten war Naruto endlich mit einem Sieg gekrönt. Naruto — Eins, Schlüssel — Null. Die Tür konnte endlich geöffnet werden! Sobald der Eingang frei wurde, wurde der Uchiha plötzlich überrumpelt. Naruto schob ihn praktisch ins Treppenhaus und ließ dabei die Tür hastig zufallen. Jetzt führte sich der Junge so auf, als ob Sasuke sehnsüchtig den Moment abwarteten würde, an dem er endlich abhauen könnte. Was für ein Quatsch! Warum würde er sonst den Uzumaki aufsuchen?! Er lief demonstrativ zur bekannten Wohnungstür im dritten Stock vor. Dies schien Naruto etwas zu besänftigen. Sasukes Hand ließ er trotzdem nicht los.
 

Nun wurde die letzte Hürde erfolgreich überwunden: die Jungs passierten die Türschwelle und standen in Narutos Flur. Die Eingangstür wurde endlich abgeriegelt. Naruto atmete erlöst aus.
 

„Bravo, Uzumaki-san, bravo! Sie konnten mich ja wirklich gut hierhin locken!“, warf Sasuke ironisch.

„Joa, denk ich auch! Hab jetzt einen echt guten Fang gemacht!“
 

Naruto versuchte seine Stimme künstlich munter klingen zu lassen und setzte das übliche selbstverliebte Grinsen auf. Doch diesmal wirkte es nicht so glaubwürdig wie sonst. Er ist eindeutig sehr nervös. Sasukes verspielte Laune fuhr abrupt gegen die Wand. Er konnte nicht mehr entstehen, dass etwas seinen Freund bekümmert.
 

„Geh bitte heiß duschen.“ Narutos Stimme fiel ab und sein Blick wanderte planlos durch die Gegend. „Ich will nicht, dass du meinetwegen krank wirst.“
 

Der Gastgeber verschwand ins Wohnzimmer und ließ Sasuke alleine im Flur stehen.
 

„Handtücher gibt es unter dem Waschbecken!“, warf Naruto hinterher. „Saubere Wäsche bring ich dir auch gleich!“
 

Narutos Duschangebot war für den Uchiha wie ein kräftiger Schlag ins Gesicht. Plötzlich wurde ihm eine simple Tatsache klar: er übernachtet zum ersten Mal hier. Wahrscheinlich deswegen ist Naruto so doll aufgeregt. Sasuke fühlte sich unfassbar dämlich. Woran dachte er überhaupt, als er ins nächtliche Abenteuer aufbrach?! An nichts dachte er! An gar nichts! Er wollte nur Naruto sehen… und das Danach wurde dabei komplett vernachlässigt.
 

Stehend unter Narutos Dusche, spürte Sasuke, wie seine eigenen Gedanken an ihm vorbei rasen. Jetzt konnte er Narutos Aufregung völlig nachempfinden. Sein Herz drohte aus der Brust herausspringen, so schnell schlug es gegen seine Rippen. Er würde nicht übertreiben, wenn er sagen würde, dass er komplett nass geschwitzt war. Allein die laufende Dusche rettete ihn daraus. Sein Mund war plötzlich ganz trocken. Er könnte in diesem Augenblick vermutlich nicht reden, weil er keinen klaren Gedanken greifen konnte. Er fragte sich, was auf ihn gleich zukommt. Sein Gehirn generierte schon mögliche Verlaufsszenarien. Einige waren zufriedenstellend und andere nicht.
 

Nach ungefähr zehn Minuten kam der Uchiha zurück ins Wohnzimmer. Der Gastgeber stürzte seinerseits ins Bad und Sasuke fand es sogar besser so. Er konnte das saubere T-Shirt trotz des großzügigen Angebots nicht anziehen. Es war ja nicht seins! Es fühlte sich äußerst komisch an. Sasuke legte das Bekleidungsstück auf den Stuhl ab. Ihm fiel auf, dass Naruto in der Zwischenzeit das Bett neu bezogen hatte. Die alte Wäsche lag salopp zusammengeschmissen neben dem Wäschekorb, der schon sehr überfüllt war. Der Uchiha konnte keine weitere Infos über dieses chaotische Zimmer sammeln. Er schaltete das Licht aus und hüpfte ins Bett. Die Dunkelheit besaß etwas beruhigendes. Im Dunklen sind sich viele Räume ähnlicher, als bei Tageslicht.
 

Liegend im Bett konnte sich der Junge etwas beruhigen. Er nahm den Platz an der Kante ein. Er mochte es nicht, neben den Wänden zu schlafen. Hoffentlich ist Naruto ein ruhiger Schläfer und schmeißt ihn nicht raus.
 

Einige Minuten später kam Naruto zurück aus dem Bad. Zu Sasukes unfassbarem Glück machte er das Licht nicht an, sondern legte sich direkt auf den freien Platz neben der Wand. Das Einzelbett war für zwei Personen eindeutig zu klein. Die beiden Jungs lagen also gequetscht aneinander und starrten wortlos für eine ganze Weile die Decke an. Ja, Naruto ist eindeutig wegen irgendwas äußerst bekümmert. Die Luft um sie herum war mit dieser unangenehmen Anspannung durchtränkt. Sasuke konnte sie beinahe auf der Zunge schmecken.  
 

„Weißt du, ich will nicht ohne dich“, wisperte der Uzumaki vorsichtig.

„Wo kommt denn das jetzt her?“ Ach ja, Naruto pickte das Über-Gefühle-Sprechen-Szenario. Und natürlich musste er das heikelste Thema von allen ansprechen! Na super!

„Ich will nicht allein sein.“ Naruto ignorierte Sasukes Frage und rückte mit einem neuen Geständnis heraus.

„Du hast zuhause doch viele Freunde… du wirst doch nicht allein sein…“ Sasuke wusste nicht, wohin diese Unterhaltung führt und was genau Naruto hören wollte. Deswegen waren seine Vorwände nicht sonderlich überzeugend.  

„Das stimmt.“

„Na dann… Problem gelöst.“

„Hör auf. Du weißt, worauf ich hinaus möchte und warum ich es ausgerechnet so formuliere.“
 

Sasuke hielt instinktiv die Luft an. Er war unglaublich schlecht bei solchen Gesprächen und Naruto war in diesem Moment sehr gereizt. Er wollte nichts falsches sagen. Bloß, wenn der Blonde jetzt weiter redet, dann kann Sasuke nur alles vermasseln. Die Frage ist nicht ob es passiert, sondern wann.
 

„Muffin, ich liebe dich…“
 

Okay, Naruto wollte jetzt wirklich darüber austauschen. Bei der Liebeserklärung spannte sich Sasuke innerlich an. Die Phrase war eindeutig noch nicht zu Ende und Sasuke hatte schon jetzt ein ungutes Gefühl dabei. Er wartete ganz brav ab. Schließlich lautete die goldene Regel der Kommunikation laut Google „ausreden lassen“. Darauf verließ sich der Junge.
 

„Deswegen fällt mir diese verdammte Trennung am Ende des Schuljahres schon jetzt so unglaublich schwer.“
 

Naruto beendete den Satz. Und danach kam die schmerzvolle Stille. Sasuke verstand nicht, was Naruto mit dieser Unterhaltung erreichen wollte. Diese Worte stachen auf Sasukes Herz wie Messer ein.
 

„Warum sagst du mir das jetzt?“, wisperte Sasuke etwas verloren.

„Hallo?! Ich rede von meinen Gefühlen zu dir, ja! Ist übrigens sehr wichtig! Nur so, am Rande bemerkt…“
 

Seinen letzten hätte sich Sasuke lieber sparen sollen. Er starrte immer noch auf die Decke. Für die vergangenen zehn Sekunden hat jemand das Universum um ihn herum irgendwie angehalten. Seine Umgebung fühlte sich plötzlich unnatürlich steril an. Alle häuslichen Geräusche wurden abrupt abgestumpft. Sasuke konnte nichtmal Narutos Atem wahrnehmen, obwohl er sich dabei wirklich viel Mühe gab. Ja, genauso hört sich die Stille vor dem Sturm an.
 

„SAG MIR GEFÄLLIGST DASS DU DASSELBE FÜHLST!“
 

Jetzt stürzte die große kräftige Welle auf Sasuke ein. Naruto setzte sich ruckartig hin und presste so viel Luft aus seiner Lunge auf einmal, dass die Wände zu vibrierten schienen. Dieser Schrei klang so verzweifelt, dass Sasuke einen plötzlichen stechenden Schmerz in der Brust empfand. Der Uchiha setzte sich ebenfalls hin und legte seine Arme um Narutos Hals. Er drückte Naruto so nah zu sich heran, wie es nur ging.
 

„Tsss, bitte schrei nicht so!“, zischte der Uchiha.

„Kommandiere mich nicht rum und hör auf, so kaltherzig zu sein!“
 

Naruto stieß Sasuke kraftvoll weg. Der Uchiha konnte sich gerade noch rechtzeitig am Bettgestell festhalten und flog dadurch nicht auf den Boden. So wütend erlebte er Naruto noch nie.
 

„Weißt du eigentlich, wie fertig mich diese Trennung macht?!“

„Naruto…“ Sasuke versuchte vergeblich Narutos Aufmerksamkeit zu gewinnen. Der Uzumaki wurde mit jedem gefallenen Wort noch eifriger.

