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Mein ist die Rache

von

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Einem Zufall war es zu verdanken, dass D´Artagnan und Aramis an diesem ungewöhnlich warmen Märzmorgen in der Nähe des Friedhofs waren, auf dem die Beisetzung Henriette Ouvrards stattfand. Kaum hörbar wehten die Worte des kleinen gebückten Geistlichen zu ihnen herüber, kaum hörbar das Schluchzen der ebenfalls gebeugten Mutter des toten Mädchens. Daneben, wie ein Fels und heute fast doppelt so groß wie seine Frau, stand der Schmied Ouvrard. Selbst aus dieser Entfernung war zu erkennen, dass er geistig abwesend war. Wahrscheinlich war er eher damit beschäftigt sich selbst zu bemitleiden als seine Tochter. Hinter ihnen reihten sich weitere Verwandte des Mädchens. Aramis erkannte einen unter ihnen als den jüngeren Bruder der Toten. Ungeduldig trat er von einem Bein auf das andere, als würde ein dringendes Bedürfnis seine Aufmerksamkeit verlangen.

Sie beobachteten das Geschehen aus einiger Entfernung, bis die Trauergesellschaft sich anschickte, in alle Richtungen auseinanderzugehen. Ein Teil von ihnen würde sich am Nachmittag erneut im Hause Ouvrard einfinden, um einen bescheidenen Leichenschmaus einzunehmen.

"Komm mit!" Sie packte D´Artagnan am Handgelenk und zog ihn hinter sich her.

"Wo wollen wir denn hin?" Angesichts der ruckartigen Bewegung wäre er beinahe über seine eigenen Füße gestolpert.

"Zu ihm!" Aramis deutete auf den jungen Ouvrardsproß, der nervös hinter seinem Vater hertänzelte. "Monsieur?" Der Hufschmied schien sie kaum wahrzunehmen. Aramis bedauerte die Entwicklung, die er nach dem Tod des Mädchens durchgemacht hatte. Zwar entwich ihm ein leises Brummen, sein Blick ging jedoch weiterhin stur ins Leere. "Ich würde mich gerne mit eurem Sohn unterhalten." Wieder erhielt sie nur ein Brummen als Antwort. Dann, von einer Sekunde auf die andere, klärte sich sein Blick und er starrte Aramis an.

"Warum?"
 

Es hatte D´Artagnan einige Mühe gekostet, den tobenden Klotz zu beruhigen. Seine Tochter hätte keinen Umgang hatte er gebrüllt, und was Aramis denn einfiele, derartige Andeutungen zu machen. Seine Tochter sei ein anständiges Kind gewesen und was könnte ihr Bruder schon von all dem wissen, der sei ja selbst zum Pinkeln zu dämlich, wie man ja sehen könnte.

In der Tat bewegte sich der junge Ouvrard reichlich kurios vorwärts. Die Hände in die Hosenbeine gekrallt, die Beine beim Laufen kreuzend, tänzelte er vorwärts. Sie hatten sich vom Rest der Trauergemeinschaft getrennt und waren in die andere Richtung gegangen.

"Hatte eure Schwester Kontakt mit Männern?"

"Wie bitte?" Olivier Ouvrard kniff die ohnehin schon kleinen Augen zu Schlitzen zusammen.

"Ob sie Verehrer oder ähnliches hatte..."

"Ich muss pinkeln verdammt, seht Ihr das nicht?"

"Es ist nicht zu übersehen!"

"Und warum haltet ihr mich dann auf?" Er war genauso hitzig wie sein Vater.

"Weil wir einige Fragen an euch haben, darum..."

"Könnt ihr die nicht ein anderes Mal stellen?"

"Nicht wenn ich sie jetzt stellen kann. Wenn ihr also ein so dringendes Bedürfnis habt, warum entledigt ihr euch nicht endlich dieses Drucks?"

"Ich soll was?" Für einen Moment hörte er auf zu tänzeln. "Vor euch? Ich denke nicht daran!" Er schüttelte wild den Kopf und brachte so die dunklen Locken durcheinander, die bis eben noch gebändigt auf seinem Kopf gelegen hatten.

