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Der Kreis schließt sich

von

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Das Wiedersehen

Der Abt schenkte sich Wein ein, als wären die beiden Musketiere hinter ihm nicht anwesend. Das Licht der Morgensonne fiel durch die hohen Rundbogenfenster und brach sich auf den schweren Ringen an seiner Hand.

Der kostbare Stoff der Ordensrobe flüsterte und knisterte, bei jedem seiner Bewegungen. Der Wohlstand der Abtei lag sichtbar um seine Hüften und der dreilagigen Kinnpartie. Sein fortgeschrittenes Alter im lichten Haarkranz und der fettig-glänzenden Halbglatze.

Clemens de Spoleto fühlte den lästigen Blick seiner Besucher im Rücken. Mit Absicht bedachte er sie mit Unaufmerksamkeit. Aus rein perfiden, törichten Machtgelüsten eines schwächlichen Kleingeistes, ließ er Besucher, die er unter seinem Stand ansah, die Nichtigkeit ihrer Existenz spüren, indem er sie warten ließ. Vielleicht lag es an seinen Stand als dritter Sohn eines Landgrafen oder einfach an dem Schicksal, das ihm den Charakter eines kleinlichen Mannes vermacht hatte. Sein dümmlicher Anspruch an die Psychologie seiner Mitmenschen, kannte keinen anderen Weg, als die zeitliche Zermürbung bei kalkulierter Ignoranz. Stille senkte sich über den Raum. Seine Heiligkeit der Abt sah nachdenklich aus dem Fenster, während seine Hände unentwegt mit dem Weinkelch spielten. Lautlos zählte er die Sekunden die verstrichen. Endlich hielt er es an der Zeit sich herumzudrehen. Die beiden Männer in seinem Rücken wirkten jedoch weder ungeduldig, noch gereizt. Der Ältere von ihnen sah ihn einfach nur an. Was die Undurchsichtigkeit seines Mienenspiels betraf, war Athos unschlagbar. Wenn es um Geduldigkeit und Ruhe ging, hatte Clemens de Spoleto in diesem Musketier seinen Meister gefunden. Ein zuvorkommendes Lächeln zeichnete sich wie auf Knopfdruck auf Athos Züge. Sein Kollege sah träumerisch zur Decke und nagte an seiner Unterlippe. Beide Männer vereinten Ebenmäßigkeit und Ästhetik in ihren Zügen, waren von hohem Wuchs und jung. Über erste Vorzüge, verfügte Clemens de Spoleto selbst vor zwei Jahrzehnten nicht und fühlte einen Anflug von Neid. Der Abt räusperte sich und scharrte ungeduldig mit dem Fuß.

"Monsieurs?"

Die blauen Augen des blonden Musketiers richteten sich lediglich auf ihn, doch sie schienen in ihn nicht mehr zu sehen, als eine kurzweilige Unterbrechung in seinen Tagträumen. Ohne respektlos zu wirken, zeigten die beiden Männer in ihrem Auftreten die Ermangelung an genau diesem.

"Der König wird in sieben Tagen hier sein", informierte ihn der dunkelhaarige Musketier ruhig. Der dicke Abt verneigte sich erhaben.

"Wir sind uns der Ehre bewusst, die uns mit dem Erscheinen seiner Majestät zuteil wird. Doch seit wann sendet der König einfache Soldaten zur Vorbereitung seiner Reise?"

"Der Kapitän der Musketiere seiner Majestät schickt uns. Der Hofmeister wird in wenigen Tagen anreisen, um alles für seine Majestät in Auftrag zu geben."

"Der Kapitän, so so." De Spoleto zog die Mundwinkel herunter.

"Wir sollen die Sicherheit der Reiseroute überprüfen."

"Ich bin nicht informiert worden und habe nicht die Zeit mich mit derartigen Dingen zu befassen."

Der Abt von Blois wollte ohnehin erst bei der Ankunft des Königs in Erscheinung treten. Es störte ihn, so früh am Morgen von zwei unbedeuteten Musketieren gestört worden zu sein. Lediglich durch die Beharrlichkeit von Athos und einem völlig nervlich geschafften Pater Benedikt, nahm er sich der beiden persönlich an. Auf ihn wartete eine reich gedeckte Morgentafel.