„Ja, mein Gott! Ich wollte halt unbedingt darüber reden! Ja, ich rede manchmal über meine Gefühle und nein, es ist nichts schlimmes!“

„Naruto!“ Sasuke rief seinen Freund erneut beim Namen, diesmal sogar etwas lauter. Es brachte trotzdem nicht.  

„Das war übrigens der Grund, warum ich heute Abend überhaupt weg wollte! Ich war so zerstört, dass…“

„NARUTO!!! HÖR MIR VERDAMMT NOCHMAL ZU!“
 

Sasuke schrie jetzt zur Abwechslung auch. Er bemerkte, dass der Blonde kräftig nach Luft schnappte, um noch eine zerstörerische Hitzewelle auszulösen, aber Sasuke war diesmal schneller. Er pinnte Naruto gegen die Wand fest und drückte seinen Mund zu. Dieser explosive Emotionsausbruch ging Sasukes Meinung nach viel zu weit. Und damit konnte er seinen Freund endlich aufhalten.
 

„Ernstens schrei nicht so rum! Wir sind hier nicht allein und es ist schon verdammt spät! Und zweitens natürlich geht es mir genauso! Bist du so bescheuert, dass du selbst nicht drauf kommst?!“

„Ummm“, lies Naruto bestätigend ab.

„Uzumaki, du bist so ein Idiot! Echt jetzt!“
 

Sasuke ließ seinen Freund los und senkte schwächlich seinen Kopf auf Narutos Schulter ab. Sie beide konnten endlich durchatmen und die Situation entspannte sich etwas. Sasuke spürte einen riesigen Klumpen im Rachen. So fingen bei ihm Weinkrämpfe an. Wow, einen Weinkrampf hat er seit Ewigkeiten nicht gehabt. Na super! Das alles ist die Schuld von diesem blöden Schwachkopf!
 

Nach einigen stillen Momenten regten sich alle Beteiligten mehr oder weniger ab. Die Tränen kullerten Sasuke bereits über die Wangen. Sie hinterließen heiße Spuren auf seiner makellosen Marmorhaut. Ach, was soll’s… dieser Streit ist eh schon ziemlich peinlich eskaliert. Wenn er jetzt ein bisschen weinen muss, dann ist es halt so. Sasuke hob seinen Kopf, setzte sich gerade hin und wisperte erschöpft:
 

„Ach, Naru, du bist wirklich ein super ahnungsloser Sonnenschein, ne?“
 

Naruto lachte kurz, nickte bestätigend und schmiegte sich zärtlich an Sasuke heran.
 

„Muffin?“

„Was willst du denn noch?“

„Danke sagen.“

„Hä? Wofür denn?“

„Für die Wahrheit. Ich bin jetzt wirklich erleichtert.“

„Du Dummkopf, ey!“, hauchte der Uchiha genervt aus.

„Liebst du mich trotzdem?“

„Oh komm! Hör auf damit!“

„Das heißt wohl ja!“
 

Naruto hörte sich wie ein verliebtes Kind an. Sasuke rollte genervt die Augen und erwiderte nichts.
 

Das war das allerletzte, was am heutigen Abend gesagt wurde. Kurz darauf legten sich die zwei Liebesvögel wieder hin und schlossen einander in einer festen Umarmung. Diese war so fest, dass man sie sogar als „verzweifelt“ hätte bezeichnen können. Es dauerte, bis die beiden schließlich einschliefen. Selbst im Schlaf klammerten sie krampfhaft aneinander. Als ob diese Umarmung die Tatsache überschrieben könnte, dass ihnen nur lächerliche sechs Wochen verblieben. Danach müssen sie höchstwahrscheinlich getrennte Wege gehen. So viel stand schonmal fest.

„Shhhhh!”
 

Sasuke zischte seinen Freund genervt an und riss das Handy aus seiner Hand. Der Junge kann nichtmal einer einfachen Regel folgen! Es ist doch bekannt, dass man das Telefon in Ruhe lässt, wenn man einen Film guckt! Unglaublich!
 

„Hey! Das war wichtig!“ Der Uzumaki verteidigte sich mit Wucht.
 

Naruto war in dieser Sekunde auch ziemlich genervt. Das Gesicht des Blonden drückte unmissverständlich aus, dass er sein Handy auf der Stelle zurückwill.
 

„Ich wollte nur kurz antworten!“, wendete Naruto ein, als Sasuke dabei war das Gerät wegzupacken.

„Kannst auch nach dem Film machen. Dir läuft nichts weg!“
 

Naruto atmete besiegt aus und gab die Versuche auf, das Handy zurückzuerobern. Sasuke war immer noch irritiert. Warum zur Hölle macht man einen Kinoabend, wenn man eh ständig mit jemandem schreibt?! Bei sowas dürfte man doch ausrasten, oder?!
 

Nach einer schweigsamen Weile wagte Naruto mal wieder etwas zu sagen:
 

„Iss“, murmelte er eingeschnappt und reichte Sasuke eine Handvoll Popcorn.
 

Das war eindeutig ein Friedensangebot. Deswegen schlug Sasuke den Snack nicht ab, obwohl er kein großer Fan vom Popcorn war.
 

„Wenn du nicht möchtest, dann schmeiß den Rest in den Eimer“, sprach Naruto passiv aus und stopfte sich nochmal voll mit Popcorn.

„Ne alles gut…“
 

Sasuke aß den Snack auf. Hmmm, dieser Popcorn schmeckte gar nicht so schlecht. Seine Hand tauchte sogar nochmal in den Eimer und fischte noch ein paar geröstete Körner raus.
 

„Siehst du, wenn du Popcorn mit Freunde isst, dann macht es auch Spaß!“, merkte Naruto energisch an und lächelte.

„Tja, und ein Film macht mehr Sinn, wenn man aufpasst anstatt mit Leuten zu schreiben!“

„Blablabla!“, plapperte Naruto laut.

„Liebling, ich weiß, dass deine Aufmerksamkeitsspanne die eines Goldfischs nicht übersteigt, aber bitte versuch wenigstens 10 Minuten ohne Ablenkung durchzuhalten, okay?“
 

Naruto fiel kein Konter mehr ein. Jetzt, wo sein Handy endlich weg war, konnte man den Film ungestört anschauen. Sasuke musste zugeben, dass er mittlerweile ebenfalls keine Ahnung von der Handlung hat. Irgendwelche Teenager erledigten irgendwelche Sachen und Sasuke wusste nicht warum. Das war eindeutig Uzumakis Schuld. Er war ja derjenige, der Sasuke mit seinem Welzen abgelenkt hat. Aber jetzt war es ein echter Kinoabend. Keiner lenkte sich ab. Jetzt konnte die Handlung mitbekommen werden. Sogar der Popcorn schmeckte mittlerweile richtig gut. Die karamellisierten Körner waren echt der Hammer. Gut, dass sie dafür extra nochmal losgelaufen sind. Und außerdem… wenn Naruto zur selben Zeit in den Eimer griff wie er und sich ihre Finger unabsichtlich berührten, wurden die Schmetterlinge in Sasukes Bauch buchstäblich verrückt. Er bemerkte nach einer Weile, dass er öfter in den Eimer hineingreift. Ist es weil der Popcorn so dermaßen gut schmeckt? Oder hatte sein Verhalten einen anderen Grund?
 

Einiger Zeit ist nichts passiert. Der Film war echt langweilig. Jetzt verstand Sasuke, warum sich der Uzumaki ablenkte. Er machte es jetzt unabsichtlich auch. Sein Blick wanderte planlos durch Narutos unaufgeräumte Zimmer. Es sah noch richtig bewohnt aus. Überall lag persönliches Zeug: Klamotten, Lernmaterialen, Geschirr, Bücher… kaum zu glauben, dass dieses Zimmer in nur sechs Tagen geräumt sein wird.
 

„Blablabla, von wegen aufpassen!“, warf Naruto verspielt zu. „Ich sehe doch, wie du komplett abdriftest!“

„Stimmt nicht!“
 

Obwohl Naruto ihn ertappt hat, versuchte Sasuke sich trotzdem zu verteidigen. Doch bevor er ernsthaft was einwenden konnte, bemerkte er, dass seine Hand im leeren Eimer nach nicht existierendem Popcorn greift.
 

„Aha, und deswegen willst du jetzt Luft essen?“ Naruto grinste ihn breit an.

„Ja, genau das habe ich vor!“ Sasuke erwiderte das Grinsen.
 

Naruto griff ebenfalls in den Eimer und verschränkte ihre Finger.
 

„So, jetzt bist du demobilisiert! Bääääm!“ Naruto simulierte eine Explosion und machte dabei eine Grimasse. „Keine Luft für dich!“

„Das denkst du!“ Sasuke befreite seine Finger und streichelte leicht über Narutos Hand. „Siehst du, ich kann alles haben, was ich will!“

„Okay, na dann halt so!“ Naruto packte Sasuke an der Hand fest, die ihn zuvor streichelte.

„Ich hab noch ne andere Hand!“

„Shit! Stimmt!“
 

Der Blonde hob seinen Oberkörper vom Bett, packte Sasuke am freien Handgelenk und zog ihn zu sich. Zack! Und die Distanz zwischen ihnen war auf einmal nicht vorhanden. Naruto hat Sasukes beiden Arme hinter seinen Rücken geführt und sie kräftig zusammengehalten. Seine Beine umschlang er fest um Sasukes Oberschenkel. Der Uchiha fühlte sich gefangen.
 

