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World of Faerûn - 6. Staffel

Awakening
von

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Folge 97: Wenn die Nacht nicht enden will

[Folge 6: Wenn die Nacht nicht enden will]
 

Düstere Orgelklänge hallten durch die Räume einer thayischen Kirche, bedrohlich wie beängstigend zugleich. Die Töne kamen in ihrer Vielfalt einem Orchester gleich; eine Melodie die von dunklen Mächten zu erzählen schien. Minutenlang hämmerte Ashton wie besessen auf die Tasten des Instruments ein und verlor sich voll und ganz in den Klängen der riesigen Orgel - umringt von Finsternis, so wie er es mochte.

Er spürte das etwas Großes bevor stand, dass schon bald etwas passieren würde, was den Lauf der Dinge für immer verändern würde. Sein treuer Adept Daniel verharrte einige Meter hinter ihm, wie gelähmt von der Kunst seines Meisters.

Schließlich senkten sich die letzten Töne, als Ashton sein Spiel beendete. Ohne sich umzudrehen mahnte er seinen Adepten zum Bericht. „Was gibt es, Daniel?“, fragte er in einer Tonart, die anklingen ließ, dass er sich durch seine Anwesenheit gestört fühlte. Daniel schluckte nervös, gefolgt von einer Salutierung. „Meister Ashton, wir haben es gefunden.“, berichtete er knapp, wissend dass diese Worte reichen würden um ihn verstehen zu lassen. „Ausgezeichnet. Sammelt alle Truppen, bereitet alles für die Abreise vor. Wir werden schnellstmöglich aufbrechen.“, antwortete Ashton zufrieden. „Alle Truppen, Meister?“, wunderte sich Daniel. „Thay hat seinen Zweck erfüllt. Ich überlasse dieses Land seinem eigenen Schicksal. Wir sind hier fertig. Nun geht. Ich bin das Warten leid.“, erwiderte er mit finsterer Stimme. „J-jawohl. Sofort, Meister.“, stammelte Daniel aufgeregt, wissend das er sich keinen Zweifel erlauben durfte.
 

Folge 6: Wenn die Nacht nicht enden will
 

Daniel war in seinen zwanzig Lebensjahren noch nicht sehr viel herum gekommen. Fast sein gesamtes Leben hatte er in Diensten der Thay-Magier verbracht, mit der abschließenden Erkenntnis dass er nicht das Talent für höhere Magie hatte. Er war es gewohnt Befehle entgegen zu nehmen und sie zur vollsten Zufriedenheit auszuführen. Die Namen der Magier, denen er gedient hatte, änderten sich im Laufe seines Lebens, doch Ashton Scu’l war anders als alle anderen, die er je mit ’Meister’ betitelt hatte. Wofür andere ein ganzes Leben lang brauchten, benötigte er einen Tag. Seit er in Thay an der Macht war, hatte sich für den jungen Adepten vieles geändert. Nun war er kein kleiner Gehilfe mehr, sondern ein Mann dessen Worte Gesetz waren, handelte es sich doch oftmals die Worte seines Meisters, die er übermittelte. Ashton selbst, hatte sich seit seiner Machtübernahme ungewöhnlich oft zurückgezogen. Im geheimen schmiedete dieser Pläne, die nicht einmal er erfahren durfte. Ashton war mehr in Bibliotheken zu finden als anderswo. Daniel konnte mit seinen vergleichsweise bescheidenen Verstand nicht verstehen, was es hieß, sich jahrtausend Jahre altes Wissen anzueignen. Genauso wenig war ihm klar warum Ashton dies tat, aber es sollte ihn nicht interessieren. Gewissermaßen schätze er sich schon glücklich genug von ihm verschont worden zu sein, während andere Menschen der Thay zunächst noch gegen ihn rebelliert hatten.

Der Anblick einiger hundert bewaffneter Leute, die Pferde und Karren mit Lebensmitteln und Ausrüstung beluden, entlockte ihm ein Lächeln. Schon in wenigen Minuten würde man Abreisebereit sein. Ashton würde zufrieden sein. So entschloss er sich ihn herbei zu holen, während die letzten Vorbereitungen getroffen worden.
 

Ashton traf derweil seine eigenen Reisevorbereitungen. Alles was er in den letzten Wochen je berührt hatte, stand nun in Flammen. Er wollte nichts zurück lassen, selbst die unterirdischen Gemäuer nicht. Er suchte noch paar letzte Landkarten aus einem Fass heraus und steckte dieses kurz darauf mittels Magie ebenfalls in Flammen. Daniel stieß nur Sekunden später hinzu, sichtlich irritiert, warum der ganze Saal in Flammen stand. Ashton nahm nur beiläufig Notiz von seiner Person und machte sich mit den zusammen gerollten Landkarten unterm Arm auf dem Weg zum Ausgang. „Gehen wir.“, verlautete er und Daniel wusste, das er gut daran tat auf ihn zu hören. Nachdem der Eingang seiner unterirdischen Hallen von außen Zuschlug, sollte das Gemäuer nicht mehr lange Stand halten und in sich zusammen brechen. Ein donnerndes Bersten deutete darauf hin dass die einstigen Gewölbe nun in Schutt und Asche lagen.

An der Oberfläche angekommen, erwartete ihn eine breite Masse an loyalen Dienern und beladenen Pferden. Rasch eilte einer seiner uniformierten Befehlshaber herbei um Befehle entgegen zu nehmen. „Die Magister sollen ein Portal schaffen, groß genug für alle. Der Zielort ist Euch bekannt. Von dort soll unsere Reise beginnen.“, befahl Ashton mit nüchternen Blick auf das vor ihn liegende Szenario. Seine Krieger und Adepten trugen fast ausnahmslos dieselbe Art von Kleidung. Es waren ehemalige Magier und Streiter der Thay-Nation, nun zu Gläubigen konvertiert, weswegen sie zumeist mit langen roten Mänteln bekleidet waren. Ebenso schnell wie der Befehlshaber heran getreten war, verschwand er auch wieder um seinen Pflichten nachzugehen – was in diesem Fall hieß dem Willen des Meisters zu gehorchen.

Daniel wirkte nervös und es dauerte einige Zeit, bis er sich überwand eine Frage an Ashton zu richten, der geduldig wartete bis seine Leute das Portal mit ihrer Magie errichtet hatten.

„Meister Ashton. Verzeiht meine Zweifel, aber … warum der Tarraske? Mit Eurer Macht und Euren Einfluss könntet Ihr ein unbesiegbares Heer aufstellen.“, merkte er beinah eingeschüchtert an. Ashton schmunzelte leicht, denn er hatte erwartet dass diese Frage früher oder später aufgeworfen werden würde. „Du glaubst vielleicht ich wäre an Macht interessiert, aber letztendlich ist nicht immer alles so wie es den Anschein hat.“, setzte er nachdenklich an und senkte sein Haupt. „Ich verstehe nicht …“, meinte Daniel irritiert. „Ich tue all dies nicht um mich persönlich zu bereichern oder mein Ego zu stillen, ich tue es um diese Welt zu retten. Ich werde Toril einer grundlegenden Säuberung unterziehen und dann wird einem Menschen nie wieder Schmerz und Leid geschehen.“, sinnierte er, was Daniel tief schlucken ließ. Er wusste durchaus das Ashton eine Säuberung anstrebte, doch hatte er bisher andere Vorstellungen davon gehabt.

„Was du nicht weißt, Daniel, ist das die Welt da draußen weit über die Vorstellung eines gewöhnlichen Menschen hinausgeht. Es sind Mächte am Werk, die selbst ich mir nur schwer vorstellen kann. Die einzige Chance, die diese Welt hat, ist unter meiner Dominanz zu leben. Andernfalls ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis alles Leben vergehen wird.“, fuhr er fort und hob seinen Kopf wieder an. „Wie meint Ihr das? Was wird passieren?“, fragte Daniel erschrocken. „Der Tarraske ist die perfekte Waffe mir diese Dominanz zu sichern. Doch in den falschen Händen, kann sie unser aller Untergang sein. Vor vielen Tausend Jahren sperrte man mich in ein Gefängnis, ließ meine Seele für immer verschlossen. Nun, frei und vereinigt in diesem Körper, besteht noch Hoffnung.“, erzählte Ashton mit Blick voraus. „Verzeiht abermals, Meister. Aber wer außer Ihr sollte in der Lage sein ein solches Wesen wie den Tarraske zu bändigen?“, wunderte sich sein treuer Adept. „Zun …“, antwortete er mit finsterer Stimme und ebenso finsteren Gesicht, so dass sich Daniel nicht traute auch nur einen Mucks von sich zu geben. „W-wer ist dieser Zun?“, fragte er dennoch nach kurzem Zögern. „Ein bösartiges Wesen, verbannt in die finsterste Ecke des Universums, Aos dunkle Seite, wenn man so will. Doch hin und wieder gelingt es ihm, einen Teil seines Selbst in dieser Welt zu manifestieren. Vor über 10000 Jahren gelang es ihm zum ersten mal. Er erhoffte sich, dass der Mensch, mit dem er sein Wissen teilte, wahnsinnig und machtbesessen werden würde – so sehr das er die ganze Welt in die so genannte Tote Zone reißen würde – Zuns Gefängnis … sein Reich. Aber er hatte Pech. Der Mensch nutzte das Wissen, erkannte Zuns wahre Natur und verbannte ihn für einige Tausend Jahre. Statt die Welt in den Abgrund zu reißen, befreite er die Menschheit von den Echsenmenschen. Er ging in die Geschichte ein als Adrian von Nesseril und doch leugnet man seine Existenz bis zum heutigen Tage. Beim zweiten mal, wand sich Zun an mich, doch auch ich erkannte die Gefahr die von ihm ausging. Zun unterlag ein zweites mal.“, berichtete Ashton und fuhr somit mit seiner Erzählung fort. „Warum gerade Ihr? Ich kann nicht ganz folgen, Meister.“, gab Daniel verwirrt zurück. „Zun braucht ein Geschöpf das kompatibel ist, seine Gedanken aufzunehmen und verwenden zu können. Die einzige bekannte Rasse in ganz Toril auf die das zutrifft ist die Menschheit. Zu unserem Glück ist nicht jeder Mensch kompatibel und man sagt, es würde nur ein mal alle 5000 Jahre ein solcher Mensch geboren. Nun ist Zun zurück und er hat aus seinen Fehlern gelernt. Er wird alles daran setzen den Tarraske für sich zu gewinnen. Genau wie ich weiß er um dessen Natur. Wenn es ihm gelingt die Kontrolle über diese Kreatur an sich zu reißen, wird jedes Leben auf dieser Welt aufhören zu existieren. Die Fähigkeit der Menschen Magie zu beherrschen kommt ihm entgegen. Magie verführt zu niederen Handlungen. Menschen mit einem schwachen Geist und Gedankengut sind anfälliger für ihn. Deswegen muss diese Welt Grundlegend erneuert werden. Er werden viele sterben um noch viel mehr zu erretten. Unter meiner uneingeschränkten Herrschaft bietet sich ihm keine Angriffsfläche mehr. Mit dem Reich Nesseril bin ich gescheitert, aber das wird kein zweites mal passieren.“, erzählte Ashton und erst jetzt wurden Daniel auch die letzten Details klar.
 