"Das solltet Ihr aber. Wir haben hier das Schreiben von Kapitän D'Treville", erklärte Athos ohne es weiterhin an Freundlichkeit mangeln zu lassen. "Es erklärt Euch alles!"

"Kapitän D'Treville", spie er aus. "Wir unterstehen als Abtei von Blois und ich als sein weltlicher Fürst direkt dem König und ..."

"Euer Vorgänger war Vincent von Albric?", unterbrach ihn Athos.

Der Abt geriet ins Schleudern. "Ja, aber ich wüsste nicht was dies ...."

"Ist von Albric nicht abgesetzt worden, weil bei der königlichen Reise anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten, ein abtrünniger Mönch in Blois sich unter der Prozession mischte und den König beleidigte?"

Erbleicht nickte der Abt.

"Und verdankt Ihr nicht Eure Stelle als Abt von Blois dem König?"

De Spoleto neigte unbestimmt den Kopf, konnte sich aber zu keiner Antwort entschließen.

"Wir wollen doch hoffen, dass dem König bei dieser Reise nicht zustößt. Ich muss Euch nicht darauf hinweisen, was dann mit Euch geschieht?!"

Der blonde Musketier öffnete die Lippen zu einem zarten Lächeln und sagte im sanften Singsang: "Der Herr gibt es und der Herr nimmt es!"
 

Aramis gähnte wohlig, als sie dem Mönch über den sonnenwarmen Hof folgte, erwacht in der ersehnten Umarmung, zweier männlicher Arme. Athos unterdrückte seine Müdigkeit, Zeugnis einer langen schlaflosen Nacht und sah sich mit wachen Augen um.

Bruder Benedikt hatte sich wieder erholt und führte sie durch die Abtei. Diesmal zeigte sich das Wetter zu ihren Gunsten und der Himmel erstrahlte in wolkenlosem Blau. Die Strahlen der Sonnen glitzerten in den Wasserlöchern am Boden. Noch war der Boden aufgeweicht von den langen Regenfällen und jeder der sich längere Zeit auf unbefestigten Boden aufhielt, hatte bald eine dicke Schmutzkruste um sein Schuhwerk. Der Abt führte sich durch die Örtlichkeiten des Klosters. Es war eine weitgehende Anlage mit eigenem Kräutergarten und anschließenden Heilräumen. Die Mosaikbilder mit Blattgoldverzierungen im hohen Kirchenschiff verriet ihren Reichtum. Der Kreuzgang, gesäumt mit marmornen Heiligenfiguren führte zu dem palastähnlichen Teil des Klosters, den der Abt bewohnte und seinem König als Unterkunft zur Verfügung stellen würde. Je weiter sie vordrangen, desto prunkvoller wurden die Gemächer und Räume. Es war ein fremdes Terrain, auf dem es tausend Winkel und Ecken gab, die ein möglicher Angreifer nutzen konnte. Auf die Musketiere wartete viel Arbeit.

Benedikt war ein kleiner Mann, dessen ganze Gestik und Mimik Gemütlichkeit ausdrückte. Ein gutmütiges Lächeln erhellte seine Züge. Behäbig ging er, die Hände in den weiten Ärmeln seiner Kutte verborgen, vor den beiden Musketieren. Die Sandalen unter der braunen Kutte schienen ihn vorwärts zu tragen, ohne den Boden verlassen zu müssen.

"Hier endet der Heilgarten der Abtei", erklärte er, während er über den Außenhof schlürfte "Wir sind überaus glücklich, dass seine Majestät uns besucht. Wird der Kardinal bei ihm sein?" An der Nordseite der Abtei wollte der Mönch umkehren, aber Athos hielt ihn zurück.

"Ich denke schon", erwiderte er unverbindlich und sah aber den Heilgarten, der sich zu seinen Füßen ausbreitete. Der Garten mit mehreren Reihen säuberlich gezogener Heilpflanzen lag an einem Abhang. Über die brüchige Mauer, die das Klostergelände, samt Garten umschloss, konnte man in das Tal sehen. Grün und fruchtbar breitete es sich zu Füßen der Anhöhen aus. Bauern, winzige Schemen in der Ferne, arbeiteten auf den Feldern. Da unten lag satt und prall das Anbauland der Abtei, reif gepflügt zu werden, um in die Tasche des Klerus zu fließen und den Bauern Brot und Wasser zurück zu lassen.