„So, jetzt kannst du aber wirklich nichts!“, verkündete Naruto siegreich.
 

Damit hatte er nicht unrecht. Sasuke konnte sich nicht bewegen und Naruto hatte keine Absichten ihm leicht zu machen, aus dem engen Zwinger rauszukommen. Naruto hielt Sasuke extra kräftig fest, wie eine sorgfältig gebundene Fessel.
 

„Ach wirklich? Und was, wenn ich mich wehre?“, warf Sasuke frech entgegen und guckte seinen Freund provokant an.

„Versuch‘s! Dann siehst du, was passiert.“

„Na gut…“
 

Sasuke versuchte erst seine Hände zu befreien, doch Narutos Halt gab nicht nach. Er bemerkte schnell, dass es nicht funktioniert. Als Nächstes versuchte er sich kräftig zu winden. Dieses Vorhaben scheiterte auch. Er verschwendete ziemlich viel Energie. Jetzt wurde ihm etwas wärmer.
 

„Siehst du, du kannst doch nichts, du Niete!“
 

Ach, wie selbstgefällig erklang dieser Satz! Normalerweise hätte Sasuke kotzen können, aber diesmal war etwas anders. Obwohl die Auseinandersetzung an den Uzumaki ging, ärgerte sich Sasuke darüber null. Ihn ergriffen ganz andere Eindrücke. Naruto hielt ihn immer noch kräftig fest. Einerseits grinste der Uzumaki verspielt und andererseits war er bei dieser Aktion todernst. Sasukes Handgelenke taten mittlerweile sogar weh. Naruto wollte ihn zwingen, in dieser unangenehmen Position zu sein. Dafür hat er sogar ein bisschen Gewalt anwenden müssen. Ein flüchtiger Gedanke besuchte plötzlich Sasukes Kopf.
 

Was, wenn Naruto ihm ernsthaft weh tun wollen würde?
 

Dann könnte er Sasuke vermutlich ernsthaft verletzen. Diese Kraft empfand Sasuke als äußerst faszinierend. Sie reizte ihn auf einer sehr seltsamen Art. Diese Gedanken produzierten lebhafte Bilder im schwarzhaarigen Kopf und er wurde rasch von seinen primitivsten Instinkten verleitet. Zu ersten Mal im Leben war er in diesem Sinne bedürftig.
 

Diese ganze Aktion machte ihn furchtbar an.
 

Sasuke erstreckte sich und saugte sich an Narutos Mund fest. Er steckte seine Zunge gewaltsam in Narutos Rachen und der Uzumaki schluckte sie mit größtem Vergnügen. Sie verschlangen einander. Ihre Lippen trennten sich nicht. Nichtmal um durchzuatmen. Naruto löste den krampfhaften fesselartigen Halt um die Hände unter Sasukes Oberteil gleiten zu lassen. Diesmal unterband Sasuke diese Unanständigkeiten nicht. Diesmal fühlte es sich richtig gut an. Im nächsten Moment riss Naruto Sasukes Oberteil ab. Er fasste die empfindlichen Brustwarzen an. Er streichelte und kitzelte sie. Damit trieb er seinen Freund in die Höhen. Sasuke konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er stöhnte laut, ungehemmt und sehr erotisch. Er leckte Narutos Zunge und Rachen gierig aus. Er spreizte seine Beine und umschlang sie kräftig um Naruto herum. Und Naruto machte genauso weiter. Er trieb Sasuke dorthin, wo er sich nicht mehr kontrollieren konnte. Beide wussten nicht, wohin diese Reise führt.
 

Nach noch einem intensiven Kussaustausch wussten sie, wo es nun hingeht, denn Sasukes niederen Triebe brachen eins nach dem anderen nach außen und übernahmen rasch die Kontrolle. Jetzt hat er ein Stück der verbotenen Frucht gekostet und jetzt musste er sie vollständig aufessen. In diesem Augenblick existierte er nur dafür, um seine Lust in die Extremen zu treiben. Dreckiger… schneller… schmackhafter… die Bilder in seinem Kopf arteten in eine düstere Perversion aus. Er wollte sich mit Naruto anlegen und dabei richtig mies verlieren.
 

Und ja, es machte ihn sowas von an.
 

Jetzt war die Endstation des Wahnsinns erreicht. Sasuke war vollständig seinen primitivsten Trieben ausgeliefert. In diesem Augenblick drehte er komplett durch. Er haute Naruto grob um, setzte sich auf seine Oberschenkel und legte die Hände um seinen Hals herum. Unter den Fingern spürte er Narutos pulsierende Adern und dieses Gefühl beflügelte ihn. Er meinte vollständig über Narutos Schicksal zu verfügen und er fühlte sich deswegen sehr mächtig. Sein Blick trauf auf Narutos. In den blauen Augen spiegelte sich eine Mischung aus Faszination und Angst wider. Daraufhin zeichnete sich ein verrücktes Gringen auf dem sonst so emotionslosen Gesicht eines Uchiha. Er übte seine Macht aus und drückte Narutos Kehle mit beiden Händen zusammen. Der Junge keuchte und schnappte nach Luft. Seine Augen weiteten sich. Es hat ihn eindeutig erwischt. Sasuke verfiel dabei in eine wahnsinnige Ekstase.
 

Jetzt hat sich Sasuke ernsthaft mit Naruto angelegt. Darauf bekam er Gänsehaut im Nacken.
 

Während der nächsten Minuten hat sich zwischen ihnen genau das abgespielt, wonach Sasuke so sehr lechzte: Naruto wendete Gewalt gegen ihn an. Er zog seine Beine ruckartig an die Brust heran und warf sie mit aller Kraft gegen Sasukes Brust. Naruto sicherte Sasuke in keinster Weise, sodass er unaufhaltsam gegen das Bettgestell krachte. Sasuke kam mit Wucht gegen die Bettkante auf. Das Pressholz rammte in seine Seite so stark, dass er kurzzeitig keine Luft bekam. Vor seinen Augen wurde es schwarz und in seinen Ohren fiepte es unangenehm. Er war völlig desorientiert und fühlte sich durch die Gegend geschleudert. Sobald er zu sich kam, fand er sich liegend in Bauchlage. Etwas drückte auf sein Brustkorb, sodass er nicht richtig einatmen konnte. Sein Kopf war nach rechts gedreht und absichtlich so festgehalten, dass er sich nicht umgucken konnte. Seine Arme waren hinter seinem Rücken festgebunden. Die lederartige Fessel schnitt in die Handgelenke ein und machte sie wund. Sasuke versuchte zu schreien, aber ihm gelang nur ein schwaches Kreischen. Er war immer noch leicht desorientiert. Trotzdem bekam er mit, dass das Gewicht auf seinem Rücken Naruto war. Und er war wütend. Das bekam Sasuke auch mit ganz ohne seinen Freund zu sehen. Die gesamte Luft war mit dieser düsteren Energie durchtränkt. Jetzt hat er richtig mies verloren. Bald wird er Narutos Zorn am eigenen Leibe spüren.
 

Endlich ist es soweit.
 

„Na, Muffin…“, wisperte Naruto in sein Ohr. „Ich hatte ja überhaupt nicht geahnt, dass du so dermaßen durchgeknallt bist!“
 

Naruto war ebenfalls außer Puste und atmete schwer. Sein Atem war heiß und kitzelte verführerisch Sasukes Ohrläppchen. Der Uzumaki legte sich neben Sasuke hin und küsste ihn sanft.
 

„Das war aber so verdammt heiß, dass ich nicht aufhören kann an dieses eine Ding zu denken... du weißt schon…“
 

Naruto drehte Sasuke zu sich hin. Jetzt konnte der Uchiha in dieses nach ihm lechzende Gesicht hineinschauen. Sasuke küsste ihn wortlos und Naruto erwiderte auf eine sehr ungeduldige aber gleichzeitig eine sehr sanfte Art. Er musste es nicht zwingend so dramatisch haben wie sein schwarzhaariger Freund. Trotzdem war Sasuke mehr als gespannt auf das, was als nächstes kommt, obwohl er ganz genau wusste, wie die Sache ausgeht.
 

Und es war auch gut so.
 

***
 

Die Uhr zeigte eine fette 3 an. Naruto schlief fest. Er schnarchte friedlich und schmiegte sich an Sasuke, der hellwach neben seinem Freund lag. Das Mondlicht fiel ins kleine unaufgeräumte Wohnheimzimmer ein und färbte Narutos weiche Locken in ein wunderschönes silbernes Aschblond. Es war eine sehr friedliche Nacht.
 

Sasuke hat vor einigen Stunden sein erstes Mal mit diesem Jungen gehabt. Er las sich im Internet viele Horrorgeschichten zu diesem Thema durch und keine einzige davon wurde wirklich wahr. Dieses Erlebnis war in jedem Punkt einfach unbeschreiblich schön. Wahrscheinlich lag es daran, wie Naruro ihn behandelte. Verglichen mit Sasukes verrücktem Vorspielausbruch hätte man Narutos Verhalten als langweilig bezeichnen können, denn er ging sehr behutsam mit Sasukes Körper um. Es gab keine Handgreiflichkeiten mehr. Gleichzeitig war er definitiv nicht unnötig vorsichtig. Er fand irgendwie eine perfekte Balance. Vielleicht deswegen ging es ja so gut. Nachdem alles vorbei war, guckten sie den blöden Film zu Ende. Er wurde bis zum Schluss nicht wirklich besser. Und Naruto wunderte sich, warum Sasuke gleich mit Würgen ankam. Darauf hatte der Uchiha selbst auch keine Antwort. Naruto machte den restlichen Abend Witze darüber, dass die Uchihas deswegen so verkrampft sind, weil sie sonst jeden würgen, wenn sie sich freien Lauf lassen. Sasuke lachte sogar mit. Vielleicht könnte ja was wahres dran sein. Und ganz kurz bevor schlafen gehen sagte Naruto nochmal, dass er diese ganze Aktion unglaublich heiß fand.
 