In weiter Ferne, in schier ewiger Dunkelheit, herrschte derweil eine wesentlich angespanntere Stimmung. Vasen gingen zu Bruch, Stühle zerschepperten an den Innenwänden des Schlosses, Kelche fungierten als Wurfgeschosse gegen alles und jeden. Es dauerte bis ein Mann mit langem, weißen Haar, gekleidet in blutroten Gewand wieder zu ruhe kam, wohl auch, weil er nichts mehr fand das er zerstören konnte. Es war ihm gleich welchen Schaden er hinterließ, denn dies war sein Schloss und somit auch alles was sich darin befand. Verängstigt, aber geduldig warteten einige Diener an den Türen des großen Hauptsaals, der nun einem Trümmerfeld glich. Ein ungutes Gefühl beschlich sie als ihr Herr und Meister sie mit seinen pechschwarzen Augen fixierte. Dieses mal versteckte der Mann im roten Anzug seine Vampirzähne nicht, sondern fletschte sie wie eine Bestie als er sprach. „Bringt mir frisches Blut! Bringt mir endlich frisches Blut!“, fauchte er aufgebracht. „A-Aber Lord Drac …“, setzte einer seiner Hofdiener vorsichtig an. „Halts Maul!“, tönte es ihm barsch entgegen und ein Kelch, gefüllt mit Blut landete an seiner Weste. „Ich kann dieses fade Gesöff keinen Tag länger ertragen! Bringt mir frisches, unverdorbenes Blut! Bringt mir ein Kind, eine Jungfer – es ist mir gleich, aber bringt es mir bald!“, krächzte er gerade zu verzweifelt. „Lord Drac – wie wir Ihnen bereits sagten. In Euren Landen gibt es kein Blut dieser Art mehr. Ihr habt bereits jeden …“, versuchte sich einer der Diener zu erklären. „Schweigt! Ich lebe schon seit Jahrtausenden! Es gab immer genug frisches Blut!“, brüllte Lord Drac wütend dazwischen. Seine Dienser wussten, dass ihr Meister die Wahrheit nicht hören wollte. Wahrscheinlich wusste er sogar dass er für diesen Zustand die Verantwortung trug. Zu sehr hatte er seine Gelüste nach eine Delikatesse wie die des unverdorbenen Blutes in den letzten Monaten ausschweifen lassen. Er hatte immer öfter immer mehr verlangt, bis irgendwann auch die letzte Jungfer gebissen und das letzte Kind aus seinen Landen verschwunden war. Als Lord dieses Landes hatte er den Familien seines Landes Gold und andere Vergütungen versprochen, wenn sie reichlich Nachwuchs zeugten an denen er sich laben konnte, doch die Zeiten hatten sich geändert. Die Menschen hatten sich zu wehr gesetzt oder waren geflohen. Zur Strafe hatte er sie höchstpersönlich abgeschlachtet. Wenn es etwas geändert hätte, hätte er sich am an einen seiner Diener ergötzt, aber zum einen war es nicht nach seinen Geschmack Männern das Blut auszusaugen, zum anderen war ihr Blut genauso fade, wie das was man ihm tag täglich servierte.

Einige Sekunden später hatte sich Lord Drac wieder beruhigt und stützte sich erschöpft an seinen Kamin ab. Fast verträumt sah er in das lodernde Feuer und dann schließlich zum Fenster hinaus, das über drei Meter Höhe maß und fünf Meter Breite. Von dort aus hatte er stets wachsam auf seine Territorien hinab gesehen, doch nun sah er dort nur noch eine verlassene Landschaft. „Setzt einen Jäger an. Er soll mir bringen wonach es mich begiert. Der Preis spielt keine Rolle.“, sagte er mit schwacher Stimme, doch seine Dienerschaft wusste, das man ihn besser ernst nehmen sollte. „Sehr wohl.“, erwiderte einer von ihnen, bevor man sich nach kurzer Verbeugung zurückzog.
 

Nachdenklich glitt Kyrens rechter Zeigefinger über die Zeilen des Textes auf dem Pergament, das man von Oparat erbeutet hatte. Schon seit Stunden saß sie an einen der Lesetische in der Bibliothek von Riatavin, umgeben von alten Büchern über noch ältere Sprachen. Sie merkte gar nicht wie sich Nigel von hinten näherte und erschrak leicht als er seine Stimme erhob. „Und? Schon was raus gefunden?“, fragte er vorsichtig. Ein Blick auf ein Stück Papier das im oberen Teil mit zwei Zeilen Schrift versehen war, ließ ihn bereits erahnen das sie noch nicht weit gekommen war. Nervös tippte sie mit dem Bleistift in der linken Hand auf selbiges Blatt Papier. „Noch nicht sehr weit. Die Sprache auf diesem Pergament ist ein uralter Code der Nesserer. Es gibt nur sehr wenige Informationen darüber.“, erwiderte sie seufzend. „Könntest du mit deiner Magie den Inhalt dieser Schriftrolle nicht einfach so entfesseln?“, wunderte er sich und beugte sich über ihre Schulter. „Ja schon, aber wenn ich nicht sicher bin was die darin eingeschlossene Magie bewirkt, birgt es ein Risiko.“, erklärte sie, was Nigel dazu bewog sich wieder gerade hinzustellen. „Ich bin sicher, du wirst die Magie noch entschlüsseln. Wenn du etwas brauchst, dann sag bescheid. Ich sehe mich dort hinten um.“, meinte er und deutete auf eine Abteilung am anderen Ende der Bibliothek. „Ehm … wo du es gerade sagst. Wo stecken Shane und die anderen?“, hakte Kyren rasch nach, gerade als Nigel sich entfernen wollte. „Soweit ich weiß hat Judy die beiden Jungs zum Eis essen eingeladen.“, gab er zurück und widmete sich seiner Dinge. Die junge Elfin seufzte innerlich, aber schließlich konnte sie es keinen von ihnen verübeln. Es war ein sonniger Tag, gerade zu prädestiniert dafür einen Stadtbummel zu machen. Ihr Magen begann zu knurren bei den Gedanken ans Essen. Sie hatte Stundenlang in der Bibliothek ausgeharrt ohne etwas zwischen die Zähne bekommen zu haben – sah man von ihren Bleistift ab auf dem sie herumgekaut hatte. „Vielleicht tut mir eine Pause ganz gut.“, dachte sie laut vor sich hin, packte ihre Aufzeichnungen zusammen und ging nach draußen an die frische Luft.
 

Vor der Bibliothek gab es einen großen Brunnen, der so klares und frisches Wasser bot, dass man daraus trinken konnte. Es war bereits Mittagszeit und überall in den Straßen der Stadt lag der Duft von frisch gemachten Mahlzeiten in der Luft. Kyrens Magen knurrte daraufhin nur noch mehr und sie wusste dass es mit einem Schluck Wasser nicht getan sein würde. „Heeh! Kyren!“, rief Shane plötzlich, der mit einer großen Tüte unterm Arm aus einer Einkaufspassage winkend herbei gelaufen kam. Kyren wunderte sich einen Moment lang warum er allein war, fühlte sich jedoch schnell angenehm überrascht. Leicht außer Atem kam er schließlich bei ihr zum stehen und reichte ihr die Tüte. „Hier … ich hab dir etwas zu essen mitgebracht. Ich dachte du bist vielleicht hungrig.“, sagte er. Sie konnte ihr Glück kaum fassen und nahm die Tüte freudig entgegen. Nicht nur das ihr Hunger bald gestillt sein sollte, nein, es war Shane der die Freundlichkeit besaß ihr das Essen zu bringen. „Wow, Danke! Genau im richtigen Moment.“, erwiderte sie und bedankte sich mit einem Lächeln.
 