"Und dahinter?", verlangte Athos zu wissen und Finger wanderte zu einem verfallenden Gebäude, welches abseits stand.

Wiederwillig löste Aramis ihren Blick vom Tal und folgte seinem Finger. Der Bruder zuckte die Schultern. "Nicht weiter von Belang, dort wurden früher Aussätzige isoliert untergebracht."

"Ich will es mir trotzdem ansehen."

Der rundliche Mönch hatte seine Mühe, mit seinen kurzen Beinen zu folgen. "Aber Monsieur, dass Gebäude ist halb verfallen und der König wird gewiss nicht einmal in die Nähe kommen. Es könnte Gefahr bestehen, dass sie Steine aus dem Mauerwerk lösen und jemanden erschlagen. Es ist viel zu gefährlich", Er schob die Hände aus der Kutte und rang sie aufgebracht durch die Luft. "Aber Monsieur, so warten Sie doch ... Monsieur ..."

Athos betrachtete den aufgeregt hüpfenden Mann, hob die Braue und verwettete sein rechtes Bein, samt Fußgelenk, dass es sich hier um keine Belanglosigkeit handelte.

Er bog um die Ecke und blieb derart abrupt stehen, dass der Mönch gegen ihn prallte.

Mehrere zerlumpte Gestalten traten aus dem Gebäude und stolperten auf einen offenen Karren zu. Sie waren kaum mehr als Menschen zu erkennen. Lumpen und Deck umhüllte sie. Keiner ging aufrecht und gerade. Vielmehr bewegten sie sich schlürfend und gebeugt vorwärts. Der Mönche, der sie bewachte, vermied es tunlichst sie zu berühren.

"Was ist das?", fragte Athos und wies auf das jämmerliche Abbild von Menschlichkeit.

"Kranke Bettler aus dem Armenhaus in Paris. Man hat sie hier her gebracht, weil die Armenhäuser dort überfüllt sind. Sie werden weiter geschickt, um ihren Anblick dem König zu ersparen."

"Der König wird nie diesen Teil des Klosters betreten. Ist das denn wirklich notwendig", begehrte Aramis auf, der die Gestalten leid taten. Je näher sie ihnen kamen, desto mehr, schmerzte der Anblick.

"Der Abt hat Recht. Es wäre zu unvorhersehbar, wenn sie hier blieben", erklärte Athos ruhig und sah sie milde an. Aramis sah in seinen Augen nur berufliches Interesse. Ihr Blick wanderte wieder zu den Karren.

"Es wäre vielleicht von Vorteil, wenn der König sie sehen würde. Frankreich ist nicht besonders reich und Paris ist voll von ihnen."

"Das ist blasphemisch, Aramis", wies Athos sie ruhig zurecht.

"Es wäre sonst Blindheit", begehrte sie auf.

"Du weißt, dass der König besondere Vorsicht verlangt, seit der Affäre mit dem Eisenmann."

"Ja, aber ..."

"... das ändert auch nicht die Tatsache, dass er, wie seine Gefolgsleute tot ist. Es war ein unsägliches Kapitel, aber es ist noch nicht abgeschlossen."

"Ja, aber wo werden sie hingebracht?"

"Ja, Bruder Benedikt, wo werden sie hingebracht?"

Benedikt, der gerade froh war, dass ihr Interesse nicht mehr ihm galt, sah sich der geballten Aufmerksamkeit der beiden Musketiere gegenüber. Er schluckte.

"Das weiß ich nicht", gestand er kläglich. Abt de Spoleto hoffte wahrscheinlich, dass sie die Zeit dahinraffen würde und sie dieser Sorge enthoben waren. In der ungesegneten Erde, war noch jede Menge Platz für sie.

"Wahrscheinlich werden sie in ein anderes Kloster gebracht. Der ehrwürdige Abt wird wissen, was mit ihnen passiert. Sie könnten ihn fragen, aber er hat sich gerade auf Reisen begebe."

"Wie günstig", knurrte Aramis leise und schwieg. Athos hochgezogene Braue schien ihr zu sagen, was ihre Pflicht war.
 

