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Gefesselt

Ein Daiyoukai, eine Miko und ein lästiger Zauber
von

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Eine nette Idee


 

S

elbst die arglosesten Augen eines Beobachters hätten erstaunt zugesehen, wie eine menschliche miko gesetzten Alters in eine Höhle weit oben im Gebirge rauschte. Besagte Augen hätten zumindest gezwinkert, als sie sich in einen aus dem Fels gehauenen Sessel warf und dabei ein Geräusch ertönte, als sei Stoff zerrissen. Und der Besitzer dieser Augen hätte ihnen nicht mehr geglaubt, wenn sie berichtet hätten, dass oben am Scheitel ein Riss entstanden sei und Haare und Haut wie Stoff zu Boden gleiten wollten.

Darunter erschien etwas Oranges, Leuchtendes.

Die nur scheinbare Menschenfrau griff nachlässig nach oben und zog sich ihre Tarnung wieder über.

 

Tja, Tama, dachte das Wesen. Diese Verkleidung leiert auch schon wieder aus. Menschen halten einfach nichts aus.

Immerhin war dies eine Tarnung gewesen, die in den letzten Wochen sehr nützlich gewesen war, zumal in den letzten Tagen. Auf der Suche nach weiterer Nahrung, weiteren Opfern, war der Dämon weit in Japan herumgekommen. Es war reiner Zufall gewesen, dass er nahe der Ostküste ein Dreiergespann getroffen hatte. Die alte miko konnte etwas, ohne Zweifel, aber kam als Nahrungswesen nicht in Betracht. Sie ruhte ein sich selbst und würde auch zu leicht sterben.

Das kleine Mädchen, das sie dabei hatten … noch immer weigerte sich Tama instinktiv daran zu denken. Für ein Wesen, das sich von negativen Gefühlen anderer ernährte war so etwas schlicht unmöglich. Sie hatte keine. Das es solche Leute überhaupt geben konnte, ja, durfte, die ähnlich einem Schmetterling durch das Leben flogen!

Die jüngere miko freilich war interessant gewesen. Auf den ersten Blick, in dem scheinbaren Zusammentreffen mit einer Berufskollegin, nett, freundlich, harmlos, aber wozu war man ein Emotionsvampir. Im Nachforschen in ihrer Seele hatte sich ergeben, dass sie vermutlich eine der zauberkundigsten, stärksten mikos war, die herumliefen oder sogar je herumgelaufen waren. Sie konnte vermutlich mit so einigen magischen Lebewesen mithalten. Natürlich nicht mit ihm.

Daraus folgte der Plan,

Anscheinend wurde ihre Magie nur im Kampf geweckt, wie auch immer sie sie schlafen lassen konnte. Allein das war ungewöhnlich und sicherte ihr Aufmerksamkeit. Nun ja, deutlicher gesagt, früher oder später würde ein Daiyōkai auf sie aufmerksam werden und sie vernichten wollen. So recht betrachtet müsste sie in der Lage sein mit so jemandem, immerhin einem bevorzugten Nahrungswesen, mitzuhalten.

Das wiederum bedeutete, er würde ihr einen Daiyōkai schenken. Natürlich nicht ganz selbstlos. In seinem magischen Bann würden sich die Zwei bekämpfen, und er würde beider Schmerzen, Leid, aufsaugen können. Das wäre ein nahezu endloses Mahl in den nächsten Jahren.

Es müsste ein sehr guter Zauber sein, so dass weder Daiyōkai noch miko ihn brechen konnten, falls sie bemerkten, dass sie ausgenutzt wurden. Selbstverständlich würden sie sich nie zusammentun. Natürliche Feinde.

„Ja,“ murmelte die scheinbare miko: „Liebe Kagome, der erste Daiyōkai, der deinen Weg kreuzt, gehört dir. Und ich bin sicher, für ein Jahrhundert werden eure Gefühle mir gehören. Mindestens.“ Tama wandte den Kopf in den Hintergrund der Höhle, wo in einem Käfig ein Lebewesen kauerte, das unter dem Blick des Gefühlvampirs zusammenzuckte. „Und du, mein Lieber, wirst mir doch dabei helfen.“ Er lehnte sich zurück und begann seine eigene Magie aufzurufen, zu verstärken.

In den Augen des Wesens im Käfig blitzte etwas auf, was seit langem dort nicht mehr zu finden gewesen war. Selbstachtung.

Und das hätte Tama stutzig werden lassen sollen, wenn er noch einmal zu seinem Gefangenen gesehen hätte.

Hätte.

 
 

Eine unschöne Überraschung


 

K

agome blieb etwas erstaunt am Rande des Reisfeldes stehen. Sie war ein wenig spazieren gegangen um sich abzuregen. Inu Yasha und Miroku waren noch immer nicht zurück von ihrer Reise. Nun ja, dass Sango am Ufer kniete und Wäsche wusch überraschte sie weniger, als die Tatsache, dass diese allein war. „Guten Morgen.“

„Guten Morgen.“

„Äh, wo sind denn die Kinder?“

„Oh, Rin war so freundlich. Sie sind mit ihr und Kaede Pflanzen sammeln. Hast du das nicht gewusst?“

„Nein, mir sagte Kaede nur, dass sie mit Rin geht. Aber das war nett von ihnen, oder?“

„Ja.“ Sango warf das ausgedrückte Stück Stoff in einen Korb. „Ist dir langweilig?“

„Ich mache mir Sorgen. Sie sind noch nicht zurück.“ Und es gab keinen Zweifel, dass sich das nicht auf Kaede oder die Kinder bezog.

„Natürlich nicht.“ Die Dämonenjägerin richtete sich auf und sah empor. „Du kennst es doch. Ein Dorf hier, eine Weiterempfehlung da ...dafür bringen sie sicher auch eine Menge an Geschenken mit. Und, du solltest dir wirklich keine Sorgen um ausgerechnet Inu Yasha machen.“

Die junge miko seufzte, ließ sich jedoch neben ihrer Freundin nieder.

Sango lachte etwas. „Ja, ich gebe zu, ich vermisse auch meinen unmöglichen Mann. Aber, das ist eben so. Und jemand muss ja für den Lebensunterhalt sorgen, oder?“

„Ja, schon klar.“ Mehr um abzulenken meinte Kagome: „Mich wundert auch nur, dass ausgerechnet Rin sich um deine Kinder kümmern will.... Sie ist doch selbst noch ein Kind.“

„Sie ist vierzehn. Und kommt damit so langsam in ein Alter, in dem man Mädchen verheiraten kann.“

„Mittelalter, ja. Bei mir, ich meine, in meiner früheren Zeit, ginge das nicht vor achtzehn oder eher einundzwanzig.“

„Das ist alt. Einundzwanzig.“ So alt war sie selbst. Und hatte drei Kinder, davon natürlich die Zwillinge.

„Die Lebenserwartung ist da auch höher. Wobei, ach du je... ich stelle mir gerade vor, wenn Rin sich verliebt....“

„Ja, die Lebenserwartung des Kandidaten könnte dann sehr begrenzt sein. Immerhin müsste er ja bei ihrem Vater um ihre Hand bitten, oder, bei ihrem Vormund.“

„Bei Sesshōmaru?“

„Naja....“ Sango lächelte. „Der wird sich das kaum nehmen lassen, oder?“

Kagome wagte zu bezweifeln, dass irgendein Mann in den Augen ihres Schwagers passend für Rin wäre. „Ja,“ gab sie allerdings zu. „Ach, ich hoffe....“ Sie brach ab, als sie deutlich etwas spürte, das sie als Yōki erkannte.

Auch Sango erhob sich. „Ärger?“

„Ich gehe.“ Sie waren beide unbewaffnet, aber immerhin könnte sie einen Yōkai auch … Oh. Das war eine unterdrückte Energie, die sie erkannte, fast vertraut. Es konnte sich also nur um ihren Schwager handeln, oder? Sie ging eilig zurück zum Dorf. Tatsache. Unter einem großen Baum, kurz vor dem Dorf, stand der Hundeyōkai und schien nach etwas zu wittern. Sie musste nicht lange nachdenken. „Guten Morgen. Wenn du Rin suchst, sie ist mit Kaede und den Kindern Pflanzen suchen.“

Immerhin eine nützliche Information. Manchmal taugte diese Gefährtin des Bastards doch zu etwas. Manchmal, ein klein wenig, fast gar nicht.

Kagome machte unwillkürlich einen Schritt näher. Einen fatalen Schritt.

 

Im nächsten Moment erfasste etwas wie ein Blitz alle Zwei. Zu erfahren, um das nicht als Magie zu erkennen, riefen beide ihr Yōki und Reiki instinktiv auf – nur, um zu erleben, dass alles um sie harmlos wie eben noch war.

„Was... was hast du gemacht?“ erkundigte sich Kagome keuchend vor Schreck.

Was ER getan hatte? Nun gut, damit erübrigte sich auch die Frage, was sie getan hatte. Was war das allerdings gewesen? Eine kurze Überprüfung seiner selbst ergab, dass er noch immer Zugriff auf alle seine Fähigkeiten hatte. War das einfach nur der Zusammenprall der so gegensätzlichen Energien gewesen? Er nahm sein Yōki zurück, zumal sich diese Amateurpriesterin auch beruhigte.

 

Der Neuankömmling hatte nichts bemerkt. „Kagome! - Und du...“ Der zweite Halbsatz klang kaum nach: schön, dich zu sehen.

Sie fuhr herum. „Inu Yasha!“ Sie rannte los, flog ihrem Gefährten um den Hals, oder besser, sie wollte es tun, denn eine unwiderstehliche Macht riss sie von den Beinen und ließ sie wortwörtlich fliegen – auf den Daiyōkai zu, der sich unwillkürlich beiseite drehte, so dass sie hart auf den Boden prallte.

Keuchend richtete sie sich auf, mit Tränen der Wut in den Augen.

Inu Yasha starrte seinen Halbbruder an. „Was hast du Mistkerl da gemacht?“

ER? Aber, da sich die so genannte Schwägerin neben ihm aufrappelte und ihn ebenso wütend anstarrte, wurde Sesshōmaru klar, dass ihm gerade die Schuld an was auch immer gegeben wurde. „Falls du denken könntest ….nichts.“ Tja. Das beseitigte nur leider nicht die Frage, was hier plötzlich los war.

Der Hanyō ging zu seiner Gefährtin und bot ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. Es blieb bei dem Versuch, denn erneut riss eine unwiderstehliche Gewalt die junge Frau weg – auf ihren Schwager zu, der es gerade noch vermochte sich weg zu drehen, um sie an sich vorbei fliegen zu lassen.

„Also....“ knurrte Inu Yasha.

„Kaum meine Idee,“ erklärte der ältere Halbbruder knapp, der sich ganz bestimmt etwas anderes als amüsant vorstellen konnte, denn menschliche mikos sich um die Ohren fliegen zu lassen,

Kagome raffte sich auf. „Da... da war Magie.... Sesshōmaru, du weißt es doch....vor Minuten...“

Ja. Und falls da irgendein Scherzkeks ihm dieses Menschenweib aufgehalst hatte, war das definitiv die letzte Tat in dessen offensichtlich verkorksten Leben. Immerhin schien sie so etwas wie mitdenken zu können. So sah er zu ihr.

Kagome wiederum blickte zu Inu Yasha. „Irgendetwas ist schrecklich schief gegangen. Miroku ist doch mit dir zurück? Hole ihn doch mal....“

Der Hanyō zögerte, aber das stimmte natürlich. Miroku war eindeutig der magiekundigste unter ihnen, wenn man von seinem Halbbruder absah. Aber der würde kaum so dumm in der Gegend herumstehen, wenn der eine Lösung hätte. So verschwand er.

 

Kagome versuchte irgendwie in ihrem Kopf eine logische Lösung zu finden, oder zumindest so etwas wie einen roten Faden. Ganz sicher würde sie das nicht, wenn sie hier sinnlos herumstand. Schatten wäre auch ganz gut und so ging sie unter den Baum. Oder wollte gehen, denn erneut wurde sie förmlich aufgehoben und auf den Hundeyōkai zugeworfen. Ein entsetztes Aufquieken war alles war ihr blieb – und der Aufprall. Wütend raffte sie sich auf. Wieso fing der Mistkerl sie nicht auf? Nun ja. Er war ein Un-Mensch im wahrsten Sinne des Wortes und menschliche Hilfsbereitschaft konnte sie da absolut knicken. Dennoch... „Was hat das jetzt ausgelöst?“

„Distanz.“

Nicht zu fassen, der werte Herr Hund hatte ihr geantwortet! Bloß, was meinte er … nicht wirklich, oder? Das wurde ja immer schlimmer. Oh, da kam Inu Yasha ja zurück, mit Miroku und Sango, die offenkundig bereits informiert waren.

Der hoshi blieb vorsichtig stehen. „Inu Yasha sagte, da war Magie?“

Kagome antwortete, in dem sicheren Bewusstsein, wenn das ihr Schwager tun würde, würde das Ende der Welt nahe rücken. „Ja. Es war eigen. Ich kam her, sagte Sesshōmaru, dass Rin unterwegs ist, und auf einmal war da etwas wie ein Blitz. Meine Magie erwachte und auch ...naja, das Yōki. Dann war aber eigentlich alles wie normal. Nur, ich kann Inu Yasha nicht mehr anfassen oder er mir nahe kommen. Und, gerade eben haben wir festgestellt, dass ich wohl auch nicht weiter weg von Sesshōmaru gehen kann....“

„Blödsinn,“ murrte ihr Hanyō prompt, fühlte sich aber am Ärmel gehalten.

„Lass mich doch mal nachdenken,“ bat Miroku. „Da scheint wirklich ziemlich mächtige Magie am Werk zu sein.“ Er konnte tatsächlich ausgiebig nachdenken, ohne, dass jemand ein Wort verlor. Sicheres Zeichen, dass die Lage allen missfiel. „Äh, nun gut. Wir testen mal etwas, ja? Sango, gehe doch zu Kagome-sama und nimm ihre Hand.“

Seine Ehefrau gehorchte. Nichts passierte. Beide Frauen sahen irritiert zu ihm.

„Komm zurück. Und jetzt werde ich es versuchen.“ Bei dem Versuch Kagome zu berühren wurde erneut der Zauber ausgelöst und sie flog zu Boden, da der Daiyōkai keine Miene machte sie aufzufangen.

„Tja,“ konstatierte der Mönch. „Eines ist klar. Der Bann geht auf Männer. Wenn ein männliches Wesen versucht dich zu berühren, Kagome-sama, wirst du zu ...zu Sesshōmaru-sama geschickt.“ In den Augen des Daiyōkai leuchtete etwas in rot. Bester Zeitpunkt höflich zu sein. „Nur, warum?“

DAS wüsste er auch gerne, dachte der Hundeyōkai. Und als nächstes, welcher komplett Lebensüberdrüssige dafür verantwortlich zeichnete.

„Blödsinn,“ fauchte Inu Yasha wider besseres Wissen. „Das ergibt doch keinen Sinn.“

„Nun ja,“ Miroku überlegte wirklich, wie er das formulieren sollte, entschied sich aber für die direkte Wahrheit. „Ich hörte mal von einem Bann, den gewisse Ehemänner auf ihre Frauen legen konnten, um sicher zu gehen, dass ...naja, dass ihre Söhne auch ihre Erben wären.“ War das vorsichtig genug? Immerhin standen hier gleich zwei Kerle vor ihm, die ohne Mühe das ganze Dorf in Schutt und Asche legen konnten, von Anwesenden ganz zu schweigen. Und zumindest einen konnte nicht einmal Kagome stoppen. Rin würde mit Kaede und den Kindern erst gegen Abend zurückkommen.

Prompt fauchte die miko: „Ich darf dich daran erinnern, dass ich mit Inu Yasha zusammen bin?“

Und der Hanyō gleichzeitig: „Sie ist meine Frau!“

„Ja, aber der Bann wurde offenkundig ausgelöst. Und, naja... Moment mal. Kagome-sama, du hast gesagt, du kannst auch nicht mehr weg? Das versuchen wir mal. Ich meine, auch welche Entfernung....“

Sie war absolut alles andere als begeistert. „Was soll das bringen, außer, dass ich erneut auf den Boden knalle?“

„Versuche es.“

 

Es dauerte drei Versuche, ehe Kagome mit zerbissenen Lippen und zorntränend da stand. Sesshōmaru offenkundig kurz vor einem Mord stand und Inu Yasha beide Gefühle teilte.

„Und, was sollte das jetzt bringen?“ murrte er.

Der hoshi seufzte. „Naja. Wir wissen jetzt, dass sich kein Mann Kagome nähern kann, falls es sich nicht um Sesshōmaru, ich meine Sesshōmaru-sama, handelt. Und, dass sie sich noch genau fünf Meter von ihm entfernen kann. Das hat sicher nichts mehr mit dem Treuezauber zu tun, den ich zuvor erwähnte. Das ist wirklich....“ Er verschluckte das Wort interessant, denn das gefährlichste Trio, das das Dorf momentan bieten konnte, starrte ihn an. „Sonderbar. Es ergibt keinen Sinn.“

„Ach ja,“ fauchte Kagome. „Und, eine Idee? Wie man das wieder lösen kann? Nur so zur Info: ich bin mit Inu Yasha verheiratet, nicht mit meinem Schwager!“

„Ja, das weiß ich doch. Aber so einen Bann....“ Der Mönch blickte hilfesuchend zu dem Daiyōkai, aber da der nur wie die Personifizierung ohnmächtiger Wut dastand, fiel dem wohl auch nichts ein. Jedenfalls sollte man erst einmal verhindern, dass sich diese Hitzköpfe von Halbbrüdern im Dorf ein Duell lieferten, oder auch Sesshōmaru das an Kagome ausließ. „So einen Bann kann nur ein sehr mächtiger Magier legen, ich vermute einen Daiyōkai oder einen alten Drachen. Dann kann man ihn allerdings auch brechen. Wir sollten jetzt mal alle nachdenken, auch, wer vielleicht einen guten Rat dazu finden könnte.“

 

Ein lebensmüder Daiyōkai? Nun ja, so etwas sollte es geben, dachte Sesshōmaru. Am einfachsten erledigte man Zauber durch den Tod ihres Schöpfers. Oder.... Er wandte den Kopf. Hm. Starb dieses Menschenweib konnte sie ihm nicht mehr lästig fallen. Das wäre doch auch eine Lösung. Natürlich bedeutete das dann ein sinnloses Duell mit Inu Yasha … Und er würde leider nie erfahren, wer dieser nervende Unbekannte gewesen war. Das sollte man verhindern. Wen könnte man fragen? Bokuseno?

Kagome hatte den Blick des Schwagers bemerkt und da dessen Augen noch immer verdächtig leuchteten, als warte das Rot der wahren Gestalt schon dahinter, beschloss sie das Ganze nicht für freundlich zu nehmen. Sie sollte sich lieber schnell etwas einfallen lassen. Nur, was oder wen könnte man zu einem dermaßen dämlichen Bann befragen?

 

Inu Yasha hatte im Nachdenken die schwarzen Brauen so zusammengezogen, dass sie wie Sicheln wirkten, ehe er sich entspannte. „Ha, ich habe eine Idee!“

Das bescherte ihm immerhin vier Köpfe, die sich in gewissem Unglauben ihm zuwandten. Seine Ideen im Kampf waren sicher oft sehr originell und zutreffend, ansonsten eben nur originell.

So ergänzte er: „Na, Tōtōsai!“

Schweigen.

Der Daiyōkai ließ es aus persönlichem Stolz sein die Hand vor die Stirn zu schlagen, die miko meinte fast vorsichtig, da sie die Begeisterung ihres Hanyō nur zu gut sah: „Äh, Inu Yasha, du weißt schon, dass er ein Schmied ist?“

„Ja, klar. Der hat doch Tessaiga und auch Tenseiga gemacht. Gerade deswegen doch. Ich meine, diese Schwerter sind für uns gemacht worden. Da sollte er doch wissen, wie man einen Zauber bricht, der auf Sesshōmaru liegt.“

„Das ist vielleicht sogar eine nicht üble Idee,“ sagte Miroku langsam. „Ja, er ist ein alter Schmied, aber eben auch ein lebenserfahrener Yōkai, der sich mit allerlei Magie auskennt. Sicher, womöglich kann er euch nicht direkt helfen, aber vielleicht eine Adresse sagen, oder so?“

„Na also!“ Der Hanyō wollte sich sichtlich schon aufbruchsbereit machen.

Sango unterbrach ihn. „Hat diese Idee nicht nur einen Haken? Ich meine, du kannst direkt zu Tōtōsai gehen und ich glaube auch, dass Sesshōmaru, Sesshōmaru-sama, das vermag, aber Kagome ist ein Mensch. Ihr werdet Tage unterwegs sein.“

„Keh, ich trage sie wie immer.....“ Selbst Inu Yasha merkte, dass da etwas nicht stimmte.

Kagome seufzte. „Ja, wenn du versuchst mich zu tragen, endet das damit, dass ich durch die Gegend fliege.“ Und entweder unsanft mit der Erde Bekanntschaft machte oder aber, wenn der Herr Schwager nicht auswich vermutlich mit seiner Rüstung oder besser noch deren Dornen. Im Nachdenken hatte sie erkannt, dass es wohl tatsächlich nett gemeint war, wenn er sich drehte.

„Außerdem,“ sagte der Mönch nachdenklich: „Kommt mir da noch ein Gedanke. Inu Yasha, als du mich geholt hast, hast du doch gesagt, es sei etwas schief gegangen.“

„Ja, oder wie nennst du diesen Blödsinn hier?“ murrte der Hanyō.

„Ja, etwas ist schief gegangen. Könnte es nicht sein, dass das eine Falle war, die auf Kagome-sama und dich ausgelegt war und nicht auf ...auf Sesshōmaru-sama?“ Ach herrje. So wie der dreinsah suchte er nur nach einer Möglichkeit sich abzureagieren.

„Ich verstehe,“ meinte Kagome. „So eine Magie würde uns in einem Kampf natürlich erheblich behindern, gerade weil Inu Yasha mit Tessaiga ja auf Distanzschläge geht. Ja, aber wer ...Und das heißt, das Dorf könnte angegriffen werden?“

Der hoshi nickte. „Meiner Meinung nach solltet ihr euch beeilen diesen Zauber zu lösen. Und wir passen derweil auf das Dorf auf.“

 

Menschliche Schreie ließen ihn ebenso den Kopf drehen wie alle anderen. Der Grund für die Aufregung spazierte entlang der Reisfelder. Ein zweiköpfiger Drache, gesattelt und aufgeschirrt.

Kagome blickte fast ungläubig zu ihrem Schwager auf. „Du hast ihn herbestellt? Aber, wie...?“

Oh bitte, wofür hielt sie ihn denn. Natürlich. Je schneller alles ging, umso eher war er dieses Menschenweib auch wieder los. Und den Bastard gleich dazu. Vielleicht hatte dieser vertrottelte Schmied tatsächlich einen Einfall. Immerhin war dessen Magie sogar ihm bekannt. Ein guter Grund, warum der noch lebte.

„Ja, gut, Kagome,“ meinte Inu Yasha: „Dann fliegen wir beide eben auf Ah-Un ...nein, das geht ja auch schon wieder nicht. So ein blöder Zauber. Wenn ich den Mistkerl erwische, der sich das ausgedacht hat...“

Ausnahmsweise waren die Halbbrüder einer Meinung.

Kagome sah nun nur noch ein kleines Problem. „Ja, gut, das klappt sicher. Wirklich, je eher das weg ist, desto besser. Äh, Inu Yasha, holst du noch meinen Bogen und Pfeile von zuhause?“

Der Hanyō wollte schon sagen: hole es doch selbst, als er bedachte, dass der Herr Hund vermutlich keine Pfote in ein Menschenhaus setzen würde – und Kagome ja an den Idioten gefesselt war. „Bin gleich wieder da.“

„Ja, aber wenn Kagome auf dem Drachen fliegt,“ begann Sango. „Nein, er muss laufen. Diese Fünf-Meter-Beschränkung gibt es ja auch noch.“ Sie hatte schon anregen wollen, dass dann Sesshōmaru eben auch fliegen musste, aber, wie der auf Vorschläge reagierte war hinreichend bekannt. Zumal in dieser sichtbar düsteren Laune. „Ich hole dir noch was zu essen, Kagome, ja? Sie haben genug mitgebracht.“

Diese atmete etwas durch. Das war ja eine wundervolle Überraschung. Sie hatte sich so gefreut, wenn ihr Hanyō wieder da wäre, würde ein ruhiges Leben weitergehen, stattdessen war sie an einen Hundeyōkai gebunden, dessen schlechte Laune in den Wellen des Yōki nur zu deutlich für sie spürbar war – und umgedreht ihr Reiki förmlich über ihre Haut laufen ließ um sich zu schützen. Zu allem Überfluss müsste sie zusehen, dass sie sich zusammennahm, damit diese Reise schnell ein Ende fand – und diese beiden Idioten sich nicht gegenseitig die Köpfe einschlugen. Oder der liebe Schwager auch ihr den Hals umdrehte, der hatte sie so verdächtig angeguckt. Sicher, Inu Yasha würde das verhindern, aber ...Na, siehe oben. Wenn sie diesen Idioten von Daiyōkai erwischte, der ihr das eingebrockt hatte!

Moment mal. Das hatten sie doch noch gar nicht ausprobiert. „Äh, Sesshōmaru?“

Der einzige Grund ihr den Kopf zuzudrehen war die stille Hoffnung, ihr würde etwas eingefallen sein um diesen Bann zu lösen.

„Ich meine, wir haben versucht, ich meine, ich habe versucht mich von dir zu entfernen und das hat nicht geklappt. Vielleicht funktioniert es, wenn ICH stehenbleibe und du gehst....“ Auweia. Wenn der die Hand so hob, war das nie ein gutes Zeichen für das jeweilige Gegenüber.

„Reg dich ab.“ Inu Yasha warf wohlweislich Pfeil und Bogen seiner Gefährtin zu, um zu verhindern, dass sie erneut auf der Erde landete. „War ja nur ein Vorschlag.“ Abgesehen davon, dass sie das tatsächlich noch nicht versucht hatten, wäre es ein Bild für Götter den Herrn Halbbruder durch die Gegend fliegen zu sehen. Und er hätte etwas, womit er den arroganten Typen die nächsten Jahrhunderte aufziehen konnte.

 

Ohne zu zeigen, dass er eben das Letztere verhindern wollte, machte der Daiyōkai wortlos sechs Schritte, sieben. Kagome blieb stehen. Solange, bis die fünf Meter erreicht waren. Dann flog sie ihm hinterher. Da er sich soeben umgedreht hatte, verhinderte nur seine Armbewegung, dass sie in den Schwertabfangdornen endete und statt dessen auf dem Boden landete.

„Aua!“

„Alles in Ordnung, Kagome?“ Mit einem Satz stand Inu Yasha bei ihr, sparte es sich jedoch ihr die Hand zu geben.

„Ja, vermutlich.“ Sie raffte sich auf. Der Bewegung ihres Schwagers hatte es in sich gehabt, obwohl sie zugeben musste, dass der sich sehr zurückgehalten hatte – und sie davor bewahrt hatte mit dem Gesicht voran seine Schwertabfangdornen kennen zu lernen. Aber war der Kerl stark! „Wenn Sango mit dem Vorräten da ist, könne wir los. - Äh, wie reitet man auf dem Drachen?“ Ja, sie hatte Rin schon darauf sitzen sehen, aber sie war sich definitiv unsicher, wie sie Ah-Un lenken sollte.

Diese Frage brachte den Hanyō dazu zu seinem Halbbruder zu sehen und den wiederum dazu seiner Schwägerin einen jener Blicke zuzuwerfen, die er sich gewöhnlich für sein jüngstes Familienmitglied aufhob – Vollidiot.

Miroku hielt es daher für sinnvoll einzugreifen. „Äh, Kagome-sama, ich vermute Ah-Un wird sich nach der Anweisung seines Herrn richten. Immerhin hat Sesshōmaru-sama ihn ja auch hergerufen.“

Eine einsame Stimme der Vernunft in diesem Chaos! Nun, zwei, denn die Dämonenjägerin brachte einen kleinen Sack mit offensichtlichen Nahrungsmitteln und reichte ihn dieser … miko, half ihr auch wortlos in den Sattel. Nun gut. „Gehen wir.“

 
 

Ein vergesslicher Schmied

I see a bad moon rising,

I see trouble´s on the way

 

C. Clearwater Revival

 
 

Nach nur einigen Minuten beschloss Sesshōmaru, dass das so nicht weiterging. Er lief durch diesen Wald, seinen, hm, Halbbruder an der Seite und hinter ihm tapste der zweiköpfige Drachen mit der Miko drauf. In dem Tempo würden sie wirklich Tage zu dem alten Schmied benötigen. Zeit, die er ganz sicher nicht gedachte in dieser Begleitung zu verbringen. Außerdem – er wandte den Kopf. Es wäre mal nett zu sehen, wie schnell ein halber Mensch querfeldein rennen konnte.

Ohne ein Wort zu verlieren schlang er seine Boa um seine Beine und erhob sich in die Luft. Natürlich kostete das Energie, aber das war es wert seine Nerven zu schonen. Er hörte noch das Schnappen Kagomes, als sich Ah-Un folgsam mit ihm in die Luft erhob, ebenso das empörte Schnauben Inu Yashas.

 

„Er hat recht,“ rief Kagome hinunter, die sich vorsorglich am Sattel anklammerte. „Wir haben es eilig.“

„Keh!“ Aber ihr Gefährte begann unter ihnen zu spurten. Nicht, dass ihm das Tempo viel ausmachte, aber dieser Riesenhundeidiot hätte doch ein Wort sagen können!

 

Nun, immerhin etwas Amüsantes, dachte der Daiyōkai. Jedenfalls war es erstaunlich, dass dieses lästige Menschenweib nicht nur erkannt hatte, was los war, sondern sogar eine Begründung gefunden hatte, die selbst Inu Yasha einleuchtete. Gewöhnlich war ihre Selbstbeherrschung beklagenswert und ihre Impulsivität noch höher als die des Bastards – was schon etwas heißen wollte. Aber mutmaßlich wollte sie als Miko ebenso rasch aus seiner Nähe wie er aus der ihren. Die beiden so gegensätzlichen Energien rieben sich dauernd aneinander. Nicht schmerzhaft, schon gar für ihn, aber doch lästig. Yōki und Reiki waren eben die Gegensätze der Magie.

Der Hanyō konnte ja wirklich weit springen. Nun, für eben einen solchen. Natürlich war es eines Daiyōkai nicht würdig sich über derartige Kleinigkeiten zu belustigen, aber in Anbetracht der restlichen Läge, in die ihn anscheinend irgendein Lebensmüder gebracht hatte, doch unterhaltsam.

 

Kagome hatte unterdessen festgestellt, dass der zweiköpfige Drache sehr ruhig dahin flog. Nun ja, anders hätte es Sesshōmaru wohl auch nie zugelassen, dass Rin schon vor Jahren darauf ritt. Aber so war sie nahe genug an dem Daiyōkai um sein Yōki, das er im Flug deutlicher zeigte, zu spüren. Und das war unangenehm. Sie hatte mehr als noch zuvor auf der Erde das Gefühl als laufe ihr eigenes Reiki wie Flammen über die Haut. Aber in Anbetracht aller Umstände, die irgendein Typ zu verschulden hatte, dem sie einen wohlgezielten Pfeil mit aller Läuterung, die ihr zur Verfügung stand, in den Allerwertesten jagen würde, war das wohl das kleinere Problem. Hoffentlich hatte Tōtōsai eine Ahnung, denn sie wollte wirklich nicht so weiter an ihren Schwager gefesselt sein. Auch, wenn zu erwarten stand, dass der das andersherum genau so sehen würde. Und Inu Yasha war sowieso empört. Dieser Vollidiot, der ihnen das eingebrockt hatte, konnte sich schon mal auf einen unliebsamen Besuch einstellen!

 

Stunden später blieb Inu Yasha schlicht stehen. So sah sich sein älterer Halbbruder fast gezwungen zu landen. Was sollte das? Dort oben auf dem Vulkan hauste doch dieser Schmied? Oder war der Narr genau heute nicht zu Hause?

Die Erklärung folgte allerdings sofort, als Ah-Un mit der sichtlich müden Kagome gelandet war. „Ich habe meine Freunde immer hier gelassen,“ sagte der Hanyō. „Ab hier wird es doch für Menschen zu heiß. Dann gehen wir beide eben ….Nicht?“

Seine Gefährtin glitt von dem Drachen, während ihn der Daiyōkai nur ansah. So, dass der Jüngere vorsorglich zum Schwert fasste.

Daher erklärte sie, irgendwie wohl beiden, da vermutlich ihnen allen Dreien nicht mit einem Duell geholfen war: „Ja, das ist lieb von dir, Inu Yasha, es gibt da nur einen Haken. Du weißt schon, die fünf Meter?“

„Keh! Dann wartet ihr Zwei eben hier und ich hole den Schmiedeopa her!“ Ohne eine Antwort abzuwarten lief er den Berg hinauf, an dem Geysire und Lavateiche nur zu deutlich verrieten, dass hier kein geeigneter Aufenthaltsort für einen Menschen war.

 

Die junge Miko schnappte sich den kleinen Sack mit dem Essen und wollte schon zu dem doch bekannten Bach da hinten gehen, als ihr auffiel, dass auch sie gerade dabei war die fünf Meter zu vergessen. So wandte sie sich um, doch die mörderische Laune ihres Zwangspartners richtig einschätzend. „Ich müsste essen und vor allem trinken....Und, da ist Schatten.“

Das war eine Tatsachenfeststellung, keine Bitte, schon gar nicht die eines Menschen an einen Daiyōkai. Aber immerhin kein hysterischer Anfall. Wortlos machte der Hundefürst einige Schritte. Nicht zu viele, Das sollte reichen.

So ließ sich Kagome im Schatten nieder und guckte nach, was ihr Sango eingepackt hatte. Brot und Gemüse, was diese eben auf die Schnelle gefunden hatte und transportabel war. Erfreut stellte sie fest, dass ihre Freundin sogar an ein Schälchen gedacht hatte, für Sake oder Tee – oder eben auch Wasser. Sehr gut. Dann müsste sie hier nicht wie ein Hund aus dem Bach saufen … Obwohl, ob Sesshōmaru das nicht sogar verstehen würde? Lieber nicht zu ihm gucken. Sie konnte ihn wie eine drohende Gewitterwolke hinter sich spüren. Hoffentlich kam Inu Yasha bald mit Tōtōsai und hoffentlich hatte der eine praktikable Idee. Und, noch hoffentlicher, vergaß der nichts. Er war ja oft hilfsbereit, aber eben ein wenig, sicher dem Alter geschuldet, vergesslich.

 

Tatsächlich kreuzten die Zwei kurz darauf auf, der Hanyō den Berg hinab springend, Tōtōsai auf seinem getreuen, dreiäugigen Ochsen. Der Lachanfall des alten Yōkaischmiedes hatte sich erst gelegt, als Inu Yasha nicht nur mit Tessaiga gewedelt hatte, sondern auch noch darauf hingewiesen hatte, dass sein großer Bruder sowieso in einer Mordsstimmung sei und er nur so weiter machen sollte, falls er es eilig habe zu sterben. Alt oder nicht, dass hatte der berühmteste Schmied aller Yōkai sicher noch nicht vor.

Jetzt stellte Tōtōsai fest, dass tatsächlich nicht nur der Hanyō nervös war, sondern auch Kagome wütend, wie er sie selten gesehen hatte. Ihr Reiki waberte fast um sie, als sie aufstand. Und sein etwas großgewachsenes Hauptproblem wandte sich ihm langsam zu. Auweia. Er sollte rasch eine Lösung finden, sonst war er schneller bei seinem alten Herrn als er „Moe-Moe“ sagen konnte. Wenn der Ältere der beiden Hundebengel ausnahmsweise mal wütend wurde, merkte man es in der Regel daran, dass man plötzlich in der Schlange vor Emna Daio im Jenseits stand. Und er selber hatte sein

Glück diesbezüglich schon ausprobiert, ein zweites Mal würde er kaum entkommen. Überdies war er nicht einmal sicher, ob der Bengel nicht mit dem Meidō damals mit Absicht daneben gezielt hatte. Tote gaben schließlich keine Auskunft.

„Inu Yasha hat mir das Problem geschildert,“ sagte er daher schlicht. „Kagome, Kindchen, komm doch mal her und stelle dich neben den Hunde ...ich meine, neben Sesshōmaru-sama. So, zwei, drei Schritte. Ich werde mir das mal ansehen. Haltet bloß beide still und eure Magien unter Kontrolle, ja?“ Es galt so im Allgemeinen als glatter Selbstmord sich zwischen einen Daiyōkai und eine durchaus talentierte Miko zu stellen, wenn deren Energien schon herumschwappten. Immerhin taten sie ihm den Gefallen und nahmen sich zurück.

 

Kagome sah etwas irritiert, wie der alte Schmied die Hand hob und sie ungefähr in der Mitte zwischen ihnen auf Hüfthöhe senkte. Dann begriff sie allerdings. Etwas Farbiges erschien dort, ineinander verwoben wie ein geflochtener Zopf. Lila, ein Hauch Weiß und überwältigend Orange. „Was ist das?“ hauchte sie. „Der Zauber?“

Inu Yasha hätte nicht um sonst etwas zugegeben, dass er nicht sehen konnte, was offenkundig alle anderen Drei wahrnehmen konnten. Da war es besser ausnahmsweise stillzustehen und den Mund zu halten. Womöglich brachte der alte Zausel alles wieder in Ordnung?

„Ein Daiyōkai,“ kam es von Sesshōmaru, der die magische Verbindung ebenfalls begutachtete.

„Äh, auch, würde ich sagen. Und ich bin sicher, du könntest das lösen, hier diese beiden Stränge in lila. Scheint ein ziemlich magisch talentierter Daiyōkai zu sein. Aber das weiße ...ja, weiße Magie, oder Kagome?“

„Menschliche, meinst du?“ Das sah aus, wie kaum ein Faden innerhalb des komplett geflochtenen Strangs. „Ja, ich denke schon, aber das ist geradezu lächerlich wenig im Vergleich zu der dieses Daiyōkai....“

„Kannst du das lösen?“ fragte der anwesende Daiyōkai nur knapp, durchaus nicht erstaunt, dass sie das sehen konnte. Schon mit Narakus Bannkreisen hatte sie Talent bewiesen. Diesbezüglich.

„Ich denke schon, vielleicht auch den dunklen Bann schwächen....“

„Halt, nein!“ schrie Tōtōsai förmlich auf. „Kami-sama! Nicht immer gleich loshauen. Denkt doch mal nach! Der größte Teil dieses Strangs ist das Orangene. Das ist eine Magie, die mir vollkommen unbekannt ist. Aber das ist der größte Anteil, der alles andere umhüllt, ja, schützt, Wenn ihr jetzt an dem Bann rum fuhrwerkt, weiß doch keiner, was dann passiert!“ Bei seinem Glück war er dann ebenfalls an diese zwei Irren gefesselt, zwischen ihnen!

 

Na schön. Wenn es friedlich nicht ging, dann mit Gewalt. Der Hundefürst wandte sich seiner Schwägerin zu und erntete ein Wimmern des alten Schmiedes, dermaßen gepeinigt, dass er tatsächlich erneut zu ihm sah.

Der war bislang wirklich der Meinung gewesen, dass IHN sein Gedächnis ab und an im Stich ließ. Oder eher noch den Flohgeist. Begann das bei dem ältesten Sohn seines Herrn etwa jetzt schon? Aber da sollte er besser nicht fragen. „Nein, du... denke doch nach. Der Bann geht auf euch beide. Wenn einer von euch stirbt ist es doch sehr wahrscheinlich, dass das auch der Andere tut, oder? Bitte, du musst das doch mal gelernt haben!“

Kagome begriff erst nach dieser Aussage – und anhand der Tatsache, dass Inu Yasha bereits Tessaiga halb gezogen hatte, dass ihr toller Schwager gerade ernsthaft daran gedacht hatte sie der Totengöttin aufzuhalsen. „Na, danke, Sesshōmaru,“ zischte sie daher. „Ich wäre auch lieber woanders, nämlich zuhause!“ Und sie würde herzlich gern auf seine Gesellschaft verzichten!

Besagter Daiyōkai dachte kurz nach, aber leider hatte dieser vertrottelte Alte recht. Ein Bann, der auf mehrere Personen gerichtet war, hatte oft sehr lästige Nebenwirkungen. Brachte er Kagome um, würde ihm das nicht nur ein sinnloses Duell mit dem Bastard bescheren, sondern gegebenenfalls für sein eigenes, mehr als unwürdiges, Ende sorgen. „Nun?“ Und dieser so genannte Schmied sollte in seinem eigenen Interesse eine praktikable Idee haben, woran man diese unbekannte Magie erkennen und natürlich lösen konnte.

 

Tōtōsai dachte hektisch nach. In seinem Alter war er solchen Strapazen nicht mehr gewachsen, aber darauf nahmen natürlich weder die Hundeidioten noch eine wütende Kagome Rücksicht. Überdies steckten da zwei Leute wirklich in der Klemme. Da war die Zündschnur bei allen Dreien erfahrungsgemäß sehr kurz – und er konnte sich ausrechnen, wer als erster als Kollateralschaden daran glauben durfte, wenn die Hundebrüder aufeinander losgingen. Und wie sollte er das dann dem Herrn in der Unterwelt erklären? Die Ewigkeit von einem wutentbrannten riesigen Hund gejagt zu werden, weil man dessen Ältesten im Stich gelassen hatte, …. danke. Das würde wunderbare Alpträume ergeben.

So meinte er zögernd: „Naja, es ist schon eigenartig. Daiyōkai und Mensch in einem Bann, dazu auch noch das Unbekannte. Und das ist wirklich seltsam, so ganz anders. - Es hilft nichts, Sesshōmaru, ihr müsst zum Schloss und deine Mutter fragen.“ Er erkannte, dass da Augen verengt wurden. „Es sei denn, du kennst noch jemanden unter den Lebenden, der sich mit Magie dermaßen gut auskennt.“

Zugegeben, das tat sie, aber so häufig, geschweige denn gern, besuchte der Daiyōkai seine Mutter auch wieder nicht. Allein der letzte Besuch, als sie ihn mehr oder weniger freudestrahlend in die Hölle geschickt hatte, hatte ihm auch gezeigt, warum dem so war.

„Na schön,“ meinte Inu Yasha derweil. „Du weißt ja wohl wo das liegt, oder? Dann gehen wir.“

Tōtōsai fiel fast in Ohnmacht. Das hatte er ja ganz vergessen. Und natürlich bedachte dieses impulsive Hundebaby das auch nicht. „Äh, Inu Yasha, nein, das geht doch nicht....“

„Ach, hat sie was gegen Hanyō?“ kam es prompt aggressiv.

Sesshōmaru überlegte ernsthaft ob seine Mutter nicht doch einmal die einer Daiyōkai würdige Contenance verlieren würde, stünde sie unangekündigt dem Bastard ihres Ehemanns gegenüber. Das würde ihre sowieso kaum vorhandene Hilfsbereitschaft selbst ihrem Einzigen gegenüber auf Null senken. Also doch ein Duell mit diesem Narren. Zu seinem gelinden Erstaunen griff seine Schwägerin ein, mit etwas, was er ihr bislang eigentlich weniger zugebilligt hatte – Vernunft.

„Ich glaube, Inu Yasha, das geht nicht darum ob du ein Hanyō bist oder nicht,“ sagte Kagome versöhnlich. „Sie würde vermutlich auch bei einem vollblütigen Yōkai nicht begeistert sein. Ich meine, immerhin bist du das lebende Beispiel dafür, dass ihr Ehemann auch andere Frauen attraktiv fand. - Abgesehen davon, es ist schlimm genug, dass ich mit … mit deinem Halbbruder dahin muss, aber du kannst das Dorf doch nicht solange allein lassen. Erinnere dich doch, wir haben gedacht, dass dieser blöde Bann auf uns beide gelegt sein könnte, damit ein Angriff erfolgen kann.“

Beides stimmte, dachte Inu Yasha und rieb sich ein Ohr. „Mir gefällt nur nicht, dass du da allein mit dem unterwegs bist.“

Der ältere Halbbruder erkannte die taktische Chance aus doch mittlerweile jahrelanger Erfahrung mit dem ungestümen Bastard: „Pass auf Rin auf!“

Das stimmte, dachte der Hanyō. Sie tauschten ja eigentlich gerade. Er sollte auf Rin aufpassen und Sesshōmaru auf Kagome. Jeder auf das Wertvollste des Anderen. „Du mir aber auch gut auf sie!“ Er hätte seine Gefährtin gern noch einmal in den Arm genommen, aber das verhinderte ja dieser dämliche Zauber. Nun ja, wer auch immer den gelegt hatte, wenn den der Herr Hund in die Klauen bekam, hatte der nichts mehr zu lachen. Sesshōmaru würde den Idioten vermutlich nur deswegen wiederbeleben um ihn noch einmal umbringen zu können. „Naja, dann, macht´s mal gut.“

Kagome lächelte und er wandte sich ab und lief davon.

 

Der alte Schmied seufzte auf. So, sein Untergang wäre schon einmal abgewendet, vorerst. „Äh, dann geht ihr auch? Ich glaube, ihr wollt doch so schnell wie möglich wieder voneinander los?“

„Darauf kannst du Gift nehmen,“ sagte Kagome nachdrücklich und ging, zugegeben vorsichtig, um ihren Sack zu holen. Sie war müde, aber sie sah ein, dass man wohl sich beeilen sollte. Schön, immerhin hatte Tōtōsai ja gemeint, der liebe Schwager dürfe sie nicht umbringen ohne sich selbst damit zu killen, das sollte gewissen Schutz bieten, aber sie konnte sich definitiv etwas Besseres vorstellen, als tage- oder gar wochenlang mit einem angesäuerten Daiyōkai durch die Wildnis zu irren. Sie band den Sack an den Sattel des Drachen, dessen beide Köpfe sich zu ihr drehten. „Ja, schon gut, Ah-Un....“ Sie hatte von Rin erzählt bekommen, dass der Drache Streicheleinheiten liebte. So ging sie vor und kraulte rasch beide Hälse, dann die Köpfe hinter den Ohren. „Sag mal, Sesshōmaru, müssen die eigentlich immer Maulkörbe tragen?“

Tōtōsai unterdrückte einen Hustenanfall, in der weisen Erkenntnis, dass schon einige Leute für harmlosere Anreden gestorben waren – er allerdings, da Kagome durch den Bann geschützt war, als einziger Zeuge auch das einzig Tötbare für den reizbaren Daiyōkai bot.

Dessen Energie flammte auch kurz auf. Nicht nur wegen der Anrede, auch wegen der jähen Erkenntnis wie lange ihn schon niemand mehr in seiner wahren Gestalt hinter den Ohren gekrault hatte. Er verdrängte diese vollkommen absurde Idee eilig und starrte seine widerwillige Begleitung nur an.

„Ja, ja, schon gut.“ Kagome deutete das als „Beeilung!“ und kletterte ein wenig angestrengt auf den Sattel. Ihre Beine taten ihr von dem ungewohnten Reiten doch langsam weh. Dieser Trip konnte ja noch mühsamer werden als mit Inu Yasha in der Anfangszeit, denn sie hatte zum Einen nichts, womit sie den arroganten Hund zu Boden bringen konnte und zum Zweiten … der war fast noch jähzorniger als ihr Hanyō. So schlimm war die Frage doch nun auch nicht gewesen?