Einen Moment später ließ man sich am Rand des Brunnens nieder. Shane hatte an alles gedacht. Von Gebäcken über Früchten variierte die Auswahl an Essbaren. „Hast du schon etwas über die Schriftrolle herausgefunden?“, fragte Shane neben ihr, während sie fast peinlich berührt einem Bissen von einer örtlichen Gebäckspezialität zu sich nahm. „Noch nicht.“, antwortete sie und zog aus ihrem Nimmervollen Beutel das Pergament und die dazugehörige Übersetzung hinaus. „Es handelt sich um eine alte Nesser-Codierung. Es ist sehr schwierig, aber mit etwas Glück haben wir heute Abend ein Ergebnis.“, ergänzte sie optimistisch und reichte die Sachen an Shane weiter. Dieser runzelte die Stirn, denn weder die Buchstabenfolge, noch die Übersetzung ergaben für ihn in diesen Augenblick einen Sinn.

Eine Zeit lang saßen die beiden Schweigend nebeneinander, während Kyren aß. Es war angenehm ruhig und eine erfrischende Priese zog hin und wieder über die beiden hinweg. Shane sah in den wolkenfreien blauen Himmel und versuchte einfach den Moment zu genießen. Er mochte die kleine Elfe neben sich, egal ob er sich an sie erinnert konnte oder nicht. Aber er war nicht besonders bewandert darin anderen dies auf irgendeine Art und Weise zu zeigen. Er dachte, ja wünschte sich sogar, dass es eigentlich mehr solcher Momente wie diesen geben sollte und während er das tat, begannen die Symbole des Pergaments in seinen Händen vereinzelt aufzuleuchten. Keiner der beiden merkte was geschah, wonach mehr und mehr und mehr Buchstaben golden erstrahlten. Schließlich erhob Kyren ein Wort um die bedrückende, wenn auch angenehme Stille zu brechen. „Du …“, setzte sie an, worauf Shane sich wieder auf sie konzentrierte. Ihre Mimik erstarrte auf einmal und was immer sie auch sagen wollte, ihre Stimme erlosch als sie bemerkte dass sich die Symbole des Pergaments leuchteten. „Shane! Das Pergament!“, rief sie aufgeregt und versuchte ihn es noch aus den Händen zu reißen. Ihr Griff zum Schriftstück kam Millisekunden zu spät, denn als es sich in Shanes Händen auflöste wurde ihr klar, dass sich der Zauber bereits entfesselte.

Sekunden später begann ein goldener Glitter den Halbelfen zu umkreisen, wobei dieser hin und wieder durch seinen Körper fuhr als wäre er ein Geist. „Was passiert mit mir?“, fragte er irritiert. Die leuchtenden Funken kreisten immer schneller, fast bedrohlich schnell. Shane wirkte hilflos und zuckte immer wieder zusammen. Auch Kyren blieb nichts anderen übrig als mit ansehen zu müssen, wie ihr Gefährte unter den vielen Lichtern nach und nach schrumpfte. „Kyren?! Was geschieht mit mir?“, wiederholte er nervös, während seine Stimme immer kindlicher wurde. Verzweifelt suchte die junge Elfin nach einer Antwort, aber sie wusste, was immer sie auch tun würde - es würde die Verwandlung nicht stoppen können.

Wenige Augenblicke später lag ein Säugling vor ihr wo zuvor noch Shane gestanden hatte. Das Baby schlief friedlich in den übergroßen Sachen ihres Gefährten. Der Glitter war verschwunden, die Transformation abgeschlossen, doch das Resultat erschreckender als sie sich es je hätte vorstellen können. Vorsichtig hob sie das Baby auf und wickelte Shanes Oberteil wie eine schützende Decke um ihn herum. „Sh-Shame? Bist du das?“, fragte sie ungläubig. Sie konnte kaum fassen was geschehen war und wirkte entsprechend konsterniert.
 

Die Rufe ihrer Gefährten drangen zu ihr durch, da Judy und Atrix von ihrem Stadtbummel zur Bibliothek zurückkehrten. Sie hatten nicht gesehen was geschehen war und erkundigten sich nach dem Säugling. „Hey? Wem gehört denn das Kind?“, wollte Judy wissen, während Atrix mit erhobener Augenbraue Shanes Sachen am Boden liegen sah. „Was ist hier passiert?“, wollte er wissen und warf Kyren einen kritischen Blick zu. „Was …? Ich … eh … weiß es nicht.“, brabbelte die Elfin, sichtlich durcheinander. „Ist … ist das etwa Shane?! Was hast du mit ihm gemacht?!“, kreischte Judy nachdem sie die losen Sachen ihres Cousins bemerkte. Kyren wirkte auch nach mehreren Nachfragen nicht viel ansprechbarer, vor Schock nach wie vor gelähmt. „Wir holen besser Nigel. Er wird wissen was zu tun ist.“, schlug Judy vor und wies Atrix zur Bibliothek.

In den Hallen der Bibliothek begegnete er einem sehr zuversichtlich dreinblickenden Nigel, der bereits auf dem Weg zum Ausgang war. „Nigel! Nigel! Es ist etwas Schlimmes passiert!“, berichtete der junge Elf aufgeregt.
 

Das Baby schlief noch als Nigel hinzu kam und obwohl er in bekümmerte Gesichter sah, zeigte er unerwartet wenig Sorge. Kyren machte sich noch immer Vorwürfe, aber er tat nichts um sie zu trösten. „Das ist ungünstig. Jetzt haben wir die Schriftrolle und Shane verloren. Aber es gibt auch gute Nachrichten. Einer der Bibliothekare hat mir von einem alten Mann erzählt, der trief draußen in den Wäldern lebt. Er sollte in der Lage sein auch dieses Problem zu lösen.“, meinte er mit Blick auf Shane, der friedlich in Judys Armen schlief. Nigel erntete einige Fragende Blicke für seine Äußerung. „Wie sollen wir das verstehen?“, fragte Atrix verwundert. „Sicher habt ihr schon von ihm gehört. Sein Name ist Andanariel, der Prophet.“, antwortete Nigel. „Andanariel?!“, rief Kyren erstaunt, während Judy sich unwissend der Elfe zuwendete. „Du kennst ihn?“, fragte sie neugierig. „Ja … er ist recht bekannt. Man sagt er sei ein Meister der weißen Magie. Er kann alle Krankheiten heilen und sogar Flüche brechen. Man sagt er sei von Geburt an blind, kann dafür aber in die Zukunft sehen. Es gibt viele Mythen und Legenden um ihn.“, erzählte sie berauscht von den Gedanken den Priester zu treffen.

„Das heißt er könnte uns helfen Shane wieder herzustellen und uns bei unseren Problem mit Ashton helfen.“, ergänzte Nigel grinsend.
 

Wenig später wurde die Stille des angrenzenden Waldes durch Baby-Geschrei gestört. Gerade zu penetrant hämmerte sich Shanes Stimmorgan in die Ohren seiner Gefährten. „Ich halte das bald nicht mehr aus! Er schreit schon seit er wach geworden ist!“, kreischte Atrix und hampelte wild umher. Judy tat ihr bestes um ihn zu beruhigen. Sie schaukelte ihn, drückte ihn fest an sich und redete ihm gut zu, aber das Geschrei nahm keinen Abbruch. „Was hat er denn?! Hat er sich in die Windeln gemacht?! Hat er Hunger?!“, rief Nigel leicht genervt. „Ich habe schon alles versucht. Ich weiß nicht warum er schreit.“, gab Judy ratlos zur Antwort und drückte Shane noch etwas fester an ihren Busen in der Hoffnung das es ihn irgendwie ruhig stellen würde. Doch das Baby wehrte sich regelrecht und schrie ungehemmt weiter. „Vielleicht sollte ich ihn mal nehmen.“, schlug Atrix aus einem Akt der Verzweiflung vor und nahm seiner Gefährtin das Baby ab. Für einen Moment schien es so als ob Atrix Erfolg damit hatte, doch stattdessen gesellte sich zum Geschrei nun auch noch die ein oder andere Träne. Kyren wirkte sichtlich niedergeschlagen. „Das ist alles meine Schuld. Hätte ich aufgepasst wäre das alles gar nicht passiert.“, sagte sie bekümmert. Derweil war es Atrix der an den kleinen Säugling verzweifelte, denn keine seiner Fratzen oder Bewegungen konnte dessen Stimmung aufhellen. „Wäre seine Mutter jetzt hier – sie wüsste was zu tun wäre.“, meinte Nigel resignierend und nahm den Elfen das Kind ab. Keiner von ihnen hatte Erfahrung mit Kindern, doch Nigel hoffte darauf dass in jedem Mädchen der natürliche Instinkt einer Mutter schlief. Aus irgendeinem Grund hatte sich Shane in Judys Armen unwohl gefühlt, obwohl sie verwandt waren. So blieb ihn nur Kyren als letzte weibliche Option in ihrer Abenteurergruppe. Die junge Magerin lief seit dem Vorfall mit herunterhängenden Elfenohren herum und wirkte wie ein Stück Elend. Trotzdem nahm sie Shane entgegen als Nigel ihn ihr hinreichte. Kyren war fast peinlich berührt, denn sie hatte noch nie mit Babys zu tun. Sie wusste weder wie man sie hielt, noch wie man sie beruhigen konnte. Dennoch verstummten Shanes Schreie unmittelbar nachdem er in Kyrens Obhut übergeben war. Atrix Augen weiteten sich erleichtert. „Er hat aufgehört!“, stellte er überglücklich fest. Kyren stand etwas bedröppelt da. Sie konnte sich nicht erklären wie sie es geschafft hatte. „Wie … was habe ich gemacht?“, wunderte sie sich verblüfft. „Ich habe keine Ahnung.“, gab Nigel breit grinsend zurück. Nach und nach begannen auch Atrix und Judy zu grinsen, was Kyren eine sichtbare röte ins Gesicht trieb. „W-was ist los mit euch?“, fragte sie nervös. „Nichts. Was soll denn sein?“, erwiderte Nigel amüsiert. Als Kyren in Shanes große Augen sah, entdeckte sie eine bisher nie da gewesene Fröhlichkeit und es schien so als wollte er nach ihrem Gesicht greifen. Statt Gekreische hallten nun sanfte Laute aus dem Mund des Säuglings. So sollte die weitereise zum Propheten Andanariel sich als wesentlich angenehmer gestalten.
 