Trotzdem gab es etwas, was die perfekte ruhige Nacht vermasselte. Sein Freund und Liebhaber reist in mittlerweile fünf Tagen ab. Es musste ja so kommen. Es war definitiv keine Überraschung. Trotzdem verkraftete Sasuke es nicht so gut. Seit drei Wochen nistete sich ein schweres Gefühl in seinem Herzen ein und jetzt erreichte es den Höhepunkt, weil ihm eine simple Tatsache klar geworden ist:
 

In fünf Tagen sehen sie sich höchstwahrscheinlich zum allerletzten Mal.
 

Bei diesem Gedanken verspürte Sasuke einen Klumpen im Rachen. Er umarmte seinen Freund ein kleines bisschen fester und vergrub sein Gesicht in die weichen Locken.
 

Der Sonnenschein kann nicht ewig hier verweilen. Irgendwann kommt die Nacht und dann erlischt er. Eine lange düstere Nacht lief unaufhaltsam auf Sasuke zu. Er wusste nichtmal, ob sie irgendwann ein Ende nimmt.

„Schon in vier Tagen sehen wir uns zum letzten Mal.“

„Ich werde dich nicht gehen lassen.“

„Du bist ja süß!“

„Nein, ich meine es ernst. Heirate mich.“

„WAS?!“

„Du hast mich gehört.“

„Kannst du es bitte nochmal sagen? Nur so…“

„Ich wiederhole mich nicht.“

„Okay… hast du jetzt in echt mir einen Heiratsantrag gemacht oder hab ich mich verhört?“

„Du hast dich nicht verhört.“

„Wow, okay… ähm… ich bin sprachlos. Ich weiß nämlich gar nicht, was ich dazu sagen soll…“

„Ein «Ja» würde völlig ausreichen.“
 

Sasuke starrte plötzlich die Decke an. Er lag in seinem Bett und das ganz alleine. Naruto war nicht hier, ebenso wie der überstürzte Heiratsantrag. Oder?
 

Sasuke schaute auf sein Handy. Das Datum hat sich wie erwartet um einen Tag verschoben. Gestern, als er ins Bett ging, hat er noch keinem einen Antrag gemacht. Der plötzliche Sprung vom Heiraten direkt ins Bett deutete doch eher daraufhin, dass er die Szene nur geträumt hat.
 

Gott sei Dank!
 

Egal, was Narutos Antwort gewesen wäre, hätte Sasuke sie nicht ohne weiteres hinnehmen können. Warum überhaupt kommt sein Gehirn auf solche Sachen? Als könnte er — Sasuke Uchiha — jemandem so spontan einen Heiratsantrag machen. Naruto und er… und heiraten… nein… was für ein sinnloser Gedanke!
 

Sasuke lag seit einiger Zeit mit geschlossenen Augen, dennoch misslang ihm das Einschlafen extrem. Der helle Mondschein schien direkt in sein Gesicht und färbte das Schwarze unter den Augenlider in einen schmutzigen rötlichen Ton um. Tausende Gedanken in seinem Kopf wirbelten chaotisch. In nur vier Tagen wird Naruto abreisen und Sasuke wusste nichtmal, was genau er dabei fühlt. Diese Tatsache versetzte ihn in einem komischen Zustand. Meistens passierte das beim zufälligen nächtlichen Aufwachen. Manchmal kam es aber während des Tages vor. Sasukes Herz wurde in solchen Momenten hundertfach schwerer, als es sein sollte, und es schmerzte stumpf in seiner Brust. Der Junge zog instinktiv die Beine heran und versteckte sich unter der Decke. Sasuke hasste es. Aber leider ließ sich damit nichts machen. Die einzige Lösung hieß abwarten. Er machte die Augen zu und startete das Einschlafen-Programm neu. Die Gedanken wirbelten aber immer noch kräftig in seinem Kopf. Diesmal war es unmöglich sie zu ignorieren. Der Junge wälzte hin und her in der Hoffnung eine bequeme Position zu finden.
 

Nach gefühlt einer unruhigen schlaffreien Ewigkeit konnte Sasuke nicht mehr liegen. Wie aufgezogen sprang er aus dem Bett, zog das Erste an, was auf seinem Stuhl lag, stieg aus dem Fenster und stürzte sich ins nächtliche Abenteuer. Er wollte so schnell abhauen, dass er sich nichtmal die Schuhe angezogen hat. Wo wollte er eigentlich hin? Keine Ahnung, da vertraute sich Sasuke seinem Körper an. Seine Augen verfolgten einen ganz bestimmten Pfad, den Sasuke nicht wiedererkannte. Seine Beine trugen ihn weiter und weiter weg von der Uchiha Residenz. Unter den Füßen spürte er die kühle Erde. Mit jedem Schritt drückte er sich kräftiger vom Boden ab und trieb sich so mit jedem Schritt weiter in die Höhe. Es kam ihm vor, als könnte er fliegen, und seine Umgebung unterstützte ihn dabei mit allen Mitteln.
 

Nach einiger Zeit erreichte Sasuke einen See. Der Uchiha wusste aus irgendeinem Grund, dass das der Zielort der Reise war. Nicht nur weil seine Beine beim Anblick des Sees stoppten. Er fühlte sich mit diesem Ort innig verbunden. Der Mond hing wie ein riesiger Scheinwerfer auf dem sonst so dunklen endlosen Himmel. Dieser hauchdünner Licht tönte alles silbern. Das Wasser glitzerte dadurch märchenhaft. Der see sah aus wie eine feine Stickerei aus Silberfaden. Sasuke setzte sich auf den Boden. Warum ist es überhaupt hier? Wahrscheinlich soll er mal wieder über seine Gefühle nachdenken.
 

Ja, genau das war es.
 

Diesmal war es von besonderer Wichtigkeit. Da hatte Sasuke eine seltsame Vorahnung. Na gut. Der Junge versuchte sich an den komischen Traum von vorhin erinnern. Obwohl es sich um einen Traum von heute handelte, waren die Erinnerungen daran bereits sehr bruchstückhaft und vernebelt. Er ließ sich trotzdem auf den spontanen Heiratsantrag reduzieren. Warum gleich heiraten? Es ist logistisch unmöglich und hierzulande ist es so oder so verboten. Und abgesehen davon konnte sich Sasuke überhaupt nicht vorstellen, jetzt verheiratet zu sein. Trotzdem hat er im Traum eine unmissverständliche Entschlossenheit gespürt, die ihm gerade bei diesem Thema Angst machte. Warum zur Hölle hat er nur von sowas geträumt?! Darauf wusste Sasuke keine Antwort.
 

Was Sasuke allerdings wusste, war, dass er mittlerweile keine Lust mehr hatte, sich zu verstecken. Na und wenn er schon einen Mann heiraten möchte? Was ist daran so schlimm? Er ist in seiner Beziehung glücklich. Sollte nicht eher das zählen? Seine Familie wusste nichts davon, dass er einen unglaublich wichtigen Menschen in seinem Leben hat. Sie wussten auch nichts davon, dass er nachts unerlaubt zu diesem Menschen abhaute und mit ihm einige der schönsten Stunden in seinem Leben verbrachte. Auf die Frage seiner Mutter, ob er was neues hätte, gab er immer dieselbe Antwort.
 

Nein.
 

Sein Vater war nach wie vor an den Updates seines Sohnes nicht interessiert. Sasuke vermutete sogar, dass sich sein Vater allgemein für ihn kein besonders großes Interesse hatte. So war es vielleicht sogar einfacher. Wenn keine Nachfrage kommt, muss man keinen anlügen. Sasuke log andere generell ungerne an, besonders seine Eltern. Dennoch musste er die Wahrheit im Schatten halten, denn im Uchiha-Haushalt wird sie bestimmt hart abgestoßen. Sasuke wird sich vermutlich nichtmal rechtfertigen dürfen. Also wenn er die Wahrheit ins Licht rücken lässt, muss er seiner Familie hochwahrscheinlich Lebwohl sagen. Keiner weiß, wann dieses Fass überläuft. Weil die aktuelle Situation den jüngsten Uchiha schon jetzt richtig doll belastete, vermutete er, dass es nicht mehr lange dauert. Dann erfahren alle, wie er eigentlich gestrickt ist. Und anschließend wird er rausgeworfen. Hmmm… im Schatten versteckt bleiben oder auf die eigene Familie verzichten?
 

Natürlich das zweite.
 

Wow, das war ja einfach!
 

Sasuke seufzte. Welches das keinere Übel ist, war für ihn nicht immer so eindeutig. Erst durch Naruto wurde ihm bewusst, dass es immer besser ist, sich selbst treu zu bleiben. Nur so kann man das bestmögliche Leben führen. Wenn es jemandem nicht passt, dann ist es halt so. Und manchmal ist es dann wirklich besser, sich von den Menschen zu trennen.
 