 

Tōtōsai hob eilig die Hände, als Sesshōmaru den Blick auf ihn richtete. „Ja,ja, sicher, ich erzähle das nicht rum. Ich bin doch nicht lebensmüde. Außerdem, wer sollte mich schon in meiner Waldeinsamkeit besuchen?“

Da gab es zum einen Myōga und der unselige Flohgeist erzählte gerne Sachen herum. Oder der Schmied, ja, Wald war das Stichwort gewesen, könnte zu seinem alten Freund Bokuseno gehen, Auch dann wüsste es halb Japan in den nächsten Monaten. Andererseits musste man dem Narren zu Gute halten, dass er über die Familiengeheimnisse stets Schweigen bewahrt hatte. Manchmal sogar zu viel, sehe Tessaiga. Aber, wozu an das Reizwort auch nur denken. So wandte er sich ab und stieg erneut in die Luft.

 

Der alte Schmied wartete wohlweislich bis seine Besucher aus seinem Blick geschwunden waren, ehe er zu seinem Ochsen trat. „Was für ein Besuch, nicht wahr?“ seufzte er. „Warum habe ich nur das Gefühl, ich hätte was vergessen? Naja ...“ Er schwang sich auf. „Nach Hause. - Ja, doch das Orange. Dieser fremde Zauber. So lange nichts mehr davon gehört. Aber, das macht sicher auch nichts, Sesshōmaru wird das von seiner Mutter bestimmt auch zu hören bekommen. Aber wundern tut es mich schon, Moe-Moe.“ Er kratzte sich den schütteren Kopf. „Ich dachte, naja, ich hatte es vergessen, ich denke an einen Vampir. Keinen natürlich, der Blut trinkt. Was waren das nur für welche? Sie sollten doch ausgestorben sein? Und vor allem, was würde so jemand mit so einem dämlichen, aber starken, Bann wollen? Das hilft ihm doch nichts. Oder ...naja, aber das wäre schon ziemlich speziell, er will seine Opfer so sauer auf sich machen, dass er ihre Emotionen fressen kann. Selbstmord der sehr eigenen Variante. Aber, was weiß ich armer, alter Schmied schon von Vampiren. Zuhause setzte ich mich ans Feuer und dann irgendwann einmal werde ich mit den Pfeilen beginnen, die jemand bei mir bestellt hat... Die kriegen das schon hin.“

Aber er gab zu, dass er gern als unsichtbarer Beobachter bei dem seltsamen Duo dabei gewesen wäre. Kagome ließ sich ja eigentlich von nichts und niemand den Mund verbieten, dazu war sie aufbrausend. Und der Hundebengel war genau das Gegenteil davon. Und er schätzte es null komma null, wenn ihn jemand von der Seite ansprach. Direkt ins Gesicht, nun, noch weniger. Immerhin war das Hundebaby nicht mit von der Partie, sonst wäre das ja nie was geworden.

Oh, ja, er könnte ins Dorf, zumindest da mal hören was los war. Das mit dem Vampir sollte er Inu Yasha allerdings nicht sagen – der würde das bestimmt nur in den falschen Hals kriegen. Diese Kinder waren alle so ... spontan.

 
 

Eine kleine Wanderung

Seven deadly sins,

seven ways to win

seven holy paths to hell

And your trip begins.

 

Moonchild (Iron Maiden)

 

 
 

Kagome seufzte leise, aber ihr war klar, dass der Kerl, der neben ihr, oder genauer Ah-Un, flog, sicher alles andere als taub war. Sie hatte sich diesen Tag irgendwie komplett anders vorgestellt. War sie wirklich erst heute morgen durch die Umgebung des Dorfes gestreift und halb in Sorge halb zornig über das Ausbleiben von Inu Yasha und Miroku sinniert? Sich vorgestellt, dass sie bei deren Rückkehr für ihren Gefährten kochen würde, dann vielleicht zusammen spazieren zu dem alten Baum … vielleicht zu dem kleinen Teich, kurzum, einen romantischen Abend?

Jetzt hockte sie auf diesem Drachen, die Beine begannen zu schmerzen, sie war müde, hatte Sehnsucht nach einem stillen Örtchen – und zu allem Überfluss befand sie sich in der innigsten Begleitung des falschen Halbbruders. Allerdings war ihr nur zu bewusst, dass der, wie sie ja auch, definitiv Interesse daran hatte, den dämlichen Bann möglichst schnell zu lösen. Um den Verursacher brauchte man sich danach vermutlich keine Gedanken mehr zu machen. Das zweifelhafte Vergnügen auf Bakusaiga und seinen Eigentümer zu treffen überlebte keiner. Naja, einer.

Sie sah wieder geradeaus. Die Sonne näherte sich dem Horizont, was ihr zweierlei sagte: es würde bald dämmern und sie flogen schnurgerade Richtung Westen. Wie weit es wohl noch zu dem Schloss war, in dem Sesshōmarus Mutter arbeitete? Vermutlich als Hofdame? Immerhin hatte der gemeinsame Vater der Halbbrüder ja den Titel eines Taishō, eines Heerführers, getragen, das wusste sie. Und sie wusste auch, dass es im Mittelalter streng bestraft worden war, wenn man ober- oder unterhalb seines Ranges heiratete. So lag der Gedanke daran, dass auch die Mutter, wenngleich hohen Rangs, aber eben dienstbar war, nahe.

Sie sah beiseite. Er wirkte noch immer angesäuert, jedenfalls, wenn man die etwas zusammengezogenen Augen in dem sonst regungslosen Gesicht so deuten wollte. Rin konnte in ihm ja wie in einem offenen Buch lesen und meinte, das sei nicht schwer. Kagome dagegen fand, dass diese eisige Miene sie in ungeheuren Nachteil setzte – sie konnte nicht ahnen, was er dachte. Umgedreht würde es einfacher sein. Schließlich behauptete ja oft genug selbst Inu Yasha, dass ihre Witterung sie schon verriet, ehe es ihr Gesicht anzeigte. Und Sesshōmaru war eben noch näher am Hund... Was half es.

„Die Sonne geht bald unter,“ versuchte sie es und kassierte prompt einen Seitenblick, den sie nur als: sag mir nichts, was ich selbst weiß, deuten konnte. „Äh, ich würde gern noch was essen, bevor es dunkel wird. Und dann auch schlafen.“

Und noch etwas, allzu menschliches, aber das würde sie vermutlich nur im Notfall zugeben, dachte der Daiyōkai. Als ob er nicht lange genug mit einem Menschenmädchen herumgezogen war. Immerhin kreischte sie nicht, weinte nicht, probierte nicht gar ihn herumzukommandieren wie Inu Yasha. Das konnte Dämon honorieren. So nickte er nach vorne.

Die Miko interpretierte das voll guten Willens als Hinweis und sah geradeaus, diesmal allerdings zu Boden. Sie überflogen gerade einige mittelhohe Berge, angefüllt mit dichtem Wald. Aber dort vorne, ja, er hatte recht, entdeckte sie ein Tal mit einem See und einer Lichtung. Das war bestimmt ein guter Rastplatz und sie könnte … müsste … oh du je. Fünf Meter, um sich in die Büsche zu schlagen? Das konnte nur peinlich werden. Und es bot wenig Trost, dass dem Herrn Hund das vermutlich auch zuwider war. Was hatte sich dieser Vollidiot, der diesen Zauber geplant hatte, denn dabei nur gedacht? Wirklich! Wenn Sesshōmaru nicht aufpasste, hatte sie den Kerl geläutert, ehe der Schwager dazu kam sein Schwert zu ziehen!

 

Sie landeten kurz darauf auf der Wiese.

„Nimm die Maulkörbe ab.“ Sesshōmaru wandte sich um und betrachtete den Wald um sie. Das wenige Yōki, das er spüren konnte, verschwand rasch, sei es, dass die Besitzer den Rückzug bevorzugten, sei es, dass sie höflich ihre Energie verbargen. Die Ankunft eines Daiyōkai bedeutete oft genug Ärger und den wollte niemand hervorrufen. So zeigte er seine auch nur weit genug offen um sich zu legitimieren.

Kagome wollte schon auffahren, dass er sie so herumkommandierte, aber dann beschloss sie, dass er es wohl als Gnade empfand ihr den Rücken zuzuwenden. Vermutlich … sie löste den Maulkorb eines Drachens... wusste er sogar, dass sie gleich ein wenig weg wollte. Peinlich, aber irgendwie wohl leider nicht zu ändern. „So, jetzt könnt ihr zwei weiden,“ meinte sie und hängte die Maulkörbe in Ermangelung einer besseren Idee an den Sattel, ehe sie ihren kleinen Sack mit Essen ablegte und hinter dem nächsten Busch verschwand. Tatsächlich, dachte sie dann etwas frustriert, dieser Mistkerl von Hund konnte genau die Distanz abschätzen. Der Bann wurde nicht ausgelöst – aber sie vermutete gerade man so. Es war die weiteste Entfernung, die möglich war. Es war einfach zu ärgerlich, wie dieser Misthund dauernd demonstrierte, wie viel besser als ein Mensch er war. Und das Allerschlimmste, sie machte sich vorsichtig auf den Weg zum See, war, dass er das vermutlich nicht einmal absichtlich tat. Für ihn war das eben normal.

Eine Bannkette, dachte sie, während sie die Hände wusch und trank. Eine richtig schöne Bannkette. Gut, er hatte ihr direkt nichts getan, aber in ihrer momentanen Stimmung hätte sie versucht mit ihm den Marianengraben 2.0 zu erschaffen.

 

Als sie aß, schluckte sie auch ihren Ärger. Es war ungerecht und sie sollte sich wirklich zusammennehmen. Er stand noch immer da, wandte ihr den Rücken zu, was er wohl für höflich hielt. Sie leider nicht. Ihr wurde kalt, als die Sonne fast schon verschwunden war und sie hätte einiges um ein Feuer gegeben. Inu Yasha reichte ihr dann manchmal, oft genug, sein Oberteil oder kuschelte mit ihr. Naja. Kuscheln und Sesshōmaru war wohl nichts. Und sein seidener Haori würde sie nicht einmal wärmen falls er ihn ihr geben sollte.

Was half es. Sie war müde und ihr war nur zu bewusst, dass morgen dieser Trip weitergehen würde. So nahm sie den fast leeren Sack und legte ihn als Kopfkissen zurecht, ehe sie sich mehr oder weniger darauf bettete, die Arme um sich schlug.

Immerhin, dachte sie, muss ich froh sein, dass ich keine Schuluniform anhabe, sondern die Kleidung einer Miko. Das ist doch wärmer. Leider nicht warm genug. Und ab morgen war auch noch das Essen alle. Wenn Sesshōmarus Mutter eine Idee hatte und den Bann lösen konnte, könnte sie die doch bitten ihr Essen für den Rückweg mitzugeben? Und den nicht ganz so lieben Schwager, ihr Ah-Un für den Rückweg zu leihen?

Sie spürte die leichte Erschütterung und öffnete die Augen, nicht erschreckt. Ihr Schlaf wurde bestimmt bewacht und sie glaubte, dass nur ein Lebensmüder sich an ein Lager wagen würde in dem Sesshōmaru herumstand. So war sie leicht überrascht, dass sich der zweiköpfige Drachen neben ihr niederließ.

„Ah-Un? Auch müde?“

Statt einer Antwort spürte sie einen Drachenschwanz, der sie behutsam, aber unnachgiebig zu dem Körper schob.

„Oh, danke.“ Die Wärme, die der Bauch ausstrahlte, tat gut. Und sie wurde von einem dicken Schwanz auch noch zugedeckt. Das war Fürsorge, aber irgendwie kamen ihr die Tränen, wenn sie daran denken musste, dass die Fürsorge ausgerechnet eines Drachen das Einzige war, was ihr gerade geblieben war. Sie wollte nach Hause.

 

Der Daiyōkai blickte in die Dunkelheit. Immerhin musste er der Schwägerin eines zugestehen – sie hatte aufgepasst die Distanz zu wahren. Es wäre doch überaus unangenehm für beide Seiten geworden, wäre sie im falschen Moment auf ihn zugeflogen. Das hätte womöglich doch in Aufruhr enden können.

Hm. Fliegen. Wenn sie weiterhin so flogen, würden sie morgen gegen Mittag die Grenze erreichen und damit den Bannkreis, der das Schloss schützte. Es war nur zu höflich dort zu warten, das hatte ihm Mutter schon vor langer Zeit beigebracht. Seine Schwanzwurzel schmerzte noch heute bei der Erinnerung an scharfe Zähne, die ihn daran getragen hatten. Das ergab eine kleine Schwierigkeit. Würde er auch morgen fliegen, käme er mit ein wenig gesunkener Energie an. Das könnte haha-ue als Schwäche deuten und, wenn sie eines nicht leiden konnte, dann, wenn ihr Einziger keine Perfektion in allen Dingen zeigte. Ergo, ihre Hilfsbereitschaft senken. Es wäre also ratsam im vollen Besitz aller Kräfte dort auf sie zu warten, wenn er schon in dieser Gesellschaft erschien.

Also laufen. Nun, das bot für ihn kein Hindernis, aber ob das Kagome schaffen würde? Vermutlich schon. Sie war keine verweichlichte Prinzessin, sondern zog seit Jahren mit dem.....nun, mit Inu Yasha durch die Lande. Sie sollte also etwas aushalten, Mensch hin oder her. Also würde er den Drachen wegschicken...

Er wandte den Kopf. Nicht wirklich, oder? Kaum war Rin nicht da, suchte sich dieses zweiköpfige … den nächsten Menschen zum Kuscheln. Was auch immer diese Schneehexe damit bezweckt hatte, die ihm den verkauft hatte. Sicher, sie hatte nur beteuert der Drache sei gehorsam und pflegeleicht, überdies ein guter Wächter und könne Feuer spucken. Das stimmte alles. Und, wenn er es recht überlegte, hatte die yuki onna es vermutlich verabsäumt dem jüngsten Teil ihr Zucht einen Menschen zum Kuscheln zu geben, ergo keine Ahnung von dieser Marotte haben können.

Ein Kopf des schlafenden Drachen öffnete die Augen und sah ihn an.

Ja, schön, sollten die beiden da schlafen, es würde ja auch reichen den im Morgengrauen wegzuschicken. Immerhin fror die Miko nicht mehr. Eine Lungenentzündung, oder wie man das nannte, wäre auch überaus unpraktisch geworden, betrachtete man einen schwächlichen menschlichen Körper und die kleine Tatsache, dass vermutlich ihrer beider Leben aneinander gebunden war.

Es war nur eine logische Entscheidung.

So blickte er wieder in die Dunkelheit und entdeckte ein paar rote Augen, deren Besitzer sich freilich rasch entschloss im Nichts zu verschwinden.

 

Als Kagome im Morgengrauen das erledigt hatte, was sie selbst vor sich als „Frischmachen“ bezeichnete, stellte sie überrascht fest, dass der Drache nicht mehr da war. Sie hatte am See getrunken und wollte eigentlich frühstücken, sah sich nun aber suchend um. „Ah-Un?“ War der freundliche Drache etwa auch etwas zu essen suchen?

Ihr Schwager, der noch immer wie angewurzelt dastand und ihr den Rücken zudrehte, gestattete ihr einen Blick auf seine Silhouette, als er den Kopf wandte.

 

Sie holte Atem. „Er ist weg? Du hast ihn weggeschickt?“ Da das offensichtlich keiner Antwort bedurfte holte sie erneut tief Luft. Der nette Kerl, ihr Reittier, ihre Hilfe ...und der Vollidiot von Hund schickte den weg? Für was hielt der sich eigentlich? „Was soll der Blödsinn denn? Er ist so nützlich und....“

Oh oh. Den Blick konnte sie abschätzen. Sie war gerade in etwas gehüpft, das mit Fettnapf noch freundlich umschrieben war. Und zwar einen der Sorte: du hast Glück, dass ich dich momentan nicht umbringen darf ohne selbst drauf zu gehen. Tja. Und damit war auch die Frage beantwortet für was sich dieser Riesenhundeidiot hielt. Er hielt sich für einen Daiyōkai, und sowohl Inu Yasha als auch Sango hatten ihr unabhängig voneinander gesagt, dass das so etwas wie ein Daimyo unter Menschen sei, ein Fürst. Super.

Und der Herr Fürst schätzte ganz offensichtlich keine Kritik, schon gar nicht von einem Menschen – die Art, die für ihn vermutlich so gleich nach Asseln kam. Leider kannte sie ihn gut genug, um zu wissen, dass zwischen: ich darf dich nicht umlegen und ich kann dir Schmerzen zufügen eine ganze Welt an Möglichkeiten lag. Sie hatte mit eigenen Augen schließlich gesehen, wie er Inu Yashas Innereien durchwühlt hatte. Der hatte überlebt, aber sie war kein Hanyō und außerdem tat das mit Sicherheit weh.

Schön. Sie sollte einen Weg finden mit diesem unkommunikativen Eisblock zu verhandeln. Leider hatte sie nur zwölf Stunden in der Schule Konfliktmanagement gehabt. Verständnis zeigen, auf die andere Seite zugehen. „Schau, ich verstehe ja, wenn du nicht mehr fliegen willst, warum auch immer. Aber es wäre wirklich hilfreich, wen du mir einfach sagen würdest, was los ist.“

Hielt sie ihn für so schwach? Na gut, er wollte nicht mehr fliegen. Aber das ging sie nun gar nichts an. „Folge meiner Anweisung.“

Das war nun eindeutig zu viel. „Nein. Nicht ohne Erklärung!“

Die Anzahl an Personen, denen gegenüber er sich rechtfertigen musste, waren seit Vaters Tod auf eins beschränkt. So drehte er sich um.

Kagome, die das als gewisse Drohung empfand, stemmte rebellisch die Hände in die Hüften. „Nein, so nicht. Wir sind aneinander gebunden, ja, Das gefällt uns beiden nicht, auch klar. Aber es bringt auch nichts, wenn wir uns streiten. Wie müssen zusammen arbeiten, jedenfalls solange, bis dieser bescheuerte Bann weg ist. Das musst du doch einsehen, Herr Stratege!“ Irgendetwas sollte er doch von seinem Vater gelernt haben, der immerhin ein recht fähiger Feldherr gewesen war, wenn man Myōga Glauben schenkte.

Sie mochte recht haben, aber wo kam Daiyōkai hin, wenn man sich von einer Miko Vorschriften machen lassen würde? Und, noch ein Problem. Wenn sie in dem Tonfall mit haha-ue redete, wäre jede Chance auf Hilfe dahin. „Wahre die Höflichkeit,“ war das Äußerste an Zugeständnis. „Mir gegenüber und gegenüber meiner verehrten Mutter.“ Er bemerkte, wie ihre Augen groß wurden. War das etwa schon ausreichend? Er hätte sie eher stur wie ein Muli eingeschätzt. Aber in den letzten Stunden war da immer wieder etwas wie Vernunft aufgeblitzt.

 

Ihre Gedanken hätten ihm nicht gefallen.

Sei höflich gegenüber meiner verehrten Mutter? Als ob sie je unhöflich war! IHRE Mutter hatte sie jedenfalls gut erzogen! Aber, Sekunde mal. Höflichkeit gegenüber seiner Mutter extra einzufordern, konnte nur eines bedeuten. Der ach so tolle Herr Hund, erwachsen und ein Daiyōkai, kuschte vor Mami. Na, klasse, Schwager, dachte sie. Du bist gerade offiziell peinlich.

Sie spürte den Anstieg des Yōki, sah die elegante Handbewegung, noch ehe sie ein „Iks“ herausbrachte. Und dann stieg der Geruch nach Grillfleisch in die Nase. Hm? Sie wandte den Kopf. Keine zwei Meter hinter ihr befand sie ein schwarzer Fleck im Gras, der noch rauchte – und dem eindeutig der Geruch nach gebratenem Fleisch entstieg. Irgendetwas oder besser, irgendwer, hatte sich von hinten an sie angeschlichen. Rettung, ja. Und gleichzeitig auch eine vage Andeutung, warum sie besser daran tat nicht mit ihm zu diskutieren. Der Kerl würde sie noch in den Wahnsinn treiben. Aber, ja, höflich war etwas. Und sie würde ihm beweisen, dass Menschenfrauen höflich waren! Im Gegensatz zu gewissen Hundeyōkai. „Danke.“

Nun, immerhin. „Gehen wir.“

Das hieß leider ohne Frühstück, aber es wäre taktisch vermutlich unklug gewesen ihn weiter zu reizen. Kagome hielt sich für impulsiv und mutig – aber für keine latente Selbstmörderin.

 

Auf der weiteren Wanderung sank die Laune bei einem Teil des widerwilligen Paares immer weiter. Kagome spürte es nur zu gut. Erstens war es schlimm genug, dass sie den kargen Rest ihres Essens im Gehen zu sich nehmen musste, zum zweiten ärgerte es sie, dass sie wie ein Dienstmädchen hinter ihm gehen sollte. Sie war doch nicht Jaken! Sie ging auch neben Inu Yasha oder Sango … allerdings musste sie zugeben, als sie den fast leeren Sack, das Schüsselchen befand sich noch darin, in der Ärmeltasche verstaute, dass hier ein Nebeneinandergehen schwierig wäre. Der Wald war dicht und Sesshōmaru schien einer Art bekanntem Pfad zu folgen, den sie beim besten Willen nicht entdecken konnte.

Naja, wenn seine Mutter hier in der Gegend lebte, war das wohl der Wald seiner Kindheit? Sie versuchte sich vorzustellen, wie ein kleiner, weißer Welpe hier durchtollte, aber das war sehr schwierig. So steif, ja, arrogant, wie der immer rüberkam, versagte ihre Phantasie dabei ihn bei Kinderspielen zu sehen. Überdies hatte sie genug Ahnung vom Leben im Mittelalter, um zu wissen, dass Söhne aus vornehmen Familien schon früh mit dem Kampftraining beginnen mussten. Überhaupt mit der Ausbildung. Und, wenn sie sich so an die Kämpfe erinnerte, die sie gesehen hatte, so war ihr stummer Begleiter ein erfahrener, analytischer Fechter, der das ganz sicher von ebenso erfahrenen Trainern beigebracht bekommen hatte.

Apropos still. „Wie weit ist es noch, Sesshōmaru?“ Keine Antwort, nicht einmal eine Kopfdrehung. Sie seufzte. „Schön, ich formuliere anders. Bekomme ich heute Abend was in dem Schloss zu essen?“

Die Vorstellungskraft des Daiyōkai versagte, als er sich ausmalte, wie diese Bitte bei seiner Mutter aufgenommen werden würde. Er sollte das Übelste verhindern. „Es ist ein Schloss der Yōkai. Keine Menschennahrung.“ Diese Frau kam vielleicht auf Ideen! Zugegeben, sie hatte nicht die mindeste Ahnung, wohin sie gingen und wen sie da treffen wollten.

Sie hatte glatt eine Antwort bekommen! Anscheinend musste sie nur aufpassen, wie sie was formulierte. Vielleicht kamen sie doch miteinander aus, solange der Zauber anhielt. „Dann werde ich mir wohl unterwegs was suchen müssen.“

Ja, das wäre ratsam. Immerhin. Solange er ihr Informationen gab, schien sie im Augenblick zumindest auch bereit zu sein sich anzupassen. Hoffentlich, auch, wenn etwas zu hoffen natürlich seiner unwürdig war, wäre er den Bann und damit Kagome heute Abend auch wieder los. Und dann würde er sich auf die Suche nach diesem unsäglichen Daiyōkai machen, der den Zauber gelegt hatte. Vermutlich sogar aus Versehen, denn niemand bei klarem Verstand band doch eine Miko an einen Daiyōkai. Dennoch: das wäre dessen letzter Fehler.

 

 
 

Ein mütterlicher Rat

Tombstone shadow, stretching across my path

Tombstone shadow, stretching across my path

Every time I get some good news, ooh

There's a shadow on my back

 

Cleardance Clearwater Revival, 1969

 

 
 

Das Laufen durch den dichten Wald war ermüdend, lästig und ärgerlich.

Fand jedenfalls der menschliche Part des widerwilligen Duos und starrte den vorausgehenden Sesshōmaru an. Das war einfach unfair! Der schritt durch das Unterholz, die Haare wippten ein wenig im Takt, die Boa, aber das war es auch schon. Ihm klebte der Stoff der Hakama nicht an den Beinen, wie bei ihr, der Mistkerl schwitzte nicht, nicht ein Staubkorn berührte die weißen Hosen, geschweige denn dass ein Blatt seine Boa belästigte. Von den Dornen so einiger Ranken mal ganz zu schweigen, die sich bei ihr immer wieder in die Kleidung bohrten und von denen sie sich in zunehmendem Zorn befreite, zumal, wenn sich die als Ziel auch noch ihre Haare aussuchten.

Wie machte der Misthund das nur? Yōkai, klar.

Aber es war und blieb unfair! Außerdem bekam sie durch die lange Wanderung und die Hitze langsam mehr als Durst und das sollte er eigentlich wissen. Wieso hatte er ... Nein, das konnte sie sich sparen. Sie waren schon länger nicht einmal an einem Bach vorbeigekommen, Und, die Erwiderung auf diese Frage war Kagome klar. Auf, in seinen Augen, überflüssige Fragen würde sie unter Garantie keine Antwort erhalten. Abgesehen davon, dass dieser Daiyōkai, dem sie hier hinterher trotten durfte, was der vermutlich sogar auch noch für großzügig hielt, sowieso nicht der Gesprächigste aller war. Kōga redete deutlich mehr, Aber okay, der war auch kein Daiyōkai. Oder?

Sie wusste da wirklich nicht viel davon, irgendwie hatte sich dieses Problem ihr nie gestellt. Aber Kōga war doch von den Ahnen ausgewählt worden, konnte also auch nicht so ganz vom letzten Haken sein. Inu Yasha hatte zu dem Thema ja auch nicht gerade viel gesagt, aber der reagierte immer noch sauer, wenn die Rede auf den Wolf kam. Eifersüchtig, ja, das war ihr Hanyō diesbezüglich. Und vermutlich war er das auch jetzt auf seinen Halbbruder, obwohl das natürlich völliger Quatsch war. Erst einmal überhaupt und zweitens – selbst Rin, die da nun wirklich eine Ausnahmestellung inne hatte, konnte sich noch genau an die wenigen Male erinnern, in denen Sesshōmaru sie berührt hatte. Der ach so tolle Hundefürst würde sich vermutlich lieber von der nächstbesten Klippe stürzen als sie selbst auch nur anzufassen, geschweige denn mehr.

Trotzdem, beschloss sie in einer Aufwallung von Stolz. Sie sollte zeigen, dass er mit ihr rechnen musste, genauer, mit gewissen menschlichen Schwächen. Naja. So anfauchen wie sie es bei Inu Yasha schon längst getan hätte, würde hier definitiv nichts bringen, schon gar keine nette Versöhnung anschließend.

Also, Kagome, pass auf, was du wie sagst.

Dass er Skrupel haben würde sie zu strafen, bezweifelte sie, wusste sie doch, wie er mit Jaken umzugehen pflegte. Abgesehen davon, dass sie ebenso vermutete, dass der feine Herr das Wort Skrupel nicht einmal vom Hörensagen kannte. So zählte sie in mehreren Sprachen bis zehn um sich abzuregen, ehe sie meinte: „Du weißt sicher, dass ich Durst habe. Gibt es auf dem Weg zum Schloss eine Gelegenheit zum Trinken und Erfrischen? Ich möchte nicht vollkommen erschöpft in einem Yōkaischloss eintrudeln.“

Der Daiyōkai blieb stehen und drehte langsam den Kopf. So langsam, dass Kagome sich überlegte, was denn nun schon wieder falsch gewesen war. Sie hatte doch mit der Ausdrucksweise aufgepasst? War der Kerl schwierig.

 

Tatsächlich war Sesshōmaru etwas wie überrascht. Erstens besagte ihre Formulierung völlig korrekt, dass er mitbekommen hatte, dass sie Durst hatte. Nun, gewisse Müdigkeit war kaum zu überriechen, aber sie beklagte sich nicht oder jammerte herum wie Jaken. Zweitens war ihre Aussage, sie wolle sich seiner Mutter nicht erschöpft präsentieren, nur vernünftig und entsprach seiner eigenen Absicht. So meinte er schlicht: „Es gibt einen Bach. In zwei Stunden.“

„Fein.“ Puh. Offenkundig lernte sie, wie sie mit dem Herrn Hund umzugehen hatte. Aber das konnte ja echt noch lustig werden. Hoffentlich würde seine Mutter diesen blödsinnigen Bann lösen können. Noch zwei oder drei Tage mit diesem Idioten und sie wäre reif für die Insel.

Sie bedachte nicht, dass man mit manchen Wünschen vorsichtig sein sollte.

 

Tatsächlich blieb Sesshōmaru nach zwei Stunden auf einer mit Gras bewachsenen Ebene stehen. Vereinzelte Bäume boten Schatten, der jetzt am Nachmittag schon lang genug war, um der Sonne zu entgehen. Kagome, die mehr als müde war, erkannte erleichtert einen Bach, der keine zehn Meter links von ihnen in einen Teich floss. Und direkt daneben auch noch ein wunderbarer, großer, Schatten spendender Baum. Ihr Wunschtraum der letzten Stunden! Sie wollte schon los, ehe sie bedachte, dass das weiter als fünf Meter waren.

„Äh, Sesshōmaru?“ Moment mal. Der zeigte doch sein Yōki offen? War etwas los? Alarmiert ließ sie unwillkürlich den Bogen von der Schulter gleiten.

Eine Geste, die ihr tatsächlich eine gewisse Honorierung einbrachte. Kampffähig war diese Miko ja, und sie bewies einen gewissen Mut. Was sie eigentlich wollte war auch nicht schwer zu verstehen. So machte er wortlos einige Schritte zu dem Bach, ehe er erneut zum Himmel aufsah.

 

Sie schloss daraus, dass wohl keine Gefahr bestand. Vielleicht waren sie schon so nahe am Schloss, dass er zeigen wollte, wer da ist? So eine Art Klingeln in Yōkaimanier? Egal. Sie kam jedenfalls in den Schatten und zum Wasser. Erleichtert ließ sie sich in das Gras sinken und wusch sich erst einmal Gesicht und Hände, ehe sie die kleine Schüssel herausholte um zu trinken. Pause. Sie hatte lange nicht mehr erfahren wie angenehm das war. Inu Yasha nahm da doch immer viel mehr Rücksicht auf sie, trug sie ja auch oft genug. Aber, das musste sie zugeben, wo kein Wasser war, konnte man eben auch nicht trinken. Sie blickte sich um. Der Hundeyōkai stand ja noch immer da und guckte hoch. Was …? Aber das war wohl die Erklärung. Yōki, das sich rasch näherte. Also hatte er wohl geklingelt.

 

Sie stand auf und verstaute eilig das Trinkgefäß im Ärmel und strich sich ein wenig die Haare glatt, unwillkürlich bemüht einen guten Eindruck zu machen. Oh, ja. Mit gewissem Erstaunen, oder auch Faszination erkannte sie am Himmel die Quelle des Yōki. Ein großer weißer Hund, Sesshōmaru in seiner wahren Gestalt nicht unähnlich, aber viel zierlicher, kam heran geflogen, setzte zur Landung an. Zierlich oder nicht, als die Pranken in den Boden schlugen, spritzen die Grassoden. Und das Yōki war auch... Nun ja. Das war sicher kein Irgendwer.

Kagome machte jedoch instinktiv zwei Schritte näher zu ihrem Schwager, als sie ein erneuter Schwall dämonischer Energie traf, allerdings, wie sie sofort erkannte, nur der Verwandlung geschuldet. Aus dem Hund wurde eine Frau, sehr hübsch, wie die Miko nicht ganz objektiv befand, zierlich. Um den Saum des blauen Kimono und ihre Schultern lag weißes Fell. Eine Hundedame, eindeutig. Und sie hätte nicht die Mondsichel auf der Stirn sehen müssen, um zu wissen, dass das die Mutter ihres Schwagers war, die Frau also, die sie treffen wollten. Und das war ganz sicher auch eine Daiyōkai. Mit jeder einzelnen Lage dieses seidenen Gewandes hätte man zumindest unter Menschen ein ganzes Dorf kaufen können. Irgendwie sah sie allerdings nicht viel älter als ihr Sohn aus, aber ehe Kagome noch in die Versuchung kam ihr ins Gesicht zu starren und nach Fältchen zu suchen, rief sie sich die Höflichkeitsregeln ihrer eigenen Mutter in Erinnerung und guckte lieber den bestickten Obi an. Auch sehr kunstvolle Arbeit, sehr fein gestickt.

 

„Sesshōmaru,“ lautete auch nur die Begrüßung, mit einem missbilligenden Blick zu der menschlichen Miko.

Kagome wollte schon Luft holen um etwas dazu zu sagen, wie zum Beispiel, dass das ja wohl nicht gerade ihre Idee gewesen war, als er antwortete. „Haha-ue.“

„Mir scheint, du kommst immer mehr nach deinem Vater.“

Das war sicher nicht als Lob gemeint und so versuchte er das Problem vorzustellen. „Kagome.“ Zu seinem gewissen Bedauern nahm das die Schwägerin nicht als Vorstellung, sondern als Aufforderung, dass sie das erklären sollte. Nun ja, sie kannte seine Schweigsamkeit. Hoffentlich machte sie jetzt nichts falsch. Vor Mutters Ohren würde er nie eine ausgesprochene Anweisung widerrufen oder erklären, das tat ein Fürst nicht.

 

Kagome verneigte sich höflich, wenngleich ohne Ahnung, wie die korrekte Anrede lauten würde. Verehrte Mutter von Sesshōmaru konnte sie ja schlecht übernehmen. Aber, wenn der Kerl, der sonst alles dermaßen herablassend duzte, wie es die japanische Sprache nur hergab, schon so höflich blieb, war es wohl ratsam. Ihre Annahme vor wenigen Stunden, er sei schlicht ein Muttersöhnchen, konnte sie wohl von der Energie und der Kleidung her streichen. Das war jemand mehr als hohen Ranges.

„Meine Wenigkeit ist Kagome, und ich bin die Gefährtin Inu Yashas. Leider hat irgendein... irgendjemand einen Zauber gelegt, der mich ...oder genauer, uns beide hier aneinander fesselt. Wir können uns nicht mehr weiter als fünf Meter auseinander bewegen.“

Da die Dame sie ähnlich sachlich-kühl wie ihr Sohn gestern musterte, bekam sie das Gefühl sie müsste erklären, warum sie noch am Leben war. Ihn zu verteidigen, dass er mal nicht zur Methode Mord gegriffen hatte, hätte sie auch nie geglaubt. Wie hieß es so schön? Reisen bildet?

„Sesshōmaru hat bereits erwogen mich umzubringen, aber Tōtōsai, der alte Schmied, der den Bann schon gestern begutachtete, meinte, wenn einer von uns stirbt, dann auch der andere. Und es sei der Zauber eines Daiyōkai, etwas Menschliches und etwas sehr Unbekanntes, von dem nur Ihr etwas wissen sollt.“

War das jetzt höflich genug gewesen? Im Bemühen zuvorkommend zu erscheinen, irgendeinen hilfreichen Tipp abzugeben, fügte sie hinzu: „Ich habe wenig Ahnung, aber vielleicht wäre es möglich im Schloss auch eine Bibliothek aufzusuchen ...ich meine, wenn Euer Gebieter zustimmt....“ brach sie verlegen ab, nur um zu erleben, wie ihr Reiki in ungeahnte Höhen schoss, eindeutig um sie zu schützen, denn sie erkannte nicht nur an zwei Paar eisigen Augen, sondern auch an der Menge des Yōki, die plötzlich um sie waberte, dass sie gerade in einem Fettnapf badete, der die Größe des Chinesischen Meeres hatte. Instinktiv wich sie zurück, zwei, drei, vier, lieber weitere Schritte. Einen Schritt zu viel. Postwendend wurde der Bann ausgelöst und sie flog auf Sesshōmaru zu, der sich schlicht beiseite drehte.

 

Der Aufprall auf den Boden tat weh und es war Schmerz und Demütigung, die sie sich tränend aufrichten ließen. Noch immer starrten beide Daiyōkai sie an, als sei sie etwas, das gerade aus der Kanalisation gekrochen kam. Was war denn nur...

Ach du je. Daiyōkai. Sie erkannte entsetzt ihren Gedankenfehler. Wenn das einem Fürsten entsprach und Sesshōmaru ergo ein Hundefürst war, oder korrekter, vermutlich DER Hundefürst – war seine Mutter sicher keine Hofdame, sondern als Fürstenmutter die Nummer Eins, wenngleich vielleicht auch nur in der weiblichen Rangfolge. Und dass bedeutete auch, wenn der Vater der Taishō gewesen war, der Inu no Taishō, war der vermutlich nicht nur der Heerführer gewesen. Taishō konnte auch General bedeuten, oder eben Anführer. Kurz, Sesshōmarus Eltern waren jeweils unter den Männchen und Weibchen der Hunde die Alphas gewesen. Was dazu führte, dass ihr Schwager vermutlich ja nun der Ranghöchste... Kurz, er wäre vermutlich da der Schlossherr oder zumindest die Dame.

Oh du liebe Zeit. Sie blieb lieber erst einmal sitzen und starrte mit glühenden Wangen in das Gras. Selbst im 21. Jahrhundert galten Verstöße gegen die Rangordnungen als extrem unhöflich, im Mittelalter wurde das auch unter Menschen deutlich strenger gehandhabt und unter Yōkai.... Sie ordnete lieber verlegen ihre Pfeile im Köcher und streifte sich den Bogen über. Bei dieser Gelegenheit fiel ihr Blick auch auf den blütenweißen Fellrand unten am Kimono der Hundedame. Dieses Fell berührte keinen Grashalm, nicht einmal ein Stäubchen, und bewegte sich ganz offensichtlich unter der eigenen Energie der Daiyōkai. Ja, da spielte wer eindeutig in der Klasse des Schwagers.

 

Sesshōmaru beschloss das eigentliche Problem wieder anzugehen und die Miko zu ignorieren. Immerhin schien ihr klar zu sein, dass das unsinnig gewesen war. „Magie eines Daiyōkai, eines Menschen und jemand Unbekanntem.“

Seine Mutter neigte ein wenig den Kopf zur Seite. „So unbekannt, dass selbst der Schmied ihn nicht erkannte.“

Beide nahmen ihre Energien wieder zurück, zur gewissen Erleichterung Kagomes, die sich bemühte auch ihr Reiki wieder im Zaum zu halten. Was sie wirklich nicht brauchte wäre Ärger mit gleich zwei Daiyōkai, zumal mit Inu Yasha weit weg.

Das bedurfte keiner Antwort, beschloss der Sohn.

Die Hundedame strich ein wenig die Boa um ihre Schultern glatt. „Steh auf, Miko.“

Kagome gehorchte prompt, wenngleich mit etwas zitternden Beinen, was nicht nur von dem harten Aufprall kam. Wie bei Tōtōsai stellte sie sich neben ihren Schwager, dessen Mutter die Hand etwas hob.

Doch wo bei dem Schmied ein verwobener Zopf erschienen war, bildete sich hier zwischen den beiden Betroffenen etwas wie eine geschichtete Wand, die vom Boden bis zu den Schultern reichte. Auch hier zeigten sich allerdings die Farben in Lila, Weiß und leuchtendem Orange, Orange als Umrahmung.

Die Dame musterte die Magie intensiv und weder ihr Sohn noch Kagome bewegten sich oder redeten. Zu deutlich war die Konzentration. Endlich hob sie erneut die Hand und die Wand verschwand. „Ein altes Problem. Ich dachte, sie sind ausgestorben.“

„Sie werden es sein,“ erwiderte Sesshōmaru schlicht.

Kagome wollte schon fragen wer, aber fand es nach ihrem Faux-pas zuvor besser den Mund zu halten.

„Der Bann des Daiyōkai ...“ Die Dame lächelte fein. Natürlich würde das für ihren Einzigen keine Schwierigkeit darstellen, ebenso wenig wie der schwache menschliche Zauber. „Der Bann des Vampirs schützt die anderen Magien. Und es gibt nur eine lebende Person, die sich mit den Energievampiren auskennt. Tanjeri-sensei.“

„Wo?“ kürzte ihr Sohn ab.

„Im Jenseits.“ Sie erntete sowohl von Sesshōmaru als auch Kagome den gleichen ungläubigen Blick und erlaubte sich ein erneutes sanftes Lächeln. „Er lebt im Jenseits, in seiner eigenen magischen Welt. Ich kann euch dorthin schicken. Allerdings nicht mehr zurück holen. Das liegt dann bei ihm.“

Sie legte eine Klaue an das schwarze Medaillon auf ihrer Brust.

Kagome spürte zum ersten Mal etwas ähnliches wie bei einem Meidō Zangetsu. Konnte diese Hundedame so etwas, nur in weiblich, mit Kette und Medaillon? Sie sah fragend beiseite.

Sesshōmaru deutete den Blick als Anfrage, ob sie beide diesen Tanjeri aufsuchen sollten. Mussten sie wohl, erkannte er resigniert. Und, was ihn stutzig machte – sensei, Lehrer oder Meister. Er konnte sich beim besten Willen nicht entsinnen, wann haha-ue nicht nur sich Namen gemerkt hatte, sondern auch noch eine solche ehrenvolle Bezeichnung verwendet hätte. Dieser Zauberer musste in einer eigenen Liga spielen. „Öffnet den Weg.“

„Ein Rat deiner liebenden Mutter: falls Tanjeri-sensei dir helfen will – bringe danach nicht nur den Vampir um, der diesen Bann schuf.“

„Sie werden ausgestorben sein.“

 

Wunderbar. Hier wurde über Morde diskutiert wie bei anderen Leuten welche Gemüse in die Suppe kämen. Rat einer liebenden Mutter? Kagome seufzte allerdings nur leise. Sie hatte durchaus mitbekommen, dass es da ein „falls“ geben würde. Vermutlich würde dieser Tanjeri Bedingungen stellen. Und ein Kerl, der in seiner eigenen magischen Welt im Jenseits lebte, hatte vermutlich so einiges auf der Pfanne. Leider gab es keine Alternative – nun, die, bis an ihr Lebensende nicht mehr weiter als fünf Meter von Sesshōmaru entfernt zu sein. Er würde sie beschützen, ja, sein eigenes Leben hing daran, aber ...Ja, aber. So sah sie erneut zu ihm, erkannte, dass auch er keinen anderen Ausweg sah. Und immerhin, sie war ja schon das eine oder andere Mal in der anderen Welt gewesen und immer zurück gekommen. Was sollte diesmal schon anders sein. Ja, gut. Mensch, Miko, durfte ja hoffen.

Sie erkannte, dass sich neben ihr eine dunkle Scheibe öffnete, spürte die durchaus bekannte Kälte der anderen Welt. Was sollte es. „Vielen Dank,“ sagte sie nur noch, ehe sie den Sprung ins Nichts machte.

Mutig war sie ja tatsächlich, dachte Sesshōmaru noch, bevor er sich ihr notgedrungen anschloss.

Die Hundedame wartete, bis sich das Portal geschlossen hatte, ehe sie die Hand sinken ließ. Leider würde sie in diesem Fall keinen Blick darauf werfen können, wie es ihrem Einzigen erging.

 

Der Sprung in die Dunkelheit erinnerte Kagome an ihre Reisen durch den Knochenfressenden Brunnen. Auch hier waren einzelne Lichtpünktchen zu erkennen, es war wie ein Fall, aber dennoch in eine Richtung und unwillkürlich streckte sie die Arme aus.

Und fühlte sich prompt am linken Unterarm gepackt. Erschreckt wollte sie sich schon wehren, ehe sie die Streifen am Handgelenk der Klaue erkannte, Sesshōmaru hielt sie. Anscheinend verspürte er keine Lust, dass der Bann hier in diesem Übergang ausgelöst wurde, mit womöglich unvorhersehbaren Konsequenzen, das gab sie zu. Und, es fühlte sich ein kleines bisschen sicherer an, mit demjenigen quasi fast Hand in Hand in das Jenseits zu kommen, dessen Klinge die dortigen Wesen zumindest abschrecken konnte.

 

Etwas wie Helligkeit zeigte das Ende des Sprunges, dann spürte sie einen Riss am Arm, ehe sie abgefangen wurde und relativ sanft auf etwas aufkam, was sie an schwarzen Sand erinnerte.

Der Daiyōkai ließ sie prompt los, blieb aber kampfbereit stehen, die Hand an Bakusaiga, und blickte sich wachsam um.

„Danke,“ sagte sie dennoch und sah sich ihrerseits deutlich unbehaglicher um. Es schien ein Meeresstrand zu sein, zumindest ein großes Gewässer, der Strand aus schwarzem, grobkörnigem Sand, der Himmel schiefergrau, hinter ihnen stiegen steile, schwarze, Berge auf. Kein Grün war zu sehen, kein Laut war zu hören.

„Ungemütlich,“ flüsterte sie. Vor ihr – das war doch kein Wasser? Es war viel zähflüssiger, bildete aber kleine Wellen. Irgendwie erinnerte es sie an Gelatine, die man in der Zukunft zum Kuchen backen verwenden konnte. „Was ist das?“ erkundigte sie sich mit einem Seitenblick, ohne mit einer Antwort zu rechnen. Woher sollte er das auch kennen, wenn das eine Welt war, in der er auch noch nicht gewesen war.

Unberechenbar wie eh und je gab Sesshōmaru jedoch Antwort. „Die magische Insel Tanjeris.“

Sie wandte sich ihm zu, sichtlich erschreckt. „Das hier ist kein Wasser und es sieht auch nicht so aus, als ob es hier viel gäbe. Wir müssen ihn wohl erst einmal finden?“

Ja, das dürfte die erste Aufgabe sein. Und sie hatte in einem recht. Menschen benötigten Wasser. Wenn sich der Zauberer nicht als gastfreundlich entpuppte, würde Kagome bereits in wenigen Stunden erneut ein Problem bekommen, nach ein oder zwei Tagen sterben. Und er gleich mit. Nun, das durfte nicht passieren. Wenn er diesen Vampir in die Finger bekam! Und als erstes diesen Tanjeri. „Gehen wir.“

Kagome wollte schon verwundert fragen, wohin, aber das war wohl erst einmal gleich. Im Zweifel mussten sie einen Weg vom Strand in die Berge finden, die anscheinend die eigentliche Insel bildeten. Sie blickte empor. Ja, steil, kahl, oben von Nebelfetzen umhüllt. Und von dem sogenannten Meeresspiegel aus gerechnet bestimmt hunderte von Metern hoch. Sesshōmaru könnte ja fliegen oder springen, aber was wäre mit ihr? Bei der Vorstellung, wie sie an diesem unsichtbaren Seil unter ihm hing, womöglich mit dem Kopf nach unten und sich drehend, wurde ihr jetzt schon schlecht.

 
 

Eine magische Insel

Misty island, quite far away,

waiting all day for sun

Misty island living behind,

living behind your mind

 

The Petards 1969

 
 

Kagome blickte immer wieder zu dem dunklen See oder Meer, dessen Wellen sich seltsam steif und sperrig, aber eben doch, bewegten. Sie hielt sich abgewandt davon an Sesshōmarus Seite, der das auch wortlos duldete, anscheinend ihre Nervosität erkannt hatte. Oder vielleicht auch nur, weil sie daran gedacht hatte sich mit Abstand auf der linken Seite zu halten, so seinen Schwertarm freizulassen. Sagen tat er jedenfalls nichts, was für sie die geradezu gruselige Stille nur noch fühlbarer machte. Außer ihren eigenen Schritten, unter denen der schwarze Sand knirschte, gab es keinen Laut. Auch der Daiyōkai neben ihr vermochte ohne Geräusch zu gehen.

Erst, als sie leise meinte: „Kannst du es auch spüren?“, blickte er zunächst zu ihr, dann nach rechts auf das seltsame Meer.

„Du?“ war immerhin eine Antwort.