Am Abend schlug man ein Lager nahe eines Flusses auf. Über einem Lagerfeuer wurden Vorräte gegrillt und Geistergeschichten unter klaren Sternenhimmel erzählt. Atrix versuchte sich auf einer Laute, während Kyren verträumt dem Knistern des Lagerfeuers lauschte. „Wie weit ist es noch bis zu diesem Wunderheiler?“, wollte Judy wissen. „Wir sollten in den Abendstunden des morgigen Tages ankommen.“, beruhigte Nigel seine Gefährtin. Kyren gefiel der Gedanke nicht Shane noch einen ganzen Tag in dieser Situation belassen zu müssen, aber sie tröstete sich damit dass er gesund und sicher bei ihr war. „Ich gehe ein paar Schritte spazieren.“, sagte sie Gedankenversunken und entfernte sich etwas vom Lager. „Ob es so gut ist, sie mit Shane allein durch die Nacht laufen zu lassen?“, zweifelte Atrix nachdem sie außer Hörweite war. „Sie ist keine gewöhnliche Elfe, auch wenn man es ihr nicht ansieht.“, meinte Nigel schmunzelnd.
 

Minuten verstrichen, die sie Gedankenversunken am Wasser verbrachte, nur unweit vom Lager entfernt, wo man die Grillen zirpen, statt das Lagerfeuerknistern hören konnte. Hier war es ruhig und die Luft roch mehr nach Natur, nicht nach Gegrilltem. Obwohl Nigel sich keine Sorgen um ihre Sicherheit machte, entschloss er sich ihr etwas Gesellschaft zu leisten. „Ein schöner Abend, nicht wahr?“, kündigte er sich an und setzte sich neben sie.

„Ja … du hast Recht.“, antwortete sie leicht verträumt und blickte in den Sternenhimmel, Shane leicht in den Armen schaukelnd. „Ich habe das Gefühl dich bedrückt etwas.“, sagte Nigel bedächtig. Kyren erschrak etwas, zwang sich dann aber ein Lächeln heraus als sie sich zu ihm wendete. „Schätze ich bin leicht zu durchschauen.“, gab sie peinlich berührt zurück. Ein Seufzer glitt über ihre Lippen in dessen Folge sie ihren Sorgen offenbarte. „Sieh mich doch an, Nigel. Ich weiß nicht ob ich das schaffe. Ich bin selbst fast noch ein Kind – wie soll ich mich da um ein Baby kümmern? Es tut mir so Leid um Shane, aber wenn ich ihn so in meinen Armen halte, dann habe ich Angst dieser Verantwortung nicht gerecht zu werden. Ich bin nur ein Mädchen, keine Mutter. Ich habe mir doch noch nie Gedanken darüber gemacht ob ich mal Kinder will und ob ich sie umsorgen kann. Ich fühle mich so hilflos.“, erzählte sie traurig, leicht errötet. Nigel haderte mit sich selbst, denn obwohl er etwas sagen wollte, fanden seine Gedanken nicht den Weg über seine Stimmbänder. „Ich kann dir nicht sagen woher ich es weiß – nenn es Zuversicht – aber ich glaube du würdest eine gute Mutter abgeben. Sieh dir Shane doch an. Er ist so friedlich und glücklich bei dir.“, versuchte er sie zu trösten. Kyrens Augen verloren sich in denen des Säuglings und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie wusste nicht was sie erwidern sollte oder ob sie etwas erwidern sollte und verfiel in Schweigen.

„Hast du keinen Hunger?“, fragte Nigel schließlich. „Weißt du, ich glaube …“, setzte Kyren an als Shane wie aufs Stichwort mit seiner Hand an ihre Brust tatschte. „Wa- … wah?!“, schrie die junge Elfe erschrocken als sie sah das der Säugling ebenfalls nach einer Mahlzeit trachtete. Zwar unbeholfen aber zielgerichtet tastete er sich auf ihrer Kleidung nach der Quelle für Muttermilch vor. Kyren war wie gelähmt und beschämt zugleich. „Was soll das? Heh! Nimm deine Hände da weg!“, mahnte sie das Baby hoch errötet und hielt es leicht von sich weg. Nigel schmunzelte belustigt. „Wahrscheinlich will er gefüttert werden.“

Kyren fand das gar nicht komisch und wirkte reichlich unbeholfen. „Wir hätten vor der Abreise Milch kaufen sollen. Babys können nichts Festes zu sich nehmen.“, seufzte Kyren resignierend und hielt fortan einen schreienden Säugling in der Hand, den man seine Mahlzeit vorenthalten hatte. „Ich schau mal besser in unseren Sachen nach, ob wir ihm nicht irgendetwas geben können.“, meinte Nigel und zog sich kurzerhand zum Lagerfeuer zurück. Der jungen Elfe war gar nicht wohl dabei das kleine Kind schreien zu lassen und hoffte dass Nigel bald etwas finden würde. Sie ahnte nicht dass das Geschrei eine finstere Gestalt im Wald auf sie aufmerksam gemacht hatte.
 

Während Kyren versuchte Shane durch wiegen zu beruhigen, schlich sich im Schutz des Waldes ein Jäger heran. Er wagte es nicht seine Position hinter einen der Bäume vorzeitig zu verlassen, wusste aber, dass er nicht ewig Zeit haben würde. Vorsichtig spannte er einen dünnen Pfeil in seinen Bogen, dessen Ende mit einer stecknadelgroßen Spitze versehen war. Sein Schuss war lautlos und traf die Elfin im Nacken. Der Pfeil zersplitterte beim Aufprall, während dessen Spitze sich in ihr Fleisch bohrte. Was sich zunächst wie ein Wespenstich anfühlte, fügte Kyren recht schnell größeren Schmerz zu. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck doch ihre Stimme verzagte als ein Gift ihren ganzen Körper erlahmen ließ.

Nigel war noch nicht ganz am Lagerfeuer angekommen als er merkte dass etwas hinter seinen Rücken geschah. Eine fremde Gestalt lief im hohen Tempo zu seiner Gefährtin, die bewusstlos zur Seite umkippte. „Was zum …“, setzte er an, bevor auch er sich plötzlich mit der Klinge eines Schwertes konfrontiert sah. Ein Komplize des Jägers war herbei gekommen und hinderte Nigel nun erfolgreich daran Kyren zu Hilfe zu kommen. Gerade noch rechtzeitig zog er sein Schwert um den Angreifer parieren zu können, doch der bullige, haarlose Mann, war nicht ungeübt mit seinem Zweihänder. Seiner Statur und Kriegskleidung nach handelte es sich um einen Barbaren – einen Söldner, wie Nigel vermutete. „Kyren!“, rief ihr Gefährte besorgt, musste aber mit ansehen, wie der Jäger sie samt Kind verschleppte.

Atrix und Judy zögerten nicht lange als sie merkten was geschehen war. „Atrix! Hilf Nigel! Ich kümmere mich um Kyren!“, wies Judy den Elfen an ihrer Seite an. Wie auch der Jäger mit seiner Beute verschwand sie rasch im Wald und ließ ihren Gefährten kaum Zeit zum Widerspruch. Nigel hatte seine Mühe den großen Hünen Gegenwehr zu leisten, waren seine Angriffe doch meist so wuchtig das diese ihn regelrecht nach hinten warfen. Nigel war schneller und wendiger, aber nicht schnell und wendig genug um den Kampf für sich zu entscheiden. „Nigel! Ich helfe dir!“, rief Atrix und zog sein Schwert zu Hilfe. „Nein! Sieh zu das du Kyren und Shane rettest! Ich schaffe das schon!“, wies er ihn im Kampfgeschrei zurück. Der Barbar schien amüsiert über die Einschätzung seines Gegenübers, denn bisher sah er sich selbst deutlich im Vorteil. „Da wäre ich mir nicht so sicher, Kumpel.“, knurrte er mürrisch und verwies ihn mit einem weiteren Hieb in die Schranken. Trotzdem gehorchte Atrix und folgte Judy nach kurzer Überlegung.
 