"Denkst du noch immer über sie nach?", fragte Athos, nachdem sie schon eine geraume Zeit unterwegs waren. Bisher war nicht eine Silbe über Aramis Lippen gedrungen. Schweigsam hatten sie ihre Reise auf der Straße zurückgelegt. Sie zuckte die Schultern ohne ihn anzusehen. "Versteh mich bitte nicht falsch, Aramis", sagte Athos und ritt näher an sie heran. Der Wind trug seine Worte fort. "Ich empfinde genauso Mitleid mit ihnen, wie du und hätte ihnen gern geholfen, aber im Augenblick kann ich an ihrem Los nichts ändern."

Aramis warf ihm einen kurzen nachdenklichen Blick zu. Ein schmales Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, wechselnde Mimik zwischen Entschuldigung und Wehmut.

"Das Leben ist ungerecht."

"Das ist es", bestätigte Athos. "Was das Schicksal den einen gibt, nimmt es den anderen."

Aramis konnte ihm nicht sagen, dass sich beim dem Anblick der Bettler, ihr eigenes Bild vorschob. Wenn man erfuhr, dass sie eine Frau war, würde sie mittel- und vormundlos im Armenhaus landen? Die Kaltblütigkeit des Staates, was seine Menschen betraf, ängstigte sie.

Der Karren setzte sich in Bewegung und rumpelte durch den Wald. Die Räder sprangen über Äste und Löcher im Boden. Seine Insassen wurden wild durchgeschüttelt. Arme und Beine wirbelten hilflos umher. Leib auf Leib, Lumpen auf Lumpen, Dreck auf Dreck, Krankheit auf Krankheit. Die drei Reiter der Apokalypse folgten dem Wagen, den die Menschen tunlichst mieden. Krankheit, Hunger und Tot vereinte sich auf seiner Ladefläche. Die Hälfte der Kreaturen, hatte ihr Leben ausgehaucht. Der Karren fuhr durch ein besonders tiefes Loch. Sein Kutscher klammerte sich mit verkrampften Fingern am Sitzbrett fest. Weiter trieb er die Tier an, um möglichst schnell sein Ziel zu erreiche und seine Insassen loszuwerden. Die Angst saß ihm im Nacken, dass die Achse oder ein Rad brechen könnte. Dann wäre er allein mit ihnen.

Er merkte nicht wie er ein Teil seiner Fracht verlor....
 

Sie hatten Châtellerault erreicht. Die kleine Ortschaft lag idyllisch eingebettet in blühend, fruchtbarer Landschaft. Absurderweise, erinnerte die Ebene an einen Suppenteller, flach und rund. Ringsrum säumten das Tal Berge, den Grund des Tellers bildeten Weiden, von Kühen und Rindern gesprenkelt und schimmerndes goldgelb der Getreidefelder. Die kräftigen Farben des Frühlings malten ihr Bild in die Wiesen und Felder. Das Sommerschloss des Königs stand verborgen vor der Stadt, abseits hinter dem Wald gelegen. Hier endete ihre Aufgabe und es blieb ihnen nichts weiter zu tun, als auf den nächsten Morgen zu warten, um nach Paris zurück zu reisen. Die von Tag zu Tag kräftig werdende Sonne, hatte den Tag noch nicht der Dunkelheit freigegeben.