„Naru, danke”, streifte der kleine Gedanke durch Sasukes Kopf. „Deinetwegen kann ich endlich die Dunkelheit verlassen“, wisperte er zu sich.
 

Sobald diese Worte von Sasukes Zunge fielen, fühlte sich der Junge erlöst. Er atmete tief ein. Die Luft betrat mit Leichtigkeit seinen Körper. Sasuke stand auf. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und entfaltete seine Schulter. Seine Arme warf er in die Luft und streckte sich soweit wie er konnte. Dabei wollte er mit den Fingerspitzen den Mond berühren. In diesem Augenblick war er mehr, als nur er selbst. Sein Geist war überall und nirgends und im perfekten Einklang mit der Umgebung. Er war ein fester Bestandteil dieser Landschaft, nicht mehr und nicht weniger.
 

Sasuke drückte sich kräftig vom Boden ab und plötzlich hing er in der Luft. So funktioniert Fliegen also? So einfach? Warum ist er dann nicht früher drauf gekommen? Zumal war dieses Flugprogramm anscheinend in ihm hardcodiert. Kaum dachte Sasuke daran, sich zu beschleunigen, oder langsamer zu werden, oder in einer Kurve fliegen, führte sein Körper das Befehl exakt aus und es kostete dem Pilot überhaupt keine Kraft. Er glitt gekonnt durch die Luft und guckte sich dabei neugierig um. Noch nie betrachtete er die Dinge aus dieser Perspektive. Von oben sah alles so klein — ja, sogar nichtig — aus. Der Ausblick in die Ferne war wunderschön: Der Wald schien endlos zu sein und irgendwo weit weg ist er eins mit dem Himmel geworden. Von hier oben glitzerte der See genauso märchenhaft, wie von unten. So ähnelte er einer silbernen Stickerei noch mehr.
 

Sasuke genoss diesen Ausblick für eine ganze Weile. Die Natur war atemberaubend. Sie hat nicht aufgehört wunderschön zu sein. Sasuke war fasziniert von ihr. Plötzlich warf er seinen Kopf nach hinten und schrie in den dunklen Himmel. Ein lauter Schrei eines Habichts hallte kräftig durch den Raum. Er echote solange, bis er schlussendlich in der Ferne erlosch.
 

So fühlt sich also Freiheit an. Gut zu wissen.
 

Euphorisch flog Sasuke unaufhaltsam nach unten. Er wollte sich kopfüber in den silbernen See einstürzen. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Kurz, bevor er kräftig gegen das Wasser aufprallte, sah er gar nichts mehr. Der märchenhafte Ort mit dem silbernen See verschwand spurlos. Dennoch spürte Sasuke, wie er sich blind durch die gewaltigen Wassermassen fortbewegt. Langsam ging ihm die Luft. Zum Glück wusste sein Körper, wo er hinmusste. Bald erreicht er die Wasseroberfläche.
 

Als Sasuke aus den Tiefen des Sees auftauchte, war er plötzlich bei sich zuhause, in seinem Bett. Mittlerweile war es nicht mehr dunkel. Die ersten Sonnenstrahlen malten auf dem Himmel lange orangene Streifen. Der Junge setzte sich hin und guckte sich verwirrt um. Die Sachen, die er für den Waldspaziergang angezogen haben sollte, lagen immer noch zusammengelegt auf dem Stuhl. Seine Füsse waren nicht schmutzig von Barfußablaufen und sein Fenster war zu.
 

Also… war das alles doch nur ein Traum?
 

Natürlich war es nur ein Traum! Niemand kann fliegen! Er kann auch keinen Habicht nachmachen. Außerdem sind die Wälder hier definitiv nicht endlos. Sie sind im Gegenteil recht überschaubar, sodass Sasuke den gesamten Wald auswendig kannte. Schließlich wohnen in dieser Stadt sehr viele Menschen. Aus diesem Grund weiß er auch, dass es hier keinen silbernen See gibt. Sasuke ist wahrscheinlich mitten in der Nacht aufgewacht und kurz darauf wieder eingeschlafen. So überging höchstwahrscheinlich ein Traum in den nächsten.
 

Sasuke konnte sich normalerweise an seine Träume nicht erinnern. Den ersten hat er schon wieder komplett verdrängt. Aber der zweite Traum war so real, wie eine frische Erinnerung. Es fühlte sich echt an. Nur daran, dass die Ereignisse dieser Erinnerung komplett absurd waren, konnte Sasuke festmachen, dass es so nicht passiert hätte. Er war immer noch von den Glücksgefühlen erfüllt, die ihn in der Höhe schreien ließen. Und das mit dem Schatten war auch nicht weg. Das setzte sich ganz fest in Sasuke Kopf.
 

„Danke, Naruto“, wisperte er zu sich und lächelte.
 

Sasuke guckte auf die Uhr und musste nun feststellen, das sein Wecker in 10 Minuten klingelt. Er kuschelte sich in die Decke ein und machte die Augen zu. Diese Minuten standen ihm generell zu, und ganz besonders heute. Heute war nämlich sein Abschlussball. Da darf sein Körper erst recht jede ruhige Minute komplett auskosten.

Sasuke stöpselte das Mikro ein und schaltete es an. Er klopfte vorsichtig auf die raue metallische Oberfläche und es raschelte durch die gesamte Halle.
 

„Muffin, sprich doch rein!“, rief Naruto vom anderen Ende des Raumes.

„Es heißt immer noch Muffel!“, erwiderte der Uchiha spontan.

„Waaaas? Hab dich nicht verstanden!“ Naruto lachte kurz und Sasuke lächelte ebenfalls.
 

„Okay, du bist dann fertig, oder?“ Naruto überfiel den Schwarzhaarigen, sodass er überrascht zusammenrückte.

„Jo.“

„Man-man-man bist du selbstgefällig! Hättest wenigstens in die Aufgabenliste geguckt, bevor du deine Aufgaben so leichtfertig abgetan hast!“

„Ich bin weder selbstgefällig noch habe ich die Aufgaben leichtfertig abgetan. Ich kann sie im Kopf behalten.“ Da hat Sasuke nicht gelogen. Er kannte sogar die gesamte Liste auswendig. „Im Gegensatz zu jemandem gewissen, dessen Namen nicht genannt werden darf…“

„Meinst du mich damit, oder was?“

„Nicht zwingend.“ Sasuke grinste Naruto geheimnisvoll an.

„Ja-ja, du meinst bestimmt mich!“, warf Naruto provokant und grinste zurück.

„Okay. Ich finde extrem inkompetent, dass du dich nichtmal an deine sieben Sachen ohne Zettel erinnern kannst“, ließ der Uchiha frech ab.

„Hey!“ Narutos Stimme hört sich beleidigt an.

„Na was denn? Wenn du es mir so leicht machst, dann bist du selbst schuld!“

„Oh, du bist so… du bist so…“ Naruto konnte den Satz nicht beenden. Stattdessen haute er Sasuke leicht gegen die Schulter.

„Na, Sonnenschein, was bin ich, ha?“

„Du bist so… argh! Ich kann es nichtmal… mir fällt kein Wort dazu ein!“

„Sprachbehindert bist du also auch noch… okay.“

„Hör auf!“ Naruto lächelte und umarmte Sasuke ganz fest. „Ein Arschloch bist du, jetzt hab ich’s.“

„Ach, wie unkreativ. Naja, immerhin hast du ein passendes Wort gefunden.“

„Aber du bist mein Arschloch, stimmt’s?“ Naruto überhörte die Anmerkung und wisperte stattdessen in Sasukes Ohr.
 

Das heiße Atem kitzelte den Schwarzhaarigen und er bekam Gänsehaut im Nacken. Sasuke nahm etwas Abstand und sein Blicke traf auf den von Naruto. Der Uzumaki schaute ihn so intensiv an, dass der Junge das Gefühl bekam, Naruto würde direkt in seine Seele hineinsehen können.
 

„Na, Muffin, bist du meins?“ Naruto wiederholte die Frage. Diesmal erklang sie viel romantischer als vorher. Und sie war durchaus ernst gemeint.

„Ich gehöre niemandem.“ Dabei erwiderte der Uchiha endlich den penetranten Blick seines Freundes.

„Nicht mal mir?“

„Nichtmal dir, Sonnenschein.“

„Hmmm, okay…“
 

Sasuke befreite sich aus Narutos Halt und wechselte das Thema:
 

„Machen wir Mittag?“

„Jo, ich bin nämlich am verhungern.“

„Dann müssen wir jetzt los, wir haben ja nur 30 Minuten bis die Pause um ist.“

„Dann beeilen wir uns!“
 

Die Jungs machten sich zum nächstgelegenen Supermarkt auf. Naruto nahm Sasuke bei der Hand und der Uchiha widerstand nicht.
 

„Wow, hältst sogar freiwillig Händchen mit mir?“ Naruto wunderte sich.

„Soll ich aufhören?“

„Nein-nein! Bitte nicht!“
 

Naruto lächelte Sasuke sanft an und küsste ihn auf die Stirn. Dabei kniff der Uchiha die Augen genüsslich zu.
 