Judy war es derweil gelungen den Jäger im Wald zu stellen. Fast wie ein Stück Wild hielt er Kyren unter seinem rechten Arm fest, während er das schreiende Baby mit dem linken umklammert hielt. Er war erzürnt, denn auch wenn sie nur ein Mädchen war, musste er zumindest für einen Moment von seiner Beute ablassen um beide Hände für einen Kampf frei zu haben. Gerade zu plump ließ er Kyren fallen und legte das schreiende Baby neben ihr ab, bevor er ein Kurzschwert zog. „Aus dem Weg, Mädchen, oder du wirst es bereuen!“, fauchte er Judy an, die nur einen Dolch zur Hilfe nahm. „Tut mir Leid. Ich kann Euch leider nicht mit ihnen gehen lassen.“, erwiderte sie frech und selbstbewusst. Ohne weitere Worte zu vergeuden gingen die beiden aufeinander los. Judy suchte jedoch nicht den Nahkampf, sondern nutzte ihren Dolch als Wurfgeschoss. Durch einen präzisen Treffer in die linke Schulter des Mannes, gelang es ihr den Angriff des Jägers zu schwächen. Dieser schrie kurz auf und verzog schmerzverzerrt das Gesicht, bevor er sich ihres Dolches entledigte. „Du kleine Hexe! Dafür wirst du büßen!“, rief er wütend und sah das Mädchen nun schutzlos gegen ihn ausgeliefert, nun wo sie keine Waffe mehr hatte. Er wunderte sich nur kurz dass Judy dennoch sehr selbstbewusst wirkte und griff an. Gerade zu leichtfertig wich sie seinen Schwerthieben fortan aus, stets ein Grinsen im Gesicht. Immer wieder schlug der Jäger lediglich in die Luft ohne sie auch nur zu streifen. „Das war ganz amüsant, aber nun werdet Ihr sterben.“, gab sie amüsiert von sich und holte mit ihrem Arm zum Schlag aus. Für die beiden Kämpfenden endete der Kampf jedoch unerwartet als Atrix plötzlich hinzu stieß. „Judy!“, rief dieser aufgeregt dazwischen, was die Konzentration der beiden kurzzeitig vom Kampfgeschehen abschweifen ließ. Judys Augen weiteten sich ganz so als wäre sie starr vor Angst als sie ihren Gefährten erblickte. „Mist! Noch einer!“, fluchte der Jäger und versuchte das Duell mit Judy schnell zu Ende zu bringen. Er nutzte die Gelegenheit und vollendete was er begonnen hatte. Dieses mal schien er getroffen zu haben. Als Judy mit weit aufgerissenen Augen zu Boden sackte, war der Kampf entschieden. Ungeachtet seines Opfers machte sich der Jäger hektisch daran die Beute einzusammeln, solange der Neuankömmling noch außer Reichweite war. Als er Kyren und Shane jedoch auflesen wollte, fand er nur das Elfenmädchen vor, während Shane munter und unverdrossen auf der Jagd nach einem Glühwürmchen durch das hohe Gras krabbelte. Atrix war fast in Reichweite und so entschloss er sich es bei der Elfe zu belassen. Es blieb ihm nicht genügend Zeit Shane in der Dunkelheit zu suchen und so trat er die Flucht ohne das Baby an.

Während der Jäger im Schutz der Dunkelheit verschwand stolperte Atrix beinah über den Säugling. Vorsichtig nahm er ihn auf und eilte Judy zu Hilfe. „Judy! Judy!“, rief er aufgeregt, doch als er näher kam, rappelte diese sich schon wieder von allein auf. Sie hielt sich den Bauch und zeigte eine schmerzverzerrte Miene, doch viel näher schien ihr Kyrens Verlust zu gehen. „Judy? Ist alles in Ordnung? Dieser Typ …“, setzte Atrix besorgt an, bevor sie ihm das Wort entriss. „Mir geht’s gut. Mach dir keine Gedanken.“, gab sie beschwichtigend zurück und ließ ihren Blick über die Waldgegend streifen. Atrix staunte beim Anblick ihres makellosen Körpers, denn rein oberflächlich war keine Wunde zu erkennen. „Aber … dieser Mann! Er hat dich getroffen! Ich habe es gesehen!“, wunderte er sich. „Das … hat sicher getäuscht. Er hat mich mit der stumpfen Seite seines Schwertes erwischt. Nichts passiert.“, meinte sie ungewöhnlich gelassen. „Dieser Kerl ist jedenfalls weg, aber gut dass du Shane retten konntest. Wir sollten zurück und Nigel helfen.“, ergänzte sie schließlich und lief zurück zum Lager. „Ja … eh … ganz wie du meinst.“, gab Atrix vorsichtig zurück.
 

Nigel atmete bereits schwer und langsam begann auch er zu Zweifeln ob er den Barbaren besiegen konnte. Sein Gegner teilte so harte Schläge aus, dass er nicht einmal sicher war wie lange sein Schwert dem noch standhalten konnte. Ein Stück feuchtes Gras wurde Nigel schließlich zum Verhängnis. Als er ausrutschte und zu Boden fiel, war ihm klar, dass er aus dieser Situation nicht mehr heraus kommen sollte. Der Barbar würde ihm sicher keine zweite Chance geben und erhob bereits sein Schwert zum finalen Schlag. Nigels Augen weiteten sich und sein Körper erstarrte. Völlig unerwartet traf auf einmal ein magisches Geschoss den Kopf des Berserkers, der daraufhin wie eine Melone zerplatzte. Der Körper des Mannes fiel leblos zu Boden, während Nigel sein Glück noch gar nicht fassen konnte. Er hatte auf Kyren gehofft, doch außer ihm war weit und breit niemand zu sehen. Verunsicherung machte sich breit als sich niemand als sein Retter zu erkennen gab. „Hallo? Wer ist da?“, rief er ziellos in den Wald hinein. Niemand antwortete und blieb es bei der Suche nach einer Antwort. Einige Momente später kam Judy mit Atrix herbei geeilt. „Nigel! Alles in Ordnung?“, rief sie erleichtert, als sie ihn unversehrt sah. „Eh … ja … schätze schon.“, erwiderte er beinah überrascht. Kurz darauf stieß auch Atrix hinzu, mit Shane in den Armen, doch mit der schlechten Kunde das Kyren entführt wurde.
 

Der darauf folgende Tag bot weitere unangenehme Überraschungen für die Abenteurer. Obwohl sich Atrix mühte die Fährte des Jägers nicht zu verlieren, wurde es ihm durch die fortwährende Dunkelheit zusätzlich erschwert. „Ich verstehe das nicht. Nach meiner Rechnung müsste es doch schon fast Nachmittag sein, aber es ist so finster als ob es Mitternacht wäre.“, stellte er verwundert fest als man an einer Lichtung Halt machte, die einen Ausblick auf das vor ihnen liegende Gelände gewährte. Diese Wälder waren seltsam, anders als die anderen. Selbst er als einfacher Elf konnte einen Hauch von Magie an jedem Baum, im Boden und sogar in der Luft spüren. „Ich vermute diese Gegend hier ist verflucht. Eine finstere Magie scheint das Sonnenlicht von hier fern zu halten.“, resümierte Nigel, der Shane in einer Tragetasche am Brustkorb mit sich trug. „Wir dürfen nicht aufgeben! Wir müssen Kyren wieder finden.“, ergänzte er entschlossen und ballte seine rechte Hand zur Faust.

Innerlich wusste er bereits das es ein nahe zu aussichtloses Unterfangen war, da weder er, noch einer seiner Gefährten diese Gegend gut genug kannte um zu wissen wohin der Jäger mit ihr geflohen war.

Ein schwaches Licht in großer Entfernung ließ zumindest die Hoffnung schwellen auf Menschen zu treffen die ihnen weiter helfen konnten.
 