Ruhelos trieb es Athos aus dem Gasthof, indem sie abgestiegen waren. Der Wirt hatte ihnen erzählt, dass Châtellerault den Frühling feierte. Alle Stadtbewohner hatten sich auf dem Festplatz zum Vergnügen eingefunden. Ihre beiden Zimmer zeichneten sich durch eine resolute Kargheit in seiner Einrichtung aus und die Kundschaft des Gastwirts war schwindend gering. Es war ein schöner anbrechender Frühlingsabend, dessen untergehende Sonne, den Festplatz in ein zauberhaftes rot-goldenes Licht tauchte. In Châtellerault war das Ziel ihrer Reise. Sie hatten die Strecke in zwei Tagen zurückgelegt, die Wegstrecke und die Abtei überprüft. Der Regen war überstanden. Anders die Nacht. In der Abtei war ein Stücken von Athos Seelenheil zurückgeblieben und die Sehnsucht Aramis wieder in den Armen zu halten. Den Körper des Anderen an sich zu spüren und in seine Nähe einzutauchen. Oberflächlich gesehen, begegneten sich Aramis und Athos wie immer, aber unter einer dünnen Schicht aus Vernunft und Verwirrung, tobten die Gefühle einen zwiespältigen Kampf. Gedanklich konnte sich Athos von der Vorstellung, Aramis wieder in seinen Armen zu halten, distanzieren, aber Seele und Körper konnten es nicht. Was blieb, war ein schmerzvolles Sehnen, dass sich von der Magengrube bis in die Zehenspitzen zog. Ein stetig trockener Hals, wann immer er seinen Freund ansah, der nichts von seinen Gefühlen zu ahnen schien und ein schneller schlagendes Herz. Ihre Beziehung hatte bald einen Klippe erreicht, die nur den metaphorischen Absturz brachte. Eine ausgelassene Stadt in Feierstimmung, war genau das richtig, um ihn abzulenken und da sie, wie Athos annahm, zwei junge, lebenslustige Männer waren, hielt sie nichts mehr in der Wirtsstube. Ein Fest zu besuchen, war alles im alles kein schlechter Abschluss für einen Auftrag.

Die Musik von Fideln und Tamburin, untersetzt mit lauten Stimmen und mannigfaltigem Gelächter aus Grunzen, Wiehern und der vermischten Dissonanz betrunkener Stimmen.

Menschen aus der Stadt und den umliegenden Dörfern drängten sich um die Stände. Während sich die eine Hälfte vor Trunkenheit kaum mehr auf den Beinen halten konnte, tat die Andere nichts mehr, als eben diesen Zustand zu erreichen. Hölzerne Stände boten Waren an. Bunte Wimpel flatterten über ihnen im Wind. Hinter Holzgattern wurden Wettkämpfe ausgefochten oder die schönste Dorfkuh gekürt. Eine Gauklergruppe spielte auf einer fahrbaren Holzbühne und ein waghalsiger Jongleur wirbelte brennende Fackeln durch die Luft. Athos und Aramis sahen sich um, ohne stehen zu bleiben. Aramis Blick glitt ohne Interesse über vielfältige Auslage an Samt- und Seidenstoffe in den schönsten Farben, die den umstehenden Mädchen Rufe des Verzückens entlockten. Die Freiheit ohne Zofe oder Anstandsdame sich durch das bunte Volk zu mischen, wog schwerer, als Kleider und Schmuck.

"Oliver?"

Athos spürte, wie ihm jemand am Ärmel zog und drehte sich herum. Er sah in ein schönes, ebenmäßiges Gesicht und in dunkle Augen, die er schon vergessen geglaubt hatte.

"Diana?" Er spürte, wie ihn seine Stimme verließ. Athos hatte das Gefühl von einem Stillstand der Zeit, ein Déja-vu das auf ihn einbrach. Die Zeit drehte sich rückwärts und er war wieder 17 Jahre alt.

"Was machst du hier?"

Ihre feingeschwungenen Lippen zeichneten ein Lächeln. "Das könnte ich dich fragen. Seit Jahren hat dich niemand mehr gesehen."

Sie sah zu ihm und er zu ihr.

Aramis konnte spüre wie die Welt eine andere wurde und nur die beiden einschloss. Sie sahen sich mit ungläubigem Erstaunen an, als wäre der andere ein Traumbild, zu unwirklich, um physisch zu sein. Ein falscher Laut, eine Bewegung und die Traumblase würde zerplatzen.

In Aramis Hals kratzte es. Erschrocken schluckte sie. Verdammt bei Hölle und Himmel, saß das Gefühl Schmirgelpapier zu atmen saß fest. Es wollte sich zu einem Räuspern verwandeln, wenn nicht gar zu einem mittelschweren Huster. Aramis zog die Luft ein und hielt sie fest. Verdammt sollen Dinge am falschen Ort, zur falschen Zeit sein. Aramis spürte wie sie begann rot anzulaufen und das dumpfe Rasseln einer kommenden Erstickung.

Dianas Hand legte sich auf Athos Arm. Ihre Augen hielten seinen Blick fest. Aramis verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, schnappte nach Luft und rasselndes Donnern entrollte ihre Kehle.