Sie seufzte etwas. „Das da ist kein Wasser, aber das ist klar. Aber etwas lebt da, etwas Magisches.“

Sollte er oder nicht? Jaken hätte er so etwas nie erklärt. Nun ja, auch Inu Yasha nicht. Beide besaßen keinen Funken Verständnis für Magie, was zumindest bei dem ehemaligen Krötenkönig doch erstaunlich war. Trotz allem war der ein Youkai. Gut. Es würde sie vermutlich beruhigen. Immerhin spürte sie die Magie. „Der Außenbereich des Bannkreises von Tanjeri. Er schützt gegen die Unterwelt.“ Und was auch immer darin lebte, würde sie nicht angreifen, da es nach außen schützte. Das war ihm die Hauptsache, was auch immer es sonst sein mochte.

„Dann hat er wohl viel Macht.“

Das wiederum bedurfte keiner Antwort. Dafür entdeckte er ein gutes Stück vor ihnen links eine Lücke in den Bergen, womöglich ein Tal, durch das man empor steigen konnte. Vielleicht sogar ein Bach in diesem staubtrockenen Land. Seine Begleiterin sagte zwar nichts, aber sie hatte offenkundig schon wieder Durst und es stand abzuwarten wie lange sie durchhalten konnte. Er dachte nicht daran, dass sie seit Sonnenaufgang, abgesehen von der kurzen Pause bei seiner Mutter, unterwegs gewesen waren – und es schon viel war, dass ein Mensch ohne weitere Rast bislang weiterlaufen konnte.

 

Kagome wusste, dass sie müde war, aber sie hatte sich verbissen vorgenommen bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit durchzuhalten, unter keinen Umständen zu zeigen um wie viel schwächer sie als ein Daiyōkai war. War sie, schön, aber etwas Stolz durfte frau als Mensch doch auch besitzen. Erst einige hundert Schritte später erkannte sie das Tal. „Da ist vielleicht Wasser. Guck mal... Äh, ich meine, ich sehe da Dampfwolken aufsteigen.“ Auweia, das war schon wieder zu viel gewesen und hatte ihr einen dieser berühmten „Ich darf dich zwar nicht umbringen, aber du bist nahe dran“ – Blicke eingebracht. War der Herr Hundefürst schwierig im Umgang.

Wie schaffte das Rin eigentlich? Nun ja, sie lächelte, starrte zu ihm auf, als sei er ein Gott, der um ihretwillen zur Erde gestiegen war, und nannte seinen Namen. Manchmal auch etwas mehr, aber das war die ganze Kommunikation. Zumindest, was man so von außen mitbekam. Sie selbst hatte ja manchmal schon das Gefühl in den letzten Jahren bekommen, seit das Mädchen im Dorf war, dass sich diese beiden so unterschiedlichen Wesen auf einer ganz anderen Ebene verständigen konnten.

Falls der werte Daiyōkai annahm, das könne sie selbst auch, hatte er sich freilich geirrt. Allerdings, erfasste sie im nächsten Moment – er hatte eindeutig die besseren Augen und vermutlich bereits vor Minuten sowohl das Tal als auch die sicherlich heißen Dämpfe erkannt.

Aber heißer Dampf bedeutete vulkanischen Untergrund – und auch Wasser. Vielleicht gab es da was abgekühltes? Trinkbares? Immerhin würde er ihr sagen können, wenn da was giftig war. Und vermutlich auch tun, wenn er nicht wollte, dass sie drauf ging und ihn gleich mitnahm. Der Weg in die Unterwelt war hier wohl selten kurz. Was sich dieser Tanjeri so unter einem Urlaubsressort vorstellte, war wirklich eigenwillig.

 

Kaum zehn Minuten später war sie enttäuscht. Ja, da war ein Tal, eher ein Einschnitt in die Berge, der sich sichtlich weit empor zog, ja, da gab es heiße Quellen, sogar ein Bachbett, das sich wohl in das Meer aus Gelatine ergießen wollte - aber das war ausgetrocknet. Dafür gab es jede Mengen kleiner Tümpel, manche von Dampfwolken überzogen, manche direkt glitzernd erscheinend. Um diese Pfützen war tatsächlich etwas wie grün – oder zumindest etwas, das nach Pflanzen aussah. Und immerhin hörte man hier auch wenigstens das Zischen, das Schwappen, wenn ein Tümpel durch unterirdische Energien überlief, und so die bedrückende Stille brach.

Heiß, dieses ganze Tal. Und das, wo sie sowieso schon Durst hatte. Sie sah zerknirscht beiseite. Ihre Enttäuschung ließ auch die bislang überspielte Müdigkeit wachsen. „Es tut mir Leid,“ murmelte sie verlegen. „Ich kann nicht mehr.“

 

Das war nur zu eindeutig. Und obwohl es in diesem schwefelhaltigen Wasserdampf schwierig war, suchte der Daiyōkai mit der Nase nach reinem Wasser. Von hier aus war nichts zu finden. Sie mussten weiter. „Es gibt dort Wasser,“ erklärte er, als er weiterging.

Frischwasser? Das gab ihr neue Hoffnung, aber sie spürte selbst, dass sie nur noch fast blind Schritt um Schritt setzte, wirklich am Rande der Erschöpfung.

 

Nur fünfzig Meter im Tal änderte sich das Bild. Es standen dort um die Tümpel, die nicht nur heiß, sondern auch noch mit allerlei Bakterien und langfadigen Algen besiedelt waren, fast drei Meter hohe, weiße Gebilde, die Kagome an Kakteen ohne Stacheln erinnerten. In dem, wohl ehemaligen, Bachbett, lagen hohe, scharfkantige, schwarze Platten, die einstige Hochwasser vermutlich von den Bergen herab gespült hatten.

Und das Ende des Tales war erkennbar. Gut hundert Höhenmeter über ihnen schoben sich die dunklen Seitenwände zusammen.

„Oh nein!“ Sie hätte nicht nur fast geweint, sondern taumelte auch.

 

Ein harter Griff um ihren Oberarm hielt sie. „Komm.“

Sie wusste nicht wohin er wollte, lief nur noch, weil es gegen diese Hand keinen Widerstand gab, und die gewisse Angst existierte, was er machen würde, würde sie sie alle Zwei gefährden, Dann fühlte sie sich zu Boden gestoßen, nein, eher geschoben. „Was...?“ krächzte sie, ehe sie erkannte, dass er sie an einen Stein gelehnt hatte. Und davor war ein Tümpel, der nicht glitzerte, keine ekelhaften Algen hatte und auch nicht heiß schien. „Kann ich...?“

Sonst hätte er sie kaum hierher gebracht, dachte er, ehe ihm klar wurde, dass sie vermutlich nicht einmal mehr begriff, dass sie diese Schale für Wasser im Ärmel hatte. Das sollte er ihr wohl sagen. Es brachte sie beide nicht weiter, wenn sie sich so erschöpfte, dass sie drauf ging. Nun gut, gewisse Sturheit hatte er ihr noch nie absprechen können. „Trink!“

Das war bestimmte die schönste Anweisung des ganzen Tages, dachte sie noch, ehe sie sich ohne Überlegung seitwärts niedersinken ließ, das Gesicht in das Wasser steckte und erst einmal die relative Kühle genoss, ehe sie es schlicht in sich einsaugte.

 

Erst einige Zeit später kam ihr zu Bewusstsein, dass sie hier buchstäblich zu Füßen dieses sowieso schon arrogant genug seienden Daiyōkai lag und wie ein Hund in sich …

Egal, dachte sie dann. Sie hatte sich vermutlich schon genug blamiert, da kam es darauf auch schon nicht mehr an. Nur noch trinken, soviel diese Pfütze irgendwie hergab und in ihren Magen passte.

Erst dann setzte sie sich auf und lehnte sich erneut an den Stein, kaum überrascht, dass ihr stummer Begleiter wie ein Wachposten praktisch über ihr stand. „Danke,“ war wohl angebracht ehe sie die Augen schloss.

Sie war so erschöpft und übermüdet, dass sie prompt in einen Schlaf sank, der einer Ohnmacht ähnlicher war, und schlicht nach links kippte, gegen den Oberschenkel ihres Schwagers, der diese Annäherung irritiert wahrnahm, allerdings das Bein auch nicht wegzog, als er bemerkte, dass ihr Atem bereits regelmäßig ging, sie nicht mehr geistig anwesend war.

 

Kagome erwachte mühsam. Nur langsam kam die Erinnerung wieder an die lange Wanderung, an den dämlichen Bann … Der Schlaf hatte gut getan und sie lag so warm und weich gelehnt … Moment mal. Woran lag sie gelehnt? Fast vorsichtig öffnete sie die Augen und schloss sie erst wieder, in der Hoffnung noch zu träumen. Einen Alptraum, allerdings.

Sie saß doch nicht wirklich in diesem vulkanischen Tal irgendwo auf der Privatinsel eines irregeleiteten Magiers und hatte die ganze Zeit mit dem Kopf gelehnt an dem Schulterfell, dem Oberarm, eines Daiyōkai, der normalerweise Leute schon umbrachte wenn sie ihn schräg ansahen, geschlafen? Schön, das konnte er nicht bei ihr, zumindest momentan, aber das wären bestimmt hundert Minuspunkte für sie auf einer immer länger werdenden schwarzen Liste.

Hastig richtete sie sich auf, rot werdend. „Entschuldige, das... ich habe das nicht mitbekommen! Ehrlich...“

Das hatte er wiederum durchaus mitbekommen. Für wie einfältig hielt sie ihn?

Auch der Miko wurde klar, dass er sie jederzeit zumindest hätte wegschieben können, sie allerdings geduldet hatte, und beteuerte überstürzt: „Danke, jedenfalls. Vielen Dank. Ich habe auch gut geschlafen.“

Das wäre es jetzt auch noch, wenn nicht. „Trink.“

Diesmal entsann sie sich der kleinen Schale in ihrem Ärmel und rutschte hinüber, zumal er mit einer eleganten Bewegung auf den Beinen war, beide Schwerter sich in den Gürtel schiebend.

Er hatte sie abgezogen, um besser sitzen zu können, sie allerdings nicht außer Reichweite gelassen. Er fand ein gesunder Respekt gegenüber einem so mächtigen Magier, den seine eigene schwer zu beeindruckende Mutter immerhin als Meister bezeichnete, wäre ratsam. Denn die Frage was nun, stellte sich immer deutlicher. Das Tal hier endete dort oben und bot somit keinen Weg in die Berge. Nun, keinen, der für eine Menschenfrau geeignet gewesen wäre. Er hatte ja gesehen, wie müde sie geworden war.... Nun gut, bei solchen Wegstrecken hatte er früher Rin stets auf Ah-Un reiten lassen, aber er hatte doch angenommen, eine erwachsene Frau sei stärker als ein Kind. Ja. War sie ja auch, aber eben keine Yōkai. Er sollte daraus lernen.

 

Kagome sah auf und blickte sich um. Unwillkürlich zog sie ein wenig die Augen zusammen, als sie erneut das vulkanische Tal begutachtete, die schwarzen Berge, die Spitzen noch immer in Nebelfetzen. Der bleigraue Himmel zeigte sich – ohne Sonne. Wurde es hier überhaupt je dunkel?

Sesshōmaru traf seine Entscheidung. „Ich suche den Magier.“

„Und ich?“ fragte sie prompt empört.

Was ihn zu der Erkenntnis brachte, dass sie sich, im Gegensatz zu Jaken, nicht automatisch dabei eingeschlossen fühlte. Trotz des Entfernungsbannes, anscheinend. „Gehst mit mir.“

Kein „Wir“, kein Teamwork. Sie atmete tief durch und suchte mit gewissem Trotz noch einmal die Landschaft ab, ehe sie auf das Talende deutete. „Dann gehen wir dahin.“

„Menschlicher Instinkt?“ Das klang spöttisch.

„Menschlicher Scharfblick.“ Sie wies nach oben. Auf einer der Bergspitzen deutete sich im Nebel etwas an, das man nur als Mauer einer Burg oder eines Schlosses interpretieren konnte. „Und das Talende...“

Ja, das war nun plötzlich deutlich für beide zu sehen. Es handelte sich um eine Illusion. Anscheinend ein Portal. Genau hier führte der Weg nach oben weiter.

 

Weder für die Miko noch den Daiyōkai bot die Illusion ein Hindernis, als sie durch den Zauber schritten. Kagome blieb stehen und holte tief Luft. Zum Einen, weil sie doch bereits wieder fast hundert Höhenmeter überwunden hatten, zum Anderen, weil sich das Bild um sie drastisch verändert hatte.

Statt des vulkanischen Grundes waren die zuvor so schroffen, schwarzen Berge mit einem Flaum von Grün bedeckt. Moose und Flechten identifizierte sie. Aber das für sie eindeutig Beste war eine Baumansammlung, in einem Seitental, unter der es schimmerte. Ein Teich. „Wasser!“

Sesshōmaru nahm das zurecht als Hinweis, dass sie erneut etwas trinken musste und bog entsprechend ab. Er musste auf die schwache menschliche Physis Rücksicht nehmen, wollte er auch nur lebend bei Tanjeri ankommen, geschweige denn sich bei diesem unbekannten Vampir für diesen unverschämten Scherz auf seine Art bedanken. Lästig, aber nicht zu ändern. Und was wäre wenn, lag einem Yōkai nicht.

 

Kagome blieb am Rand des Teiches stehen, der vielleicht die Fläche eines großen Schwimmbeckens hatte. Hier unter den Bäumen war es angenehm kühl und ein leiser Wundhauch ließ die Oberfläche kräuseln. Sie betrachtete sie misstrauisch, konnte aber weder das Schimmern irgendwelcher Bakterien noch gar die ekelhaften Fäden von Algen entdecken. Es sah einfach recht klar aus. Da hinten trieb ein größerer Ast im Wasser, aber das war auch wohl das Schlimmste. Dennoch war sie aus gewissen Erfahrungen vorsichtig genug um einen fragenden Blick beiseite zu werfen. Da der Herr Fürst nur geradeaus blickte, beschloss sie, dass Trinken das Beste wäre und sie eine Weile fortbringen würde. Überdies würde das auch das leise Grummeln in ihrem Magen übertünchen. Sie bekam richtig Hunger. Sie wollte die drei Schritte zum Ufer gehen, als sie hart mit der Brust gegen etwas prallte.

„Au...“ Erst dann erkannte sie, dass es sich um den angewinkelten Arm ihres Schwagers handelte. „Was ….“

Er ließ ihn sinken und sah weiterhin auf die Oberfläche des Teiches.

 

Sie folgte seinem Blick, sicher, dass er sie nicht grundlos berührt und damit gestoppt hatte. Was wollte er nur? Da war der dicke Ast, fast ein Baumstamm, aber keine Magie … Moment mal. Sie starrte den Ast an – der guckte zurück.

Super. Das war eine Art Krokodil, erkannte sie erst jetzt und atmete tief durch. Allerdings ein seltsames. Die Schnauze war kaum zu sehen, so, aber die Augen ließen sie nicht aus dem Blick. Und, sie konnte beim besten Willen so keine Schuppen erkennen. „Das würde angreifen, wenn man trinken will,“ stellte sie resigniert fest. „Und ich kann es auch nicht läutern, da ist kein Yōki.“ Das war gemein, wenn man am Wasserrand stand, Durst hatte und dann so etwas!

 

Sesshōmaru warf ihr einen Seitenblick zu. Sie hatte recht, das war ein Tier. Und, so wenig Hemmungen er gewöhnlich hatte Yōkai oder Menschen zu töten, die ihm im Weg standen, so doch bei Tieren. Sie waren einfach nicht oder nur selten in der Lage zu erkennen, wem sie da gegenüberstanden. Manche waren schlau und mieden das stärkere Raubtier, aber das Exemplar hier tat dies eindeutig nicht, sondern lauerte auf seine Chance. Warum nur musste man Menschenfrauen immer beschützen? Er griff zum Schwert.

Kagome wollte fast schon etwas sagen, sah dann erleichtert, dass er Bakusaiga nicht mit seiner Energie auflud, zumindest nicht so, wie er es in einem Kampf getan hätte, sondern nur ein wenig, ehe er die Spitze der Klinge ins Wasser steckte. Für das Krokodilwesen, oder was es auch immer war, musste das wie ein Stromschlag wirkten, denn es zuckte zusammen und tauchte irgendwohin ab. „Äh, danke.“ Es kam ihr immer noch eigenartig vor, sich dauernd zu bedanken, aber das war natürlich nur korrekt. Bevor das Vieh wieder kam, sollte sie hier fertig sein. So ließ sie sich auf die Knie nieder und griff zu der Trinkschale im Ärmel, diesmal unbekümmert darum, dass sie hier zu Füßen eines Daiyōkai kniete, der sein Schwert zurückschob und durchaus wachsam die Gegend musterte. Vielleicht war es das, was Rin an ihm so schätzen konnte – pragmatische Hilfe, kein Drumherumgerede. Leider halt auch keine Emotionen, keine netten Gespräche am Lagerfeuer, aber man durfte vermutlich nicht zu viel verlangen. Sie hatte ja auch lernen müssen, dass Inu Yasha eben kein Mensch war und nicht nur körperlich anders war als sie selbst. Mal abgesehen von seiner traumatischen Kindheit, gegen die ihre, trotz Vaters Tod, recht friedlich abgelaufen war. Sie stand auf. „Äh, ich würde dann die Gelegenheit nutzen...“ Und verschwand hinter einem großen Busch, der an einen Rhododendron erinnerte.

Diese körperlichen Schwächen von Menschen waren einfach … Nun ja. Sie vermochten es nicht sich aus der Quelle ihrer eigenen Energie zu ernähren. Hm. Warum eigentlich nicht? Kagome war eine durchaus mit Reiki ausgestattete Miko. Warum bedurften selbst solche menschlichen Exemplare dauernd Flüssigkeit von außen? Und Nahrung, denn er hatte das Knurren ihres Magens durchaus vernommen. Immerhin schwieg sie zu dem Thema, wie einst Rin. Da sie zurückkam, wartete er nur, bis sie sich die Hände gewaschen hatte, ehe er sich umdrehte und weiterging, sicher, dass sie ihm nicht nur folgen würde, weil sie sonst hinterher fliegen würde, sondern weil sie eingesehen hatte, dass es keine andere Wahl gab.

 

Zurück in dem Haupttal, blieb Kagome allerdings stehen und griff unwillkürlich zum Bogen. Sesshōmaru bemerkte es, konnte allerdings nichts außergewöhnliches feststellen, ehe er Yōki spürte, schwach und wirklich nicht der Rede wert, aber sie hatte tatsächlich recht. Nichts auf dieser Insel hatte bislang dämonische Energie gezeigt, außer diesem Etwas, das da auf sie schnell zugeschossen kam. Nun ja, für einen Menschen. Er fing das kleine Ding mühelos mit der Rechten auf und erkannte irritiert eine kleine Kugel. Was war das denn?

„Sie ist aus Metall.“ Kagome schob ihren Bogen zurück und trat heran. „Kannst du sie öffnen?“

Wortlos erhöhte er sein Yōki. Prompt klappte die Kugel auf und offenbarte ein Papier. Er bot es seiner Begleiterin.

Sie war sich durchaus nicht sicher, ob er nicht lesen konnte oder es nur nicht wollte, aber nahm behutsam das Papier. „Das ist sehr altmodische Schrift,“ erklärte sie. „Ich lese es als: folgt dem Pfad und beseitigt den Torwächter. - Das müsste doch von Tanjeri-sensei sein, oder?“

Ja. Und es war der erste Hinweis darauf, dass die kleinen Schikanen hier auf der Insel durchaus als Prüfung gedacht waren. Nun, einen Wächter zu beseitigen sollte nicht allzu schwer fallen.

Die Miko an seiner Seite sah allerdings seufzend empor. „Der Pfad, ja? Das wird noch richtig steil.“ Und der weitere Weg war kaum einsehbar, denn er schien immer wieder in engen Kurven empor zu steigen.

„Ich kann fliegen.“

Sie erkannte einen gewissen Sarkasmus und musste ihren ersten Kommentar unterdrücken, der sicher sehr undiplomatisch geworden wäre. Und ihn womöglich dazu gebracht hätte sich tatsächlich in die Luft zu erheben. Leider samt ihr. Dieser Trip war ein Leistungskurs in Selbstbeherrschung! Oh, wenn sie diesen Vampir ins Visier bekam! Sie atmete durch. „Ja, ich weiß, aber das muss wirklich nicht sein. Ich kann dir versprechen, dass mein Magen da nicht mitmacht.“ Sie erkannte – leider - ein Zucken eines Mundwinkels. Verflucht, war das lästig immer als die Schwächere dazustehen, magisch untalentiert, hungrig, schutzbedürftig... Ja, schön, er war ein Daiyoukai, aber musste der das denn auch dauernd beweisen? „Ich halte das schon durch,“ beteuerte sie daher fast wütend. „Aber ich kann ja wohl meine Meinung dazu sagen!“ Dem Blick nach zu urteilen, fand er gerade, dass sie zu viel redete. Unkommunikativer Hund! Sie hätte vielleicht nicht nur den Crashkurs Konfliktmanagement buchen sollen, sondern das ganze Semester. Aber irgendwie hatte ihr das vor vier Jahren noch niemand geweissagt. Und sie war ehrlich genug, dass sie das mit fünfzehn auch niemandem geglaubt hätte. Schön, wie war die Grundregel gewesen: immer auf den Anderen zugehen, Ich-Botschaften aussenden. „Wenn du willst, gehen wir weiter,“ war aber auch das Äußerste, was sie ihm zugestehen wollte. Hoffentlich verkaufte dieser Tanjeri-sensei Bannkretten.

 
 

Ein steiler Berg

Cry havoc

And let slip out the dogs of war

 

Shakespeare, Julius Caesar, 3 Akt, Szene 1

 

 

 
 

Kagome keuchte, als sie hintereinander den wirklich steilen Pfad immer höher in das schwarze Gebirge wanderten. Die Tatsache, dass rechts die Bergflanke ebenso abenteuerlich anstieg wie links abfiel, war eher besorgniserregend, und führte dazu, dass sie die rechte Hand stetig an der aufwärts führenden Bergwand ließ. Sie war schon wieder müde und hatte Durst, aber hier gab es eben nichts. Und alles, was vor ihnen lag, war wohl diese Prüfung. Beseitigt den Torwächter. Juhu. Wer auch immer das sein sollte und …

Moment mal. Sie war wirklich kein Mathegenie und war oft genug in den Prüfungen in der Schule deswegen mehr als schlecht dagestanden. Aber eines hatte sie daraus gelernt. Die Aufgaben waren durchaus nicht immer so, wie man sie las. Was also plante Tanjeri mit dieser Prüfung? Dass Sesshōmaru in der Lage wäre was auch immer umzubringen, war ihr klar. Nur, war das überhaupt die Lösung? Was konnte dieser Meisterzauberer denn sonst wollen?

Egal, beschloss sie dann. Das würde man sehen, wenn man da war. Sie warf einen Blick empor. Die schwarzen Berge waren wieder komplett in Nebel gehüllt und auch das Schloss, die Burg, die Hoffnung, war nicht mehr zu sehen. Es half nichts. Sie mussten weiter. Aber sie war so müde...

„Sesshōmaru?“ versuchte sie es.

Er wollte nicht antworten, immerhin gab es hier weit und breit kein Wasser, aber sie roch schon wieder so erschöpft. So blieb er stehen, allerdings ohne sich umzublicken.

Sie war in gewisser Verzweiflung wild entschlossen das bei diesem Eisblock als freundliche Geste zu sehen. „Können wir Pause machen? Ich muss mich erholen.“

Immerhin fragte sie. Er nickte etwas nach vorne.

 

Sollte das jetzt ein: „ja, da vorne geht es besser als hier auf diesem schmalen Pfad“ sein? Wenn der Kerl doch einfach nur mal die Fangzähne auseinander bekommen würde! Immerhin, dachte sie dann, war das wohl eine Zusage gewesen. Und so gut kannte sie ihn doch – er würde nicht sein Wort brechen.

Rin war sowieso dieser Meinung, aber selbst Inu Yasha hatte einmal gemeint: „Der ist ein Mistkerl, wirklich, aber er lügt nie. Wenn er dich umbringen will, sagt er es dir auch.“

So raffte sie sich erneut auf.

 

Tatsächlich erreichten sie gute fünfzig Höhenmeter weiter einen etwas ausgeweiteten Fleck. Eine Art Nische, die mit Moos und Flechten bewachsen war, schmiegte sich hier mit fast zwei Metern Tiefe in die steile Bergflanke.

Die Miko ließ sich aufseufzend hinfallen und streckte die Beine aus. Ihre Füße schmerzten. Getas waren nicht unbedingt die passende Schuhkleidung für steinige, steile Wege irgendwo in der Unterwelt. Sie warf einen forschenden Blick empor, aber da ihr schweigsamer Begleiter stehen blieb und angelegentlich die Gegend musterte, zog sie sich Bogen und Köcher ab und ließ sich schlicht rücklings in das weiche Moos fallen, verschränkte die Arme hinter den Kopf und sagte sich, dass sie sich die Lage einfach nur irgendwie schön reden musste.

Nur, wie? Wenn das noch lange so weiterging, würden die Blasen, die sie bislang hatte, irgendwann aufgehen und sie nicht nur bluten, sondern so gut wie laufunfähig sein. Beschweren? Bei wem? Um ehrlich zu sein steckte Sesshōmaru ja auch in dieser Klemme und Tanjeri sollte so als alter Zauberer wissen, was er da anrichtete. Und das hier war leider Tanjeris Welt. Sie hatte durchaus in ihrem Leben genug magische Fallen kennengelernt um abschätzen zu können, dass hier nur galt, was dieser Magier wollte.

Sie streifte sich die Schuhe ab. „Das sind die schönsten Blasen, die ich je hatte,“ wollte sie sich selbst beruhigen und erkannte erst an dem sich wendenden Kopf des Daiyōkai vor und über ihr, dass sie wohl laut gesprochen hatte. Ihr Lächeln misslang. „Äh, ich brauche nur eine kleine Pause,“ beteuerte sie hastig. Ihr war klar, dass er die nicht nur für sie unsägliche Bindung zwischen ihnen rasch loswerden wollte und sich nur der Notwendigkeit beugte sie nicht umzubringen, da das doch eine reichlich unwürdige Selbstmordvariante gewesen wäre. Allerdings konnte und würde ihn das kaum hindern ihr schlicht einen Schlag zu verpassen. Und, wenn sie so gesehen hatte, was das bei Jaken und auch Inu Yasha bewirkt hatte, legte sie definitiv keinen Wert darauf. Sie war kein Yōkai, sondern ein Mensch.

Na schön, beschloss sie dann erneut, sie sollte einfach wohl aufpassen wie sie was ihm gegenüber formulierte. Aber, das gab sie auch zu, das vorher Nachdenken war nicht unbedingt ihre Art. Vermutlich mit ein Grund, warum weder sie noch Inu Yasha lange nachtragend waren, sie wussten beide, dass der jeweils Andere auch meist nicht nachdachte.

 

Sie redete definitiv zu viel. Sesshōmaru blickte erneut geradeaus. Es wäre vermutlich sinnlos ihr das Reden zu verbieten, sie war stur wie ... nun, ein Mensch und würde darauf vermutlich erst eingehen, wenn er sie halb in Stücke schnitt. Keine Option bei dem schwachen menschlichen Körper und der Aussicht gleich mit zu sterben. Überdies hatte das bei Jaken auch stets nur sehr bedingt geholfen. Aber der war ein Yōkai und regenerierte sich rasch – ehe er erneut unsinniges Zeug von sich gab. Bis auf Rin, die nun in jeder Hinsicht eine Ausnahme war, schien er selbst derartige Redner anzuziehen.

Ein leichtes Seufzen verriet ihm, dass sie durchaus bemerkt hatte, dass sie ihm schon wieder auf die Nerven gegangen war. Wahrlich, bis auf seinen ...hm ...Halbbruder vermochte es niemand derart darauf förmlich spazieren zu gehen. Hoffentlich – ein Daiyōkai sollte eigentlich nichts hoffen, sondern dafür sorgen, dass es geschah, wie er wollte – war Tanjeri-sensei bereit und auch fähig diesen Bann zu lösen.

Unwillkürlich blickte er nach rechts, wo der steile Pfad weiterlief. Und, das würde seine Begleiterin sicher noch mehr ermüden. Zwar hörte der Abfall auf der linken Seite nun auf, der Weg führte aber dann offensichtlich durch eine schmale Felsschlucht, kaum breit genug für eine Person, dafür sicher mehr als zweihundert Meter tief in das Gestein geschnitten. Entweder war reine Magie am Werk gewesen oder eine magische Klinge. Das war unnatürlich steil und glatt. Keine Witterung verriet, wie lang diese Schlucht war oder gar, was dahinter lag.

Eine Prüfung, dachte er. Was konnte dieser Zauberer denn nur planen? Sinnlos. Er würde alles bestehen, schließlich war er Sesshōmaru, aber … ja, aber. Er war eben nicht allein und wenn ihre Leben wirklich aneinander hingen …. Nun, er plante nicht es auszuprobieren.

Ein erneutes kleines Seufzen hinter ihm, selbst für ihn kaum vernehmbar, ließ ihn abermals den Kopf wenden. Was zu beweisen war ...Kagome war eingeschlafen. Diese Pause musste wohl etwas länger werden. Was für eine Zeitverschwendung.

 

Als die Miko erwachte fühlte sie sich deutlich besser und richtete sich auf. Wie lange hatte sie wohl geschlafen, dachte sie ein wenig schuldbewusst. Sesshōmaru stand noch immer wie ein Wachhund da, aber sie hütete sich ob dieses Gedankens auch nur leise zu lächeln. Wenn er sich im falschen Moment umdrehte und das in die falsche Kehle bekam.... So zog sie sich nur wortlos die Getas wieder an und griff nach Bogen und Köcher. „Ich bin erholt.“ Das war etwas übertrieben, aber sie fühlte sich zumindest so weit diesem Weg noch ein Stück zu folgen. Irgendwo und irgendwann musste doch dieses Tor und der Torwächter kommen, den sie beseitigen sollten.

Prüfung, ja. Nur, was sollte geprüft werden? Aber da brauchte sie kaum fragen, denn das wusste der Herr Hundefürst mit Sicherheit auch nicht.

 

Nur wenige Meter weiter konnte sie bei einer Biegung an ihrem doch hochgewachsenen Vordermann vorbeisehen und erkennen, was da auf sie wartete – eine sehr enge Schlucht. Oh, wie schön, dachte sie zynisch. Dieser Magier schien ja wirklich etwas von Gastfreundschaft zu verstehen!

Da Sesshōmaru ohne Zögern die Spalte betrat, musste sie notgedrungen nachfolgen. Ein Seilziehen an diesem unsichtbaren Seil würde sie haushoch verlieren, das hatten sie ja bereits festgestellt. Aber sie fühlte sich noch unbehaglicher als zuvor. Selbst der bislang so ruhige und graue Himmel wäre immer noch besser als das deutlich kühlere und feuchte Klima hier unten im Halbdunkel. Der einzige Vorteil, den sie erkennen konnte, war, dass es keine Steine auf dem Boden mehr gab, sondern weichen, hellen, Sand. Ihre Füße dankten es ihr.

Allerdings war die bisher schon drückende Stille hier noch deutlicher. In der schmalen Klamm hallte ihr Atem förmlich wieder, neben dem leisen Knirschen des Sandes unter ihren Schuhen der einzige Laut. Kein Vogel sang, kein Schwirren von irgendwelchen Insekten, nicht einmal das Rascheln von Blätter. Das alles gab es anscheinend auf dieser Insel schlicht nicht.

Sie warf einen Blick nach vorne. Dem Herrn Hund schien die Umgebung absolut nichts auszumachen, geschweige denn, dass er auch nur etwas tiefer atmete. Naja, vermutlich war so ein Yōkai aus gutem Haus seit Kindertagen an magische Welten gewohnt. Flüchtig überlegte sie, wie wohl Welpenspiele für ihn ausgesehen hatten. Wirklich in einem normalen Wald, so, wie sie es auf dem Weg zu seiner Mutter vermutet hatte? Oder eher in Welten, die seine Eltern für ihn erschufen, damit er sich austoben konnte? Wie hatte Sesshōmaru wohl überhaupt als Welpe ausgesehen? Sie hatte ihn ja schon mal in seiner wahren Gestalt gesehen und verkleinerte in ihrer Phantasie das weiße Riesenmonster, bis sie es nur mehr knuffig fand. Babys aller Arten waren doch immer so niedlich!

Sekunde. Hunde- und Katzenwelpen wurden doch blind geboren, oder? Galt das für Yōkai auch? Sie versuchte sich ihren stillen Begleiter als bewegungsunfähigen, blinden Welpen vorzustellen, der irgendwie zu der Zitze seiner Mutter robbte – und verdrängte das Bild schleunigst, da sie sich an besagte Mutter erinnerte und auch annahm, eine derartige Frage wäre für einen Daiyōkai impertinent. Mit allen Folgen.

Sie sollte sich lieber auf ihre Umgebung und die mögliche, oder eher wahrscheinliche, Prüfung konzentrieren.

So warf sie einen Blick nach oben. Sie waren hier so tief unten, dass sich die Seiten der schmalen Spalte oben fast zu berühren schienen, nur ein Schimmer Bleigrau zeugte noch von dem Himmel. Es war auch nicht sonderlich angenehm sich vorzustellen, wie die Steine rechts und links auf sie zukämen und sie erdrückten.

 

Sesshōmaru bemerkte durchaus, dass die Miko in seinem Rücken unruhig wurde. In der Annahme, sie sei schon wieder müde, gönnte er ihr einige Worte. „Dort vorn endet der Spalt.“ Bevor sie noch in Sitzstreik trat, was er ihr durchaus zutraute, und er sie an der unsichtbaren Leine mitzerren musste. Inu Yasha als Todesart seiner Gefährtin „Ich habe sie zu Tode geschleift“ sagen zu müssen, würde nur zu einem sinnlosen Duell führen. Das er natürlich gewinnen würde. Überdies bestand das Risiko ja sich selbst damit ums Leben zu bringen. Eine peinlichere Todesart vermochte er sich nicht vorzustellen. Mutter würde vermutlich erfolgreich vergessen, dass sie je einen Sohn gehabt hatte.

 

„Sehr schön,“ erwiderte Kagome tatsächlich etwas perplex. Das war ja ein Entgegenkommen! Warum auch immer, aber sie sollte das irgendwie honorieren. „Danke.“ Im Weitergehen dachte sie nach. Wenn er redete, dann meist, weil er dafür etwas erwartete. Nur, was diesmal? Kam da vorne etwa die Prüfung und er erwartete ihre Unterstützung? Die konnte er gern haben, wirklich. Alles, was sie wollte war, dass dieser Tanjeri diesen Bann löste. Und wenn es dafür notwendig war eine Prüfung zu bestehen, sollte es nicht an ihr scheitern. So ganz ohne Fähigkeiten war sie als Miko ja nun auch nicht.

So versuchte sie nach vorne zu sehen, was tatsächlich schwierig war. Die Klamm war so eng, dass ab und an sogar die Spitzen des Schulterschutzes Sesshōmarus an dem Felsen kratzten. Aber sie meinte weiter vorne werde es heller. Ja, doch. Da sollte diese Spalte enden. Warum auch immer das hier so eng gestaltet worden war.

 

Die Spalte endete und sie erkannte, dass der Daiyōkai unverzüglich nach rechts wich, die Klaue bereits an Bakusaiga. Es war sehr hell nach der dunklen Schlucht und sie benötigte einen Moment, während sie allerdings folgte und nach links auswich, den Bogen von der Schulter gleitend lassend.

Erst dann erkannte sie blinzelnd die Lage. Sie befanden sich in einer Art großen, sandigen Talkessel, der von diesen schwarzen, steilen Hängen umrahmt wurde. Ihnen direkt gegenüber befand sich ein hohes, offenbar hölzernes Tor, das das Weitergehen verhinderte. Und davor war …

„Fluffy!“

Sie konnte an der eisig werdenden Temperatur das rasch steigende Yōki neben sich spüren und warf einen vorsichtigen Blick beiseite. Oh oh. Aus welchem Grund auch immer, aber das hatte Sesshōmaru doch nicht etwa auf sich bezogen? Sie warf noch einmal einen Blick auf den wahrhaft riesigen schwarzen Hund mit drei Köpfen und dreimal beeindruckenden Gebissen vor dem Tor, ehe sie hastig meinte: „Ich... ich hörte in meiner Zeit .. also, wo ich herstamme....von einem dreiköpfigen Hund, den sein Besitzer Fluffy nannte ….“ Nun, dem Blick nach hatte er noch nie HarryPotter-Filme gesehen, und so haspelte sie sich weiter. „Und ein dreiköpfiger Hund bewacht der Legende nach das Tor zur Unterwelt, richtig heißt er Zerberus, soweit ich mich erinnere.“

Sie log nicht, das war ihm klar. Nur, warum hatte ihn bei diesem unbekannten Wort etwas wie ein Hauch der Zeit gestreift? Und er ein sehr seltsames Gefühl in seiner Boa empfunden? Was machte Meister Tanjeri hier? Gleich. Sie sollten den Torwächter beseitigen und dieser dreiköpfige Hund war das offenkundig. Er zog.

 

Kagome, eingedenk ihrer Überlegungen zum Thema Matheprüfungen, sagte eilig: „Warte einen Moment. Ich meine, du kannst ihn umbringen, natürlich. Aber, wir sollten ihn doch beseitigen, war die Aufgabe, nicht wahr?“

Sesshōmaru, für den diese beiden Wörter identisch waren, sah beiseite. Sie klang aufgeregt und starrte diesen dreiköpfigen Dummkopf an, als würde sie versuchen seine Gedanken zu lesen. Hm, Konnten das menschliche Miko? Konnte sie das?

„Man kann doch auch Leute beseitigen ohne sie umzubringen, oder? Es würde doch genügen, wenn er schlicht aus dem Weg geht.“

Und wie stellte sie sich das vor? Höflich bitten? Überdies: „Das ist kein Yōkai.“

„Ja, er hat keine Energie,“ gab Kagome zu. Also war das doch ein Tier, oder? „Vielleicht kannst du ihn so verscheuchen wie das Krokodil?“

Kaum. Sonst wäre das nicht als Aufgabe gestellt gewesen. Sekunde. Das war die Prüfung – und Tanjeri-sensei wusste sicher, dass Mutter, die ihn ja offensichtlich kannte, eine Hundeyōkai war und er damit auch. Wenn der Magier nun von allen Tieren und magischen Wesen ausgerechnet einen Hund präsentierte, konnte es nur… Nicht wirklich, oder? Er bevorzugte eindeutig seine menschliche Gestalt aus mehreren Gründen. Überdies – da gab es den Fünf-Meter-Bann und in einem Kampf in Hundeform konnte und würde er wenig darauf achten, was sich unter seinen Pfoten befand. Das Risiko Kagome schlicht zu zertrampeln war gegeben.

Allerdings schien die Miko tatsächlich in Gedankenlesen besser zu sein, als es ihm lieb war, denn sie meinte leise, fast behutsam: „Ich weiß, es hört sich eigen an, aber womöglich sollst du ihn in … in deiner anderen Form besiegen?“

„Der Bann?“ gab er nur zurück.

Ja, der Bann. Und sie entsann sich auch, dass damals Jaken einmal gemeint hatte, in Hundeform seien solche Yōkai mehr ihren Instinkten unterworfen als in menschlicher Gestalt. Er würde vermutlich den Bann und sie vergessen. „Naja, Ich fürchte, dann muss ich eben versuchen schnell auszuweichen.“ Sie sah wieder zu dem dreiköpfigen Riesenhund auf der anderen Seite des Talkessels, der einige Schritte auf sie zumachte. Aus allen drei Schnauzen rann Geifer, aber der schien immerhin nicht gerade ätzende Säure zu sein wie das ihr Begleiter besaß.

 

Das war zwar ein durchaus tapferes Angebot aber auch ein törichtes. Sie würde niemals schnell genug sein. Wusste sie nicht, wie so ein Hundekampf ablief? Eher wohl weniger. Das einzige Mal, wenn er sich recht entsann, dass sie ihn in seiner wahren Gestalt gesehen hatte, war bei dem Kampf um Tessaiga in Vaters Grab gewesen, als sie für Inu Yasha Tessaiga .. Nun, das war lange her. Aber sie hatte vermutlich erstaunlicherweise die gleiche Lösung erkannt wie er selbst.

 

Er steckte Bakusaiga zurück, was Kagome mit einem kleinen Aufatmen quittierte, und machte einige Schritte vor auf diesen .. wie hatte sie ihn genannt? Fluffy oder Zerberus? - zu. Sie blieb stehen, wie es der Fesselbann nur zuließ, da sie anscheinend begriff, dass er Platz für die Verwandlung benötigte. Ein solcher Kampf konnte nicht nur wegen dieser Magie schwierig werden. Er pflegte seit geraumer Zeit nicht mehr so zu kämpfen, das war schlicht nicht mehr nötig, unter Hunden war er der unangefochtene Alpha seit langen Jahren. Zudem hatte sein Gegner drei Köpfe, konnte also auch drei Mal zubeißen, gleichzeitig. Er würde recht geschickt sein müssen – und schnell, denn bei allem, was die Miko konnte, sie war keine Yōkai und würde rasch ermüden oder nicht flink genug den acht Pfoten ausweichen können. Überdies bestand die Gefahr, dass einer der drei Köpfe sie als Ziel erkor, wenn sie zu nahe an seinen Widersacher geriet.

Nun gut. Er musste rasch gewinnen und sauber. Er ließ seine Energie ansteigen, in dem Wissen diesen Gedanken auch noch in seiner anderen Form zu behalten.

 

Kagome hob etwas die Arme als das Yōki den Sand aufwirbelte, ließ sie erst sinken, als Ruhe herrschte. Oh oh. Sie hatte ihn als riesigen weißen Hund in Erinnerung, aber nun kam er ihr nochmals gewachsen vor. Sie blickte an ihm wie an einem Berg empor. Nun ja, er war jetzt ein Daiyōkai, was er vor einigen Jahren nicht gewesen war. Zeigte die Größe auch die Macht an? Allein die Pfoten waren schon beeindruckend. Aus dem riesigen Maul tropfte grünlich Säure und er machte zwei Schritte auf Fluffy zu, der sich steif abduckte. Ja, das würde ein Kampf werden. Sie sollte hinterher, ehe noch der Bann ausgelöst wurde und sie näher zwischen die Gebisse geriet als ihr lieb sein konnte. Behutsam hängte sie sich den Bogen wieder über und näherte sich den beiden gewaltigen Hunden, die sich nun beide voreinander abduckten, sicher um ihre Kehlen zu schützen.

Um die Schultern und die Brust „ihres“ Hundes bauschte sich Fell. Hatte er das damals auch schon so besessen? Auch diese langen Ohren, die sie sehr an einen Spaniel erinnerten? Aber sie hatte da viel zu viel Angst gehabt. Nun ja, sie hatte keinerlei Erfahrungen in dieser Zeit besessen. Da war so ein Anblick schon deutlich bedrohlicher gewesen als heute, wo sie sicher sein konnte ihn nicht als Gegner zu haben.

 

Der dreiköpfige Hund startete. Es war schnell, erschreckend schnell, zumal für diese Größe, als er auf Sesshōmaru zusprang. Dieser machte ebenfalls einen Sprung und die beiden prallten noch in der Luft mit einer Wucht zusammen, die den Talkessel widerhallen ließ.

Au weia, dachte Kagome, die sich kaum auf den Beinen halten konnte. Da ging es zur Sache. Sie versuchte etwas in dem felligen Durcheinander aus schwarz und weiß zu erkennen.

Zu ihrer gewissen Überraschung hatte sich der Daiyōkai die Kehle des rechten Kopfes geschnappt und umklammerte sie mit seinen Zähnen. Die ätzende Säure musste doch weh tun, dachte sie in gewissem Mitleid, ehe sie versuchte den Sinn dieser Aktion zu erkennen. Sie persönlich hätte angenommen, er würde auf den mittleren Kopf gehen.

Ja, erkannte sie dann. Aber so war der mittlere Kopf praktisch unschädlich gemacht, alles, was der in dieser Nähe zu beißen bekam, war das auf der linken Seite und der Brust deutlich dichtere Schutzfell, und Sesshōmaru hatte sich so gedreht, dass sein linkes Vorderbein und die Schulter zwischen die beiden freien Köpfen drückte. Der linke Kopf biss entweder ins Leere oder auch in das Schulterfell.

Geschickt geplant und durchgeführt, dachte sie anerkennend.

 

Allerdings wehrte sich der dreiköpfige Hund. Da er bemerkte, dass seine Zähne ausgeschaltet worden waren, versuchte er mit den beiden Vordertatzen seinen Gegner zu treffen, zu verletzen, um ihn zu zwingen, den äußerst schmerzhaften Biss um seine Kehle zu beenden.

Sesshōmaru ignorierte die Kratzer. Sie taten weh, aber das würde rasch heilen. Wichtig war, dass er siegte und so presste er die Kiefer fester aufeinander. Diesem Kerl sollte klar sein, dass er ihm die Kehle raus reißen würde, wenn er nur noch etwas nachsetzte.

Rasch gewinnen, dachte er, das war wichtig. So drückte er nach hinten.

 

Was hatte er nur vor, fragte sich Kagome, die sich in gewissem Sicherheitsabstand hielt, allerdings auch - hoffentlich – innerhalb des Fesselbanns. Dann erinnerte sie sich, dass sie gehört hatte, dass ein Hundekampf vorbei war, wenn der Verlierer dem Sieger die Kehle zeigte und in die Demutsposition ging. Das musste es sein. Aber, darüber sollte sie später mit dem Daiyōkai ebenso wenig reden, wie über die Tatsache, dass es ihr etwas gruselte, wenn sie so diese Säure aus seinem Maul tropfen sah. In Menschenform tat sie es nicht und das musste ihr genügen.

Oh, der arme Fluffy stürzte nach hinten, Sesshōmaru war sofort über ihm, ihn noch immer in dem unerbittlichen Biss haltend.

Dann sah sie mit gewisser Erleichterung, wie sich der Torwächter entspannte, alle drei Hälse nach oben bog.

Eins zu Null für Sesshōmaru, dachte sie noch, ehe sie Magie spürte und eilig aufsah.

Das Tor verschwand, als habe es nie existiert und auch der Biss des Daiyōkai ging nun ins Leere, als der Dreiköpfige ebenfalls verschwunden war.

Sie hatten gewonnen.
 

Ein kleiner Zauberer

He was the wizard of a thousand kings

and I chanced to meet him one night wandering

 

Uriah Heep: The wizard

 
 

Hinter dem nun verschwundenen Tor lag erneut ein Bergweg, wenngleich breiter und auch ein wenig flacher. Allerdings nur, soweit man sehen konnte, und das bedeutete bis zur ersten scharfen Kurve. Das Weitere lag hinter schwarzen Felswänden verborgen.

Kagome spürte erneut eine kalte Welle von Yōki und sah aus den Augenwinkeln, dass sich die Gestalt des großen Hundes neben ihr verzerrte. Sie guckte lieber nicht so genau hin, bis da wieder der doch relativ gut aussehende junge Mann in Menschenform stand. Erst dann blickte sie hin und atmete tief ein, doch froh, dass die Augen wieder golden schimmerten und keine Säure mehr zu sehen war. So war er ihr definitiv lieber. Sie wollte schon fragen was nun, als sie erneut Yōki spürte, schwach, unscheinbar, aber sich rasch nähernd. Kam da...?

 

Sesshōmaru hob nur die Hand und fing erneut die kleine Metallkugel auf. Die nächste Aufgabe, fragte auch er sich. Die Kapsel öffnete sich unter seiner Energie und er griff mit der Linken zu dem Papier.