"Stellt euch nicht so an. Ihr seht lächerlich aus wie ihr hier über die Straße tanzt wie ein Narr in Sonntagskleidung." Aramis deutete auf eine schmale Gasse. "Ich warte hier. D´Artagnan begleitet euch, damit ihr den Weg zurück nicht vergesst vor lauter Erleichterung."

Etwas peinlich berührt lauschte D´Artagnan dem nicht enden wollenden Plätschern neben sich. Er vermied es tunlichst, den Jungen direkt anzusehen. Am liebsten hätte er Aramis dafür verflucht, dass seine Stiefel jetzt in einer schlammigen Pfütze aus Pisse und allem möglichen anderen Dreck standen und bei jeder Bewegung schmatzende Geräusche erzeugten.

"Sie hatte einen Verehrer." Olivier sprang übertrieben auf und ab, um sich auch der letzten Tropfen zu erleichtern.

"Wie bitte?" Jetzt starrte D´Artagnan ihn an.

"Meine Schwester hatte einen Verehrer. Er lebt irgendwo am anderen Ende von Paris. Sie haben sich heimlich getroffen. Meistens ausserhalb der Stadtmauern, wo sie sich sicher fühlten. Fast jede Woche. Sie hat nicht darüber geredet, verständlicherweise. Vater hätte sie ins Kloster geschickt, wenn er davon erfahren hätte." Er nestelte nervös in seinem Schritt.

"Und woher weißt du es dann?"

"Ich bin ihr Bruder. Natürlich hat es mich interessiert, was sie so häufig ausserhalb der Stadt zu tun hat. Sie hat immer gesagt, dass sie Kräuter sammeln wolle. Bis zum Winter. Dann ging sie einfach so. Was hätte sie auch sagen sollen? Also bin ich ihr eines Tages gefolgt. Kurz vorm Tor haben sie sich getroffen und haben dann gemeinsam passiert."

"Was geschah danach?"

"Weiß ich nicht. Bin in der Stadt geblieben. Ihr versteht sicher, dass ich meine Schwester nicht dabei erwischen wollte, wie sie mit diesem Kerl Unzucht treibt!"

"Habt ihr ihr das denn zugetraut?"

"Sie ist eine Frau. Ich traue es jeder Frau zu. Sie sind schwach und nur zu leicht bereit, sich jedem hinzugeben, der ihnen das Blaue vom Himmel verspricht."

"Könnte eure Schwester ihm ein Versprechen gemacht haben, dass zu halten sie nicht in der Lage war?"

"Ihr meint ein Eheversprechen?" Die dreckigen Finger fuhren über einen krummen Nasenrücken, der kaum zum Alter des Jungen passen wollte.

"Zum Beispiel."

"Nein, ich glaube nicht. Aber mir hat sie ja auch nicht alles erzählt." Er hob resigniert die Schultern. "Und ehrlich gesagt halte ich sie auch nicht für so dumm."

"Wisst ihr, wo wir ihn finden könnten?"

"Henriette sprach häufig von St. Séverin. Ich nehme an, er wird dort in einer Seitengasse hausen. Würde auch erklären, warum er sich nie unserem Vater vorgestellt hat. Papa hätte nicht zugelassen, dass ein armer Schlucker sie heiratet. Fragt mal nach einem gewissen Julien Victor. Ich glaube so war sein Name. Sonst noch was?" Olivier Ouvrard wippte unruhig mit der Fußspitze auf und ab. Angewidert beobachtete D´Artagnan, wie der aufgespritzte Schlamm von seinen Stiefeln perlte.

"Nein, ich denke fürs Erste war es das. Aber wir werden bei Gelegenheit auf euch zurückkommen."
 

Aramis sah ihn fragend an. "Wo hast du den Jungen gelassen?"

"Hab ihn nach Hause geschickt, sonst hätte er mir wahrscheinlich aus Protest direkt auf die Stiefel gepinkelt. Furchtbarer Bengel..."

"Hör sich einer das an. Er ist höchstens vier Jahre jünger als du! Ich schätze, du warst nicht viel besser als er."