Mittlerweile erreichte das Pärchen den Supermarkt. Sasuke entschied sich für eine günstige Bentobox, während Naruto zu einem Sandwich griff. Die Jungs bezahlten fürs Essen und verließen den Laden. Sie liefen nun zurück zum Schulgebäude und immer noch liefen Hand in Hand. Sasukes Finger waren mit den Fingern seines Freundes verschränkt. Der Junge spürte sanfte Wärme auf der Haut. Es war so angenehm! Sasuke wollte von dieser Hand am liebsten nie loslassen.
 

Sobald der Schwarzhaarige daran dachte, ergriff die ihm mittlerweile sehr gut bekannte Melancholie sein Herz. Das, was sich am Anfang des Jahres völlig abstrus anhörte, wurde komischerweise zur Realität. Er hat den Krieg richtig mies verloren und der Junge mit den leuchtendsten blauen Augen bedeutete ihm auf einmal richtig viel. Mittlerweile ist das mit dem Krieg ziemlich unwichtig geworden. Naruto kostete seinen Sieg nichtmal ordentlich aus. Wahrscheinlich konnte der Blonde ihn nicht richtig genießen, weil es inzwischen um etwas viel Bedeutenderes ging, als deren anfänglichen Streitereien.
 

„Sasuke, sag mal… was passiert, nachdem ich gegangen bin?“
 

Zum Beispiel um diese Frage. Sie beide haben es nie richtig geklärt.
 

„Du weißt es doch“, sagte Sasuke leise.

„Ich möchte es trotzdem klarstellen. Wir haben uns so lange davor gedrückt, dass es mittlerweile unverschämt ist.“
 

Sasuke seufzte. Ja, es war mittlerweile unverschämt, da hatte Naruto tatsächlich recht.
 

„Willst du jetzt sofort darüber reden?“

„Ja.“

„Das endet dann vermutlich damit, dass mindestens einer von uns richtig angepisst ist“, merkte Sasuke diplomatisch an.

„Ich weiß.“

„Und du willst dir trotzdem vor dem Abschlussball die Stimmung vermiesen?“

„Eigentlich nicht… aber dann irgendwie doch, weil ich unbedingt darüber reden möchte.“

„Dann hätte ich einen Vorschlag: Während die Feier noch läuft, ist dieses Thema tabu. Das Gespräch findet statt, sobald wir wieder zuhause sind. Was hältst du davon?“

„Heißt das, dass du nach der Feier zu mir gehst?“

„Ja. Und dann reden wir solange wie nötig, okay?“
 

Naruto seufzte schwer. Sasuke spürte seine Zerrissenheit: einerseits wurde er innerlich zerfressen und wollte unbedingt über seine Sorgen austauschen, andererseits wollte er was vom heutigen Abend haben. Beides gleichzeitig ging nicht. Naruto wusste es auch.
 

„Versuchst du mich mit diesem Move abzulenken um nachher diesem Thema irgendwie aus dem Weg zu gehen?“

„Nein.“

„Warum fühlt es sich dann so an?“

„Weil… ähm… weil…“
 

Sasuke blieb stehen. Anstatt sich über Narutos Aussage wie gewöhnlich aufzuregen oder seine Gefühle runterzuspielen versuchte er wirklich die richtige Antwort zu finden. Nichts konnte ihn davon abhalten. Weder die Rushhour mit ihren riesigen Menschenmassen, noch Passanten, die ihn leicht anrempelten, noch dass es eigentlich unangebracht war, solche Themen in aller Öffentlichkeit auf einem voll bepackten Bürgersteig zu klären… nichts davon spielte eine Rolle. Sasuke guckte seinen Freund direkt an und sagte:
 

„Weil ich mich dir gegenüber oft wie ein gefühlloses Arschloch verhalte.“
 

Naruto sagte nichts dazu. Er brach nur den direkten Blickkontakt ab, indem er leicht zur Seite schaute. Diesmal gewann Sasuke das Anstarrspiel. Aber das machte ihm überhaupt keine Freude. Es war eher gegenteilig, weil sich eine sanfte Traurigkeit in diesen großen blauen Augen widerspiegelte. Sasuke fuhr fort:
 

„Naru, wir reden darüber, ich verspreche es dir. Es ist mir auch wichtig, selbst wenn es vielleicht nicht so rüberkommt.“
 

Nach diesen Wörtern führte Naruto seinen Blick tief in den Boden. Sasuke verspürte, dass er seine Hand fester zusammendrückte.
 

„Okay, dann reden wir im Nachgang“, ließ er knapp ab. „Und wenn du schon das mit dem gefühllos erwähnst, hätte ich noch eine Bitte an dich…“

„Welche denn?“

„Kannst du im Gespräch brutal ehrlich zu mir sein?“

„Ich versuche es. So gut wie ich kann.“

„Danke.“
 

Naruto hob seine Augen und ihre Blicke trafen sich erneut aufeinander. Der Uzumaki lächelte zwar aufrichtig, aber diesem Lächeln fehlte etwas Entscheidendes. Sasuke konnte es nicht genau zuordnen. Er wusste nur, dass wenn er es ansah, fühlte es sich so an, als würde jemand auf sein Herz mit einem scharfen Messer einstechen.
 

„Und du hast recht. Es wäre echt nicht cool, wenn wir den heutigen Abend nicht genießen könnten, oder?“, fügte Naruto grinsend hinzu.

„Ne, wäre es nicht.“
 

Sasuke versuchte das Lächeln zu erwidern, aber er war sich nicht sicher, ob es gut geworden ist. Die Jungs zogen weiter Richtung Schule los. Sie vermischten sich mit dem Menschenstrom. Sie liefen zügig, unterhielten sich kaum und hielten sich dabei richtig fest bei der Hand. Sasuke spürte, dass er definitiv nicht der einzige war, der am liebsten nie wieder loslassen würde.

Nach der Mittagspause war es wirklich soweit. Der Abschlussball startete in zwanzig Minuten. Diejenigen, die sich an der Organisation mitbeteiligen, durften sich in der Sportumkleide ins Festliche umziehen. Darum ging es jetzt. Die Atmosphäre in der Umkleide war sehr chaotisch. Die Türen gingen ständig auf und zu, die Leute hetzten hin und her, einige konnten seinen Anzug nicht finden und manchen hat es an Zeit gefehlt die letzten Locken zu drehen. Jeder musste noch etwas ganz schnell erledigen. Außer natürlich Sasuke Uchiha. Er war selbst in dieser trivialen Hinsicht perfekt. In seinem Anzug verirrte sich keine einzige Falte, nichtmal ein einziges Haar auf seinem Kopf stand komisch ab und seine Schuhe waren blitzblank sauber. Sasuke begutachtete sich im neben ihm hängenden Spiegel. Passt. Okay, dann sollte er sich ja schonmal in die Aula begeben. Aber zunächst Naruto suchen. Wenn Sasuke ohne ihn vorläuft, wird der Uzumaki bestimmt richtig eingeschnappt sein.
 

„Na, bist du bereit?“
 

Die Naruto-Suche endete, bevor sie überhaupt vernünftig anfing. Der Blonde stand nämlich völlig bereit vor Sasuke, was ziemlich verwunderlich war. Der Uzumaki gehörte normalerweise der hetzenden Crew an, die bis zur letzten Minute zu tun hatten. Hmmm, komisch. Dieser Zustand war höchstwahrscheinlich irgendeinem seltsamen Zufall geschuldet. Sasuke sah seinen Freund von Kopf bis Fuß an. Narutos Kleidungswahl fiel auf einen klassischen schwarzen Anzug, der richtig teuer aussah. Dadurch wirkte der Uzumaki urplötzlich sehr edel. Der perfekt sitzende Sakko hob gekonnt seine sportliche Statur hervor. So wurde es deutlich, dass Naruto sehr fein gebaut war. Außerdem stand dieses angenehme weiche Schwarz dem Blonden richtig gut zu Gesicht. Seine weizenfarbenen Locken, das tiefe Blau seiner Augen und sein strahlendes Lächeln ergaben auf dieser Leinwand ein sehr harmonisches Bild. Abgerundet wurde dieses Bild mit einem Paar Lacklederschuhe und einer kleinen weinroten Fliege, die sich eng an Narutos Hals anschmiegte. Diese Fliege war ein echter Hingucker. Sie verwandelte den Uzumaki in ein teures professionell verpacktes Geschenk. Man wollte unbedingt an der roten festlichen Schleife ziehen und anschließend die sonstige Verpackung abreißen. Zumindest ging es Sasuke in diesem Moment so. Er konnte nicht aufhören, seinen Freund richtig unverschämt zu beäugen. Denn im schwarzhaarigen Kopf fing bereits die Bescherung an.
 

„Was glotzt du so, ha?“
 

Der selbstgefällige Ton brachte Sasuke in die Realität zurück. Stimmt. Hinter der schicken Verpackung versteckte sich immer noch dieselbe blonde Bestie, die Sasuke gern auf die Nerven ging. Beinahe hätte Sasuke diesen simplen Grundsatz vergessen.
 

„Nichts. Du siehst eben wie ein Mensch aus, passiert ja sonst nie“, konterte Sasuke genauso selbstgefällig.