 

Die Miko schloss daraus, dass er sehr wohl lesen konnte, das zuvor nur für unter seiner Würde gehalten hatte, schwieg jedoch wohlweislich. Der kleine Anschauungsunterricht worin der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Hundedaiyōkai lag, war gerade ein wenig zu anschaulich gewesen. Allein die Vorstellung, dass er auf die Idee kommen könnte, sie mal eben zu tragen, im Maul, wohlgemerkt, ließ ihr einen kalten Schauder über den Rücken laufen. Zu ihrer gewissen Verwunderung wurde ihr das Blatt gereicht. „Danke...“ Was sie sah, freute sie nicht. „Stille, bis zum Ziel?“ las sie vor, in der ungewissen Hoffnung da doch etwas missverstanden zu haben.

Was genau war an dieser Anweisung nicht oder schwer zu verstehen? Schön, irgendwo musste Daiyōkai ja merken, dass Inu Yasha sie sich als Gefährtin ausgesucht hatte. „Du sollst den Mund halten.“

„Du ja wohl auch,“ fauchte sie prompt, wie eine Katze, der man auf den Schwanz getreten hatte, ehe sie sich zusammen nahm. Nun ja. Er redete sowieso in Bruchstücken, da mochte das nicht so schwer sein, aber … Ja, aber. Sie bemerkte seinen zweifelnden Seitenblick. „Das schaffe ich,“ behauptete sie optimistisch. Und, da er mit einer Augenbraue zu zucken schien: „Ja, sicher. Komm also ja nicht auf die Idee mir einen Schweigebann aufzuhalsen!“

Was für eine realistische Einschätzung ihrer Redseligkeit und ein guter Einfall gleich dazu. Sie besserte sich. Er hob also die Hand.

Sie machte eiligst entsetzt einen Satz zurück und legte die Hände auf ihren manchmal, zugegeben, voreiligen, Mund, ehe sie energisch den Kopf schüttelte. Das hatte sie sich gerade selbst eingebrockt! Aber: das würde sie hinbekommen! Und wenn es hier irgendwelche Paradiesvögel gab! Nein, sie würde nicht um Hilfe schreien, nein, sie würde ihn nicht beschimpfen, nein, sie....NEIN!

 

Er drehte sich um und ging wortlos weiter.

Sie folgte mit gewisser Erleichterung. Nur zehn Minuten später kam ihr die Erkenntnis, dass dieser Tanjeri-sensei wohl ein Scherzbold auf anderer Leute Kosten war. Sie war in den meisten vergangenen Stunden ziemlich schweigsam gewesen, also, nach ihren Maßstäben, da sie wusste, dass ihr Begleiter zu viele Worte, die seiner Meinung nach sinnlos waren, absolut nicht schätzte. Aber das jetzt...

Gab es da nicht die Rede, wenn man an keinen rosa Elefanten denken sollte, würde man das unweigerlich tun? Ihr fielen tausenderlei Dinge ein, die sie anmerken, fragen könnte. Beleidigungen für unbekannte Scherzbolde wie Zauberer oder Vampire waren natürlich eingeschlossen.

Aber, falls sie diese kleine Schikane nicht hinbekam, würde sich doch der Magier weigern ihnen zu helfen den Bann zu lösen. Wie lange sie dann noch ungefährdet im Fünf-Meter-Bereich um den Daiyōkai existieren könnte, wäre nicht mal mehr fraglich. Schön, der dürfte sie kaum umbringen, aber da gab es so einiges dazwischen. Bekanntschaft mit seiner ätzenden Säure musste sie auch nicht unbedingt machen, zumal sie wusste, dass er in Menschenform durchaus die Möglichkeit besaß das buchstäblich in eine Hand zu nehmen. Inu Yasha mochte die Bekanntschaft der Giftklaue, dokka-so, überlebt haben, aber das war mit Sicherheit schmerzhaft.

Denk an irgendetwas, Kagome, beschwor sie sich. Denk an Wolken, an blauen Himmel, an Blumen, an alles, was es auf dieser dämlichen Insel im Jenseits nicht gibt.

Und dann würde sie, wenn alles vorbei war, Inu Yasha davon erzählen ...Sie hatte schon wieder an reden gedacht!

Das war doch... Das würde sie diesem so genannten Lehrer an den Kopf werfen, wenn sie ihn trafen. Naja. Lieber nicht. Sie waren verdammt ...nein, das sagte man an diesem Ort irgendwo in der Unterwelt wohl lieber nicht ...auf den Kerl angewiesen.

 

Herrliche Stille hinter ihm! Sesshōmaru fragte sich gerade wirklich, warum er noch nicht selbst auf den Einfall mit dem Schweigebann gekommen war. Aber eigentlich kannte er den Grund. Er wusste seit Welpentagen wie unangenehm das war. Nicht reden zu können und nicht zu wollen war eben ein Unterschied. Immerhin hielt die Miko schon dreißig Minuten ihren Mund. Hoffentlich noch weiter. Denn da gab es noch einen zweiten Grund ihr keinen derartigen Bann aufzuhalsen. Er war sich nicht sicher ob sie ihn nicht lösen könnte. Ihre Fähigkeiten waren manchmal sehr überraschend. Diesen Triumph wollte er ihr definitiv nicht gönnen.

Er hob den Blick etwas. Die Schlossmauer war nicht mehr zu erkennen, aber der Nebel, der um die Bergspitzen waberte, kam immer näher. Es konnte nicht mehr allzu weit sein, bis der Gipfel erreicht war. Überdies meinte er Magie wie ein leises Echo zu spüren. Nicht weiter verwunderlich. Wenn Tanjeri ein Meister der Zauberkunst war, würde er auch dafür sorgen können, dass kaum jemand sein Magie wahrnehmen konnte. Und, dass diese Einstufung zutraf bewies nicht zuletzt diese kleine Insel mitten in der Unterwelt. Und natürlich die Anerkennung seiner eigenen Mutter.

Nun, umso eher wäre der doch in der Lage diesen Fesselbann zu lösen. Und dann würde er, Sesshōmaru, diesen Vampir suchen und dieser sich wünschen ihn nie kennengelernt zu haben.

 

Wieder eine Kurve. Kagome hätte um ein Haar etwas gesagt, als sie erkannte, wohin der Weg nun führte und schaffte es gerade noch den Mund wieder zu schließen. Leider wohl hörbar genug, denn ihr stiller Begleiter wandte etwas den Kopf. So schüttelte sie den ihren und deutete nur hinauf. Der Weg trat hier offenbar in die Wolkendecke ein. Dichter, weißer Nebel verhüllte das Weiterkommen. Immerhin konnte das nur bedeuten, dass sie schon sehr oben am Berg waren und es wirklich nicht mehr weit bis zum Ziel sein konnte. Dass sie persönlich es im Dunst noch unheimlicher fand als die drückende Stille bislang – geschenkt. Was auch immer dort im Nebel lauerte, müsste sich zuerst einmal mit dem vorangehenden Daiyōkai auseinander setzen. In aller Regel eine ziemlich ungesunde Idee, wie sie zugab. Allerdings … ja. Und wenn sie so seitwärts blickte, ging es da ziemlich bergab. Sie sollte den Weg nicht verlieren. Die Alternative zum „auf allen Vieren kriechen“ und sich voran tasten war jedoch eigentlich nur für latente Selbstmörder, so, Lemminge auf Crack. Was half es. Es war nur die schiere Notwendigkeit und das würde er doch wohl verstehen? Hoffte sie inständig.

 

Sesshōmaru begriff nicht so ganz, was sie anzeigen wollte. Ja, der Weg führte nun durch den Nebel, den sie von unten gesehen hatten. Das bedeutete, dieser Teil der Reise wäre bald vorbei und es bestand die begründete Hoffnung, dass er sein Anhängsel ebenso los wäre. Zu Sicherheit spürte er noch einmal, witterte, aber da gab es nichts. Allerdings musste er zugeben, dass Wasser und auch Nebel manchmal seine Witterung trogen. Hatte sie irgendetwas wahrgenommen, das ihm entging? Er sollte lieber ein wenig vorsichtig bleiben. Aber er schritt ohne sichtbares Zögern in das weiße Nichts.

Zu seinem gewissen Erstaunen, ja, Verblüffung, spürte er, wie sich eine Hand in seine Boa krallte. Was...? Aber er konnte die Miko selbst auf diese Distanz im Umdrehen nicht mehr erkennen und verstand nun, was sie hatte sagen wollen.

Sie konnte in diesem Nebel aller Wahrscheinlichkeit nach gar nichts mehr sehen, auch nicht den Weg. Nun gut. Ehe sie abstürzte, sollte er es dabei belassen sie zu führen. Lästig, aber unumgänglich notwendig, wollte er nicht mit ihrem Aufschlag unten ebenfalls sterben. So ging er weiter. Und ignorierte dabei den Fakt, dass sie gar nicht abstürzen konnte, denn der Zauber würde sie auf fünf Metern unter ihm halten.

 

Kagome atmete etwas auf. Sie hatte gespürt, dass er erstarrt war und sich schon auf einen Schlag eingestellt. Dass er nun zuließ, dass sie sich an seinem Schulterfell festhielt, konnte nur bedeuten, dass er erkannt hatte, dass sie hier schlichtweg ohne jede andere Orientierung war und die Gefahr bestand, dass sie abstürzte. Was in Anbetracht des Fesselbanns sicher nicht in seinem Sinne wäre und ihn mit in die Tiefe reißen würde. Er tat doch nie etwas für andere. Jedenfalls, solange die nicht Rin hießen. Sie sollte sich allerdings bemühen ihn nicht aus Versehen zu ziepen. Das würde mit Sicherheit eine handfeste Antwort auslösen. So nach dem Motto – reißt du mir ein Haar aus, reiß ich dir ein Büschel aus, oder so.

Auch ihr entging in seltener Eintracht der Fakt, dass sie gar nicht abstürzen konnte, sondern maximal durch den Fesselbann gegen die Steinwand geschleudert und unter ihm hängen würde.

Hatte sie wirklich zuvor gedacht die Stille sei schlimm? Nichts zu sehen, nicht reden zu dürfen, nichts zu hören.... Sie musste sich schlicht darauf verlassen, dass der Herr Hundefürst den Weg irgendwie erkannte. Was ihr gar nicht gefiel. Allerdings auch keine der Alternativen, die sich boten, wie den Hang runter zu stürzen, Tanjeris Prüfung nicht zu bestehen mit allen Folgen...

Was genau hatte sich dieser dämlichste aller Vampire nur dabei gedacht? Gegen den war Graf Dracula ja der Gründer eines Vereins zum Schutz von Menschen! Schön, auch Daiyōkai.

Irrte sie sich, oder war da etwas wie Magie zu spüren? Keine, die sie kannte, gut, aber das bot diese ganze Insel ja praktisch nicht. War es etwa bald geschafft?

Sesshōmaru war stehengeblieben, der Boden war eben und so wagte sie es loszulassen und dahin zu gehen, wo sie annahm links neben ihm zu sein. Der Nebel endete.

Etwas verblüfft erkannte sie, wo sie standen.

 

Sie hatten den Nebel durchdrungen und befanden sich nun vor der gut hundert Meter langen Mauer, die sie von unten gesehen hatten. Leider handelte es sich nicht um die Mauer um eine Burg oder ein Schloss, sondern das endete rechts und links. Das Tor in der Mitte war klassisch, mittelalterlich - und geschlossen.

Sie wollte schon etwas dazu sagen, das sicher nicht freundlich geworden wäre, als sie an dem Seitenblick ihres unwilligen Partners erkannte, dass der Schweigebefehl wohl immer noch galt. So holte sie nur tief Luft.

Als sei das ein Signal gewesen, öffneten sich die riesigen Türflügel und boten freien Blick in den Innenhof mit Garten.

Garten?

Kagome musste tatsächlich zwei Mal hingucken. Da gab es Pflanzen, ja, Bäume, Vögel zwitscherten. Im Vordergrund befand sich eine Sandfläche, unterbrochen von einem gemauerten Becken von gut drei mal einem Meter, in dem Wasser glitzerte. Daneben links lagen zwei Kissen. Rechter Hand befand sich etwas, das für eine Hütte zu groß und für ein Haus eigentlich zu klein war, ebenfalls recht altmodisch, mit hölzernen Dachverzierungen, älter als Mittelalter, dachte sie unwillkürlich.

Aber das Interessanteste war zweifellos die Person, die vermutlich der Besitzer dieser kleinen Oase war.

Kagome wusste nicht so genau, wie sie sich einen uralten, mächtigen Magier vorgestellt hatte, aber bei alten Zauberern dachte sie als Kind des 21. Jahrhunderts an Dumbledore und nicht an … das da.

Tanjeri-sensei maß vermutlich von Kopf bis Fuß einen Meter und saß mit verschränkten Beinen auf einer schwebenden Glaskugel, in der Dämpfe in allen Farben des Regenbogens ineinander verwoben waren. Seine Hände, alle sichtbare Haut, war dunkel, fast schwarz wie verkohlt. Sein grün schillernder Kimono hätte jeder Eidechse im Hochzeitsgewand gestanden. Und seine Haare hatte er interessant verteilt. Von seinem Kinn fielen einzelne, dünne, weiße Bartsträhnen bis auf die Brust, der kahle Schädel leuchtete schwarz-glänzend. Dunkle Augen musterten die Besucher, ehe er winkte.

Sie bemerkte durchaus überrascht, dass der Daiyōkai neben ihr immerhin etwas den Kopf neigte und folgte eilig dem Beispiel, ehe sie fast nebeneinander durch das Tor gingen.

Da die Kissen unmissverständlich für sie bestimmt waren, ließ sie sich auf das linke nieder, schielte allerdings nach rechts. Sesshōmaru zog mit einem Handgriff die Schwerter ab und legte sie neben sich, als er niederkniete. Eindeutig ein Friedensangebot.

 

Tanheri ließ seine Kugel näher zu dem Wasserbecken fliegen und blieb so in Gesichtshöhe seiner Besucher. „Tatsächlich. Ein Daiyōkai und eine Miko. Es scheint in der Welt der Lebenden einiges geschehen zu sein, dass ihr mich zu zweit hier aufsucht. Wie heißt du, Kindchen?“

Kagome begriff, dass sie gemeint war und nannte ihren Namen, höflich ergänzt um „Tanjeri-sensei“. Sie waren so weit gekommen, da wollte sie im letzten Moment doch nicht patzen. Als sie allerdings noch einmal Luft holte um auch ihren Begleiter vorzustellen, winkte der Magier ab.

„Oh, bitte, ich werde doch den Sohn meiner Schülerin erkennen. Sesshōmaru, der amtierende Herr der Hunde, soweit ich weiß. - Also, was führt euch her, Kinder?“

Kagome hätte fast gegrinst, sparte es sich aber wohlweislich, als der Herr Hundefürst die Hand hob und sie das als Warnung und Aufforderung zu gleich betrachten durfte. Fangzähne auseinander! Aber das würde der wohl nie einsehen. So erzählte sie von dem Bann, Totōsai und was Sesshōmarus Mutter erwähnt hatte. Und, dass sie sie hergeschickt habe.

 

Der Magier strich seinen schütteren Bart. „Ja, das dachte ich mir schon. Es gibt nicht zu viele Personen, die hier aufschlagen können, und diese benötigen in der Regel die Hilfe von anderen, die das könnten. Sie trägt also noch immer das Medaillon. Das war eine so nette Geschichte, gleich zwei Eltern mit Zugriff auf das Jenseits, Sesshōmaru. Da konnte man schon was von dir erwarten. Nun gut. - Hm. Energievampire? Nein, das glaube ich nicht. Sie sind schon lange ausgestorben. Allerdings auch die, die ich im Kopf habe …. Nun, sehen wir uns das Ganze mal an.“ Er flog beiseite, neben das Wasserbecken, und strich mit beiden Händen durch die Luft. Es entstand etwas, das Kagome als gläserne Tafel bezeichnet hätte, auch so groß wie eine Schultafel. Darauf bildeten sich die Farben, die sie bereits kannten: lila, vor allem orange mit einem Strich weiß. „Hm,“ machte Tanjeri erneut und wandte den Kopf. „Ja, meine Vermutung. Kein Vampir, der auf Yōki oder Reiki geht, auf Energien. Oh, Kindchen, du hast Durst?“

Kagome nickte nur. Die Anrede kam ihr falsch vor, aber es stimmte und sie hätte gern was getrunken. Überdies war das wohl kaum der passende Ort und Gastgeber um an dessen Sprechgewohnheiten herum zu maulen.

Eine Handbewegung des Hausherrn später stand neben ihr ein Tischchen mit glühender Kohle im Fach, darauf eine Teekanne aus dunklem Ton und eine Schale in der grüner Tee dampfte.

„Danke,“ sagte sie verblüfft. „Das ist ja wie Hexerei!“

Tanjeri schien ehrlich erheitert. „Hihi. - Das ist Hexerei, Miko.“ Der Meistermagier wandte sich wieder der Tafel zu. „Ich sehe das Problem. Hm. Drei Magien in einem Bann. Kein Wunder, dass euer Hofschmied das nicht deuten konnte, und auch meine Schülerin etwas daneben lag.“ Ein erneuter, sehr intensiver Blick, ehe er mit einer Hand, genauer einem Finger, wie Striche über die Tafel zog. Das Orange bildete wie schon zuvor den Rahmen, zwei verschiedene Lila zeigten den Zauber eines Daiyōkai, eine dünne weiße Linie verlief quer zum unteren Rand an der Grenze zum unteren Drittel. Er zog diese Linien nach, ohne allerdings die Magie zu berühren. Kagome hatte zwei Schalen heißen Tees getrunken, als er sich entspannte und den Kopf schüttelte und aus hörbarem Herzensgrund sagte: „Das ist ja ein Murks!“

 
 

Ein guter Rat

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Who ist the fly in your champaign?

Who´s got the body and who´s got the brain?

I´ll take your blood and I´ll cure my pain

You are the one that I desire

You´re the dark, I´m the vampire.

 

People on Plane: The Vampire

 
 

Murks?

Die beiden Hauptbetroffenen sahen sich unwillkürlich an und blickten ebenso schnell wieder zu dem Magier, der noch immer die Tafel anstarrte. Ganz so stümperhaft hatten sie den Fünf-Meter-Bann nun auch nicht empfinden können. Oder bedeutete das, dass er ihnen nicht helfen konnte?

„Äh, Tanjeri-sensei?“ fragte Kagome daher schüchtern, lieber mit einer Verneigung, wie sie einem ihrer Lehrer an der Schule gebührte.

Der alte Magier drehte ihnen den Kopf zu, ehe er sich wieder seinem Problem widmete. „Das kommt dabei heraus wenn mehrere Leute ohne Absprache einen Bann legen!“ zürnte er. „Du bist Miko, hast doch also sicher schon einmal einen Zauber gelöst. Das ist wie gewoben und man kann es ordentlich abwickeln. Das hier ist… Pfusch, ein Flickenteppich von Leuten, die weder zusammengearbeitet haben noch etwas von der Sache verstanden! Einen Schüler von mir, der so etwas abgeliefert hätte, hätte ich selbst nach zweihundert Jahren noch mit einem Tritt hinausgeworfen!“ Er atmete durch und sah sich erneut um. Da er erkannte, dass der menschliche Teil des Duos kurz davon stand in Tränen auszubrechen und der Daiyōkai vor einem Mord, legte er den Kopf etwas schräg. „Das wird dauern, das kann ich euch versprechen. Nun, Miko, du hast offensichtlich auch Hunger. Iss. Und dann meditiert, schlaft, was auch immer. Ich werde einige Zeit brauchen um diesen Unsinn auflösen zu können, damit ich überhaupt weiß was mit diesem Gestümper angerichtet werden sollte.“

Da das bedeutete, dass sich Tanjeri erst einmal um ihr Problem kümmern würde, atmeten beide Besucher mehr oder weniger sichtlich auf.

Kagome erkannte erstaunt, dass aus dem Nichts auf dem Kohletischen neben ihr eine Schüssel mit Reis erschienen war. Sie schluckte. Das war sicher nett gemeint, allerdings steckten die beiden Essstäbchen oben drin – eigentlich eine Spende für Tote. Aber sie sollte wohl nicht davon ausgehen, dass der Meisterzauberer oft Reis aß, geschweige denn menschliche Sitten kannte. So meinte sie nur: „Danke“ Und begann den staubtrockenen, aber immerhin gekochten, Reis mit viel Tee hinunter zu spülen. Immerhin bekam sie etwas in den Bauch. Ein Blick seitwärts verriet ihr, dass Sesshōmaru die Klauen auf die Oberschenkel legte, tief einatmete und die Augen schloss. Schön, der wollte wohl meditieren. Der Schlaf blieb dann ihr.

Als sie aufgegessen hatte, rutschte sie daher von dem Kissen. Immerhin würde sie hier im Sand und den Kopf weich gebettet schlafen können. Sie war so müde... Und zuckte zusammen, als etwas wie ein Rochen über ihr auftauchte, schwarz, flatternd. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie eine dunkle Decke aus Wolle, die sich weich auf sie legte. Schön, sie bat dem Magier gerade alle Gedanken auf der Reise über seine mangelnde Gastfreundschaft ab. „Danke, Tanjeri-sensei,“ murmelte sie, ehe sie sich seitwärts einkuschelte und die Augen schloss.

Der kleine Meisterzauberer drehte nicht einmal mehr den Kopf.

 

Als Kagome erwachte musste sie einen Moment nachdenken, wo sie war. Das Becken vor ihr, die warmen Wogen von Yōki, die sie umhüllten … Meister Tanjeri? Sie richtete sich auf. Schön, daher kam die dämonische Energie. Sesshōmaru saß noch immer neben ihr, offensichtlich in tiefster Versenkung. Nur, wieso erschien ihr seine Macht nicht so kalt wie gewöhnlich, sondern warm? Weil sie hier in einer magischen Welt waren? Aber zuvor war das doch auch nicht so gewesen? Und da war ja auch der Meisterzauberer. Sie richtete sich möglichst lautlos zum Sitzen auf, denn auch der schien tief versunken in den Anblick der Magie dieses Vampirs. Trinken wäre keine so schlechte Idee, fand sie – und hätte sich um ein Haar den kochenden Tee über den Schoss gegossen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Teekanne sich wieder komplett gefüllt hatte. Sie entschuldigte sich nochmal in Gedanken bei dem Gastgeber, der sein Handwerk in jeder Hinsicht offensichtlich verstand, als sie das nächste Schälchen eingoss. Reden war ja wohl unerwünscht und so musterte sie den Garten, der offensichtlich nach einem Plan angelegt war. Pflanzen, die sie nicht deuten konnte, bekannte Büsche, keines jedoch wie das andere. Vögel mit langen Federn am Schwanz hocken im Dickicht und sangen. Das waren keine Paradiesvögel, oder wie die hießen. Aber irgendwoher kamen sie ihr bekannt vor. Was für ein verwirrender Ort. Und es wurde nicht besser, wenn sie sich sagte, dass außerhalb immerhin das Jenseits lag, die Unterwelt.

 

Ein Schwall an Magie ließ sie zusammenzucken, ehe sie erkannte, dass das wohl so eine Art Wecker gewesen war, denn Sesshōmaru atmete kürzer, kam offenbar zurück, und Tanjeri-sensei drehte kurz um und flog ihnen gegenüber, nur, um von der Glaskugel abzuspringen und sich auf der anderen Beckenseite in den Sand zu setzen, den grün glänzenden Kimono zurecht zupfend.

Er musterte seine Besucher, ehe er langsam meinte: „Ich werde wohl ein bisschen ausholen, damit ihr versteht, worum es geht. Schrecklich kompliziert, wie es hätte sein sollen und noch komplizierter, was tatsächlich passiert ist. Kurz erst einmal: deine Mutter, Sesshōmaru, hatte recht, es handelt sich um den Bann eines Vampirs. Allerdings keines Energievampirs, der von Yōki und Reiki lebt. Die sind definitiv ausgestorben. Aber es gab einst auch Emotionsvampire, die von den Gefühlen anderer Wesen lebten. Ich erzähle euch ein wenig ihre Geschichte, damit ihr euren Gegner einschätzen könnt.“

Kagome war sicher, dass sich das hauptsächlich auf den Daiyōkai und dessen schwindenden Geduldsfaden neben ihr bezog. Aber sie senkte brav den Kopf. Nur nicht den einzigen Typen verärgern, der ihnen helfen konnte und das auch noch wollte.

 

„Vor langer Zeit stellten die Götter fest, dass Menschen sehr viele Gefühle hatten, darunter auch sehr viele negative, wie Zorn, Trauer, Leid. Um ihnen zu helfen wurden die Gefühlsvampire erschaffen. Sie sollten die negativen Gefühle der Menschen aufnehmen und sich davon ernähren. Leider hatte niemand damit gerechnet, dass die Emotionsvampire intelligent waren. Sie erkannten rasch, dass sie mehr negative Gefühle fressen konnten, wenn sie zuvor den Menschen Leid zufügten.“

„So etwas wie die Wachen von Askaban?“ entkam es Kagome: „Dementoren?“ Sowohl Daiyōkai als auch Zauberer sahen sie an, als ob sie … nun ja. Närrin, die sie war. Sie sollte den Mund halten.

 

„Ich weiß nicht, was Askaban ist.“ Aber der Magier fuhr fort: „Dann bemerkten sie allerdings, dass Menschen sehr zerbrechliche Geschöpfe sind und Yōkai besser durchhielten, ihnen mehr Gefühle gaben. Leider waren die Yōkai zu dieser Zeit dabei sich zu entwickeln. Es entstanden eine Menge, und das sage ich aus eigenem Erleben, eine Menge Daiyōkai. Die Vampire sahen rasch, dass sie stark waren, lange durchhielten – und sie einem Daiyōkai schon dadurch Leid zufügen konnten, dass sie ihn oder sie gefangen nahmen. Nein, Sesshōmaru, das ist nicht unmöglich. Die Vampire reduzierten die Daiyōkai ziemlich. Diese taten darauf hin etwas Ungewöhnliches. Sie schlossen sich zusammen. Jeweils drei gingen zusammen und suchten die Vampire. Danach galten die Emotionsvampire als ausgerottet. Alles, bis auf einen, will mir nun scheinen. - Beachtet, Kinder, euer Gegner gehört zu einer Spezies, die sich darauf spezialisiert hat Daiyōkai zu jagen und zu töten. Ihr solltet ihn nicht unterschätzen. Oh, und wenn ich „er“ sage, ist das nur meine Rede. Emotionsvampire kennen nur ein Geschlecht.“

Tanjeri blickte in das Wasser. „Ich stelle mir den Ablauf so vor. Die Jagd der Daiyōkai nach den Vampiren verlief durchaus sehr erfolgreich. Aber dieses eine Exemplar hatte anscheinend kurz davor einen Daiyōkai gefangen genommen und lebte nun von seinen negativen Gefühlen. Der Vampir lebte also all die Zeit in seinem Versteck. Sei es ein Wald, eine Höhle, was auch immer. Nun scheint die Lebensenergie des Daiyōkai aufgebraucht zu sein und der Vampir machte sich erneut auf die Jagd, um Nachschub zu erhalten. Emotionsvampire sind Meister der Tarnung. Aufgrund der kleinen Spur menschlicher Magie in dem Bann vermute ich, dass er sich als Mensch tarnte, Mensch mir Reiki. Das geht für sie einfach. Er übernimmt den Körper und tötet den Menschen. - Kagome, hast du in den Tagen, Wochen, bevor dieser Zauber gelegt wurde einen unbekannten Mönch getroffen, eine Priesterin?“

 

„Wir trafen vor einigen Tagen eine Miko, ja.“ Sie dachte nach. „Sie erzählte, dass sie weit in den Westen gehen sollte, zu einem Tempel, sie solle den übernehmen. Sie wirkte sehr müde.“

„Wir. Wer war noch dabei?“

„Kaede, das ist die alte Priesterin, bei der ich lerne und Rin, das ist das Mädchen, das … nun, um das sich Sesshōmaru kümmert.“ Sie versuchte krampfhaft zu ignorieren, dass sich ihr Nachbar aufrichtete und anspannte.

Der uralte Magier schien nichts zu bemerken. „Eine alte Frau, ein halbes Kind und du. Du erschienst ihm als der beste Fall, denke ich. Er spürte sicher deine Fähigkeiten. Und, da unterlief ihm ein Fehler. Er muss wahrlich sehr lange nicht mehr in der Welt gewesen sein. Zu seiner Zeit, also, als die Jagd auf die Vampire startete, kämpften mächtige Miko und Daiyōkai miteinander. Etwas anderes konnte er sich wohl nicht vorstellen. Also wollte er den Bann so legen, dass, wenn ein Daiyōkai dich angreifen würde, euer beide Gefühle, negativen Gefühle, auf ihn übergehen. Daher kehrte er nach Hause zurück und zwang den Daiyōkai, den er gefangen hält, diesen anderen Bann zu legen, der euch aneinander fesselt. Der Plan war einfach, ihr kämpft, er bekommt die Emotion.“

„Verzeihung, Tanjeri-sansei,“ murmelte Kagome. „Aber, wäre das nicht ziemlich… kurz? Ich meine, wenn wir so aneinander gebunden sind und uns bekämpfen würden... wenn der Kampf vorbei ist, hätte er doch nichts mehr, oder?“

Da hatte sie tatsächlich einmal recht. Sesshōmaru blickte ebenfalls auffordernd zu dem Zauberer.

Der nickte nachsichtig. „Ja, aber wie bereits erwähnt sind diese Vampire nicht dumm. Da gibt es noch einen Zauber, den er gelegt hat. Und, wenn ich raten sollte, würde ich annehmen, dass der genau euer Ende verhindern soll.“

„Stirbt der Eine, dann auch der Andere, so sagte es Tōtōsai,“ gab sie zu, ohne ganz zu verstehen.

„Oh, nein, so ist es nicht.“

Kagome schluckte, als sie die langsame Kopfdrehung des Hundefürsten zu ihr bemerkte. Oh oh. Alle Urinstinkte schlugen gleichzeitig an: Todesahnung, Fluchtgedanken, Kampfbereitschaft und schiere Panik.

Tanjeri lächelte milde. „Du kannst sie nicht töten, Sesshōmaru. Allerdings nicht, weil du dann ebenfalls stirbst. Ich halte das für einen Spiegelbann. Angenommen, Kagome, du würdest einen Pfeil auf ihn schießen, mit läuternder Energie, würde der nichts bringen. Aber du würdest die Schmerzen empfinden, die er empfinden sollte. Umgedreht ist es genauso. Jede Verletzung, die du, Kindchen, erhältst, wird dir, Sesshōmaru, schaden. So. Zu allem Überfluss scheint es sich bei dem Daiyōkai, den dieser Vampir gefangen gesetzt hat, um ein sehr starkes und mächtiges Exemplar zu handeln. Er wurde gezwungen den Fünf-Meter-Bann zu legen. Und hat es irgendwie noch vermocht einen zweiten Zauber zu legen, offensichtlich ohne dass der Vampir das mitbekam. Dazu gehört wirklich Kraft und Mut, meine Lieben, nach so langen Jahrhunderten. Dieser zweite Bann scheint euch noch nicht aufgefallen zu sein, vermutlich, weil es da Inu Yasha gibt und so etwas wie Familienehre. Ansonsten würde ich darauf wetten, dass ihr durch den Liebeszauber bereits übereinander hergefallen wärt.“ Er genoss den einmaligen Anblick Miko und Daiyōkai gleichermaßen vor sich sprachlos zu sehen. Selbst in seinem langen Leben einzigartig. „Was das soll, fragt ihr euch? Das war wohl alles, was diesem Daiyōkai noch einfiel um zu verhindern, dass ihr euch gegenseitig verletzt. Womöglich hofft er auf Rettung durch einen anderen Daiyōkai.“

„Liebeszauber?“ wiederholte Kagome fassungslos.

„Spiegelbann.“ Sesshōmaru klang kaum begeisterter.

Tanjeri hob begütigend die Hand. „Ich sagte ja schon, Murks. - Allerdings geben die Zauber euch eine Chance die Spur des Vampirs zu verfolgen. Er wollte eure Gefühle spüren, sich davon ernähren. Also muss die Magie mit ihm verbunden sein. Ich werde einmal versuchen herauszufinden wo er sich aufhält. Genau werde ich es kaum bestimmen können, aber einigermaßen. Und ich würde euch dann in diese Gegend schicken. Kleiner Vorteil, wenn man im Jenseits wohnt. Nur, denkt daran: es handelt sich um jemanden, der sich darauf spezialisiert hat Daiyōkai zu jagen. Das wird nicht einfach.“

Sesshōmaru lächelte.

Kagome spürte etwas wie einen Schauder, auch, wenn das Lächeln immerhin nicht ihr galt. Sie sagte jedoch tapfer: „Wisst Ihr, Tanjeri-sensei – einfach wird es nicht, aber es ist ein Muss.“

Der Meisterzauberer nickte etwas. „Ich werde noch einige Zeit brauchen. Magst du baden, Kindchen? Gleich dort drüben ist mein Badehaus. Falls Sesshōmaru so freundlich wäre sich an die Wand zu setzen, könntest du dich ein wenig entspannen und deine Muskulatur heilen.“

Da das schlicht bedeutete, wenn er nicht so freundlich wäre, würde sie demnächst zusammenbrechen, erhob sich der Daiyōkai wortlos und ging die Schritte zu der angedeuteten Stelle des Hauses. Besser so, als wenn er sie unter dem Arm mit sich schleppen müsste, ein Unding. Hoffentlich war sie durch Inu Yasha erzogen genug keine Mittel zu verwenden, die eine Hundenase belästigen würden, sonst konnte er sie demnächst gleich wieder baden schicken.

Auch er bedachte nicht, dass man mit manchen Wünschen vorsichtig sein sollte.

 

Kagome folgte eilig, sah sich noch einmal um, ehe sie durch die Bambustür huschte. Ja, ein Badehaus. Klein, übersichtlich und eindeutig nur für den Hausherrn gedacht. Aus dem Nichts erschienen ein kleiner Zuber mit warmen Wasser, Waschlappen und ein schönes, großes Badetuch. Wirklich, der Magier war überaus gastfreundlich. Sie sollte einfach lernen keine Vorurteile auch nur zu denken. Wie alt er wohl war? Er hatte erwähnt, dass er die Entstehung der ersten Daiyōkai aus eigenem Erleben kannte … das war bestimmt nicht nur mehrere tausend Jahre her, wenn sie so an die Alterspanne der Yōkai dachte. Vielleicht hatte er sich darum hierher zurückgezogen, an den vielleicht einsamsten Ort aller Welten. Er hatte bereits alles gesehen.

Nun ja, dachte sie, als sie gewaschen mit einem Seufzer in das fast vierzig Grad heiße Wasser glitt – es wäre bestimmt taktisch unklug ihn zu fragen, wie alt so ein Magier werden konnte. Auch, wenn sie es gern gewusst hätte.

 

Als die Miko sehr angenehm ermüdet und entspannt aus dem Badehaus kam, sah sie zu ihrer Überraschung Tanjeri-sensei direkt vor Sesshōmaru sitzen. Die Beiden hatten offenbar auf sie gewartet und so ließ sie sich eilig in den Sand nieder, bemerkte durchaus den prüfenden Atemzug des Daiyōkai. Nein, sie hatte weder Seife noch Parfüm genommen, für was hielt er sie eigentlich? Total gedankenlos? Gut, man sollte keine Fragen stellen, wenn man die Antwort schon kannte.

 

Der Meistermagier hob die Hand. „So, da wir nun vollzählig sind – hier, diese kleine Kugel kennt ihr ja bereits. Ich werde sie euch mitgeben, wenn ich später ein Portal erschaffe, durch das ihr springt. Wer sie von euch trägt, dürfte eigentlich gleich sein. - Das Portal endet im Süden auf Ryuku. Dort leben verhältnismäßig wenig Menschen, jedoch eine Menge magischer Lebewesen. Vermutlich fiel das Versteck dieses Gefühlsvampirs auch darum niemandem, also keinem der jagenden Daiyōkai, auf. Wenn ihr dort seid, lasst die Kugel frei. Sie wird euch voran fliegen, auf der Bannspur, die dieser Vampir zu euch gelegt hat. Und solange meine Magie sie nährt. Das wird kaum direkt bis zu ihm sein, dann müsst ihr eben allein weitersuchen. Mehr kann ich euch nicht helfen.“

Da das bereits eine ziemliche Menge war, meinte Kagome aufrichtig: „Vielen Dank, sensei.“

Sesshōmaru neigte kurz den Kopf. Das war viel, jedoch hatte er mehr erhofft. Nun, es war sinnlos zu hoffen, wenn andere Fakten gegeben waren. Und seiner unwürdig.

„Noch einmal eine Warnung, an euch beide, aber vor allem an dich, Junge.“ Tanjeri-sensei verwendete Worte, für die jeder andere umgebracht worden wäre. „Ein Emotionsvampir ist etwas, das du noch nie getroffen hast – ein Lebewesen, dass sich auf die Jagd nach Daiyōkai spezialisiert hat. Ja, es gibt sicher Möglichkeiten es zu töten. Aber vergiss nie, wie viele Daiyōkai ihnen zum Opfer fielen und dass es nur im Team von Drei gelang sie zu beseitigen. Ich weiß, du willst sagen, dass du kein Irgendwer bist, dass du aus guter Familie stammst – das taten jedoch andere auch. Bleibe bedacht und kämpfe mit Bedacht.“

Er vermied das Wort vorsichtig doch, dachte Kagome, aber das war wohl auch besser, denn sie hatte das unbehagliche Gefühl neben einem brodelnden Vulkan zu sitzen. Nicht, dass es auch nur einen Hinweis nach außen geben würde, aber ihr Reiki strich förmlich in Wellen über ihre Haut und das ganz bestimmt nicht ohne Ursache. Mehr um abzulenken, erkundigte sie sich: „Es ist Euch leider auch nicht bekannt, ob ich den Vampir läutern könnte?“

„Ich vermute eher nicht, Kindchen,“ erwiderte Tanjeri prompt. „Ein solcher Emotionsvampir besitzt kein Yōki, das du läutern könntest. Nicht einmal unrechtmäßiges. Denkt beide stets daran – es sind Wesen des Nichts. Sie leben nur, wenn sie negative Gefühle anderer erbeuten können. Genau das könnte sie auch so schwer zu besiegen machen. Ich selbst traf nie einen. Nun, das wäre amüsant geworden. Für mich, natürlich.“ Das einzige Gefühl, das er besaß, war eine gewisse Erheiterung über Besucher, die ihn selten genug hier aufsuchten. Zorn, Neid, Rachsucht waren seinem innersten Kern wesensfremd.

„Warum beseitigt Ihr den Vampir dann nicht?“ fragte Kagome prompt.

„Soweit solltest du Magie kennen, mein Kind. Als ich mich hier einschloss, ließ ich mir nur einen einzigen Ausweg. Daran kann ich nun nichts mehr ändern. Jagd auf Vampire war es nicht.“

Sie wagte nicht zu fragen, was dann. Irgendetwas hatte in seinem Blick gelegen, das ihr so richtig bewusst gemacht hatte, dass sie hier einem Wesen gegenüber saß, dessen Alter nicht nur ehrfurchtgebietend, sondern eher erschreckend war, gerade aus Menschensicht. „Verzeiht, Tanjeri-sensei.“

Etwas wie ein seufzendes Lächeln. „Ich vergesse manchmal in meinem Exil wie rasch die Jugend ist,“ erklärte er nachsichtig. „Ich bin eben schon recht alt – so alt wie die Magie selbst.“

Kagome starrte ihn mit offenem Mund an, ehe sie meinte: „Ihr seid … eines der ersten Wesen mit Magie?“

Sesshōmaru war fast froh, dass sie ihm diese Frage abnahm, die auch ihn eben umtrieb. Wie alt war dieser Meisterzauberer denn dann?

Tanjeri kicherte etwas verlegen. „Nein, Kindchen. Ich bin DAS allererste Wesen mit Magie, entstanden aus der reinen, ersten. Darum gibt es keine Zauberkunst, die ich nicht erkennen könnte. Und genau darum war es wichtig, dass ich mich aus der Welt zurück ziehe. Magie hat auch immer Folgen.“

Sie nickte ernsthaft. Ja, dass hatte ihr Kaede, aber auch Miroku schon beigebracht. Nichts geschah ohne Reaktion.

Der Meistermagier blickte zu dem Daiyōkai, der scheinbar ungerührt dasaß. „Deine Kälte mag dein Schutz sein, wenn du dem Vampir begegnest. Aber verlasse dich nicht zu sehr darauf. Sie sind offensichtlich einst sehr fähig darin gewesen auch die Gefühle von Daiyōkai zu wecken. Nun, kommt mit zum Teich.“

Da er die Kugel in die Luft warf und ihr stummer Begleiter sich schlicht erhob, nahm die Miko die Kugel aus dem Sand. Natürlich, murrte sie. Der feine Herr Hund wollte die kaum spazieren tragen! Erst dann bedachte sie, dass er sie immerhin bereits zwei Mal aufgefangen hatte. Sie war wohl schlicht an der Reihe. Verflixt, wieso dachte dieser Idiot immer so nüchtern und logisch? Das konnte eine, zugegeben recht impulsive, Menschenfrau wirklich in den Wahnsinn treiben! Aber natürlich wäre es intelligenter dazu zu schweigen.

Trotzdem hätte sie fast gequietscht, als sie neben Sesshōmaru an das Becken trat, wo Tanjeri in das Wasser starrte.. „Die Kugel,“ brachte sie hervor. Denn die leuchtete in orange.

 

„Ah.“ Der Zauberer strich seinen Bart. „Sehr gut. Das ist eure Spur. - Ich öffne jetzt das Portal. Halt die Kugel fest und spring hinein. Du folgst ihr.“

Beide mussten die Frage unterdrücken warum in dieser Reihenfolge. Wäre es nicht besser, der Daiyōkai würde als erster in unbekannten Gegenden landen? Aber dann war klar, warum. In einem solchen Portal würde die Kugel die Führung übernehmen und sie lenken. Dann jedoch wäre es besser, wenn sich die Miko um den magischen Wegweiser und der Hundefürst um etwatige Feinde kümmern würde – und beide Hände zum Kampf frei hatte. Und alle Zwei waren froh geschwiegen zu haben, sich nicht vor dem jeweils anderen oder dem Meistermagier blamiert zu haben.

 

Das Wasserbecken vor ihnen veränderte die Farbe. Schwärze begann sich zu drehen, untermalt von Kreisen aus Hellblau und Orange.

„Danke, Tanjeri-sensei, wirklich, vielen Dank,“ sagte Kagome noch einmal höflich, ehe sie den Schritt in das Becken machte. Unverzüglich spürte sie das Yōki hinter sich.

 

Der kleine Meisterzauberer wandte sich um. Er hatte getan, was er konnte und war neugierig, was dieses doch ungewöhnliche Gespann erreichen konnte. Aber vielleicht sollte er einmal seine Schülerin kontaktieren? Nicht nur, um sie zu informieren, dass und wie weit er ihrem Sohn helfen konnte, sondern auch, ob wenigstens sie wusste, wer diese Dementoren aus Askaban waren.

 

 
 

Ein giftiger Drache

Poison

You´re polison running through my veins

You´re poison running through my brain

Poison

 

Alice Cooper

 

 
 

Kagome landete nach einem förmlichen Sturz ziemlich hart, nur aufgefangen von Ästen, Blättern und Zweigen. „Au!“ Was war das für ein Urwald?!

Ihr Begleiter kam deutlich eleganter auf zwei Beinen auf. „Die Kugel?“

Ja, die hatte sie noch, was allerdings kaum sein Verdienst war. Sie zerrte sich mit der Linken die Blätter aus dem Haar und reichte ihm mit der Rechten die orangene Kugel. Er nahm sie natürlich nicht, was ihren Zorn nur weiter weckte. „Danke, übrigens, für die Nicht-Rettung,“ fauchte sie, ehe sie sich mühsam aufrappelte und ihre Kleidung ordnete. Immerhin schien sie sich keine Verletzungen zugezogen zu haben, denn so weit tat nichts unnatürlich weh, nun ja, nur ein bisschen?

Nahm sie es ihm etwa übel, dass er sie nicht wieder aufgefangen hatte? Eine Erklärung war wohl bedauerlicherweise schon wieder notwendig. „Ich bin nicht für dich verantwortlich.“ Er sah sich um.

Ach ja? Schön, das war offensichtlich die Folge davon, dass er nicht mehr mit draufgehen würde, wenn sie starb. Übersah der Herr Hund da nicht die Kleinigkeit, dass es ihn schmerzen würde, wenn sie Schmerzen empfand? Allerdings – wenn Meister Tanjeri da recht hatte, wieso tat diesem Riesenhundeidioten dann jetzt nichts weh, sondern ihr? Oder galt das nur, wenn er sie verletzen würde? So oder so, letzteres wollte sie nicht unbedingt ausprobieren. „Und jetzt?“

„Lass die Kugel fliegen.“ Das hatte der Zauberer doch gesagt. War dieser Sprung durch das Portal etwa ihrem sowieso schon minderwertigen Verstand nicht bekommen?

Kagome überlegte für drei volle Sekunden ob sie nicht doch versuchen sollte ihn zu läutern, ließ dann allerdings resigniert die Kugel fliegen.

Das kleine Stück Metall leuchtete noch immer orange, schlug aber rasch eine Linie ein, langsam genug, dass ein Mensch durch den dichten Wald folgen könnte.

Sie unterdrückte ihren Fluch und ging hinterher, gefolgt von einem Daiyōkai, der sich gerade wirklich fragte, was in dem Tee oder in dem Bad bei Tanjeri-sensei ihr nicht bekommen hatte. Sie war doch schon relativ vernünftig gewesen? Woher hätte er auch ahnen sollen, dass sie aufgrund des erwähnten Liebeszaubers unbewusst versuchte sich zu schützen – und ihn als Feindbild nahm? Sie ahnte es ja selbst nicht.

 

Was sie auch nicht ahnte, während sie sich etwas mühsam durch das Dickicht kämpfte war, dass der Hundefürst in ihrem Rücken den linken Ärmel hochschob und die Striemen auf seinem Unterarm betrachtete. Eindeutig waren das die Folgen des Rücksturzes in die Welt der Lebenden. Aber nie zuvor hatte ihm so etwas geschadet, geschweige denn, wenn auch kleine, Schmerzen zugefügt. Er ließ den Ärmel fallen. Das konnte nur bedeuten, dass Tanjeri-sensei recht gehabt hatte, und da ein Spiegelzauber am Werk war. Die nächste Sekunde bewies das noch einmal. Kagome bog einen Ast zu früh zurück, der zurück schnalzte und sie ins Gesicht traf. Unwillkürlich schrie sie etwas in Schreck und Überraschung auf – dabei empfand er den Schmerz im Gesicht. So ging das nicht weiter. Wenn er jedes Mal durch ihre Unfähigkeit durch einen Wald zu gehen Striemen bekam … Hm. Sie umzubringen war dann leider auch nicht die Lösung. Wenn er diesen Vampir zwischen den Klauen hatte, würde der sein blaues Wunder erleben. Jahrhundertelang, wenn es nach ihm ging. „Aus dem Weg.“

 

Tatsächlich zuckte sie förmlich zusammen und wich beiseite. Sie hatte bereits einige Male miterleben dürfen, wie nach einer solchen Ansage ein tödlicher Angriff auf den erfolgte, der ihm eben nicht aus dem Weg ging. Schön, immerhin warnte er. Aber warum schien er schon wieder so sauer? Was hatte sie denn gerade falsch gemacht? Ja, gut, sie war auch verärgert gewesen, dass er ihr nicht geholfen hatte. Aber zwischen ihrer lauten Wut und seinem stillen Zorn lagen in der Wirkung buchstäblich Welten. Sie schimpfte auf alles und jeden, zur Not, das gab sie zu, hatte sie vor Jahren auch schon mit Inu Yasha Löcher in dem Boden geschaffen, aber eigentlich passierte nichts, außer dass sie sich wieder abregte. Bei Sesshōmaru endete das leicht in Toten. Und leider, wenn sie sich so umsah, war sie das einzig Tötbare in seiner Reichweite. Auch, wenn zu hoffen stand, dass er sich etwas zurückhalten würde, Spiegelbann und so. Aber das bot keine Garantie, immerhin trug dieser Hundeidiot mit Tenseiga eine Waffe spazieren, die ihn im Notfall auch noch beschützte.