"Aber ich hätte vermutlich eine bessere Meinung von meiner Schwester gehabt!"

"Warum?"

"Weil er seiner Schwester einige unschöne Dinge unterstellt. Sie soll sich vor den Stadtmauern mit hübscher Regelmässigkeit mit einem Mann vergnügt haben. Wenn man ihm glauben darf. Ihre Eltern haben angeblich nichts davon gewusst, im Gegensatz zu ihm. Aber warum sollte er seine Schwester einfach ihrem Schicksal überlassen? Ich meine, es wäre doch logischer, wenn er mit seinen Eltern gesprochen hätte."

"Und was denkst du, hätten sie dann unternommen? Ihr Vater wäre vermutlich durchgedreht, hätte sie geprügelt oder ähnliches. Ihre Mutter wäre vielleicht zu einer Freundin gegangen, hätte ihr ihr Leid geschildert, die wiederum hätte es einer anderen Freundin erzählt und irgendwann hätte es die ganze Nachbarschaft gewusst. Er hätte das Mädchen niemals verheiraten können. Noch schlimmer, wenn er sie verstoßen hätte: Du kannst dir ihr Schicksal vorstellen. Vielleicht hätte der Henker sie dann noch geheiratet. Ihre Tageseinnahmen wären so oder so an ihn gefallen. Ihr Bruder wollte aus der ganzen Sache schlicht einen Vorteil ziehen. Stell dir doch nur mal vor: Seine Schwester legt ein skandalöses Verhalten an den Tag und muss mit der Rache ihrer Eltern rechnen. Jeder, der von ihrem kleinen Geheimnis weiß, ist eine Gefahr für sie. Ihr Bruder weiß das nur zu gut. Also konfrontiert er sie mit den Fakten. Sie hat zwei Möglichkeiten. Sie hofft, dass ihr Bruder seine Drohung auf keinen Fall wahr macht, oder sie geht auf sein Angebot ein. Wer weiß, um was für einen Gefallen es sich dabei gehandelt hat. In seinem Alter dürfte sein Wunsch nicht viel unschuldiger gewesen sein als das Treiben seiner Schwester."

"Du hast nicht zufällig einen Bruder?" D´Artagnan grinste.

"Wie kommst du nur darauf?" Ihre Augen strahlten. "Er hat mir das Reiten beigebracht. Heimlich. Im Gegenzug habe ich ihn verteidigt, wenn er sich herumgetrieben hat. Besonders später, als er in fremden Haushalten die Dienstmädchen und reichen Töchter verführt hat. Wir hatten einander ziemlich gut unter Kontrolle." Sie blies sich eine Strähne aus der Stirn. Schon seit einigen Wochen hatte D´Artagnan das Gefühl, dass ihre Haare immer länger wurden.

"Hm...wo liegt St. Séverin?"

"Im Quartier Latin. Solltest du aber langsam wissen."

"Hmhm. Dann müssen wir jetzt zum Quartier Latin. Der Junge meinte, wir würden dort ihren Liebhaber finden."

"In St. Séverin?" Aramis starrte ihn ungläubig an. Eine Liebschaft zu haben war eine Sache. Eine Liebschaft mit einem Mann der Kirche eine völlig andere.

"Nein, natürlich nicht. Aber in einer der Seitengassen um die Kirche herum. Sein Name lautet Julien Victor oder ähnlich. Jetzt müssen wir ihn nur noch finden."

"Nicht jetzt. Ich habe Athos versprochen, dass ich nach dem Mittag nach ihm sehe und ihm etwas zu essen mitbringe. Ich muss also auch noch bei einer Garküche vorbeisehen." Aramis sah zum Himmel und kniff die Augen zusammen. "Ich muss mich wohl etwas beeilen." Sie drehte sich um und marschierte direkt in die Richtung, in der Athos Wohnung lag.
 

"Warum rennst du denn so?" D´Artagnan hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Aus einem ihm unerfindlichen Grund hielt er es für angebracht, ihr zu folgen.