„Oh man, und dabei hättest du nur sagen sollen, dass ich umwerfend bin. Tut ja nicht weh, oder?“

„Da hast du recht, aber trotzdem nein.“

„Sag mal, kannst du mir überhaupt jemals ein Kompliment machen, ohne mich dabei fertig zu machen?“

„Na klar kann ich das, ich hab bloß keinen Bock.“

„Ne, du kannst eben nicht!“

„Doch!“

„Beweis!“
 

Sasuke biss sich kurz auf die Zunge. Nicht weil es schwer war, ein Kompliment zu machen… er wollte Narutos aufgeblasenes Ego nicht weiter mit Bestätigung füttern. Sasuke wusste, dass Naruto wusste, dass er in diesem Anzug teuflisch gut aussieht. Trotzdem musste dieser Trottel es explizit hören. Sasuke schüttelte den Kopf darüber. Ach, dieser Ausländer! Tja, dieser eine Ausländer, der Sasukes Herz richtig unverschämt gestohlen hat, sah heute wunderschön aus.
 

„Du bist umwerfend, Füchschen…“, sprach Sasuke leise und etwas verlegen aus.

„Und, hat das weh getan?“ Narutos Stimme wurde ebenfalls etwas leiser.

„Ja, ich bin innerlich verblutet und als Folge dessen verstorben.“ Sasuke grinste Naruto frech an.

„Dann date ich den hübschesten Zombie, den es je gab.“ Naruto erwiderte Sasukes Grinsen. „Du siehst auch toll aus, Muffin.“

„Dir ist also nicht peinlich mit mir rumzulaufen?“

„Ne, heute ist es tatsächlich kein Problem.“

„Auch wenn ich untot bin?“

„Haha! Uchiha, du bist unmöglich!“ Naruto streckte sich leicht aus und küsste Sasuke in die Schläfe. „Nein, auch dann nicht.“

„Gut, dann kann ich weiter in aller Ruhe verwesen.“

„Jo, mach das.“
 

Sasuke nahm Naruto vorsichtig bei der Hand. Normalerweise würde er sowas nicht machen. Hmmm… vermutlich war das demselben Zufall geschuldet, durch den Naruto heute alle Vorbereitungen pünktlich abgeschlossen hat. Sasukes Finger glitten zwischen die von seinem Freund. Der Uzumaki ließ diese Situation unkommentiert, was auch ziemlich ungewöhnlich war. Die zwei Schüler verloren sich in der Menschenmenge deren Kommilitonen, die alle — genauso wie sie selbst — auf dem Weg zur Aula waren.
 

In Kürze erreichte das Pärchen deren Zielort. Hier mussten sich ihre Wege erstmal trennen. Da Naruto keinen Abschluss gemacht hat, wurde er gebeten beim offiziellen Teil einen Platz unter den Besuchern zu nehmen. Der Uzumaki meinte, wenn Sasuke mit den Jahrgangsbesten aufgerufen wird, würde er richtig doll jubeln. Der Uchiha fand sich mit der lauten Art seines Freundes mittlerweile vollständig ab. Wenn er jubeln will, dann bitteschön. Jedesmal, wenn er daran dachte, wurde ihm bewusst, dass dieser Ausländer überhaupt nichts dazugelernt hat. Andererseits hat noch nie jemand für Sasuke gejubelt… wie fühlte sich sowas überhaupt an?
 

Mittlerweile belegte der Uchiha den für ihn designierten Platz. Die Aula füllte sich rasch mit den immer noch anlaufenden Absolventen und deren Angehörigen. Der Raum war zum heutigen Anlass gründlich geschmückt. Diesen Aufgabenbereich hat zum Glück Karui betreut, deswegen wurde es ja so schön hier. Was wenn Naruto dafür zuständig wäre? Hmmm… bei diesem Gedanken musste Sasuke kurz lachen.
 

Auch abgesehen von der Deko war die Aula sehr gut vorbereitet. Die Sitzplätze waren übersichtlich in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Die Beleuchtung störte nicht, obwohl sie genug Licht gab. Der Beamer lief richtig — es war übrigens gar nicht so einfach dieses Ding zum Laufen zu kriegen. Die Bühne wurde mit einem Rednerpult ausgestattet — vorher gab‘s den nämlich nicht. Irgendwie hat alles hingehauen, obwohl einige aus dem Orga-Team zwischenzeitlich etwas verzweifelt wurden. Jetzt stand dem Abschlussball tatsächlich nichts mehr im Wege. Nur noch zehn Minuten und dann war es schon soweit.
 

„Hallo, Sasuke-kun! Könntest du mich bitte durchlassen?“
 

Die Ankunft der Nachbarin von links unterbrach Sasuke Gedanken. Und wer könnte Sasukes linke Nachbarin sein? Natürlich nur Sakura Haruno. Der Uchiha stand auf, um das Mädchen vorbeizulassen. Sie quetschte sich mühevoll durch und kollabierte auf ihren Stuhl. Dadurch wurde ihr langes rosa Kleid durcheinander gebracht. Kein Wunder, der Abstand zwischen den Stuhlreihen war ja viel zu klein. Das konnte man sicher dem Orga-Team ankreiden — ganz konkret war Naruto für die Aufstellung der Stühle verantwortlich. Ha! Sehr schön! Sasuke merkte sich diesen Umstand sofort.
 

„Na, bist du aufgeregt?“, fragte Sakura, nachdem ihr Kleid richtig im Stuhl lag.

„Nicht wirklich. Du?“

„Waaaas? So gar nicht?“

„Ne, überhaupt nicht.“

„Du bist immer wieder beeindruckend, Sasuke-kun.“ Saukra wendete ihr Blick ab und fuhr etwas nachdenklich fort: „Für mich geht heute eine ganze Ära zu Ende. Immerhin bin ich ganze zwölf Jahre zur Schule gegangen und jetzt auf einmal soll alles anders sein.“

„Gehst du nicht auf die Uni?“, fragte der Uchiha ganz plump.

„Doch. Aber trotzdem… ein ganz anderer Stoff, ganz andere Leute und vermutlich ganz wonders…“, hauchte Sakura verträumt aus.

„Verstehe. Und wie läuft deine Bewerbung bis jetzt? Hast du schon Rückmeldungen bekommen?“

„Noch nicht von allen. Du?“

„Ja.“

„Und? Ist deine Wunschuni drin?“

„Jo.“

„Bist natürlich aufgenommen worden, oder?“

„Ummm“, murmelte Sasuke bestätigend.

„Glückwunsch!“ Sakura guckte Sasuke direkt an und lächelte. „Ich wünschte, ich könnte auch so entspannt sein.“

„Naja, die Rückmeldungsfrist ist ja noch nicht vorbei.“

„Genau. Darauf hoffe ich.“ Nach diesen Worten wurde es ein bisschen zu still. Sakura fügte schnell hinzu: „Aber das sind Gedanken für einen anderen Tag. Heute feiern wir!“
 

Sasuke verzog die Mundwinkel leicht nach oben. Die Unterhaltung schien beendet zu sein. Es passte auch perfekt, denn die zehn Minuten liefern genau jetzt ab. Der offizielle Teil der Veranstaltung fing an.
 

Jetzt stand dem Abschlussball wirklich nichts mehr im Wege.

Der offizielle Teil der Veranstaltung zog sich seit einigen Stunden hin. Endlich wurde Sasukes Klasse auf die Bühne gebeten. Die Zuschauer fingen an, die aufstehenden Jugendlichen zu beklatschen. Sie wurden dabei mit einem riesigen Scheinwerfer bestrahlt. Sasuke kniff sogar seine Augen zu, weil er für einen kurzen Moment geblendet wurde. Die Kolonne begab sich in Kürze geordnet zur Bühne. Und alle schauten ihnen zu.
 

Diese Vorstellung war dem Uchiha leicht unangenehm. Er mochte es überhaupt nicht, so plump in den Mittelpunkt gestellt zu werden. Seine Klasse bekam so viel Aufmerksamkeit wie noch nie, und dann wurde auf deren Präsenz zusätzlich durch einen blendenden Scheinwerfer aufmerksam gemacht. Warum überhaupt? Es machte so gar keinen Sinn.
 

Sasuke warf einen Blick auf die Zuschauer. So viele Gäste! Stimmt, sie waren ja der Jahrgang mit den meisten angemeldeten Besuchern. Und darunter war kein einziger Uchiha. Seine Eltern kamen also wirklich nicht wobei, ha? Hmmm, anscheinend war das hier ihnen doch nicht so wichtig. Nicht, dass es verwunderlich wäre. Schließlich war diese Veranstaltung auch Sasuke ziemlich egal. Außerdem hat er bereits in der Mittelschule aufgehört, Gründe für ein solches Nichterscheinen zu suchen. Mittlerweile diente die Teilnahme seiner Eltern an Ereignissen in seinem Leben einer Art skurrilen Unterhaltung. Sie war ein unfaires Glücksspiel, das der jüngste Uchiha nur verlieren konnte. Trotzdem empfand Sasuke so eine innerliche Wette mit sich selbst perverserweise ziemlich reizend. Und das Nichterscheinen würde er heutzutage nicht mehr unbedingt als Verlust bezeichnen.
 