„Es... ich wollte dich nicht ärgern,“ erklärte sie darum, nicht unbedingt einsichtig warum immer sie nachgeben sollte, aber doch klug genug die Folgen abzuschätzen.

Dafür kassierte sie wieder einen dieser berühmten Seitwärtsblicke, in dem Fall über die Schulter zurück: wenn ich könnte, wie ich wollte... Ehe er die Rechte hob.

 

Kagome wollte fast schon ihren Bogen von der Schulter gleiten lassen, in der unwillkürlichen Abwehr, als sie erkannte, dass er wieder nach vorne blickte. Wie sie es durchaus schon gesehen hatte leuchteten die Finger grünlich, ehe eine Art dünne Schnur aus seinem Yōki durch die Luft zischte und in das Dickicht vor ihnen einen Weg schlug.

Ja, dachte sie, schon praktisch, wenn man so etwas dabei hatte. Hatte sie leider nicht. Und wo war jetzt die Kugel? Aber, da er den neu geschlagenen Pfad entlang schritt, folgte sie eben, zwischen Zorn und Resignation schwankend.

Sie würde wirklich nie mehr Inu Yasha anmaulen. Gegen den älteren Halbbruder war der echt ein Ausbund an Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft! Sicher, ab und an ignorierte auch er ihre Gefühle, aber oft genug, weil er nicht nachdachte oder es auch einfach nicht besser wusste. Oder gewusst hatte, denn der lernte immerhin dazu. Etwas wozu sich der Herr Hundefürst wohl nie herabließ. Wie hatte das Rin bloß je geschafft mit dem Kerl durch die Wildnis zu ziehen und dabei glücklich zu sein? Sie selbst konnte sich ja nicht einmal zur Zufriedenheit aufraffen so als lästiges Anhängsel betrachtet zu werden. Nutzlos, töricht und nichts als Schwierigkeiten machend.

Schön, gab sie dann ehrlich zu, er hatte ihr auf diesem Trip auch schon geholfen. Nur war das leider erstens nicht der Normalzustand und zweitens hatte sein Beistand immer so etwas Nüchternes, Pragmatisches. Das passierte nicht aus Zuneigung oder auch nur Hilfsbereitschaft. Sie hatte das unzweifelhafte Gefühl, wenn der Spiegelbann und auch der Fesselzauber hoffentlich endlich beseitigt waren, wäre der Herr Schwager ebenso ausgezeichnet in der Lage sie in der Mitte des Irgendwo allein zu lassen.

Und, erkannte sie an diesem Punkt ihrer Überlegungen: die Tatsache, dass nun er voranging und immer wieder mit dieser Energiepeitsche einen Weg frei schlug, war auch eine dieser Aktionen, die zwar hilfreich waren – und dennoch sie ärgerten, weil sie ihr dermaßen deutlich vor Augen führten, was sie so alles nicht konnte. Irgendwann würde sich noch die Gelegenheit ergeben, schwor sie sich, und sie ihm beweisen, wozu eine Menschenfrau, noch dazu eine Miko, im Stande war.

Sie bemerkte, dass er etwas den Kopf hob, ehe er erneut einige Meter freilegte. Er witterte. Es war nicht nur vermutlich, sondern absolut sinnlos ihn zu fragen, was er roch. Wenn es eine Gefahr gab, würde er sie beseitigen, wenn nicht – hatte sie nur wieder einen Beweis für ihre Dämlichkeit geliefert, oder wie er das sah. Das war doch...

 

Keine hundert Meter weiter wusste sie, was er gewittert hatte, denn auch ihr stieg Schwefelgeruch in die Nase. Ja, Ryuku. Da gab es vulkanische Aktivitäten und auch Thermalquellen, ja, Kurorte. Zumindest im 21. Jahrhundert. Nun ja, die Vulkane gab es hier und jetzt wohl auch.

Und sie erkannte das gewisse Problem ein Stück weiter. Vor ihnen endete der Wald vor einer Lichtung, in der eine ziemlich große und dampfende Schwefelquelle lag, deren Wasser gelblich schimmerte. Und sie hatte geglaubt mit diesem seltsamen Tal auf Tanjeris Insel wäre dieser Punkt abgehakt. Das stank vielleicht! Ärgerlicher war freilich die steil fast hundert Meter ansteigende helle Felswand, an der die Kugel empor schwebte, nun allerdings zu warten schien. Nein, da kam sie so nicht hoch.

 

Sesshōmaru, der durchaus angetan war, dass hinter ihm schon über eine halbe Stunde Schweigen geherrscht hatte und zu hoffen wagte, dass sie sich abgeregt hatte, prüfte kurz die Umgebung, so gut das bei dem Schwefel und Wasserstoff in der Luft möglich war, ehe er sich entschied. „Warte hier.“

Was? Sie wollte ihn schon auf den Fesselbann aufmerksam machen, ehe sie entdeckte, dass die Kugel nun hin und her schwebte, in genau dieser Höhe, jetzt vor einer Art Absatz in der Luft hängen blieb. Ab da gab es wohl einen Weg, den er sich ansehen wollte. So meinte sie nur: „Ja.“

 

Immerhin. Es fehlte noch eine Höflichkeitsanrede, aber sie schien sich wieder vernünftig verhalten zu wollen. Er machte den Satz zu den Kugel. Das war eine Art Pfad, ja. Aber, soweit er die Miko in den letzten Tagen kennengelernt hatte, für sie schwierig zu gehen. Diese fünf Meter Begrenzung verhinderte auch, dass er weiter nach oben suchen konnte. So sah er sich um. Die Quelle war direkt unter ihm und Kagome sah empor. Neugierig war sie ja. Oder sie vertraute ihm nicht so recht, was natürlich unsinnig wäre.

Linker Hand dehnte sich der Wald scheinbar endlos aus, entlang dieses Steilhangs. Rechts zeigte sich allerdings, dass diese Berge niedriger wurden und sicher einfacher zu begehen waren. Er streckte wortlos die linke Klaue aus. Mit ein wenig zögern kam die Kugel des Meisterzauberers in seine Hand.

Hier hoch könnte er springen, aber da seine Begleitung bereits angedeutet hatte, dass sie dann unter ihm hing und ihr Magen das nicht schätzte, wäre es nur töricht die eigene Nase zu beleidigen.

Die Frage stellte sich ob und wie diese Kugel einen Umweg mitmachen würde ohne die Spur des Vampirs zu verlieren. Das wäre fatal – immerhin wollte er dem höchstpersönlich den Weg in das Jenseits zeigen. So richtete er die ausgestreckte Hand mit der Kugel drin probeweise in Richtung auf die niedrigeren Berge. Das Aussehen des Wegweisers veränderte sich nicht, er bewegte sich auch nicht. Und nun? Er streckte den Arm in die andere Richtung aus – und sah sofort, wie die Farbe schwand. Gut. Dann war das also der Weg. Er blickte hinunter um zu springen.

Das war doch... Konnte man diese Frau denn nicht einmal für eine Minute aus den Augen lassen? Sie war wirklich deutlich ärger als Rin in Kindertagen. Und da hatte er schon vermutet, dass sie sich manchmal in Gefahr brachte um ihn anzulocken. Das war bei Kagome zwar ausgeschlossen, aber...

 

Die Miko hatte sich unterdessen umgesehen. Dieser Schwefelteich stank fürchterlich und der Urwald um sie ließ sie sich auch nicht sonderlich gut fühlen. Reiner Instinkt, denn sie wusste so etwas wie einen privaten Wachhund ja quasi über sich.

Ein ziemlich lautes Rascheln ließ sie seitwärts blicken, jäh alarmiert. Ein großer Philodendron bewegte sich, wenngleich nahe am Boden. Was da war konnte nicht sonderlich groß sein. Tatsächlich tauchte etwas Reptilienhaftes auf und blieb stehen, legte den Kopf schräg und betrachtete sie aus großen, dunklen Augen.

Eine kleine Echse, die kaum die Höhe ihrer Knie erreichte, aufrecht auf zwei Beinen laufend. Die kurzen Arme hingen nutzlos in der Luft. Die Schuppenfarbe changierte zwischen Grün und Braun, was natürlich eine hervorragende Deckung in diesem dichten Wald bot.

Kagome schloss aus der Größe und der Neugier, dass es sich um ein Jungtier handeln musste und legte ebenfalls den Kopf schräg, um eine Kommunikation anzudeuten. Erstens fand sie kleine Kinder egal welcher Art niedlich, zum Zweiten war ihr klar, dass Jungtiere selten allein durch die Gegend streiften, und so suchte sie aus den Augenwinkeln den Wald ab, ob da nicht zufällig die Mama, möglichst noch hoch wie ein dreistöckiges Haus, dazu kam. Da der Kleine jetzt den Kopf auf die andere Seite legte, folgte sie diesem Beispiel. „Du bist ja süß,“ meinte sie. Es war durchaus beruhigend gemeint, denn die Echse klappte etwas auf, das sich wie ein Kragen um Genick und Seiten des Halses schlang. Eine Kragenechse? Irgendwie hatte sie die deutlich kleiner in Erinnerung aus dem Zoo. Aber, schön.

 

Im nächsten Moment öffnete der Kleine das Maul. Insektenfresser, dachte sie noch in Anbetracht der vielen, spitzen Zähnchen, ehe er schrie. Und das war eigentlich nicht zu hören. Ultraschall. Sie erstarrte instinktiv, konnte sich nicht einmal mehr rühren, als er einen Satz auf sie zumachte und empor sprang, um in ihren Oberschenkel zu beißen.

Sie wollte schreien, als sie etwas Weißes von oben kommen sah und die kleine Echse säuberlich tranchiert zu Boden fiel.

Erst dann erkannte sie den Hundefürsten, der sich zu ihr umdrehte, die Augen deutlich verengt. „Tut mir Leid,“ brachte sie daher irgendwie heraus, durchaus nicht sicher, ob und was sich an ihrer Lage soeben verändert hatte. Immerhin hatte der Biss sie entweder komplett verfehlt oder der Kleine nur in ihre Hose gebissen, denn sie spürte keinen Schmerz.

„Du hast den Drachen nicht geläutert.“ Das war eine Feststellung.

Und trotzdem wuchs ihr schlechtes Gewissen. Ihm zu sagen, dass sie das für ein harmloses, niedliches Baby gehalten hatte, würde bestimmt kein gutes Licht aus sie werfen, lügen war unmöglich, also versuchte sie es mit der zweiten Wahrheit: „Ich dachte, so ein Kleines ist nie ohne Mutter unterwegs und versuchte nach ihr Ausschau zu halten, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.“

Sie log nicht, aber das machte es kaum besser. „Komm. - Das war ein ausgewachsener Giftdrache.“

Ausgewachsen? Gift? Aber sie folgte Sesshōmaru, als er sich umdrehte und entlang der Felswand weiter durch den Wald ging, sicher, dass, was immer sie jetzt sagen würde, nicht sonderlich gut aufgenommen werden würde. Immerhin hatte er es ihr noch erklärt, worin ihr Fehler bestanden hatte, wenngleich mit einem unheilvollen Knurren. Für ihn in dieser Stimmung wahrscheinlich echt großzügig.

 

Fast fünf Minuten später hatte sie sich soweit gefangen, dass ihr auffiel, dass sich der Daiyōkai vor ihr irgendwie seltsam bewegte. Besser gesagt, schwerfälliger als gewöhnlich. Sie sah genauer auf die ihr mittlerweile vertraute Rückenansicht. Ja, doch, er ging irgendwie schief. Als ihr suchender Blick tiefer glitt, entdeckte sie einen ungewohnten Flecken auf seiner Hose, der unter einem metallenen Blatt seines Hüftschutzes begann und sich langsam immer weiter Richtung Knie ausdehnte.

Grün mit Schaum, der durch den Stoff drang, wie Gift.

Und rot wie Blut.

Sie zuckte zusammen. Der Spiegelbann!

Der Drache HATTE sie gebissen – nur das Gift und den Schmerz hatte jetzt Sesshōmaru. Super. Das erklärte noch einmal seine Laune. Immerhin würde er doch mit dem Toxikum besser zu Rande kommen als sie, nahm sie doch an. Immerhin trug er ja körpereigenes Gift in sich. Denn das Allerletzte, was sie gebrauchen konnte, wäre, dass er hier drauf ging – und sie vermutlich gleich mit.

 

Sesshōmaru hatte derweil wirklich überlegt, wie er ihr das heim zahlen konnte. Aber er war nüchtern genug, um zu wissen, dass es nicht ihr Gift war, das er in seinen Adern spürte, sie den Schmerz zumindest nicht direkt verursacht hatte. Ihr einziger Fehler hatte darin gelegen, den Giftdrachen als Kind einzuschätzen, vermutlich wegen seiner Größe, und nach der Mutter Ausschau zu halten. An sich logisch und vernünftig, denn Mütter neigten zu irrationalen Taten, wenn es um ihre Kinder ging, und er nahm nicht einmal die seine aus, deren Auffassung von Mütterlichkeit zwar nicht der erwarteten entsprach, die aber dennoch nie zulassen würde, dass ihrem Einzigen etwas finales zustieß.

Das wahrlich starke Gift würde ihm an sich nicht viel ausmachen – er müsste sich nur ein wenig regenerieren. Fraglich war nur, ob und wie sie die Zeit dazu bekommen würden, denn Giftdrachen jagten in Rudeln. Das war vermutlich der Späher gewesen und der Rest der Meute würde ihn finden. Und die Spur der Beute verfolgen. Kagome kam gegen ein Rudel Drachen sicher nicht an und er selbst … Nun ja. Er war nicht auf der gewohnten Höhe seiner Fähigkeiten. Das Gift brannte in seinen Adern und er spürte förmlich, wie es sich auch in seinem Gehirn breit machte. Er dachte langsamer als es gut wäre.

Nein. Er brauchte, so peinlich es war, ein Versteck, in dem sie vor den Drachen sicher waren und er sich regenerieren konnte. Schuld an diesem Malheur und dieser Blamage war einzig und allein der Kerl, der diesen Spiegelbann gelegt hatte. Wenn er diesen Vampir zwischen die Klauen bekam....

 

Besagter Gefühlsvampir saß in seiner Höhle und wartete. Als Tama nun über die magische Verbindung, die er um Kagome gelegt hatte, endlich ein Gefühl erhielt, nutzte er es, ähnlich einem Weinprüfer – behutsam und nachschmeckend.

Oh, Schmerz und Zorn bei einem Daiyōkai? Das konnte nur bedeuten, dass endlich einer versucht hatte „seine“ Miko zu überfallen und prompt in den Fesselbann getappt war. Der erste Angriff war auf ihn zurückgespiegelt worden … Sekunde. Ja, doch, das war ein Männchen. Und ein recht starkes, wollte ihm scheinen, denn die Gefühle wurden prompt zurück gedrängt. Ach ja. Ob diese Daiyōkai je begreifen würden, dass ihr Stolz auch immer ihr Untergang war? Allerdings war seltsam, dass er keinerlei negatives Gefühl wie Zorn, Angst oder Verzweiflung von dieser Kogame, Kawohe oder so ähnlich erhielt. Sie konnte doch kaum in einem Kampf mit einem Daiyōkai so ruhig bleiben? Obwohl, eine Weile lang schon. Diese Miko lernten ja ihre eigenen Gefühle zu unterdrücken – was für einen Emotionsvampir recht lästig war. Nun gut. Früher oder später würde auch sie realisieren, dass sie sich in einer fatalen Falle befand und Trauer, Wut, Verzweiflung zeigen.

Jedenfalls hatte seine Falle zugeschnappt. Und er würde seinen Käfig leer brauchen für seinen neuen Gefangenen. Ja, dieses Männchen schien sehr stark zu sein. Das gäbe Jahrhunderte...

 

Sesshōmaru zwang sich seine Gefühle zu unterdrücken, als sein Blick auf die kleine orangene Kugel fiel, die vor ihm flog. Das war die Verbindung zu dem Vampir – aber sie war kaum nur einseitig. Auch dieser Narr mochte Gefühle erspüren können – und zwar nach allem, was Tanjeri-sensei gesagt hatte, sogar noch eher die von Daiyōkai als Menschen. Dennoch, er sollte Kagome warnen. Und er sollte ein Versteck finden, denn seine Gedanken wurden eindeutig immer langsamer.

Gift gegen ihn war fast lächerlich – dass dieses Gift eines winzigen Drachen ausreichen sollte ihn einem Vampir auszuliefern allerdings mehr als ärgerlich. Er sollte etwas unternehmen. Dort vorne lag am Steilhang ein Gewirr aus Felsbrocken, die einst wohl herabgestürzt waren. Vielleicht ergab sich dort ein Versteck? Er musste einen Bannkreis legen und sich regenerieren.

Und diese Wiederholung seiner Gedanken bewies nur, dachte er ingrimmig, wie sehr das Gift dieses Drachen schon in ihm tobte. Allerdings vermutlich war es sogar gut. Kagome wäre bereits tot und er wusste wirklich nicht, in wie weit Tenseiga da dann eine Hilfe wäre.

Das war perfekt, dachte er Minuten später, als er das Felsgewirr erreichte. Linker Hand, an dem Steilhang, öffnete sich ein schmaler Spalt. Die Ursache dieses Risses war leicht zu erkennen, ein Bach floss daraus. Vermutlich eine Quelle. Er trat hin und sah in das Dunkel, ehe er sich umwandte: „Geh hinein.“

 

Kagome gehorchte wortlos, mit ziemlichem Schuldbewusstsein. Ihr war nicht entgangen, dass er immer langsamer wurde, der Fleck auf seiner Hose immer größer. Er musste ziemliche Schmerzen haben und unter dem Gift leiden – und das war schlicht ihr Verdienst, weil sie nicht aufgepasst hatte, weil sie nicht mitgedacht hatte. Das sollte nicht mehr vorkommen, hatte sie sich vorgenommen.

Sie sah sich um, in dem vagen Tageslicht. Im Hintergrund der Spalte quoll ein Bächlein direkt aus dem Felsen, rann in ein Becken aus Sinter, das fast wie ein Handwaschbecken aussah, ehe das überlief und das Wasser sich seinen Weg an das Tageslicht suchte. Fast hübsch, dachte sie, ehe sie sich umwandte. Was machte...

Sesshōmaru hatte Tenseiga gezogen und die Klinge in den Boden gerammt, direkt am Eingang. Sie erkannte das Flirren eines Zauberbanns, eine Illusion. „Du willst dich regenerieren,“ versuchte sie es. „Natürlich wirst du mit dem Gift fertig.“

Er nickte zu Boden. Als sie saß, ließ er sich neben ihr nieder, das verletzte Bein ausgestreckt. Dann bedachte er, sie sollte es wissen. „Giftdrachen jagen im Rudel.“

„Oh.“ Unwillkürlich glitt ihr Blick zum Eingang, ehe sie Bogen und Köcher abstreifte, jedoch griffbereit zwischen sich und das Quellbecken legte.

Ein Unterschied zu Jaken, dachte er. Sie hatte erkannt, dass sie einen Fehler gemacht hatte und wollte ihn nun bereinigen. Anscheinend, in dem sie für ihn Wache hielt. Nutzlos. Aber irgendwie wohl nett gemeint, wie auch Rins Blumenkränze...

 

 
 

Ein medizinischer Notfall

Help! I need somebody

Help! Oh, just anybody,

Help!

 

Beatles: Help

 
 

Kagome blickte vorsichtig seitwärts. In dem kleinen Spalt herrschte Halbdunkel und ihr drängte sich mehr die weiße Kleidung, Haare und die schwarze Rüstung ihres Begleiters auf. Sie erkannte jedoch eindeutig, dass er den Kopf an die felsige Wand zurücklehnte. Nein, es ging ihm nicht gut, und das war leider ihre Schuld. Na schön, auch die dieses dämlichsten Vampirs aller Zeiten, der diesen Spiegelbann gelegt hatte. Leider konnte sie nicht umhin festzustellen, dass sie selbst, hätte dieser Giftdrache sie tatsächlich erwischt, vermutlich inzwischen schon reif für eine, hier sicher nicht vorhandene, Intensivstation gewesen wäre.

Sesshōmaru war ein Daiyōkai und würde doch bestimmt mit dem Gift und der Verletzung besser zurande kommen als sie. Damit tröstete sie sich und lehnte sich ebenfalls etwas zurück. Immerhin waren sie durch Tenseigas Bann hier vor diesen kleinen Biestern geschützt.

Jetzt wusste sie auch, an wen oder was sie der Drache erinnert hatte. Nicht unbedingt eine Kragenechse aus dem Zoo, obwohl die so ähnlich aussahen, wenngleich kleiner. Da hatte es doch in „Jurassic Parc“ diese kleinen Saurier gegeben, die den unzufriedenen Programmierer gefressen hatten? Nun ja. Nichts, was sie ihrem stummen Zwangspartner erzählen sollte, der schon bei ihren Harry Potter Vergleichen immer sehr eigenwillig drein blickte. Ihm auch noch erklären zu sollen, was Saurier oder gar Programmierer waren, würde sie doch etwas überfordern. Und ihn weniger als nicht interessieren, zugegeben.

Sie warf einen Blick auf seinen verletzten Oberschenkel, der ihr zugewandt war. Noch immer schien Gift, vermischt mit Blut die weiße Seide zu tränken. Und der Herr Hund wirkte ungewohnt matt. Hoffentlich wurde er wirklich mit dem Gift fertig. Und das hätte sie ja treffen sollen.

Ach du je.

Sie spürte eine eisige Furcht ihre Wirbelsäule emporklettern. Wenn das stimmte? Wie sollte sie ihm das klar machen? Sie wusste nicht viel von solch einem Spiegelzauber, aber eigentlich wäre ihre Folgerung logisch. Oder?

Sie dachte noch einmal nach, ehe sie zugegeben zögernd meinte: „Äh, Sesshōmaru, könnte es sein, dass der Spiegelzauber noch eine Nebenwirkung hat?“

 

Er reagierte zunächst nicht, aber dann öffnete er die Augen und sein Blick glitt zu ihr.

 

Fein, offenkundig durfte sie reden und er war soweit noch wach. Aber, nun ja, wie sagte man so etwas seinem mörderischen Schwager? „Die offensichtliche Wirkung dieses dämlichen Zauberspruches ist ja die,“ begann sie eilig, um sich nicht selbst kirre zu machen: „Dass ICH gebissen wurde, aber du den Schmerz und das Gift erhalten hast. Ich habe jetzt nur nachgedacht und die gewisse Befürchtung, dass das leider nicht die ganze Wirkung ist. Zugegeben, ich verstehe wenig von Magie, sicher weniger als du, aber mir kommt es eben eigen vor, dass du dermaßen Probleme hast. Ich meine, du bist ein Daiyōkai und nicht gerade einer vom letzten Haken.“ Da ein weiterer Blick sie mahnte zur Sache zu kommen: „Was wäre, wenn du eben nicht nur das Gift und den Schmerz bekommen hast, sondern auch einen gewissen Anteil … das klingt so eigen, ich weiß … meines Blutes?“ Da sich seine Klaue anspannte, brauchte sie gewissen Mut um fortzufahren: „Das würde erklären, warum es dich dermaßen trifft. Und, der Umkehrschluss lautet, leider, dass wir diese Verletzung bei dir behandeln müssen, als sei sie bei mir. Auswaschen, kühlen und ….und so....“ Au weia. Hilfe? Allerdings hatte sie in den letzten Monaten genug menschliche Patienten behandelt, um in dem eiskalten Blick, der ihr gerade das Blut in den Adern gefrieren ließ, auch etwas anderes zu sehen – in seinen Augen glitzerte es. Fieber. Das bewies nur, dass sie recht hatte. So zwang sie sich tief durchzuatmen. „Ich sage das wirklich ungern, das kannst du mir glauben … Aber du hast jetzt schon Fieber. Und, wenn du hier drauf gehst, ich doch auch. Bitte, Sesshōmaru, lass mich diese Verletzung zumindest ansehen. Ich … Ich weiß, dass du das nicht willst, aber dieser Vampir würde sich doch ausschütten vor Lachen, wenn wir hier beide drauf gehen.“ Und sie hatte geglaubt, Inu Yasha wäre stur und schwer zu überzeugen? Was jetzt? Gegen seinen Willen Sesshōmaru anzufassen, gar auszuziehen, würde vermutlich ihr nur den Darwin Award einbringen, mit dem Zusatz: sie hat sich freiwillig aus dem Genpool genommen.

„Wie?“

Diese Frage verwirrte sie derart, dass sie ihn nur anstarrte. Wie, was? Sie umbringen?

 

Sesshōmaru hätte gern die Augen geschlossen und sich entspannt, aber irgendetwas in ihm war der Überzeugung, dass sie recht hatte. Sie war jedenfalls sicher recht zu haben, sonst hätte sie solch einen Unsinn nie laut ausgesprochen. Er kannte schließlich den eigenen, mörderischen, Ruf. Warum sie jetzt absolut nicht verstand, wusste er nicht. „Wie auswaschen?“ konkretisierte er.

„Oh.“ An eine derart praktische Sache hatte sie noch gar nicht gedacht, war eher der Überzeugung gewesen ihn noch weiter überreden zu müssen. Allerdings alarmierte sie seine prompte Zustimmung. Es musste ihm noch schlechter gehen als er es zeigte. „Ich dachte, ich nehme meine Bluse her.“

Oh, wunderbare Idee. Er stellte sich für einen Moment die Rückkehr ins Dorf vor. Selbst, wenn sie ihre Kleidung danach auswusch wäre die Nase sogar eines Halbblutes kaum zu täuschen. Inu Yasha war impulsiv und ein Narr, das gab ein Duell, warum sie nach dem Älteren roch, ehe sie das noch erklärt hatte. Und zugegeben, dachte der Daiyōkai, diese Erklärung brauchte die kleine Familienschande wirklich nicht zu hören. Der Hanyō würde sich Jahrhunderte über ihn lustig machen. Ohne weiteres Wort zog er mit der Linken Tenseigas Scheide aus seinem Gürtel und legte sie neben sich, Bakusaiga folgte. Dann öffnete er den Obi und reichte ihr das gelb-blaue Seidenband. „Wasch es aus,“ befahl er mit aller ihm noch zur Verfügung stehenden Kühle.

 

Kagome atmete etwas auf, nahm das Seidenstück und wandte sich ab, sicher, dass er das auch damit erreichen wollte. Während sie die Seide behutsam in dem kleinen Sinterbecken ausdrückte, bedachte sie, dass das wirklich überaus fein gewebt war. Sicher von Yōkai, denn sie glaubte nicht schon einmal einen so feinen Stoff unter den Fingern gespürt zu haben. Leises Metallklirren hinter ihr. Legte er doch den metallenen Lendenschurz ab? Hatte sie ihn zumindest zur Kühlung überzeugen können? Oder aber – ging es ihm viel schlechter als er tat? Sie hatte zwar bei Kaede schon allerlei für die Behandlung Kranker gelernt, aber ein von einem Drachenbiss betroffener Daiyōkai war noch nie dabei gewesen, geschweige denn der Spiegelbann.

Als sie sich umwandte, musste sie ein Grinsen unterdrücken. So mies die Lage war und so mörderisch der Herr Hund – das war fast niedlich. Er hatte sich die Hakama am rechten Bein bis knapp über das Knie heruntergezogen, links aber belassen. Seine Boa lag nun über seinem Schoß und zwischen seinen Beinen. Schamgefühl bei einem Yōkai? Man lernte nie aus.

Sie nahm sich zusammen und musterte die Verletzung. „Das sieht nicht gut aus,“ erklärte sie leise. „Ich wasche jetzt mal das Blut und das Gift ab, vielleicht kann man dann mehr erkennen. Immerhin kommt jetzt auch Eiter.“ Sie brauchte gar nicht aufzusehen, um zu wissen, dass er damit nichts anfangen konnte. „Das ist eine körperliche Reaktion bei Menschen, der Körper wirft sozusagen damit Bakterien, äh, Krankheits- oder Giftstoffe, hinaus.“ Sie zögerte noch kurz, dann begann sie ihre Arbeit.

Als sie die Seide erneut auswusch, bedachte sie, dass der Kerl wirklich gut gebaut war. So, was sie vom Oberschenkel und Hinterteil sehen konnte …. Sie rief sich zur Ordnung. Das war ein Patient. Und, da ihr eigenes Überleben auch noch mit dran hing, sollte sie solchen Unsinn besser sein lassen. So achtete sie lieber auf seine rechte Hand, die nur scheinbar locker neben ihr lag. Ihr war bewusst, dass er sie damit ohne jede Anstrengung zerreißen könnte, aber er schien einzusehen, dass sie recht gehabt hatte. Immerhin etwas. Zum ersten Mal entpuppte sich seine Sachlichkeit als wirklich nutzbringend.

Nach noch einmal abwaschen meinte sie: „Ich denke, es kommt nichts mehr nach, es scheint soweit zu wirken. Wenn du magst, ich meine, ich weiß von Inu Yasha, dass er nach Verletzungen in solch einen tiefen Schlaf fällt....“ Hilfe? Das war wohl schon wieder zu viel gewesen, dem Blick nach zu urteilen. Er wollte sich sicher nicht mit einem Hanyō vergleichen.

 

Leider musste er ihr erneut zustimmen. Das einzig Erstaunliche an ihrer Aussage war, dass der Bastard in den Heilungsschlaf eines vollblütigen Yōkai verfiel. Nun gut. Irgendwo musste ja auch Vaters edles Blut durchschlagen.

 

Kagome atmete durch. „Ich werde die Seide jetzt um deinen Oberschenkel wickeln ...nein?“ Denn er griff wortlos danach. Na gut. Er wollte wohl seine Boa nicht durch sie verschieben lassen. So ergänzte sie nur: „Ich gehe dann mal nach Kräutern für eine Packung suchen … Nein?“ Was spielte der Hundeidiot eigentlich? Einen Wettbewerb nicht mehr als hundert Worte pro Tag? Er blickte zu dem Bannkreis. Sie wollte schon einwenden, dass sie Tenseiga sicher durch lassen würde, als sie Schatten draußen wahrnahm und etwas wie ein Gezwitscher. „Drachen?“ hauchte sie nur. Offenkundig hatten die sie noch nicht bemerkt. Vielleicht gehört, ja, aber die Illusion schien stand zu halten. Na schön, dann hatte sie wohl alles getan, was sie sonst konnte. So lehnte sie sich etwas zurück an die Felswand und nahm den Bogen um ihn auf ihren Schoß zu legen, den Köcher neben sich ziehend. Die Schatten draußen schienen wirklich zu suchen. Falls der Daiyōkai tatsächlich in den Heilungschlaf sank, musste und würde eben sie wachen. So schön sie es auch gefunden hätte auch eine Mütze voll Schlaf zu nehmen – zum Sterben war das nicht schön genug. Sobald der Bannkreis nachgab würden diese winzigen Biester sie beide finden. Und dann gab es kein dann mehr. Sesshōmaru war eindeutig in einem miesen Zustand. Noch einen Giftbiss würde er kaum überstehen, von mehreren ganz zu schweigen Und sie selbst – fraglich?

Erst, als sie von draußen nichts mehr hören konnte und auch keine Schatten mehr erkannte, drehte sie den Kopf zu ihrem Patienten. Er hatte sich tatsächlich die Seide um den Oberschenkel gelegt und die Augen geschlossen. Da sein Atem kaum zu sehen war, vermutete sie, dass er schon tief schlief. Aber sie konnte, wenn sie behutsam die Hand in seine Richtung hob, spüren, dass seine Körpertemperatur weitaus höher als die ihre lag. Nun ja, das war sie bei Yōkai und auch ihrem Hanyō immer, aber das war doch noch einmal etwas sehr Ungewohntes. Und es ließ ihre Besorgnis nicht gerade sinken.

Zu allem Überfluss dämmerte ihr gerade eine noch lästigere Sache – bei heftigem Zorn neigten solche Yōkai doch dazu sich in ihre wahre Gestalt zu verwandeln? Galt das auch bei Krankheit? In Lebensgefahr? Die Aussicht, in dieser engen Spalte mit einem mehrmetergroßen Hund hinter einem Bannkreis zu sitzen, der erhebliche Schmerzen hatte, wäre mehr als unschön. Zum Einen neigten Hunde im Schmerz dazu um sich zu schnappen – kaum erstrebenswert bei einem Maul, in dem man ohne Mühe einen Ochsen transportieren konnte – zum Anderen wäre es auch ziemlich dämlich, stünde auf ihrem Grabstein: erdrückt vom Hinterteil eines Hundes. Das sollte sie vermeiden. Nur, wie? Aufwecken und reden wäre vermutlich auch nicht sonderlich gut.

Hilfe? Hatte irgendjemand eine gute Idee?

Es half wohl nur abwarten und zu hoffen, dass das alles schon irgendwie in Ordnung kommen würde, niemand durch die Illusion finden würde – und dass sie diesen Vampir wenn schon nicht läutern, aber doch wenigstens ein paar Pfeile in den Allerwertesten jagen könnte. Mit den besten Grüßen von Kagome!

 

Minuten wurden zu Stunden, aber sie wagte nicht in ihrer Aufmerksamkeit nachzulassen. Diese Giftdrachen mochten winzig sein, aber sie schienen über eine gewisse Intelligenz zu verfügen. Womöglich hielten sie sich noch immer da draußen auf, warteten auf einen Fehler, auf eine Gelegenheit.

Als Sesshōmaru die Augen öffnete und instinktiv zu ihr sah, erkannte er, wie aufmerksam sie den Bogen im Schoß hielt, den Blick nicht vom Eingang ließ. Sie wachte tatsächlich für ihn. Wie töricht. Wie… nett. Er musste sich lange zurückerinnern, aber außer seinen Eltern zu Welpenzeiten hatte das nie jemand getan. Nun, auch keiner tun müssen. Sie musste unverzüglich bemerkt haben, dass sich bei ihm etwas geändert hatte, denn die braunen Augen glitten eilig zu ihm. Er richtete sich auf, oder eher, wollte es, denn eine menschliche Hand legte sich an seinen Brustpanzer, drückte ihn zurück.

 

Beiden war bewusst, dass eine Menschenfrau im besten Fall eine Falte in der Seidengarderobe hervorrufen konnte, aber tatsächlich lehnte sich der Daiyōkai zurück an die Felswand.

Kagome atmete tief durch in jähem Zorn. Da sie ihn noch nie so angefasst hatte und noch nie so mit ihm gesprochen hatte, zitterte ihre Stimme etwas. „Du... du bist doch wohl verrückt geworden hier den Helden spielen zu wollen! Bleib gefälligst liegen, bis das Fieber vorbei ist! Kami-sama, ihr Hunde seid doch alle gleich! Zwei Jahre habe ich gebraucht, bis Inu Yasha so weit war liegen zu bleiben, wenn er liegen bleiben sollte.“

Sesshōmaru überlegte eine volle Sekunde lang seine Reaktion. Seine erste Idee erschien ihm übertrieben, sie zu tranchieren. Sie hatte ihm geholfen, für ihn gewacht – da wäre es ehrlos sie dafür umzubringen, zumal sie es eben wohl auch nur als Hilfe meinte, deutlich besorgt und übermüdet war. Anders als es Jaken je gewesen wäre.

Das Schweigen und der stumme Blick dauerten lange genug, dass Kagome sich bewusst wurde, welche halsbrecherische Aktion sie da gerade begangen hatte, wenngleich in bester Absicht. Was sollte sie zur Entschuldigung anbringen? Und, wollte er das überhaupt noch hören?

 

„Ich werde schneller sein als der Hanyō.“ Wie in allem.

Die Miko, die mit allem anderen als diesem sachlichen Satz gerechnet hatte, spürte, wie ihr Herz einen Satz machte, ehe sie zögernd lächelte. Ihre Stimme zitterte noch immer, wenngleich diesmal unter dem Adrenalinschock des Nahtoderlebnisses. „Geht es dir wirklich besser? Darf ich gucken, wegen der Verletzung...?“

Er nahm wortlos die Seide ab.

Sie atmete tief durch. Das war kaum mehr als ein roter Kratzer. Diese Heilungskraft war schon bei Inu Yasha gewaltig, aber das hier war noch einmal die Stufe höher. Sie nahm die Seide, die ihr auch überlassen wurde: „Ich wasche sie nochmal aus,“ erklärte sie.

 

Uff, dachte sie, während sie den Stoff ausdrückte. Das war ja noch einmal gut gegangen. War das so eine Art Dankbarkeit? Persönliche Ehre? Man brachte nicht Leute um, die einem halfen? Aber das sollte sie lieber nicht fragen, ehe es doch noch zu einem unschönen Zwischenfall kam. Metallklirren hinter ihr ließ sie vermuten, dass er sich wieder ankleidete, aber der eben erlittene Schock saß doch noch zu tief, als dass sie ein Wort dazu verloren hätte.

Als sie sich umwandte hatte er sich angezogen, aber noch immer Bakusaiga und Tenseigas leere Scheide neben sich, an die Wand gelehnt. Braver Hund, aber das sollte sie wohl lieber nicht sagen. Für heute hatte sie ihr Glück wirklich genug auf die Probe gestellt. Ihr Schutzengel vermutete wohl sie habe sich als neues Hobby zulegt ihm Schweißperlen auf die Stirn zu treiben. „Dein Obi.“ Sie reichte ihn dem Daiyōkai, der ihn wortlos sich auf die Oberschenkel legte. Nur kurz darauf war die Seide trocken, was Kagome die Brauen unter den Pony trieb. So hohes Fieber oder doch Yōki? Sie konnte letzteres nicht mehr einschätzen. Tagelang in der Nähe einer solch intensiven Energiequelle zu sein hatte sie etwas abgestumpft. Selbst ihr Reiki reagierte nicht mehr dermaßen auf seine Nähe – was in diesem engen Spalt vermutlich nur angenehm für sie beide war. Sie sagte nur: „Es geht dir besser.“ Das war ja wohl hoffentlich nicht auch schon wieder ehrenrührig.

 

Natürlich, was dachte sie denn? Aber, es gab einen guten Grund weiter zugehen. Mehrere gute Gründe. Die kleine Metallkugel Tanjeri-senseis, die mit in diesen Felsspalt gelangt war, schien blasser zu werden. Anscheinend ließ die Magie nach und sie würde früher oder später ihnen nicht mehr den Weg zeigen können. Zweitens waren da diese lästigen Drachen. Sie waren eindeutig mit bei den intelligentesten Vertretern dieser Spezies und würden spätestens bei Nachteinbruch herkommen, um womöglich mit Verstärkung erneut zu suchen. Nun, mal ausprobieren, wie schlau die sichtlich müde Miko war. „Die Kugel.“

Kagoem sah irritiert nach oben. Was meinte er? Ja, sie flog da und wartete offensichtlich. In diesem Halbdunkel schien sie seltsam bleich … Sie vermutete, dass sie sie nehmen sollte und stand auf, um das zu tun. „Sie wirkt blass,“ konstatierte sie allerdings.

Immer diese überflüssigen Worte. Immerhin erkannte sie das. Folgerte sie auch weiter?

Sie wandte den Kopf. „Die Magie Meister Tanjeris lässt nach? Deswegen willst du gehen?“ Plötzlich begriff sie, warum er da noch immer an der Wand lehnte, obwohl er Schwert und Scheide doch schon im Gürtel hatte, den Obi gebunden hatte. Oh nein, diese … diese Hundebrüder! Unmöglich, alle zwei. Dieser Daiyōkai wollte ihr anscheinend beweisen, dass er besser als Inu Yasha war und sogar es schneller schaffte zu lernen, wann er liegen bleiben sollte! Tōtōsai hatte schon recht, wenn er sie als Hundebengel beschrieb! Die waren doch alle zwei noch nicht erwachsen! Na schön. „Du hast recht. Dann müssen wir wohl...“ Hoffentlich war das jetzt passend. War es wohl, denn er erhob sich, deutlich eleganter als zuvor. Froh, ihren ersten Impuls: „Bei Fuß!“ unterdrückt zu haben – sie musste heute wirklich einen Harakiri-Tag haben – folgte sie ihm, als er zum Eingang trat und Tenseiga aus dem Boden zog, ehe sie die Kugel fliegen ließ. Und sich fest vornahm aufzupassen was sie so alles von sich gab. Noch schien der Herr Hund gewisse Nachsicht zu zeigen, aber das konnte sich schnell ändern.

 

Die magische Kugel führte die Beiden empor durch die dichten Wälder der hier deutlich flacheren Berglandschaft, Richtung Westen, der sich senkenden Sonne nach. Als sie eine Anhöhe erreichten, blieb die runde Führerin in der Luft hängen, schien zu warten, bis das Duo bei ihr war. Ein wenig erstaunt blickten Daiyōkai und Miko auf die Landschaft vor sich. Vor ihnen fiel der Hang des Bergwaldes erneut ab. Unten im Tal, nach rechts und links scheinbar endlos weiter gehend, dehnte sich ein Gewirr aus Pflanzen, die beide an etwas erinnerten, ohne sagen zu können an was. Der Boden dazwischen wirkte kahl, glatt. Dieses breite Tal bildete ein kaum zu umgehendes Hindernis. Auf der gegenüberliegenden Seite stieg erneut eine Höhe an, deren Wälder von malerischen Wasserfällen und Flüssen unterbrochen wurden, dahinter erhob sich ein hoher Berg, dessen Form samt der weißen, darüber stehenden,Wolke verriet, dass es sich um einen der aktiven Vulkane Japans handelte.

Die kleine Kugel schwirrte fast aufgeregt hinauf und hinunter.

„Sie versucht den Vulkan abzuzeichnen,“ meinte Kagome erstaunt, mit einem fragenden Seitenblick. „Und sie wird immer blasser.“ Das Orange war schon fast in ein Rosa übergegangen. „Kann es sein, dass die Magie so wenig geworden ist, dass sie uns nur noch das Ziel andeuten kann? Dass das Versteck des Vampirs in diesem Vulkan ist?“

Die Magie erlosch, dass konnte Sesshōmaru bestätigen. Diese unsäglichen Drachen hatten viel Zeit gekostet. Nur, was meinte sie denn nun schon wieder? In Anbetracht der Tatsache, dass sie heute bereits gute Ideen gehabt hatte, gestand er ihr einige Worte zu. „Warum als Versteck einen Vulkan?“

Sie hatte nur ihre Gedanken ausgesprochen und nie damit gerechnet das erklären zu sollen. „Äh, gute Frage. Nun ja, der Vampir ist ein magisches Lebewesen, vielleicht braucht er Hitze? Und, er ist schon so alt ...vielleicht kann er sich nur markante Punkte als Zuhause merken?“

Menschliche Logik! Aber gut, an etwas musste Daiyōkai ja merken, warum sich der Bastard sie als Gefährtin gesucht hatte.

 
 

Eine zauberhafte Nacht

When you feel my heat look into my eyes,

there´s where my demons hide

 

Imagine Dragons

 
 

Kagome hätte gern geseufzt, als Sesshōmaru sich ohne weiteres Wort dem Abhang zuwandte um weiter hinunter zu gehen. Sie war hundemüde – schön, auch so ein Wort, das sie in seiner Gegenwart besser nicht aussprechen sollte - und eine Pause mit zumindest etwas zu trinken, besser noch zu essen, wäre ihr nur zu recht gewesen. Allerdings erblickte sie hier im wahrlichen Dschungel weit und breit nichts, was nach Wasser aussah, geschweige denn essen. Und, auch das musste sie zugeben, da die Kugel irgendwie verschwunden war, waren sie jetzt ohne Führung und die Zeit drängte wahrscheinlich. Wenn sie sich und die gesamte Menschheit nicht als total dämlich darstellen wollte, sollte sie maulen besser sein lassen.

Immerhin schien es dem Herrn Hund jetzt wieder besser zu gehen – soweit sie das beurteilen konnte war sein Gang elegant wie nur je. Und, nicht zu vergessen, er schien immerhin eine gewisse Art von Dankbarkeit für ihre Behandlung zu zeigen. Nicht das, was man als Mensch darunter verstand, aber anscheinend doch so etwas in Richtung Kriegerehre oder persönlicher Stolz. Das würde sie weniger vor einer Bestrafung schützen, wenn sie es mit ihren Emotionen übertrieb, aber womöglich, nach dem Ende dieses unsäglichen Bannes, doch dazu beitragen, dass er sie wieder zuhause ablieferte. Ohne ihn – tja. Sie sah herzlich wenig Chancen von Ryuku nach Musashino zu gelangen, lebendig und in einem Stück, ohne diesen doch recht wachsamen Leibwächter.

Musashino erschien ihr im Augenblick wie das Paradies auf Erden, aber sie entsann sich durchaus wie sie in der Zukunft einen Reisebericht gelesen hatte, kaum hundert Jahre nach der Zeit in der sie nun lebte, in der diese Gegend als Einöde, trostlos und unfruchtbar, nur bewohnt von Räubern und Elenden, bezeichnet worden war. Fand sie nicht. Da war das Dorf, Inu Yasha, ihre Freunde, und sie wollte dahin zurück! Dieser Vampir....oh, sie konnte gar nicht sagen, wie viele Pfeile sie für diesen Idioten hätte. Nun ja, zehn, mehr passten nicht in ihren Köcher.

Allerdings half ihr Zorn wenig. Sie war müde, trottete in dem bereits dämmerig werdenden Wald einem Daiyōkai hinterher, der mehr als schweigsam war. Toll. Sich hinzusetzen würde nichts helfen, der Hundeidiot würde einfach weitergehen und sie mitschleifen, dessen war sie sicher.

Oh. Sie nahm gerade alle bösen Gedanken zurück, als sie nach einer scharfen Kehre, die ihr Begleiter eingeschlagen hatte, vor sich eine Lichtung erkannte, die einen kleinen Teich bot. Und, noch dazu, entdeckte sie im Hintergrund Pilze, die essbar schienen. Nun, sie würden es sein, denn ein fragender Seitenblick wurde nicht beantwortet, sondern Sesshōmaru ließ sich an einem Baum nieder, wie immer ein Bein angezogen, eines ausgestreckt, und schien zu warten, dass sie verstand. Hatte er das vor Jahren so mit Rin gehalten? Er führte zu einem ordentlichen Übernachtungsplatz, dann war man für sich selbst verantwortlich?

Nun ja. Sie ließ Bogen und Pfeile zu Boden gleiten, sicher, dass hier keine Gefahr lauerte und trank erst einmal einige Schälchen Wasser, ehe sie die Pilze näher begutachtete. Ja, die waren wohl essbar. Allerdings hätte sie sie doch gern gebraten und so pflückte sie sie, wusch sie, suchte sich trockenes Holz, sowohl zum Feuer machen als auch als Spieße. Dann ließ sie sich seufzend nieder. Nun ja. Hier gab es keine Sango, die schnell mit Feuersteinen und Zunder Flammen erwecken konnte. Blieb also nur die zeitaufwendige Variante. Hoffentlich war das Holz trocken genug. Sie suchte sich einen etwas dickeren Ast aus dem geplanten Feuer, Hartholz, wie sie hoffte, und versuchte mit einem anderen Ast ein Loch hineinzubohren, um dann durch Reibung Hitze zu erzeugen. Das konnte dauern. Wann wurde es hier dunkel?

 

Der Hundefürst sah ihr tatsächlich ein wenig irritiert zu. Was machte sie da? Sie hatte vor Feuer anzuzünden und die gewaschenen Pilze zu braten, ja, das hatte Rin auch immer getan. Aber … Er erkannte seinen Gedankenfehler. Jaken hatte mit seinem Kopfstab stets Feuer für Rin angezündet und die Kleine hatte rasch gelernt es am Leben zu halten, selbst, wenn er selbst und der ehemalige Krötenkönig nicht da waren. Ganz offensichtlich versuchte die Miko auf jämmerliche, menschliche, Weise Feuer zu machen. Das war ausgesprochen mühsam. Erstaunlich, wie es diese nichtsnutzigen, schwachen Wesen schafften zu überleben, ja, sich derart zu vermehren.