Zwei Augenpaare sahen sie an. Eins Überrascht, eines verstört, aber mit der einem Ausrufezeichen, das dem Störenfried - ihr - galt. Oh Verdammt! Sie hätte sich gerne entschuldigt, wenn sie Luft dafür gefunden hätte. Ihr Körper schüttelte sich vor Husten und Tränen rannen über ihr Gesicht. Eine hilfreiche Hand klopfte auf ihren Rücken.

"Diana, darf ich dir einen Kollegen von mir vorstellen?", stellte Athos vor, erinnert an Aramis Gegenwart. "Monsieur Aramis, wir sich geschäftlich unterwegs."

Aramis hustete.

"Comtesse de Claivice", erwiderte die Gräfin.

Aramis hustete.

Athos klopfte ihr noch einmal nachdrücklich auf den Rücken und erklärte, dass sie beiden alte Bekannten waren, aus einer Zeit, da er noch nicht in Paris lebte.

Natürlich war sie das und die Art, wie die beiden sich ansahen, wischten die letzten sechs Jahre in Paris davon. Sie kannte ihn aus einer Zeit, von der er nie erzählte. Sie kannte ihn in einem Alter, in dem Athos noch nicht glaubte, sie durch eine schweigsame Reserviertheit schützen zu müssen.

Noch nie hatten Athos Empfindungen so deutlich auf seinem Gesicht geschrieben gestanden.

Diana de Claivice nickte ihr freundlich zu, dann drehte die Welt sich nur noch für sie.

Aramis wischte den Tränenschleier von den Augen und räusperte sich. Sie fing an Flusen von ihrem Wams zu zupfen, dann fiel ihr nichts mehr ein.

"Ich lasse Euch allein. Dort hinten veranstalten sie ein Wettschießen mit Pfeil und Bogen", sagte sie, als sie das Bild der beiden nicht mehr ertrug und machte sich auf, froh eine Ausrede gefunden zu haben.
 

"Oh, Oliver, so viel Zeit vergangen."

Athos nickte. "Das ist es."

Sie lächelte. "Aus dem Jüngling ist ein Mann geworden." Und was für ein Mann. Ihr Blick verhehlte nicht, was sie bei seinem Anblick empfand.

"Und aus dem Mädchen eine Frau. Ich hoffe, du bist mit deiner Heirat glücklich geworden." Er sagte es ohne Bitterkeit, aber auch ohne eine andere Empfindung.

"Mit dem Glück ist das so eine Sache, Olivier", raunte sie und sah ihm tief in die Augen. "Es langweilt sich schnell und sucht sich einen anderen Ort."

Er schwieg und verschloss das Gesicht.

"Ich musste de Claivice heiraten. Meine Familie wollte es so", sagte sie bittend.

"Mir hast du damals etwas anderes erzählt. Du wolltest den Comte heiraten. Der Titel einer Comtesse schien dir so begehrenswert."

Ihre dunklen Augen schimmerten ihn verständnissuchend an. "Oliver, dass musste ich dich glauben lassen, damit du leichter gehen konntest. Erst dieser furchtbare Streit mit deinem Vater und dann ich, die du nicht haben durftest. Versteh doch!"

Athos resignierte. Sie nahm ihm den Grund sie zu hassen. Sie vernichtete die Jahre der mühsam errichteten Mauer der Gleichgültigkeit. Sie stahl das Vergessen. Sie brachte die Erinnerung.

Hinter der Maske seiner teilnahmslosen Mimik herrschte ein Durcheinander an Gefühlen, ein babylonisches Stimmengewirr, aus Verwirrung, Schuld, Hoffnung, Verzweiflung und Selbstbeherrschung. Dianas Schönheit war zur vollen Blüte erblüht. Das Mädchenhafte war einem gesunden Selbstbewusstsein und der Fraulichkeit gewichen. Vor ihm stand die Verkörperung unzähliger Männerwünsche.

"Ich wünschte, du hättest es mir gesagt."

"Ich war fast noch ein Kind, ich hatte Angst", gestand sie leise.

"Jetzt ist es zu spät, du bist verheiratet", räumte er ein. Sie war Comtesse de Claivic, die Ehefrau eines Anderen.