Dafür war heute jemand anders für ihn da. Ein blauäugiger Betrachter, der in einer der hinteren Reihen der Aula saß und Sasuke ganz fest im Visier hielt. Dieser Typ versuchte nichtmal ansatzweise sein unverschämtes Starren zu verheimlichen. Tja, komische Leute gibt‘s, ne? Der Uchiha spürte, wie er aufmerksam beobachtet wurde, und kitzelnde Rückenschauer liefen seine Wirbelsäule herunter. Am liebsten würde er seinem Betrachter mit derselben unanständigen Geste antworten, sodass sich seine eigene Zeugnisausgabe in ein lächerliches Anstarrspiel verwandelt. So würde diese Veranstaltung gleich richtig gut in Sachen Bedeutung punkten. Leider war das gerade viel zu unpassend. So viel Vernunft besaß der Uchiha doch noch. Also blieb diese dumme Idee nur eine dumme Idee, die trotzdem ganz schön aufregend war. Stattdessen warf Sasuke einen flüchtigen Blick ans Ende der Aula und schmunzelte dabei leicht. Er war sich nicht sicher, ob diese Botschaft sicher beim Empfänger ankam, aber das war eher nebensächlich. Wichtiger war, dass er heute doch nicht allein war. Obwohl Sasuke diese Veranstaltung für trivial hielt, war diese Tatsache trotzdem irgendwie angenehm zu wissen. Sasuke war dem gar nicht so sehr abgeneigt. Nein, überhaupt nicht. Dies erfüllte ihn sogar mit…
 

Freude?
 

Freute er sich etwa darüber, dass ein lauter Idiot aus dem Publikum seinen Namen aus der hinteren Reihe jubelnd ausschreit und ihn damit komplett bloßstellt?
 

Ja. Sasuke freute sich darüber immens. Wenn auch er sowas niemals im Leben zugeben würde.
 

Mittlerweile erreichten die Schüler die Bühne. Jungs und Mädels ordneten sich beinahe automatisch in eine Linie an. Diese Aufstellung haben sie bis zum Nichtsmehrkann mühselig über drei Monate einstudiert, weil das der Schulleitung unfassbar wichtig war. Trotzdem wirkte das Gesicht des Direktors etwas verzogen. Anscheinend war er nicht ganz mit diesem Endergebnis zufrieden. Ob die Schule jetzt ihre Ansehenspunkte verlor? Sasuke grinste darüber gedanklich und seine Mundwinkel zuckten auch ein wenig, weil diese Geradlinigkeitssorgen in seinen Augen unfassbar dumm waren. Nichtsdestotrotz konnte die Zeugnisausgabe relativ pünktlich beginnen. Die Zuschauer wussten es nicht, aber der offizielle Teil der Veranstaltung war streng getaktet, sodass pro Zeugnis höchstens acht Sekunden eingeplant waren. Die eigentliche Ausgabe bestand aus einer kurzen Beglückwünschung des Schülers vom Direktor, der Übergabe des Papiers in die Hand des Schülers durch den stellvertretenden Direktor und einer kurzen Verbeugung seitens des Schülers. Obwohl Sasuke am Ende der Schlange stand, war auch er gleich dran, der strengen Planung sei dank.
 

„Herzlichen Glückwunsch“, murmelte der Direktor trocken.

„Vielen Dank“, erwiderte Sasuke etwas enthusiastischer und verbeugte sich.
 

Sasuke wurde sein Zeugnis aufgedrückt und schon zog der Direktor an ihm vorbei. Der Junge hörte das nächste „Herzlichen Glückwunsch“. Warte… das war’s?
 

Nun wurde dem letzten Schüler aus Sasukes Klasse das Zeugnis überreicht. Die Gäste fingen an zu klatschen und die Schüler begaben sich zurück an ihre Plätze. Ja, anscheinend war’s das. Hmmm… so eine Zeugnisausgabe ist ganz schön antiklimaktisch.
 

Die ganze Unternehmung dauerte nichtmal zehn Minuten. Und dafür mussten die Schüler für die Schulleitung den Gang einstudieren, den Rednerpult organisieren, einen Beamer aufhängen, die Aula „dezent“ schmücken — was auch immer dezent in diesem Zusammenhang bedeutete, — und eine ganz bestimmte Sitzordnung erzwingen. Was für eine Verschwendung! Andererseits gab es insgesamt sieben Klassen, sie sind erst die vierte davon und die Veranstaltung fühlte sich jetzt schon wie fünf Ewigkeiten an — eine pro Klasse und noch eine für die Rede des Direktors. Sasuke war immer noch durch diesen offiziellen Part zutiefst verwirrt. Würden sie gleich mit der von den Schülern organisierten Feier anfangen, und die Zeugnisse einfach bei einer Klassenstunde verteilen, wäre sehr vielen Beteiligen richtig viel Leid erspart. Und außerdem könnte er neben seinem Freund sitzen. Aber nein, man muss sich und andere natürlich mit sich untergehen lassen. Okay. Na gut, andererseits durften sie als die Schüler überhaupt eine inoffizielle Feier organisieren. Ihr Jahrgang war nämlich der erste, der so eine Erlaubnis erbetteln konnte. Mitunter lag es daran, dass es einen Ausländer in der Oberstufe gab. Den musste man natürlich besonders beeindrucken.
 

Auf dem Weg zurück schwof Sasukes Blick nochmals über die hinteren Reihen der Aula. Der blauäugige Betrachter hatte ihn immer noch ganz fest im Visier. Sasuke versuchte, seine Botschaft nochmal zu übermitteln. Diesmal kam sie definitiv an und ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Moment. Die beiden Jungs wurden vom Geschehen um ihnen herum abgekapselt. Sie gelangen für diese kurze Sekunde an einen Ort, wo sie ganz allein waren. Weil es diesmal kein Anstarrspiel war.
 

Es waren nur zwei verliebte Menschen, die sich mit einer grenzenlosen Freude anschauten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (38)
[1] [2] [3] [4]
/ 4

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Yuna_musume_satan
2020-11-09T14:53:37+00:00 09.11.2020 15:53
Awwwww ich finde die beiden echt süß. Ob wohl das Kapitel bisschen kurz war und nicht sehr viel gescha freue ich mich schon drauf wie es weitergehen wird
Antwort von:  suugakusan
09.11.2020 23:20
Hi, danke für dein Feedback! Ja, das Kapitel war recht kurz, aber die Zeugnisausgabe war ja langweilig XD das nächste Kapitel ist als etwas mehr ereignisreicher eingeplant. Ich hab schon ein paar Ideen.

LG
suugakusan
Von:  Yuna_musume_satan
2020-09-23T08:43:58+00:00 23.09.2020 10:43
OMG ich hoffe und wünsche mir das sasu in naru sein Heimatland studiert(ich tippe auf die USA?) hach das wäre einfach ein Traum
Antwort von:  suugakusan
23.09.2020 21:25
Hi, danke fürs Review! und wo Sasuke studiert, erfahren wir in den nächsten Kapiteln :)

LG suugakusan
Von:  Scorbion1984
2020-09-23T07:37:30+00:00 23.09.2020 09:37
Da ist aber einer sehr entspannt ,typisch Sasuke !

Antwort von:  suugakusan
23.09.2020 21:28
Hi, ja Sasuke halt :D er hat doch akademisch was drauf.

LG suugakusan
Von:  Yuna_musume_satan
2020-09-15T12:59:08+00:00 15.09.2020 14:59
Hach ein wirklich schönes Kapitel. Mir tun naru und sasu leid ich wünschte ich könnte sie trösten
Antwort von:  suugakusan
15.09.2020 17:42
Haha, die unglücklich verliebten Jungs ^^
Von:  Yuna_musume_satan
2020-08-13T18:08:14+00:00 13.08.2020 20:08
Aww ich dachte echt das es echt war hach soo eine schöne Story
Antwort von:  suugakusan
14.08.2020 15:10
Danke für dein Review. Das Kapitel sollte genau solche Gefühl auslösen, daher freu ich mich, dass du es so empfunden hast

LG suugakusan
Von:  Yuna_musume_satan
2020-05-27T22:26:49+00:00 28.05.2020 00:26
OMFG ich bin gerade rtotal geplättet und könnte ich mich aufregen weil es kein Lemon gab aber das Kap war einfach geil. aber Sasu ist schon ein versauter und naru aber auch. Hach leider ist die story bestimmt bald vorbei.

(OMFG = Oh mein Fucking Gott)

Antwort von:  suugakusan
28.05.2020 08:31
Haha, danke, aber warum aufregen? XD
Von:  Yuna_musume_satan
2020-05-03T11:52:34+00:00 03.05.2020 13:52
OMG so herzzerreißend das Kapitel. Wenn nicht einer der beiden bei den anderem bleibt oder mitgeht verzweifel ich. I Love It
Von:  Yuna_musume_satan
2020-01-22T13:38:18+00:00 22.01.2020 14:38
Oh sind die zwei nicht süß so richtig zum Anbeißen.
Ich mag die Story richtig soll auch deinen Schreibstil finde ich super schön zum lesen
Antwort von:  suugakusan
22.01.2020 17:50
danke! Hoffentlich bleibt die Story auch weiterhin spannend :)
Von:  dichan
2019-11-03T20:00:39+00:00 03.11.2019 21:00
Der arme Sasuke, so viele Vorbereitung und Naruto schätzt es nicht.... Aber das Ende war süß, man könnte fast sagen ein Kuss der wahren Liebe 😅. LG Di
Antwort von:  suugakusan
04.11.2019 09:47
Ja, endlich hat sich Sasuke was getraut, ne?
Von:  Yuna_musume_satan
2019-11-03T15:19:22+00:00 03.11.2019 16:19
Hach so süß das Kapitel ich freu mich schon aufs nächste
Antwort von:  suugakusan
04.11.2019 09:47
Haha, ich auch :)


Zurück