Keine fünf Minuten später entschied er, dass das so nicht anging. Sie bat nicht um Hilfe, obwohl ihr eigentlich klar sein sollte, dass er sie geben konnte. Nun ja, stur war Inu Yashas Miko, das hatte er in den letzten Tagen nur zu deutlich erlebt. Und jetzt lieber allein um Feuer zu kämpfen, als eine Bitte zu äußern, obwohl es dunkel wurde, obwohl sie übermüdet war, obwohl ihr Magen vor Hunger knurrte …. Menschlicher Stolz gegenüber einem Daiyōkai? Wo endete menschliche Sturheit und begann törichte Selbstgefährdung?

 

Kagome zuckte instinktiv zusammen, als sie neben sich Sesshōmaru erkannte, der die Hand hob. Alle Härchen ihrer Haut richteten sich auf und sie spürte ihr Reiki wie Wellen schützend über ihren Körper laufen. Unwillkürlich ließ sie die Hölzer fallen, eine Reaktion, die sie prompt ärgerte, denn sie war doch schon so nahe dran gewesen, dass wenigstens ein Funken... Außerdem: was passte ihm denn schon wieder nicht? Sie hatte ihn nicht einmal angeguckt, geschweige denn geredet...

Oh. Yōki. Dämonische Energie in Funken, die in die trockenen Zweige fielen und diese hell aufflammen ließen.

„Äh, danke.“ Während er sich schweigend wieder auf seinen Platz begab, steckte Kagome eilig die Pilze über die Flammen und rupfte soweit das Gras aus, um nicht auch noch einen Waldbrand zu verursachen. Das war ja wirklich hilfsbereit gewesen. Nett, um es so zu sagen. Allerdings wieder natürlich eine Dämonstration im wahrsten Sinne des Wortes, warum er Menschen für die mindere Art hielt. Aber genau diese pragmatische, wortlose, Hilfsbereitschaft musste Rin so fasziniert haben. Und, das musste sie zugeben, sie auch. Irgendwie gewöhnte sie sich langsam daran, dass der Idiot nicht redete. Aber, wenn man ihn brauchte, war er da, zugegeben. Ein eiskalter Mistkerl, wie ihn Inu Yasha genannt hatte, ja, das war er, ein vornehmer Killer – aber offensichtlich, wenn er jemanden, ob gezwungen oder nicht, bei sich duldete, erhielt man auch seinen Schutz.

Es tat gut wenigstens warme Pilze in den leeren Bauch zu bekommen und sie trank noch einmal, bevor sie – immer der fünf Meter eingedenk - sich einen etwas außer Sicht liegenden Platz suchte, ehe sie zurückkehrte. Das Feuer brannte noch, aber es wurde rasch niedriger, dennoch würde die Asche sie wärmen und so legte sie sich nahe daran hin, bettete den Kopf auf den leeren Essenssack und versuchte sich zu entspannen, sicher, dass ihr Schlaf bewacht wurde.

 

Ein goldener Blick lastete auf ihr, ehe der Daiyōkai bestimmt wusste, dass sie tief schlief. Gut, er hatte sich wohl geirrt. Als sie so darum gebeten hatte, sich diese lästige Verletzung anzusehen, hatte er nicht umhin gekonnt, sich an Tanjeri-senseis Worte über einen Liebeszauber zu erinnern. Sicher hatte ihr Geruch nichts von Läufigkeit verraten, aber er hatte keine Ahnung wie das bei Menschenfrauen so ablief, sie nicht doch über ihn herfallen wollte, und war lieber vorsichtig geblieben, stets bereit sie abzuwehren.

Sie hatte jedoch sachlich, geradezu nüchtern, die Verletzung behandelt, ebenso wie sie, da war er sicher, auch einen menschlichen Patienten behandelt hätte. Und, das musste er zugeben, es hatte geholfen. Dieser Vampir hatte mit seinem Spiegelzauber es wahr und wahrhaftig vermocht, ihn, einen Daiyōkai, mit menschlicher Schwäche zu infizieren! War das der Grund, warum diese Energievampire offenbar einst so erfolgreich gewesen waren, dass sie nur von drei Daiyōkai gemeinsam zur Strecke gebracht werden konnten?

Kagome hatte ihm geholfen, ja. Und jetzt lag sie da und schlief, erschöpft, das war kaum zu überriechen – und sie fror. Das konnte noch ein Problem werden.

Er musste daran denken, wie einst Rin in einer Nacht gefroren hatte und nass geworden war. Gut, er war nicht dabei gewesen, nur Jaken. Aber, als er zurück kam, hatte die Kleine gezittert und hohes Fieber gehabt. Dermaßen hoch und lebensbedrohlich, dass er sich gezwungen gesehen hatte, sie in einen einsam gelegenen Schrein zu dem Einsiedler dort zu bringen. Natürlich hatte dieser versucht Rin zu überzeugen, dass sie nicht dem Yōkai folgen sollte, sondern bei ihm bleiben sollte, ebenso natürlich war das nutzlos gewesen. Und, ebenso natürlich, hatte dieser unselige Jaken eine Tracht Prügel abbekommen, da er nicht in der Lage gewesen war die Kleine davor zu schützen nass zu werden.

Hm. Er hob den Kopf. Es würde regnen. Inu Yashas Miko mit einer Lungenentzündung war zu nichts zu gebrauchen, überdies bestand nach den Erfahrungen mit dem Giftdrachen auch die Chance, dass er davon etwas aufschnappen würde. Unmöglich, undenkbar, unsäglich.

Es blieb also nur die Möglichkeit sie unter den Baum zu legen, unter dem er soeben saß, hier wäre sie vor dem Regenguss geschützt.

Er blickte erneut zu ihr. Sie hatte unbewusst die Arme um den Oberkörper geschlungen um sich zu wärmen. Die Nässe wäre also nicht das einzige Problem.

Sie sah so entspannt aus, so weich … auch wenn ihr Körper weitaus nicht den Ansprüchen eines Daiyōkai … Moment mal. Was dachte er da?

Wirkte der Liebeszauber doch? Heimtückischerweise auf ihn? Sie würde sich gegen ihn nie zur Wehr setzen können, Reiki hin oder her. Sie würde ihn verletzen können, ja, aber niemals daran hindern, etwas, das er unbedingt wollte, auch zu tun.

Diese Magie! Tanjeri hatte recht!

Fangzähne knirschten.

Es gab ein Gegenmittel.

Ja, so würde er vielleicht früher oder später dem Bann erliegen, wenngleich er es sich momentan noch nicht vorstellen wollte oder konnte. Dennoch. Allein, dass er solche Ideen hatte....

Inu Yasha mochte die Familienschande sein, Vaters Bastard. Aber er WAR ein Familienmitglied. Und den dadurch zu entehren, dass man sich nicht in der Lage erwiese einer magischen Falle Stand zu halten, seine Gefährtin …

Niemals.

Es gab nur eine Lösung, die er sah. Er stand auf.

 

Ein Gefühlsvampir, so, wie sich Tama sah, in Wahrheit der letzte, schüttelte ein wenig den Kopf. Er hatte den Schmerz gespürt des Daiyōkai, dessen Zorn, auch den Zorn der Miko – und dann war alles plötzlich verschwunden. So, als würden alle Zwei sich hinter einem dichten Bannkreis verstecken. Was natürlich unmöglich war. Seinen eigenen Zauber würde er immer auffinden können. Es gab keine Magie dieser Welt, die dem standhalten konnte. Was also war da passiert?

Schön. Es war das erste Mal, dass er eine Miko zusammen mit einem Daiyōkai einsperrte. Wäre es denkbar, dass sich die zwei gegensätzlichen Magien schlicht aufhoben und damit auch seinen Bann beeinflussten? Ja, das wäre natürlich eine Erklärung.

Jetzt hatte er wieder eine Spur an Emotion verfolgen können, die des Daiyōkai. Nun ja, verständlich. Die Magie seiner Art war eben darauf ausgerichtet. Noch kein Emotionsvampir, den er kennengelernt hatte, war darauf gekommen Menschen mit Reiki zu sammeln. Sie dienten nur der Tarnung. Allerdings mochte das ein Fehler gewesen sein.

Tama setzte sich aufrechter hin, ein leuchtender Klecks Orange in der dunklen Höhle. Die Menschen mit Reiki, da hatte ihn sein Instinkt offensichtlich nicht getrogen, lockten Daiyōkai an. Und selbst ...Nun ja, diese Miko war ein Ausbund an Gefühlen, auch, wenn sie sich spürbar bemühte das zu unterdrücken. Immer wieder schwappte da etwas über – und, zu seiner gewissen Verwunderung konnte er es verdauen jedoch nicht lesen. Da war Zorn, aber kein Hass, Zuneigung, keine Liebe, Kampfbereitschaft, aber kein Tötungswille … Das war vermutlich wirklich eine der bestausgebildeten Miko in Japan, die ihm da so zufällig über den Weg gelaufen war, wenn sie selbst im Angesicht des Todes, nun ja, eines Daiyōkai, noch so ruhig bleiben konnte.

Und, was auch so erstaunlich war, besagter Daiyōkai hatte keinen Tötungswunsch, keinen Hass, nur manchmal kam Zorn empor.

Was waren das nur für zwei seltsame Leute?

Oder, das wurde er sich zum ersten Mal bewusst, wie lange war er mit seinem letzten Gefangenen hier drin gesessen ? Und, was hatte sich unterdessen in der Welt da draußen verändert?

Sekunde.

Diese letzten Emotionen, gleich nach dem sie verschwunden waren, und jetzt wieder kamen – sie kamen näher. Wäre es möglich, dass die Zwei sich zusammen getan hatten und nun ihn suchten? Kurz, ihm in die Fänge liefen? Das wäre fast zu schön um wahr zu sein.

Und, natürlich, unnatürlich.

 

Kagome drehte sich etwas auf die Seite. Der Regen rauschte, aber sie war ja trocken und sicher. So drehte sie sich im Halbschlaf etwas, genoss die Wärme und Weiche ihres Untergrundes, ehe sie die weiche, warme und haarige Decke über sich zog.

Sekunde!

Im nächsten Moment saß sie aufrecht, sah erstarrt, wie der riesige Schwanz von ihr genommen wurde, und sprang auf.

In der Tat.

Sie hatte gelehnt an einen gewaltigen, weißen Hund, noch dazu einen Daiyōkai, geschlafen, war mit dessen Schwanz zugedeckt worden? Die Sache wurde nicht dadurch besser, dass sie feststellen musste, dass sie zwischen seinem Bauch und seinen Hinterbeinen geschlafen hatte! Ihr nächster Satz brachte sie allerdings in den strömenden Regen und so wich sie doch zurück unter die Baumäste, starrte jedoch den Hundefürsten an, der, die Hinterbeine ausgestreckt, offensichtlich auch geschlafen hatte. Der mächtige Kopf lag auf den nach vorn ausgestreckten Vorderpfoten. Ein glühend rotes Auge öffnete sich und musterte sie.

Kagome entsann sich nun, dass es vielleicht nicht die brillanteste Idee war herum zu maulen, wenn er ihr, aus seiner Sicht, die Gnade erwiesen hatte, im Trockenen und warm zu schlafen. Allerdings... ah. Sie hätte schreien können.

Der nächste Blick in Richtung Augen wich allerdings dem in Richtung Maul und damit ziemlich großen Zähnen. Hinzu kam der nächste Guck in Richtung Erde. Dort, wo die Säure, die auch jetzt noch aus dem Fang tropfte, den Boden berührt hatte, wuchsen weder Gras noch Kräuter mehr. Äh, ja. Keine gute Idee, sich über eine vermutlich gut gemeinte Tat zu beschweren.

„Ich... ich bin erschrocken,“ gab sie daher vor Adrenalin zitternd zu Protokoll. Vielleicht wäre es wirklich besser ihn nicht darauf aufmerksam zu machen, dass sie die Lage zwischen Bauch und Hinterbeinen nicht nur als überaus peinlich, sondern als übergriffig empfunden hatte, zumal eingedenk des Liebeszaubers, den ja Tanjeri-sansei erwähnt hatte. Allerdings schien der Schwager das eher mehr als neutral zu sehen, denn er erhob sich langsam und dehnte sich – dermaßen hundeartig, dass sie wiederum fast gelacht hätte. Du liebe Zeit, was war nur mit ihr los? Konnte man sich an das permanente Schweben in Lebensgefahr gewöhnen?

Besser war es abzulenken, so zog sie das Schälchen aus dem Ärmel und rannte in den Regen, unter einen Baum der nahe an dem Teich stand, um zu trinken. Frühstück, sozusagen. Als sie sich umdrehte, war sie doch irgendwie froh, dass dort der so menschenähnliche junge Mann saß, an den Baum gelehnt und ins Nichts guckte.

Und, um ehrlich zu sein, erkannte sie nun, dass sie wohl in seiner Menschenform nur mit dem Kopf auf seinem Schoß geschlafen hatte. Intim, ja, aber sicher nicht ehrenrührig, oder? Jedenfalls war es ihm anscheinend egal gewesen. Und, vor allem und überhaupt, er hatte ihr helfen wollen. Das sollte sie zumindest soweit honorieren, dass sie ihn weder schimpfte noch in Panik verfiel.

 

Sie hätte nie geglaubt, dass ihr Schreck, ihre Scheu, durchaus positiv aufgenommen worden waren. Sesshōmaru schloss daraus dass sie weder dem Liebeszauber unterlag noch auch nur einen Hauch daran dachte Inu Yasha zu betrügen. Gut. Das diente der Familienehre.

Sie schien auch wieder in der Lage weiter wandern zu können. Noch besser, denn, wenn er sich nicht durch den strömenden Regen irrte, wartete in diesem Tal, das sie von oben bereits gesehen hatten, eine unangenehme Strecke. Er hatte in der Nacht das Rauschen von Wellen gehört, auch jetzt noch drang Salzgeruch in seine Nase. Das war kein gewöhnliches Tal. Leider. Denn er wäre in aller Regel darüber gesprungen oder eher geflogen – wie das mit ihr buchstäblich im Schlepp werden sollte, war ihm noch nicht klar. Natürlich würde er eine schlüssige Lösung finden, schließlich war er kein Irgendwer. Aber auch das käme, ebenso wie jetzt der Spaziergang im Monsun auf die immer länger werdende schwarze Liste, die er Punkt für Punkt mit diesem sogenannten Emotionsvampir abarbeiten würde.

Ah, sie zog sich etwas zurück Dann könnte man bald aufbrechen. Er stand auf. Immerhin würde der Regen seine Nase etwas von den lästigen Gerüchen befreien. Auch so ein Punkt, den er vollinhaltlich diesem Vampir anlasten konnte. Für was hielt der sich eigentlich?

Gut. Meister Tanjeri hatte gewarnt, dass sich die Gefühlsvampire auf die Jagd nach Daiyōkai spezialisiert hatten und diese damals aus irgendeinem Grund reihenweise gefangen nehmen konnten. Das besagte nur, dass es eine Falle gab, in die man nicht treten sollte. War etwa ein Teil dieser Falle, dass man dem geplanten Opfer auf die Nerven ging? Solange, bis das blind vor Zorn war? Nun ja. Er selbst behielt auch im hitzigsten Kampf einen klaren Kopf, Emotionen waren weniger seine Sache. Und doch, das musste er zugeben, schaffte es dieser unsägliche Bann, geschweige denn diese aufgezwungene Nähe zu einer Miko, noch dazu nicht irgendeiner, dass er langsam aber sicher wirklich eine Mordslaune bekam. War genau das das, was so ein Vampir erzielen wollte? Blindwütig drauf los zu schlagen? Nun, das würde er nicht machen. Und, wenn er die Meinung Kagomes dazu einholen würde, so war er sicher, dass sie einige gut gezielte Pfeilschüsse für eine passende Antwort an den Vampir halten würde. Sie war eindeutig alles andere als glücklich darüber mit ihm, immerhin dem Hundefürsten, durch die Wildnis zu gehen. Und ebenso offensichtlich dachte sie oft genug an seinen... an Vaters Bastard. Nun gut. Jedem das seine. Hoffentlich wäre Inu Yasha in der Lage besser auf Rin aufzupassen als Jaken.

Obwohl, das musste Sesshōmaru zugeben, da war er sogar sehr sicher.

 

Kagome kam und warf einen kurzen Blick auf den stehenden Daiyōkai, ehe sie sich rasch noch Hände und Gesicht wusch, einen Schluck Wasser trank und das Schälchen in der Ärmeltasche verstaute. Sie wollte schon sagen, gehen wir, ehe sie bedachte, wie er auf Anweisungen zu reagieren pflegte. „Ich bin fertig.“

„Gehen wir.“

 

 
 

Ein tiefer Sumpf

He´s a bloodthirsty killer with a heart of gold,

he´s a delicate lover and a deadly foe

he´s a hideous creature with sex appeal

He´s the werewolf of steel

 

Carnal Agony

 

 
 

Kagome strich sich das nasse Haar aus der Stirn. Schön, dass es endlich zu regnen aufgehört hatte. Nun ja, tiefer durchnässt als bis auf die Haut konnte sie ja nicht werden. Sie kannte diese warmen Monsunregen schon aus der Zukunft, da hatte sich nichts dran geändert. Das Gefühl unter der Dusche zu stehen und das Shampoo vergessen zu haben ... Immerhin fror sie nicht, sie waren dauernd in Bewegung und die Sonne schien nun wieder sehr warm.

Sie war hinter Sesshōmaru den Hang hinabgelaufen, durch den Wald und musterte jetzt das Tal, das sie von oben gesehen hatten. Vielleicht zwei Kilometer waren es bis zum anderen Abhang, und die Bepflanzung war mehr oder weniger vereinzelt, ein paar versprengte Bäume mit anscheinend riesigen Wurzeln, die sich bogen. Erst ab einer gewissen Höhe boten grüne Blätter den Eindruck von Leben. Allerdings glitzerte der flache, schwarze Boden nass und feucht. Sie trat neben den Daiyōkai, der stehen geblieben war und die Fläche vor sich ebenfalls musterte, offensichtlich sehr genau. So guckte sie auch noch einmal nach. Nein, keine Magie. Es sah immerhin äußerst flach aus, leider auch nass und matschig, also würde sie die Schuhe und Strümpfe ausziehen, das wäre wohl besser.

Dann spürte auch sie einen sehr unangenehmen Geruch in ihre Nase dringen, der ihm vermutlich schon früher aufgefallen war. Zum Glück hatte sie nichts gesagt. Der Morast stank. Sie kannte diese Gerüche nach toten Fischen und anderem, an das sie lieber nicht denken wollte, von Besuchen am Hafen. Hafen? Salzwasser?

Jetzt erkannte sie auch erst die seltsamen Bäume. Mangroven. Das bedeutete, dass dieses Tal zumindest zeitweise vom Meer überspült wurde. Keine gute Gegend um spazieren zu gehen.

Sie sah beiseite. Schön, er mochte es nicht angesprochen zu werden, aber das war ja wohl rein sachlich. „Wann kommt die Flut?“

 

Sesshōmaru wandte ihr das Gesicht zu, tatsächlich ein wenig überrascht, dass sie nicht nur das als Meeresboden identifiziert hatte, sondern auch die Schwierigkeit erkannte. Nun, eine der Schwierigkeiten. Wenn er diesen Vampir in die Klauen bekam! Aber er sollte zeigen, dass er nicht irgendwer war, schon gar kein Hanyō. „In spätestens zwei Stunden.“

„Dann sollten wir uns beeilen ….“ Da sein Blick nur zu deutlich anzeigte, dass das für ihn wohl kein Problem wäre, sondern eher sie als eines eingestuft wurde: „Ich ziehe mir nur rasch Schuhe und Strümpfe aus, sonst bleiben die noch stecken.“ Immerhin, dachte sie, als sie aus den Geta schlüpfte, war das Meer nicht zu sehen, es würde wohl einige Zeit dauern, bis das hier überflutet wurde. Und für die zwei Kilometer brauchte man doch höchstens eine halbe Stunde. Kaum dass sie die Socken und Schuhe ein wenig mühsam in ihren Köcher gestopft hatte, erhielt sie die nächste Anweisung.

„Geh!“

Sie bemerkte irritiert seine knappe Kopfbewegung – nicht zu dem Watt hin, sondern zum Wald. Hatte dieser dämliche Hund sie wahr und wahrhaftig gerade auf Toilette geschickt? Gassi gehen, oder was? Ihre jähe Zornaufwallung unterdrückte sie in gesundem Selbsterhaltungstrieb. Als sie sich abwandte bedachte sie, dass es wohl nett gemeint war – und er damit das Risiko umging, dass sie auf dieser Strecke vielleicht auch noch in seiner Sicht... Okay, es WAR nett gemeint, wenngleich mit einer gehörigen Portion Eigennutz, da war sie nun sicher. Allerdings fand sie es erstaunlich, dass er daran dachte. Nun ja, wie so manches in den letzten Tagen. Anscheinend hatte er bei den Wanderungen mit Rin doch so einiges über Menschen gelernt, denn für jemanden, der offensichtlich weder Hunger noch Durst kannte, noch die gegenteiligen Körperbedürfnisse, musste das schon sehr eigen wirken. Für einen Moment stellte sie sich den riesigen weißen Hund vor, wie er an einem Baum das Bein hob … Nein, das sollte sie lieber nicht einmal denken.

Yōki! Hinter ihr!

Instinktiv wollte sie wütend herumfahren, stolperte dabei über die nur halb emporgezogene Hose und fiel auf den Boden. Im Fallen erkannte sie noch, dass ihr erster Eindruck, Sesshōmaru wäre ihr nachgegangen, falsch gewesen war. Da stand ein anderer Mann, Yōkai, bewaffnet und mit Rüstung.

„Was für ein hübscher Fund,“ sagte er.

Kagome tastete halb im Liegen gleichzeitig nach ihrer Hose und ihrem Bogen, was irgendwie zum Scheitern verurteilt war. „Verschwinde!“ zischte sie und dachte im selben Moment, dass das vermutlich der beste Rat war, den der Idiot in seinem ganzen Leben erhalten hatte, da sie gleichzeitig etwas Weiß-Schwarzes vor sich entdeckte, genauer zwischen sich und dem Unbekannten.

 

Sesshōmaru betrachtete für einen Augenblick sein Gegenüber, der tatsächlich die Nerven besaß zu seinem Schwert zu fassen. Als ob er einem derart unterklassigen Yōkai die Ehre erweisen würde mit ihm die Klingen zu kreuzen! Er hob die Rechte, drei Finger ausgestreckt. Nur ein Narr würde das nicht als Drohung auffassen. Nun, das war einer, denn der zog. Die Finger des Daiyōkai begannen grün zu leuchten.

 

Kagome raffte sich etwas auf und zog sich eilig anständig an. Tatsächlich war sie dankbar – nicht nur dafür, dass der Herr Hund postwendend erschienen war und die Lage bereinigt hatte, sondern auch dafür, dass er ihr noch immer den Rücken zudrehte, bis sie sich ordentlich angezogen hatte. „Danke,“ murmelte sie dann. Da er sich nur wortlos umdrehte und zurück zu dem Watt ging, folgte sie. Eines musste man beiden Hundebrüdern zugestehen – wenn sie jemanden beschützen wollten, kamen sie auch immer. Wie mochte dann der Vater der Zwei gewesen sein? Sesshōmaru hatte ihn ja gekannt, aber der wollte ja schon mit Inu Yasha nicht darüber reden, da brauchte sie erst gar nicht davon anfangen. Zumindest nicht ohne ein gewisses Risiko einzugehen. Da sie eben erst gesehen hatte, was aus dem anderen Yōkai geworden war, wäre auch nur eine Ohrfeige ziemlich schmerzhaft. Und weglaufen konnte sie so oder so nicht, selbst ohne den Bann. Selbst ein Spurt über achthundert Meter wäre für den Daiyōkai nur ein Katzen – äh, Hundesprung.

Sie hätte fast aufgequietscht, als sie in den Morast stieg. Das fühlte sich kalt und glitschig an. Zu allem Überfluss sank sie bis zum Knöchel ein. Nur die Tatsache, dass es dem ach so stolzen Hund vor ihr nicht anders erging, ließ sie weiterlaufen. Hoffentlich gab es in diesem Schlick nicht irgendwelche scharfkantigen Muscheln an denen sie sich schneiden würde. Hoffentlich keine … irgendwelche Viecher, die hier lebten? Blutegel oder so? Wo lebten die denn eigentlich?

 

Wenige Minuten später musste Kagome feststellen, dass ihre Schätzung, sie würden eine halbe Stunde brauchen recht optimistisch gewesen war. Bei jedem Schritt sank sie bis zum Knie ein und es war eine Strapaze den Fuß wieder herauszuziehen und den nächsten Schritt zu gehen. Immerhin hatte sie das unzweifelhafte Vergnügen, dass das auch Sesshōmaru so erging und selbst seine blütenweiße Hose grau, schmutzig und nass wurde und an seinen Unterschenkeln klebte. Sie sparte es sich ihre Heiterkeit zu zeigen. Zum Einen hätte sie seine Reaktion nicht erleben wollen, zum Zweiten dämmerte ihr etwas ganz anderes.

Während sie sich mühsam voran kämpfte, zumindest geistig von Mangrove zu Mangrove hangelte, erkannte sie, dass es für den Daiyōkai vermutlich nur ein Sprung über das Tal gewesen wäre. Und der einzige Grund, der ihr einfiel, warum er sich das hier im Schlick antat, war die schlichte Tatsache, dass sie an ihn gefesselt war – und schon erklärt hatte, dass ihr bei solch einem Flug vermutlich schlecht werden würde, wenn sie da so unter ihm hing. Kurz, er schluckte seinen Stolz, damit sie nicht litt.

Und das war wirklich mehr, als sie je von diesem arroganten Eisblock erwartet hätte. Sie sollte es wirklich honorieren, zumindest, indem sie jetzt hier nicht schlapp machte.

 

Sie hatte nicht die mindeste Ahnung wie viel Zeit vergangen war, als der Hundefürst stehen blieb. Sie schloss neben ihn auf, sicher, dass sie noch nicht am Ziel waren. Für eine Pause wäre es im Schatten einer Mangrove auch besser gewesen als hier in der prallen Sonne. Ein kleiner Bach lief vor ihnen. „Da komme ich drüber,“ erklärte sie, erstaunt über seinen Blick. So guckte sie lieber nochmal nach. Oh, das war nicht so gut. Denn, wenn sie das richtig sah, floss der Bach nicht nach links, wo sie das Meer vermutete, sondern kam von da. Und ja, das war wohl Salzwasser. Mist. „Die Flut kommt?“

 

Das bedurfte keiner Antwort. Noch war das ein kleiner Bach und er brauchte nur einen großen Schritt um hinüber zu gelangen, aber bald würde mehr Wasser in dieses Tal dringen, stetig an Menge und Strömung zunehmend. Die folgenden „Bäche“ mochten für ihn kein Hindernis darstellen, aber für Inu Yashas Miko. Sie sollten sich beeilen, allerdings war sie schon recht müde. Nun gut, es war auch nicht mehr all zu weit. Und ein Blick voraus zeigte viel Wasser und ab und an Rauchwolken, die auf Geysire oder heiße Quellen hindeuteten. Da könnte man sich und die Kleidung von diesem unsäglichen Schlick befreien. Wenn er diesen Vampir in die Klauen bekam!

 

Kagome keuchte. Ihre Lunge schmerzte ebenso wie die Oberschenkel bei jedem Versuch brannten, ein Bein aus dem Schlick zu ziehen. Sie schaffte es eigentlich nur noch, weil dort vorne das rettende Ufer zu sehen war. Nur noch vielleicht zweihundert Schritte? Wäre ihr Begleiter Inu Yasha gewesen hätte der sie schon längst auf seinen Rücken genommen und getragen. Das würde Sesshōmaru nie tun und so sparte sie es sich auch nur darum zu bitten. Er hatte darauf verzichtet elegant über diesen dämlichen Morast zu fliegen, mühte sich stattdessen hier durch, um ihretwillen... noch vielleicht einhundertundneunundneunzig... Da sollte sie sich darauf konzentrieren sich nicht zu blamieren und gleichzeitig noch die gesamte Menschheit dazu. Nur noch einhundertachtundneunzig. Das würde einen tollen Muskelkater ergeben, morgen oder so. Sie konnte sich nicht entsinnen, dass ihre Oberschenkel schon je dermaßen weh getan hatten. Und es waren ja immer noch einhundertsiebenundneunzig Schritte.

Wieder das Bein aus dem Schlick ziehen.

Und diesmal gelang es ihr nicht mehr. Der Fuß blieb hängen und sie stürzte nach vorne in den nassen Boden.

Nein! Mühsam richtete sie sich auf und wischte sich den ekelhaft stinkenden Morast aus dem Gesicht, weinend in einer seltsamen Mischung aus Hilflosigkeit, Demütigung und Zorn.

 

Der Daiyōkai war stehengeblieben und warf ihr nun einen Blick über die Schulter zu. Da er erkannte, dass sie gestürzt war, sich jedoch aufrappelte, war er etwas beruhigt, zumal er selbst, Spiegelbann hin oder her, keine Schmerzen empfand. Sie hatte sich also wohl nicht verletzt. Allerdings sahen die Tränenspuren in dem Gesicht ziemlich deutlich aus, auch, wenn sie sich mit dem Ärmel gleich darüber wischte. Für einen Augenblick hatte man nur die braunen Augen groß in einem grauen Gesicht gesehen und sie erinnerte ihn unwillkürlich an ein Hörnchen. Rin hatte sie manchmal gefüttert... Die Miko stand jedoch nur mühsam auf, am ganzen Körper zitternd. So wandte er sich wieder nach vorne. Ja, sie war vollkommen erschöpft. Und nun?

 

Kagome rang um Atem und wischte sich energisch den Schlick aus dem Gesicht. Das war so peinlich! Und es verbesserte die Sache keineswegs, dass sie glaubte um einen Mundwinkel des Hundefürsten etwas wie ein Lächeln zucken gesehen zu haben. Nicht das tödliche, mit dem er in einem Kampf seinem Gegner die Niederlage anzeigte, eher ungewohnt erheitert.

Und es beruhigte sie in keinster Weise, dass er es zwar unterdrückt hatte, sich allerdings wohl köstlich über sie amüsierte! Was allerdings sollte sie tun? Ihr war es noch gelungen aufrecht zu stehen, aber sie hatte zugegeben nicht die mindeste Ahnung, wie sie auch nur noch den nächsten Schritt machen sollte. Wütend auf diesen Hundeidioten los zu schimpfen, wie sie es im ersten Impuls gern getan hätte – und, zugegeben, bei Inu Yasha schon längst getan hätte - war sinnlos. Mochte sein, dass der Herr Hund sie durch diesen dämlichen Entfernungsbann mitschleifen konnte und würde – aber sie verspürte auch nicht die mindeste Lust möglichst mit dem Gesicht voran durch diese nasse Masse gezerrt zu werden. Es half nichts. „Ich brauche eine Pause,“ gestand sie kleinlaut.

 

Das war eindeutig. Und unmöglich. Die Nase des Daiyōkai verriet ihm nur zu sehr, dass sich Salzwasser näherte. Er selbst würde nur einen kurzen Flug, eher einen Sprung, benötigen, um an das Ufer zu gelangen. Aber, wenn er sie durch den unsäglichen Vampirzauber mitriss, käme sie zwar auf festes Land, aber sie hatte selbst gemeint ihr würde übel werden – ebenso wie dieser stinkende Morast eine Zumutung. Die einzige Alternative, die er sah, war zwar ebenso eine Zumutung, aber wenigstens nicht für seinen Geruchssinn, sondern seinen Stolz.

 

Kagome zuckte unwillkürlich zusammen, als sie spürte, wie sehr sich das Yōki vor ihr erhöhte – und ihr eigenes, so gegensätzliches, Reiki prompt antwortete. War er jetzt sauer, weil sie einfach nicht mehr konnte? Sie hatte sich doch solche Mühe gegeben!

Im nächsten Moment konnte sie nur mehr aufkeuchen, als sich eine Klaue fest um ihr rechtes Handgelenk legte und sie sah, dass sich der Hundefürst die bislang doch erhobene Boa um die Beine schlang, als er in die Luft sprang. Und sie mitriss.

„Ah!“ brachte sie hervor, denn sie hatte gerade das Gefühl, als ob ihr Arm aus dem Schultergelenk sprang. Aber sie war vernünftig genug um zu erkennen, dass sie an Land geschafft werden sollte – in gewisse Sicherheit. Und, es lag auf der Hand, dass das ein unglaublicher Verbrauch an Yōki war, sie auch noch mitzunehmen. Sicher, er hatte wohl ziemlich viel davon, aber das, was sie so spürte, war deutlich hoch. Überdies – dass er sie überhaupt anfasste, war garantiert nur aus der gewissen Not entstanden sie mitnehmen zu müssen. Deswegen ja auch der warme und trockene Schlaf an ihm die vergangene Nacht. Er beugte sich der Notwendigkeit, dass sie am Leben und unverletzt bleiben musste, damit er kampffähig blieb. Mehr war es nicht. Immerhin tat er das und das hätte sie vor Beginn dieser Reise nie geglaubt. Langsam verstand sie, was Rin gemeint hatte, wenn sie manchmal etwas erzählte – und dabei auch so manche Sachen offenkundig ausließ.

Sie wurde abgesetzt und fiel schlicht auf die Knie, rang nach Atem, der sich nur langsam normalisierte. Diesmal war es ihr vollkommen gleich, dass sie zu Füssen eines Daiyōkai kniete, der sich abwandte und aufmerksam den Wald vor sich betrachtete.

Ja, auslassen. Das sollte sie bei ihrer Heimkehr vielleicht auch tun. Der arme Inu Yasha wäre bestimmt nicht begeistert, wenn sie ihm erzählen würde, sie habe an seinen Halbbruder, wenngleich in dessen Hundeform, gekuschelt eine ganze Nacht geschlafen.

Erneut wischte sie sich über das Gesicht. Toll. Ihre Kleidung und sie selbst sahen vermutlich wie vom allerhintersten Haken aus. Sie wollte baden, ihre Garderobe waschen... Wieder ein tiefer Atemzug. Langsam vermochte sie es auch wieder tiefer zu atmen, nicht nach Luft zu ringen. Fast anstrengend war es die Augen zu öffnen, aber wohl notwendig, da sie plötzlich deutliches Yōki vor sich spürte.

Sie waren zu dritt.

Oder eher, zu dritt gewesen, als sie feststellte, dass Sesshōmaru Bakusaiga wieder an seiner Hüfte platzierte. Ein Stück vor ihr entfernt befanden sich die Überreste eines riesigen Reptils oder Drachen, aber selbst das mit Fragezeichen. Nun ja. Da war jemand wütend und sie sollte eigentlich allen Göttern danken, wenn sich noch ein paar Lebensmüde ihm in den Weg begaben. Sollte er sich doch an dem Vampir auslassen, aber bitte nicht an ihr. Wobei sie zugab, dass sie durchaus Tanjeri-senseis Warnung im Kopf hatte, dass diese Gefühlsvampire Daiyōkai schlicht als Beute betrachteten. Aber zumindest im Augenblick war sie alles andere als fähig an einem Kampf auch nur teilzunehmen.

Immerhin tat das Atmen nicht mehr so weh, ihre Lunge beruhigte sich langsam.

„Danke,“ brachte sie hervor und hörte selbst, dass es krächzend war. Sie benötigte nicht nur dringend eine Wäsche, sondern noch dringender was zu trinken. Leider müsste sie dazu aufstehen und weiter gehen können. Umso kälter traf sie der Schock.

„Gehen wir.“

„Ich... ich kann nicht, ehrlich, Sesshōmaru. Es tut mir Leid...“ Sie hätte gute Lust gehabt ihn anzuschreien, aber das funktionierte gerade überhaupt nicht – und würde bei ihm höchstwahrscheinlich nur Aggressionen auslösen. Ein Blick auf die rauchenden Überreste dahinten genügte.

„Fünfhundert Schritte,“ gab er tatsächlich entgegenkommend zu.

„Wohin?“ Sie war verwirrt.

„Eine heiße Quelle.“ Sie war wirklich anscheinend nicht nur körperlich, sondern auch geistig nicht mehr anwesend. Aber der Gestank dieses Morastes... Nun gut. Sein erhöhter Energielevel gegenüber diesem törichten Drachen hatte immerhin bewirkt, dass der Schlamm an seiner Hose nicht nur getrocknet war, sondern auch nun absprang. Sie stank allerdings noch immer erbärmlich und konnte das anscheinend, gleich, wie viel Reiki sie besaß, nicht ändern. Reiki war folglich Yōki unterlegen, schloss er.

Ein heißes Bad, Wasser. Sie versuchte wirklich aufzustehen, aber die Beine wollten nicht. „Ich muss noch...“ Sie brach ab, da er sich zu ihr umdrehte und versuchte hastig erneut aufzustehen. Nutzlos. Erneut begann sie aus einer widerstrebenden Mischung an Gefühlen zu weinen.

Der Daiyōkai betrachtete sie. Das war schiere Todesangst, die sie da eben bewog aufstehen zu wollen – und selbst da versagte sie. Die Erschöpfung war offensichtlich größer als er angenommen hatte, aber, was wusste er auch von derartigen Zuständen. Sie war zu stur um sich ergeben zu wollen, nicht ihm, nicht den Umständen, nicht dem Vampir. Eigentlich nicht einmal eine schlechte Fähigkeit, momentan nur leider nutzlos. „Fünfhundert Schritte.“

Das war auf der trockenen Ebene zu schaffen, beschloss sie, nachdem sie an den zweihundert im Watt gescheitert war. Nur fünfhundert Schritte, dann konnte sie trinken, baden...Das klang eigentlich wie das Paradies. Wenn sie nur aufstehen könnte. Irgendwie würde sie es dann schon schaffen... Oder sie müsste auf allen Vieren krabbeln, und das wollte sie sich eigentlich wirklich nicht antun. „Das schaffe ich,“ behauptete sie daher ein wenig heiser aber kühn. „Ich muss nur aufstehen.“ Das würde ihn doch hoffentlich dazu bewegen noch etwas warten zu wollen, zumal sie durchaus erkennen konnte, dass der getrocknete Schlamm Quadratzentimeter um Quadratzentimeter von ihm abbröckelte.

Sesshōmaru missverstand ihre Absicht. „Nimm meine Hand!“

Hä? Mühsam erkannte sie, dass er tatsächlich die rechte Klaue nach ihr ausstreckte. Er wollte ihr beim Aufstehen helfen? Sein Missvergnügen sie tragen zu müssen wurde zwar damit nochmals demonstriert, aber sie war zu froh um die Hilfe, um nicht empor zu greifen, denn natürlich, natürlich!, bückte sich der Herr Fürst nicht. Sie fühlte erneut ihr Handgelenk gepackt und hochgezogen. Und, ebenso natürlich, losgelassen, was um ein Haar dazu geführt hätte, dass sie erneut stürzte. Fünfhundert Schritte, beschwor sie sich. Nur noch das und das relativ eben, so wie es vor ihnen aussah. Nun ja, soweit sie es noch erkennen konnte. Irgendwie verschwamm ihr Blick.

Instinktiv griff sie nach der Boa, die sie schon durch den Nebel auf der magischen Insel geführt hatte – und Sesshōmaru empfand sich als überaus milde, dass er das duldete, als er ging.

 

 

 
 

Ein heißes Bad

She´s a must to avoid, a complete impossibility

She´s a must to avoid, better take it from me.

 

Herman Hermits

 
 

Kagome hatte nicht die mindeste Ahnung wie lange sie lief, die Rechte fest, vermutlich eigentlich zu fest, in die Boa des Hundefürsten gekrallt, ehe der stehen blieb und sie einfach zu Boden sackte. Vor ihr befand sich, soweit konnte sie es noch erkennen, ein Teich, der verheißungsvoll dampfte. So schön ein Bad auch gewesen wäre – sie musste erst etwas trinken. Mehr oder weniger rutschte sie an das Ufer und zog die Schale aus dem Ärmel. Warm ja, aber nicht heiß. Trinkbar und nicht giftig, schloss sie schlicht aus der Tatsache, dass sie hierher gebracht worden war. Und das ohne Knurren oder dem Hinweis sie könne sich auch in der Unterwelt häuslich einrichten.

Nein, dachte sie, als sie das warme Wasser schluckte und fast hustete. Man konnte Sesshōmaru einiges vorwerfen – aber, er beugte sich in der Tat den Fakten der Notwendigkeit. Trinken. Ja, durch das Atemringen und die Wärme der Sonne hatte sie offenkundig ziemlich viel Wasser verloren. Noch eine Schale und noch eine. Dann würde sie es auch irgendwie schaffen zu baden und ihre mehr als schlammige Garderobe zu waschen.

Erst nach dem ...wie vielten? ... Schälchen blickte sie sich einmal nach ihrem schweigsamen Begleiter um – und erschrak förmlich. Seine Kleidung lag abseits, er selbst saß drei Meter von ihr entfernt in dem heißen Teich und badete offenkundig. Die Boa lag hinter ihm säuberlich aufgerollt und sie konnte zum ersten Mal sehen, dass diese aus seiner Schulter so natürlich wuchs wie ihr eigenes Haar auf dem Kopf. Er hatte beide Arme rechts und links von sich ausgebreitet als läge er in einer Badewanne und schien entspannt. Wenn man von der kleinen Tatsache absah, dass er beide Schwerter neben sich liegen hatte und die Rechte an Bakusaigas Griff. Unvorsichtig war er nicht. Und sie hatte nicht einmal mitbekommen, dass er sich ausgezogen hatte oder in das Wasser gegangen war!

Das führte zu einem neuen Problem, wie sie erkannte, als sie prompt seinen Blick auf sich ruhen sah – wie sollte sie sich ausziehen und ihre Kleidung waschen, wenn er zuguckte? Schön, er mochte sie ungefähr für so interessant oder attraktiv halten wie sie einst ihren Kater Bujo … aber peinlich war es dennoch. Und da gab es ja auch noch den Hinweis auf diesen Liebeszauber, selbst, wenn sie bislang nichts davon verspürte. Was, wenn der bei ihm durch ihren Anblick ausgelöst wurde? Was sollte sie denn dann machen?

„Äh, ich würde auch gern baden.“ Wie sollte sie das am Besten erklären?

 

Ja, dann sollte sie sich doch ausziehen und … oh. Hm. Unter Menschen galt es wohl schon als anstößig, wenn man die Ehefrau eines anderen unbekleidet sah? Eigenartig. Er meinte sich zu entsinnen, dass er in solchen warmen Quellen schon eine Menge bunt gemischter Menschen gesehen hatte. Aber natürlich stimmte das bei Yōkai, da hatte sie tatsächlich recht, und es gab keinen Grund ein, obwohl unwertes, Familienmitglied dadurch zu beleidigen, dass man seine Gefährtin anstarrte. Gleich, wie egal deren Anblick einem selbst war. So schloss er fast demonstrativ die Augen, hörte ihr erleichtertes Aufseufzen. Nun ja. Sie gab sich Mühe, sowohl den Notwendigkeiten dieser Reise als auch Inu Yasha gerecht zu werden. Dafür war sie kaum auch nur zu tadeln. Aber er wusste genau, wer für all das hier verantwortlich zeichnete. Wenn er diesen Vampir in die Klauen bekam!

 

Kagome warf noch einen hastigen Blick auf ihn, aber dann beschloss sie, dass er das wohl ernst meinte und nicht gucken würde. Allerdings zog sie sich in Windeseile aus und glitt in das warme Wasser, tauchte bis zu den Schultern unter. Dann erst drückte sie die Kleidung aus und hoffte, dass das genügen würde, als sie sie mit gewissem Schwung in Einzelteilen auf die Wiese neben sich warf. Dabei war sie bemüht doch stets bis zum Hals im Wasser zu bleiben, obwohl ihr ein rascher Seitenblick verriet, dass der Hundefürst noch immer die Augen geschlossen hielt. Die Sonne würde ihre Garderobe hoffentlich bald einigermaßen trocknen.

Ah, herrlich. Die Wärme entspannte ihre doch recht verkrampfte Muskulatur und ohne es bewusst zu wollen lehnte sie sich an das steile, felsige Ufer. Einige scharfe Steile waren dabei, die davon zeugten, dass der Untergrund hier von vulkanischen Kräften aus den Tiefen der Erde geschaffen worden waren, aber mit ein bisschen hin und her fand sie eine bequeme Haltung. Zugegeben, wenn sie noch den Körper gehabt hätte, mit dem sie nach den drei Jahren in der Zukunft zurückgekehrt war, hätte sie derartige Strapazen schlechter vertragen. Da hatte sie hauptsächlich am Schreibtisch gesessen und gelernt. Aber durch die Wanderungen in der letzten Zeit mit Kaede und auch Inu Yasha war sie doch recht kräftig geworden. Sie würde sich rasch erholen, nur die Müdigkeit würde bleiben. Und ein gewisser Muskelkater morgen, der jedoch sicher unter der weiteren Bewegung bald verschwinden würde – denn, nach dem Bad wartete ja offenkundig der Anstieg zu diesem Vulkan, den Tanjeris-senseis Kugel als letztes angezeigt hatte. Wenn sie diesen dämlichen Vampir ins Visier bekam!

Tatsächlich. Der Herr Hund hielt noch immer die Augen geschlossen, aber sie vermutete nicht, dass er eingeschlafen wäre. Wirklich irgendwie nett von ihm. So nutzte sie die Gelegenheit ihn einmal genauer anzugucken, so ohne Kleidung. In dieser Art hatte sie ihn schließlich noch nie gesehen, auch, wenn er bis knapp unter die Brust im Wasser saß. Er sah durchtrainiert aus, mit definierten Muskeln, wie sie es auch von Inu Yasha oder Kōga kannte. Aber, was bei dem jüngeren Halbbruder noch ein wenig jungenhaft wirkte, zeugte bei dem Älteren schon davon, dass er ein Mann war. Umgerechnet würde sie ihm unter Menschen die Zwanzig zubilligen. Er war schon attraktiv, das musste man ihm lassen. Training und gute Gene, vermutete sie, wenn sie so an seine Mutter dachte. Und an seinen und Inu Yashas Vater, den sie ja, wenngleich nur kurz, nach dem Kampf der Halbbrüder gegen das Höllenschwert gesehen hatte.

Ach, Inu Yasha. Der arme Hanyō würde sich doch Sorgen um sie machen, das machte er ja schon, wenn er mal einige Tage aus dem Dorf war. Und jetzt war sie weg und das noch dazu in einer Begleitung, mit der er ja hörbar nicht einverstanden gewesen war. Wobei sie glaubte, dass er kaum bezweifelte, dass der Halbbruder ein ganz fähiger Beschützer war.

Er war auch früher schon auf Kōga eifersüchtig gewesen und murrte immer noch, wenn auch nur die Rede auf den kam. Es war natürlich Unsinn. Früher, also, bevor sie wieder in die Zukunft zurückgekehrt war, hatte sie diese Eifersucht für sinnlos, ja, für eine Beleidigung für sich gehalten und ihn auch deswegen zu Boden geschickt. Jetzt, da sie wieder zurück war, älter geworden war, hatte sie es erst für eine Art Hundeverhalten eingestuft, etwas, für das er eben nichts konnte – mein Revier, mein Weibchen. Inzwischen aber glaubte sie den wahrscheinlichsten Grund herausgefunden zu haben, über den er allerdings sicher nicht reden würde – Angst. Er hatte noch immer die tiefsitzende Sorge als Hanyō weniger wert zu sein, sie an einen vollblütigen Menschen oder auch Yōkai zu verlieren. Armer Hund. Sie lächelte etwas versonnen. Sie sollte ihm wirklich etwas Schönes kochen, wenn sie wieder da war, und ihm definitiv gewisse Kleinigkeiten von dieser Reise mit seinem Halbbruder nicht erzählen, wie diese Kuschelnacht oder das Bad hier. Es würde ihn schmerzen und das musste ja nicht sein. Es gab auch sonst so einiges, was sie ihm berichten konnte, denn sie glaubte, dass er weder Sesshōmarus Mutter noch Tanjeri-sansei, geschweige denn dessen Insel, je gesehen hatte.