Als Kyren ihre Augen wieder öffnete, fand sie sich in einer Hütte, an einer senkrecht aufgerichteten Pritsche wieder. Blankes Holz rieb an ihren Rücken und ihre Hände und Füße waren durch metallische Fesseln unbeweglich gemacht. Sie fragte sich warum man sie angekettet hatte und was überhaupt passiert war. Das letzte was sie wusste war das sie Shane in seiner unglückseligen Gestalt in ihren Armen hielt. Die Hütte war nur mager beleuchtet, weswegen sie den Mann vor ihr, der im dunklen auf einen Stuhl hockte nicht sofort bemerkt hatte. Er starrte sie aus der Finsternis an, gerade zu als wollte er sie mit seinen Blicken durchbohren. „Wer … wer seid Ihr? Was geht hier vor?“, fragte sie in menschlicher Sprache. Der Holzboden knarkste als sich der Mann daraufhin aufrichtete und langsam an sie ins Licht heran trat. Er war gekleidet wie ein Jäger und hatte ungekämmtes braunes Haar. Ein feiner Bart zierte sein Gesicht und sein Blick verriet ihr dass ihr die Antwort nicht gefallen würde. „Es ist alles schief gelaufen, Gör!“, schrie er sie an und ohrfeigte sie aus seiner Wut heraus. Kyren verstand nicht, hoffte aber das er jegliche weitere Worte nicht mit einer so harten Ohrfeige abschließen würde. „Wir wollten nur dein Kind! Nun ist mein Gefährte tot und das Baby verloren.“, ergänzte er finster. Dennoch waren es Worte die in ihr Hoffnung und Freude weckten, wenn gleich sie sich daraufhin zu einer unbedachten Aussage verleiten ließ. „Shane geht es gut? Er konnte entkommen?“, fragte sie erleichtert. „JA!“, erwiderte der Mann lautstark und ohrfeigte sie noch härter als zuvor. Kyren schossen vor Schmerz die Tränen aus den Augen, aber der Gedanke dass es Shane gut ging linderte die Schmerzen etwas. „Aber mach dir keine falschen Hoffnungen. Du magst wertlos sein, aber vielleicht immer noch nützlich. Vielleicht lässt sich Lord Drac trotzdem auf das Geschäft ein.“, meinte der Jäger und verfiel etwas in Gedanken – was gut war, da es ihm davon abhielt sie zu ohrfeigen. Er war sich nicht sicher ob der hiesige Lord sich ebenfalls für eine zierliche Elfe interessieren würde, aber viel mehr hatte er nicht zu bieten und er wollte entlohnt werden. „Nein! Das könnt Ihr nicht tun!“, rief sie verzweifelt und versuchte sich zappelnd aus ihren Fesseln zu lösen. „Ich kann und ich werde. Lord Drac hat ein unschuldiges Kind gefordert, mit reinem Blut. Entweder dein Blut entspricht seinen Vorstellungen oder du wirst schlimmere Qualen als in der Hölle erleiden!“, gab er mit irren Blick zurück und legte seine Hände an ihre Wangen. Kyren fühlte sich von diesem Mann mit jeden Moment immer mehr angewidert. Sie wollte ihn am liebsten mit ihrer Magie niederstrecken, doch sie hatte schon kaum noch Gefühl in ihren Händen um auch nur einen Finger für einen Zauber zu bewegen. Als er von ihr abließ, schwante ihr, das die nächsten Stunden für sie nicht angenehmer werden würden. Sie musste Zeit schinden, egal wie. Er schien nichts von ihrer magischen Begabung zu wissen und wer immer Lord Drac war – sie würde schon mit ihm fertig werden, sollte sie ihre Hände erst einmal wieder frei bewegen können. Dennoch war der Mann vorsichtig und ließ ihr nicht die Chance sich zu wehr zu setzen. Mit einem Betäubungsgift würde er sie für den bevorstehenden Transport bereit machen. „Bete lieber dass Lord Drac dich nicht bei lebendigen Leibe frisst!“, entgegnete er ihr in warnender Stimmelage, bevor er den Betäubungspfeil in ihren rechten Unterarm stieß.
 

Gerrard wirkte unzufrieden als er mit seinem Dolch auf einen Tisch herumstocherte. Er hatte sich in einer Schänke nieder gelassen, die einzige weit und breit im Umkreis von knapp hundert Meilen. Er mochte diesen Ort nicht, noch die Gesellschaft die sich um ihn herum trieb. Das Lokal war für die Mittagszeit mit dürftigen Gestalten besetzt, die einen Becher Met nach dem anderen tranken, bis sie vergaßen, dass sie überhaupt schon etwas getrunken hatten. Er selbst hatte immer noch das Glas Wein auf dem Tisch stehen, dass er vor einer Stunde bestellt hatte. Gerrard war nicht freiwillig an diesem Ort, einem Ort an dem die Nacht nie zu enden schien, wie ihn ein Blick zum Fenster verriet. Eigentlich war er nur auf der Durchreise, aber seine Reisegefährtin Marian sah es als ihre Pflicht an heraus zu finden, was diesem Ort widerfahren war. Der Gedanke dass ein junges Mädchen dort draußen ohne Schutz herum streunte, behagte ihm nicht. Allerdings hatte er in den letzten Tagen und Wochen gelernt dass sie eine äußerst beeindruckende Persönlichkeit war, die sehr gut auf sich selbst aufpassen konnte. Wenn sie es wollte konnte sie ungesehen durch Stadt und Land reisen, wie ein Phantom, das niemand wahrgenommen hatte. Gleichzeitig besaß sie ein hohes Maß an Wissen und weißer Magie. Sie würde zurecht kommen, dessen war er sich sicher.

Dennoch, die Intention diese Gegend aufzusuchen kam nicht von seiner Gefährtin. Er selbst hatte verlangt hier her reisen zu dürfen. Es war nur ein kleiner Umweg zum eigentlichen Ziel. Er wusste von einem Schloss in der Gegend, das so alt war wie der älteste Vampir selbst. Seit vielen hundert, ja vielleicht sogar tausenden von Jahren lebte dort ein Vampir, der berüchtigt für seinen Blutdurst war. Früher hatte er ihn für seine Macht bewundert, heute verabscheute er, wie er diese nutzte. Einen Moment schwelgte Gerrard in Ironie, denn er hasste seine eigene Art so sehr, das er sie, wo er immer er sie traf, bis in den endgültigen Tod jagte.

Ein Blick zur Wanduhr sagte ihm dass es Zeit wurde. Er hatte genug gerastet. Mit einem Satz trank er seinen Wein aus und erhob sich vom Tisch. Unauffällig legte er im heraus gehen ein paar Münzen auf den Tresen des Wirts und verschwand wortlos im Dunkel der Nacht.
 

Heftiger Regen prasselte zu diesem Stunden vom verfinsterten Himmel hinab. Ihm folgten Donner und Blitze. Keiner der bei klarem Verstand war, war jetzt noch bereit draußen herum zu laufen oder keinen Schutz vor den Unwetter aufzusuchen.

Gerrard störte sich nicht an diesen Bedingungen und ging Schritt für Schritt auf dem regennassen Pfad zum Schloss des Vampirs hinauf. Früher hatte er den Duft von Regen in der Luft genossen, heute roch er gar nichts mehr. Vieles war nicht mehr als eine Erinnerung. Er verabscheute nicht nur die Existenz des Schlossherren, sondern auch seine eigene. Ihm fielen Pferdespuren auf, die der Regen verwischte und es schien so als ob er nicht der einzige Gast zu dieser Stunde sein würde.

Am Schloss angekommen hielt er es nicht für nötig zu klopfen oder um Einlass zu bitten. Wie von einem Windstoß getroffen schlugen die beiden Tore zur Haupthalle auf und Gerrard trat ein. Sofort eilten einige mit Armbrüsten bewaffnete Diener herbei und positionierten sich hinter Pfeilern, Treppengeländern und etwaigen Wanduhren. Der Eingangsbereich war ansehnlich gestaltet, jedoch hatte der mitgebrachte Wind die meisten Kerzen ausgeblasen. Neben einer Treppe, die in das einsehbare Obergeschoss führte, gab es noch zahlreiche Türen, die alle möglichen Optionen offen ließen, welcher Weg nun der richtige wäre. Da Gerrard keine Bereitschaft zum Kampf erkennen ließ, blieb es dabei, dass die Waffen der Diener geladen und zum Abschuss bereit waren. Ein unbewaffneter Mann, der seiner Kleidung nach offenbar ebenfalls zur Dienerschaft gehörte, trat mit sichtlich besorgtem Blick an Gerrard heran. „Tut mir Leid – werdet Ihr erwartet?“, fragte er höflich. „Das ist höchst unwahrscheinlich. Bringt mich zu Lord Drac.“, murrte Gerrard mit finsterer Miene. „Ich werde anfragen ob er einen Moment Zeit für Euch hat, in Ordnung? Wen darf ich melden?“, erwiderte sein Gegenüber gezwungen freundlich. „Es spielt keine Rolle wie ich heiße.“, tönte es düster zurück. „Oh doch. Ich muss Euch vorstellen.“, erklärte der Diener, die Hände ineinander gelegt. Gerrard merkte, das die Dienerschaft kurz davor stand ihre Waffen abzufeuern, doch es störte ihn nicht wesentlich. In einem Anfall von Gleichgültigkeit entschloss er sich einen Namen zu nennen, den er seit seiner Widerauferstehung angenommen hatte. „Sagt ihm Keith will ihn sprechen.“, verlautete er.

Daraufhin verschwand der Mann für einige Augenblicke durch eine der Türen und kehrte mit einen Gefühl von Bedauern zurück. „Es tut mir Leid. Mein Herr kennt Euch nicht und wünscht Euch auch nicht zu sehen.“, sagte er und deute mit einer beinah unsichtbaren Geste an dass Gerrard zum Abschuss frei gegeben war.

Etliche Bolzen hagelten in dessen Folge auf ihn ein, aber auch wenn er die Wucht der Stöße spürte, so blieb er letztendlich einfach an Ort und Stelle stehen. Der Empfangsdiener erschrak als Gerrard einen Bolzen nach dem anderen aus seinem Leib heraus zog und wich verängstigt ein paar Schritte zurück.

„Pah, gewöhnliche Bolzen. Lächerlich.“, schnaufte der Vampir , wissend das ihn eigentlich nur höherwertige magische Waffen etwas anhaben konnten. Noch bevor die Belegschaft ihre Waffen nachladen konnten, fand sich der Mann vom Empfang bereits in den Fängen Gerrards. „Bring mich zu ihm oder stirb!“, hauchte er ihn bedrohlich zu, während seine Hand immer fester an dessen Hals anlegte. „D-das kann ich nicht tun. Seine Strafe wäre unermesslich grausam.“, stotterte der hilflose Diener. Gerrard war das Schicksal des Mannes gleich. Kaum hatte dieser Widerworte erklingen lassen, begann er ihm nach und nach Lebensenergie auszusaugen. Innerhalb weniger Sekunden wurde der Mann zum Greis, dann zum verwesenden Leichnam, schließlich zum Skelett und abschließend zerrann er in seiner Hand zu Staub. Einige der bewaffneten Männer im Vorraum ergriffen daraufhin die Flucht, andere erstarrten vor Schock. Gerrard stellte fest dass er die Hilfe des Mannes ohnehin nicht benötigte, da er gesehen hatte durch welche Tür er gegangen war um Rücksprache zu halten.
 