"Weil es jetzt kurz vor zwölf ist. Ich habe mit Madame Gervis abgesprochen, dass sie oder ihre Tochter gegen zwei Uhr sein Bett neu beziehen. Ich will ihn auf gar keinen Fall mit seiner Vermieterin oder ihrer Tochter allein lassen. Die haben beide ein Feingefühl wie die Metzger!"

"Und es hat natürlich nichts damit zu tun, dass die Tochter alles tun würde, um Athos für sich zu gewinnen."

"Natürlich nicht. Zum einen unterstelle ich ihm einen besseren Geschmack und zum anderen ist es seine Sache, von wem er sich gewinnen lässt."

"Natürlich..."

"Hör auf damit!" Unvermittelt blieb Aramis stehen. "Wir sind da." Ihr Finger deutete auf einen offenen Fensterladen, aus dem ununterbrochen weißer Dampf hervorquoll.

"Und überhaupt, warum müssen sie ausgerechnet jetzt sein Bett wechseln? Kann das nicht warten bis er wieder gesund ist?"

"Eben nicht. Ich habe ihm eine Salbe besorgt, die ganz übel klebt und stinkt. Aber sie scheint zu helfen. Jedenfalls will ich einfach vermeiden, dass er irgendwann an den Kräuterdämpfen erstickt." Sie sah in das schwarze, dampfende Loch und entschied sich, gegen den rissigen Rahmen zu klopfen. Unter ihren Fingerknöcheln löste sich die blassblaue Farbe und glitt in kleinen Fetzen zu Boden. Irgendwo aus der Schwärze rief eine Stimme: "Komme gleich!" Dann löste sich eine Gestalt aus dem Dunkel. Zuerst eine weiße Haube, dann ein weißes rundes Gesicht und schließlich der Rest des Körpers, geschnürt in ein zu enges Kleid, das farblich zum Fensterrahmen passte. "Was darf´s sein die Herrschaften?" Ihr Gesicht legte sich in unzählige kleine Lachfalten.

"Ist noch etwas gebratener Fisch übrig?"

"Selbstverständlich. Wie viele sollen´s denn sein?"

"Zwei oder drei. Je nachdem, wie groß sie sind. Sagt einmal, ihr bekommt doch sicherlich einiges mit von dem, was in der Stadt so passiert. Ist euch zufällig etwas über den Tod einer gewissen Henriette Ouvrard zu Ohren gekommen?" Aramis beobachtete kritisch, wie die Köchin einige Fische in der Hand abwog, ein paar von ihnen wieder weglegte und andere im einfallenden Licht der Straße hin- und herdrehte. Sie wusste sehr wohl, dass die Musketiere bereit waren, für Qualität zu zahlen.

"Das arme Ding, das sie vor kurzem aus der Seine gefischt haben?" Sie wartete auf ein Nicken und sprach dann weiter. "Nicht viel. Einige Leute sagen, sie wäre freiwillig ins Wasser gegangen und ihre Familie hätte versucht, es wie einen Mord aussehen zu lassen. Andere sprechen vom Teufel..."

"Nichts Konkretes also. Könntet ihr mir den Fisch einwickeln?" Geschichten vom Teufel kannte Aramis zu Genüge und ihr Glaube an selbigen war zu gering, als dass sie ihnen irgendeine Form von Aufmerksamkeit schenken würde. Der einzige ihr bekannte Teufel trug die Kutte eines Kardinals und führte dem französischen König nur zu gerne die Hand in Staatsangelegenheiten. Und selbst dieser Teufel war keine Ausgeburt der Hölle, sondern ein Geschöpf erschaffen aus Machtgier.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2006-11-15T20:13:55+00:00 15.11.2006 21:13
hey tach!
du warst wieder kreativ! super gelungenes kapitel, bin wirklich gespannt, was dem armen mädchen nun tatsächlich passiert ist... ich hoffe, du findest zeit bald weiter zu schreiben :o)
lg krisi
Von:  fastcaranbethrem
2005-11-14T16:58:44+00:00 14.11.2005 17:58
schön schön, ein neues Kapitel. es liest sich total gut und man will mehr ...
deine figuren haben viel schwung ...


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