 

Naturgemäß spürte Sesshōmaru die Musterung und öffnete die Augen. Eigentlich erwartete er, dass sie wegsah, denn die Menschen, Rin natürlich ausgenommen, mieden instinktiv den Blick eines Yōkai, aber sie starrte ihn immer noch an, lächelte sogar.

Unterlag sie etwa doch diesem Liebeszauber? Dann müsste er sie wohl abwehren. Vorsorglich überprüfte er sich selbst, konnte jedoch keinerlei Einfluss einer unbekannten Magie auf sich feststellen. Also, er unterlag dem Bann nicht, denn ein so fähiger Kerl, Magie vor ihm in seinem eigenen Körper verbergen zu können, war dieser Vampir sicher nicht. Dagegen sprach auch der zwischen ihm und Inu Yashas Miko gelegter Zauber. Er konnte ihn wahrnehmen.

Erst dann erkannte er, dass ihr Blick förmlich durch ihn hindurch ging. Das widerfuhr ihm wahrhaft selten dermaßen missachtet zu werden. Wo war sie nur mit ihren Gedanken? Ah, das Lächeln. Das hatte nicht ihm gegolten. Sie dachte an Vaters Bas... an den zweiten Sohn. Nun, es war kaum verwerflich an den Gefährten zu denken. Und dafür den Daiyōkai sich direkt gegenüber zu ignorieren ... hm. Menschen waren schon sehr eigenartig. Oder zumindest die weiblichen Exemplare davon. Rin hatte auf ihren Wanderungen mit ihm auch oft, wenn sie aufwachte und ihn über sich stehen sah, gelächelt. Nicht unbedingt die übliche Reaktion auf seinen Anblick bei dieser Art. Aber Rin war eben auch Rin. Etwas Besonderes.

Ah, die Miko hatte bemerkt, dass er sie ansah, denn die Röte in ihren Wangen vertiefte sich und sie guckte lieber in das Wasser vor sich. Sie hatte tatsächlich geträumt, oder wie man das nannte. Dass sie nun die Arme vor der Brust kreuzte, unter Wasser, war fast … amüsant. Glaubte sie wirklich, er würde den Anblick so reizvoll finden? Oder, noch ärger – befürchtete sie, er würde diesem so genannten Liebeszauber unterliegen? Für was hielt sie ihn denn? Er war der Herr der Hunde und kein Weibchen seiner Art – und einiger verwandter – wäre nicht geschmeichelt, wenn sein Auge auf sie fallen würde. Ein guter Grund, fand er, mit Gunstbezeigungen sparsam umzugehen. Ganz sicher würde er niemals ein Menschenweib attraktiv finden oder noch erschwerender die Gefährtin eines Familienmitglieds auf sein Lager nehmen.

 

Kagome hatte tatsächlich feststellen müssen, dass sie ihn wohl angestarrt hatte ohne es zu bemerken. Das mochte er nicht, schon mal überhaupt, aber, nachdem sie nun wusste, dass er so etwas wie ein Fürst war, war das natürlich ausgesprochen ungehörig. Was musste er jetzt nur von ihr denken? Bestenfalls, dass sie eine Träumerin war, die ihre Umgebung missachtete und sich auf seinen Schutz verließ. Bestenfalls. Schlimmstenfalls nahm er an, dass sie diesem Liebesbann unterlag. Oh, bitte nicht, vor allem, wenn er das auch tat. Was sollte sie denn dann nur machen? Menschliche Instinkte boten nur zwei Wege: Aggression oder Flucht. In dem Fall wäre Flucht, soweit es eben ging, die richtige Reaktion. „Ich wäre fertig mit dem Bad.“ Und würde sich lieber anziehen wollen. Zu ihrer Erleichterung schien er zu verstehen, denn er schloss wieder die Augen. Fein. Diese Liebesmagie wirkte offenkundig nicht und sie fragte sich soeben wirklich, ob Meister Tanjeri da nicht doch einen Fehler gemacht hatte, gesehen hatte, was gar nicht existierte. Gleich. Nur schnell raus aus dem Wasser und sich anziehen. Und...

Oh, nein. Sie hatte sich erhoben, wollte aus dem Teich, als sie erkennen musste, dass sie ausgerechnet die rote Hose am weitesten weg geworfen hatte. Wie dumm, daran nicht gedacht zu haben. Ein rascher Blick noch einmal zu dem Daiyōkai, der allerdings noch immer die Augen geschlossen hatte. So machte sie den Schritt und rannte die wenigen Meter auf die Hose zu, bückte sich …. und konnte nur noch spüren, wie der Entfernungsbann ausgelöst wurde.

Ihr NEIN! verhallte ungehört, ebenso, wie sie verzweifelt noch versuchte die Hände auszustrecken, bemüht das zu verhindern, was nicht zu verhindern war.

 

Sesshōmaru, der doch relativ entspannt die Augen geschlossen hielt, wurde jäh alarmiert – Rauschen des Wassers, sich rapide näherndes Reiki.... Er sah auf, nur um zu erkennen, dass die Miko mit ausgestreckten Armen förmlich auf ihn zuflog, dabei buchstäblich aufschäumendes Wasser hinterlassend. Ehe er auch nur dazu kam die Klauen zu bewegen, erfolgte der Zusammenprall.

 

Kagome spürte, wie ihre Handflächen gegen seine Schultern schlugen, ihr Gesicht nach vorn gerissen wurde in die Boa – und konnte nicht umhin froh zu sein in das fellige Teil geflogen zu sein statt in scharfkantige Steine. Das war allerdings nur ein mehr als geringer Trost, als sie etwas vernahm, das sie noch nie gehört hatte – ein sehr tiefes, vibrierendes Grollen. Leider aus dem Körper unter ihr. Sie konnte nur zu deutlich spüren wie sein Brustkorb bebte. Au weia.

Irgendwie schaffte sie es sich aufzurichten, hastig etwas zurückzuziehen um auf mehr als weichen Knien im Teich zu stehen. Es erforderte gewissen Mut auch nur einen behutsamen Blick in das Gesicht des Hundefürsten zu werfen.

Au weia.

Sie hatte seine Augen schon in Zorn rot leuchten gesehen, das Rot seiner wahren Gestalt, das Auge vollständig ausfüllend. Das Rot jetzt war weniger leuchtend, wie dunkelrote Seide. Kein bisschen weniger bedrohlich allerdings. Alle Überlebensinstinkte schlugen an und sie spürte ihr Reiki in scheinbaren Flammen um sie wabern.

„Es tut... mir echt Leid,“ würgte sie irgendwie hervor. „Wirklich....“ Lieber noch einen Schritt zurück, das riet der Instinkt, auch, wenn der Verstand ihr bescheinigte, dass sie auch einen Kilometer weg sein könnte. „Entschuldige....“ Wieder einen Schritt zurück. „Ich wollte … ich wollte dich nicht belästigen, ehrlich!“

„Geh!“

Sie wandte sich um, zu froh, dass das irgendwie einigermaßen gut gegangen zu sein schien. Wo hatte sie denn nur die Hose verloren? Und diesmal würde sie auf die Entfernung aufpassen, wirklich. Noch einmal würde das kaum so glimpflich ausgehen, seine Nachsicht mit ihr ein Ende finden.

 

Sesshōmaru sah ihr kurz nach, wie sie fast in Panik aus dem Teich floh, diesmal offenkundig unbekümmert ob allem, was er sehen könnte. Dann entspannte er seine Klauen, die sich um Bakusaigas Griff und einen Stein geklammert hatten. Für einen Moment betrachtete er seine Linke, dann tauchte er sie in den Teich um das Steinmehl abzuwaschen, alles, was von dem Granitbrocken übrig geblieben war. Inu Yashas Miko sollte eine Danksagung an alle ihr bekannten Götter in ihr Abendgebet einschließen, dass er in beiden Klauen etwas gehabt hatte, an das er sich klammern konnte – sonst wäre sie wirklich in reinem Reflex fällig gewesen. Immerhin schien sie nicht bemerkt zu haben, was sonst so noch passiert war.

Es wäre auch zu unangenehm für ihn gewesen.

Aber offenbar hatte sie nicht mitbekommen, dass sie nicht nur die Hände in Abwehr vor sich hingestreckt hatte, sondern auch ein Bein, korrekter, ein Knie. Und das hatte ihn an einer Stelle getroffen, von der er nicht gewusst hatte, dass sie derartige Schmerzen verursachen konnte. Nun, aus dem einen oder anderen Grund hatte das auch noch nie jemand gewagt.... Er atmete tief durch, suchte sich zu beruhigen. Sein Blick normalisierte sich und er sah, dass sich Kagome angezogen hatte, auf der Wiese kauerte, offensichtlich ohne zu wagen zu ihm zu gucken. Ihr Herz raste und eindeutig hatte sie noch Furcht. Nun, nicht zu Unrecht. Ihn ungefragt zu berühren war schon lebensüberdrüssig – aber das, was sie da unbeabsichtigt und hoffentlich unbemerkt getan hatte, war noch einmal etwas anderes. Immerhin war das jetzt eine Gelegenheit aufzustehen und sich anzuziehen.

Das war ein tiefroter Punkt auf der schwarzen Liste, die er mit diesem Vampir abarbeiten würde!

 

Inu Yasha blieb vor dem alten Yōkaischmied stehen, der es sich in der Dorfschmiede gemütlich gemacht hatte und mit deren Besitzer Informationen austauschte. „Tōtōsai!“

„Ja?“ Der so Angesprochene hätte fast geseufzt. Ungefähr drei oder fünf Mal am Tag tauchte das Hundebaby bei ihm auf und wollte Neuigkeiten, die es doch nicht gab. Bis auf die interessanten Fachgespräche hier war es keine so gute Idee gewesen hierher zu kommen. Aber zugegeben, er war zu neugierig, wie das mit der Vampir-Sache ausging.

„Was hast du vergessen?“

„Hä?“

„Kagome ist noch nicht zurück. Und du hast gesagt, sie gehen nur zu Sesshōmarus Mutter!“

Dieses ungeduldige … „Ja, aber es ist ja nicht gesagt, dass die Dame den Bann lösen kann. Womöglich dauert es oder sie müssen woanders hin oder so.“

„Oder so.“ Der Hanyō stemmte die Arme in die Hüften. „Kapierst du das nicht? Ich will Kagome wieder hier haben. Und nicht wissen, dass sie irgendwo in Japan mit dem ach so tollen Herrn Halbbruder herumläuft.“

„Er wird sie schon beschützen. Sie sind aneinander gebunden. Und außerdem...“

„Und außerdem? Aha. Dachte ich mir doch, Was hast du vergessen?“

„Nichts von besonderer Wichtigkeit. Schau, sie sind, so sehe ich das, mit ihren Leben aneinander gebunden. Und da ist eben dieser Vampir, der auf Gefühle steht und die frisst. Er wird also möglichst viel davon haben wollen.“

„Was mich ein bisschen nervös macht, ja. Sesshōmaru ist nicht so der feinfühlige Kerl, aber Kagome doch recht spontan Mag ja sein, dass der sie beschützen will … aber wie soll er das vor ihren eigenen Gefühlen?“

„Reg dich ab. Allein der Liebeszauber wird dafür sorgen....“ Tōtōsai brach nicht ganz freiwillig ab. Das lag an der Klaue, die sich gerade um seine Kehle gelegt hatte und an der er hochgehoben wurde. „Äh...“ keuchte er. Ach du je. Der Blick dieses Hundebabys erinnerte gerade sehr an den Älteren.

„Was hast du da gerade gesagt? Was für ein Liebeszauber??“ Wenn er gekonnt hätte, hätte sich Inu Yasha in einen mehrmetergroßen Hund verwandelt und die Zähne gefletscht

Ach herrje. Hatte er gerade Öl in ein Feuer gegossen in dem gleich er geröstet wurde? Tōtōsai öffnete den Mund, schloss ihn wieder, öffnete ihn …

Inu Yasha vermutete, dass der Alte schlicht keine Luft mehr bekam und ließ ihn los. „Ich höre!“

„Das ist....“ Der alte Schmied ließ sich zu Boden sinken. „Nur eine Vermutung. Aber solche magischen Bannzauber haben oft auch Nebenwirkungen. Also, ich meine....“

„Liebeszauber?“

Immerhin hatte der Kerl nicht Tessaiga zur Hand. „Es wäre nur logisch, oder? Wenn ich Daiyōkai und Miko in einen Entfernungszauber packe sollen sie sich bekämpfen. Aber doch nicht umbringen, also, so würde ich das als Vampir sehen.“

„Du redest Blech! Bekämpfen und Liebeszauber?“ Aber der Hanyō klang nicht sonderlich beruhigt.

„Ich bin doch kein Vampir,“ wiegelte Tōtōsai lieber ab. „Es ist ja nur herumraten eines alten Yōkai.“

„Ja. Und das Eine sage ich dir, wenn meine Frau und mein Halbbruder etwas miteinander hatten, werde ich zuerst dich umbringen, weil du mich nach Hause geschickt hast, statt Kagome zu beschützen. Klar?“

Warum hatte er noch gleich einmal in dieses Dorf gehen wollen? „Reg dich doch nicht so auf. Sesshōmaru fällt doch nicht auf so einen Zauber rein.“ Noch ein Argument? „Äh, und Kagome, sie erkennt doch Magie und Zaubereien, da wird sie doch nicht darauf anspringen. Das sind sicher die absolut falschen Opfer für so etwas. Falls ich mich nicht überhaupt geirrt habe.“

„Keh!“ Aber der Hanyō drehte ab, kein bisschen beruhigter als wie er gekommen war.

 
 

Ein lächelnder Daiyoukai

When the sky is grey

And the moon is hate

I'll be down to get you

Roots of earth will shake
 

Cleardance Clearwater Revival: A sinister purpose

 
 

Kagome kniete auf der Wiese, noch immer zitternd in dem Adrenalinschock. Ihr war nur zu bewusst, was sie angerichtet hatte, und die Tatsache, dass ihr Kopf noch auf den Schultern saß, ihr nicht buchstäblich abgerissen wurde, war ….zum Durchatmen. Sie hatte mitbekommen wohin ihr Knie getroffen hatte – hatte Schmerz verspürt, aber erst jetzt im Nachdenken, wurde ihr klar, dass das durch den Spiegelbann zwar ein Echo gewesen war, aber eben, Zauber hin oder her, ihr der notwendige Körperteil fehlte und darum vermutlich Sesshōmaru alles abbekommen hatte. Wirklich, dass sie noch lebte war nur seiner enormen Sachlichkeit zu verdanken. Sie würde sich nie wieder darüber beschweren, wenn er nüchtern reagierte, nicht gerade hilfsbereit erschien oder so.

Kami-sama, sie lebte noch. Und sie würde sich jetzt auch ganz bestimmt nicht umsehen, weil sie spürte, wie Yōki auf sie zukam. Er war nur aufgestanden, wollte sich anziehen – jetzt noch mit Neugier zu glänzen wäre vermutlich... nun ja. Er kam näher, sie konnte es spüren, auch, wie ihre eigene Energie emporschoss – falsch. Nur nicht noch Benzin in ein Feuer gießen. Du liebe Güte.

Eines war ihr allerdings nur sehr bewusst: dieser dümmste Vampir aller Zeiten konnte sich mehr als warm anziehen, wenn sie ihn zu Gesicht bekam! In dessen eigenem Interesse sollte er mehr vorzuweisen haben als eine dumme Idee! Seit der diesen glorreichen Bann ausgelöst hatte befand sie sich permanent in Lebensgefahr! Der würde so etwas von bedauern sie je kennengelernt zu haben!

Naraku war ja ein wirklicher Bösewicht gewesen, aber im Endeffekt hatte er mit viel Leid für andere nur für sich Glück schaffen wollen. Wo das bei diesem Vampir sein sollte, konnte sie nicht erkennen. Es hätte doch völlig ausgereicht, wenn diese Emotionsvampire die negativen Gefühle von Menschen gefressen hätte, so wie das ursprünglich geplant war. Menschen litten unter Trauer, Furcht und Sehnsucht, empfanden Hoffnung und Freude, Liebe. Wieso hatte das diesen Idioten nicht gereicht? Daiyōkai anzugreifen, erfolgreich anzugreifen, war schon mal bemerkenswert. Aber dieser vermutlich Letzte seiner Art sperrte auch noch Daiyōkai und Miko in seinen Bann. Sie wollte sich nicht vorstellen wie beide Parteien gelitten hätten, wären sie nicht eben zufällig verwandt. Von dem absolut überflüssigen Liebeszauber ganz zu schweigen, der allerdings ja immerhin wohl nicht zu wirken schien.

Jedenfalls hatte sie jetzt das überaus zweifelhafte Vergnügen einen mit gänzlicher Sicherheit nicht nur in seinem männlichen Stolz verletzten Daiyōkai irgendwie zu beruhigen. Denn, das war ihr nur zu bewusst – Sesshōmaru würde ihr die Schuld an dem Zwischenfall geben. Der kleinste Fehler konnte da mehr als schmerzhaft enden.

Nur nicht umdrehen, selbst, wenn leise Metall klirrte, er sich wohl angezogen hatte. Nur nicht umdrehen, nur nichts sagen, beschwor sie sich.

Oh, dieser Vampir! Sie entsann sich Filmen, in denen Knoblauch geholfen hatte, aber das würde hier sicher kaum funktionieren, eher der Pflock ins Herz. Sie würde im Augenblick dem Schwager liebend gern den Hammer reichen. Einen großen, schweren.

 

Sesshōmaru hatte sich in der Tat angezogen und musterte die Miko ein wenig misstrauisch. Aber sie schien definitiv nicht dem Liebesbann zu unterliegen. Um die Wahrheit zu sagen, er hatte Kagome noch nie so demütig knien gesehen. Leider verstärkte in ihm das die Ahnung, dass sie sehr wohl wusste, was sie da verursacht hatte. Nicht freiwillig, das war ihr zuzubilligen, und sie hatte mutmaßlich alles getan, was in ihren schwachen Kräften stand um das zu vermeiden. Aber die Tatsache blieb bestehen und das würde er ihr nie vergessen.

Immerhin übte sie sich nun in Selbstbeherrschung und Beschwichtigung, denn anders war es kaum zu interpretieren, dass sie zwar nicht in Demutshaltung gegangen war, aber dennoch nur den Kopf gesenkt hielt, den Nacken sehr höflich beugte, sich nicht nach ihm umsah, nichts sagte. Und, um ehrlich zu sein, war sie an dem Zauber nicht schuld. Das lag einzig und allein an diesem unsäglichen, letzten, Vampir. Was erklärte, warum diese Art ausgestorben worden war. Unsäglich, unmöglich. Dieser Spaßvogel wartete dort oben auf dem Vulkan? Nun gut. Inu Yashas Miko war müde, was nicht nur an dem Schrecken lag, den sie wohl durchaus zuvor bekommen hatte. Es wurde dämmerig. Und, es wäre nur logisch sie bei dem Treffen mit diesem Narren kampfbereit zu haben. Er hatte doch Tanjeri-senseis Warnung nicht vergessen, dass diese Wesen sich auf die Jagd nach Daiyōkai spezialisiert hatten. Irgendwelche Winkelzüge besaßen sie. Welche, würde er sehen, aber eine kampferprobte Miko auf der eigenen Seite mochte eine Überraschung für diesen Vampir darstellen. Und sie schien durchaus bereit mitzumachen.

„Schlaf!“ befahl er daher.

Kagome wandte nun doch etwas irritiert den Kopf. „Äh, ich müsste ….“

Ja, natürlich. Er nickte ein wenig seitwärts und sie suchte eilig die Gegend ab, nach einem gewissen Versteck in dem fünf Meter Umkreis, sichtlich bemüht ihren Fehler von zuvor nicht zu wiederholen. Immerhin. Im Gegensatz zu dem ...Vaters zweitem Sohn war sie lernwillig. Wozu allerdings nicht viel gehörte, seiner Meinung nach.

 

Kagome kehrte nicht nur in körperlicher Hinsicht erleichtert zurück. Immerhin schien der Herr Hund zu verstehen, dass es absolut nicht ihre Absicht gewesen war ihn zu beleidigen oder gar zu verletzen, Wenn sie diesen dämlichsten Vampir aller Zeiten....argh....

Sie ließ sich lieber wieder zu Boden fallen, als Sesshōmaru den Kopf wandte. Nein, sie wollte wirklich, absolut und ganz und gar nichts von ihm, schon gar keine Wiederholung dieser Szene. Von der sie auch wohl Inu Yasha nichts erzählen sollte. Der würde doch sicher anfangen den großen Bruder aufzuziehen....

Und irgendwann würde der sie erwischen ohne dass der Hanyō in der Nähe wäre. Lieber nicht. Der Blick allein reichte ihr. Er war ein Profikiller, das sollte sie nie vergessen – und würde sie vermutlich auch nie mehr. Die paar Stunden Konfliktmanagement hatten sie definitiv nicht auf das engste Zusammenleben mit einem Kerl vorbereitet, der tötete, wann und wen er wollte – und dem sie leider auch gerade genügend Munition geliefert hatte. Nur einfach hinlegen, auf das leere Säckchen, und zumindest so tun als könnte sie sich entspannen.

Nun ja, könnte sie, erkannte sie dann. Die einzige Gefahr, die ihr in der Gegenwart des Hundefürsten drohte, ging von eben dem aus. Und der hatte anscheinend beschlossen es ihr nachzusehen, denn, soweit sie ihn kannte, tötete er immer prompt. Zum ersten Mal seit einigen Minuten atmete sie wirklich tief durch. Und sie vermutete, dass ihr Zorn auf diesen Vampir kaum mit dem ihres Schwagers vergleichbar war. Diese Art war definitiv schon ausgestorben,

 

Naturgemäß war Tama anderer Meinung. Der Vampir saß in seiner wahren Form, als orangenes, mehr oder weniger gestaltloses, Wesen auf seinem steinernen Sessel in seiner Höhle, den er fast liebevoll „Thron“ getauft hatte, als seine damalige Gefangene, tatsächlich eine weibliche Daiyōkai, die deutlich seltener waren, ihn aus dem Fels geschnitten hatte.

Seine Form ähnelte momentan einem Ei, das war am energiesparendsten und er gab sich nicht der Illusion hin dieser Daiyōkai, der ihm in die Falle gegangen war, wäre leicht zu überwältigen. Das war ein überaus starkes Männchen, ein Brocken, der lange Unterhaltung und Nahrung versprach. Nun, je länger der sich wehren würde, umso größer der Spaß. Und die Verheißung auf eine lange, gemeinsame Zukunft. Der schien sogar stärker zu sein als sein letzter Gefangener.

Das klang alles hervorragend, zumal er über seine Magie neue Nachrichten von seinen Opfern erhalten hatte. Die Miko schwächelte eindeutig. Ob sie es überhaupt bis hierher schaffen würde? Wenn nicht, gewiss, schade, er hätte vorgehabt an ihr zu lernen wie man Leute mit Reiki überwältigt. Aber so gesehen war sein Ziel ja sowieso ein Daiyōkai gewesen.

Hm. Seltsame Mischung an Gefühlen bei dieser Menschenfrau. Erschöpfung, Zorn, Angst, Zorn – kämpften seine zwei Appetithäppchen etwa schon wieder? Mal wieder, denn irgendwie mussten sie sich ja geeinigt haben ihn zu suchen. Oder hatte der Daiyōkai es vermocht die Miko in seinen Willen zu zwingen und der Zorn tauchte immer auf, wenn ihr Bewusstsein klarer wurde?

Wirklich schwer zu sagen. Bislang hatte er auch Miko einfach dadurch umgebracht, dass er sie übernommen hatte, ihren Körper. Der Geist war ihm ziemlich egal gewesen. Doch, das klang recht interessant. Hoffentlich hielt sie durch. Aus seiner Erfahrung mit ihr konnte er nur lernen.

Der Daiyōkai schien jedenfalls auch ein Problem zu haben. Der Schmerz, den der da zuvor erlitten hatte, konnte mit Sicherheit nur durch den Spiegelbann erfolgt sein – der hatte den wohl noch immer nicht verstanden und erneut die Miko attackiert.

Ach, Daiyōkai. So stark an Körper, so mächtig in ihrem Yōki. Nur irgendwie hatte der Verstand da nicht mitgehalten. Nun, umso einfachere Opfer waren sie für seine Spezies. Brach man ihre Selbstbeherrschung hatte man freien Zugang zu ihren gewöhnlich gut verborgenen Gefühlen. Ja, sie besaßen welche, sie gaben es sich nur selbst nie zu, geschweige denn anderen – ein ziemlicher Fehler von ihnen, der einen Emotionsvampir jedoch hervorragend ernährte.

Aber ja, diese Zwei mussten schon relativ nahe sein. Wie war es ihnen nur gelungen seiner Magie zu folgen? Weil sie eben zu zweit waren? Davon hatte er noch nie gehört, aber er war eben auch der Erste, der auf den beeindruckenden Einfall gekommen war zwei dieser unterschiedlichen Energiearten zusammen zu packen. Was für nette Appetithäppchen. Anscheinend immer für eine Überraschung gut. Das konnte nur lecker werden.

Womöglich wäre es vernünftiger ihnen etwas entgegen zu gehen. Der Daiyōkai würde doch sicher gegen ihn kämpfen wollen., als ob das nicht schon so einige versucht hätten. Er war schließlich nicht irgendwer, selbst unter den Gefühlsvampiren. Er war Tama, das Juwel dieser Art! Vielleicht erhoffte sich die Miko dann sogar Hilfe von ihm. Gab es da nicht diesen Spruch unter Menschen: der Feind meines Feindes kann auch mein Freund sein?

Oh, das war eine Lage, an die er noch gar nicht gedacht hatte. Wenn er den Daiyōkai überwunden hatte... Unwillkürlich glitten die Augen des Vampirs zu dem nun leeren Käfig im Hintergrund. Womöglich musste er die Miko gar nicht übernehmen, sondern sie würde sich mit Freuden daran machen diesem Daiyōkai zu schaden? Ihm selbst helfen und nützlich sein?

Das wäre eine faszinierende Idee. Emotionsvampire waren allgemein überzeugend und er, Tama, besonders. Das mochte einen Versuch wert sein. Der Daiyōkai würde noch mehr unter der Strafe einer Miko leiden, hielten sie doch Menschen für mehr als untergeordnet. Nun ja, es stimmte, aber....

Nun gut. Noch waren sie nicht zu zweit hier, noch hatte er keinen von ihnen in seiner Gewalt und die Emotionen bei den Zweien schwiegen wieder. Sie waren wirklich recht selbstbeherrscht – oder, gerade die Menschenfrau gut ausgebildet. Was man natürlich auch von einem Daiyōkai erwarten konnte. So weit er wusste, wurden Yōkai aus so mächtigem Blut seit Kindheit darauf getrimmt ihr Yōki unter Kontrolle zu halten – und damit Selbstbeherrschung bis zum Exzess zu betreiben. Dummerweise hatte dieses Volk nie den schweren Haken an diesem Training erkannt. Nahm man einem Daiyōkai seine Selbstkontrolle, nahm man ihm das Selbst. Und natürlich auch umgedreht.

Nun, er sollte ihnen auf das untere Plateau entgegen gehen und sie dort erwarten. Dort lag zwar ein kleiner Vulkankrater, in den er nebenbei seine überflüssig gewordenen Opfer warf, aber eben auch etwas, das für eine günstige Kampffläche gehalten werden mochte. In der Zwischenzeit, ach, es war ja schon wieder dunkel draußen, konnte er sich überlegen, welche Strategie er gegen diesen anscheinend starken und damit auch verwundbaren Daiyōkai anwenden würde, ohne gleichzeitig die Miko aus dem Blick zu verlieren. Denn womöglich konnte sie ihn wirklich wichtige Dinge erfahren lassen. Und er lernen, wie man neben seinem neuesten Daiyōkai auch menschliche Opfer zur Mahlzeit bekam.

Das orangefarbene Ei erhob sich von seinem Sessel und schritt majestätisch – wie es Tama selbst sah – aus der Höhle.

Ein neutraler Beobachter hätte sich vermutlich über das große, hüpfende Ei amüsiert, ohne zu ahnen, dass er eines der gefährlichsten Lebewesen weit und breit betrachtete.

 

Kagome erwachte mit dem durchaus in den letzten Tagen selten gewordenen Gefühl ausgeschlafen zu sein. Noch während sie sich dehnte, fiel ihr allerdings so einiges ein und sie erstarrte, öffnete die Augen.

Puh. Es war wie immer auf diesem irren Trip. Sie hatte geschlafen, der Herr Hund stand da und guckte ins Nichts. Er schien wirklich nicht mehr sauer auf sie zu sein. Und da wurde sie sehr sicher, dass auch er nicht sonderlich gut auf diesen dämlichsten Vampir Japans zu sprechen war. Sehr schön, dachte sie – dann würde es wenigstens der Richtige abbekommen, und war im selben Moment zerknirscht.

Sicher, sie wäre sicher, aber es war auch nicht sonderlich nett so etwas wie eine gewisse Wut eines Yōkaifürsten auf einen Vampir zu lenken, der womöglich nicht einmal ahnte, was er bei seinen Opfern anrichtete. Vielleicht sollte sie da Sesshōmaru doch noch ein Gespräch mit dem Vampir vorschlagen? Sie hatte doch so einige Leute getroffen, ihn eingeschlossen, die durchaus netter waren als sie im ersten Moment schienen, Irrtümern unterlagen, Probleme mit ihrer Vergangenheit hatten. Inu Yasha, vor allem natürlich, Sango, selbst Naraku hatte sie irgendwo noch verstehen können. Warum also nicht diesen Vampir? Womöglich hatte er nie etwas anderes gelernt, wie, sich mit den Gefühlen von Menschen zu befassen, diese zu essen ohne die dazu gehörigen Menschen umzubringen – und kannte es nicht anders? Vielleicht war der zu überzeugen diese Überfälle sein zu lassen? Einen Versuch war es doch wert, oder? Sie stand langsam auf und öffnete den Mund, nur um dem Blick des Daiyōkai zu begegnen. „Äh,“ war alles, was sie herausbrachte. Nein, sie war nicht lebensüberdrüssig und er in einer sichtlich mörderischen Verfassung, obwohl seine Energie nicht einmal für sie zu spüren war. Oder vielleicht auch gerade deswegen.

„Mach dich fertig,“ kam die kühle Anweisung.

Ja, was hätte sie denn sonst machen sollen? Aber in Anbetracht dieser eisigen Laune schluckte sie ihren Kommentar und schlug sich in die Büsche, trank Wasser als mageres Frühstück, während sie überlegte, wie sie zu einem Mediationsgespräch einen weiteren Anlauf nehmen konnte. So stand sie auf.

„Ich bin fertig. Ich habe nur eine Frage noch,“ Da er sich prompt abwandte. „Du weißt auch nicht über diese Vampire außer dem, was Tanjeri-sensei gesagt hat?“ Das erschien ihr als harmloser Einstieg.

 

Sesshōmaru vermutete aus seiner Sicht naheliegend, dass sie um Kampfinformationen ersuchte. Das sprach durchaus für sie, war jedoch unerheblich. „Sie können getötet werden.“ Und schritt seiner Wege.

Kagome folgte ihm etwas frustriert. Ja, da war jemand sauer, ja, es würde hart werden auch nur einen Dialog mit ihm zu führen. Vielleicht klappte es besser, wenn der Vampir vor ihnen stand und sie mit dem reden konnte. Allerdings, wenn sie sich an ihre eigenen Gefühle gestern dem gegenüber erinnerte – äh, weniger? „Du willst ihn umbringen, weil du ihn hasst?“

Wie naiv sie war. Und daraus natürlich ableitend auch Inu Yasha. „Ich werde ihn töten, weil er mich stört,“ gab er zu Protokoll. Und, doch bestrebt sie für einen Kampf gegebenenfalls auf seiner Seite zu halten: „Hass ist für Menschen.“

„Ich hasse niemanden,“ protestierte sie. Wie sie es hasste mit seinem Rücken zu reden! Nun ja, auch hassen. Und noch dazu - er hatte geantwortet. Seit einigen Tagen wusste sie, dass sie schon darüber froh sein sollte. „Ja, schön, ich wollte Naraku umbringen. Er hatte so viel Leid angezettelt und er wollte uns alle Vier töten. Es war Selbstverteidigung. Und das weißt du auch.“ Nein, sie sollte wohl besser nicht erwähnen, dass Naraku es auch bei ihm versucht hatte. Erstens wusste das der Herr Hund vermutlich und zweitens – falls er es erfolgreich verdrängt hatte, wäre es ziemlich dämlich ihn daran zu erinnern. Vor allem daran, dass es noch lebende Zeugen gab.

 

Sesshōmaru gab keine Antwort. Über ihnen lag wieder einmal vulkanischer Boden mit Dämpfen aus dem Inneren der Erde, dazu die üblichen Gerüche und Geräusche des Waldes. Und doch war da irgendetwas anderes. Er benötigte fast zwei Höhenmeter um zu erkennen, dass es sich um keine Witterung handelte. Es war ein anderer Sinn, den er so nie zuvor erlebt hatte. Kein Yōki, kein Reiki, aber doch eine Energie, allerdings auch wieder anders als die der See-, Feld- Wald- und Wiesengötter, denen er schon begegnet war und die gut daran taten ihm auszuweichen. Das konnte ja, musste der Vampir sein. Der hatte sein Näherkommen, nun gut, ihr Näherkommen, bemerkt und wartete auf sie. Der Narr sollte wissen, dass es sich kaum um einen Freundschaftsbesuch handelte. Wartete dort eine Falle, die für Daiyōkai ein Risiko bot? Nun, er wüsste zwar nicht, was ihm gefährlich werden sollte, aber dafür wäre die Nähe einer durchaus fähigen Miko nützlich. Es war doch gut, dass er sie besänftigt hatte. Und, er sollte sie vorwarnen. Krieger kämpften am Besten, wenn man sie in die Strategie einweihte, hatte der verehrte Vater einst gepredigt und auch, wenn er seither keine Krieger mehr befehligt hatte: „Dort oben wartet er.“

Kagome registrierte durchaus verärgert, dass der dumme Hund sich nicht einmal die Mühe machte den Kopf halb zu wenden, aber immerhin warnte er sie vor. „Ich kann nichts bemerken,“ gab sie dann zu. „Keine Energie.“

„Eine andere.“

Und wieder keine Erklärung, allerdings vermutete sie, dass er auch keine Ahnung hatte, das aber nicht einmal auf dem Totenbett zugeben würde.

 

Sie kamen, dachte Tama vergnügt und falls er Hände in dieser Daseinsform besessen hätte, hätte er sie gerieben. Er musterte noch einmal seine Umgebung. Links von ihm dampfte der kleine Vulkankrater, der Rest des Geländes war sehr eben, umgeben von einem halben Steinkreis. Einst hatte es hier einen größeren Vulkankegel gegeben, die letzte Eruption hatte den förmlich abgesprengt und das war der Überrest. Der kleinere Krater war erst danach entstanden. Allerdings hatte diese mächtige Explosion den Emotionsvampir damals angelockt. Und in seine schöne Höhle gebracht, um die er sich mit einem anderen Mitglied seiner Art förmlich prügeln musste. Nun gut, er hatte gewonnen und der andere endete in eben diesem Krater, in dem Tama in den letzten Jahrtausenden bereits so einige Opfer entsorgt hatte.

Egal, verbot er sich diese, wenngleich vergnüglichen, Reminiszenzen. Dieses Gelände sollten einem Daiyōkai wie eine Kampfarena erscheinen. Und der Idiot sollte zum Schwert greifen. Sollte er wirklich, denn dann schlug die Falle eines Gefühlsvampirs nur besser an.

Ja, sie kamen. Natürlich der Yōkai zuerst, dann die menschliche Miko. Und nun?

 

Sesshōmaru erreichte die Ebene und wich sofort beiseite um seiner Begleiterin freien Blick zu ermöglichen, noch während er die Lage musterte, zu gut ausgebildet, um einen möglichen Kampfpartner nicht zu informieren. Für Jaken wäre er eher weniger beiseite gegangen, aber Reiki mochte gegen einen Vampir nützlich sein.

Kagome rannte förmlich neben ihn und musterte weniger die Umgebung als das menschengrosse, orangefarbene, Ei auf der anderen Seite dieser – ja, es war eine natürliche Arena und die hatte der Vampir sicher nicht umsonst ausgesucht. In dem Ei leuchteten zwei weiße handtellergroße Augen mit schwarzen Pupillen. Unheimlich und sie ließ instinktiv den Bogen von der Schulter gleiten, blickte jedoch ebenso unwillkürlich beiseite.

Der Hundefürst hatte die Lage mit einer raschen Kopfwendung überflogen. Auch er war zu dem Schluss gekommen, dass es sich um eine Art Arena handeln sollte – und dass das da drüben der Kerl war, der ihm die ganzen Unannehmlichkeiten der vergangenen Tage eingebrockt hatte. Unwillkürlich legte er die Klaue an Bakusaiga.

„Herzlich willkommen, meine kleinen Appetithäppchen,“ rief Tama begeistert. „Wie schön euch endlich persönlich kennen zu lernen.“

Beide Angesprochenen empfanden diese Anrede als mehr als unpassend und Kagome fasste nach ihrem ersten Pfeil, Sesshōmaru zog.

„Du hast sie gut unter Kontrolle,“ gab Tama zu. „Aber das wird gleich vergehen.“

In der Miko stieg etwas wie Besorgnis auf und so sah sie erneut seitwärts und spürte einen Schauder.

Der Daiyōkai richtete sich, Bakusaiga in der Hand, ein wenig auf, musterte erneut den Vampir. Und lächelte.
 

Eine zornige Miko

Better be scared, better be afraid,

Now that the beast is out of her cage.

 

Mz Hyde

Halestrom
 

 
 

Sesshōmarus Angriff fegte als grünleuchtender Strahl auf den Emotionsvampir zu, der in dieser orangen, körperlosen, Form seine Erheiterung nicht zeigen konnte. Ach, waren diese Daiyōkai primitiv. Er sollte das dem Guten mal sagen. Genau, ein wenig anheizen, damit der seine Seele für den späteren geistigen Angriff weiter öffnete. Ein wenig musste es ja jeder, der mit diesen Metallklingen und seiner Energie kämpfen wollte, warum nicht die Tür weiter öffnen. Das hatte er doch bei den letzten Attacken auf diese Spezies gelernt.

Das Yōki durchschlug die Gestalt ohne sichtbare Wirkungen, ein guter Teil des da hinter liegenden Kraterrandes zerfiel allerdings in Staub und Schutt.

„Stark bist du ja, aber offensichtlich hast du keine Ahnung wer ich bin. Ich bin ein Gefühlsvampir. Mein Name ist übrigens Tama. Und kein Yōki kann mich treffen – und nein, liebe Miko, wie war doch dein Name? Kowahe? Du kannst mich auch nicht läutern, denn ich besitze kein Yōki. Kurz, eure Energien sind absolut sinnlos.“

„Ich heiße Kagome!“ zischte besagte Miko prompt mit der Freundlichkeit einer schwarzen Mamba und ließ den Pfeil von der Sehne. Der flog mitten durch das orangene Ei ohne irgendeinen Schaden anzurichten und landete dahinter auf dem Boden.

 

Tama schloss kurz die Augen. „Das kann ja richtig heiter werden mit euch zu spielen.“ Aha. Sie reagierte also ärgerlich darauf falsch angesprochen zu werden? Dann könnte man sie auf diese Art später übernehmen. Erst einmal war der Daiyōkai dran. Hm. Es war für ihn immer schwer das wahre Aussehen zu erraten, wenn die in ihrer Menschenform waren, aber es dürfte sich um einen Hund handeln. Ein Kitsune hätte bereits mit Magie attackiert und spätestens da seine Schwänze gezeigt. Das erklärte die Stärke. Unter allen Yōkai waren Füchse, Hunde, und mit Einschränkungen auch Wölfe die mächtigsten. Oh, das würde ein Festessen geben. Wenn er diesen Kerl geknackt hatte. Und das könnte sogar recht einfach werden, so stoisch wie der wirkte. Und eben auch arrogant. Keine Emotionen zeigen – oder glaubte der Narr etwa keine zu besitzen? Dann würde der eine Überraschung erleben.

Ja, was zu beweisen war. Noch eine Attacke mit dem Schwert. Was für eine nutzlose Energieverschwendung. Überdies beschädigte der Idiot den Vulkan. Mit ein bisschen mehr Nachdruck löste der vermutlich auch noch einen Ausbruch aus. Aber so verrückt oder lebensmüde sollte der doch nicht sein. „Was zu beweisen war. Hörst du mir eigentlich zu, Daiyōkai? Hast du auch einen Namen?“ Tama rechnete eigentlich mit keiner Antwort. Seine bisherigen Erfahrungen hatten gezeigt, dass gerade so mächtige Wesen durchaus einkalkulierten, dass man, kannte man ihren Namen, auch damit Magie wirken konnte. Nun, er nicht. Seine Zauber lagen auf dem Bewusstsein, ja, man könnte sagen, auf der Seele. Und nicht, dass ihnen ihr Schweigen etwas geholfen hätte.

 

„Sesshōmaru.“

 

Oh, einer von der Sorte. Selbstbewusst bis zur Arroganz, scheinbar eiskalt. Aber irgendwo hatte der Gefühle und er selbst würde sie alle zu fressen bekommen. Noch ein wenig ablenken und die eigene Magie sammeln. „Der vollendet tötet? Wie schade, dass du das bei mir nicht vermagst, nicht wahr? Und die kleine Koga-chan ist auch nutzlos.“

 

Koga-chan? Kagome pumpte wie ein Maikäfer kurz vor dem Abflug, sah aber unwillkürlich zu ihrem Begleiter. Fiel dem was ein? Immerhin schien nun klar zu sein, wieso diese Vampire es schafften Daiyōkai zu übernehmen, zu fressen, was auch immer. Gegenwehr mit Energie, gleich welcher Art, war anscheinend nutzlos. Aber irgendwie hatten es die Daiyōkai laut Tanjeri-sensei es doch vollbracht, wenngleich zu dritt, diese Wesen auszurotten. Und, das erklärte auch, warum sich ein Mensch, sei er auch mit Reiki ausgestattet, ebenfalls nicht gegen die Übernahme wehren konnte. Das war doch wirklich nicht notwendig Leute umzubringen, nur weil man negative Gefühle als Ernährung brauchte. Sie sagte den letzteren Satz laut. Vielleicht ergab sich eine Entschuldigung oder sie konnte Zeit gewinnen, dachte sie, Sesshōmaru schien nachzudenken. Der hatte doch sicher so etwas wie Taktik gelernt. Inu Yasha haute ja immer erst drein, etwas, was sie seit Jahren versuchte ihm abzugewöhnen, aber sinnlos. Sie waren eben beide impulsiv.

 

Tama war tatsächlich erstaunt, wenngleich er es nicht zeigen konnte. „Liebe Kogame, natürlich müsste ich eine Miko nicht umbringen um ihre Gefühle zu bekommen. Aber man gelangt in Menschenform eben unbeobachtet durchs Land. Hättest du mit mir gesprochen, wenn ich mich nicht als Miko verkleidet hätte, sondern so vor dir gestanden hätte?“ Da sie unwillkürlich den Kopf schüttelte, allerdings bei der falschen Anrede schon wieder die Brauen zusammengezogen hatte, fuhr er fort: „Abgesehen davon macht es Spaß Leute zu übernehmen. Es verleiht einem unglaubliche Macht. - Ich denke, Sesshōmaru wird ähnlich empfinden, wenn er tötet. Apropos, Daiyōkai. Wir werden noch viel Spaß miteinander haben. Alle drei miteinander.“ Sie war eine gut ausgebildete, starke Miko. Wenn sie erst einmal aus dem Bann des Hundes entlassen war, würde sie sich gewiss rächen wollen. Sehr praktisch. Aber jetzt war dieser Daiyōkai dran.

Kein äußeres Anzeichen verriet, dass der Vampir seine komplette magische Macht abrief und auf den Hundefürsten warf – gezielt auf einen Punkt in dessen Geist: das Bewusstsein des Ich. Als sich die Emotionsvampire außer Menschen einst stärkere Nahrung suchten, intensivere, fanden sie zufällig heraus, dass Yōkai, noch dazu die mächtigsten unter ihnen, viel eher als Menschen dazu neigten ich-bezogen zu sein. Menschen opferten sich für ihre Kinder, für ihre Liebsten – ein Yōkai nie. Diese Erkenntnisse verbreiteten sich rasch unter seiner Art. Nahm man einem Daiyōkai sein Bewusstsein dafür, was ihn ausmachte, so war er relativ leicht in die geistige Schattenwelt zu dirigieren, in der er für den Rest seines Lebens gefangen bleiben würde. Und dazu gehörte, gerade bei so eiskalten, arroganten Typen wie dem Hund hier vor ihm, schlicht nur der Name. Sie waren einfach gestrickt, einfach zu berechnen, allerdings nur mit gehöriger magischer Macht zu überwältigen.

Wieso redete diese Miko denn schon wieder? Möglicherweise war sie hilfreich, aber sie sollte doch … nun, sie würde schweigen, wenn sie aus dem Bann erwachte. Falls nicht, nun, dann musste er sie eben doch ein Stück übernehmen und ihr Stille befehlen.

 

Kagome hatte tief Luft geholt. „Es bereitet dir Vergnügen andere Menschen oder Yōkai zu übernehmen? Und damit zu töten? Ich habe gehört, ihr wurdet dazu erschaffen die negativen Gefühle von Menschen zu fressen, damit die nicht an Trauer oder anderen negativen Gefühlen zugrunde gehen.“

„Erschaffen werden und etwas tun sind zwei Dinge. Koga-chan.“ Ja, auf diese Anrede reagierte sie eindeutig am Meisten. Warum auch immer. Weiter im Text. Noch schien sie unter der Kontrolle des Daiyōkai zu stehen, noch war der zwar erstarrt aber nicht besiegt, noch kämpfte der um die Dominanz in seinem Ich. Das konnte noch etwas dauern. Solange sollte er selbst die Menschenfrau ablenken, damit sie ihrem Herrn nicht half. Danach würde es bestimmt anders aussehen. „Es macht mir Spaß. Und du wirst sehen, wie viel Vergnügen es mir bereitet diese stolzen Daiyōkai in jammernde Wesen zu verwandeln, ohne Stolz, ohne Macht. Das wird dir auch gefallen, da bin ich sicher.“

„Und wovon träumst du nachts?“ fauchte sie in einer Weise zurück, die Inu Yasha sicher stolz gemacht, allerdings jeden außer einem ganzen Rudel Krokodile in die Flucht geschlagen hätte. Oder Tama. „Wie kannst du glauben, dass irgendjemand, noch dazu ein Mensch, Spaß an sowas hat?“

„Ich habe meine Erfahrungen, Miko.“

Aha, dachte Kagome. Keine falsche Anrede mehr? Das traf ihn irgendwie doch. Nur, warum sah sie aus den Augenwinkeln, wie Sesshōmaru so seltsam still stand? Der dachte doch nicht mehr nach? Stimmte da etwas nicht? Versuchte dieser dämliche Vampir sie nur abzulenken, während er in Wahrheit einen Angriff auf ihren Schwager ausgelöst hatte? Einen magischen, dem sie nicht folgen konnte? Dann sollte sie irgend etwas unternehmen, um dem Hundefürsten zu helfen. Nur, was? Zuerst einmal sollte sie versuchen diesen dämlichen Möchte-gern-Nosferatu irgendwie abzulenken. „Ja, klar, wie Schulhofschläger, auch, wenn du bestimmt nicht weißt, was das ist. - Schön, ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich dich nicht läutern kann, weil du kein Yōki hast. Aber du verfügst doch über Energie, sonst könntest du gar nicht existieren.“

„Liebes Kind,“ begann Tama herablassend. „Ausnahmsweise hast du recht. Ich besitze Energie. Meine Energie besteht allerdings aus den Gefühlen anderer Wesen. Je mehr Gefühl, desto stärker werde ich.“ Oh, sie wurde schon wieder wütend. Ziemlich impulsiv, die Kleine. Das sollte er im Auge behalten. So immer Miko zum Dessert?