Ein Blitz erhellte den sonst so finsteren Speisesaal des hiesigen Lords für einen kurzen Moment. Es folgten zwei weitere Blitze, die offenbarten das sich ein Gast hinzugesellt hatte. Er grüßte beinah formell mit erhobenen Weinglas, doch der finstere Blick seines Besuchers verriet ihn, das diesem nicht zu einer Unterhaltung zumute war. „Nun, sieh da. Mit wem habe ich das Vergnügen?“, fragte er zunächst höflich, ließ aber keine Zeit für eine Antwort aufkommen. „Wer wagt es meinen Grund und Boden zu dieser Stunde aufzusuchen und mich zu stören?“, ergänzte er deutlich spitzfindiger. „Wenn Ihr also keine Jungfrau seid oder bei Euch habt, so geht und stört den Frieden anderer Leute.“, fuhr er mit einer Geste der geringfügigen Wertschätzung fort. „Seid Ihr Lord Drac?“, tönte es seitens seines Gastes. „Sicher – wen habt Ihr denn erwartet? Elminster?“, gab er scherzend zurück und erhob sich vom Stuhl seines Speisetisches, dessen beträchtliche Länge fast den ganzen Saal entlang reichte und einem ganzen Dorf platz bot. „Nun? Weswegen seid Ihr gekommen, Fremder?“, wollte Lord Drac wissen. „Ihr könnt mich Keith nennen und ich bin hier um Euch eine letzte Chance zu geben.“, gab Gerrard nüchtern zurück. „Ich verstehe nicht was Ihr meint?“, wunderte sich der alte Vampir. „Nehmt die Dunkelheit von diesen Landen und gebt den Menschen hier ihr normales Leben zurück!“, forderte er mit Nachdruck. „Ich fürchte das kann ich nicht tun. Ich brauche die Dunkelheit um zu jagen, jederzeit und überall.“, gab er spöttisch zurück. „Tut es oder der heutige Tag wird Euer letzter auf Erden sein.“, entgegnete Gerrard mit drohender Stimme. Einseitiges Gelächter hallte durch den Speisesaal, doch es war nicht von Dauer. „Euch ist schon klar dass ich einer der ältesten und mächtigsten Vampire Torils bin. Warum glaubt Ihr mir drohen zu können?“, antwortete Lord Drac schließlich.

Lange Zeit kam keine Antwort zurück, bis Gerrard schließlich begann langsam näher zu treten. „Weil ich schlimmer bin als ihr jemals sein werdet!“, gab er schlussendlich zurück und beschleunigte seinen Schritt. „Unsinn!“, rief Lord Drac wenig beeindruckt und beschwor einige magische Geschosse um seinen Gegenüber zu beseitigen. Keines traf sein Ziel, denn dieses löste sich umgehend in mehrere Fledermäuse auf. Der kleine Schwarm setzte sich an der Decke des Saals wieder zu Gerrard zusammen, der nun kopfüber seinen Gegner gegenüber trat.

Lord Drac war überrascht, zeigte sich aber nicht verängstigt. „Beeindruckend. Ihr seid also ein Vampir. Ich hätte es besser wissen müssen.“, resignierte er und forcierte eine neue Magie um sich des Eindringlings zu erledigen. Geschosse aus Feuer hagelten auf Gerrard ein, der diese mit einem Gegenzauber allesamt explodieren ließ, bevor sie ihr Ziel erreichten. Gekonnt sprang er auf den Speisetisch nieder und präsentierte sich dort unversehrt. „Es reicht mir!“, schrie Lord Drac, der nun all sein magisches Können auffuhr. Stürmische Winde fegten fortan durch seine Hallen, Ätzende Nebelschwaden zogen in rasantem Tempo über den Tisch hinweg und ließen alles verrotten was mit ihnen in Berührung kam. Blitze, Eis und Feuer zerlegten alles was irgendwie zerstörbar anmutete in Nichts als Asche. Zum Schluss war der Saal vollkommen zerstört und nicht einmal eine Maus hätte überleben können. Gerrard selbst war verschwunden und Lord Drac hoffte ihn pulverisiert zu haben. Schon bald jedoch wurde seine Hoffnung getrübt als eine hämisches Gelächter aus dem Nirgendwo zu ihm durchdrang. „Glaubt Ihr wirklich dass Ihr mich besiegen könnt, alter Mann? Ich bin Euer Bote des Todes …“, hallte es von überall her. „Euer Ende ist bereits besiegelt.“, flüsterte es Lord Drac ins Ohr und bevor er sich versah spürte er einen bedrückenden Schatten hinter sich. Gerrard trat aus der Finsternis, wie eine Assasine bei Nacht. Bevor sich sein Opfer auch nur umdrehen konnte, hatte er ihn einen Kugelblitz durch den Rücken geschossen. Lord Drac war regelrecht durchlöchert und wankte getroffen durch den Saal. „Ihr … Ihr …“, stammelte er verzweifelt und rang sich bis zu den Überresten des Kamins durch. „Das werdet Ihr büßen!“, ächzte der verletzte Vampir mit letzter Kraft und betätigte einen geheimen Schalter an der Wand. Gerrard ließ ihn gewähren, selbst dann als sich eine Geheimwand öffnete durch die sein Gegner zu flüchten versuchte. Verletzt wie er war stolperte er mehr die Treppe hinab als das er sie ging. Die Katakomben waren durch Fackeln erleuchtet und in deren Mitte stand ein schieferfarbener Sarg. Am Ende der Treppe schien ihn bereits jemand zu erwarten, half ihm jedoch nicht auf.

Der Jäger musterte den Lord ungläubig und warf nur noch einmal einen kurzen Blick zur Wand hinter sich, wo er eine junge Elfe angekettet hatte. „Ah, Lord Drac. Ich habe gerade alles für euch vorbereitet.“, sagte er und hielt ihm einen leeren Kelch hin. Erst in diesem Moment erkannte er die Verwundungen des Vampirs und schreckte überrascht zurück. Lord Drac riss ihn wie ein Raubtier den Kelch aus der Hand und warf ihn beiseite. „Ich brauche ihr Blut!“, keuchte er und wandelte angeschlagen auf die wehrlose Elfe zu. „Was ist mit Euch pa- …“, wollte der Jäger antworten, da spürte er eine eiskalte Hand auf seinen Rücken. Binnen Sekunden floss jegliches Leben aus ihm heraus und ließ nur ein Stückchen Asche und einen gestärkten Gerrard zurück. Die junge Elfe war für Lord Drac zum Greifen nah. Der Jäger hatte sie ihm gebracht und er hatte ihn dafür mit reichlich Gold entlohnt. Er hatte sie ihm als Jungfrau angepriesen, dessen Blut nicht nur köstlich sondern auch wohltuend sein sollte. Ihr Blick war schwach und getrübt von einen Betäubungsmittel das man ihr gegeben hatte. Ihre Hände fühlten sich taub an und sie spürte dass sie zu keiner Bewegung in der Lage war, die sie vor den herannahenden Vampir hätte retten können. Wie im Traum nahm sie wahr wie seine Hand an ihrem Körper entlang strich und sein Atem ihren Hals näherte. „Nein …“, wimmernde Kyren unter Tränen, hoffend dass er ihr eine Art Gnade entgegen bringen würde. Ihre Hoffnung verschwand als er seine Vampirzähne ausfuhr und ihren Hals entscheidend nah kam. Sie betete nur noch dafür dass es möglichst schnell und schmerzfrei vorbei sein würde. Der Augenblick in der sie vor Schmerz aufschreien würde, blieb ihr erspart, denn seine Zähne erreichten ihre Haut nicht mehr. Lord Drac spürte den Griff seines Gegners am Hinterkopf, der ihn Sekunden später gegen die Mauer seines Gewölbes wuchtete. Nicht mehr als eine klebrige Gehirnmasse, etwas Haut, Haar und Knochensplitter blieben zurück, wo eben noch sein Kopf gewesen war.