"Sieh nicht weg, Oliver!", forderte sie ihn auf. "Ich trage seit einem halben Jahr Trauer. Der Comte starb vor mehreren Monaten." Wie durch Nebel hörte er ihre Worte. Er dachte an Aramis, dann an die Frau die vor ihm stand und verglich beide miteinander. Diana, eine Frau von dem Scheitel bis zur Sohle. Es wäre so leicht. Aramis, das Gefühl von Schuld, wegen einer Sehnsucht, die nicht sein durfte und das Wissen, dass sich diese niemals erfüllen würde.

Es wäre so leicht. Kein Gewissenskampf der seine Schultern niederdrückte. Sie war so schön, so vertraut. Sie war seine Vergangenheit ... und sie war zum Greifen nah.
 

Aramis kehrte zurück, als die Sonne langsam versank und sie keinen Grund mehr finden konnte, wegzubleiben. Die Comtesse und Athos standen auf demselben Flecken Erde, auf dem Aramis sie verlassen hatte. Sie zog ein Schwein an einem langen Seil hinter sich her. Das Tier trottete gutmütig hinter ihr her.

"Wo warst du?"

"Beim Bogenschießen."

Stirnrunzelnd sah Athos auf das Schwein. "Und das?"

"Der erste Preis!"

"Herzlichen Glückwunsch!"

Sie nickte zuvorkommend.

"Aramis, warum hast bist du zum Bogenschießen angetreten?"

"Weil ich wusste, dass ich gewinne!", erklärte sie selbstverständlich.

"Sie werden es nicht mögen, dass ihr Schwein ein Fremder gewonnen hat."

"Darum würde ich jetzt gern gehen."

Athos wendete sich seiner zauberhaften Gesprächspartnerin zu. "Adieu, Diana, ich hoffe, dich wiederzusehen."

"Wo wirst du sein."

"In Paris, frage nach Athos den Musketier."

"Das werde ich", versprach sie. Athos sah von Aramis zu Diana und alles erschien ihm leichter. Er beugte sich über ihre Hand und streifte sie mit seinen Lippen. Keine übliche Form sich zu verabschieden. Seine Lippen auf ihrer Haut waren sein Versprechen und Aramis kam sich plötzlich ziemlich dämlich mit dem Schwein im Schlepptau vor. Diana nickte, mit flammenden Rot auf den Wangen.

"Willst du nicht wissen, wie ich es genannt habe?", fragte Aramis, während sie über den Platz gingen.

"Wie?"

"Rochfort!"

"Es hat keine Augenklappe!"

"Aber die gleiche Kinderstube", erwiderte sie und drückte einem alten, blinden Mann, der mit unterschlagenen Beinen am Rand hockte und die faltige Hand bettelnd vorstreckte, die Leine in die Hand.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Kajuschka
2005-09-07T13:15:43+00:00 07.09.2005 15:15
Ach, ich bin ziemlich spät dran mit meinem Kommentar.-_-' Leider wurde auch schon größtenteils geschrieben, was ich auch denke. Aber ich hab doch noch was dazu zu sagen. Ich liebe einfach deinen Schreibstil und dass du einen so tiefen Einblick in die Gefühlswelt von Aramis und Athos gibst. Wunderbar...
Von: abgemeldet
2005-09-06T07:17:17+00:00 06.09.2005 09:17
Gefühlsverwirrungen pur, so mögen wir das :o) die ehemalige Verlobte stiftet ein wenig Unruhe in das jetzige Leben von Athos, das bekommt auch Aramis zu spüren, ist mal wieder ne sehr verzwickte Angelegenheit... und was den Schlussdialog betrifft, der übertrifft einfach alles :o)
LG Krisi
Von:  Kanoe
2005-09-06T06:37:08+00:00 06.09.2005 08:37
*lol* das ende ist ja lustig *schieflacht*
aber arme aramis .... *mitfühlt*
Von:  Tach
2005-09-04T14:20:28+00:00 04.09.2005 16:20
=] Das Schwein Rochefort...ich hab mich halb wechgehaun! Der Schlußdialog war das Beste, einfach göttlich.
Aber mal ehrlich, es is nich sehr nett von dir, Aramis solche Qualen aufzuerlegen...oder is die Qual doch mehr auf Athos Seite? Wir werdens hoffentich bald erfahren =P


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