 

Diese Anrede kam bei Kagome ungefähr so gut an, als habe ihr Inu Yasha beiläufig gesagt, dass er nun eine Zweitfrau namens Kikyō habe. „Tama, heißt du? Soll ich dir mal verraten, was mit dem letzten Juwel passierte, das mich sah, das shikon no tama? Zuerst einmal habe ich es in tausend Scherben geschossen, dann haben wir es ziemlich mühsam wieder zusammen gesetzt – und dann habe ich es aus dieser Welt gejagt. Ich habe meine eigene Art mit Juwelen umzugehen, mein Schmuckstück!“

Aus irgendeinem Grund erkannte der Emotionsvampir, dass sie nicht log. Allerdings war er völlig frei von Furcht, dass sie ihm das antun könnte. Immerhin wusste er nun, dass seine Einschätzung richtig gewesen war – sie war eine gut ausgebildete, überaus fähige, Miko. Und dieser Daiyōkai war wirklich ein harter Brocken. Er musste sie noch hinhalten und noch mehr Magie gegen den nachschicken. Natürlich besaß er noch welche. Er war viel zu intelligent um alle seine Macht auf einmal zu Beginn zu zeigen.

 

Sesshōmaru hatte nachgedacht. Yōki half nicht, Reiki offensichtlich auch nicht. Aber dieses Hindernis musste zu beseitigen sein. Immerhin waren diese Vampire bis auf den vor ihm ausgestorben worden. Sie waren umzubringen, die Frage lautete nur wie. Da der jetzt in eine vollkommen nutzlose Diskussion mit Inu Yashas Miko einstieg, bekam er selbst die Gelegenheit eine neue Strategie zu überlegen.

Wenn es nicht mit Energien funktionierte, dann eben in einem direkten Angriff? Nein, dieses Wesen war körperlos und würde sich hier kaum hinstellen, wenn es nicht auch einer solchen Attacke Widerstand leisten konnte.

Kagome lieferte sich ein Rededuell – wollte sie etwa von ihm ablenken? Ihm Zeit geben? Nett, aber nutzlos, wie ihre meisten Ideen. Er war ….

Er stockte in seinem Gedanken. Wer war er?

Ihm fiel sein eigener Name nicht mehr ein. Seltsam.

Er fühlte sich wie einen tiefen, schwarzen Schacht gezogen, rings um ihn waberte dichter, schwarzer Nebel. War das etwa der Angriff eines Gefühlsvampirs? Dem würde er zeigen, dass er kein Irgendwer war. Er war … wer war er?

Was war er?

Er besaß Yōki, also musste er ein Yōkai sein … glaubte er zu wissen.

Ein namenloser Yōkai, sicher zu schwach, um von seinen Eltern auch nur mit einem Namen, wenigstens einer Zahl, gewürdigt zu werden.

Ausgesetzt, schwach, allein...

Stolz bäumte sich auf.

Nein, er war kein Irgendwer. Er war …

Er würde kämpfen und beweisen...

Was?

Der schwarze Nebel in seiner Seele forderte ihn förmlich auf Ruhe zu geben, sich zu entspannen, es geschehen zu lassen.

Was geschehen zu lassen?

Sterben?

Er war selten genug in einem Kampf nahe am Tod gewesen, meinte er sich zu entsinnen. Aber diese Erinnerung an eine Welt im Licht verblasste immer mehr.

Es musste schön sein, sich dem Tod zu ergeben, besser als ein Leben ..

Nein! Er war nicht namenlos! Es würde ihm wieder einfallen, wenn sich der Nebel lichtete...

Er musste kämpfen, er würde kämpfen.

Und er würde jemanden umbringen.

Daran klammerte er sich, während er versuchte sich zu entsinnen.

Aber wozu noch kämpfen. Es gab keinen Ausweg als den Untergang. Keine Hoffnung.

 

Kagome ließ den Vampir nicht aus den Augen, nach ihren Erfahrungen mit Naraku zu sicher, dass der irgendeinen fiesen Plan auf Lager hatte. Dennoch bemühte sie sich zu erkennen, was der Hundefürst da tat. Und dass der die Rechte sinken ließ, Bakusaiga nach unten zeigte, genügte, um ihr Angst einzujagen. Der Kerl, der außer gegen Inu Yasha nie ging ohne gewonnen zu haben? Sie hatte genug Kämpfe von ihm mit angesehen. Nein, da stimmte etwas ganz und gar nicht. Die Falle des Gefühlsvampirs wirkte gegen Daiyōkai, hatte Tanjeri-sama gesagt. War es das, was auch immer?

Sie erinnerte sich an das soziale Praktikum, das sie im letzten Schuljahr hatte machen müssen. Betäubte oder bewusstlose Menschen reagierten am Besten auf ihren eigenen Namen, hatte ihr damals die betreuende Krankenschwester erklärt, wenn sie Patientenbetten aus dem OP holen sollte.

Wenn Sesshōmaru in einer Art Benebelung durch diesen dämlichen Tama steckte, würde das doch hoffentlich auch funktionieren? Außerdem schien ihr der Vampir ziemlich erheitert zu sein. Sie legte den Kopf schräg. „Oh ja, du Schmuckstück-Dracula, du bist geliefert. Das weiß ich und das verspreche ich dir. - He, Sesshōmaru!“ rief sie lauter als es notwendig gewesen wäre.

 

Sesshōmaru!

Der Daiyōkai hörte dieses Wort in der tiefen Schwärze, die ihn umgab. Es war wie ein unerwarteter Sonnenstrahl in einer düsteren Gewitternacht. Hell, strahlend, eine Hoffnung zum Leben, zu Überleben, und er klammerte sich daran wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. Es gab eine Chance das hier zu überstehen, es gab eine Möglichkeit …

Ja. Er war Sesshōmaru. Der in Perfektion tötet. Er war ein Hundeyōkai, ein Daiyōkai!

Und er war wie ein Welpe in diese heimtückische Falle des Emotionsvampirs gelaufen! Jetzt begriff er, wie so viele Daiyōkai dieser Spezies zum Opfer fallen konnten.

Er atmete tief durch, als sich der Nebel verzog, er wieder klar sehen konnte und richtete sich kampfbereit auf.

 

Kagome ahnte nicht was passiert war, aber sie war erleichtert, dass das gefährliche Schwert wieder in Kampfposition gehoben wurde. Vielleicht der passende Moment um ihre Idee zu sagen. Naja, nur keinen Vorschlag machen. „Dann sehen wir mal, ob ich recht liege, werter Tama,“ begann sie süß wie Honig. „Du hast kein Reiki, kein Yōki, damit sind Energieangriffe gegen dich also nutzlos?“

„Ja.“ Der Vampir gab sich zu, dass er verwirrt war. Wieso hatte sie es vermocht den Daiyōkai nur durch seinen Namen … Oh, verdammt! Der war noch nicht so weit weg gewesen, dass er das nicht gehört hätte! Sie war gefährlich. „Ihr könnt nichts tun, was mich umbringt!“ Er musste tatsächlich erst das Menschenweib übernehmen, dann den Daiyōkai.

„Um was wetten wir?“ gab sie zurück, ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Da gab es mal einen Kampf gegen ein Schwert aus der Hölle … Sesshōmaru, du erinnerst dich sicher an den letzten Schlag.“

Der Daiyōkai stutzte. Ja, natürlich. Er hatte seinen Angriff mit Tenseiga mit dem Inu Yashas Tessaiga verbunden und gemeinsam.... Oh. Ärgerlich, dass sie auf diesen Einfall gekommen war und nicht er, aber da sie ihn offensichtlich aus den schwarzen Nebeln herausgeholt hatte, wie auch immer, war das nebensächlich. Ja, das war eine Idee, die dieser Vampir übersehen hatte – und diesen Fehler würde der bitter bereuen. Ja, weder Yōki konnte ihm etwas anhaben, da er körperlos war, noch Reiki, da er kein Yōki besaß. Aber ….

Sesshōmaru hob Bakusaiga und lächelte, als er sah, wie Kagome prompt den nächsten Pfeil anlegte.

„Stirb.“

 

Tama war verwundert, aber zu selbstsicher um das als Gefahr für sich zu erkennen. Yōki würde durch seinen Körper gehen und ihm nichts ausmachen, Reiki war nutzlos, er besaß kein Yōki...

 

Kagome visierte. Da durfte jetzt absolut nichts schiefgehen. Aber sie sagte sehr leise: „Weißt du, mein Schmuckstück, es ist ziemlich dämlich Gegnern zu sagen, wie man umzubringen ist.“

 

Ausnahmsweise waren sie einer Meinung, dachte der Daiyōkai und setzte die Spitze seines Schwertes auf den Boden. Da sofort die Sehne bis zum Äußersten gespannt wurde und er den nochmaligen Anstieg des Reiki spüren konnte, lächelte er erneut. „Tama, war dein Name? Der letzte seiner Art.“ Und er ließ sein volles Yōki über Bakusaiga in die Erde fließen, gezielt auf einen einzigen Punkt – das Ende des Eis.

 

Kagome hatte diese Art Angriff bereits gesehen und war bereit. Als sie die grün gleißende Energie senkrecht aus der Erde in den Vampir schießen sah, ließ sie den Pfeil los. „Mit den besten Grüßen von KA-GO-ME!“

 

Tama war irritiert. Was wollte der Idiot denn? Yōki konnte ihm doch nichts anhaben, das würde durch ihn durchgehen wie … Obwohl, das war schon eine Menge. Und dann spürte er wie Reiki in ihn drang, das Yōki läuterte.

NEIN! Sein Ruf verklang ungehört in dem plötzlichen Energieausbruch, der die anderen beiden Wesen auf dem Plateau die Augen schließen ließ, sie fast von den Beinen riss.

 

Kagome ließ den Bogen aus der jäh kraftlosen Hand fallen. „Materie plus Antimaterie ist reine Energie, Annihilation.“ murmelte sie.

Zur gewissen Überraschung Sesshōmarus, der darin allerdings einen mächtigen Zauberspruch vermutete, als er seine Klinge in den Obi schob. Sie war erschöpft, aber das glaubte er gern. In diesen letzten Schuss hatte sie vermutlich all ihre läuternde Kraft gelegt um mit ihm mithalten zu können, das Gleichgewicht der Kräfte aufrecht erhalten zu können. Und das war wirklich nicht schlecht für eine Menschenfrau. Hm. Gegen den Bas... Vaters zweiten Sohn plus Kagome würde selbst er sich hart tun. Natürlich gewinnen, aber … Sie sollte sich erholen. „Komm.“

Und sie folgte ihm, sich schon irgendwo bewusst, dass der Bann wohl aufgehoben war, aber, wohin hätte sie auch sonst sollen?

 

Kaum zehn Minuten später saßen Daiyōkai und Miko am Hang des Vulkans, der zwar noch immer grollte, aber wohl keine Gefahr darstellte, und betrachteten den weiten Pazifik, der kaum je den Beinamen des Stillen Ozeans so verdient hatte. Der leichte, warme Wind, der von Osten auf sie zuzog war nur angenehm. Kagome ließ ihre Knie über die Kante des Vorsprungs hängen und lehnte sich gegen die karge Wiese zurück, müde, erschöpft selbst in ihrem Reiki.

Sesshōmaru warf ihr einen Blick zu. Sie hatte ihn, wie auch immer, aus der Falle des Vampirs befreit, und, auch, wenn er das nie zugeben würde – er schuldete ihr Dank. Das verlangte die Kriegerehre. Überdies war sie vor ihm auf den Einfall mit den verbundenen, so gegenteiligen Energien gekommen. Nun gut. Er musste sagen, dass der ...sein Halb ...Vaters zweiter Sohn sich nicht das erstbeste Menschenweib geschnappt hatte, was ihm in den Weg kam. Schon dessen erstes Interesse war eine überaus fähige Miko gewesen, die sogar mal Rin gerettet hatte. War der Hanyō, gleich, was man sonst von ihm halten mochte, womöglich so etwas wie ein Mikodetektor? Interessante Theorie. Man ließ Inu Yasha frei durch Japan streifen und der fand immer die jeweils fähigste Miko der Zeit?

Das konnte für seine eigenen Pläne, der mächtigste Yōkai Japans zu werden, nur förderlich sein.

 

Kagome zögerte, aber dann beschloss sie, dass sie kein Risiko mehr einging, auch, wenn der Spiegelbann wohl erloschen war „Ich möchte nur noch schlafen.“ Sie sah vorsichtig beiseite und begegnete einem goldenen Blick, den sie nicht deuten konnte.

„Schlaf.“

Und zur vollkommenen Überraschung der Menschenfrau spürte sie einen Arm. Der sie mit unleugbar gezähmter Kraft an die Boa des neben ihr Sitzenden drückte. „Danke,“ war alles, was sie noch sagen konnte, ehe sie die Augen schloss.

 

 
 

Eine stille Übereinkunft

Three things never anger

Or you will not live for long

A wolf with cubs

A man with power

And a women's sense of wrong

 

 

Julia Ecklar: Horsetamers Daughter

 

 
 

Als Kagome erwachte war sie allein. Sie richtete sich überrascht auf, zumal sie genau noch die übermenschliche Wärme des Daiyōkai spürte. Wo war er hin? Gab es Ärger? Dann entdeckte sie ihn oberhalb auf einem Vorsprung stehend, fast hundert Meter über ihr. Er sah zum Himmel auf, das Haar und die Boa wehten leicht im morgendlichen Wind, der über das Meer kam. Am östlichen Horizont stieg die Sonne auf., tauchte alles in ein warmes, fast rosafarbenes Licht. War etwas? Sie stand auf und tastete unwillkürlich nach ihrem Bogen. Ja, so ein Mist. Der lag noch immer da oben, sie hatte ihn schlicht liegen lassen, so erschöpft, wie sie gewesen war.

Dann erkannte sie wonach der Hundefürst Ausschau hielt. Aus den hellen Wolken stieß ein zweiköpfiger Drache, gesattelt und aufgezäumt. Ah-Un, dachte sie erleichtert. Das war ja wirklich nett vom Schwager ihr solcherart einen Rückflug zu organisieren. Und das, nachdem sie an ihn gekuschelt schlafen durfte.

Hm. Irgendwie weckte das in ihr den Verdacht, dass sich diese unerwartete, ja, geradezu ausufernde, Nettigkeit nicht darauf gründete, dass sie auf den Vampir geschossen hatte oder die medizinische Versorgung nach dem Drachenbiss. Sie musste recht gehabt haben, dass dieser Tama irgendeine magische Falle gelegt gehabt hatte und der Herr Hund da rein gelaufen war. Und, umgedreht, sie ihn mit ihrem Ruf irgendwie aus dem Bann aufgeweckt hatte. Nun ja. Darüber sollte sie wohl besser den Mund halten. Zum Einen würde das Sesshōmaru nicht gerade schätzen, zum Zweiten würde sich Inu Yasha garantiert nicht verkneifen können seinen Halbbruder aufzuziehen. Nach dem obligaten Duell der Beiden wäre dann sie dran, spätestens falls der Daiyōkai sie mal allein erwischte. Musste nicht sein.

 

Da Ah-Un zur Landung nahe bei ihr ansetzte, suchte sie festen Stand. Es wäre ziemlich idiotisch jetzt hier die fünfzig Meter ins Meer runter zu fallen, nur, weil der Drache eine Erschütterung verursachte. Immerhin fiel die deutlich sanfter aus, als man es bei einem so großen Wesen erwarten konnte. Beide Köpfe reckten sich ihr entgegen und sie kraulte sie brav. Aus den Augenwinkeln sah sie wie der Hundefürst heruntersprang und die Landung mit einem leichten Federn in den Knien auffing.

Nein, er machte das nicht absichtlich um ihr zu demonstrieren, warum Menschen die mindere Art waren, so viel hatte sie auf diesem Trip doch gelernt. Für ihn war das schlicht normal. So unterdrückte sie ihren aufsteigenden Zorn und meinte einfach höflich: „Guten Morgen. - Ich würde nur gern Wasser trinken und so....“ Der Entfernungsbann sollte zwar weg sein und sie sich mehr als die fünf Meter Radius von ihm distanzieren können, aber es war eine zweite Frage ob sie das tun sollte. Immerhin hatte sich auch schon gezeigt, dass es hier Leute, Yōkai und Drachen zum Beispiel, gab, die sie zum Fressen gern hatten. „Meinen Bogen habe ich oben liegen lassen,“ erklärte sie daher noch.

 

Sesshōmaru war überzeugt, dass die so temperamentvolle Miko in den wenigen Tagen mit ihm durchaus an Benimm zugenommen hatte. Noch einige Tage und sie wäre langsam zivilisiert. Die Frage war nur ob er sich das wirklich antun wollte. Besser wäre es sie wieder Inu Yasha vors Haus zu packen und seiner Wege zu gehen. Sollte sich der Hanyō doch mit ihr abplagen. Aber er sollte die durchaus höfliche Anfrage wohl beantworten. Eine Besserung wäre es nur, wenn sie wie Rin oder selbst Jaken auch einfach wissen würde, was er wollte. „Wasser gibt es drüben, jenseits des Meeresarms. Wir fliegen hin und du kannst Pause machen.“

„Ich hole nur rasch meinen Bogen.“ Als sie hochkletterte, bemerkte sie durchaus, dass sich Ah-Un in die Luft erhob und sie quasi in seinem Schatten emporstieg. Ohne Zweifel gehorchte er damit einer stummen Anweisung seines Herrn.

 

Als sie den kleinen Krater erreichte, sah sie sich nach ihrem Bogen um und nahm ihn. Nur noch ein sandiger Krater verriet die Stelle, an der der Emotionsvampir gestern gestorben war. Der Letzte seiner Art. Die junge Frau aus dem 21. Jahrhundert wollte fast Bedauern empfinden, andererseits war es wohl für sehr viele Leute besser, wenn diese Art ausgestorben war. Es war ja schieres Glück gewesen, dass sie und Sesshōmaru, wie eigen das auch so klang, sich doch irgendwie zusammengerauft hatten und gemeinsam zuschlagen konnten. Daran in gewisser Weise schuld war natürlich Inu Yasha, der das Bindeglied zwischen Daiyōkai und Miko darstellte. Davon hatte Tama auch wirklich keine Ahnung haben können. Sie sah auf.

„Ah-Un? Kannst du hier landen? Ich glaube, Sesshōmaru will möglichst rasch zurück.“

Nun ja, das entsprach ihren eigenen Wünschen, aber sie hatte da noch was zu erledigen und die Pause war ihr erst jenseits des Meeresarms versprochen worden. Immerhin bekam sie Frischwasser und eine Fluggelegenheit über diesen Schlick! Fürsorglich war der Schwager ja irgendwie schon. Rins Verdienst, vermutete sie nach auch nur minutenlanger Kenntnis seiner Mutter – und irgendwas mussten ja beide Söhne des Taishō auch von dem geerbt haben. Inu Yasha konnte sie gewisse Fürsorge nicht absprechen. Selbst ganz am Anfang, als er wirklich noch recht wild gewesen war, hatte er nie gezögert seinen Haori auszuziehen und ihr umzulegen, wenn sie fror oder es regnete.

Da der zweiköpfige Drache prompt landete, kletterte sie ein wenig ungeübt in den Sattel. Bald, bald wäre sie zuhause! Es konnte sich doch wirklich kaum mehr um Tage handeln, oder? Wie lange dauerte ein Flug mit einem Drachen von Ryuku nach Tokio? Sie nahm die Zügel, sicher, dass sie nichts mehr sagen musste oder auch nur sollte, wollte sie nicht dem Hundefürsten vorgreifen, der das nun einmal ganz und gar nicht schätzte. Und der Spiegelbann des Vampirs schützte sie nicht mehr. Allerdings war damit auch praktisch sicher dieser ominöse Liebeszauber verschwunden, von dem sie allerdings absolut nichts bemerkt hatte.

Aha. Da hatte jemand nur gewartet und sprang in die Luft, sich prompt die Boa um die Beine wickelnd. Ja, das sah schon elegant aus, dachte sie, so auf einer eigenen Woge der körpereigenen Energie fliegen zu können. Bei dem Flug in den ersten Tagen hatte sie gar nicht darüber nachgedacht, aber seit er sie da den Rest über den Schlick getragen hatte ….das musste doch unglaublich Yōki kosten. Wie viel hatte der Kerl denn davon? Denn, dass der dadurch kampfunfähig wurde, war ja nicht zu erwarten. So dämlich war der nicht.

Ach herrje. Die Flut.

Sie erkannte unter sich keinen Schlick mehr, sondern die Mangroven ragten mit den Wipfeln aus einer Wasserfläche. Das erklärte die Aktion den Reitdrachen zu rufen noch einmal. Ja, der Herr Hund wollte schleunigst zurück, immerhin sie zu Hause abliefern. Das war schon einmal gut, aber der wollte vermutlich auch Inu Yashas Retourkutsche nicht erleben, die nicht nur in einem Duell, sondern auch in der Weigerung Rin weiter im Dorf zu dulden bestehen könnte. Nun ja, eigentlich traute sie das ihrem Hanyō nicht zu, aber der Halbbruder sah das wohl anders. Da schloss doch nicht etwa jemand von sich auf andere?

Und, im Gegenzug zu dem ersten Tag, als er so geflogen war, näher neben ihr, spürte sie das Yōki des Herrn Hundes praktisch kaum mehr, jedenfalls nicht schmerzhaft. Ihre Reiki regte sich auch nicht mehr auf. Ja, sie hatten sich wohl aneinander gewöhnt. Oder lag es doch an der Distanz, denn er war doch gute acht Meter jetzt weg? Eher nicht.

Ah, die Landung an einem kleinen Teich, der sein überschüssiges Wasser zum Meer hinunter schickte. Sie glitt eilig vom Drachen und zog das Schüsselchen heraus um das Wasser zu trinken. Die Frage, ob sie das konnte, stellte sich ihr nach diesen Tagen nicht mehr. Wenn nein, hätte er sie nicht hierher gebracht, das stand fest. Nur noch ein bisschen was trinken, anderes erledigen – und den Gedanken an Essen wieder einmal streichen.

Naja. Mit etwas Glück würde sie morgen oder so schon wieder im Dorf sein, bei Inu Yasha, und dann selbst kochen können, was immer ihr etwas geschundener Magen dann vertrug.

 

Sesshōmaru wandte sich ab und betrachtete die aufgehende Sonne, bei weitem nicht gewillt Inu Yashas Miko beim Trinken oder gar anderem zuzusehen. Immerhin war sie in diesen Tagen deutlich schweigsamer geworden, zumindest ihm gegenüber. Er vermutete nicht, dass ihr Temperament verschwunden wäre – und der Erste, der das wieder zu spüren bekam war mit Sicherheit der … Vaters zweiter Sohn.

Hm. Er hob prüfend ein wenig die Nase, als er hörte, dass sie zurückkam, jedoch ohne sich umzudrehen. Da würde selbst ein Bad kaum helfen. Seine eigene Witterung hing an ihr und die ihre an ihm. Inu Yasha mochte zwar ein Hanyō sein, aber er verfügte immerhin über eine funktionstüchtige Nase, wenngleich natürlich nicht so fein wie die seine. Das würde womöglich nutzlosen Ärger geben, ein Duell für ihn und, nun, er wusste nicht wie Menschen ungetreue Gefährtinnen straften, aber das wäre nicht notwendig.

Zum Glück sah er einen einfachen Weg. Einfach, nun ja, je nachdem, ob sie begriff und mitspielte. Sie vermochte allerdings stur zu sein.

So wandte er den Kopf. Ja, sie wollte gerade in den Sattel steigen. „Warte.“ Er war durchaus angetan, dass sie nicht nur prompt gehorchte, sondern den Bogen von der Schulter gleiten ließ, sichtlich alarmiert. Jetzt musste er sich leider auch noch erklären. „Wir fliegen zu zweit.“

 

Kagome dachte sich verhört zu haben. Das bedeutete ziemlich eng hintereinander zu sitzen – wobei, wenn sie sich recht entsann, war Sesshōmaru doch immer quer auf dem Drachen gesessen, wenn er ihn denn je benutzt hatte. Sie schob den Bogen wieder zurecht, während sie hastig nach einer Erklärung suchte. Spürte er doch etwas von diesem Liebeszauber? War damit auch die letzte Nacht zu erklären? Nicht gerade, dass er über sie herfallen wollte, aber doch Körperkontakt? Was sollte sie jetzt nur sagen oder gar tun?

 

Noch eine Erklärung notwendig, befand der Hundefürst mit gewissem Selbstmitleid. „Inu Yasha mag nur ein Hanyō sein, aber er würde dich an mir und mich an dir wittern.“

 

Oh. Und offenkundig ging er davon aus, dass ein Bad nicht viel helfen würde. Das war dann eine deutlich harmlosere Erklärung als der Satz, das ist, weil ich an deinem Bruder gelehnt habe, sowohl in seiner Hunde- als auch seiner Menschengestalt. Sie konnte sich Inu Yasha dabei vorstellen. Das würde ihm sehr weh tun und er würde sich, ohne weiter nachzudenken, in ein Duell mit dem Daiyōkai stürzen. Das musste beides nicht sein. Irgendwann konnte sie ihm in einer ruhigen Minute sicher von dem Drachenbiss erzählen, dass sie sich in einer Höhle verkriechen mussten. Allerdings sollte sie aufpassen, was sie da wie von sich gab, damit Inu Yasha nicht anschließend seinen Halbbruder auslachte. Aber aufpassen, was sie sagte, nun, das war sie seit einigen Tagen geübt. So nickte sie nur. „Wie stellst du dir das vor?“

Noch einige Tage und sie wäre fast so gehorsam wie Rin. Nun ja, bei weitem nicht. Immerhin brauchbarer als Jaken. Ohne sichtbaren Ansatz sprang er in den Sattel des zweiköpfigen Drachen. Das Metall seines Lendenschurzes klirrte selbst für Kagomes Ohren, bewies jedoch, dass es von einem Könner hergestellt worden war, da sich die Blätter nur spreizten und so der Körperhaltung anpassten.

 

In Anbetracht der Stacheln auf Brust und Schultern sah Kagome nur einen Weg: „Ich setze mich hinter dich?“ Hoffentlich, sonst konnte sie abwarten, wann sie das erste Mal mit den Dornen in Berührung kam. Statt einer Antwort konnte sie nur beobachten, wie sich die Boa unerwartet verlängerte, sie umschlang und hinter den Daiyōkai parkte, ehe sich das Fell wieder verkürzte. Ja, das hatte sie schon gesehen, damals, als er Inu Yasha in dem Grab ihres gemeinsamen Vaters so einwickelte, allerdings um ihn umzubringen. Das jetzt war recht wohldosiert gewesen, denn sie bezweifelte nicht, dass er ihr so auch alle Rippen brechen könnte. Lieber konziliant sein. „Äh, danke. Darf ich mich an dir festhalten?“ Lieber fragen, auch, wenn sie ihren Sitz ziemlich wackelig fand. Auf den bisherigen Flügen auf dem Drachen hatte sie nicht nur deutlich mehr Platz gehabt, sondern sich auch vorne im Sattel festgehalten. Immerhin konnte sie nicht fliegen. Aber das war vermutlich auch schon wieder eine überflüssige Bemerkung. War der Kerl schwierig. Sie sollte Rin für zukünftige derartige Ausflüge wirklich mal darum bitten, wie man mit dem irgendwie umgehen konnte ohne dauernd ins Lebensgefahr zu sein.

Kami-sama! Hatte sie gerade an mögliche weitere Trips mit dem Schwager gedacht? Nicht wirklich! Sie würde Inu Yashas Seite nie mehr verlassen!

Natürlich kam keine Antwort. Zumindest nicht direkt. Sie fand allerdings rasch heraus, dass sich die Boa erneut bewegte, um ihre Taille schlang. Das bot immerhin die Sicherheit nicht hinunterzufallen. „Äh, danke.“ Sie wiederholte sich. Hoffentlich hielt er sie jetzt nicht für dämlich. Nun ja, noch mehr als sonst. Aber sie war froh über den Halt, als Ah-Un steil in die Höhe schoss.

 

Kagome hatte keine Ahnung wie viel Zeit verstrichen war, als sie sich ein wenig mühsam umblickte. Die Schatten waren noch klein, aber die Sonne bog tiefer. Nachmittag. Ah-Un flog sicher so rasch er konnte – sie mussten schon über Honshu sein. Wo, wusste sie nicht genau. Ihre Beine schmerzten und sie würde beim Absteigen sicher nur steif gehen können. Und Durst hatte sie auch. Allerdings wäre es vermutlich ziemlich töricht einen Yōkaifürsten darauf aufmerksam zu machen. Sesshōmaru wusste bestimmt, wie es ihr ging und dass sie müde wurde. Allerdings zeigte er keine Anstalten seinen Reitdrachen landen zu lassen. Also, eine nicht ganz so dämliche Frage.

„Ich weiß nicht, wo wir sind.“ Schön, wie war das mit dämlich? So ergänzte sie eilig: „Schaffen wir das etwa noch nach Hause bis heute Abend?“

Keine Antwort, aber, was hatte sie auch erwartet. So seufzte sie leise und versuchte sich in der Umarmung der Boa sicher zu fühlen und schloss die Augen, lehnte sich, wie schon vergangene Nacht und noch eine, an das weiche Fell über der Schulter, das so herrlich nach Wald und Frühling roch. Da weder das Fell weggezogen wurde noch ein Knurren oder gar der Hinweis auf die Unterwelt kam, entspannte sie sich wirklich.

 

Sie war eingeschlafen. Das war sogar günstig, denn erstens würde sie ihm nicht in den Ohren liegen, was sie alles benötigte und zweitens würde Inu Yasha dann doch sehen, dass er die Miko gut behandelt hatte. Nicht, dass ihn ein Duell gegen den Halbbruder...Vaters zweiten Sohn störte, aber es war nutzlos, sinnlose Energieverschwendung, zumal wenn es auf Grund eines Irrtums ausbrach. Denn sie hatte hörbar geraten, aber ja, sie würden in zwei Stunden dort ankommen. Der Drache wäre zwar erschöpft, aber um den konnte sich Rin dann kümmern, die liebte ihn ja und umgekehrt. Inu Yasha konnte sich um seine Gefährtin kümmern und er konnte weg gehen. Das klang eindeutig gut.

Fast zu schön um wahr zu sein, wenn er an all die Unannehmlichkeiten der letzten Tage dachte.

 

Naturgemäß erregte ein fliegender, zweiköpfiger Drache mit Kurs auf die Siedlung, zumal verbunden mit einer gehörigen Portion Yōki in dem kleinen Dorf gewisses Aussehen und Inu Yasha stand bereits auf dem Dorfplatz und blickte zum Himmel auf, die Klaue an Tessaiga, als Miroku und Sango, ebenfalls bewaffnet dazukamen. Selbst Tōtōsai ließ es sich nicht nehmen aus der Schmiede zu kommen, getrieben allerdings eher von Neugier, denn er glaubte diese Energie zu kennen. Und er war sicher, dass ihm hier, zumal in Gegenwart des Hundebabys, nichts von dem älteren Bruder geschehen würde.

 

Inu Yasha sah ein wenig überrascht, wie der Drache landete und der vordere der beiden Reiter erst mal die Boa einzog, ehe er hoch in die Luft sprang, um wie immer elegant vor ihm zu landen. Kagome blickte sich etwas verschlafen um, stieg dann weitaus mühsamer ab und lächelte ihren Gefährten an, ehe sie so rasch es ging auf ihn zukam.

„Inu Yasha! Was bin ich froh wieder zuhause zu sein. - Stimmt etwas nicht?“ Sie hätte sich sehr irren müssen, wenn da nicht eine Art Gewitterwolke stand und als der Hanyō auch noch demonstrativ die Arme verschränkte, verstand sie gar nichts mehr. „Ja, freust du dich nicht, dass ich wieder da bin? Ich meine, der blöde Bann ist gelöst, wir haben diesen Vampir umgebracht! Inu Yasha?“

„Habt ihr was miteinander gehabt?“ Eisige Familienähnlichkeit.

Kagome blinzelte mehr als verwirrt. „Was?“ Dann allerdings stieg Zorn über diese Art der Begrüßung in ihr auf. „Du hast sie doch wohl nicht mehr alle? Wie kommst du auf diese dämliche Idee?“ fauchte sie.

Inu Yasha ließ, sie kennend, begütigend die Hände sinken. „Tōtōsai erwähnte einen Liebeszauber.“ Unwillkürlich nickte er zu dem alten Schmied.

„Mach Platz! - Moment. Was?“ Kagome spürte neben sich ansteigendes Yōki. Als sie dann begriff und herumfuhr, entdeckte sie den unseligen alten Schmied, der gerade versuchte in einen Baum rückwärts zu kriechen. Kein Wunder, dachte sie, wenn da gerade ein Daiyōkai seinen kompletten Schatten auf ihn warf. Anscheinend hatte Sesshōmaru schneller als sie verstanden. Als sie bei Tōtōsai gewesen waren, hatte der nichts von einem Liebeszauber erwähnt. Und Inu Yasha war zuerst gegangen. Ihnen hatte das erst Tanjeri-sensei erzählt. Das aber bedeutete, dass das diesem vertrottelten alten Schmied eingefallen war – und der nichts Besseres zu tun gehabt hatte als seine löchrige Erinnerung brühwarm an Inu Yasha weiter zu geben. Der arme Hanyō hatte sich doch bestimmt sowieso schreckliche Sorgen um sie gemacht und dann auch noch so etwas! Sie stapfte förmlich auf den Schmied zu, in ihrer Wut ihren Schmerz ignorierend.

 

Tatsächlich hatte Sesshōmaru den gleichen Schluss gezogen und seine Klaue lag sehr eng um den geschrumpelten Hals des Yōkaischmiedes, drückte den gegen den Baum, der über den Platz seinen Schatten warf.

Das hatte er jetzt von seiner Ehrlichkeit und Neugier, dachte der Alte bloß. Anscheinend konnte er sich nur noch aussuchen ob er erwürgt wurde oder sein Genick brechen würde. Denn dieser Griff war keine leere Drohung. Es fehlte nicht mehr viel... Oh, Kagome. Die würde doch... Ein Blick in ihr Gesicht zeigte ihm allerdings, dass sich da nicht unbedingt Hoffnung für ihn näherte – eher eine Furie.

 

„Tōtōsai!“ Das Fauchen klang nach einer Tigermutter, die soeben ihren einzigen Welpen verteidigen will. „Bist du von allen Geistern, Oni, und was weiß ich verlassen? Wie kannst du herkommen und Inu Yasha solch einen idiotischen Blödsinn erzählen? Der arme Kerl hat sich doch schon genug Sorgen gemacht und dann kommst du auch noch mit diesem absoluten Unsinn daher! Ja, wir haben den Gefühlsvampir getötet, ja, sie sind ausgestorben! Und, nein, es gab keinen Liebeszauber! Gab nicht, gibt nicht! Kapiert? - Ich dachte immer nur du bist vergesslich, dem doch ehrbaren Alter geschuldet, aber das ist....!“

 

Tōtōsai hätte gern etwas erwidert, aber er schwieg aus gleich drei guten Gründen. Erstens war sie wirklich sauer und dann war mit ihr nicht mehr zu spaßen, zweitens lag da der Griff des Hundebengels sehr eng um seine Kehle und er war voll und ganz damit beschäftigt nach Atem zu ringen – und drittens sah der Hundefürst gerade auf die Miko als warte er geradezu begierig auf das Wörtchen: „Fass!“ Was auch immer da auf dieser Reise passiert war... es war nicht gut für einen armen, alten Schmied.

 

Tatsächlich war Sesshōmaru ein wenig amüsiert. Er hatte recht gehabt, ihr Temperament war nur ihm gegenüber gebremst. Aber natürlich war es keine Art, Vaters alter Freund hin oder her, sich dermaßen in seine Angelegenheiten zu mischen. So sah er wieder zu Tōtōsai, der gerade mal wieder erkannte, wie unangenehm es war den vollen Fokus der Aufmerksamkeit ausgerechnet dieses Typen zu haben.

 

Inzwischen hatte sich Inu Yasha aufgerappelt. „Aber“, wandte er doch ein: „Ich rieche doch, was ich rieche. Ihr ward nahe beieinander.“ Das klang allerdings schon kleinlauter.

„Du hast gesehen, wie sie kamen,“ murmelte Miroku, sicher, dass ihn der Hanyō hören konnte, aber auch nicht willens irgendwie in den anbahnenden Familienkonflikt einzugreifen. Zwischen diesen Fronten zu landen war alles andere als gesund und er hatte drei Kinder! Er spürte, wie ihn Sango am Ärmel zupfte und zurück nickte, offenbar seiner Meinung.

 

Tatsächlich hatte der jüngere der Halbbrüder das gehört. Ja, er hatte gesehen, dass sie hintereinander sitzend auf Ah-Un gekommen waren, Kagome haltend eingewickelt in die Boa des ungeliebten Halbbruders, der das allerdings bestimmt nur gemacht hatte, damit sie ihn nicht umarmte. Naja. Auf Sesshōmarus Menschenfeindlichkeit war Verlass. Und er … Oh, dieser alte, vertrottelte Schmied hatte ihn wie einen Narren dastehen lassen. Er machte den Satz hinüber. „Kagome....“ Das klang weich, ehe er sich dem Urheber seiner privaten Misere zuwandte. „Du dämlicher Schmied....“

 

Tōtōsai beschloss, dass sich seine Situation soeben nicht verbessert hatte. Einen zornigen Daiyōkai, eine wütende Miko und einen sauren Hanyō gleichzeitig vor sich stehen zu haben …. Naja, falls das schon mal jemandem passiert war, so hatte keiner lange genug überlebt um Bericht zu erstatten. Immerhin wurde der Griff um seine Kehle ein wenig gelockert. Er gab sich allerdings nicht der Illusion hin, dass er tief genug Luft holen könnte um sich mit einem Feuerstoß aus der misslichen Lage zu befreien. Dazu kannte ihn der Älteste des Herrn doch zu gut. „Ich habe doch nur erwähnt, dass es möglich wäre,“ brachte er irgendwie hervor, nach jedem Wort irgendwie Sauerstoff suchend.

„Aber ich habe auch erwähnt, dass Sesshōmaru-sama und Kagome-sama beide zu viel von Magie verstehen....“ Luft, bitte!

Kagome verspürte Mitleid, aber auch jetzt schmerzhaft ihre Beine und ihren Hunger. So wollte sie sich begütigend an beide Hundebrüder wenden, ehe sie erkannte, dass das nicht mehr notwendig war.

 

Rin stand da und lächelte ihren persönlichen Helden an. „Sesshōmaru-sama! Ich habe Ah-Un auf die Weide gebracht.“

Wenigstens eine, die ihn verstand. Der Hundefürst gab den alten Schmied frei, der nur mehr ächzend zu Boden sank, und sein Blick wurde weich. „Rin.“

„Kommt Ihr mit? Ich habe ihm eine so schöne Weide gesucht....so viele Blumen.“

 

Da sich der Daiyōkai prompt abwandte, sah Kagome zu ihrem Hanyō. „Wir sind heute den ganzen Tag auf dem Drachen gesessen und so. Ich habe nichts gegessen. Ich würde gerne mit dir baden und dann dir was kochen, was hältst du davon?“

Dem Grinsen Inu Yashas nach eine Menge und so fasste sie seine Hand und auch dieses Paar verschwand.

 

Tōtōsai wagte zum ersten Mal seit Minuten tief Luft zu holen. Er lebte noch! Er hatte überlebt! Und er sollte aus diesem Dorf verschwinden.

„Ja, Totōsai, was war den hier los? Wieso bist du so aufgewühlt und...?“

„Myōga.“ ächzte der noch ältere Schmied den Flohgeist an. „Frag nicht.“

„Du hast gut reden. Ich fand mich plötzlich im Schloss und die Dame wollte von mir wissen was Dementoren sind!“ Myōga rieb sich noch immer die Schweißperlen von der Stirn. „Ich hatte keine Ahnung, aber sie meinte, sie wolle ihren Lehrer nicht enttäuschen. Naja, du weißt wie sie ist. Kennst du Dementoren? Und, sag schon, was war hier los?“

 

 
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Kapitel sidn grundsätzlich für Sastags geplant, gerade im Juli/ August kann sich mal etwas verschieben, aber eben so grundsätzlich....

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Tama denkt, er hatte einen brillianten Plan
Sesshoumaru denkt, er habe alles unter Kontrolle
Kagome denkt, sie habe ihren Schwager unter Kontrolle
Wie war das?
Das karma lacht,
wenn jemand Pläne macht? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja, Lagome. Reif für die Insel?

Das nächste Kapitel wird auch Donnerstag kommen, da ich anschliessend das WE offline bin.


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Nachwort zu diesem Kapitel:
Äh...und jetzt? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kagome sollte mit ihren Assoziationen vielleicht nicht dermaßen mit der Tür ins Haus fallen.... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel dreht sich um einen medizinien Notfall, denn leider hat der Spiegelbann einige Nebenwirkungen an die keiner des unwilligen Duos dachte. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kagome scheint aufgeregter über ihre Zwangsbegleitung zu sein als sie zugibt, wenn sie dauernd den Entfernungsbann vergisst und Kräuter sammeln gehen will. Oder sie gewöhnt sich rasch an ihren Begleiter. So oder so wird dessen schwarze Liste für einen Vampir immer länger - das "Interview" mit diesem könnte kurz werden.

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Das unwillige Team verscuht das Beste aus der Situation zu machen... Ob sich Tama allerdings wirklich darüber freuen sollte, dass sie näherkommen? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel bietet ein heißes Bad... Mit Kagome in der äh, Hauptrolle,


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Nachwort zu diesem Kapitel:
Wir fassen zusammen. Einer der Hundejungen hat genug Selbstbeherrschung erlernt, um nicht Ryuku von den Landkarten zu tilgen, der zweite bereitet eine heiße Heimkehr vor - und Kagome überlegt, wie sie mit einem Vampir umgeht.

Das nächste Kapitel bietet einen lächelnden Daiyoukai


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Nachwort zu diesem Kapitel:
Have fun, wer auch immer.... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Gewusst wie man Vampire auch ohne Pflock erledigt.... Nur, Miko-Detektor? Das sollten weder Halbbruder noch besagte Miko zu hören bekommen....
Das latzte Kapitel bietet eine stille Übereinkunft.


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Kommentare zu dieser Fanfic (44)
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Von:  DuchessOfBoredom
2023-10-30T07:09:03+00:00 30.10.2023 08:09
Ah, sehr schön, dass Sesshoumaru die Reaktionen seines Halbbruders so gut voraussieht. Und der arme Totosai, der mal wieder alles abbekommen hat XD

Ein sehr schönes Ende, vielen Dank für die tolle Story! <3
Antwort von:  Hotepneith
30.10.2023 16:26
Gern geschehen. Ob sie es nun zugeben oder nciht - sie haben sich auf der Jagd nach Naraku doch ganz gut kennen gelernt....

Ich hoffe du guckst auch in die neuen Geschichten rein, zuerst Krimi mit Inu Yasha in der Neuzeit, dann Inu Yasha in der Unterwelt - oder....nein, ich will meinen Bruder nicht beerben!



hotep
Von:  Sanguisdeci
2023-10-28T08:17:01+00:00 28.10.2023 10:17
Herrlich x,D
Antwort von:  Hotepneith
28.10.2023 10:43
Freut mich:) Kagome scheint es ihrer angeheirateten Familie nachmachen zu wollen - Chaos stiften, selbst, wenn es gar nicht beabsichtigt ist....


Als nächstes kommt wieder ein Krii: Tantei Ken - Die Tote im Park und Inu Yasha darf in der Neuzeit ermitteln, ehe wieder etwas aus dem Mittelalter startet...


hotep
Antwort von:  Sanguisdeci
30.10.2023 08:36
Ich freue mich <3
Von:  DuchessOfBoredom
2023-10-25T18:58:07+00:00 25.10.2023 20:58
Ach ja, das war sehr befriedigend, zu lesen wie dieser Vampir draufgegangen ist. Und die letzte Szene war tatsächlich einfach nur sehr schön <3
Jetzt bin ich mal gespannt, ob die beiden ohne Komplikationen wieder nach Hause kommen und in was für einem Gemütszustand Inu Yasha sie dort erwartet ;D
Antwort von:  Hotepneith
26.10.2023 12:08
Dankeschön.

Der Gemütszustand dürfte ein wenig strapaziert sein, nachdem ein gewisser alter Schmied etwas von Liebeszauber von sich gab...Kagome dürfte kaum erfreut sein.

hotep
Von:  KagomeKizu
2023-10-24T19:35:58+00:00 24.10.2023 21:35
Die arme Kagome, da fühlt man sich ja wie ein lebender Gummiball. 🤪
Bin ja mal gespannt was sich daraus entwickelt.
Glg Kago
Von:  KagomeKizu
2023-10-24T09:24:24+00:00 24.10.2023 11:24
Das hört sich ja schon mal sehr spannend an. ☺️
Antwort von:  Hotepneith
24.10.2023 14:34
Danke. Spannung und eine gewisse Portion Humor, hoffe ich. Es ist nur eine kurze Geschiche, das letzte Kapitel kommt die nächste Woche


hotep
Von:  Sanguisdeci
2023-10-24T07:40:13+00:00 24.10.2023 09:40
Muarharhar, wie schön dieses Kapitel zu lesen ist <3 Einfach nur Herrlich!
Antwort von:  Hotepneith
24.10.2023 14:35
Dankeschpn ....ich neige zu einer gewissen Atz ausgleichenderGerechtigkeit....

hotep
Von:  SUCy
2023-10-14T15:15:26+00:00 14.10.2023 17:15
Aahh das ist aber wirklich ein gemeiner Cut.... das wird spannend. Ich bin wirklich gespannt, ob Sesshoumaru es hier hilft, das er so ist wie er ist. Oder ob diese Anmerkung des Vampirs stimmt und es ihm viell Probleme bringt.
Antwort von:  Hotepneith
14.10.2023 18:46
Beides, würde ich sagen:)


hotep
Von:  Sanguisdeci
2023-10-14T05:37:29+00:00 14.10.2023 07:37
Außerordentlich spannend! Ich bin auf die Falle gespannt, die dort lauern soll.
Von:  DuchessOfBoredom
2023-10-13T19:13:08+00:00 13.10.2023 21:13
Hm, na mal schauen, wie das ausgeht – für Tama, wie auch für seine beiden Opfer. Ich weiß ja nicht, ob Kagome wirklich noch dazu kommen wird, ihre Begnadigungsargumentation an den Hund zu bringen... ;D

Jetzt bin ich jedenfalls gespannt und freu mich aufs nächste Kapitel! :)
Antwort von:  Hotepneith
14.10.2023 18:47
Begnadigungsargumentation ist eine geniale Wortschöpfung.
Nun ja, mal sehen, ob sie nach ienem Zusammentreffen mit Tama einige Minuten später noch immer der Meinung ist....


hotep
Von:  SUCy
2023-10-08T18:10:37+00:00 08.10.2023 20:10
Achh...
du..
scheisse! XDDDD Voll in die Nüsse XDD ich brech weg XDDDD
Antwort von:  Hotepneith
13.10.2023 17:12
Dein Mitgefühl mit Seiner Lordschaft hält sich sichtlich in Grenzen. Mal sehen, wie die Aktion ankommt....auf beiden Seiten:)


hotep


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