Der leblose Körper des uralten Vampirs fiel vor Kyren zu Boden, bevor sie realisierte was geschehen war. Im ersten Augenblick schien sich ihre Situation nicht gebessert zu haben, denn nun stand ein Mann vor ihr, dessen Intention noch unklarer war als die ihrer Knechtherren. Gerrard zögerte einen Moment, doch er erkannte ihr Gesicht wieder. Er war erstaunt sie in diesen Hallen anzutreffen, zeigte das in seiner eiskalten Miene jedoch nicht. Nach einem Augenblick erlöste er ihre Hände und Füße von den metallischen Fesseln, worauf sie erschöpft zu Boden sackte. Mühsam richtete sie sich auf und versuchte ihren Blick auf den Mann in schwarz mit dem Hohen Kragen zu fixieren. Sie wollte etwas sagen, doch ihr Hals war zu trocken von der ganzen Tortur. „Seid Ihr verletzt? Hat man Euch etwas angetan?“, wollte Gerrard wissen, fragte aber mehr aus einer Art Gewohnheit heraus als das es ihn wirklich kümmerte. „Nein …“, ächzte sie mühsam hervor. „Wer seid Ihr?“, fragte sie unter großer Anstrengung. Gerrard zögert und haderte damit ob sie ihn wohl erkennen würde. Immerhin hatte er sich sein Aussehen geändert. Er fragte sich ob sie ihn wohl für die Vergangenheit vorverurteilen würde, wenn sie wusste wer er wirklich war und antwortete schließlich: „Mein Name ist Keith.“
 

Kyren war so schwach das sie nur Sekunden später zusammen brach. In seinen Armen trug er die kleine Elfe aus dem Schloss hinaus, nachdem er sich um die Überbleibsel des Vampirs gekümmert hatte. Während er ging lichtete sich die allgegenwärtige Dunkelheit, die auf diesem Land gelegen hatte. Nun wo der Erschaffer dieses Zaubers tot war, konnte er nicht länger aufrechterhalten werden. Nachdenklich blickte er auf das Mädchen in seinen Armen. Er nahm den köstlichen Geruch ihres Blutes wahr, aber sie war wehrlos und bei den Gedanken ihr das Blut aus dem Leib zu saugen, wurde ihm klar, dass ihn in diesem Moment nichts mehr von Lord Drac unterscheiden würde.
 

Nigel und die anderen hatten eine nahe gelegene Schänke erreicht und hofften das dort jemand über den Verbleib ihrer Gefährtin bescheid wusste. Ihre Gesichter trugen ein durchweg betrübtes Bild mit sich, fast so als ob Hoffnung ein Luxus war, den man sich nicht leisten konnte. Gerade als sie einen Fuß hinein setzen wollten klarte der Himmel auf einmal auf und die Nacht wich dem Tageslicht. Staunend sah man in den klaren, blauen Himmel, ein Anblick von dem man nie geglaubt hätte dass er so faszinieren konnte. „Seht mal!“, rief Atrix plötzlich und deutete aufgeregt auf einen Mann in schwarz, dessen Ummantelung die untere Hälfte seines Gesichts verbarg. Er trug Kyren mit sich, die scheinbar schlafend in seinen Armen lag. „Das ist doch Kyren!“, staunte Nigel, überrascht wie erfreut zu gleich. Ein Lächeln breitete sich wie ein Lauffeuer auf den Lippen aller aus und selbst Shane in den Armen von Atrix schien die Präsenz seiner Gefährtin wahr zu nehmen.
 

Einige Stunden später schloss Kyren den Halbelfen in seiner Säuglingsgestalt bereits wieder freudig in die Arme. Sie strahlte über das ganze Gesicht und blickte zwischen ihn und ihren Gefährten am Tisch hin und her. „Danke Freunde, dass ihr das alles für mich getan habt.“, meinte sie glücklich. „Schon gut – dein wahrer Retter ist der Herr dort an der Theke.“, wiegelte Nigel dankend ab. Ihre Augen wanderten zu dem Mann in Schwarz. Er saß dort als ob ihn das alles nichts anging und trank sein Met als ob es Wasser wäre. Sie erinnerte sich an das was im Schloss geschehen war, aber nicht wie sie in die Schänke gekommen war. Das alles musste er gewesen sein und sie wusste, sie konnte ihm nie genug Dank entgegen bringen. Gerrard hatte Glück, denn sie schien ihn tatsächlich nicht wieder zu erkennen. „Habt Dank, Keith. Ohne Euch wäre ich womöglich nicht mehr am Leben.“, sagte sie mit kurzer Verneigung. „Ihr hattet Glück, Mädchen. Verlasst Euch nicht zu oft darauf.“, erwiderte er nüchtern, in fast beängstigenden Ton. „Was mich angeht. Ich muss nun weiter.“, ergänzte er müde und nahm einen letzten Schluck aus seinem Becher. Jeglicher weitere Versuch ihm Dank zu zeigen wurde abgeschmettert und so blieb Kyren etwas bedröppelt zurück. Als Shane sich kurz darauf in Armen zu rekeln begann, erinnerte sie sich das noch längst nicht alles ausgestanden war. „Richtig! Wir müssen ihn noch zurück verwandeln!“, meinte sie leicht erschrocken. „Ironischerweise wird draußen bald dunkel werden und ich will nicht noch einmal bei Nacht durch diese Gegend ziehen um einen Wunderheiler zu suchen.“, merkte Atrix mit erhobenen Zeigefinger an. „Vielleicht hast du Recht. Ich schätze wir sollten uns im nächsten Dorf ein Zimmer nehmen. Nach all der Aufregung wird uns ein richtiges Bett gut tun.“, stimmte Kyren zu.
 

Als die ersten Sonnenstrahlen des darauf folgenden Tages in das Rastzimmer einer Schänke fielen, erwachte Shane, wie aus einem schlimmen Traum. Beinah hektisch riss er seine Augen auf, als die ersten wärmenden Sonnenstrahlen auf ihn fielen. Er wirkte desorientiert und fand sich nackt in einem weichen Bett wieder, lediglich durch eine Bedecke bedeckt. Vergeblich versuchte er sich zu erinnern was geschehen war, doch alles was geschehen war, nachdem sich der Zauber vom Pergament gelöst hatte, war wie weggeblasen aus seinem Gedächtnis. Vorsichtig nahm er seine Hände unter der Decke hervor und als er sie sah, wusste er dass etwas mit ihm geschehen war. Bruchstückhaft kehrten Erinnerungen zurück, daran das er geschrumpft, nein verjüngt worden war. Doch nun, so schien es, war alles vorbei – sein Körper war wieder zu normaler Größe zurückgekehrt. Wäre es dabei geblieben wäre er aufgestanden und hätte seine Sachen gesucht, doch etwas hielt ihn wie festgenagelt im Bett. Unter der Decke war noch etwas und als er einen Blick darunter wich, entdeckte er einen Arm, der über seine Hüfte gelegt war.

Vorsichtig neigte er seinen Kopf nach rechts zum Fenster hin. Hinter ihm liegend entdeckte er Kyren, die noch friedlich schlief. Seine Augen weiteten sich, während dutzende Fragen durch seinen Kopf schossen. Es fiel ihm schwer sich zu erklären was passiert seien könnte und wieso er nackt mit Kyren in einem Bett schlief. Er konnte nicht glauben dass das offensichtliche der Wahrheit entsprach. Sein Herz pochte bei ihrem Anblick so laut, das er fürchtete sie würde davon wach werden. Zum Glück war sie bekleidet, soweit er es sehen konnte ohne ihr die Decke zu entreißen. Trotzdem war das Oberteil ihres Nachthemdes nicht sehr ordentlich zugeknöpft, was ihm einen dezenten Einblick auf ihre linke Brust ermöglichte. Kaum hatte er die Situation realisiert wendete er sich ab und kniff sich Augen zu, sein Inneres beschwörend nichts gesehen zu haben und sich auch nie wieder daran zu erinnern – schließlich schickte es sich nicht einer jungen Dame dort hin zu sehen. Die Situation wurde ihm von Minute zu Minute peinlicher, allein schon weil ihm sein Gewissen plagte und ihn sekündlich predigte dass er die Situation nicht ausnützen durfte.

Sein Versuch das Bett still und heimlich zu verlassen endete als eine Bettfeder gerade zu alarmartig laut knarkste in dem Moment als er das Bett verlassen wollte. Die Konsequenz des Geräusches wurde ihm unmittelbar klar, denn auch wenn Kyren im erstem Moment noch reichlich verschlafen drein blickte und seinen Namen murmelte, so war sie doch blitzschnell wach, als sie Begriff in welcher Lage sie sich befand.

Als sie seinen Namen erneut sprach war der Tonfall doch schon deutlich lauter, gefolgt von einem Aufschrei und den Versuch sich mit der Bettdecke zu verhüllen. Shane purzelte aus dem Bett und fiel lautstark zu Boden, während Kyren sich verschämt abwendete und mit Kissen um sich warf. „Iek! Shane!“, kreischte sie mit deutlicher Schamesröte im Gesicht. Sie war bei weitem noch nicht so weit sich mit einem Mann das Bett zu teilen, doch als sie mit Shane letzte Nacht zu Bett ging war er nur ein harmloser Säugling, der in ihren Armen friedlich eingeschlafen war. Offensichtlich hatte der Zauber seine Wirkung von ganz allein verloren. Das war nichts ungewöhnliches, denn die meisten Zauber hatten zeitlich begrenzte Effekte.

Unter dem Bombardement von Kissen griff sich Shane schließlich etwas das nach Bekleidung aussah und flüchtete aus dem Zimmer. Halb auf den Boden krabbelnd rannte er Judy genau vor die Füße, die ihn mit einen sanften Lächeln begrüßte. „’Morgen Shane. Sieht aus als wärst du wieder der Alte.“, meinte sie erheitert und reichte ihm einen Keks zum Frühstück. Shane zögerte, nahm aber schließlich an. „Ist das ein Schwert oder freust du dich nur mich zu sehen?“, witzelte sie beim Anblick ihres halbnackten Cousins und ging kichernd weiter ihres Weges. Shane ahnte das man ihm sein Pech noch lange nachsehen würde, aber eigentlich war er doch recht froh das sein Fluch ein Ende hatte.



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